Trotz allem gute Jahre - Morrie Schwartz - E-Book

Trotz allem gute Jahre E-Book

Morrie Schwartz

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  • Herausgeber: dtv
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Man ist nie zu alt, um glücklich zu sein Wer bin ich wirklich? Was habe ich geschafft im Leben? Was ist mir wichtig? Was bedeutet es, Mensch zu sein, und was davon lebe ich tatsächlich? Morrie Schwartz spürt den Fragen nach, die einem freudvollen und kreativen Leben und Altern zugrunde liegen. Insbesondere die »goldenen Jahre« können gesundheitlich und seelisch belastend, aber auch eine der schönsten Lebensphasen sein. Mit seinem Erfahrungsschatz als Sozialpsychologe, Hochschullehrer, Vater und Freund lotet Morrie Schwartz die komplexen Gefühlslagen vor allem älterer Menschen aus und weist mithilfe von Anekdoten, Ratschlägen und empathischen Erkenntnissen behutsam den Weg zu einer aktiven, farbenfrohen und erfüllenden Zukunft. Eine Ermutigung voller Weisheit. *** »Dieses wundervolle Buch zeigt, dass jeder Moment der Existenz kostbar ist. Wer das Glück hat, dieses Buch zu lesen, wird (…) inspiriert sein, bewusster und intensiver zu leben.« Deepak Chopra

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Seitenzahl: 283

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Über das Buch

Man ist nie zu alt, um glücklich zu sein

 

Wer bin ich wirklich? Was habe ich geschafft im Leben? Was ist mir wichtig? Was bedeutet es, Mensch zu sein, und was davon lebe ich tatsächlich?

 

Morrie Schwartz spürt den Fragen nach, die einem freudvollen und kreativen Leben und Altern zugrunde liegen. Feinfühlig lotet er die komplexen Gefühlslagen älterer Menschen aus und weist mithilfe von Anekdoten, Ratschlägen und empathischen Erkenntnissen behutsam den Weg zu einer aktiven, farbenfrohen und erfüllenden Zukunft. Eine Ermutigung voller Weisheit.

Morrie Schwartz

Trotz allem gute Jahre

Von der Kunst, im Alter glücklich zu sein

Aus dem Englischen von Bettina Lemke

Vorwort

Ich habe dieses Manuskript Anfang der 2000er-Jahre wiederentdeckt, lange nachdem mein Vater gestorben war. Es lag in einer Schreibtischschublade in seinem Arbeitszimmer in unserem schönen Haus in Newtonville, vor dem ein Ahornbaum stand. Nach eingehenden Gesprächen und Überlegungen in der Familie beschlossen wir, dass ich den Text lektorieren und zur Veröffentlichung bringen sollte.

Mein Vater ging davon aus, dass dieses Projekt wahrscheinlich sein letzter Beitrag für ein größeres Publikum sein würde, mit dem er Menschen helfen wollte. Er hatte keine Ahnung, dass Dienstags bei Morrie erscheinen würde. Aber diejenigen, die Mitch Alboms wunderbares Buch kennen, werden die Gedanken meines Vaters im aktuellen Werk wiedererkennen. Ihm ging es in erster Linie darum, das Leben der Menschen zu verbessern. Er wollte praktische Tipps und Instrumente entwickeln, die anderen dabei helfen, kreativ, agil und freudvoll älter zu werden.

Zum Glück konnte ich mit meinem Vater über all diese Ideen sprechen, als er das Buch schrieb (mehr dazu im Nachwort). Zufälligerweise war ich im Frühling und Sommer 1989 nach einem langen Aufenthalt in Asien zu Hause. Mein Vater arbeitete bereits seit Mitte 1988 an dem Projekt, welches bis Mitte 1992 dauern sollte. Wir konnten ausführlich besprechen, was er sagen wollte, und das war für die jetzige Veröffentlichung außerordentlich wertvoll.

Einer meiner Schwerpunkte bei der Bearbeitung war, die einmalige Stimme meines Vaters zu bewahren. In diesem Werk verschmelzen zwei Kommunikationsstile: Mein Vater drückte sich akademisch und philosophisch und gleichzeitig pragmatisch, bescheiden sowie auf liebenswerte Weise persönlich aus. Ich hoffe, dass diese besondere Mischung erhalten geblieben ist. Dad erkannte bereits sehr früh bestimmte Strömungen, die Jahrzehnte später stärker akzeptiert waren. Er wollte ein gesellschaftliches Klima schaffen, in dem das Alter eines Menschen keine Rolle dabei spielt, wie er gesehen wird. Eines seiner Hauptanliegen im Leben war die psychische Verfassung des Individuums. Dad erkannte, dass Senioren oder Menschen, die älter werden, sich als weniger wertvoll erachten als andere, und er hoffte, dass dieses Buch Teil einer Bewegung sein würde, die diese Entwicklung korrigiert.

Aufgrund des beruflichen und akademischen Hintergrunds meines Vaters sind psychologische Aspekte die Basis dieses Buchs. Er wollte praktische Techniken vorstellen, die Menschen dabei unterstützen, weiterhin ein aktives und spannendes Leben zu führen. Einige Vorschläge kommen Ihnen vielleicht bekannt vor – etwa der Ansatz, das Lachen gezielt zu nutzen (siehe Kapitel 4). Es ist eine Praxis, über die in letzter Zeit viele Menschen geschrieben haben. Ein anderes Konzept, das auf diesen Seiten immer wieder thematisiert wird, ist die buddhistische Achtsamkeit.

Das Buch lässt sich leicht lesen und macht gleichzeitig Spaß. Für Dad standen die persönlichen Erfahrungen und Geschichten im Zentrum dieses Titels.

Allerdings unterscheidet er sich stark von Dienstags bei Morrie, wenngleich beide von einer überaus menschenfreundlichen Gesinnung und einer universellen Liebe geprägt sind. Mitchs großartiges Buch ist wunderbar prägnant und beschäftigt sich mit den philosophischen, gesellschaftlichen und persönlichen Werten meines Vaters. Das vorliegende Werk ist thematisch breiter angelegt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansätze ergänzen die zwei Bände sich gewissermaßen. Mein Vater hätte das sicherlich auch so gesehen, da diese Feststellung eines seiner philosophischen Lieblingsmodelle widerspiegelt: die Spannung von Gegensätzen.

Es ist mir eine große Freude, Dads Ideen zu präsentieren. Es ist das letzte große Schreibprojekt, das er in Angriff genommen hat, bevor er krank wurde. Aus diesen Seiten höre ich überall seine Stimme hervorklingen, manchmal so, als wären wir wieder in seinem Arbeitszimmer in Newtonville und würden über seine Erkenntnisse sprechen. »Es gibt keinen erzwungenen Ruhestand vom kreativen Älterwerden.«

 

Rob Schwartz,

Brookline, Massachusetts

Einleitung

Das Alter ist eine spezielle Entwicklungsphase mit besonderen Einschränkungen und Chancen. Zudem könnte es der wichtigste Abschnitt in unserem Leben sein. Wir können viel im späteren Leben anders machen – wenn wir es wirklich möchten. Für einige ist der Prozess des Älterwerdens eine lästige Abfolge von Veränderungen. Manchmal geht es sogar so weit, dass Dinge zerstört werden, die wir als selbstverständlich erachtet haben. Falls Sie sich intensiv mit dem Älterwerden beschäftigen – wenn es Sie beunruhigt, Sie sich dafür schämen, es Sie entmutigt oder Ihnen Angst macht – oder wenn die Identitätsveränderung, die Ihnen aufgezwungen wird, für Sie unerträglich ist, fällt es Ihnen vielleicht schwer, sich darauf zu konzentrieren, auf eine gelungene Weise zu altern. Wenn Sie dagegen locker damit umgehen und es als spannende Aufgabe betrachten, mit den Problemen des Alterns zurechtzukommen, können Sie dies als Chance nutzen, um die Person zu werden, die Sie eigentlich gemäß Ihrer Bestimmung sein sollten.

Alt zu werden ist letztlich menschlich. Wenn wir in der glücklichen Lage sind, das mittlere Lebensalter zu überleben, werden wir alle mit bestimmten unvermeidbaren Erfahrungen konfrontiert, sowohl mit Verlusten als auch mit Möglichkeiten. Unabhängig von den Besonderheiten unserer persönlichen Biografien müssen wir uns alle mit bestimmten Herausforderungen und Entscheidungen auseinandersetzen. Werden wir uns unserer Angst vor dem Tod stellen oder sie leugnen und ihr möglichst aus dem Weg gehen? Werden wir weiterhin versuchen, unsere tiefsten Bedürfnisse zu erfüllen, oder sie aufgeben? Werden wir uns weiterentwickeln und weise werden oder uns der Verzweiflung hingeben? Werden wir »sanft in die gute Nacht hinübergleiten« oder mit jeder Faser am Leben festhalten und nach allem treten, was uns fortziehen will? Anders als in modernen industrialisierten Ländern, in denen viele die Alten als überflüssig und nutzlos betrachten, gelten die späten Jahre in zahlreichen Kulturen rund um den Globus als eine Zeit, die von einem tiefen Sinn, von Transformation, Spiritualität und Freude erfüllt ist. Es ist möglich – und erstrebenswert –, dass wir es genauso sehen.

In letzter Zeit gibt es immer mehr Artikel in Büchern, Zeitschriften und den Medien, die auf eine veränderte Haltung gegenüber Senioren hindeuten: Es geht um neue Modelle, mit älteren Menschen umzugehen, darum, sie »einzusetzen«, sowie um neue Erwartungen, dass das spätere Leben eine erfolgreiche, spannende, kreative Zeit sein wird. Anstatt das Alter als Zeit der Stagnation zu betrachten, können wir es dem polnisch-US-amerikanischen Religionsphilosophen Abraham Heschel zufolge als Zeit der Chance für inneres Wachstum sehen.

Es gibt viele gute Gründe zu glauben, dass unser Leben in einigen der bedeutsamsten, lohnendsten, erfüllendsten Aktivitäten gipfeln könnte, die wir je in Angriff genommen haben. Beinahe täglich begegnen wir Geschichten in den Nachrichten oder hören Berichte über außergewöhnliche Errungenschaften im späteren Leben. Was soll uns daran hindern, neue Perspektiven zu entwickeln, nach neuen Horizonten zu suchen, uns für das Unerwartete zu öffnen sowie uns neue Impulse und einen größeren Appetit auf ein Leben zu holen, das wir in vollen Zügen ausschöpfen? Was soll uns davon abhalten, unsere Lebensqualität mithilfe größerer Achtsamkeit, emotionaler Tiefe und Selbstachtung zu verbessern? (Ja, sogar in unserem Alter.) Wir können beleuchten, wer wir sind, wer wir nach wie vor werden können und wie eine erfüllendere Existenz aussehen könnte. Darüber hinaus können wir an uns selbst glauben, darauf vertrauen, dass wir in der Lage sind, unser Leben auf bedeutende Weise zu verändern, und Ziele verfolgen, die wir uns bisher nicht einmal ausgemalt haben. Und wie der Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung können wir davon überzeugt sein, dass das größte Potenzial für persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung in der zweiten Lebenshälfte existiert.

Zu den besten Dingen im Alter gehört, dass kein Chef uns über die Schulter schaut und uns vorschreibt, was wir tun sollen. Die meisten von uns haben nun mehr Kontrolle über die eigene Zeit als je zuvor. Und angesichts neuer Herausforderungen gibt es weniger Belohnungen oder Sanktionen von außen, sodass wir nur mit den Dingen zu tun haben, die wir uns selbst bescheren oder auferlegen. Wir können jedoch eine innere Befriedigung erleben, wenn wir beschließen, ein Leben zu gestalten, das unsere Unternehmungslust, unsere berechtigten Sehnsüchte und Ziele widerspiegelt und uns somit von altersdiskriminierenden Vorstellungen befreit, die uns weismachen wollen, wir seien am Ende, nutzlos und so gut wie wertlos. Es gibt keinen erzwungenen Ruhestand vom kreativen Älterwerden.

Nun ist es an der Zeit, mit alten Themen klarzukommen, die uns immer noch belasten, auf eine gute Weise zu altern und die beste Person zu werden, die wir nur sein können. Ich hoffe, dieses Buch wird Ihnen helfen, das auf optimale und möglichst sinnvolle Weise für sich umzusetzen. Auf diesen Seiten präsentiere ich Ihnen die Erkenntnisse zum Älterwerden, die ich in den vergangenen Jahren zusammengetragen habe. Meine psychologischen und soziologischen Kenntnisse aus meiner mehr als vierzigjährigen beruflichen Tätigkeit als Soziologieprofessor sowie mein Wissen und Verständnis, was menschliche Beziehungen betrifft, sind hier eingeflossen. Das gilt auch für meine Erkenntnisse, die ich durch Gespräche mit Freunden und Kollegen gewonnen habe. Dieses Werk basiert zudem auf meiner therapeutischen Arbeit mit Senioren sowie auf meinen Erfahrungen als Leiter von psychotherapeutischen Gruppen, mit dem Fokus auf Probleme im Alter. Darüber hinaus basiert das Buch auf meinen Kenntnissen aufgrund meiner Beschäftigung mit aktuellen populären Veröffentlichungen, mit der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Älterwerden sowie mit Autobiografien älterer Menschen und auf meinen persönlichen Erfahrungen, wenn es darum geht, mich damit abzufinden, dass meine Siebzigerjahre vor mir liegen.

Wenn wir uns bemühen, die beste Person zu werden, die wir sein können, auf gelungene Weise zu altern und unsere Probleme zu klären, könnten dies die wichtigsten und bedeutsamsten Ziele unseres späten Lebens sein. Wir alle sind in der Lage, unser Potenzial besser auszuschöpfen, wenn wir nach Idealen streben, die nicht gänzlich erreichbar sind. Doch wenn wir es versuchen, können wir lernen, intensiver und freudvoller zu leben. Zudem können wir uns für ein Leben entscheiden, das wir führen möchten. Ich kann Ihnen weder einen bestimmten Plan noch einen Pfad oder eine genaue Reihe von Abläufen vorgeben, die Sie bei der Verwirklichung Ihrer Ziele befolgen sollten – denn Ihr Leben ist einzigartig. Daher ist eine Nullachtfünfzehn-Methode kein geeignetes Instrument, um es zu verbessern. Ich werde Ihnen einige Ideen präsentieren, wie sich die von mir vorgeschlagenen Ziele erreichen lassen. Aber wenn Sie Ihre persönlichen Ziele verfolgen, werden Sie auch Ihre eigenen Wege finden, um vorwärtszukommen.

Dieses Buch ist für alle Menschen geschrieben, wobei es wahrscheinlich besonders Personen über fünfundsechzig anspricht, die im Ruhestand sind und sich fragen: »Was soll ich mit dem Rest meines Lebens anfangen?« Es kann zudem eine nützliche Plattform für Leute mittleren Alters sein, die sich bereits vorab damit beschäftigen wollen, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Sie werden vieles entdecken, was relevant für Ihr aktuelles Leben ist und sie in Ihren Bemühungen unterstützt, Ihre alternden Eltern besser zu verstehen und mit ihnen umzugehen. Natürlich ist niemand zu jung, um nach vorne auf die eigenen späteren Jahre zu blicken oder von diesem Buch zu profitieren.

Ich möchte zudem Leser mit überaus unterschiedlichen persönlichen und gesellschaftlichen Erfahrungen erreichen, da sich diese automatisch darauf auswirken, auf welche Weise wir älter werden. Menschen, die zum Beispiel nie außerhalb ihres Zuhauses gearbeitet haben, werden die späteren Jahre anders erleben als Leute, die Karriere gemacht haben und von ihrem Unternehmen plötzlich zwangsweise in den Ruhestand geschickt wurden. Genauso werden Menschen, die in ihrer Jugend mit einer Behinderung oder schweren Krankheit zu tun hatten, anders mit dem Älterwerden umgehen als Leute, die sich bis ins höhere Alter stets einer guten Gesundheit erfreut haben. Solche Unterschiede haben einen Einfluss darauf, wie wir altern und welchen Problemen wir bei diesem Prozess begegnen. Wenn Sie dieses Buch lesen, sollten Sie auf die Themen achten, die Ihren Erfahrungen entsprechen und Ihre Fantasie beflügeln.

Alle Autoren lieben aufmerksame Leser, und bei mir ist das nicht anders. Daher bitte ich Sie dringend, dieses Buch nicht zu überfliegen. Nehmen Sie sich Zeit, um sorgfältig über ein Thema nachzudenken, betrachten Sie es von verschiedenen Seiten und reden Sie darüber, vielleicht sogar in einer Diskussionsrunde. Mit Freunden, Bekannten und der Familie zu sprechen, ist äußerst wichtig. Vielleicht dient Ihnen auch ein Notizbuch, in dem Sie die Gedanken und Reaktionen anderer Menschen festhalten. Widmen Sie den Ideen die Zeit und die Gedanken, die sie verdient haben. Dieses Buch soll Sie dabei unterstützen, mehr über sich selbst zu erfahren und über Ihr Leben im Alter mit all seinen vielfältigen Möglichkeiten nachzudenken. Darüber hinaus kann es Ihnen helfen, die Einstellungen und das Verhalten zu verändern, die Sie ändern möchten.

1Erkenntnis

Ich erinnere mich noch genau an meine Gefühle, als mir plötzlich bewusst wurde, dass ich ein älterer Mensch war: Zunächst erschauerte ich innerlich, dann war ich bestürzt, danach deprimiert, daraufhin verarbeitete ich das Ganze – und allmählich stabilisierte ich mich und vor allem akzeptierte ich es.

Vor dem Mai 1984 – ich war zu dem Zeitpunkt siebenundsechzig –, war ich nur selten krank gewesen. Ich hatte mir nie viele Gedanken über Krankheit oder das Älterwerden gemacht oder etwa über die Tatsache, dass die Sozialversicherung mich offiziell als »Senior« bezeichnete. Und ich identifizierte mich auch keineswegs mit der älteren Generation. Relativ unbewusst teilte ich das altersdiskriminierende Vorurteil, Altsein bedeute abzubauen und »auf dem absteigenden Ast« zu sein, und alte Menschen seien nicht beneidenswert. Wer wollte also schon »alt sein« oder gar dafür gehalten werden?

Ich unterrichtete an einer Universität, an der ich von jungen Menschen umgeben war und die meisten meiner Kollegen viel jünger waren als ich. Abgesehen von ein paar Ausnahmen waren meine Freunde außerhalb der Universität ebenfalls viel jünger – und die Ausnahmen selbst waren energievoll und »jung für ihr Alter«. Zu der Zeit war ich gesund, voller Vitalität und aktiv in eine Reihe von Projekten eingebunden. Ich war insgeheim stolz auf die Tatsache, dass ich viel jünger aussah, als ich war, und mich auch dementsprechend verhielt. Und als die Kardiologin mir sagte, ich hätte die Arterien eines Zwanzigjährigen, förderte das meine jugendliche Selbstwahrnehmung einmal mehr. Daher hatte ich mich in meinem Leben größtenteils darum bemüht, mein »jugendliches« Selbstbild zu verstärken und die Tatsache zu verdrängen, dass mein siebzigster Geburtstag kurz bevorstand. Da ich die chronologischen Tatsachen ausblendete, dachte ich nur wenig über die Themen nach, denen ich im Alter unausweichlich begegnen würde. Man könnte sagen, dass ich ein alternder Ahnungsloser und ahnungslos hinsichtlich des Älterwerdens war – dass ich ein Opfer des Jugendwahns unserer Kultur und ihrer Geringschätzung gegenüber den »Alten« war.

All das änderte sich plötzlich im Frühling des Jahres 1984, als ich aus heiterem Himmel, völlig überraschend schweres Asthma bekam und mich einer Prostataoperation unterziehen musste. Ich war emotional nicht auf diese Krankheiten vorbereitet, von denen eine allmählich chronisch wurde und die andere typisch für ältere Männer war. Mit einem Schlag konfrontierte mein Körper mich unausweichlich mit meinem eigenen Alterungsprozess und führte zu einer Krise und letztlich zu einer Transformation meiner persönlichen Identität. Es war schmerzvoll, mein tatsächliches Alter sowie die damit einhergehende Anfälligkeit zu akzeptieren, und es überforderte und bedrückte mich zutiefst.

Nach einer Weile empfand ich einen gewissen Druck, mich zusammenzureißen und mir darüber klar zu werden, wie ich die verbleibenden Jahre möglichst gut nutzen konnte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich die drei oben genannten Ziele verfolgen wollte – Ziele, von denen wir alle im Alter profitieren können. Um auf eine gute Weise älter zu werden, wollte ich versuchen, in einer guten körperlichen Verfassung zu bleiben. Folglich begann ich, regelmäßig zu schwimmen. Außerdem achtete ich auf meine Ernährung und fügte einige Nahrungsergänzungsmittel hinzu. Ich gönnte mir jede Woche eine Tiefenmassage und machte einen Akupunkturkurs, um die Symptome meines Asthmas zu lindern. Auf der psychischen Ebene versuchte ich, regelmäßig zu meditieren, ich widmete mich intensiver und liebevoller meiner Familie und meinen Freunden und ich plante Zeiten ein, um mich zu entspannen und Zeit mit mir selbst zu verbringen. Darüber hinaus achtete ich darauf, ungesunde zwischenmenschliche Beziehungen und Situationen zu vermeiden. Und schließlich machte ich mir bewusst, wie wichtig es war, mich mit meiner Angst vor dem Tod auseinanderzusetzen.

Insofern führte die Erkrankung zu einem tieferen Bewusstsein, aufmerksam darauf zu schauen, auf welche Weise ich meine Lebensqualität beim Älterwerden verbessern konnte. Weiterhin wollte ich die ultimativen existenziellen Fragen für mich klären.

Da war ich nun mit siebenundsechzig und wurde älter. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wunderte ich mich über die falschen Vorstellungen, die ich über das Alter im Kopf hatte. Doch Asthmaattacken unterbrachen meine Grübeleien häufig. Wenn eine Attacke abgeklungen war, schimpfte ich über mein Schicksal und meine Anfälligkeit. Eine tiefe Verzweiflung überfiel mich, und ich war wütend über den Verrat meines Körpers. Deprimiert sehnte ich mich nach meiner Verfassung vor der Erkrankung zurück. Als mein Zustand sich verbesserte, war ich glücklich darüber, dass ich mich wieder der Lehre an der Universität, meiner Beratungstätigkeit und meiner psychotherapeutischen Arbeit widmen konnte. Wieder zur »Normalität« zurückzukehren, relativ befreit vom Kampf zu atmen und zu tun, was ich in den letzten vier Jahrzehnten getan hatte, war für mich ein Segen. Als meine Symptome schließlich vollkommen unter Kontrolle waren, war ich viel weniger eingeschränkt und meine Erwartungen an die Zukunft stiegen immens. Mich reizte die Idee, das Alter kreativ und aktiv, als Abenteuer und als Chance zu gestalten, neue Fähigkeiten und Interessen zu entwickeln und sowohl neue Kontakte zu knüpfen als auch alte Beziehungen zu vertiefen.

Die verschiedenen Phasen meiner Krankheit hatten mein Bewusstsein auf überaus emotionale Weise dafür geschärft, welchen Einfluss die Erkrankung auf meine Gefühle, Ziele und meine Persönlichkeit hatte. Mir fiel besonders auf, wie deprimiert und lethargisch ich in der ersten Phase gewesen war, als ich mich als nutzlose Person wahrgenommen und mich dafür schuldig gefühlt hatte. In der zweiten Phase hatte ich eine kleine Erkenntnis und konnte mir vorstellen, mit der Strömung zu schwimmen und manchmal aktiver zu sein. In der letzten Phase hatte ich das Gefühl, dass ich enthusiastisch und vital mitten im Fluss des Lebens stehen und daran teilhaben konnte. Mein eigenes Altern war mir bewusst geworden und ich konnte Möglichkeiten erkennen, um ungenutzte Ressourcen voll auszuschöpfen. Und ich begann, meinen Gefühlen und meiner Einstellung in Bezug auf das Älterwerden mehr Aufmerksamkeit zu schenken und wahrzunehmen, was mit mir geschah.

Meine Erkrankung hatte einige wichtige Fragen aufgeworfen, die andere Menschen sich in ihrem späteren Leben ebenfalls stellen: Wie gut oder wie schlecht gelingt es mir, älter zu werden? Wie kann ich mich mit meinem eigenen Tod abfinden? Und wie kann ich zuversichtlich bleiben und als Mensch eine positivere Haltung entwickeln?

Obwohl ich mit Asthma zu kämpfen hatte, unterrichtete ich bis zu meinem Ruhestand mit siebzig weiterhin an der Universität und setzte meine psychologische Beratungstätigkeit fort. Nach meinem Ausscheiden aus dem Berufsleben war ich mit der Frage konfrontiert: »Was soll ich mit dem Rest meines Lebens anfangen?« Ich wollte nicht vermehrt im psychologischen Bereich arbeiten und es zu meiner Hauptaktivität werden lassen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich ein Projekt benötigte, das mir Energie schenkte, meine Begeisterung entfachte und mich forderte. Ein Freund schlug mir vor, ein Buch zum Thema Älterwerden zu schreiben, da es sowohl mir selbst als auch anderen helfen würde, auf gute Weise zu altern. Hier ist nun das Buch …

Obwohl dieser positive Aufschwung in meiner Gemütsverfassung gleichzeitig mit der Verbesserung meiner körperlichen Gesundheit stattfand, müssen wir sicherlich nicht tipptopp in Form sein, um uns persönlich weiterzuentwickeln, auf gelungene Weise zu altern und die bestmögliche Person zu werden. Inwiefern unzureichende finanzielle Mittel, eine Erkrankung oder Behinderung uns daran hindern, gut älter zu werden, hängt vom Ausmaß der Armut, der Schwere der Erkrankung oder Behinderung und der persönlichen Entschlossenheit der jeweiligen Person ab. Wenn nicht gerade extreme Widrigkeiten vorhanden sind, ist es stets möglich, nach Wegen zu suchen, um eine große Befriedigung im Leben zu finden.

Angst vor dem Alter

In der Phase, nachdem ich meine Asthmaattacken erlitten hatte – wie sehr habe ich mich da vor dem Älterwerden gefürchtet! Mir graute vor der Ungewissheit und Unvorhersehbarkeit der Zukunft. Ich rechnete mit Schmerzen, Leid und Funktionsstörungen, die alle dieselbe Ursache hatten: das Altern. Ich ärgerte mich über die negativen Einstellungen und Verhaltensweisen mir gegenüber, weil ich im Seniorenalter war.

Wenn ich Bekannte nach einer dreißig- oder vierzigjährigen Pause wieder traf, war ich entsetzt und reagierte innerlich ablehnend. Ich nahm sie ohne ihren früheren Elan und ihre Vitalität als gebrechlich wahr, sie wirkten runzelig, schwach – alt! Manchmal erkannte ich sie kaum wieder. Es machte mich traurig. Ich bemitleidete sie und fragte mich dann, ob sie die gleichen Dinge bei mir wahrnahmen. Rückblickend ist mir bewusst, dass ich ältere Menschen mied. Und wenn ich mit ihnen zusammen sein musste, empfand ich in ihrer Gegenwart tatsächlich eine leichte Abneigung oder ein gewisses Unbehagen. Obwohl ich mich selbst als tolerante und unvoreingenommene Person betrachte.

So ging es auch vielen Menschen, mit denen ich mich zwanglos, zum Teil in Gruppen unterhalten habe. Der Gedanke, alt zu sein oder mit der »älteren Bevölkerung« identifiziert zu werden, passte nicht zu ihnen. Als ich die damals fünfundsiebzigjährige Jane fragte, wann sie sich zum ersten Mal als alt wahrgenommen habe, antwortete sie entrüstet: »Ich bin nicht alt und ich betrachte mich nicht als alt.« Für sie und viele andere hatte der Begriff »alt« eine negative Konnotation, und sie weigerten sich, ihn sich zu eigen zu machen. Sie leugneten oder ignorierten, dass sie sich dem Alter näherten, und dachten, es betreffe andere, jedoch nicht sie selbst. Einige Leute versuchten, jung auszusehen und sich entsprechend zu verhalten – Männer, indem sie anstrengenden Sport machten oder sich mit jüngeren Frauen umgaben, und Frauen, indem sie sich die Haare färbten oder sich Schönheitsoperationen unterzogen. Sie interessierten sich überhaupt nicht für meine Anregung, dass es einen gewissen Wert haben könnte, sich als Senioren oder »ältere Menschen« zu definieren und sich der Herausforderung zu stellen, das eigene Potenzial im Alter auszuschöpfen. Auf diese Weise erhielt ich einen weiteren Eindruck von den altersfeindlichen Haltungen, die viele von uns älteren Menschen in ihrem Denken und Handeln verinnerlicht haben.

Die Tatsache, dass Senioren viele stigmatisierende Vorstellungen über alte Leute haben und somit über sich selbst, sollte uns nicht überraschen, da altersdiskriminierende Ansichten in unserer Gesellschaft sehr tief, stark, unbewusst und weit verbreitet sind. So verinnerlichen wir die altersfeindliche Perspektive, sodass viele von uns gar nicht mehr erwarten, ein nützliches, produktives und kreatives Leben zu führen, geschweige denn, dass es von uns erwartet würde. Diese Form der Altersdiskriminierung kann uns ebenso schwächen wie eine Erkrankung.

Wenn wir unsere altersfeindliche Haltung überwinden, können wir lernen, uns als ältere Menschen zu akzeptieren, wertzuschätzen und sogar zu lieben. Wir können uns bewusst machen, dass ältere Menschen sich aufgrund altersdiskriminierender Einstellungen und Verhaltensweisen häufiger schämen, sich verunsichert und weniger selbstbewusst fühlen sowie weniger als Mensch. Wir sollten uns jedoch als würdig und wertvoll erachten, und zwar nicht trotz unseres Alters, sondern gerade deswegen – aufgrund dessen, wer wir als ältere Menschen sind. Wenn wir unsere altersdiskriminierende Haltung überwinden, führt das zu einer positiven Selbstbetrachtung, und wir können der Altersdiskriminierung leichter die Stirn bieten, wo auch immer sie ihr hässliches Haupt erheben mag.

Motivation

Ältere Menschen benötigen starke Motivationsquellen, um sich für die Herausforderungen im Alter zu wappnen. Eine große Motivation verleiht uns die nötige Energie, um unsere Ziele angesichts von Altersdiskriminierung, Verlust und Krankheit zu verfolgen. Motivation ist die Inspiration, um aktiv zu werden – ein innerer Drang, der zu Einsatzbereitschaft und fokussiertem Handeln führt. Es ist der Anstoß, etwas zu versuchen, uns selbst zu bestärken, gegen Widerwillen, Widerstände, Lustlosigkeit, Trägheit, Angst und Unsicherheit anzugehen.

Manche von uns verfügen über eine schier unendliche Energie, die mit einer überaus großen Motivation einhergeht. Bei anderen ist die Fähigkeit, an etwas dranzubleiben, nicht verlässlich: Manchmal ist sie vorhanden, manchmal nicht. Wieder anderen fällt es schwer, überhaupt Motivation aufzubringen, und sie sind ständig auf der Suche nach dem Sinn ihres Tuns. Wenn die Motivation und die damit einhergehende Energie vorhanden, im Fluss und beständig sein sollen, müssen wir vom Wert unseres Tuns überzeugt sein.

Unabhängig davon, wie groß unsere Motivation normalerweise ist, verfügen wir alle über eine innere Vitalität und Lebensenergie und haben den Drang, aktiv zu sein, zu leben und uns für andere Menschen und die Welt zu begeistern. Diese Kraft kann unseren Widerstand überwinden, Dinge zu tun, die uns irgendwie schwierig oder unmöglich erscheinen. Allerdings kann unsere Lebensenergie blockiert sein und nur darauf warten, freigesetzt zu werden. Vielleicht versucht sie hervorzubrechen. Aber es ist an uns, diese Quelle der Lebensenergie in unserem Inneren anzuzapfen. Es ist an uns, Wege zu finden, um sie herauszulassen, sie zum Vorschein zu bringen, zu wecken, zu locken. Um auf gute Weise älter zu werden, sollten wir eine Verbindung zu dieser Lebensenergie herstellen, uns mit ihr vertraut machen, sie nähren und sie als beständige Kraft bei der Verfolgung unserer Ziele und Träume willkommen heißen.

Um den wahren Kern unserer Motivation zu erkennen, sollten wir die richtigen Fragen stellen. Was weckt Ihre Begeisterung, sodass Sie Aufgaben in Angriff nehmen, anstatt sie zu vermeiden? Was treibt Sie dazu an, Ihre Gefühle zu verstehen und in Kontakt mit anderen zu kommen? Was veranlasst Sie dazu, die Verantwortung für einen Aktionsplan zu übernehmen, den Sie als notwendig oder wünschenswert erachten, oder aktiv zu werden, wenn andere Sie darum bitten? Was verleitet Sie dazu, sich in Ihrem Umfeld einzubringen – sich bei Projekten zu engagieren, Herausforderungen anzunehmen, Chancen zu ergreifen und umzusetzen? Was bewegt Sie dazu, kreativ zu werden, sich durchzusetzen, Ehrgeiz zu entwickeln? Kurz gesagt, was entflammt Sie innerlich?

Ist Ihre Motivation zu Beginn eines Projekts größer als am Ende? Benötigen Sie für Ihre Motivation äußere oder innere Impulse oder beides? Woher kommt Ihre Motivation, und wie fördern Sie diese beziehungsweise wie sorgen Sie dafür, dass sie bestehen bleibt?

Variiert die Verfügbarkeit und die Stärke Ihrer Motivation? Hängt sie vom jeweiligen Projekt, der Situation oder den beteiligten Menschen ab? Hat sie etwas mit Ihrer zu- und abnehmenden Energie zu tun, sodass Sie nur darauf warten müssen, bis sie sich wieder einstellt?

Inwiefern wird Ihre Motivation durch die folgenden Faktoren beeinflusst? Durch …

 

… die Art der Aufgabe oder des Projekts?

 

… das anvisierte Ziel?

 

… Ihren jeweiligen physischen, emotionalen und mentalen Zustand?

 

… die Belohnung für die Teilnahme an einem Projekt?

 

… den Wunsch, jemandem einen Gefallen zu tun?

 

… die Bedeutung des Vorhabens für Sie?

 

… die Sanktionen, die Sie sich selbst auferlegen, wenn Sie sich nicht in einem Projekt engagieren, das Sie übernommen haben, oder wenn Sie eine Zusage nicht einhalten?

Ich war so beeindruckt von Josh, einem siebenundachtzigjährigen Wirtschaftsprofessor. Josh war nach einem schweren Autounfall beeindruckend motiviert. Er hatte ein Buch geschrieben, das bereits erschienen war, und obwohl er noch nicht wieder ganz genesen war, machte er sich daran, zwei Signierstunden zu organisieren, entschlossen, alles selbst in die Hand zu nehmen. Später erzählte er mir: »Ich befürchtete, dass ich dafür vielleicht nicht die Energie haben und es mir an Selbstvertrauen mangeln würde. Aber ich redete mir gut zu und drängte mich, es zu tun. Also machte ich es, und es hat super funktioniert.«

Er erklärte weiter: »Ich habe sehr hohe Erwartungen an mich selbst. Ich rede in der zweiten Person mit mir und sage: ›Ich erwarte von dir, dass du ablieferst, dass du etwas leistest.‹ Ich muss die ganze Zeit mit mir selbst reden, aber ich höre nicht immer zu. Seit meinem Unfall muss ich mich dazu zwingen, aus dem Bett zu kommen, mich zu waschen, zu frühstücken und etwas in Angriff zu nehmen.« Dann fügte er hinzu: »Ich habe eine puritanische Einstellung. Setze um, was du dir vorgenommen hast. Zögere es nicht hinaus und schiebe es nicht auf die lange Bank. Ich sage zu mir selbst: ›Du wirst mich verärgern, und eigentlich weißt du, dass du es machen wirst.‹«

Dann dachte Josh laut nach: »Einen Impuls zu haben und nicht in der Lage zu sein, etwas damit anzufangen, ihn sterben zu lassen, ist für unsere psychische Verfassung mit das Schlimmste. Nach einer Weile hat man keine Impulse oder Wünsche mehr, weil man weiß, dass man nichts damit anfangen wird. Der Impuls wird verfaulen und absterben, und dann bleiben lediglich zahlreiche unerfüllte Wünsche übrig. Sie blockieren uns bei unserem Umgang mit Impulsen in der Zukunft. Wenn das zu einem Muster wird, könnte es destruktiv sein. Ich muss mich dazu anpeitschen, etwas zu tun.«

Als ich Josh fragte, woher seine lebensbejahende Motivation kam, antwortete er: »Ich vermute, ich liebe das Leben wirklich. Es hat mich immer begeistert. Für mich sind sogar kleine Dinge wunderschön. Dadurch bleibe ich mit anderen Leuten in Verbindung, und ich liebe die Menschen.«

2Der emotionale Balanceakt

Die entscheidende Aufgabe des Alters ist die Balance, ein wahrlicher Balanceakt auf dem Drahtseil; gerade noch fit genug, gerade noch mutig genug, fröhlich und interessiert und absolut ehrlich genug, um ein empfindungsfähiger Mensch zu bleiben.

Florida Scott-Maxwell, aus The Measure of My Days

Als ich in der Oberstufe der Highschool war, gab unsere Französischlehrerin uns die Aufgabe, einen Aufsatz zum Thema »Was ist die schönste Zeit im Leben?« zu schreiben. Ich hatte rasch eine Antwort parat: »Natürlich, wenn man jung ist.« Später, als ich in meinen Zwanzigern war, stieß ich auf ein Buch mit dem Titel Das Leben beginnt mit vierzig. Ich fand ihn gleichzeitig befremdlich und falsch. Ich konnte nicht verstehen, warum irgendjemand glaubte, das Leben fange mit vierzig an, da es zu dem Zeitpunkt doch offensichtlich fast vorbei war. Wenn ich diese höchst altersfeindlichen Vorstellungen im Rückblick betrachte, wundere ich mich, warum ich so fest davon überzeugt war, ohne sie zu hinterfragen. Ich erkenne, wie wenig mir die wunderbaren Möglichkeiten im späteren Leben bewusst waren und wie sehr ich das Alter fürchtete und verachtete.

Heute ist mir ziemlich klar, dass das beste Alter meines Lebens die Lebensphase ist, die ich jetzt erlebe und gestalte.

Vieles von dem, was körperlich stets selbstverständlich für uns schien, können wir mittlerweile nicht mehr erwarten. Viele Dinge fallen uns schwerer, und je älter wir werden, desto mühsamer werden sie.

Für mich ist es schwieriger zu sehen und zu hören, schwieriger zu gehen, zu atmen, in die Bewegung zu kommen und in Bewegung zu bleiben. Es ist schwieriger, wach zu bleiben, mich zu konzentrieren, mich warm zu halten, mich daran zu erinnern, was ich gerade gemacht habe, Menschen zu erkennen und zu wissen, wer sie sind. Es ist schwieriger, abends einzuschlafen, die Tiefschlafphasen zu erreichen und morgens aufzustehen. Es ist nicht mehr so leicht, mich auf Straßen zu orientieren, die mir einmal vertraut waren, mit komplexen Dingen fertigzuwerden und aufmerksam zu bleiben. Und es verlangt mir mehr ab, mit Unsinn und Destruktivität klarzukommen.

Im Gegensatz dazu erzählte mir einmal eine siebzigjährige Frau aus Israel: »Ich finde, dass alles ›leichter‹, weniger belastend, weniger schicksalhaft wird, als ob all die ›lebenswichtigen‹ Entscheidungen – ob nun zum Besseren oder zum Schlechteren – vor langer Zeit getroffen worden wären und der Vergangenheit angehören. Mit zunehmendem Alter empfinde ich außerdem eine größere Freiheit von sozialem Druck, besonders, was meinen Status als unverheiratete Frau, die nie Kinder hatte, betrifft. Eine der Befriedigungen, wenn nicht sogar Freuden des Ruhestands ist für mich, dass ich mir keine Gedanken mehr darüber machen muss, Karriere zu machen – oder überhaupt beruflich tätig zu sein. Was ich jetzt mache, betrachte ich mit Blick auf irgendein Berufsleben als ›extraterritorial‹, wenn ich es so bezeichnen darf. Mittlerweile muss ich mich nicht länger über andere definieren lassen, die mir vorschreiben, wie ich Aufgaben oder Anforderungen jeglicher Art zu erfüllen habe. Ich muss mir auch keine Gedanken mehr darüber machen, wie ich von ihnen in irgendeiner Hinsicht ›bewertet‹ oder ›beurteilt‹ werde. Jetzt habe allein ich selbst und niemand anderer das Sagen.«

Wie diese Frau finde auch ich, dass manche Dinge einfacher für mich sind. So bin ich leichter ungeduldig, genervt, frustriert und kritisch. Ich habe viel eher keine Lust mehr auf etwas und lasse es konsequenterweise sein. Aber es fällt mir auch leichter, offen, menschlicher, verständnisvoller und empathischer zu sein.

Manche Dinge sind wiederum klarer: Ich sehe mich selbst und meine Beziehungen deutlicher und ich bin sicherer in meinen Überzeugungen, was die menschliche Natur und das Menschsein an sich betrifft. Menschen sind zum Beispiel – mit wenigen Ausnahmen – sowohl gut als auch schlecht, destruktiv und konstruktiv, sich selbst und anderen gegenüber. Sie agieren auf der einen oder der anderen Seite dieser Dualität, je nachdem, wie man mit ihnen umgeht und in welchem sozialen Umfeld sie sich befinden.

Ich habe die emotionalen Höhen und Tiefen, die Widersprüche und Gegensätze erlebt, die im Folgenden beschrieben sind. Ich bin davon überzeugt, dass viele von uns dieselben Erfahrungen gemacht haben.

Begeisterung und Verzweiflung

Ich habe Phasen der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung erlebt, die mit Entschlossenheit und einer Begeisterung für das Leben wechselten. Es gab Zeiten – besonders, als ich schwer krank war –, in denen ich einfach aufgeben und das Handtuch werfen wollte. In diesen dunklen Momenten hatte ich das Gefühl, dass die besten Tage vorbei waren. Warum sollte ich also auf einem niedrigeren Level meiner Leistungsfähigkeit weitermachen? Wenn ich einige der schrecklichen Dinge sehe, die anderen älteren Menschen widerfahren, die ich kenne, wie etwa leidvoller Krebs und Alzheimer, versuche ich mir zu sagen, dass es mir nicht passieren wird. Nach jeder Phase, in der ich mich besiegt und erschöpft fühle, nehme ich den Kampf wieder auf, um weiterhin der zu sein, der ich bin, der ich sein muss, und um danach zu streben, mich persönlich zu dem weiterzuentwickeln, der ich sein kann. Dann entsteht in mir eine Begeisterung dafür, was ich im jeweiligen Moment tue, und dafür, was ich am nächsten Tag noch zu erledigen habe, sowie für meine aktuellen Beziehungen, für andere, die sich gerade entwickeln, und für mein inneres Wachstum und meine Erkenntnisse.

Sicherheit und Unsicherheit

Aufgrund meiner größeren Anfälligkeit für Krankheiten fühle ich mich manchmal stärker verunsichert. Die Unsicherheit angesichts meiner aktuellen Erkrankung sowie möglicher neuer Beeinträchtigungen schwebt bedrohlich über mir. Mit der Zeit werde ich zweifellos eine gewisse Verschlechterung meines scharfen Verstands erleben. Wie lang werde ich noch frei und