Sternendämmerung - Von Schatten befreit - Poppy A. Robin - E-Book

Sternendämmerung - Von Schatten befreit E-Book

Poppy A. Robin

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Beschreibung

**Bist du bereit für das Ende?** Von Sternen geküsst... Von Göttern verraten... Von Schatten befreit? Manchmal müssen wir kämpfen. Manchmal müssen wir fallen. Und manchmal hält das Schicksal andere Pläne für uns bereit...

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Copyright 2022 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Prolog

Das Lied des Mantikors

Allein auf weiter Flur

Wenn das Schicksal drei Malspricht

Die Geister der Vergangenheit

Von Schmerz und Leid

Alte Fehler

Es ist nicht einfach,das Richtige zu tun

Wenn Nebel sich lichten

Wolkendrachen

Lavitae

Im Auge des Vulkans

Tanz der Schlangen

Hochmut kommt vor dem Fall

Das Rätsel der Amalthea

Auf den Spuren der Weisen

Yuco

Die Bestimmung kann mich mal

Wissen ist Macht undMacht braucht Wissen

Indiana Jones goes Iron Man

Jupiter Lapis

Kennst du den rechten Namen?

Von Schatten zu Ketten

Wo sich Höllenhund und Tod»Gute Nacht« sagen

Von Monstern undgebrochenen Herzen

Die Schatten, die mich riefen

Was auf dem Pluto passiert,bleibt auf dem Pluto

Rot wie Blut

Wenn Sterne fallen

Nereus

Die Zeit heilt nicht immeralle Wunden

Und wenn ein Lichtmein Herz verlässt

Epilog

Danksagung

Prolog

Der harte Klang von Metall auf Metall zerschnitt die unendliche Stille. Schlag um Schlag, unermüdlich traf der Hammer sein Ziel. Das Geräusch rollte über die einsame Ebene, prallte an den hohen Bergen ab und kehrte ungehört zu seinem Erschaffer zurück. Der würzige Geruch nach heißem Eisen schwängerte die eisige Luft. Funken des göttlichen Feuers sprangen aus den Kohlen und drohten, sich in den kräftigen Muskeln des Schmieds festzubeißen. Doch der Gott, der wie getrieben auf den Amboss einschlug, bemerkte sie nicht. Genauso wenig, wie all die vorangegangenen, die schon Löcher in seinen Bart und seine lederne Schürze gefressen hatten. Schweiß lief ihm in Bächen die Stirn hinab, benetzte sein Gesicht und Tropfen vergingen zischend im heißen Feuer.

Tagelang stand er schon hier und rang dem Glutstropfen, den er der Sonne gestohlen hatte, seine Form ab und endlich war er seinem Ziel nahe. Nur noch ein gezielter Schlag und er hätte seinen Auftrag erfüllt. Mächtig spannten sich die Muskelberge seines Oberarms und ein letztes Mal hieb er auf die Scheibe, die er aus dem Sonnentropfen geformt hatte. In einer fließenden Bewegung zog er sie vom Amboss und versenkte sie mit lautem Zischen in dem Bottich, der mit den Tränen der Nereiden gefüllt war.

Heiße Dampfschwaden raubten ihm die Sicht, als er triumphierend die geschmiedete Scheibe gen Himmel reckte und rief: »Es ist vollbracht! Hört ihr mich, ihr Parzen? Nun lasst mich in Frieden weiterleben.«

Diese Scheibe barg das Schicksal der Welten in sich und Vulcanus hatte sie geschmiedet.

Er sank auf die Knie, die Scheibe neben sich im Sand und murmelte: »Oh, ihr Götter, was habe ich getan?«

Kapitel 1

Das Lied des Mantikors

Steine spritzten zur Seite und schlugen laut klackernd wieder auf, als ich mich über den Boden rollte, um den rasiermesserscharfen Klauen des Novensiles zu entkommen. Heißer, nach Verwesung stinkender Atem umwehte mich. Für Übelkeit blieb keine Zeit.

Kaum wieder auf den Füßen, stießen mir spitze schwarze Fänge entgegen. Aufkeuchend bog ich meinen Rücken durch und das grausige Geräusch zusammenschlagenden Zähne jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Gleichzeitig ließ ich mein flammendes Schwert auf die Schulter der Bestie niederfahren. Es zerschnitt seinen Leib diagonal und so mühelos wie weiche Butter. Mit ohrenbetäubendem Kreischen wanden sich beide Hälften, bevor sie sich wieder in die Schatten auflösten, aus denen sie entstanden waren. Kraftlos ließ ich mein Schwert sinken. Meine Muskeln zitterten und protestierten gegen jede Bewegung. Dieser Kampf dauerte schon viel zu lange.

Ich riss meinen Kopf herum, als ich höhnisches Gelächter hörte. Zwei der Novensiles hatten Lua eingekreist, die verzweifelt versuchte, sie mit Tritten und Schlägen auf Abstand zu halten. Geifer tropfte von den Lefzen der Kreaturen und verätzte alles, was er berührte. Luas Haut warf bereits an vielen Stellen Blasen. Qualm stieg aus ihren offenen Wunden auf. Galle kroch mir den Hals hoch, als ich ihr verbranntes Fleisch roch. Wie zwei Katzen mit ihrer Beute, spielten sie mit der Amazone. Ließen sie entkommen, nur um ihr gleich danach wieder den Weg abzuschneiden.

Mächtiges Gebrüll zerriss die Nacht. Faunus in Gestalt eines riesigen Panthers raste mit großen Sprüngen heran. Stahlharte Muskeln spielten unter dem schwarz schimmernden Fell. Die Krallen seiner mächtigen Pfoten ausgefahren, sprang er einen der Novensiles an. Sein eleganter Körper durchstieß den schwarzen Schatten und ließ ihn in Rauch aufgehen. Gleichzeitig rauschte Nereus auf einer Welle heran, nahm Anlauf und sprang mit gezücktem Dreizack auf den zweiten nieder. Den Schwung des Sprungs ausnutzend, trieb er seine Waffe mit einem gewaltigen Stoß zwischen die Augen der Bestie. Kreischend schlug sie um sich und versuchte, ihn abzuschütteln. Doch er stemmte seine Füße gegen die Brust seines Gegners, unter dessen halbverwester Haut schwarze Rippen hervortraten. Mit einem schnellen heftigen Ruck zog Nereus seinen Dreizack wieder heraus und hinterließ klaffende Wunden. Dort, wo eben noch Augen gewesen waren, sah ich nun dunkle Höhlen, aus denen schmieriger Eiter lief. Nereus versenkte seine Waffe an der Stelle, an der das Herz sitzen würde, hätten diese Kreaturen eines. Wild zuckend und schreiend hieb die Bestie um sich und ein letzter gewaltiger Schlag wischte Nereus von ihrer Brust, bevor auch sie sich in Schatten auflöste.

Mein Herz setzte aus, als ich zusehen musste, wie die Liebe meines Lebens durch die Luft geschleudert wurde, hart auf dem Boden aufprallte und reglos liegen blieb. Meine Instinkte übernahmen das Kommando und ich rannte blind für alles andere zu ihm. Erst der faulige Atem an meinem Nacken, ließ mich die Gefahr ahnen, die sich hinter mir aufbaute. Instinktiv warf ich mich auf den Boden und rollte zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, denn direkt neben mir bohrten sich messerscharfe Klauen in die Erde.

»Ihr könnt einfach nicht sterben, oder?«, brüllte ich dem Novensiles wütend entgegen, den ich eben noch hatte in Schatten aufgehen lassen. Der baute sich zu seiner vollen Größe auf und zog genüsslich die Luft ein. Mir war, als würde er sogar noch ein Stück wachsen.

»Du bist so köstlich.« Zischend durchschnitt die Stimme meinen Geist. Ekel überfiel mich, diese Kreatur in meinem Kopf zu wissen. Ich starrte sie entsetzt an. Es war schlimm genug, gegen gottähnliche Wesen zu kämpfen, die sich von Gefühlen wie Angst, Neid, Hass oder Wut nährten und die Welten erobern wollten. Noch schlimmer war, dass jedes Mal, wenn wir einen von ihnen in die Schatten zurückbefördert hatten, kurze Zeit später wieder einer auftauchte, was diesen Kampf zu einer SisyphosArbeit machte. Aber diese Stimme in meinem Kopf, dieses Eindringen in mein Allerheiligstes ließ mich erstarren.

Langsam beugte sich der Novensiles zu mir herunter, dunkle Strudel bildeten sich in seinen Augen und nahmen mich gefangen. Um mich herum tobte der Kampf unerbittlich weiter, ich hörte Harmonia Befehle schreien, den Panther fauchen und Discordias Peitsche knallen. All dies vernahm ich wie durch eine Wand: entfernt und verwaschen. Immer dichter schob der Novensiles sein Gesicht an meines heran, die Wirbel in seinen Augen lockten mit verheißungsvollen Versprechen nach ewiger Ruhe. Sie vergrößerten sich, so dass ich nichts mehr sah außer der sich immer träger drehenden Schwärze. Ich fühlte mich so müde und erschöpft von diesem aussichtslosen Kampf, meine Arme und Beine wurden schwer. Fast schon hieß ich den Novensiles willkommen, als er mit zärtlicher Geste über die Haut meiner Wange strich und meinen Mund sanft öffnete.

»Du wirst ein Festmahl sein.«, hörte ich ihn sagen, bevor er sich in Schatten auflöste, die ich mit meinem nächsten Atemzug einatmete. Eis legte sich um mein Herz und mit jedem seiner Schläge breitete sich die Kälte in mir aus.

Nein, nein, nein, das durfte nicht sein! Innerlich bäumte ich mich auf, kämpfte dagegen an. Doch Schwärze verschlang mich, umhüllte mich, füllte mich aus. Hilflos trieb ich im ewigen Nichts. Immer tiefer sank ich, bis nichts mehr übrig war. Keine Sorgen, keine Freude. War es das? War das das Ende? Es interessierte mich nicht.

Meine wunderbare Gleichgültigkeit wurde nur von einem kleinen Funken gestört, den ich wahrnahm. Langsam näherte ich mich ihm und streckte die Hand danach aus, berührte den Funken, der nun zu einer kleinen Lichtkugel angeschwollen war. Wohltuende Wärme floss auf mich über und Bilder entstanden in meinem Geist. Ich sah einen Mann und eine Frau mit einem kleinen Mädchen, das mir verblüffend ähnlichsah. Waren das meine Eltern? Ich sah eine hochschwangere Frau, die mich umarmte. Eine Freundin? Azurblaue Augen lächelten mich liebevoll an und ein Duft nach Meer und Wildheit umschmeichelte meine Nase. Mein Herz machte einen Satz. Nereus?

Gleißender Schmerz durchschoss meine Glieder, als würde ich auf einem Bett heißer Kohlen liegen und die Lichtkugel zerplatzte vor meinen Augen. Ich fühlte einen fremden Geist in mir wühlen. Neue Bilder zogen vor meinen Augen vorbei: Das Mädchen, das in der Schule gemein zu mir war. Das Geschenk, das ich mir so gewünscht und nicht bekommen hatte. Die Beerdigung meines geliebten Hundes. Die grauenvollen Altäre der Novensiles. Tränen strömten über mein Gesicht und ich rollte mich in dieser ewigen Schwärze zu einer kleinen Kugel zusammen. Immer weiter zerpflückte der Novensiles meinen Geist, all die kleinen und großen Verletzungen, Ängste und Enttäuschungen zerrte er unerbittlich aus meinem Leben hervor. Und dann, als leinwandgroßes Standbild: Nereus, der mein Herz brach. Ich krümmte mich weiter zusammen, presste mir die Hände auf die Ohren und hätte mir am liebsten die Augen ausgerissen, während ich immer und immer wieder erleben musste, welch unermesslichen Schmerz ein zersplittertes Herz mit sich bringt.

Zitternd trieb ich in der Dunkelheit, als sich langsam, nach und nach ein vertrauter Duft um mich legte. Meer und Weite streichelten mich. Lockten mich zurück an die Oberfläche. Verdrängten das grausame Bild. Gleichzeitig schlich sich ein Gedanke in mein Hirn: Das ist nicht wahr! Nereus liebt dich.

Ich bäumte mich auf, kämpfte und trat gegen das dunkle Nichts an. Spürte, wie langsam wieder Wärme in meine Glieder kam, wie Liebe durch meine Adern floss. In meinem Kopf kreischte der Novensiles, krallte sich an meinem Geist fest. Doch ich stemmte mich mit all meiner Kraft gegen ihn und folgte der Spur, die Nereus Duft mir hinterlassen hatte. Ich spürte das Ende der Dunkelheit. Ich stellte mir vor, wie ich die Bestie in meinem Inneren mit ausgestreckten Armen von mir stieß.

»Raus aus meinem Kopf, du Mistvieh!«, brüllte ich ihr entgegen und katapultierte das widerliche Ding aus meinem Geist und in die Schatten zurück.

»Kaum wieder wach, beleidigst du mich schon«, hörte ich den geliebten Bariton zitternd flüstern. Tief atmete ich den Geruch ein, der mir den Weg gewiesen hatte.

»Bist du wieder bei mir?« Zärtlich strich mir Nereus über Stirn und Wangen.

Ich öffnete die Augen und nickte zögerlich. Langsam kehrten die Kampfgeräusche in mein Bewusstsein zurück, jedoch immer noch seltsam gedämpft. Ich spähte an Nereus besorgtem Gesicht vorbei und sah einen silbrig schimmernden Flügel über uns ausgebreitet. Kumas Körper schützte uns wie eine Höhle. Er stieß drohendes Gebrüll aus.

»Es ist noch nicht vorbei? Wie lange war ich weg?«

»Nur ein paar Minuten. Als ich mich von meinem Sturz erholt hatte, sah ich, wie der Novensiles in dich fuhr. Ich musste in deinen Geist eindringen, um dich zurückzuholen.« Mit bebenden Händen fuhr sich Nereus durchs Haar. »Bei den Göttern, Mina, ich dachte, ich hätte dich verloren.«

Kumas Gebrüll ging in ein Fauchen über und ich vermutete, dass mein Freund unsere Feinde gerade mit Feuer in Schach hielt.

»Hast du nicht. Lass uns weiterkämpfen.« Ich hielt ihm meine ausgestreckte Hand hin und er zog mich auf die Beine. Meine Knie wackelten und mir war kalt, aber das war nichts, auf das ich jetzt Rücksicht nehmen konnte. Ich ging zum Rand von Kumas Flügel, kniete mich nieder und spähte hinaus.

Harmonias schillernde Schwingen durchschnitten die Dunkelheit und hinterließen einen blaugrünen Schweif, als sie auf einen Novensiles niederstieß, der gerade Janus mit seiner riesigen Hundeschnauze packen wollte. Im selben Moment, in dem sie ihren gleißenden Speer auf den Nacken des Novensiles schleuderte, verschwand Janus in seinen grünen Nebeln. Der Angriff der Bestie verlief ins Leere und getroffen von Harmonias Speer kreischte der Novensiles, bevor er sich ein letztes Mal aufbäumte und in Schatten verging.

Ich kroch unter Kumas Flügel hervor und konnte nun das ganze Schlachtfeld überblicken. Ich rieb mir über meine fröstelnden Arme. Discordia enthauptete gerade einen skelettartigen Novensiles, dem nur noch Fetzen seiner Haut an den schwarzen Knochen hingen. Sofort verdichtete sich schwarzer Nebel an einer anderen Stelle des Plateaus und eine zweiköpfige Kreatur materialisierte sich, die auf Arges zuschoss. Der hieb gerade mit weitausholenden Axtschwüngen auf einen so hünenhaften Novensiles ein, dass er daneben wie ein Kind wirkte. Bevor ich reagieren konnte, machte Kuma einen riesigen Satz auf die Bestie zu und hüllte sie unter lautem Fauchen in sein Drachenfeuer ein. Kreischend löste sich der Novensiles in die Schatten auf, aus denen er gekommen war. Auch Arges hatte seinen Gegner besiegt und sah sich schwer keuchend nach dem nächsten um. In diesem Moment wurde mir klar, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen konnten. Meine Freunde waren am Ende und je verzweifelter wir kämpften, um so stärker schienen die Novensiles zu werden. Kälte breitete sich in mir aus.

Ein Zischen ließ mich herumfahren und das Schwert hochreißen. Gerade noch konnte ich die langen dolchartigen Krallen zu Seite schlagen, die auf mich zugeschossen kamen. Anstatt meine Brust zu treffen, auf die der Novensiles gezielt hatte, bohrten sie sich schmerzhaft in meine Schulter und zerrissen Haut und Fleisch. Ich schrie auf, als sengender Schmerz durch meinen Arm schoss und schleuderte einen Feuerball auf meinen Gegner, der ihm die geifernden Lefzen verbrannte.

Sie wurden mit jeder Stunde, die verging, stärker. Nereus schleuderte wie besessen Eispfeile auf die Bestie und spickte damit ihren Rücken. Ich mobilisierte meine letzten Reserven und griff den Gegner von der Seite an. Adrenalin flutete meine Adern. Ich holte aus, um mein Schwert in die weiche Flanke des Novensiles zu treiben, als plötzlich die Welt langsamer wurde. Wie in Zeitlupe bewegten wir uns. Selbst die Geräusche verlangsamten sich, wurden leiser und gedämpft. Wir alle schienen in einem langsamen Tanz gefangen. Darüber erhob sich Gesang.

Eine einzelne, klare Männerstimme. Sie floss über das Plateau, breitete sich aus und umfing jeden einzelnen von uns. Sie umschmeichelte, beruhigte und tröstete. Etwas Verlockenderes hatte ich noch nie in meinem Leben gehört. Schläfrigkeit breitete sich in mir aus und ich sah, wie auch Kuma seinen majestätischen Drachenkopf langsam senkte.

Zimtrot schimmerndes Fell blitzte zwischen den Kontrahenten auf, die völlig erstarrt waren, eingefroren in der Pose ihres Kampfes. Janus, halb in seinen Nebeln verborgen, Arges die Axt erhoben. Faunus geduckt und zum Sprung bereit.

Ich sah eine mächtige Pranke hinter Harmonia auftauchen, die gerade den Angriff des halbverwesten Novensiles abwehrte. Immer noch schwebte dieser wunderschöne Gesang über uns. Das Wesen, das so unbeschwert zwischen den Kämpfenden herumspazierte, trat nun völlig hinter Harmonia hervor.

Ich zog scharf die Luft ein, als der Pranke ein attraktives männliches Gesicht auf einem Löwenkörper folgte. Den Skorpionschwanz musste ich nicht mehr sehen, um zu wissen, wer unseren Kampf unterbrochen hatte. Der Namensgeber dieser Landschaft war aufgetaucht: der Mantikor. Langsam strich er durch unsere Reihen, schnüffelte an den Novensiles und verzog angewidert das Gesicht. Faunus´ mächtige Panthergestalt betrachtete er fast schon begehrlich, bevor er weiter zu Discordia schlenderte und ihren Duft genussvoll einsog.

Langsam wurden seine Kreise enger. Witternd hob er seine Nase in den Wind und seine Augen blitzten auf. Schnurgerade hielt er nun auf Nereus zu, ein Lächeln auf seinen Lippen. Mir wurde heiß und kalt vor Sorge. War dieses Wesen Freund oder Feind? Der Mantikor umrundete Nereus langsam, immer wieder tief die Luft einatmend. Er war so gewaltig, dass er, als er seine Pranke hob, mit Leichtigkeit Nereus Kopf erreichte und ihn genießerisch streichelte. Mir lief der Schweiß, verzweifelt versuchte ich mich zu bewegen, Nereus zu schützen. Doch meine Glieder waren wie festgefroren. Der Mantikor öffnete seinen Mund und ließ seine Zunge langsam über Nereus ungeschützten Hals gleiten. Dann legte er den Kopf in den Nacken und riss seinen Mund zur Gänze auf. Drei Reihen nadelspitzer Zähne kamen zum Vorschein. Nein, das darf nicht sein! Nein, nein …

»Nein!«, schrie ich. Nur dieses eine Wort. Es schwang sich machtvoll empor und wie ein Donnerhall erklang darin die Göttin, die ich einmal sein würde.

Der Mantikor riss den Kopf herum und seine Augen weiteten sich verblüfft. Mit einer fließenden Bewegung löste er sich von Nereus und erreichte mich mit einem einzigen weiten Sprung. Elegant beugte er die Vorderbeine und neigte seinen Kopf vor mir.

»Verzeiht Herrin, ich habe Eure äußerliche Gestalt nicht gekannt.« Er hob den Kopf und lächelte mich an. »Auch ein Mantikor muss essen.«

»Meine Freunde wirst du aber in Frieden lassen. Von mir aus kannst du die anderen gerne fressen.« Der Bann auf mir war gelöst und nun konnte ich auf die Novensiles deuten. Könnte es etwa so einfach sein?

Angeekelt verzog das Wesen sein Gesicht. »Sie bestehen nur aus Neid, Hass und Angst. Das ist nichts für mich.« Natürlich nicht. »Schade, du wärst wirklich hilfreich gewesen. Ich weiß nicht, wie wir sie besiegen sollen.« Kraftlos ließ ich die Schultern sinken. »Vielleicht kann ich Euch doch behilflich sein, Herrin.« Geziert leckte sich der Mantikor über die Schulter.

»Achja?«

»Wie Ihr bemerkt habt, verfüge ich über gewisse Fähigkeiten.«

Zustimmend nickte ich.

»Diese Wesen sind noch neu in dieser Welt, wie frisch geschlüpfte Greifenjunges. Sie brauchen noch Zeit, um sich voll zu entfalten. Genau wie Ihr, Herrin.«

Wieder nickte ich und wünschte sehnlichst, er würde endlich zum Punkt kommen.

»Ich kann sie ebenso wenig töten wie Ihr. Aber ich kann ihnen einflüstern, sich zurückzuziehen und erst zu Kräften zu kommen.«

Nachdenklich betrachtete ich mein Gegenüber. Fürs Erste hätten wir damit Zeit gewonnen. Wohin würden die Novensiles gehen und was dort tun? Konnte ich noch auf die Hilfe von Mars und den anderen Göttern bauen? Was war mit ihnen geschehen? Nein, ich musste meine Entscheidung allein, hier und jetzt treffen. Wenn uns der Mantikor nicht half, würden uns die Novensiles besiegen. Bei dem Gedanken, was uns dann bevorstünde, kroch mir wieder Kälte die Arme entlang. »Tu es!«

Das Wesen neigte sein Haupt und der Gesang, der auch während unserer Unterhaltung nicht abgerissen war, änderte seine Melodie. Die Töne hüpften fröhlich über die Ebene und erzählten von Aufbruch, Abenteuer und Reise. Es dauerte nicht lange und ich sah, wie sich die Novensiles nach und nach in Schatten auflösten. Diesmal jedoch, ohne wiederzukehren. Wilde Erleichterung durchflutete mich. Ich streckte meine Hand aus und ließ sie über die weiche sandfarbene Mähne gleiten. »Danke, ich bin dir etwas schuldig.«

»Das nächste Mal werde ich Euch nicht helfen können, Herrin. Dann wird ihre Macht meine unbedeutenden Kräfte bei Weitem übersteigen. Ich wünsche Euch alles Glück der Sterne. Die Götter wissen, Ihr werdet es brauchen.« Ein letzter warmer Blick und er sprang mit weiten Sätzen davon.

Kaum war er aus meinem Sichtfeld verschwunden und der Gesang verklungen, kam Bewegung in meine Freunde. Ich hörte überraschtes Ausrufen und erleichtertes Stöhnen. Mit drei schnellen Schritten war Nereus bei mir. Sein Blick scannte mich von oben bis unten.

»Was ist passiert? Wo sind sie hin? Du bist verletzt.«

Die letzte Erkenntnis begleitete ein wütendes Knurren. Doch ich war so erleichtert, dass die Novensiles fort waren, dass ich nur auflachte und abwinkte. Dann erzählte ich ihm und den anderen, die sich inzwischen bei uns eingefunden hatten, von unserer Rettung durch den Mantikor. Dass er Nereus Hals abgeleckt hatte, behielt ich jedoch lieber für mich.

Vorsichtige Feiertagsstimmung breitete sich unter uns aus. Die erste Schlacht war geschlagen. Wenn auch nicht gewonnen, so hatten wir doch eine Atempause.

»Zagreus!« Discordias schmerzverzerrte Stimme hallte über die weite Ebene.

Ich trat aus dem Kreis meiner Freunde heraus und sah ihren Körper über den toten Leib ihres Vaters gebeugt. Janus stand bei ihr und hatte tröstend eine Hand auf ihre Schulter gelegt. Das Zittern ihres Körpers verriet, dass sie heftig weinte. Ich sollte Genugtuung empfinden, dass der Mörder meiner Mutter endlich seine Strafe bekommen hatte. Discordias offensichtliches Leid dämpfte meinen Triumph jedoch deutlich. Langsam und unendlich erschöpft machte ich mich auf den Weg zu dem Geschwisterpaar. Es gab so viel zu besprechen, zu klären und vielleicht auch irgendwann zu verzeihen. Ich trat neben sie und betrachtete die leere ausgebrannte Hülle ihres Vaters. Jetzt war weder Ort noch Zeit, um diese Dinge zu klären. Erst musste ich ihnen ein wenig Raum geben. Ich legte meine Hand auf Janus kühlen Unterarm und sagte: »Lasst ihn uns nach Hause bringen und bestatten.«

Kapitel 2

Allein auf weiter Flur

Was mussten wir für einen kläglichen Anblick bieten. Alle hingen ihren Gedanken nach. Niemandem war nach Sprechen zumute. Ich flog auf Kuma und betrachtete die anderen unter mir.

Nereus stand mit starrem Blick auf der Schaumkrone seiner Welle, Harmonia an den Rücken von Faunus geschmiegt, der immer noch in Panthergestalt war und sie leichten Schrittes trug. Arges´ Blicke huschten immer wieder über die Ebene, als wäre er sich nicht sicher, ob die Novensiles gleich zurückkommen würden. Janus hatte sich, Discordia und Zagreus Hülle bereits zum Palast teleportiert. Lua benötigte anscheinend viele wunderschöne Blüten, um das Erlebte zu verarbeiten, denn sie schwebte auf einem Meer aus weißen und hellrosa Blüten, die aus ihren Handflächen wehten. Was Heros wohl erlebt hatte? Hoffentlich ging es ihm und den Göttern gut.

Ich strich Kuma sanft über die Schuppen und übte einen leichten Druck auf seine Flanken aus. Unruhe überkam mich. Wir mussten so schnell es ging zurück.

Wieder und wieder spielten sich die letzten Momente des Anfangs vom Ende vor meinem geistigen Auge ab.

Zagreus irres Lachen, das Abprallen unserer Waffen an ihmund dann die Novensiles, die aus ihm herausbrachen, sich herausfraßen und befreiten.

Ich musste unbedingt mit meinem Vater sprechen. Mars wusste bestimmt, was zu tun war. Er und die anderen Götter waren sicher schon zurückgekehrt und beratschlagten, wie wir die dunklen Schatten wieder verbannen konnten.

Ein kleiner Funke Hoffnung keimte in mir auf. Ich würde alles daransetzen, dass diese Kreaturen in die Hölle zurückkehrten, aus der sie gekommen waren.

Allein die Erinnerung, als der Novensiles sich von mir nährte, meinen Geist beschmutzte und seine gierigen Klauen in meine schlimmsten Erinnerungen schlug, ließ eine Gänsehaut über meinen Rücken laufen und ein stechender Schmerz breitete sich in meinem Kopf aus, so als ob er diese Erinnerung verdrängen wollte. Ich fasste mir an die Schläfe und massierte sie.

Schneller, wir mussten schneller sein. Ich lehnte mich dicht an Kumas Hals und sandte einen Gedanken aus, setzte ein Bild in seinen Geist. Wir hatten bisher keine Zeit gehabt, um zu sehen, wie unsere Verbindung funktionierte, also probierte ich es einfach. Prompt bekam ich ein Bild zurück, das mein kleines, wundervolles Childra zeigte, wie es grimmig nickte. Trotz der grauenvollen Ereignisse entlockte mir dieses Bild ein Lächeln.

Doch es gefror unverzüglich auf meinen Lippen, als der Palast in Sichtweite kam.

Vis lag in Trümmern. Überall stiegen Rauch, Asche und tiefschwarze Schatten auf. Ich stieß ein verzweifeltes Brüllen aus. Was hatte ich getan? Meine Entscheidung, uns zu retten hatte Vis zur Zielscheibe gemacht. Tränen der Verzweiflung traten in meine Augen.

Kuma flog noch schneller. Der Wind zerrte an meinem Gesicht, an meinem Haar, aber beides war mir egal. Das Bild vor mir brannte sich in meinen Geist. Der Palast, teilweise eingestürzt, teilweise in Flammen gehüllt.

Csilla.

Ben.

Vater und die Götter.

Kurz vor Vis´ Stadtmauern landete Kuma. Sofort sprang ich von seinem Rücken und rannte zu Nereus. Sein Gesicht zeigte nicht weniger Schmerz und Unglaube als mein Inneres. Ich schloss ihn in meine Arme und ließ uns in Flammen aufgehen.

Als ich uns wieder materialisierte, standen wir im Garten.

Der Baum. Rheas Baum war in der Mitte gespalten. Die sonst so wunderschönen bordeauxfarbenen Blätter hatten ihre Farbe verloren und hingen schlaff an den Ästen. Die Mitte des Stammes war in drei Teile geteilt und aus seinem Inneren quoll eine schwarze, teerige Flüssigkeit. Der Baum starb, wenn er nicht schon tot war. Ich bekam keine Luft mehr und stützte mich an der Rinde ab. Sofort zuckte meine Hand zurück, als die klebrige, absolute Schwärze der Novensiles sich in meine Haut fraß. Verzweifelt versuchte ich sie am Gras abzuwischen. Wut kroch meine Wirbelsäule hoch, das vertraute und willkommene Brennen entflammte meinen Rücken und sofort umhüllte mich meine Feuerrüstung. Grimmig legte ich die verdreckte Hand um das Heft meines Schwertes und spürte mit Genugtuung, dass die klebrige Flüssigkeit unter der Hitze verdampfte. Ich zog meine Waffe, blickte zu Nereus und nickte ihm zu. Auch er hatte seinen Dreizack bereits kampfbereit erhoben und war vorbereitet. Wir setzten uns in Bewegung, schneller, immer schneller liefen wir durch die Gänge auf das Zentrum des Palastes zu.

In der Halle der Götterstatuen kamen wir zum Stehen. Fast alle Figuren waren umgestürzt oder hatten Risse bekommen. In der Mitte knieten Janus und Discordia über Zagreus´ Hülle. Heros war bereits bei ihnen und hatte einen Arm um Discordia gelegt.

Auch wenn ich wollte, wäre jetzt keine Zeit zum Trauern, wir mussten schnell mit Mars und den anderen Göttern sprechen. Ich eilte auf die drei zu. Als Heros mich sah, sprang er auf und kam mir entgegen.

»Mina, den Göttern sei Dank, …«

»Wo ist Mars? Wo sind die anderen Götter?«

»Mina, ich …«, Heros raufte sich seine blonden Haare und wich meinem Blick aus.

»Heros, verdammt nochmal, was ist passiert? Wo ist mein Vater?«

»Sie … sind weg …, alle.«

»Waaas?« Ich machte einen Schritt auf ihn zu und packte ihn an den Schultern. »Sprich kein wirres Zeug. Wo sind sie? Sie können uns nicht im Stich lassen. Nicht jetzt.«

Die Decke über uns knirschte bedenklich und kleine Putz und Mörtelbröckchen rieselten auf unsere Köpfe.

»Der Schlüssel, sie … sie sind in ihn hineingesogen worden. « Heros schaute mich verletzt und traurig an. Er ließ kraftlos seine Arme sinken.

Taubheit breitete sich über meinen gesamten Körper aus. Es fühlte sich an, als würde mein Geist aus meinem Körper treten und mich von außen betrachtete.

Leer. Ich war leer.

Wir waren verloren.

Ich spürte Nereus Hände an meinen Schultern, sie holten mich ins Hier und Jetzt zurück. Er hob mit seinen Fingern mein Kinn an, so dass ich in seine Augen schauen musste.

»Mina, wir geben jetzt nicht auf. Wir finden eine Lösung. Wir müssen sicherstellen, dass die Bewohner von Vis versorgt sind, hast du mich verstanden. Dein Volk braucht dich jetzt. Wir brauchen dich. Ich brauche dich.«

Seine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Mein Geist floss wieder in meinen Körper und ich sah in die Augen, die ich über alles liebte. Ich zog ihn in eine kurze Umarmung, atmete tief seinen unverkennbaren Geruch ein und wandte mich wieder Heros zu. In dem Moment passierte alles gleichzeitig.

Größere Gesteinsbrocken lösten sich aus der Decke und fielen krachend zu Boden. Die anderen Götterkinder betraten die Halle und schrien laut unsere Namen. Janus legte schützend seinen Arm über Discordia und die beiden waren wieder verschwunden. Nereus riss mich in letzter Sekunde in eine Nische zwischen die Überreste der Statuen seiner Eltern. Heros hatte sich selbst unter einer Blitzkuppel in Sicherheit gebracht, an der große Steine und Geröll abprallten. Staub füllte die Luft und erschwerte uns das Atmen.

Das Licht der ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages fiel durch die Decke. Ascheflocken schwebten in der Luft, als würden sie den anbrechenden Morgen verspotten. Mein Vater war weg, die Götter mit ihm. Diese Information wollte nicht in meinen Kopf. War es nicht genug, dass die Novensiles sich befreit hatten, war es nicht einfach alles genug?

Es musste einen Weg geben, die Götter zurückzuholen, wo immer sie auch waren. Heros musste sich irren, sie konnten nicht weg sein.

Schwer atmend versicherte ich mich, dass es allen Anwesenden gut ging.

»Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte ich leise, um zu hören, dass meine Stimme mir noch gehorchte.

Gemeinsam mit Nereus ging ich mit wild klopfendem Herzen zu Heros, bei dem die anderen Götterkinder auch gerade angekommen waren. Faunus und Harmonia hielten sich im Arm, Arges versuchte die Statuen seiner Eltern wieder aufzurichten und Lua stand einfach nur da und sah aus, wie ich mich fühlte: verloren.

»Wir müssen ins Freie. Wir müssen uns um Vis kümmern und … wir müssen Ben und Csilla finden …«

»Minerva! Sieh!«, Arges, der uns alle um einige Köpfe überragte, zeigte auf den Gang, der zum Empfangssaal von Mars führte. Die beiden Statuen meiner Eltern versperrten wie gekreuzte Schwerter den Weg. Als ich meinen Blick schärfte, sah ich Ben, der an Mars´ Statue emporkletterte. Blut, Schweiß, Asche und Ruß klebten an ihm. Sein Auge war geschwollen und er suchte meinen Blick. Nein, bitte nicht Csilla. Wo war sie? Sie war ein Stern, sie …

Hinter Ben sah ich noch zwei zarte Hände, die sich an die Statue von Mars klammerten. Erleichterung durchflutete mich, als ich die blonden Locken meiner Freundin sah. Ich hätte am liebsten losgeheult. Generell hätte ich mich liebend gerne zu einer kleinen Kugel zusammengerollt, hin und her gewiegt und die Außenwelt ausgesperrt. Das war ein absoluter Albtraum und wir waren die Ehrengäste. Ich spürte die grenzenlose Verantwortung auf meinen Schultern. Nereus strich über meinen Arm, als wüsste er, wie ich mich fühlte.

Ben und Csilla kamen, so schnell es ihnen möglich war, auf uns zu.

Als Ben uns erreichte, fiel er mit gesenktem Haupt auf seine Knie. »Minerva, Tochter des Mars, ich habe versagt. Ich konnte die Schatten der Neun nicht abhalten. Sie sind über uns hinweggefegt. Es gab kein Entrinnen.«

»Ben, um Himmels Willen, steh auf. Dich trifft keine Schuld. Wir müssen von Vis retten, was zu retten ist.« Ich schluckte hart und meine nächsten Worte brannten wie flüssige Lava in meiner Kehle.

»Du bist jetzt meine rechte Hand. Mein Vater … Mars, er … ich bin jetzt die Herrscherin. Ich …«, meine Stimme brach und ich räusperte mich, »ich muss mich um mein Volk kümmern und ich brauche dich!«

Sofort stand Ben auf, nickte knapp und schlug sich seine geballte Faust gegen die Brust. Csilla kam zu mir und schloss mich in eine Umarmung. Still standen wir da und genossen die Versicherung, dass es uns gut ging. Als sie sich von mir löste, sah sie mir in die Augen. Zuversicht und Mut konnte ich darin lesen, genau das Gegenteil von dem, was ich gerade empfand. Ich schämte mich, dass ich nicht diejenige war, die den anderen Stärke bot. Ich war die Tochter des Mars, in meinen Adern floss göttliches Kriegerblut. Ich musste mich zusammenreißen. Hier und jetzt.

Ich schaute in die Runde. Alle starrten mich ungläubig an und blankes Entsetzen machte sich breit. Wir brauchten dringend einen ruhigen Ort, um alles zu besprechen. Die anderen wussten noch nichts von Heros´ schlimmen Nachrichten.

»Ben, wie viele Leute hast du noch? Wie ist die Lage in der Stadt?«

»Wir sind zum Glück auf Angriffe vorbereitet. Unsere Schutzbunker sind unter der Erde, Mars hat sie mit allem bestücken lassen, was man braucht, und jedes Haus hat einen Zugang zur unteren Ebene. Den meisten Bewohnern sollte es also gut gehen. Meine Leute sind in der Stadt verteilt und ich erwarte bald einen Lagebericht.«

Erleichterung machte sich in mir breit. Den Sternen sei Dank hatte mein Vater an alles gedacht, was mit Angriffen und Verteidigung zu tun hatte. Das nannte man dann wohl Glück im Unglück.

»Danke, Ben. Habt ihr hier einen Raum, in dem wir uns sammeln können. Wir müssen unbedingt überlegen, wie wir weiter vorgehen.« Ich blickte ihn und die anderen an, mein Blick blieb an Faunus hängen.

»Bitte begib dich auf die Suche nach Discordia und Janus. Hoffentlich sind sie in der Nähe. Bring sie in …«, hilfesuchend sah ich Ben an.

»Mars´ Arbeitszimmer. Es ist unversehrt.«

Ich nickte Faunus zu, dieser gab Harmonia einen Kuss auf die Schläfe und machte dann drei Schritte, bevor er die Gestalt eines Falken annahm und durch das riesige Loch in der Decke flog.

In diesem Moment kam ein völlig außer Atem keuchendes Childra in die große Halle, umrundete die Trümmer und schloss mich in seine pelzigen Ärmchen.

»Minamaus, macht das ja nie wieder. Einfach so von mir abspringen und mich zurücklassen, was fällt dir eigentlich ein. Ich bin fast gestorben vor Sorge.«

Ein leises Schnäuzen und Schluchzen war zu vernehmen. Ich strich Kuma über den Rücken, er entspannte sich und ließ mich los. Große schwarze Knopfaugen, die leicht schimmerten, gaben mir die Zuversicht, dass ich nicht allein war.

Kapitel 3

Wenn das Schicksal drei Mal

spricht

Es dauerte eine Weile, bis wir in Mars´ Arbeitszimmer gelangten. Schutt und Geröll versperrten uns den Weg, wurden aber von meinen Mitstreitern aus dem Weg geräumt. Als ich die Tür öffnete, fiel mir sofort die Unversehrtheit des Raumes auf. Alles befand sich noch an Ort und Stelle. Das riesige Modell des Sonnensystems zeigte die Phalanx, den heutigen Tag. Alle Planeten standen in einer Reihe und wurden von der Sonne angeführt. Hier hatte Mars den Schlüssel versteckt, hier hatte Zagreus den falschen Schlüssel hinterlassen, der die Götter in ihr Verderben führte. Ich holte tief Luft und stieß sie geräuschvoll wieder aus. Nereus trat an meine Seite und spendete mir durch seine bloße Anwesenheit Trost. Wärme umschmeichelte meine linke Körperhälfte.

Heute wäre unsere Hochzeit gewesen. Wehmut überkam mich, aber dafür war jetzt kein Platz. Ich musste funktionieren.

Wir mussten funktionieren.

Das hier war weitaus größer und bedeutender als eine Hochzeit.

Als alle im Arbeitszimmer waren, schloss ich die Tür. Ich wollte die Außenwelt, die in Schutt und Asche lag, aussperren oder uns für diese Besprechung ein Gefühl von Sicherheit verschaffen.

Als ich mich umdrehte, sahen mich alle erwartungsvoll an. Da war es wieder, dieses Druckgefühl, dieses VonjetztaufgleichHerrscherinSein, was mir eine Heidenangst einjagte.

Faunus, Discordia und Janus waren noch nicht zurückgekehrt. Ben und Csilla unterhielten sich leise, sie wirkten vertraut.

»Harmonia, hast du was von Faunus gehört? Es macht keinen Sinn, Heros alles doppelt erzählen zu lassen.«

Harmonia schüttelte den Kopf. »Er hat noch keinen Kontakt zu mir aufgenommen.«

Resigniert schwieg ich.

»Ach, erzählt es jetzt!«, grummelte Arges, »kann dieser Tag noch schlimmer werden?«

Er reckte herausfordernd das Kinn und sah Heros an. Dieser war sichtlich bleich und die Ereignisse, die er hatte miterleben müssen, steckten ihm tief in den Knochen. Er wollte gerade anfangen zu erzählen, als Harmonia sich zu Wort meldete.

»Faunus hat die beiden gefunden! Sie sind außerhalb von Vis und beerdigen diesen Verräter.« Das letzte Wort spie sie verächtlich aus.

Ich legte meine Hände vor das Gesicht. Was für ein absolutes Chaos. Der Betrug durch Pluto, der die Ermordung meiner Mutter angeordnet hatte, Zagreus, der wiederum seinen eigenen Vater mit seiner Stiefmutter betrogen hatte und Discordia und Janus gezeugt hatte, Zagreus der mit den Novensiles unter einer Decke steckte, die Novensiles, die …

Die Tür ging auf und Faunus stieß Discordia und Janus hindurch.

»Spinnst du?«, fauchte Discordia und ihr Peitschentattoo, das sich bisher immer unter ihren Kleidern verborgen haben musste, leuchtete blassgrün auf. Mit wild funkelnden Augen sah sie mich an.

»Ist das dein Werk? Denkst du jetzt, dass du hier das Sagen hast? Ich konnte nicht richtig von Zagreus Abschied nehmen, ich …«

Janus, wie immer eine Maske aus Ruhe und Undurchdringlichkeit, legte ihr eine Hand auf den Arm.

Betrachtete man die beiden genauer, war es mir schleierhaft, wie ich diese Ähnlichkeit bisher nicht sehen konnte. Weißblondes Haar, dünne Gestalten, wässrig grüne Augen. Die Augen von Zagreus und Pluto. Einzig Discordia hatte die berauschende Schönheit ihrer Mutter Proserpina. Auch das war mir bisher entgangen.

Harmonia meldete sich zu Wort: »Nein, Discordia, ich habe Faunus gesagt, dass er euch sofort herbringen muss. Es gibt gerade etwas Wichtigeres. Wir müssen alle hören, was beim Ritual der Phalanxnacht passiert ist, auch ihr.«

So wahr ihre Worte auch waren, so konnte ich ihr doch nicht zustimmen. Ja, Zagreus war der Mörder meiner Mutter, ja, Discordia wusste von Plutos Verrat und ja, sie hatte vermutlich auch geahnt, dass Janus ihr Bruder war, aber nichtsdestotrotz hatte sie gerade ihren Vater und einzigen Vertrauten verloren.

Heros ging auf Discordia zu, aber diese zischte nur und machte sich von Janus los.

»Und du! Wo sind unsere tollen Eltern jetzt? Oh, ich bin so verwirrt, wer ist denn jetzt mein Vater? Mars? Pluto? Zagreus?« Mit jeder Namensnennung schraubte sich ihre Stimme in die Höhe. Sie war nicht zu bremsen und wirkte nahe am Rand des Wahnsinns.

Heros senkte den Kopf. »Sie sind verschwunden, alle!«

Mit einem Schlag war alles still und genauso, wie ich vorhin, starrten alle Heros an und dann brachen die Fragen über ihn herein, so wie hohen Wellen an der steinigen Küste.

»Wie, sie sind weg?«

»Wo sind sie?«

»Was ist das für ein schlechter Scherz?«

»Sie können doch jetzt nicht verschwinden? Was soll das?«

»Still!«, Nereus hob die Hand und hatte seiner Stimme Nachdruck verliehen. »Lasst Heros bitte zu Wort kommen. Wir müssen jedes Detail wissen.«

Alle blickten Jupiters Sohn an. Ich ließ meinen Blick kurz durch die Runde wandern. Unglauben, Wut und Verzweiflung spiegelten sich in den Augen unserer Mitstreiter.

»Alles verlief nach Plan. Wir kamen rechtzeitig am Ritualort an. Die Zwölf stellten sich auf ihre Positionen: Jupiter, Juno, Mars, Kybele, Pluto und Saturn bildeten den inneren Kreis und Uranus, Gaia, Merkur, Neptun, Venus und Vulcanus den äußeren. Ich blieb mit Proserpina, Salacia und Maja zurück. Die drei erklärten mir während der Zeremonie den genauen Ablauf.« Heros schluckte hart und fuhr sich mit seiner rechten Hand über das Gesicht. Dann holte er tief Luft, als müsste er sich für das wappnen, was jetzt käme.

»Vater, er hatte sich in das Zentrum des inneren Kreises gestellt, er … er hielt den Clavis mit seinen ausgestreckten Händen gen Himmel. Nach und nach legten unsere Eltern und Kybele ihre Hände auf seine Schultern und schlossen so jeden Millimeter. Dicht gedrängt bündelten sie ihre Kraft. Ein Regenbogen aus göttlicher Energie floss über ihre Hände zu Jupiter und weiter in den Schlüssel. Salacia erzählte mir gerade, dass der Schlüssel jetzt ein gleißend weißes Geflecht ausbilden würde, um die Schatten zurückzudrängen und das Tor, das die Novensiles auf Phobos hielt, erneuerte, als mein Vater seinen Kopf nach hinten riss und schrie.«

Heros vergrub sein Gesicht in den Händen und sprach leiser: »Ich habe noch nie einen so verzweifelten Laut, gepaart mit tiefstem Schmerz gehört.« Er machte wieder eine Pause und senkte seine Hände, um uns allen in die Augen zu sehen.

»Ein tiefschwarzes Geflecht schoss aus dem Schlüssel, verankerte sich in Jupiters aufgerissenen Mund, breitete sich aus und nahm unsere Eltern gefangen. Mars«, er sah mich an, »zog sein Feuerschwert, um das Geflecht zu zerschneiden, alle materialisierten ihre Waffen, aber es half nichts. Maja, Salacia, Proserpina und ich rannten, so schnell wir konnten und versuchten von außen die Götter zu befreien. Ich konnte ihnen nicht helfen. Ich, ich … konnte unsere Eltern nicht retten. Als Maja und die beiden anderen das Geflecht berührten, wurden sie mit eingesponnen. Mars schrie mich an, ich solle mich fernhalten, aber ich konnte sie doch nicht im Stich lassen. Als er erkannte, dass ich nicht auf ihn hören wollte, schoss er Feuersalven auf mich. Neptun versuchte währenddessen, Jupiter zu befreien, indem er mit seinem Dreizack die Verbindung des Clavis trennen wollte, aber dieser fuhr durch das Geflecht einfach hindurch. Kybele schrie etwas, was ich nicht verstand, aber in diesem Moment nahmen Saturn, Uranus und Venus ihre Lapides und warfen sie mir zu. Das Geflecht quetschte sie weiter zusammen und begann in tiefstem Schwarz zu glühen und zu pulsieren. Dann waren alle verschwunden. Weg, einfach so. Zurück blieb nichts, außer diesen drei Lapides.« Er holte drei Amulette unter seiner zerschlissenen Tunika hervor.

Blankes Entsetzen erfasste mich. Wo war mein Vater? Waren alle tot? Saßen sie anstelle der Novensiles auf Phobos? Ich konnte ihn doch jetzt nicht verlieren, wo ich ihn gerade wiedergefunden hatte. Ich bekam keine Luft mehr. Als würde sich eine Eisenspange um meinen Brustkorb spannen und immer fester gezogen werden, blieb mir die Luft zum Atmen weg. Nereus nahm mich in den Arm, bevor ich auf die Knie sinken konnte. Im Arbeitszimmer herrschte absolute Stille. Entsetzen und Unglauben schwängerten die Luft.

»Was sollen wir jetzt machen?« Harmonia legte eine Hand auf ihren Bauch, als wäre ihr übel, die andere griff Faunus´ Unterarm, bis ihre Knöchel weiß hervortraten.

»Ich weiß es nicht.« Heros Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

»Wir sind auf uns allein gestellt, wir …«, Janus konnte seinen Satz nicht zu Ende sprechen, denn auf einmal stieß Discordia ein entsetztes Keuchen aus und warf den Kopf in den Nacken. Ihre Augen verdrehten sich, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Das alles kam mir erschreckend vertraut vor, konnte es sein, dass …

Discordia reckte ihre Arme links und rechts von sich und ihr Mund klappte unkontrolliert auf und zu. Nereus und mir war klar, was jetzt folgen würde.

»Nona, Decima, Parta, Nooonnaaa, Deciiimmaaa, Paaartaaa, …« Wie bei Kybele auf der Erde, traten Discordia Rauchschwaden aus Mund und Händen.

Janus machte Anstalten ihr zur Hilfe zu kommen, aber Nereus hielt ihn davon ab.

Aus den Nebeln traten die drei Parzen, die mit ihren zugenähten Augen immer noch unglaublich gruselig aussahen. Zusammen mit Discordia bildeten sie ein Viereck. Die Jungfrau, die Mutter und die alte Frau. Während sie den Schicksalsfaden spannen, webten und schnitten, taten sie uns eine weitere Prophezeiung kund:

»Geschmiedet aus der Tropfen Sonne Glut,

zu wahren das Gleichgewicht wie Ebbe und Flut.

Zu finden ihr müsst bereit sein schnell,

die Schatten, sie suchen bereits,

um das Schicksal zu besiegeln, ihr Apell.

Gemeinsam mit des alten Menschenblutes Wissen

können beide Seiten es nicht missen.

Das Gefäß wird euer Schlüssel sein,

doch Vergehen ist seines Schicksals Pein.«

Als die Worte verklungen waren, die sich auch diesmal in mein Hirn brannten, begann Discordia zu zittern, verdrehte die Augen und wäre zu Boden gefallen, wenn Heros sie nicht aufgefangen hätte. Sie war bewusstlos.

»Was … waren das die Parzen?«, stellte Arges die völlig überflüssige Frage und erntete von Lua einen strafenden Blick. Aber ich sah es ihm nach. Als ich das erste Mal Zeuge dieses Spektakels war, war ich auch komplett durch den Wind und meine Knie waren butterweich. Selbst bei Kybele in ihrem kleinen Häuschen auf der Erde war dieser Moment gruselig, obwohl die Parzen dort nicht direkt erschienen waren. Und hier beim dritten Mal, war es wieder ein Gänsehautmoment der schaurigen Art.

»Hab ich euch schon mal gesagt, dass ich Prophezeiungen verabscheue?« Faunus machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

Allmählich fand ich meine Stimme wieder.

»Ich hasse Prophezeiungen auch, und ich habe keinen blassen Schimmer, was sie uns sagen wollen, außer dass die Novensiles das, was auch immer wir finden sollen, auch suchen.«

»Ein Tropfen aus der Sonnenglut …« Janus, der an Discordias Seite war und ihre Hand hielt, nahm mit seiner dünnen, leisen Stimme an dem Gespräch teil, »ich habe noch nie von so etwas gehört.«

»Geschmiedet«, kam es von Harmonia, »das kann nur mit meinem Vater zu tun haben.« Nachdenklich legte sie sich eine Hand an die Wange. »Aber Vulcanus hat so vieles geschmiedet und so etwas, wie aus dem Glutstropfen der Sonne, damit hätte er sicherlich angegeben und es mir vielleicht zum Spielen gegeben. Er gab mir immer teure und wichtige Dinge zum Spielen, einfach, weil er …«

Ihre Stimme brach ab, sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und ließ ihren Tränen freien Lauf. Wir waren alle am Rande eines Nervenzusammenbruchs, jeder auf seine ganz eigene Weise. Alle hatten heute ihre Eltern verloren, alle waren nun auf sich allein gestellt und alle hatten gegen die Novensiles gekämpft und kläglich versagt. Dies alles lastete schwer auf unseren Schultern, also traf ich eine Entscheidung.

Kapitel 4

Die Geister der Vergangenheit

Ich starrte an die Decke. Gefühlt tausend Mal war ich bereits die Prophezeiung durchgegangen. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass wir eine Pause zur Regeneration und zum Durchatmen brauchten, aber ich konnte nicht abschalten. Ich war erschöpft, verzweifelt und frustriert.

Neben mir war Nereus in einen unruhigen Schlaf gefallen.

Nereus.