A wie Ada - Dilek Güngör - E-Book

A wie Ada E-Book

Dilek Güngör

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Beschreibung

In der Sprache ihrer Eltern heißt Ada Insel. Ada denkt, auch sie wäre eine einsame Insel. Der Umgang mit anderen Menschen ist ihr oft unangenehm; wann sie sich wie verhalten soll, kann sie schwer einschätzen. Ada will geliebt werden, nicht von allen, unbedingt aber von den anderen. Poetisch und humorvoll erkundet Dilek Güngör in »A wie Ada« die Beziehungen ihrer Protagonistin, angefangen bei deren Kindergarten- und Schulfreundschaften bis hin zu ihren eigenen Kindern und ihrem Mann. In Miniaturen lernen wir eine stolze wie auch verletzliche Frau kennen, deren zwiespältige Sehnsucht nach Innigkeit und Verbundenheit niemandem fremd ist.

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In der Sprache ihrer Eltern heißt Ada Insel. Ada denkt, auch sie wäre eine einsame Insel. Der Umgang mit anderen Menschen ist ihr oft unangenehm; wann sie sich wie verhalten soll, kann sie schwer einschätzen. Ada will geliebt werden, nicht von allen, unbedingt aber von den anderen.

Poetisch und humorvoll erkundet Dilek Güngör in »A wie Ada« die Beziehungen ihrer Protagonistin, angefangen bei deren Kindergarten- und Schulfreundschaften bis hin zu ihren eigenen Kindern und ihrem Mann. In Miniaturen lernen wir eine stolze wie auch verletzliche Frau kennen, deren zwiespältige Sehnsucht nach Innigkeit und Verbundenheit niemandem fremd ist.

Dilek Güngör, geboren 1972 in Schwäbisch Gmünd, ist Journalistin und Schriftstellerin. Ihre gesammelten Zeitungskolumnen erschienen in den Bänden »Unter uns« und »Ganz schön deutsch«. 2007 veröffentlichte sie ihren ersten Roman »Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter«. 2019 erschien im Verbrecher Verlag »Ich bin Özlem«. Ihr Roman »Vater und ich« wurde 2021 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Die Autorin lebt und schreibt in Berlin.

Dilek Güngör

A wie Ada

Roman

VERBRECHER VERLAG

Inhalt

Anfangen

Alle Freunde

Im Nachthemd

Eine Insel

Einmal oder zweimal

Locken bis zum Po

Nachmacherinnen

Tee und Orangen

Ein Tropfen Blut

Geschenkte Sprachen

Kaffee und Schinken

Hinten in der Sackgasse

In den Tag hinein

Süßes Brot

Nichts zu lachen

Idiot

Mein Ein und Alles

Im Spiegel

Riss im Kokon

Weißer Hund

Laternenmann

Runde für Runde

Richtig kuscheln

Von allen Seiten

Helles Bächlein

Sechs Kaugummis

Auf dem Schrank

Rec und Play

Die Tanten

Bergquellen

Fremd

Kleine Hände

Ausreichend

Inder

Süße Birnen

Ins gemachte Nest

Ein Loch im Herzen

Cha-Cha-Cha

Löwinnen

Was los ist

Wie Blumenwasser

Igel

Bettelarmband

Gruselgeschichten

In den Kniekehlen

Ein Leben lang

Mit besten Wünschen

Mehr als genug

Oder zu klein

Löcher

Mundgroße Stücke

Französische Revolution

Ein I und ein O

Malen mit Acryl

Abenteuerrutsche

Weil Ferien sind

Zunge und Rachen

Allein tun

Hinter den Ohren

Sauberlecken

So bescheiden

Zurücklieben

Gazos und Fischli

Hände küssen

Nichts

Zu müde

Bucklig gehen

Frischgewaschen

Feuchter Lehm

Falscher Haarschnitt

Gut behütet

Anfangen

Du fängst aber früh an, sagt die Kindergartentante. Ada ist die Ehefrau, der Ehemann ist der neue Junge, und bevor sie sich küssen können, hat die Kindergärtnerin Ada aus seinen Armen gezogen. Später sagt der Hautarzt denselben Satz, er soll Ada ein Hautknötchen am Hals entfernen. Er lächelt und zwinkert mit dem rechten Auge, aber davon lässt sie sich nicht täuschen. Wer früh anfängt, macht sich schuldig, das hat Ada schon beim ersten Mal verstanden.

Wer spät anfängt, muss sich sputen, wer zu spät ist, verpasst den Schulbus. Und wie steht man da, um acht Uhr zehn oder erst um neun, wenn Mathe schon lange angefangen hat? Dreiundzwanzig Köpfe drehen sich zur Tür, vierundzwanzig mit dem Lehrer, der sagt, wo kommst du denn her, und das ist eine Frage, auf die Ada noch nie eine Antwort wusste. Setz dich schnell hin. Der Schulbus fährt einmal am Tag, später fahren auch noch Busse, aber keine Schulbusse, das sind Busse für Menschen, die zur Kreissparkasse müssen oder zum Arzt. Sie halten vor dem Rathaus unten im Dorf. Zur Schule führt ein langer Weg bergauf, man kommt auf jeden Fall zu spät.

Alle Freunde

Lass deine Freundin auch mal, sagt Mutter.

Mach deinem Freund Platz. Mutter nennt alle anderen Kinder deine Freunde. Gib deiner Freundin etwas ab.

Das ist nicht meine Freundin, sagt Ada.

Mutter verteilt Schälchen und Löffel für den Obstsalat. Sie lacht so, als ob sie Ach, Kindermund meint. Es heißt aber Wir sprechen uns später. Hätte Mutter die Hände frei gehabt, hätte sie Ada vor allen anderen eine geklebt.

Im Nachthemd

Ada will nicht eins sein mit jemand anderem. Selbst wenn sie mit der Freundin unter einer Decke liegt und ihren Atem im Gesicht spürt, ist Ada Ada und die Freundin bleibt die Freundin. Niemand darf ihr zu nahe kommen, niemand darf in ihrem Bett schlafen und ihr neues Nachthemd tragen.

Sie soll mein Nachthemd wieder ausziehen, sagt Ada.

Schämst du dich nicht?, sagt Mutter.

Ada hat das Nachthemd noch keinmal getragen. Jetzt hat es die Freundin an.

Du kannst doch auch im T-Shirt schlafen, sagt die andere Mutter zu ihrem Kind.

Die Freundin setzt sich auf und zieht den Arm aus dem Nachthemd.

Auf keinen Fall, sagt Mutter.

Die Freundin schaut ihre Mutter an. Der Ärmel vom Nachthemd hängt lose an ihrer Schulter.

Sie soll mir mein Nachthemd zurückgeben, sagt Ada.

Die Freundin sieht Adas Mutter an.

Dieses Kind, sagt Mutter zur anderen Mutter und sagt dann nichts mehr.

Stell dich nicht so an, sagt Mutter und stößt Ada in die Seite.

Ada weint leise. Die Freundin zieht sich das Nachthemd über den Kopf, gibt es ihrer Mutter. Die reicht es Adas Mutter, die pfeffert es Ada gegen die Brust.

Ada schämt sich, auch ohne dass Mutter es ihr befiehlt.

Die Freundin weint und bleibt doch nicht über Nacht.

Ada zieht das Nachthemd nie wieder an.

Eine Insel

Ada heißt Insel in der Sprache der Mutter, die auch die Sprache des Vaters ist. Ada war auf vielen Inseln, nie auf einer einsamen. Was soll sie dort? Eine einsame Insel ist sie selbst. Wollte man sie besuchen, müsste man alles mitbringen, was man braucht. Auf dieser Insel gibt es nicht einmal Sand, hier gibt es nur nackten Fels. Wie viel Fels ist eine Insel und wie viel bräuchte man für einen Kontinent? Ada weiß so etwas nicht, sie schaut auch nicht nach.

Was andere auf eine einsame Insel mitnehmen würden, erfährt Ada beim Kochen aus dem Radio. Eine Sache bloß darf es sein. Wasser, sagt jemand. Aber Wasser wäre nicht genug, was ist mit Essen? Oder einem Zelt? Ada wird nicht im Radio befragt, sie muss sich selbst befragen. Sie tut das, während sie auf die U-Bahn wartet und die Plüschbärchen im Kioskschaufenster auf dem Bahnsteig betrachtet, Feuerzeuge, Fernsehtürmchen, Kaffeetassen, Schlüsselanhänger, Kopfhörer. Wenn du dir aus diesem Schaufenster eine Sache aussuchen müsstest, was wäre das? Nichts davon würde sie nehmen, und weil es nur ein Spiel ist, muss sie sich nicht fürchten, niemand wird sie auf eine Insel verbannen.

Einmal oder zweimal

Wer nicht fragt, bleibt dumm, das singen sie in der Sesamstraße. Die Lehrerin sagt, dumme Fragen gibt es nicht. Ada fragt nichts, sie guckt, was die Freundin ausgerechnet hat, und radiert ihr eigenes Ergebnis wieder weg.

Aus Fehlern lernt man, auch das sagt die Lehrerin. Ada lernt aus ihren Fehlern, dass man einen Fehler nur einmal machen darf. Bloß Dumme machen einen Fehler zweimal, ihnen muss man alles dreimal sagen. Dir muss man alles hundertmal sagen, sagt Mutter. Tausendmal hat sie das gesagt, aber das hat nichts zu bedeuten. Mutter und Vater lieben und loben, fördern und fordern Ada.

Kinder lernen gut, wenn man ihnen etwas zutraut. Sie lernen noch besser, wenn man ihnen nichts zutraut und über ihre Fehler lacht. Dann lernen sie was fürs Leben.

Locken bis zum Po

Du hast mich gestaucht, sagt Ada. Ada sitzt auf dem Basteltisch.

Die Freundin streicht ihr mit der Hand vorsichtig über das Schienbein. Gestaucht sagte man dort, wo Ada herkommt. Dort, wo sie später hingeht, am Fachbereich Nummer sechs, den niemand Fachbereich nennt, sondern Uni, wird man treten sagen, wenn man stauchen meint und halten statt heben. Man wird sagen: Kannst du kurz meine Jacke halten, nicht: Kannst du meine Jacke heben?

Die Freundin, die Adas Schienbein streichelt, ist nicht Adas Freundin, sie ist die Freundin einer anderen. Die beiden Freundinnen sind nur einander Freundinnen, beste Freundinnen, mit Ada spielen sie manchmal und manchmal nicht. Die beiden Freundinnen stehen an Adas Knien und verstehen nicht, was geschehen ist.

Gestaucht? Gerade? Mit dem Fuß? Da?

Ja, da.

Fragt sich die Freundin, wie es sein kann, dass ihr Bein ausschlägt, ohne dass sie es merkt, fragt aber nicht. Sie reibt bloß Adas Schienbein, ihre Freundin reibt Ada die Schulter, an der Ada keine Schmerzen hat.

Haben die beiden Freundinnen an diesem Morgen extra ein Brettspiel ausgesucht, das man nur zu zweit spielen kann? Haben sie darüber gesprochen, dass die eine am Wochenende bei der anderen übernachten wird oder dass sie in Wirklichkeit Zwillinge sind? Oder wenigstens Cousinen? Aber darüber weint man nicht vor allen anderen, auch wenn es so weh tut wie ein Tritt gegen das Schienbein. Sollen die beiden sie doch ein bisschen trösten, ein Weilchen bei ihr stehen bleiben, reiben und streicheln und über ihr Verhalten nachdenken.

Ada weint nicht mehr. Sie könnten jetzt Hitparade spielen und auftreten in hohen Schuhen, schulterfreien Kleidern und lockigem Haar bis zum Popo. Sie könnten singen, in ihrem eigenen Englisch, die Haare nach links und nach rechts werfen, wie auch die langen Kabel ihrer Mikrofone. Sie singen aber nichts an diesem Tag, die beiden Freundinnen spielen Malefiz, ohne Ada. Die legt ein Puzzle und fragt nicht, ob sie mitspielen darf.

Nachmacherinnen

Ada und die Freundin haben am selben Tag Geburtstag. Wir sind Zwillinge, sagen sie, die Erwachsenen lächeln, die Kinder rufen, ihr lügt. Die Freundin hat langes blondes Haar, und als sie sich Stufen schneiden lässt, plötzlich Locken. Adas Locken sind lockiger, aber nicht blond. Wie echte Zwillinge tragen sie gleiche Röcke, Ada in Blau, die Freundin in Orange. Ada schreibt mit der rechten, die Freundin mit der linken Hand, Ada wünschte, sie wäre Linkshänderin und sagt immer Linkshändlerin. Zuhause schreibt sie mit links und sehr, sehr langsam. Ada und die Freundin sind Zwillinge und beste Freundinnen, Nachmacherinnen aber sind sie nicht. Malt die eine einen Hund, muss die andere etwas anderes malen, denselben Film mögen ist erlaubt, dasselbe Lied summen auch, im gleichen Moment das Gleiche sagen, sowieso. Sie lachen dann und rufen beide Zwillinge!

Tee und Orangen

Wenn Ada bei der Freundin schläft, hören sie bis in die Nacht eine Kassette, die ihr Vater für sie kopiert hat.