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... sie sieht Patricia vor sich, wie sie mit dem über das Bett gebreiteten, roten Haar dalag, wie sie sich erst neckisch zur Seite drehte, um die Vorfreude hinauszuzögern ... Die junge Schriftstellerin Frederikke scheint zu einem langweiligen Leben in der Provinz verdammt. Voller Sehnsucht schwelgt sie in Erinnerungen an das wilde Kopenhagener Nachtleben und an ihre Nächte mit der schönen Patricia. Doch dann wird ihr eine neue "Gesellschaftsdame" an die Seite gestellt, die ihre Lust von Neuem weckt. -
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Seitenzahl: 394
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Kolofon
360 Grad - Heiße Erzählungen
Aus dem Dänischen von Julia Pfeiffer
Originaltitel: 360 Grader
© 2013 Anne-Marie Vedsø Olesen, Betty Frank Simonsen, Henriette Rostrup, Karen Fastrup, Kristiane Hauer, Lotte Garbers, Marianne Sophia Wise, Morten Brask, Stephanie Garde Caruna, Susanne Staun & Torben Munksgaard
Alle Rechte der Ebookausgabe: © SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711457887
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: Epub 3.0
SAGA Egmont www.saga-books.com
- a part of Egmont, www.egmont.com
Leibesvisitation
von Torben Munksgaard
Als er gegen Ende des Abends die Griffenfeldsgasse entlang lief, kam er an einer kleinen Kneipe vorbei. Er beschloss, dort kurz auf ein Bier einzukehren, ohne zu ahnen, dass dieser Abstecher irgendetwas ändern würde. Schon bevor er das Lokal betrat, konnte er hören, dass die Stimmung bebte. Er fand einen Platz in der Nähe der Jukebox und hatte nur eine Weile dort gestanden, als ihn ein schwarzgekleideter, junger Mann ansprach.
„Ich bin Bertel“, sagte er und reichte ihm die Hand.
„Tag!“, sagte Max, ohne sich näher vorzustellen.
„Schicker Mantel …“, sagte der junge Mann und musterte Max’ Mantel, den er einige Monate zuvor um einen stattlichen Preis erworben hatte.
„Danke“, sagte Max und nahm einen Schluck Bier.
„Sehr schick. Bist du’n Fascho?“
„Du fragst mich, ob ich ein Faschist bin? Nein, das bin ich nicht.“
„Du siehst aber aus wie einer.“
„Wie bitte? Wie kommst du denn darauf?“
„Pil – sieht er nicht aus wie ein Faschist?“ Er wandte sich einer dunkelhaarigen, etwas molligeren jungen Frau zu, die hinter ihm stand. Sie beugte sich ein wenig vor und warf ihm einen prüfenden Blick zu.
„Ein wenig.“
„Siehst du, sie findet auch, dass du wie’n Fascho aussiehst …“
Max begann zu spekulieren, wie er das Gespräch beenden und einen neuen Platz finden könnte. Doch der junge Mann, Bertel, ließ nicht locker.
„Fascho“, sagte er und zementierte die herablassende Betitelung in lautlos geformte Lippenbewegungen – Fa-scho – während er Max mit eiskaltem Blick anstarrte.
„Na dann, belassen wir es dabei.“
„Du gibst es zu?“, rief Bertel. „Du gibst es selbst zu!“ Er drehte sich wieder der jungen Frau zu: „Er hat es gerade selbst zugegeben. Er ist ein Faschist.“
Sie betrachtete Max.
„Schwein“, sagte sie dann.
„Fascho-Schwein“, fügte Bertel hinzu.
Trotz der unbehaglichen Situation warf Max einen Blick auf die enormen Brüste der Dunkelhaarigen. Einen Augenblick lang stellte er sich vor, wie sie aus ihrem BH springen würden, wenn er ihn öffnete. Schwer und – das musste Max sich eingestehen – wunderbar üppig würden sie aus dem Büstenhalter purzeln.
Während ihn Bertel immer weiter beschimpfte, stellte er sich ihren Hintern vor. Er war groß und weiß – von simpler Topographie. Er stellte sie sich auf allen Vieren kniend vor. Unter den Pobacken blitzten die Schamlippen hervor und färbten das Weiß mit ihren dunklen Tönen, ihrem schwarzen Haar. Sein Schwanz würde klein aussehen, wenn er in sie eindringen würde. Er würde schnell kommen, würde ihn kurz davor herausziehen und über ihrem gigantischen Arsch abspritzen.
„Heil Hitler“, sagte Bertel und Max nickte. Steif würde sein Schwanz zum Hitlergruß über ihren weißen Arschbacken stehen.
„Deine Freundin hat was von der Riefenstahl“, bemerkte Max.
„Was bitte?“
„Sie hat so etwas Pompöses … etwas Mächtiges.“
„Was bitte meinst du damit?“
„Ich meine was ich sage. Triumph des Willens. Hat sie etwa nicht die redensartlichen Hosen an? Pil war ihr Name, nicht wahr?“
„Er redet über dich“, sagte Bertel ihr zugewandt, während sie ihren Kopf wieder vorstreckte.
„Was sagt er denn?“
„Er sagt, dass du groß bist.“
„Du sagst, dass ich groß bin? Du sagst, dass ich groß bin?“
„Ja“, sagte Max. „Du hast so etwas Großartiges an dir.
„Also hör mal, das kannst du dir doch nicht erlauben! Das muss ich mir verdammt nochmal nicht bieten lassen!“
„Ich meine das als Kompliment.“
„So wird das aber verflucht nochmal nicht aufgefasst.“
„Ich finde, du bist sehr schön“, verdeutlichte ihr Max.
„Willst du mich verarschen?“
„Absolut nicht. Du bist genau mein Typ Frau.“
„Ja, aber du bist ganz und gar nicht mein Typ. Was bildest du dir eigentlich ein, Alter?“
„Fascho-Schwein“, fügte Bertel hinzu.
„Stellt euch vor, wir würden in einer anderen Welt leben.“
„Was für eine Welt?“
„Eine schönere Welt“, erklärte Max. „Eine Welt, wo die Dinge groß und füllig sind. Eine Welt, wo du, Pil, alles bestimmen würdest. Du wärst die Königin und wir Männer wären deine Sklaven. Wir würden alles machen, was du sagst und würden dich befriedigen, wann immer du es wünschst.“
„Im Ernst jetzt?“
„Ja, versuch es dir vorzustellen.“
„Nein danke.“
„Das ist schade, denn es ist ein wirklich schöner Gedanke. Es ist ein Gedanke, der dich glücklich machen würde, da bin ich mir sicher.“
„Du bist verdammt merkwürdig.“
„Er ist ein Fascho.“ „Kann schon sein, aber ich meine es ernst: Es ist ein wunderschönes Land, Pil, und du bist nackt. Versuche es dir vorzustellen. Traust du dich, dir das vorzustellen? Du bist nackt und wunderschön.“
„Hör auf mit dem Scheiß“, sagte Bertel.
„Das ist kein Scheiß.“
„Klar ist es das.“
„Nein, das ist sie. Und Pil ist nackt und schön.“
„Kannst du nicht einfach aufhören das die ganze Zeit zu wiederholen … Diese ekeligen Fantasien, die du da von mir hast, widern mich an.“
„Okay, dann bist du eben nicht nackt. Du trägst eine Uniform, die all deine Attribute in Szene setzt. Dein Dekolleté ist üppig gefüllt. Versucht, euch das vorzustellen. Stellt euch Pil vor, wie sie dasteht und über die Menschenmenge blickt. Die Penisse erheben sich zum Siegesgruß – sie stehen in Reih und Glied. Sie hält ihre Brandrede, sie schreit und ruft ihre Ideologien in die Menge. Eine echte Massensuggestion: Ihr Körper ist faszinierend und fantastisch. Sie schlägt mit der Faust auf das Podium während sie jähzornig ihren Kopf schüttelt.“
„Wie Hitler?“
„Ja genau, Bertel. Wie Hitler. Sie gestikuliert mit ihren Armen und verführt sie alle. Sie ist ihr Führer, ihre Besatzungsmacht. Sie lieben sie. Sie haben ihr Leben auf sie gebaut, sie ist ihre Ideologie. Alle von ihnen sind Männer und sie ist ständig in ihren Gedanken. Ihr gesamtes Leben läuft darauf hinaus, mehr von ihr zu haben. Alles, was sie tun und sagen dreht sich um sie. Sie ist der Inhalt ihres Lebens. Sie ist die Autorin des Buches Mein Loch.“
Pil brach in schallendes Gelächter aus.
„Du bist total verrückt. Halts Maul! Echt, du bist vollkommen verrückt.“
Bertel sah Pil ein wenig verwundert an.
„Er ist wahnsinnig.“
„Er ist wirklich unglaublich wahnsinnig.“
„Das sehe ich als ein Kompliment“, sagte Max.
„Da würde ich mir nicht so sicher sein, dass das auch so gemeint ist. Woher kommst du eigentlich?“
„Meinst du geographisch? Ich bin in Aarhus geboren.“
„War ja klar! Nur ein Jütländer kann so eine Scheiße von sich geben.“
„Findest du nicht, dass das ein schöner Gedanke ist?“
„Nein, wirklich nicht. Dass ich auf einer Tribüne stehen soll … splitterfasernackt und mich wie Hitler aufführen soll …?“
„Ja.“
„Das ist ganz sicher kein schöner Gedanke.“
„Nein? Aber das Beste kommt erst noch“, sagte Max.
„Kann das noch besser werden?“ fragte Pil ironisch.
„Ja. Aber dazu musst du erst die Augen schließen.“
Bertel warf Pil einen skeptischen Blick zu. Sie zog eine ungläubige Grimasse.
„Was jetzt?“
„Nichts. Schließt einfach die Augen. Ich werde euch schon nichts tun. Ich schwöre.“
„Na gut … dann lass uns mal hören“, sagte Pil und ließ ihren Blick über Max’ Körper gleiten, worauf sie ihr Kinn anhob und ihre Augen schloss. Bertel zögerte kurz, entschloss sich aber es ihr gleichzutun um dem Ganzen eine Chance zu geben.
„Gut! Und jetzt zählt langsam von zehn runter“, sagte Max.
„Zehn, neun“, begannen die beiden zu zählen: „Acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins!“
Als sie die Augen öffneten, war der Fremde verschwunden.
„Er ist abgehauen!“, rief Bertel. „Der Idiot ist abgehauen.“
„Na klar“, sagte Pil. „Er wollte uns verarschen.“
„Nein, eigentlich hat er das nicht gemacht – eigentlich haben wir ihn verarscht.“
„Wie jetzt?“
„Jep“, sagte Bertel und fischte einen braunen Geldbeutel aus seiner Hosentasche.
„Was ist das?“
„Sein Geldbeutel.“
„Du hast ihm die Brieftasche geklaut?“, schrie Pil. „Was zur Hölle …“ Sie riss ihm den Geldbeutel aus der Hand und starrte ihn empört an.
„Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?!“ fauchte sie, schob ihn zur Seite und verschwand durch die Tür.
Sie drehte sich in alle Richtungen, doch die Gasse war dunkel und menschenleer. Auch auf der angrenzenden Nørrebrostraße war keine Spur mehr von ihm zu sehen.
„Mist“, flüsterte sie.
Einen Augenblick lang studierte sie die Brieftasche. Es war ein brauner Lederbeutel der Marke Tony Perotti. Dick und sicher nicht ganz billig. Pil merkte den Ärger über Bertel in ihr hochsteigen; sie hatte schon immer einen starken Sinn für Gerechtigkeit gehabt und hatte sich schon oft in Schwierigkeiten mit radikalen Kräften der autonomen Szene gebracht. Es war nicht ihr Ziel für Radau zu sorgen – es war ihre Absicht eine Balance zu schaffen. Konsequent hielt sie von allen aggressiven und brutalen Methoden im Kampf um eine bessere Gesellschaft Abstand.
Sie begutachtete die Karten in der Brieftasche. Der Mann hieß Max Wiland und seiner Krankenversicherungskarte zufolge, wohnte er am Solitudeweg, der nur eine Gasse entfernt von hier lag. Sie beschloss sich sofort auf den Weg dorthin zu machen, um den Geldbeutel zurückzubringen.
Doch als sie dann vor seinem Haus stand und in das Licht hinaufblickte, das von seiner Wohnung stammen musste, war da etwas, das sie von ihrem Vorhaben abhielt.
Sie knetete am weichen Leder der Geldbörse, während sie den Anblick seines Besitzers Max gedanklich heraufbeschwor. Er muss um die vierzig Jahre alt gewesen sein, fast doppelt so alt wie sie selbst. Er war nicht besonders attraktiv; aber auch nicht besonders unattraktiv. Er hatte einen intensiven Blick – hatte direkt in sie hineingesehen. Vielleicht hatte sie deshalb so gehorsam ihre Augen geschlossen.
Was sollte sie nun tun? Sie hätte einfach läuten und die Brieftasche zurückbringen können. Dann wäre die ganze Sache überstanden gewesen und sie hätte ihn vermutlich nie wieder gesehen. Außer natürlich, wenn er sie hinein gebeten hätte. Aber warum sollte er das tun? Sie hatten ihn einen Faschisten genannt, ihn provoziert. Und nicht zuletzt hatten sie ihm seinen Geldbeutel gestohlen. Sie könnte vielleicht lügen und ihm erzählen, er hätte den Beutel verloren, als er ging. Aber trotzdem. Und warum wünschte sie sich überhaupt von ihm hineingebeten zu werden, warum kam dieser Gedanke in ihr hoch?
Sie hätte einfach hinaufgehen und die ganze Sache hinter sich bringen können. Aber sie hätte auch eine Weile warten können, bis morgen zumindest, bis alles ein bisschen klarer aussah, denn in diesem Augenblick befand sie sich in einer dunklen Gasse in Nørrebro, einem Stadtteil von Kopenhagen, und ihre Gedanken verwandelten sich allmählich in verschwommene Skizzen.
Sie ging zurück zur Hauptstraße. Es war kalt und sie beschloss direkt nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen. Es war weit nach Mitternacht.
Als sie später in ihrem Bett lag, nahm sie die Geldbörse und ließ in der Dunkelheit sanft ihre Finger darüber gleiten. Der Duft des fremden Leders hatte eine aphrodisierende Wirkung auf sie und sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn sie die Brieftasche abgeben würde.
Sie läutete und erklärte über die Türsprechanlage ihr Anliegen.
„Komm rein!“, ertönte seine Stimme, die sie trotz der Verzerrung des Lautsprechers sofort wiedererkannte.
Schon auf dem Weg nach oben war sie angespannt.
Als sie vor seiner Wohnung ankam, war die Tür bereits einen Spalt geöffnet. Vorsichtig klopfte sie an und trat in einen kleinen Vorraum. Ein langer Gang führte zu einem beleuchteten Zimmer am anderen Ende der Wohnung.
Direkt vor dem Eingang hing ein Spiegel, und als sie daran vorbeiging, bemerkte sie, dass sie sich verändert hatte. Sie war zwanzig Jahre älter geworden – immer noch sich selbst, nur, dass sie kein junges Mädchen mehr war. An den Augen formten sich kleine Fältchen zu einem fein ziselierten Delta, ihre Wangen waren weniger fest. Eine neue Art der Schönheit hatte sich in ihrem Gesicht breit gemacht, die Süße ihrer Jugend war verflogen und hatte sich in reife Klarheit verwandelt; ein kräftiges Leuchten, wie sie selbst fand.
Sie ging den Gang entlang und trat in die kleine Stube. Er saß an einem kleinen Esstisch. Auch er hatte sich verändert. Er war entsprechend jünger; am Tisch saß also ein junger Mann von etwa zwanzig Jahren. Es bestand jedoch kein Zweifel daran, dass es er war, denn er hatte den gleichen Blick, den gleichen Ausdruck auf seinen Lippen. Sie kam näher, legte den Geldbeutel auf den Tisch und wiederholte, was sie kurz zuvor in die Gegensprechanlage gesagt hatte: „Du hast gestern deine Brieftasche verloren.“
„Danke“, sagte er. „Nett von dir!“ Er öffnete sie und kontrollierte, ob alles so war, wie es sein sollte.
„Keine Sorge“, sagte sie. „Ich habe nichts herausgenommen.“
Er lächelte und stand auf.
„Darf ich dir etwas anbieten? … Als Dankeschön. Etwas zu trinken vielleicht?“
Sie ließ ihren Blick über eine dunkelblaue Vitrine schweifen, wo eine Reihe Flaschen stand.
„Ja gerne“, sagte sie. „Ich hätte gerne etwas von der dort drüben.“ Sie ging zu der Vitrine und zeigte auf eine lange, dünne Flasche mit einer grünen Flüssigkeit.
„Absinth?“, fragte er und fügte mit hohem Respekt in seiner Stimme hinzu: „Okay …“
Er holte zwei Gläser und schenkte ein. Sie setzten sich gegenüber voneinander an den großen Esstisch, der aussah, als hätte er ihn von seinen Eltern geerbt, als er von zu Hause auszog, jedenfalls war er nicht ganz neu.
„Wohnst du schon lange hier?“, fragte sie und nippte an ihrem Glas mit dem starken Drink.
„Seit fast einem Jahr“, sagte er. „Ich bin letzten Sommer hierhergezogen.“
Einen Augenblick lang betrachtete sie ihn. Er hatte dunkelblondes Haar und grüne Augen. Etwas Zartes lag in seiner Art sich zu bewegen. Seine weiße Haut und seine ruhige Stimme vermittelten ihr den Eindruck, er sei eine nachdenkliche Person. Ihre Worte wirkten auf ihn ein; sie hatte Zugang zu ihm.
„Darf ich ein Foto von dir schießen?“, fragte sie und holte aus ihrer Tasche eine kleine Kamera, die sie auf den Tisch legte.
„Von mir?“, sagte er und lachte.
„Ja … das ist ein Hobby von mir“, sagte sie und nickte in die Richtung der Kamera. Er befingerte den Apparat.
„Seltsame Kamera“, sagte er.
„General Igor Petrowitsch Kornitzky“, sagte sie: „betrat 1982 Mikhail Panfilowitsch Panfiloffs Büro in Leningrad.“
Max legte die Kamera zurück auf den Tisch und lächelte verwundert.
„Und in seiner Hand hielt er diese Kamera“, setzte sie fort und nahm sie wieder zu sich. Einen Augenblick lang wippte sie die Kamera in ihren Händen auf und ab, bevor sie deren Identität enthüllte: „Eine Lomo-Kamera.“
„Eine Lomo-Kamera“, wiederholte Max und ließ sich das Wort auf der Zunge zergehen, so als hätte sie ihm damit ein merkwürdiges Bonbon gegeben: „Lomo.“
„Ein simples Stück Mechanik, das heutzutage Kultstatus hat, alleine schon, weil es eben so simpel ist. Kein Bild gleicht dem anderen – alle behalten sich kleine Variationen vor. Ein wenig Unschärfe oder kleine Verzerrungen. Wäre es eine moderne Kamera, würde man ganz klar von einem Fehler sprechen. Aber hier wird der Fehler zur Kunst erhoben.“
„Man ist also nicht der Herr über das Motiv?“
„Das kann man so sagen. Die Aufgabe ist es, loslassen zu können.“ Mit ausgestrecktem Arm hob sie die Kamera in die Höhe, richtete sie auf ihn und knipste.
„So“, sagte sie.
„Okay“, sagte er. „Dann hoffen wir mal, dass ich drauf bin.“
„Ja, das hoffen wir“
Sie erhob sich.
„Komm!“, sagte sie. „Steh auf!“
Er nippte kurz an seinem Glas und stand auf.
„Ja?“
„Lehn dich an die Wand. So. Streck die Arme zu beiden Seiten aus. Und jetzt sieh mich an.“
Sie drückte ein paarmal ab, wonach sie ihr Glas nahm und ihm zuprostete. Als er sich setzen wollte, befahl sie ihm, stehen zu bleiben.
„Schließ deine Augen!“, sagte sie.
Er gehorchte – lehnte sich zurück an die Wand und schloss mit ausgebreiteten Armen seine Augenlider. Sie betrachtete seinen Körper; er war ein wenig schmächtig, doch seine hervortretenden Sehnen an den Unterarmen wirkten wie Vorboten, die seine diskreten Muskeln ankündigten.
Er trug ein enges T-Shirt und Jeans. Sie näherte sich ihm und zog sein Shirt ein wenig nach oben; er öffnete die Augen.
„Nein, schließ die Augen!“, kommandierte sie. „Ich will nur, dass du dein T-Shirt ein bisschen nach oben ziehst. Genau so.“
Er nahm das Oberteil und hielt es hoch, sodass er einen kleinen Teil seines Bauches entblößte. Sie zog ein wenig an seiner Hose, gerade so weit, dass der oberste Rand seiner Schamhaare herausblitzte.
„Diesen Bereich hier“, sagte sie und ließ ihre Hand über seinen Bauch hin zu dem krausen Haar gleiten: „Diesen Bereich liebe ich.“
Sie trat einige Schritte zurück und fing erneut an zu knipsen. Mit geschlossenen Augen blieb er stehen, während sie sich hin und her bewegte, um ihn aus verschiedenen Winkeln einzufangen.
„Lass uns noch eine Sache ausprobieren“, sagte sie und schenkte mehr Absinth aus. Er öffnete seine Augen und betrachtete sie einen Augenblick lang, worauf er nach seinem Glas griff.
„Prost“, sagte sie und warf ihm einen eindringlichen Blick zu. Sie nahm ihr Glas und kippte die Flüssigkeit hinunter. Er folgte ihrem Vorbild, verzog jedoch sofort sein Gesicht aus Abscheu über den starken Drink.
„Leg dich auf den Tisch“, sagte sie.
Er zögerte einen Augenblick lang, ließ seine Hand nachdenklich über die Tischplatte streichen, bevor er sich entschloss zu gehorchen. Er kletterte auf den Küchentisch und legte sich auf den Rücken. Sie führte die Kamera vor ihr Auge und ließ sie über seinen Körper gleiten, während sie knipste. Als sie, durch die Linse blickend, an seinem Schritt angekommen war, hielt sie inne. Sein Schwanz war nun deutlich unter dem Stoff der Hose zu erkennen. Sie streckte ihre linke Hand danach aus, ließ sie über der dicken Beule schweben und knipste mit der anderen Hand eifrig weiter. Das Motiv war schwindelerregend: Ihre linke Hand, die Herrin seiner Erektion war, griff nach ihm, zog ihn an sich. Sie fühlte das Feuer, das in seiner Hose entfacht war – ihr eigenes Geschlecht pulsierte wie eine Wärmepumpe.
Sie nahm die Flasche Absinth und setzte sie an seine Lippen; die grüne Flüssigkeit lief an seinen Wangen herunter, während er trank. Dann nahm sie selbst einen Schluck. Das Getränk brannte im Abgang.
„Komm“, sagte sie und zog ihn ins Schlafzimmer. In der Ecke stand eine kleine Anlage, auf die Pil geradewegs zusteuerte, um sie einzuschalten. Sie drehte die Musik laut.
„Tanz!“, befahl sie ihm.
Er sprang in sein Bett und begann erwartungsvoll von einem Bein zum anderen zu schaukeln. Sie blickte durch die Kamera und folgte seinen Bewegungen. Zu ihrer Überraschung begann er sich auszuziehen und wie einen Revolverschuss merkte sie die Wollust durch ihren Körper rasen. Es muss wohl am Absinth gelegen haben, der die beiden nun eroberte und überrumpelte. Eine chemische Reaktion, l'heure vert: Thujone, in den Nerven, die Wurzel der Alraune, gelblich blühender Wermut.
Pils Finger tanzte auf dem Auslöser der Kamera, während Max nackt im Bett zur Musik tanzend auf und ab sprang, Arme und Beine hüpften mit, der Kopf schlug nach allen Seiten aus, sodass sein strähniges Haar in alle Richtungen zeigte. Sein steifer Schwanz schlug wie ein Trommelstab auf die Bauchdecke, die Musik dröhnte vor sich hin, Tom Waits’ „Hang on St. Christopher“, der grüne Wahnwitz fuhr durch seinen Körper, durch die Arme, die Schultern, die Hüften, die Knie – rhythmisch brach die Musik aus seinem pulsierenden Körper heraus, der Bass und die Trommeln kamen aus dem Inneren.
Sie legte die Kamera beiseite und begann sich auszuziehen, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Sie kam auf ihn zu, stellte das eine Bein auf die Bettkante, zog ihn zu sich, packte ihn am Nacken, vergrub sein Gesicht in ihrem Schoß, ließ ihn mit ihrem nassen Schritt verschmelzen.
Als sie vögelten, fühlte Pil die Zimmerdecke über sich zusammenbrechen. Nicht wie Zement und Putz, sondern wie elektrische Aale, wie weiche, feuchte Stromstöße; die Körper kämpften, fickten in diesem neutralen Schauer. Ihre Vorderseiten prallten hart aufeinander, während sich Pil wie ein Stempelmotor an seinem steifen Schwanz entlang auf und ab bewegte, tack, tack, tack, die Bauchdecken stießen rhythmisch gegeneinander, sodass die Gedanken in alle Richtungen zersplitterten. Eine große, wild ornamentierte Vase, die gegen einen steinernen Boden geschleudert wird. Pil lehnte ihren Kopf zurück. Die Decke wurde blau, dann grün und zuletzt strahlend weiß, wie ein Schwarm leuchtender Vögel mit flatternden Flügeln. Sie öffnete den Mund und fühlte, wie das Bild gefror.
Am nächsten Tag fiel der erste Schnee.
Pil machte sich auf den Weg zurück zum Solitudeweg und dieses Mal zögerte sie nicht. Sie klingelte an der Türsprechanlage und wurde hereingelassen, ohne sich vorstellen zu müssen. Doch als sie oben angekommen war, musste sie zu ihrer Überraschung feststellen, dass eine Frau sie empfing. In ihrer Eile hatte sie nicht daran gedacht, dass er mit jemandem zusammenleben könnte, auch an der Klingel stand nur ein Nachname, der nichts über seinen Beziehungsstatus verraten hätte können.
„Ist Max zu Hause?“, fragte Pil unsicher.
„Er ist auf der Arbeit“, sagte die Frau. Sie war groß und blond und mindestens zehn Jahre älter als Pil.
„Ich möchte nur die hier schnell abgeben“, sagte Pil und reichte ihr die Geldtasche.
„Oh Gott! Hast du sie gefunden?! Super! Warte kurz – ich hole dir etwas.“
Während Pil wartete, bemerkte sie die Enttäuschung langsam in ihr hochsteigen. Das war nicht, was sie sich erhofft hatte. Sie war nicht im Stande das, was sie erwartet hätte in Worte zu fassen – hatte sie doch zumindest geglaubt, ihn wiederzusehen. Warum war sie so verwirrt. Sie hatte sich wohl zusammengereimt, er sei an ihr interessiert – so war es wohl. Und nun fühlte sie sich enttäuscht und genervt von ihm.
Die Frau kam mit einer Flasche Wein zurück.
„Als Dank für deine Hilfe“, sagte sie.
Eine Weile lang dachte Pil über die Situation nach. Dann sagte sie: „Nichts zu danken. Du kannst deinem Mann danken, dass sie bei mir zu Hause gelandet ist.“
„Bei dir zu Hause?“
„Es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass … dass dein Mann und ich eine Affäre haben. Hätte ich nur die geringste Ahnung gehabt, dass er mit dir zusammen ist, wäre das niemals passiert. Erst gestern habe ich es herausgefunden und jetzt habe ich beschlossen, es dir zu sagen. Mir tut es genauso weh wie dir. Mach’s gut.“
Pil drehte sich um und eilte die Treppe hinunter. Sobald sie unten auf der Straße angekommen war, rief sie Bertel an.
„Lust auf ein Bier heut’ Abend?“, schlug sie vor. „Ich brauch’ heute Bier – viel Bier.“
Als Max an diesem Abend nach Hause kam, fand er eine Notiz von Therese auf dem Wohnzimmertisch. In kurzen, prägnanten Worten erklärte sie, dass seine heimliche Liebhaberin mit seinem Geldbeutel vorbeigekommen war, und dass sie nun zu ihrer Freundin gezogen ist. Schockiert studierte Max den Zettel, während er sich langsam zusammenreimte, was passiert sein musste.
„Verfluchte Scheißkinder“, murmelte er und wählte Thereses Nummer, doch ihr Handy war ausgeschaltet. Er sprach ihr eine Nachricht aufs Band, in der er ihr die Situation erklärte, doch sobald er aufgelegt hatte, merkte er, wie unglaubwürdig das ganze geklungen haben muss. Seine Geldtasche war ihm von zwei jungen Linken geklaut worden und nun bringen sie sie zurück und rächen sich mit dieser Räubergeschichte, weil sie ihn für einen Nazi hielten?
Er legte sich aufs Sofa. Er war völlig erschöpft nach einem langen Arbeitstag und der Empfang, der ihn zu Hause erwartet hatte, machte ihn nicht weniger müde. Er fühlte sich zwanzig Kilo schwerer und schlief schnell ein. Er träumte einen seltsamen Traum von dem jungen Mädchen – Pil, das er wiedertraf.
Er kehrte zur Bar zurück, um sie mit der Sache zu konfrontieren und, wie es sich im Traum so schön fügte, stand sie am selben Platz, wo sie auch schon das erste Mal gestanden hatte. Dafür wollte sie aber nicht mit ihm diskutieren. Stattdessen schlug sie vor, sie sollen zu ihm nach Hause gehen.
„Es tut mir wirklich leid, was da passiert ist“, sagte sie. „Ich würde es wahnsinnig gerne wieder gutmachen.“
Er war sich nicht sicher, inwieweit ihn dieser Vorschlag noch wütender machte, entschloss sich aber einzuwilligen. Vielleicht könne er sich so auf die eine oder andere Art und Weise an ihr rächen.
Erst als die beiden in seine Wohnung traten und er sich selbst im Spiegel betrachtete, merkte er, dass etwas nicht stimmte. Im Spiegel war eine Frau zu sehen. Er war sich selbst, doch sein Körper war der einer Frau. Und auch Pil, die in diesem Augenblick neben ihm erschien, hatte beim Eintreten in die Wohnung das andere Geschlecht angenommen. Sie war ein Mann.
Sie gingen weiter in die Wohnung und setzten sich an den Esstisch. Max betrachtete den Mann vor sich.
„Ich muss dir ein Geständnis machen“, sagte Pil mit einem subtilen Lächeln auf ihren Lippen.
„Okay, was denn?“
„Ich hab mich vom ersten Augenblick an zu dir hingezogen gefühlt.“
„Zu mir?“, sagte Max und versuchte dabei so verwundert wie möglich zu klingen.
„Du bist ziemlich schön“, sagte sie. „Ich kann mir gut vorstellen, dass …“
„Ja?“
„Ich würde gerne von dir erzählt bekommen – wenn du Lust dazu hast – wie du aussiehst. Nackt.“
„Warum denn das?“
„Damit ich es aufschreiben kann“, sagte sie und zog ein kleines, schwarzes Notizbuch aus ihrer Tasche. Sie öffnete es und setzte mit einem Kugelschreiber zum Schreiben an.
„Möchtest du nicht?“, fragte sie.
„Das ist schwierig“, sagte er.
„Probiere es trotzdem. Wie sehen deine Brüste aus?“
„Meine Brüste“, sagte er und dachte nach. „Meine Brüste sind ganz gewöhnlich. Mittelgroß. Die Brustwarzen sind hell, ganz hellrosa. Meine Haut ist völlig weiß. Ich weiß nicht … sie sind ziemlich normal. Das ist schwer zu sagen.“
„Darf ich nachsehen?“
„Nachsehen?“
„Kannst du nicht mal kurz dein Oberteil ausziehen?“, fragte sie.
Er merkte, dass er unsicher wurde. Er war nervös und gleichzeitig wurde ihm etwas heißer. Mit warmen Blicken betrachtete sie ihn, was ihn beruhigte.
„Okay“, sagte er und rückte seinen Stuhl zurück. Er begann seine Bluse aufzuknöpfen, während er seinen Blick hob und auf den Stuck an der Decke starrte. Als er das Oberteil von sich geworfen hatte, blieb er einen Augenblick lang im BH sitzen. Ihm war jedoch klar, dass er hier nicht aufhören konnte; einen Augenblick lang war alles still, dann griff er mit seinem Arm hinter den Rücken und öffnete den BH. Er senkte seinen Blick; sie betrachtete seine nackten Brüste, woraufhin sie zu schreiben begann. Zwischendurch warf sie ihm immer wieder einen Blick zu und schrieb dann schnell weiter. Fast zwei Seiten ihres Notizbuches beschrieb sie, bevor sie innehielt und ihn erwartungsvoll ansah.
„Möchtest du nicht weitermachen?“, bat sie.
„Ich weiß nicht so recht …“, sagte er.
„Hast du keinen Wein? Trink ein Glas Wein.“
Er nickte und erhob sich. Er öffnete eine Flasche Rotwein und schenkte sich ein Glas ein, während sie sitzen blieb und ihn beobachtete.
„Willst du auch was?“, fragte er.
„Nein danke. Du kannst stehen bleiben.“
Er nahm einen Schluck des Weines. Dann noch einen. Und noch einen. Das Glas war nahezu leer, als er es abstellte und den Reißverschluss seines Rockes öffnete. Er ließ ihn zu Boden fallen und stieg aus ihm heraus. Dann zog er die Strumpfhose aus, sodass er nur noch in seinem Höschen dastand.
Er schenkte sich Wein nach und trank ihn in einem Zug aus.
„Okay“, sagte er und stellte das Glas mit einer entschlossenen Handbewegung auf den Tisch.
Sie nickte und er merkte, wie ihn diese Situation erregte. Jetzt war er nass, soviel stand fest. Sie hatte inzwischen wieder zu schreiben begonnen und als er langsam den Slip auszog, war ihm, als könne er das Kritzeln des Kugelschreibers in seiner Intensität steigen hören – in zittrigen Bewegungen kratzte er über das Papier, im Takt mit dem Höschen, das langsam über seine Beine Richtung Boden glitt und sein feuchtes Geschlechtsteil entblößte. Sie schrieb ein paar Zeilen, etwa eine halbe Seite lang, wonach sie sich erhob und auf ihn zukam. Sie presste sich an ihn und küsste ihn. Durch den Stoff ihrer Hose konnte er fühlen, dass ihr Schwanz steinhart war. Mit beiden Händen griff er nach ihm; sie stöhnte und umfasste sein Gesicht.
„Beschreibe meinen Schwanz“, sagte sie.
Er fiel auf die Knie und öffnete ihre Hose. Er packte das harte Glied aus und hielt es sich vors Gesicht.
„Dein Schwanz“, sagte er und betrachtete ihn. Er war hart aber geschmeidig. Der Kopf des Schwanzes erinnerte ihn an einen Helm – einen deutschen Soldatenhelm aus glänzendem Stahl. „Dein Schwanz ist ein Knüppel“, sagte er.
Sie lächelte und umgriff ihren Penis, ihren Knüppel. Langsam führte sie ihn zwischen seine Lippen und begann ihn in den Mund zu ficken. Mit der einen Hand massierte er seine Muschi, während er ihr die andere ins Gesicht streckte.
„Komm“, sagte sie und zog ihn hoch. Sie hob ihn an der Tischkante hoch, spreizte seine Beine und steckte den vorderen Teil ihres Penis in seinen nassen Schlitz. Am äußersten Rand seiner Öffnung bewegte sie sich leicht hin und her, bevor sie mit einem plötzlichen Ruck ihr ganzes Teil in ihn stieß und begann, ihn mit harten, tiefen Stößen zu bumsen. Er lehnte sich zurück und fing an zu ächzen.
„Fick mich!“, stöhnte er und spürte, wie ihre Stöße brutaler wurden, je mehr er stöhnte.
„Ist das gut?“, fragte sie.
„Das ist gut“, sagte er.
„Ist es gut, mich zu spüren?“, fragte sie.
„Es ist so gut“, sagte er.
„Wie fühlt es sich an? Beschreibe das Gefühl!“
„Invasionsartig“, stöhnte er. „In-va-sions-artig …“
Sie fickte ihn, während sie ihr Fragespiel fortsetzte. Nach einigen Minuten des Verhörs zog sie ihren Schwanz aus ihm und er sank vor ihr auf die Knie, sodass sie ihren Samen über seinen Brüsten und seinem Gesicht versprühen konnte. Das Sperma rann über seine Lippen am Kinn entlang.
„Wie schmeckt es?“, fragte sie.
„Es schmeckt nach dir“, sagte er und leckte sich die Lippen.
Sie packte ihr Ding wieder in ihre Hose und schloss den Reißverschluss.
„Gut“, sagte sie und notierte die abschließenden Sätze. Wie wild geworden sauste der Kugelschreiber über die Buchseiten, bevor sie ihn schlussendlich in die Seite bohrte, um den letzten Punkt zu setzen.
Am selben Abend betrat Bertel das Lokal in der Griffenfeldsgasse. Er war fast eine ganze Stunde später dran, als es er mit Pil vereinbart hatte.
Zu seiner Verwunderung konnte er sehen, dass sie zusammen mit dem fremden Mann, den sie am Abend zuvor kennengelernt hatten, an der Bar saß. Bertel hastete zu einem Tisch in der hintersten Ecke des Lokals. Von hier aus konnte er die beiden beobachten. Sie sahen aus, als würden sie sich gut unterhalten – er stand dicht neben ihr und hatte seine Hand auf ihren Arm gelegt.
Nach knapp zehn Minuten, in denen sich zwischen den beiden offenbar ein lockeres Gespräch entwickelt hatte, machten sie plötzlich Anstalten die Bar zu verlassen. Bertel stand auf und sobald sie zur Tür hinaus verschwunden waren, folgte er ihnen.
Mit einem Abstand von zehn-fünfzehn Metern lief er ihnen so lautlos wie möglich nach. Sie gingen nicht besonders lange, nur eine Gasse weiter, die in der Nähe des Friedhofes lag. Die beiden öffneten die Tür zu einem Treppenhaus und einen Augenblick später ging das Licht einer Wohnung im dritten Stock an.
Während er das Fenster betrachtete, dachte er: „Jetzt treiben es die beiden. Ich liebe sie und jetzt treiben sie es einfach.“ Der Gedanke schmerzte ihn. Wie ätzende Säure zog sich ein nervöses Zittern durch seinen Magen. Mit hastigen Schritten drehte er sich um und steuerte auf die nächste Bushaltestelle zu.
Im Bus nach Hause versuchte er diesen Gedanken von sich zu stoßen, doch der Anblick des Gesichtes in der dunklen Fensterscheibe erinnerte ihn an die Welt hinter dem Glas, hinter diesem Gesicht, eine Welt, die nun außer Kontrolle geraten war.
Sobald er in seiner Wohnung angekommen war, legte er sich in sein Bett. Eine ganze Weile lang lag er so da und starrte in die Finsternis und gerade als er am Einschlafen war, klingelte es an der Haustür. Es war Pil. Er drückte den Türöffner, um ihr aufzumachen und legte sich wieder auf sein Bett zurück. Als sie sein Zimmer betrat, fand sie ihn mit zugedrehtem Rücken im Bett liegend.
„Hi“, sagte sie.
Er antwortete nicht.
Sie ging auf ihn zu und setzte sich auf die Bettkante.
„Hi“, wiederholte sie.
„Ich weiß, dass ihr zusammen wart“, sagte er ohne sich umzudrehen.
Einen Augenblick lang war es still.
Sie konnte ihren eigenen Atem hören, der wie ein leises Pfeifen aus ihrem Brustkorb kam.
„Okay“, sagte sie. „Und woher weißt du das?“
Er drehte ihr sein Gesicht zu und sah sie an: „Ich weiß es einfach.“
Ein flüchtiges Lächeln lief über ihre Lippen. Ihre Wangen waren rot.
Nun wandte er sich ihr vollkommen zu und schob sich die Decke von der Brust.
„Ich weiß auch nicht …“, begann sie.
„Was?“
„Ich weiß auch nicht was da gerade passiert ist.“
„Also stimmt es?“
Sie nickte und richtete ihren Blick auf das Fenster.
„Dabei ist er gar nicht mein Typ“, sagte sie.
„War es … gut?“
„Ob es gut war?“ Sie sah ihn verwundert an. „Warum fragst du mich so etwas?“
„Weil ich es gerne wissen würde.“
„Es geht dich aber nichts an.“
„Doch, tut es.“
„Hör schon auf, Bertel.“
Er schloss die Augen.
„Bertel … was ist los mit dir?“ Sie fuhr ihm mit der Hand durch die Haare.
„Nichts“, sagte er und schüttelte den Kopf.
„Ach Bertel … wir sind doch nur Freunde. Wir sind doch nur Freunde, oder?“
„Sicher.“
„Aber wenn du es unbedingt wissen willst – es war nicht besonders gut.“
Er öffnete die Augen und betrachtete sie.
„Ich möchte es wissen“, sagte er. „Erzähl mir alles.“
„Aber es war, wie ich sage. Es war nicht gut … es war sogar schrecklich. Schrecklicher Sex.“
„Ihr habt also gebumst?“
„Nenn es wie du willst.“
„Erzähl schon! Was ist passiert?“
Einen Augenblick lang sah sie ihn an während sie versuchte, die Situation einzuschätzen.
„Komm schon! Ich möchte es gerne wissen.“
„Okay …“, sagte sie. „Wenn du es wirklich wissen willst … wir haben uns getroffen und sind dann zu ihm nach oben gegangen. Ich weiß nicht so recht, was passiert ist. Aus dem einen oder anderen Grund habe ich an ihn gedacht. Und dann haben wir uns betrunken. Ich war eigentlich in der Bar schon betrunken, wo er noch sauer auf mich war – wegen der Brieftasche. Aber dann entwickelte sich das Gespräch …“
„Und dann bist du mit ihm nach Hause gegangen?“
„Ja. Plötzlich standen wir in seiner Tür. Schon da wirkte alles total falsch. Ich kann mich an einen Spiegel dort erinnern. Ich sah uns darin an. Wir sahen grauenvoll aus – wirklich fürchterlich anzusehen. Abstoßend. Das waren irgendwie nicht wir selbst. Ich sah besoffen aus, richtig besoffen. Und unattraktiv. Meine Haut war fettig und ich wirkte müde. Und er sah alt aus. Viel älter als er eigentlich ist. Alt und verbraucht. Es war wirklich kein erotischer Anblick. Und dann … ich kann mich daran erinnern, meine Klamotten ausgezogen zu haben. Das war in seinem Zimmer. Dort war es so hell. Er saß in einem Sessel und beobachtete mich und ich konnte nicht vergessen, was ich zuvor im Spiegel gesehen hatte. Mein Körper war so weiß … so bleich und fett. Meine Titten hingen wie zwei große Säcke an meinem Körper, ich habe mich gefühlt, als würde alles an mir hängen. Und dann öffnete er seine Hosen …“ Sie schwieg.
„Und dann?“
„Dann wollte er, dass ich ihm einen blase und das habe ich auch gemacht, aber er stank nach Schweiß und sein Schwanz war winzig, winzig klein. Und schief. Ich lutschte ihn mit geschlossenen Augen. Seine Schamhaare pressten sich an mein Gesicht. Sie piksten mich – wie kleine, kribbelnde Insekten, kleine Tiere mit langen Tentakeln. Dann packte er mich im Nacken und zwang sich tiefer in mich hinein. Leck meine Eier, sagte er. Ich gehorchte und begann, seinen Sack zu lecken, der wie eine leere Tüte an ihm baumelte. Es schmeckte nach saurem Schweiß und ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, etwas Totes im Mund zu haben. Danach drehte er mich um und fickte mich von hinten. Ich lag auf dem harten Holzboden und meine Knie schmerzten. Ich sagte kein Wort. Das einzige, was ich hören konnte, war das Klatschen seines Körpers, der gegen meine Arschbacken knallte. Und sein Grunzen. Gutturales Grunzen, wie ein Schwein. Es ging schnell – weniger als eine Minute – bis er kam. Er drehte mich wieder um, sodass er sein Sperma in meinen Mund spritzen konnte. Lange, geleeartige Fäden, die nach Metall schmeckten. Nach Metall und irgendetwas anderem. Etwas Totem. Ich hätte kotzen können … wirklich, es war schrecklich. Total falsch einfach. Wie eine Leibesvisitation. So fühlte es sich an. Es hatte wirklich nichts mit Sex zu tun.“
„Fascho“, sagte Bertel.
„Ja“, sagte Pil. „Es war wirklich ziemlich … faschistisch.“
„Hab ich’s doch gewusst“, sagte Bertel. „Hab ich’s gewusst, dass er ein Fascho ist.“
Pil nickte und zog die Decke über ihn.
„Du hattest recht“, sagte sie. „Aber jetzt solltest du schlafen, finde ich. Morgen können wir weiter reden.“
„Bleibst du?“
„Klar“, sagte sie und küsste ihn auf die Stirn.
Er schloss seine Augen. Sie blieb auf der Bettkante sitzen und streichelte ihn übers Haar, während er noch versuchte ihr ihre Geschichte abzukaufen.
Wenig später schlief er.
Privatausstellung
von Stephanie Gaarde Caruana
Es gibt etwas, das schlimmer ist, als keine Talente zu haben: Ein Talent zu haben, aber nicht in der Lage zu sein, es ausleben zu können oder darauf reduziert zu sein, lediglich das Talent anderer zu erkennen und weiterzuvermitteln. Das denke ich mir, während ich die Leinwände und Menschen betrachte, die sich heute Abend vor mir tummeln. Es ist Freitag und ich sollte mich eigentlich schon auf den Weg zur nächsten Galerie gemacht haben. – Ich bin spät dran. Aber es ist mir egal. Hier, in diesem riesigen, hell beleuchteten Raum gibt es Leute aller Art zu sehen. Und diese Leute sehen mich.
Ich werfe mich in Pose. Ein wenig, nicht zu viel, doch ich ziehe die Blicke auf meinen jungen Körper, den ich in lässiger Haltung positioniere, als könnte er mit seinen Muskeln, seiner Geschmeidigkeit und seinen Tätowierungen nicht mehr Gleichgültigkeit ausdrücken. Ich bin eine Form, die ihren Inhalt verbirgt. Ich zerzause mein halblanges Haar, lächle für niemanden, strecke mich. Ich bin ein Rock-Star in einem Lolita-Körper – wenn ich das selbst beurteilen kann. Ich bin die Art Mensch, die sich durch die Menschenmenge windet und diejenigen Menschen und Partys findet, die interessant sind – wenn ich die Feste nicht gerade selbst gebe. Die erste Vernissage des heutigen Abends habe ich ursprünglich nicht angepeilt, aber irgendwo muss man schließlich beginnen. Es gibt reichlich Wein, der DJ ist gut und ich habe das Bedürfnis mich zu betrinken, vielleicht einen Skandal zu provozieren, mit neuen Leuten zu quatschen, mit der Sprache zu spielen und die Zeit hinauszuzögern. Ich sollte bereits woanders sein, aber das muss warten.
Jedenfalls habe ich vorhin nicht von mir gesprochen. Ich habe viele Talente und weiß das auch. Ich meine den dort drüben; diesen heißen Typen, der vor dem neongrünen Bild steht, quasselt und sich mit Wein volllaufen lässt – diesen Architekt-artigen Typen, geschniegelt und schwarzgekleidet. Ein Sammler. Das Bild unterstreicht seine Umrisse, während er sich zu einem Mädchen vorbeugt, das allzu laut über das, was er nun sagt, lacht. Natürlich ist er hier. Geil auf Kunst kriecht er durch die Galerien, wenn die Vernissagen die Stadt in weiße Quadratkilometer aus Fleisch und Kunst verwandeln. Ich habe ihn an unzähligen Freitagabenden zuvor gesehen. Er ist legendär. Ein Gott. Alle kennen ihn. Und ich habe beschlossen ihn mir zu krallen. Heute Abend. Warum? Er sieht gut aus. Oder, nein, eigentlich nicht, aber ich sehe ihn gerne an. Er sieht aus wie einer, der nach einem Fick schreit. Aber ist das nicht egal? Ich habe darauf gewartet, dass er auftaucht, habe mich gefragt, ob ich ihn schon hier oder erst später am Abend treffen würde, vielleicht in einem heruntergekommenen Hinterhof einer Afterparty in Vesterbro.
Ich gehe hinüber zu seinem kleinen Grüppchen, bereit eine Konversation zu führen. Im Anbetracht dessen, dass ich eigentlich eine sehr zurückhaltende Person bin, mache ich mich unverschämt gut auf gesellschaftlichen Veranstaltungen und dergleichen. Es ist einfach. Man muss undurchschaubar aber zugänglich sein – immer interessant, neu, niemals verzweifelt. Man muss einen Anknüpfungspunkt finden, sich die anderen spannend machen und ich sehe, wie gut er darin ist, dieses Spiel zu spielen. Ich stelle mich dicht an ihn, höre zu. Er spricht über das, was an den Wänden hängt. Dann sage ich:
„Ich weiß nicht … wo liegt der Anreiz? Das ist doch totaler Mainstream.“
Ich breche seinen Wortfluss. Er lässt sich nicht aus der Fassung bringen, aber er antwortet auch nicht. Neuer Versuch.
„Das hat man doch schon so oft gesehen, oder? Versuch dich mal mit den Hexagonen zu beschäftigen, die in die Haptik des Bildes gezwungen werden. Die Geometrie ist unnatürlich, das Abstrakte und das Figurative versuchen sich zu treffen, schaffen es aber nicht, oder?“
„Entschuldigung, hallo, aber was willst du hier eigentlich sagen?“
Seine Stimme hat einen warmen, tiefen Klang, der gut zu ihm passt.
„Nichts. Schönes Bild, oder? Mögt ihr es? Prost!“
„Prost, auch. Nein, ich stehe nicht besonders auf das Bild als solches, aber ich finde, dass du ein bisschen zu hart warst. Ich finde, um ehrlich zu sein, sie hat da schon etwas richtig gemacht.“
Der Kreis um ihn herum schweigt – sieht mich an, aber nicht mit dem Blick, den er mir zusendet. Ich kenne diese Leute nicht. Ich visiere nur ihn an. Er genießt die Aufmerksamkeit – überlegt, ob er mich niedermachen oder auf meine Meinung aufbauen soll. Ich ergebe mich, lege meinen Kopf zur Seite.
„Ja, stimmt, genau. Es ist einfach zu richtig, oder? Ich meine, sie hat echt viel Talent, besonders wenn sie jetzt dran bleibt. Soviel steht fest. Der Wein schmeckt gut. Mehr für euch?“
Aha, jetzt hat er’s begriffen. Gut.
„Nein, also, ich weiß nicht. Wollt ihr? Ich muss gleich weiter, möchte noch auf ein paar andere Veranstaltungen.“
Er checkt mich ab. Ich weiß wohl, dass ich neben ihm aussehe wie eine Lüge. Mein Kapuzensweater und die Hosen sehen aus, als hätte ich in ihnen geschlafen – das habe ich auch. Schmutzige, schwarze Stiefel, filziges Haar. Metall in den Ohren. Verschmierter Eyeliner. Ich stecke die Hände in die Hosentaschen. Lasse einen Mundwinkel nach oben wandern und halte meinen Blick auf ihn gerichtet. Er hat leuchtend blaue Augen. Dichte, dichte Wimpern. Er sieht mich an wie jemand der verwirrt, aber nicht uninteressiert ist.
„Na gut, ich sollte eigentlich weiter. Kommt ihr auch zu Peters Dingens?“
Und ich meine nicht die lächerlichen Überreste seines Slangs, ich meine ihn und meine Zunge gleitet über meine Lippen, nur ein wenig und er sieht es. Es wirkt.
„Ja, vielleicht.“
Ich lächle und schleiche mich. Er hat keine Chance.
Am nächsten Ort sind tonnenweise Menschen. Ich küsse einige Wangen, bin höflich und lustig, umarme Künstler und lobe ihre Werke, selbst wenn ich finde, dass sie scheiße sind. Ich stelle mich zur Wand. Zupfe an meiner Lippe, betrachte die Installationen. Drüben in der Ecke bei den bemalten Metallrohren läuft ein Video. Mehr Wein. Es ist warm.
„Ich weiß nicht. Ist das ein Drahtesel oder was versucht diese Skulptur darzustellen?“
Er steht hinter mir. Reicht mir ein neues Glas. Mit breitem Grinsen nehme ich es entgegen. Ich sage:
„Ja, es schafft auf den ersten Blick keine Struktur, die man ohne den Kontext verstehen kann. Aber es ist irgendwie ziemlich gut, die Form ist wirklich geschmeidig – eine Art koreanische Dystopie.“
„Nord oder Süd? Was glaubst du?“
Süß! Er hat einen Witz gemacht. Ich lache, aber nicht zu laut, nehme das Gespräch auf – es läuft wie am Schnürchen. Ich denke, dass es die anderen sehen müssen, wie mega heiß ich auf ihn und dieses Projekt bin. Ich stehe mir selbst im Weg und bis auf weiteres läuft es, wie es soll. Er ist zu mir gekommen, alleine. Das bedeutet etwas. Der Dialog ist ein Tanz. Ich erhebe die Stimme, sage:
„Bedeutung ist eine Konstruktion, die über den Trieb hinausgeht.“
Er antwortet:
„Der Trieb ist eine Konstruktion, die sich der Bedeutung entzieht.“
Ich habe Lust vor ihm auf die Knie zu fallen – mitten in diesem Menschenmeer, das plaudert und trinkt. Eine Performance für zwei, mit Mund und Schwanz. Mein Mund, sein Schwanz. Und ich könnte sein Hemd aufreißen, ihn auspacken und meine Finger über seinen Brustkorb gleiten lassen. Ich bin sicher, dass er behaart ist. Sein Bauch ist rundlich. Ich glaube nicht, dass er trainiert. Höchstens noch Yoga. Mit bloßen Füßen auf einer Matte. Ich versuche ihn nicht mit einem dunkelhaarigen Pfeil vor mir zu sehen, der vom Nabel ausgehend über die Rundung des Bauches zeigt – der Hüftknochen, der aus dem Hosenbund blitzt, die Andeutung seines steifen Penis hinter losen Hosen, die spielend leicht heruntergezogen werden können.
Sein Schwanz, gemütlich wippend, dick, warm. Seine breite Hand mit behaarten Knöcheln, die ihn nonchalant, fast gleichgültig umfasst. Wir bewegen uns durch den Raum, diskutieren. Die Menschen schauen ab und zu. Meistens auf ihn. Auch ein bisschen auf mich, weil sie nicht verstehen können, was er mit jemandem wie mir zu tun hat. Würden sie mich kennen, würden sie noch mehr glotzen. Wenn sie wüssten, was ich heute Abend mit ihm vorhabe.
„Wie heißt du eigentlich? Ich heiße …“
Nein, du bekommst meinen Namen nicht. Ich tue so, als wäre mir nicht bewusst, dass er mit der Kunstakademie zehn Jahre, bevor ich selbst hineingekommen bin, fertig geworden ist. Wir haben viele gemeinsame Bekannte. Er weiß nicht, wer ich bin, obwohl er sagt, dass er mich von Abenden wie diesen kennt. Ich verrate ihm meinen Vornamen, das muss genug sein. Er fragt:
„Du bist selbst künstlerisch tätig, nicht wahr?“
Er wirkt aufrichtig neugierig. Nicht so, als würde er denken, dass ich mit Händen und Fingern über seine Muskeln und seine Haut streichen möchte, in die Richtung seines Schwanzes. Aber das will ich. So bin ich.
„Ich? Nein. Nicht wirklich. Ich bin mehr eine Art Musiker – kreativ.“
„Gott sei Dank! Ich kann Künstler nicht ertragen, ha ha. Die sind allesamt so abscheulich emotional. Und habgierig.“
Jetzt denke ich an seine Oberschenkel. Sie sehen stark aus. Ich betrachte sein Schlüsselbein, das gerade noch in der Öffnung seines Shirts zu sehen ist. Ich beobachte seinen Kiefer, die Art, wie er seinen Nacken beugt, um meine Worte in all dem Lärm zu hören. Ich stecke die eine Hand tiefer in die Hosentasche, pule an etwas eingetrocknetem Kleber an meinem Daumen. Die andere Hand ist damit beschäftigt, das Glas zu leeren.
„He he. Wie das?“
„Es ist doch diese Selbstauslieferung, die manche in ihrer Kunst anwenden, nicht wahr? Die Art und Weise, wie sie andere vollkommen schonungslos dazu benutzen, sich auszudrücken. Das ist doch verstörend und … vulgär.“
Er spuckt das Gesagte aus. Dass ich mich für einen Paranoiden begeistern könnte, hätte ich mir nie gedacht, aber offenbar passiert mir das gerade. Er hat eine Scheißangst davor, in einem Kunstwerk verarbeitet zu werden. Und gleichzeitig ist es das, wozu er Lust hat. Weder ich noch er betrachten das, was rund um uns an den Wänden hängt.
„Stimmt. Aber … bei der künstlerischen Freiheit kann man auch nicht einfach Kompromisse eingehen. Im Prinzip. Weil dann wären wir ja wieder zurück im Dritten Reich oder in der McCarthy-Ära oder einfach in der vergangenen Regierung.“
„Ja klar. Versteh mich nicht falsch. Kennst du die Künstlerin, die sich ISM nennt?“