1917/1918 - Mit siebzehn als Gefechtsläufer in der Schlacht an der Somme - Wilhelm Marquardt - E-Book

1917/1918 - Mit siebzehn als Gefechtsläufer in der Schlacht an der Somme E-Book

Wilhelm Marquardt

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Beschreibung

„Jünger suchte nach einem Freiwilligen, der die rückwärts gelegene Feldküche auffordern sollte, das Essen soweit wie möglich nach vorn zu führen. Da ich als Melder bei ihm stand und mich zuständig fühlte, übernahm ich die Aufgabe – mit sehr gemischten Gefühlen. … Es war Jüngers letzter Befehl an mich.“ Der junge Tagebuchschreiber war einer von zehn Soldaten seiner Kompanie, die jene nur scheinbar fernen Tage überlebten.

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Im Nachlass eines Frontsoldaten überlieferte, in Sütterlin handgeschriebene Tagebuchaufzeichnungen von 1919/20/21, eng an der Vorlage redaktionell bearbeitet durch den Herausgeber.

Inhaltsverzeichnis

Einberufung

Schliff in der Grundausbildung

Ruhe vor dem Sturm

Erste Fronterfahrungen

Ruhestellung

Sturm auf das Wäldchen 125

In Gefangenschaft.

Ein neues Lager.

Ein arbeitsfreier Sonntag im Zelt.

Heimkehr

Abbildungsnachweise

Einberufung Es war Krieg. Die kaiserlichen deutschen Truppen waren im August 1914 in Belgien und Frankreich eingedrungen, hatten sich bis in die Nähe von Paris vorgekämpft, wurden dann aber an der Marne und später bei Verdun und an der Somme in blutigen Grabenkämpfen von französischen, britischen und amerikanischen Truppen in Schach gehalten. Vor allem die Briten hatten uns enttäuscht. Ihre Kriegserklärung an das Deutsche Reich bezeichneten die Erwachsenen in Familie und Nachbarschaft als Verrat. Spottlieder auf den Gegner wurden gesungen, aber auch Kampflieder wie „Es braust ein Ruf wie Donnerhall…zum Rhein, zum Rhein, wer will des Stromes Hüter sein…Lieb Vaterland, magst ruhig sein, fest steht die Wacht, die Wacht am Rhein…“.

Von den Fronten aus Frankreich und Russland waren auch in unserm Dorf schlimme Nachrichten eingetroffen, Briefe von Kompanieführern, die den Familien den „Heldentod“ des Vaters oder des Sohnes anzeigten.

Meinen siebzehnten Geburtstag hatte ich hinter mir, als die Geburtsjahrgänge 1899/1900 zur Musterung befohlen wurden. Der Militärarzt hatte mich schon im März 1917 als wehrfähig erklärt, zu meiner großen Freude damals, denn wie meine Klassenkameraden war auch ich glücklich, des ‚Königs Rock‘ tragen und für mein Land kämpfen zu dürfen. Die Schule, an der uns immer häufiger Ersatzlehrer unterrichteten, war uns schon länger mehr als gleichgültig geworden. Nun stellte man uns, ehe wir eingezogen wurden, zum Abschied das ‚Zeugnis zum Einjährig-Freiwilligen Wehrdienst‘ aus. Auch gut, dachten wir. Stolz und voller Erwartungen konnten wir jetzt als Betroffene in den populären Gassenhauer einstimmen: „Der Soldate, der Soldate ist der schönste Mann im ganzen Staate…“.

Mit dem roten Einberufungsbefehl in der Tasche fanden wir zukünftigen Infanteristen uns am 18. Juni 1917 auf dem Marktplatz unserer Bezirkshauptstadt ein. Das Lebewohl von meinen Eltern und meinen Geschwistern fiel mir leichter als befürchtet, meine Mutter jedoch konnte ihren Schmerz und ihre Sorgen nicht verhehlen. Sie nahm einen Zug und folgte mir bis zum Appell auf den Aufmarschplatz. Ein wenig schämte ich mich vor meinen Kameraden. - Es sollte jedoch nicht lange dauern, bis Heimweh und Todesangst mich immer wieder an den Abschied von meiner Mutter erinnerten.

Als zukünftige Musketiere des braunschweigischen Infanterie-Regiments 92 saßen wir bald auf der Bahn in Richtung Braunschweig, begleitet von einem ‚Rekrutengefreiten‘, den wir soldatisch mit „Herr Gefreiter“ anreden mussten, was ihm offensichtlich behagte. Frohgemut sangen wir „Muss I denn zum Städele hinaus, und du mein Schatz bleibst hier“. Da wir unter Hitze und Durst litten, gestattete uns der Herr Gefreite großzügig, in Hemdsärmeln zu reisen.

Schliff in der Grundausbildung Unser erstes Quartier fanden wir im Saal der Gaststätte Gliesmaroder Turm am Rande Braunschweigs. Etwas einschüchternd war es schon, dass wir nun unter ‚Kriegsrecht‘ standen, wie uns mitgeteilt wurde. Von hier ging es zur Kaserne am Fallersleber Tor. Unserer Korporalschaft, geführt von einem Unteroffizier namens Küme, wurden die Grundbegriffe militärischer Disziplin schnell eingebläut. Zunächst erhielten wir einen Drillichanzug mit Unterwäsche, dann die blaue, schon ziemlich verschlissene Exerzieruniform mit Knöpfen, die wir dauernd blitzblank putzen mussten. Wer wohl meine Uniform einst getragen hatte? An den Mützen zwischen den zwei Kokarden trugen wir den Totenkopf, der an die verlustreichen Kämpfe unseres Regiments in Spanien erinnerte, als hannoversche Truppen auf englischer Seite halfen, Napoleon um 1813 von der Iberischen Halbinsel zu vertreiben.

Willkür von Vorgesetzten bekamen wir sogleich zu spüren. Der Bekleidungsunteroffizier fragte nicht lange nach Größen, sondern warf uns Hosen, Röcke und auch die Knobelbecher einfach zu. Er lachte nur hämisch, als ich ihn um kleinere Stiefel bat. Damit die mir aufgezwungenen Langschäfter einigermaßen saßen, musste ich sie immer wieder mit Stroh, Heu oder Papier ausstopfen.

Abb.1 Der frisch eingekleidete Rekrut.

Die Grundausbildung war nicht nur hart, sondern, wie wir einmütig fanden, ausgesprochen schikanös. Kreuz und quer marschierten, rannten und robbten wir über den Kasernenhof. Nichts konnten wir den Unteroffizieren recht machen. Gymnasiasten und Studenten zu demütigen schien sie besonders zu erfreuen. Mit Häme reagierten sie auf unser zunächst ja noch unmilitärisches Verhalten. Diese Ausbilder waren um die 25 Jahre alt, hatten Fronterfahrung, etlichen war sogar das Eiserne Kreuz II. Klasse verliehen worden. Manche wurden wegen einer Verwundung zum Dienst in der Heimat abkommandiert. Selten war unser Vorgesetzter mit unserm Bettenbau und der Sauberkeit auf der Stube einverstanden. Er warf Betten und anderes auf den Boden und brüllte uns an. Dabei stieß er gern mit seinem Seitengewehr nach uns. Die Erinnerungen an diesen Typ preußischen Unteroffizier sind noch heute schauerlich. Widerstand gegen die Schikanen, oder gar Beschwerde bei den Offizieren waren zwecklos.

Die Schießstände erreichten wir nach zweistündigem Marsch, und zwar bereits ziemlich erschöpft, da wir die Munitionskästen zu schleppen hatten. Zum Glück kam ich mit dem 98er Gewehr ganz gut zurecht, brauchte also nicht nachzuexerzieren. So lernten wir, nicht nur Entbehrungen, sondern auch Unrecht zu ertragen, den Mund zu halten und sinnlose Befehle auszuführen, nur, um uns Schlimmeres zu ersparen.

Diese Unbilden wurden noch übertroffen von der Wanzenplage auf den Stuben. Die Tierchen krochen nachts aus den Holzritzen der Betten und stürzten sich in Scharen auf uns. Es war ihnen einfach nicht beizukommen. Ihre Stiche schwollen blaurot an und juckten tagsüber heftig, aber unsere Ausbilder ließen uns mit hämischer Freude minutenlang stillstehen, um uns dem Juckreiz möglichst lange auszusetzen. – Das Kasernenessen, das zunächst noch erträglich war, wurde immer schlechter. Uns war jedoch bewusst, dass im vierten Kriegsjahr auch viele Bürger draußen darbten. Besonders unbeliebt war der von uns so genannte ‚Drahtverhau‘, ein Dörrgemüse, das ein gutes Gebiss voraussetzte und das nur der Hunger hineintrieb.Unsere Vereidigung auf Seine Majestät Kaiser Wilhelm II – es war der erste Treueid von vieren meines Lebens auf extrem unterschiedliche Staatsoberhäupter bzw. Verfassungen – fand im eindrucksvollen Braunschweiger Dom statt, und zwar in Gegenwart Seiner Hoheit des Herzogs Ernst August von Braunschweig-Lüneburg. Wenig später in diesem Sommer hatte ich die Ehre, vorm Braunschweiger Schloss Wache zu schieben, in dem gerade Friederike von Braunschweig-Lüneburg, die spätere griechische Königin, das Licht der Welt erblickt hatte.

Abb.2. Erster Heimaturlaub bei der Mutter.

Endlich, nachdem man uns ein korrektes soldatisches Benehmen außerhalb der Kaserne zutraute, bekamen wir Urlaub übers Wochenende. Ich besuchte meine Eltern und Geschwister und war froh, ihnen bei der Ernte helfen zu können. Zu Hause erreichte mich dann aber ein Telegramm, das mich aufforderte, schleunigst zu meiner Einheit zurückzukehren, da wir nach Munsterlager verlegt werden sollten.

Dort, in Baracke 91 des so genannten Russenlagers nach anstrengendem Marsch angekommen, mussten wir uns mit mehr als einfachen Verhältnissen abfinden. Statt der Wanzen litten wir nun unter Läusen. Der Abort, ein Graus, bestand aus einer Grube mit einem ‚Donnerbalken‘, auf dem zehn Rekruten Platz fanden. Von unserm ‚Ausbildungsregiment Hannover‘ sollte feldmarschmäßig ausgerüsteter Nachschub zu den Regimentern 73, 74, 76 und 92 ins Feld nachrücken. Zwei Wochen lang konnte ich mich jedoch vom Marschieren, Waffen und Munition Schleppen und vom Herumkriechen im Heidesand ausruhen, da unser Spieß, Hauptfeldwebel Achilles, mich zu Sonderdiensten abkommandiert hatte. Der bestand darin, dass ich zunächst eine Woche lang das Pferd unseres Kompaniechefs, Hauptmann Slauter, im Gelände herumführen musste, ehe ich anschließend ‚als des Schreibens Kundiger‘ zum Kompanieschreiber avancierte.

Unser Sold betrug 33 Pfennig täglich. Das reichte gerade, um ab und zu abends im nicht weit entfernten Gasthaus Mutter Winkelmanns Bratkartoffeln als Ergänzung unserer soldatischen Schmalkost zu genießen.