1 von zwei - Martin Lindner - E-Book

1 von zwei E-Book

Martin Lindner

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Beschreibung

Jedes Gedicht erzählt eine Geschichte. Eine Welle erreicht zum ersten Mal den Strand, wird aber enttäuscht, denn dort ist nichts außer Sand. Ein Beamter muss in die Hölle, um die Sicherheitsvorschriften zu überprüfen, und ein Junge verliebt sich in einen Rosenbusch, der jedoch nicht die gleichen Gefühle hegt. Getrieben von Forscherdrang und Wissbegierde müssen die Charaktere am Ende oftmals mit unvorhergesehenen Konsequenzen leben. Ausgewählte Gedichte der klassischen Gattung, die Martin M. Lindner im Alter zwischen achtzehn und einundzwanzig Jahren verfasst hat. Entstanden sind sie auf Reisen durch Italien und in der Wiener Heimat, inspiriert durch mythologische Elemente, persönliche Erlebnisse und spirituelle Erfahrungen.

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Inhaltsverzeichnis

FEUER

DIE KERZE UND DIE SONNE

DIE STERNSCHNUPPE

IN DER SCHMIEDE

DAIDALUS UND IKARUS

DIE FREUNDSCHAFT ZWISCHEN SONNE, MOND UND ERDE

DIE SCHLANGE

DAS ETUI

HÖLLE

VOM JÜNGLING UND DER FLAMME

WASSER

EIN FLUSS

NARCISSUS

WILBUR UND DIE DAMEN

DIE WELLE UND DER STRAND

DER BRUNNEN UND DAS MÄDCHEN

DER JÜNGLING UND DER BRUNNEN

INS STUMPFE ODER REINE?

DES MÜLLERS LEHRLING

DER LEUCHTTURMWÄRTERKAPITÄN

LUFTANHALTEN

FALLEN

IN DER HEILTHERME

DIE WETTE

MAN WIRD ERWACHSEN

GEFAHR DER EIGENEN TIEFE

DER LACHENDE BETTLER

ERDE

EINE GUTENACHTGESCHICHTE

SPALTEN

DIE MURMEL

FÜR ALLE GRÄBER

DER ROSENBUSCH

VOM BOHREN

VON DEN STEINEN

EIN VEILCHEN

DIE OBSTHÄNDLERIN

EIN JÜNGLING VERIRRT SICH IM WALD

EINE BERGLANDSCHAFT

LUFT

UND LIEBE

PRINZESSIN MARIA UND DER WIND

DER REFLEX

DER RITTER MIT DER ROSE

DER SCHMETTERLING

IM RAMPENLICHT

DIE LIEBE EINER BLUME

DER JUNGE BAUM

EIN PATIENT

KNOBLAUCH

RAUM

UND ZEIT

RITTERTUM

APRIKOSE

DAS LIED VOM SCHREIBENDEN WANDERER

DER EINSAME JÜNGLING

IN ALL DEN KLEINEN ZIMMERN

AUF EINER MAUER SITZT EIN BUBE

HERAKLES

HEUTE NACHT UND GESTERN MORGEN

EIN ALTER MANN IN SEINEM ZIMMER

DAS LOS DER BOTENENGEL

DER ZAUBERER

VAGABUND UND PRIESTER

ICH KOMME ZU SPÄT

TOD

AM SCHAFOTT

TOD

DER FÄDENZIEHERMANN

DER RITTERBUND

ICH SCHREIBE

DIE WENDUNG EINES FALLES

EIN WEISER IM GESPRÄCH MIT EINER DAME

ENGEL

GUTER/ SCHLECHTER MENSCH

ZWEI KÄMPFEN MITEINANDER. TALIS UND BROCHUS

DER FUCHS UND DIE GANS

HEIMATLIED

LOHNT ES SICH?

FEUER

Die Kerze und die Sonne

Kerze:

Sonne, hoch am Firmament

Die stärker als ich Kerze brennt

Wie wär ich gern, wie wär ich gern

Selbst ein solcher Flammenstern

Du scheinst am ganzen Himmelsreich

Und scheinst für alle Dinge gleich

Dein Schein dringt, nicht wie meine Flamme

Zu jeder Frau und jedem Manne

Und deine Größe, die allein

Muss majestätisch – himmlisch sein

Tauschte die Größe jederzeit

Für meine kleine Winzigkeit

Du stehst über der ganzen Welt

Wir stehen nur, wo man uns stellt

Und von den Menschen oder Wind

Sind ausgeblasen wir geschwind

Du Feuerball, mein Feuermann

Man huldigt dir, betet dich an

Wer huldigt uns, den kleinen Kerzen?

Ach, es brennt mir tief im Herzen

Wie wäre ich so gerne du

Sag, hörst du mir vom Himmel zu?

Ich huldige, bete dich an

Sag, wie wird man Feuermann?

Irrlicht:

Sonne willst du werden, Licht?

Bei Gott, nein, das versteh´ ich nicht

Erstens ist es einsam dort

In höchsten Höhen hallt kein Wort

Sterne siehst du? Das ist wahr

Doch sind sie nur von hier aus nah

Nie kann sie ruh´n, nie schlafen geh´n

Muss immer ihren Posten steh´n

Denn, seitdem sie angefacht

Ist´s immer Tag und niemals Nacht

Du hast´s gut, kann ich dir sagen

Scheinst in Nächten und an Tagen

Stehst nicht nur am selben Ort

Mal brennt es hier, dann wieder dort

Ja, du hast ein schönes Leben

Bist von Menschen stets umgeben

Ausgeblasen, angezündet

Dein Flehen, das ist unbegründet

Die Sonne, die will Kerze sein

Die Größe ist nur Trug und Schein

Wünscht abzulegen ihre Lasten

Und dann endlich, endlich rasten

Die Sonne, nein, willst du nicht werden

Gehst bald aus und musst wohl sterben

Wachs rinnt dir von deinen Wangen

Und – schon bist du ausgegangen …

Die Sternschnuppe

Ein Steinchen, irgendwo da oben

Flog dringlichst auf die Erde zu

Es wollt zu mir, doch ist zerstoben

Und darum find´ ich keine Ruh

Es wollt so sehr, vergaß zu funkeln

Ich sah es nicht, das kleine Ding

Ich fürchtete, dass es im Dunkeln

Irgendwo verloren ging

Doch plötzlich, ja, da fing der Stein

Zu brennen an, er gab ein Zeichen

Er zog den allerschönsten Schein

Er war noch fern, doch bald zu greifen

Schon jetzt? Nur noch ein kleines Stück!

Bald bist du hier, in meinem Arm

Ich wünsch mir dich zu meinem Glück

Ich spür es schon, du bist ganz warm! …

So grell, ich will, komm her geschwind!

Ja schneller, ach, ich will so sehr!

Brennend heiß, du Sternenkind

Die Schönste dort im Sternenmeer!

Ich wollt sie in die Arme schließen

Doch sie verschwand in dunkler Nacht

Tränen musste ich vergießen

Nur diese haben nichts gebracht

Dem Steinchen, ach, dem hätt ich sagen sollen:

Geruhe dich, wir haben Zeit!

Bloß dieser Drang und dieses Wollen

Haben uns zuletzt – entzweit!

In der Schmiede

Eisen:

Ein Viereck wird zum Kreis

Und alles Schwarze wird mir weiß

Alles Laute wird ganz leise

Mir war kalt, jetzt ist mir heiß

Ich brauche Feuer – nein, brauch Eis

Ich entflamme – nein, vereise

Schmied:

Immer mit der Ruhe junger Stahl

Stählern wirst du allemal

Eisen:

Das Licht, es flackert auf und nieder

Immer greller, immer wieder

Ich sehe – nein, ich sehe nicht

Mir ist das Wandeln schon zuwider

Ich will bleiben hart und schlicht

So lege mich heraus, du Wicht

Hätte ich bloß kein Gewicht

Ich will Schatten – nein, will Licht

Ich entflamme – nein, vereise

Schmied:

Die Schmelzung ist geschafft

Jetzt geht es mit aller Kraft

An die Formung, denn enorm

Ist von Wichtigkeit die Form

Eisen:

Endlich aus der Wanne in die Welt

Mit der Flamme wird erhellt

Mit dem Wachen fällt der Schlag

Es schmerzt, doch ich vermag

Diesen Schmerz wohl zu ertragen

Ich bin Stahl, wem soll ich klagen?

Doch es tut so weh …

Ach, es hat, so wie ich bin

Mit dem Reimen keinen Sinn

Ich bin Stahl, was soll ich dichten

Viel zu hart sind meine Schichten

Viel zu träge ist mein Körper

Viel zu schwer fallen die Wörter

Gedichte sind sehr zart

Ich bin Stahl, ich bin zu hart

Ich bin Stahl, ich bin zu fest

Für ein Lyrik-Manifest

Das Denken, es fällt schwer

Immer mehr und immer mehr

Und ganz wohl, es leuchtet ein

– Ein Stahl muss eisern sein

Daidalus und Ikarus

Ein Labyrinth auf Kreta stand

Und in dem Labyrinth

Gefangen war der Daidalus

Und Ikarus, sein Kind

Ikarus:

Vater, was bringt uns die Flucht

Wir sterben kurzerhand

Zu viele Schiffe in der Bucht

Und Heer nur auf dem Land

Alle Hoffnung allzu fern

Was werkelst du herum?

Mach nicht allzu viel an Lärm

Der Minotaur geht um

Hör auf deines Sohnes Rat

Machen selbst wir Schluss

Wie es die Antigone tat

Tochter des Ödipus

Daidalus:

Soweit wird es nicht kommen

Siehst du die Vögel oben?

Wird nicht gerannt und nicht geschwommen

Nein, es wird – geflogen

Nimm die Steine, die hier liegen

Schieße ab die Tauben

Wenn du triffst, sie nicht mehr fliegen

Kannst du sie um ihr Federkleid berauben

Ikarus:

Nie kommen wir von Kreta

Mit diesen Utensilien!

Daidalus:

Erzähle mir das später

Wenn wir sind auf Sizilien

So machte Ikarus

Was man ihm gesagt

Und in Windeseile

Zehn Tauben er erjagt

Ikarus:

Als Licht ich sah den Weg entlang

Fiel mir ein Stein vom Herzen

Ich dacht es wär der Ausgang

Doch waren es nur Kerzen

Daidalus:

Die Kerzen in den Gängen

Dienen nicht nur zum Schein

Wie schön, dass sie noch brennen

Das Wachs wird unser Leim

So baute dann der Daidalus

Wie es geschrieben steht

Aus Federn und aus Wachs

Das erste Fluggerät

Daidalus er sprach noch

Als schon war der Flügel um

Einen Satz als Ansporn

Und einen Satz als Zügelung

Daidalus:

Erfreuen uns schon morgen

Der Frauen und des Weines

Mach dir keine Sorgen

Doch achte noch auf eines

Der Wind, sieh dass er nicht entfleucht

Und nicht wird zu geschwind

Wenn tief du bist, ist es zu feucht

Zu hoch, das Wachs zerrinnt

Ein jeder der zwei Fliegenden

Fühlte sich als Gotte

Als sie überflogen

Das Heer, und auch die Flotte

Nach Samos und nach Delos

Und auch nach Lebinthos

Sah der Vater wie sein Kind

Plötzlich gen Himmel schoss

Er rief noch hoch zum Sohn hinan

Doch hörte dieser nicht

Er spürte nur ein wärmendes

Ein wunderbares Licht

Ikarus:

Bist du meine Illusion

Oder höhere Gewalt?

Sprich mit mir, so sprich doch schon

Du wunderschöne Lichtgestalt

Engel:

Wo liegt darin der Unterschied?

Bin ich weniger echt

Wenn uns gar nur einer sieht

Aus dem Menschengeschlecht

Du wurdest auserkoren

Zu kommen in das Reich

Dort wirst du neu geboren

Doch kommen musst du gleich

Zögere nicht allzu lang

Steige, Ikarus

Spanne deine Flügel an

Und gib mir einen Kuss

Ikarus:

Ich will, aber die Sonne

Ist nicht mehr weit entfernt

Es wär mir eine Wonne

Doch das Wachs wird dann erwärmt

Engel:

Gesagt hat dir dein Vater dies

Man merkt, er ist schon älter

Denn wie die Wissenschaft bewies

Oben wird es kälter

Ikarus:

Wie recht du hast, es ist schon kühl

Doch spür ich deine Wärme

Was ist dies nur für ein Gefühl?

Ich sehe schon die Sterne

Engel:

Wie es war, so wird es werden

Junges wird zum Alten

Der Körper muss nun sterben

Der Geist, der bleibt erhalten

Ikarus, er stürzte ab

Daidalus zur Pein

Ach, seufzte der Daidalus

Wie sollt es anders sein

Die Freundschaft zwischen Sonne, Mond und Erde

Astronom:

Seht die Freunde, die da schweben

Ohne Bürde des Gewichts

Durch das große, weite Nichts

Kann es Schöneres noch geben?

Sonne:

Ich liebe eure Wellenreise

Mal seid ihr nah, dann wieder fern

Erde, Mond:

Wir lieben dich in gleicher Weise

Unser beider Lieblingsstern

Wir könnten niemals von dir weg

Wir laben uns an deinem Schein

Sonne:

Und ich, ich scheine euch zum Zweck

Ja, so sollte Freundschaft sein

Mond:

Ich weiß, ich schaffe nicht sehr viel

Denn ich, dass lässt sich nicht bestreiten

Diene bloß dem Wellenspiel

Der immer wandelnden Gezeiten

Danke also, dass ich kann

Verweilen in dem Erdenbann

Erde:

Ach Mond, du gibst mir doch viel mehr

Zum Beispiel, wenn es dunkel ist

Da freue ich mich immer sehr

Wenn du mir Gesellschaft bist

Thronst über mir im Licht der Nacht

Mein allerliebstes Mondgesicht

Sterne zu Erde:

Und wir danken dir vom Firmament

Weil immer bei dir ein Lichtlein brennt

Wir schauen dann, und uns zum Glück

Schaut mancher auch zurück

Astronom:

Ach, die ganzen Himmelskörper

Laufen stets in ihrem Trab

Auf und ab den ganzen Tag

Da fehlen mir beinah die Wörter

Die Schlange

Was tut nur diese Schlange dort

Scheuchet, scheuchet schnell sie fort

Sie dringt gar ein in mein Quartier

Verscheucht, verscheucht mir das Getier

Ich stifte euch nicht an zum Mord

Leben kann sie, nur nicht hier!

Seht nur ihre falsche Haut

Und seht nur, seht nur wie sie schaut

Wie sie schlängelt sich entlang

Der fürchterliche Schlangenmann

Ihr habt ihr das nicht zugetraut

Doch wusste ich´s von Anfang an

Feuerwehrmann:

Wehre dich nicht, komm, mein Kind

Müssen fliehen, schnell, geschwind

Die Schlange ist kein Ungeheuer

Sie flieht nur vor dem Feuer

Das Etui

Sie hielten Hände, er und sie

Doch wusste er, es kann nicht halten

Er musste es beenden jetzt

Und nahm hervor ein Etui

Mit zwei kleinen Edelsteinen

Als helle Augen eingesetzt

In einer Löwenkopfgravur

Und legte es genau dort hin

Wo ihre Hand lag auf der seinen

Vor ein paar Sekunden nur

Er sagte: «Wir beide wissen, es hat keinen Sinn.»

Er sprach für sie, wie so oft

Doch er wusste nicht, sie hat gehofft

Und hofft noch immer

So, dass eine Träne rollte

Und wenn er´s nicht wusste so doch bloß

Weil er´s nicht wollte

Das Etui sprang schwungvoll auf

Vollgefüllt mit Zigaretten

Sie sagte: «Ich kann doch mit nach Hamburg zieh´n!»