Abenteuer Glück - Ulrich Bauer - E-Book

Abenteuer Glück E-Book

Ulrich Bauer

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  • Herausgeber: TWENTYSIX
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Ulrich Bauer, geboren 1971 Es sind Geschichten aus meinem Leben, die diesem Buch zugrunde liegen. Diese Geschichten haben mein Leben verändert. Nicht freiwillig, sondern erst, nachdem Körper und Seele mich unmissverständlich dazu aufgefordert haben. Dieses Buch erzählt jedoch mehr: Dir begegnen darin wertvolle Gelegenheiten, Unfrieden wieder in Freiheit zu verwandeln. Du begibst Dich auf einen Weg, der dem Herzen folgt. Und, wer weiß, vielleicht erkennst Du Dich auf dieser Reise wieder. Willkommen im Abenteuer Glück ...!

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Seitenzahl: 261

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Inhalt

Einleitung

Teil 1 Der Mensch als Kind

Das Ende unserer Kindheit

Die Reise zum Ursprung

Warum sind die ersten Lebensjahre entscheidend?

Mit welchen Eigenschaften kommen wir auf die Welt?

Angeborene Lebensvoraussetzungen

Grunderfahrungen

Unterstützer

Kein Aggressionstrieb

Wir sind glücksfähig

Die Weiche ins Unglück

Kind A und Kind B

Ärger, Hass, Aggression

Hospitalismus

Angst

Prägungen

Die Funktion des Myelins

Wie geht es unseren Kindern?

Was ist die Lebensbasis unserer Kinder?

Das kindliche Umfeld

Teil 2 Der Mensch als Erwachsener

Der erste Schritt in Deine Innenwelt

Das kindliche Bewusstsein

Lernen wir dieses geheimnisvolle Wesen kennen.

Wie geht es uns Erwachsenen wirklich?

Depression

Suizid

Sucht

Aggression

Einstellungen und Überzeugungen

Negativ/unglücklich

Positiv/glücklich

Was nun?

Teil 3 Die Entscheidung, etwas zu tun

Werden wie die Kinder

Fühlen

Vergangenes Fühlen

Der Placebo-Effekt

Der Nocebo-Effekt

Verantwortung übernehmen

Werten und Bewerten

Umgang mit unbewussten Gefühlen

Selbstheilungskraft im Unterbewusstsein

Gegenwärtiges Fühlen

Fühle Dich

Humor

Begeisterung

Interview mit Prof. Dr. Gerald Hüther

Vertrauen

Vertrauen in menschliche Netzwerke

Selbstwert

Glaube und Vertrauen in das Unsichtbare

Vertrauen in das Unterbewusstsein

Teil 4 Der Umgang mit Kindern

Was ist ein Kind?

Das Herz unserer Kinder

Jungen und Mädchen sind unterschiedlich

Lernen

Orientierung

Pubertät

Was können wir für unsere Kinder tun?

Kinder haben ihren Platz

Der kindliche Selbstschutz

Umgang mit Kindern bei Trennung/Scheidung

Scheidungssituationen

Das PAS (Parental Alienation Syndrome)

Das MEIN wird zum UNSER

Auf Augenhöhe

Der Umgang mit Kindern ist im Wandel

Umsetzen

Unsere Gegenwart

Unsere Zukunft

Menschen, die bewegen

Dank

Anmerkung zur dritten Auflage

„Wenn wir wahren Frieden in der Welt erlangen wollen, müssen wir bei den Kindern anfangen.“

(Mahatma Gandhi)

In den fünf Jahren nach Veröffentlichung dieses Buches sind Veränderungen eingetreten, die zu der hier vorliegenden Neuauflage führten. Das bedeutendste private Ereignis betraf meine ehemalige Frau, die Mutter meines Sohnes. Sie verstarb ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Niemand konnte damit rechnen. So zog mein Sohn ein paar Monate nach Veröffentlichung der Erstausgabe im Alter von damals 16 Jahren bei mir ein. Auch bei meiner Tochter hat sich viel ereignet. Und wie es so ist, wenn man von privaten Geschichten erzählt, konnte ich in dieser Zeit sehr wertvolle und weiterführende Erkenntnisse in Erfahrung bringen, die den Inhalt dieses Buches ergänzen und abrunden. Das „Abenteuer Glück“ konnte dadurch reifen.

Das bedeutendste internationale Ereignis war der Beginn eines Krieges in Europa. Viele grausame Kriege werden auf der Erde geführt. Doch wenn Krieg in greifbare Nähe kommt, erhält er einen ganz anderen emotionalen Bezug. Da in diesem Buch Zusammenhänge über unser menschliches Machtstreben, unsere Gier und Aggression aufgezeigt werden, ist es mir ein persönliches Anliegen, zu einer friedlicheren Gesellschaft beizutragen. Wie es Gandhi ausdrückte, beginnt es in unserer Kindheit und wirkt weiter durch unsere Kinder. Wenn dieses Buch etwas für eine bessere Welt beiträgt, dann ist das auch für mich ein großes Stück Glück.

Dein Ulrich Bauer

Einleitung

Ich war auf der Suche nach Antworten. Fragen in mir drängten hartnäckig auf ihre Beantwortung. Manchmal bis spät in die Nacht, manchmal durch den Schlaf hindurch. Wie komme ich in meinem Leben weiter? Was kann ich tun? Wie mache ich alles richtig? Wie werde ich meinen Kindern gerecht, wie mir selbst?

Ich wusste keine Antworten darauf. Wie blind trieb ich durch mein Leben, gesteuert von Emotionen aus einer vergangenen Zeit. Dass es manchmal schwer wird, ist normal, doch den Halt sollte man niemals verlieren. Und so machte ich mich auf den Weg. Fand ich eine Antwort, kamen neue Fragen hinzu. Manchmal verirrte ich mich und musste zurück. Ein anderes Mal machte ich es richtig, ohne zu wissen, warum. Es kam Hilfe, ohne dass ich wusste, woher, und Trauer, deren Herkunft ich genau kannte. Es war ein Abenteuer, das mich ebenso an meine Grenzen brachte wie in den siebten Himmel. Ich lernte darin Mächte kennen, die lautlos, heimlich und aus dem Verborgenen heraus nach mir trachteten. Oft war es finster. Doch je weiter ich ging, umso heller und freundlicher wurde es. Am Ende war es entscheidend für den Frieden und die Freiheit in meinem Herzen. Von den Antworten, die ich darin gefunden habe, erzählt dieses Buch. Das Heft des Handelns liegt in den eigenen Händen. Fangen wir an, unsere eigenen Geschichten hineinzuschreiben.

Auf Dich wartet eine Reise von der Geburt bis zu dem Moment, indem Du jetzt gerade stehst. In ihr werden sich meine Erkenntnisse mit vielen Entdeckungen der Neurobiologie, Psychologie und anderen Wissenschaften verbinden. Ich erzähle davon in der Du-Form. Da die Reise zu persönlichen Geschichten aus meinem Leben und oft in die Kindheit führt, scheint mir das Du passender. Ich wünsche Dir eine spannende Zeit auf dieser Reise.

Teil 1

Der Mensch als Kind

Wer möchte nicht geliebt werden? Sehen wir uns das Verhalten von uns Erwachsenen an, fällt auf, dass viele eine fehlende Liebe aufzufüllen versuchen. Ein Mangel an Geborgenheit, Vertrauen, Anerkennung, Wertschätzung und Verbundenheit mit anderen Menschen führt zu einer inneren Leere. Wir versuchen, diese innere Leere unserer Herzen mit materiellen, digitalen oder oberflächlichen Möglichkeiten aufzufüllen und scheitern. Wir wollen mehr, immer mehr. Doch was übrig bleibt, ist Frust gepaart mit Einsamkeit, Traurigkeit, Aggressivität bis hin zur Selbstzerstörung. Was ist aus unserer Erwachsenensouveränität geworden? Von Natur aus war für uns ein ganz anderes Sein vorgesehen. Ein Ursprung, den wir bei unseren Kindern erkennen können, den wir selbst als Kind lebten. Die Verbindung zu diesen unserem zutiefst menschlichen Ursprung bleibt über unser ganzes Leben bestehen. Wir sehnen uns danach. Doch was ist dieser Ursprung? Machen wir uns auf die Suche und finden heraus, wie wir wieder in diese unsere Lebensessenz gelangen.

Das Ende unserer Kindheit

Wann endet eigentlich unsere Kindheit? Von der Geburt über die Kindheit durch die Jugend bis ins Erwachsenenalter sehen wir unser Leben auf einem Zeitstrahl. Grob unterteilen wir diesen Zeitstrahl in die drei Zeiten „Kindheit“, „Jugend“ und „Erwachsensein“. Bildlich könnte das so aussehen:

Unser Leben findet jedoch nicht nur im Erleben unserer Erwachsenenzeit statt. Oft bemerken wir nicht, dass unsere Kindheit gar nicht geendet hat. Kann es sein, dass das, was wir als Kind erlebten, neben unserem Erwachsensein weiterexistiert?

Da das Leben weniger statisch als vielmehr dynamisch verläuft, könnte man sich das bildlich so vorstellen:

Das, was wir in unserer Kindheit bis in die Pubertät in uns verankern, bleibt während unserer ganzen Lebenszeit erhalten und bildet eine parallele Bewusstseinsebene. Wir nehmen an, dass wir erwachsen sind, und merken oft nicht, wie stark uns zeitgleich unsere Erfahrungen, Prägungen und Rückschlüsse aus der Kindheit beeinflussen. Diese Beeinflussung ist so stark, dass sie unser Leben im Job, im Umgang mit anderen Menschen, in unsere Beziehungen hinein bis zu unserer Haltung gegenüber unseren Kindern zu einem wesentlich größeren Teil mitgestaltet, als es uns bewusst ist. Welche Erfahrungen haben wir gemacht? Welche Rückschlüsse haben wir daraus gezogen? Was haben wir in uns verankert? Und was hat das alles heute, genau jetzt, in unserer momentanen Lebenssituation mit unserem Glück zu tun? Um diese Fragen beantworten zu können, beginnt unser Abenteuer am Anfang unseres Lebens.

Die Reise zum Ursprung

Das Geheimnis unseres Glücks beginnt schon vor der Geburt. In den Entwicklungsprozessen vor und während unserer ersten Lebensjahre werden wichtige Weichen für unsere menschliche Glücksfähigkeit gestellt. Weichen, die uns sein lassen, wie wir ursprünglich gemeint sind, oder uns in Richtung Unglück leiten. Diese Weichen werden bei jedem Menschen in den ersten ca. zehn Lebensjahren gestellt. Um unsere heutigen Lebensumstände als Erwachsene zu verstehen, ist es hilfreich, diese Weichen anzuschauen, denn sie bleiben für unser weiteres Leben und verankern sich tief in uns. Sind wir in dieser Zeit auf dem „Gleis des Unglücks“ gelandet, liegt dort der Kern unseres heutigen Seins, verborgen in den Tiefen des Unterbewusstseins. Es ist sehr interessant, diese ersten Jahre daher unter die Lupe zu nehmen.

Warum sind die ersten Lebensjahre entscheidend?

Unser Gehirn ist plastisch und kann sich ein Leben lang immer wieder neu ausrichten. Doch die prägendste Zeit unserer Gehirnentwicklung beginnt vor der Geburt und erstreckt sich bis ins ca. neunte Lebensjahr. Von unseren Genen werden nur recht grobe Strukturen unseres Gehirns vorgesehen, frei nach dem Motto: Alles ist möglich. Was aus einem Menschen wird, kommt also nicht maßgeblich von den Erbanlagen, sondern von den Erfahrungen, die wir bereits in unserer embryonalen Zeit bekommen. Bekommen, nicht machen. Vor der Geburt hängen wir Menschen an den emotionalen Empfindungen unserer Mutter. Wir erleben das, was unsere Mutter emotional bewegt. Bereits ab dem dritten Monat können in den Gehirnen von Embryos Emotionen gemessen werden, die den Emotionen der Mutter gleichen, die von den Emotionen der Mutter kommen. Empfindet die Mutter Freude, Angst, Glück, Trauer, Stress, Gelassenheit, Panik usw., werden diese Gefühle eins zu eins durch Botenstoffe über die Plazenta mit einer Verzögerung von ca. eineinhalb Minuten an den Fötus übertragen. Anhand dieser emotionalen Prägungen legt das Gehirn seine ersten emotionalen Strukturen an. Die genetischen Signaturen werden dadurch angepasst. Damit wird bereits vor der Geburt angelegt, ob der neue Mensch eher gelassener oder aktiver, vorsichtiger oder mutiger, entspannter oder angespannter usw. sein wird. In dieser Zeit ist also die Mutter maßgebend für die grundlegenden emotionalen Ausrichtungen des Kindes.1 Nach der Geburt wird das Kind von allen Einflüssen geprägt. Und im achten bis neunten Lebensjahr geschieht dann etwas, mit dem die grundlegend prägende Zeit des Kindes ausklingt. Das Bewusstsein nimmt seinen Dienst auf.

In dieser Zeit wird der Bereich des bewussten Denkens vollständig aktiv. Durch die Ausbreitung des Gehirnfetts Myelin (wir kommen später noch genauer darauf zu sprechen) kann nun ein Mensch seinen Frontallappen (präfrontalen Cortex), der hinter der Stirn sitzt, vollständig nutzen. Ab dem achten, neunten Lebensjahr, in etwa zu der Zeit, wo die Eltern peinlich werden, kann ein Kind anfangen, sich selbst authentisch und bewusst zu entscheiden: Wie weit oder tief lasse ich diese oder jene Erfahrung an mich heran?

In diesen unseren ersten Lebensjahren werden wir geprägt durch die Erfahrungen, die wir bekommen, die wir machen. Diese Prägungen haben eine Dimension, die im Alltag leicht unterschätzt werden, denn sie bleiben ein Leben lang in unserem Unterbewusstsein gespeichert. Um zu erkennen, was da geschieht, fangen wir zu dem Zeitpunkt an, wo das „Wunder Leben“ sichtbar wird: bei der Geburt.

Mit welchen Eigenschaften kommen wir auf die Welt?

Wenn ein Mensch geboren wird, ist er im Besitz bestimmter Eigenschaften, die bei jedem Menschen mehr oder weniger gleich sind. Wir alle, ich genauso wie Du und jeder andere Mensch, kommen mit angeboren en Lebensvoraussetzungen und Grunderfahrungen auf die Welt.

Angeborene Lebensvoraussetzungen

Neugier

Bewegungsdrang

Bedürfnis, andere zu unterstützen

Kein Aggressionstrieb

Grunderfahrungen

Verbundenheit

Wachsen des Körpers, des Wissens und des Könnens

Wesensart aus den Emotionen der Mutter

Ist es nicht interessant, dass ausnahmslos jeder Mensch sein Leben mit diesen Voraussetzungen und Eigenschaften beginnt? Würde auch nur eine fehlen, wäre ein menschliches Leben kaum möglich. Die Neugier und der Bewegungsdrang führen dazu, dass der Körper durchblutet wird, sich die Muskeln aufbauen und der kleine Mensch lernt, sich zu bewegen, mit seinen Händen zu greifen und zu gehen. Wäre ein Mensch nicht neugierig, wüsste der Bewegungsdrang nicht, was er tun sollte. Würde sich ein Mensch nicht bewegen wollen, wüsste die Neugier nicht, wozu sie da ist. Kinder interessieren sich für alles in ihrer Umgebung, begeistern sich bei allem, was sie entdecken, und quittieren neue Erlebnisse mit Freude. Sie freuen sich frei von jeglichen Benimmregeln und lachen dabei offenherzig. Wenn man Kinder das tun lässt, sind sie glücklich. Durch den Bewegungsdrang und die Neugier fängt ein Mensch an zu erkennen, zu „begreifen“, zu lernen, zu erfahren, zu leben. Doch es fehlt noch etwas zum tief empfundenen Glück: die Grunderfahrungen.

Die erste Grunderfahrung ist die Verbundenheit. Sie ist im Grunde selbsterklärend. Zu keiner Zeit in seinem Leben kann ein Mensch mehr Verbundenheit erleben als im Mutterleib. Mit der lebensdurchströmenden Nabelschnur erfährt der Embryo eine essentielle Verbundenheit mit der Mutter, und das innerhalb ihres Körpers. Mehr Verbindung ist kaum möglich. Diese grundlegendste aller Erfahrungen prägt sich tief im Unterbewusstsein ein und wird dort während des ganzen Lebens bleiben. Daher ist die Verbunden heit für uns so bedeutend.

Die zweite Grunderfahrung ist das Wachsen. Jeder Embryo erfährt schon sehr früh im Bauch der Mutter sein Wachsen. Seine Gliedmaßen entwickeln sich zu kleinen Händen und Beinen. Er lernt, wo sie sich abwinkeln und dass da kleine Finger und Zehen dran sind, die sich hier und da biegen lassen. Schon vor der Geburt kann er z.B. gezielt seinen Daumen in den Mund stecken. Das Wachsen des Könnens und Wissens geht einher mit dem körperlichen Wachsen. Diese Grunderfahrungen des Wachsens in ihren drei Aspekten legen sich ebenfalls tief im Unterbewusstsein ab und wollen und müssen nach der Geburt immer wieder erfahren werden.

Mein Sohn ist im Alter von gut zwei Jahren mit einem Sandförmchen auf eine Wiese verschwunden. Als er nach einiger Zeit wiederkam, streckte er mir das Förmchen entgegen und strahlte dabei. Das Förmchen war randvoll mit Regenwürmern. Es war ein einziges Gewusel. Die Regenwürmer versuchten unter großem Körpereinsatz mit der „Sandförmchensituation“ zurechtzukommen. Seine Augen leuchteten erwartungsfroh. Wenn man sich bewusst macht, was er da geleistet hat, wird einem das Wachsen verständlicher. Könnte ich oder könntest Du innerhalb kurzer Zeit auf einer Wiese so viele Regenwürmer aus dem Boden ziehen, wie in eine Kaffeetasse passen? Ganz ehrlich, ich wüsste nicht, ob ich das schaffen würde. Er konnte es. Er wusste, wie das geht, obwohl er es zum ersten Mal in seinem Leben gemacht hat. So schnell wächst bei einem Kind nicht nur der Körper, sondern auch das Können und Wissen. Und wenn es nicht enttäuscht wird, bleiben die Augen auch erwartungsfroh.

Ohne Verbundenheit mit seinen Bezugspersonen ist es für einen Menschen schwer, in einen anderen Menschen und in das Leben selbst ein Grundvertrauen aufzubauen. Bewegen sich kleine Menschen mit Neugier auf das Leben zu, aus der Verbunden heit mit den wichtigsten Menschen – Mutter, Vater und Geschwistern – heraus, können sie während ihres Wachsens glückliche Erfahrungen in sich abspeichern.

Unterstützer

Kiley Hamlin und Karen Wynn (PhD an der Yale University) haben mit ihrem wunderschönen wissenschaftlichen Versuch „Helpers and Hinderers“ etwas Interessantes herausgefunden, das ich Dir im Folgenden näherbringen möchte. Du findest Beispiele von diesen Versuchen auch auf YouTube.2

Auf einer Holztafel zeigte man Kleinkindern im Alter von sechs Monaten nacheinander drei Situationen. Dabei saßen die Babys auf dem Schoß ihrer Mutter oder ihres Vaters direkt vor der Tafel. Diese Holztafel zeigte eine ansteigende Gerade, gewissermaßen einen Berg. Durch Schlitze bewegte eine Person hinter der Tafel drei Figuren: eine rote Figur in Form eines runden Holzstücks, eine blaue Figur in Form eines quadratischen Holzstücks und eine gelbe Figur in Form eines dreieckigen Holzstücks. Auf den Holzstücken waren jeweils kleine Augenpaare aufgeklebt, sodass sie für das Baby wie lebendige kleine Wesen erschienen. Somit wurden die Holzstückchen für die Babys zu Charakteren. Nach jeder Sequenz wurde die Tafel für kurze Zeit verdunkelt.

Erste Sequenz

Das runde Rote will den Anstieg erklimmen. Es kommt aber nicht gut hoch und rutscht oder rollt immer wieder hinunter. Am Ende muss es unten bleiben.

Zweite Sequenz

Das runde Rote will wieder den Anstieg erklimmen. Erneut fängt es an zu rutschen. Doch nun kommt von unten das quadratische Blaue und hilft dem Roten hinauf. Durch seine Hilfe gelingt dem Roten der Aufstieg. Das Rote ist nun oben und hüpft vor Freude. Und das Blaue geht nach unten zurück.

Dritte Sequenz

Erneut versucht das runde Rote den Anstieg zu meistern. Es tut sich wieder schwer. Da kommt von oben das dreieckige Gelbe und drückt oder boxt das Rote hinunter. Das Rote muss dadurch unten bleiben, und das Gelbe geht nach oben wieder zurück.

Nach der dritten Sequenz wurde die Tafel wieder verdunkelt. Die Babys durften ein paar Minuten auf dem Schoß ihres Elternteils warten. Dann wurde den Kleinkindern das gelbe und das blaue Holzstück zur Auswahl vorgelegt. Die entscheidende Frage war nun: Für welches der beiden Figuren würde sich das Kind entscheiden? Entscheidet es sich für den quadratischen blauen Unterstützer, oder nimmt es den dreieckigen gelben Unterdrücker zum Spielen?

Ergebnis

Ausnahmslos alle Babys entschieden sich für den quadratischen blauen Unterstützer. Indirekt wollten sie somit dem Roten helfen, den Berg hochzukommen. Keines der sechs Monate alten Kinder wählte den gelben Unterdrücker. Der Versuch wurde vielfach wiederholt. Dabei kamen mit der Zeit auch computeranimierte Filme zum Einsatz, aber das Ergebnis blieb dasselbe: Wir Menschen sind von Geburt an Unterstützer.

Kein Aggressionstrieb

Wir Menschen haben von Geburt an keinen aggressiven Trieb. Dennoch hält sich die Meinung einer im Menschen angelegten Grundaggression. In der Vergangenheit wurde diese These oft vertreten. Sigmund Freud formulierte die Theorie des Aggressionstriebs im Jahr 1920.3 Gemäß dieser Theorie hat der Mensch ein Spontanbedürfnis, anderen manchmal zu schaden oder sie sogar zu töten. Aggression ist nach Freud ein Urbedürfnis von uns. Später, in den vierziger, fünfziger und sechziger Jahren, wurde Freuds Theorie durch Konrad Lorenz radikalisiert. Aggression sei der primäre Instinkt, der primäre Trieb des Menschen. Nach Konrad Lorenz Theorie kann eine Bindung zwischen zwei Menschen nur zustande kommen, wenn sie ihre Aggressionen gemeinsam gegen einen Dritten richten. Mit seinem Bestseller Das sogenannte Böse (Erstveröffentlichung im Jahr 1963) popularisierte Lorenz den Aggressionstrieb.4 Liegt Aggression in unseren Genen?

Nein, die Aggression ist nicht in unseren Genen angelegt, wie der britische Zoologe Richard Dawkins in Das egoistische Gen zeigte (erstmals 1976 unter dem Titel The Selfish Gene erschienen).5 Auf molekularer Ebene kommunizieren unsere Gene permanent mit ihrer Umwelt. Heute ist es wissenschaftlich nachvollziehbar, dass sie sich zu jeder Zeit im Austausch mit dem Organismus befinden. Allein können unsere Gene nichts. Sie sind von der Zusammenarbeit mit vielen Molekülen abhängig und somit nicht egoistisch veranlagt.

In etwa zur gleichen Zeit wie Konrad Lorenz vertrat der britische Kinderpsychiater und Bildungsforscher John Bowlby eine andere These.6 Nach ihm ist der primäre Trieb des Menschen die Bindung und nicht die Aggression. Genau gleicher Meinung war seinerzeit Charles Darwin, der die Aggression nicht als Trieb, sondern als reaktives Verhalten beschrieb. Was stimmt nun? Die moderne Gehirnforschung gibt Charles Darwin und John Bowlby recht. Der Mensch hat keinen Aggressionstrieb. Wenn ein Mensch aggressiv ist, dann reagiert er in erster Linie auf Ausgrenzung und Schmerzen.7

Wir sind glücksfähig

Jeder einzelne Mensch, Du genauso wie ich und alle anderen, ist von Natur aus mit allem ausgestattet, was er braucht, um glücklich zu leben. Wir sind bewegungsaktive Wesen, die neugierig die Welt entdecken und dabei in Verbundenheit begeistert wachsen. Zudem sind wir soziale Wesen, die unterstützen wollen und Unterdrücker meiden. Aggression ist in uns nicht als Trieb oder Bedürfnis angelegt. Und das führt zu einer Wahrheit – zu einer menschlichen Wahrheit.

Das Glück will nicht und kann schlecht gesucht und gefunden werden. Es ist bereits da. Es war schon immer da. Es ist in Dir wie in jedem anderen angelegt und ein tiefer, fester Bestandteil unseres menschlichen Wesens, unseres Seins. Wir sind von Natur aus glücksfähig. Damit stellt sich nicht die Frage, wie wir glücklich werden können, sondern wodurch wir unglücklich wurden. Ein unglückliches Leben ist von der menschlichen Natur weder beabsichtigt noch vorgesehen. Unser Unglück tun wir uns selbst an.

Die Weiche ins Unglück

Wie können wir nachvollziehen, wodurch sich unser Glück ins Unglück verkehrt. Skizzieren wir dazu das familiäre Leben und die Entwicklung zweier Kinder. Nennen wir sie Kind A und Kind B. Um die Weiche gut sichtbar werden zu lassen, führen die beiden Beispiele in zwei deutlich verschiedene Richtungen. In unseren gelebten Familienrealitäten mischen sich die Wege und gehen mal mehr, mal weniger in Richtung des Beispiels A oder B. Allerdings gibt es auch sehr viele Familien, in denen weitaus extremere Umgangsformen vorzufinden sind, als im Folgenden dargestellt.

Kind A und Kind B

Kind A

Nehmen wir an, Kind A wird in eine Familie hineingeboren, in der es willkommen und erwünscht ist. Es wächst auf, wie es dem Erhalt seiner angeborenen Voraussetzungen, seiner Glücksfähigkeit förderlich ist. Als Embryo nimmt es freundliche Gefühle seiner Mutter auf, die aus ihrer natürlichen, lebensfrohen, lebensbejahenden und souveränen Art stammen. Nach seiner Geburt werden seine Erwartungen, an den Körper genommen zu werden, Haut zu spüren, getragen zu werden, seinen Platz auf dem Arm seiner Mutter oder seines Vaters einnehmen zu dürfen, erfüllt. Es ist immer und gerne mit dabei, mitten im Leben, allzeit willkommen. Durchlebt dann unser Kind A seine Kindheit, sieht es, wie seine Eltern in liebevoller, respektvoller und achtsamer Weise miteinander umgehen. Es kann Warmherzigkeit zwischen seinen Eltern erkennen. Mutter oder Vater geben sich zum Abschied oder Begrüßung einen Kuss, umarmen sich gelegentlich, führen verständnisvolle Gespräche und strahlen Harmonie aus. Es erlebt auch Meinungsverschiedenheiten und Streit zwischen seinen Eltern. Diese Auseinandersetzungen sind allerdings selten und werden in doch wertschätzender Weise geführt und geklärt. Das Vertrauen, das seine Eltern verbindet, wird dadurch nicht geschädigt. Das Kind erfährt eine Streitkultur, die zum Menschsein gehört und bei der es am Ende zur Versöhnung kommt. So kann unser Kind A seinem Familiensystem vertrauen. Es lebt in einer stabilen, zuverlässigen und liebevollen Gemeinschaft und fühlt sich sicher, geborgen und frei. Sein Grundvertrauen in das Leben festigt sich.

Wenn unser Kind A zu einem seiner Eltern kommt, wird es mit Wohlwollen empfangen. Seine Eltern nehmen es wahr, reagieren freundlich und gehen gewohnheitsgemäß, in selbstverständlicher Art, auf Augenhöhe mit ihm um. Sie sind interessiert an allem, was es macht und leben dennoch souverän ihr eigenes Leben. Wenn sie im Moment keine Zeit finden, geben sie ihm freundlich zu verstehen, dass sie sich später anschauen werden, was es ihnen zeigen möchte, sich später anhören werden, was es zu erzählen hat. Das Kind weiß aus Erfahrung, dass sich seine Eltern später tatsächlich die Zeit nehmen werden. Dadurch erlebt es Verbundenheit, sieht sich in seinem Wachsen von Wissen und Können positiv bestätigt und kann mit seiner Neugier und seinem Bewegungsdrang begeistert auf das Wunder Leben zugehen.

Stellen wir uns vor, dass unser Kind A nun auf sein Zimmer geht. Dort lassen wir es erst mal sein.

Kind B

Nehmen wir an, Kind B ist unwillkommen. Es war weder geplant noch erwünscht. Schon im Mutterleib erfährt es Unsicherheit, die sich durch viele negative Emotionen seiner überforderten Mutter bildet. Es herrscht Streit mit dem Vater, der das Kind nicht will. Dazu kommen Sorgen, wie seine Mutter mit ihrem Kind B überhaupt ihr Leben meistern soll. Seine Mutter fällt als Souverän aus. Kommt Kind B auf die Welt, werden seine Erwartungen nicht erfüllt. Alleine und verlassen muss es Stunde um Stunde Einsamkeit in seinem Bettchen oder Kinder wagen überleben. Seine lebensnotwendige Erwartung, an den Körper genommen und getragen zu werden, wird zu selten und zu kurz erfüllt. Es wächst in einer Familienatmosphäre auf, die für die angeborenen Voraussetzungen zu seinem Glück nicht förderlich sind. Beim Durchleben seiner Kindheit nimmt Kind B den Umgang seiner Eltern untereinander als feindselig wahr. Sie gehen verbal und nonverbal geringschätzig miteinander um. Einer von beiden weiß es oft besser und deutet, indem er die Augen verdreht, auf das Unvermögen des anderen. Seine Eltern gehen einander eher aus dem Weg, sehen lieber fern oder gehen aus, als sich wirklich miteinander auszutauschen.

Es fehlt die Wärme in der Familie, es ist kalt, wo es warm sein sollte. Wenn ein Elternteil geht, ist es dem anderen gleichgültig. Ebenso wenn der andere zurückkommt. Liebevolle Berührungen wie eine Umarmung sind selten. Kind B kann oft nicht einschätzen, wie der eine Elternteil auf den anderen reagiert. Manchmal schweigen sie für lange Zeit. Manchmal missbrauchen sie das Kind als Kommunikationsinstrument: „Sag mal dem Papa…“, oder: „Sag mal der Mama…“ Es kann weder seinen Eltern vertrauen, noch ihre Reaktionen erahnen oder einschätzen. Es fühlt sich einsam in einem unsicheren Familiensystem und kann kein Grundvertrauen in das Leben aufbauen.

Kommt Kind B zu einem seiner Eltern, ist der Zeitpunkt dafür so gut wie nie „richtig“. Sein Kommen wird in den meisten Fällen als störend bewertet: „Siehst Du denn nicht, dass ich keine Zeit habe, gerade am Kochen bin, gerade fernsehe, mich gerade ausruhen muss, am Handy schreibe, gerade einen Kaffee trinke…?“ usw. Es wird weder auf Augenhöhe noch in sonst einer Weise wahrgenommen. Für das, was es seinen Eltern zeigen möchte, besteht nur selten Interesse.

Kind B erfährt sich selbstüberlassen mit dem Gefühl der Einsamkeit. Sein Wachsen von Wissen und Können wird mehr und mehr bedeutungslos. Sein Bewegungsdrang schläft ein, und seine Neugier findet im Leben immer weniger Wunder. Was ihm bleibt, ist sein kaltes, hartes, lebloses Handy, das ihm Sozialkontakte vortäuscht.

Stellen wir uns vor, dass Kind B nun auch auf sein Zimmer geht. Dort lassen wir es ebenso wie Kind A erst einmal sein.

Wie geht es Kind A?

Kind A ist glücklich. Am Körper seiner Eltern getragen, nimmt es in selbstverständlicher Weise am Leben teil, lauscht den Gesprächen, baut Sozialkompetenzen auf, sieht sich verändernde Örtlichkeiten und Landschaften, wird beim Gehen hin und hergeschaukelt, baut seinen Gleichgewichtssinn damit auf, wird berührt, nimmt den Atem seines Vaters wahr, hört den Herzschlag seiner Mutter, nimmt die Gerüche seiner Eltern und der Umgebung wahr und erfährt so das Wunder Leben als spannende Welt. Es wird neugierig auf diese Welt. Dabei sind seine Eltern normal, leben ihr Leben wie zuvor weiter und bleiben souverän in ihrem Erwachsensein. So ist es auch für Kind A normal, ja selbstverständlich, mit dabei zu sein. Es kann mit seinen angeborenen und natürlichen Eigenschaften in Verbundenheit, im Wachsen, mit Bewegung und Neugier auf das Leben zugehen. Es muss sich keine Sorgen um das Leben und Überleben machen, da sein Familiensystem zuverlässig und sicher ist. Es kann sich vollkommen auf das Sein im Hier und Jetzt einlassen. In seinem Gehirn prägen sich die neuronalen Netzwerke positiv für die Zukunft. Es wird entweder in seinem Zimmer kreativ spielen oder mit seinen Eltern etwas unternehmen. Auch kann es draußen allein oder mit Freunden spielen, forschen, erfahren, lernen, versuchen, noch mal versuchen, etwas anderes versuchen, überrascht sein, freudig erregt sein, lachen, springen, hüpfen, begeistert sein und die Zeit vergessend mit seinem strahlenden Gesicht die Welt verzaubern.

Unser Kind A wird dadurch einen „Schatz“ in sich tragen, der ihm erst einmal gar nicht so bewusst ist. Aber dieser „Schatz“ hat Einfluss auf sein ganzes Wesen. Seine Entwicklung erfolgt aus einer Wahrheit heraus:

So, wie ich bin, bin ich richtig.

Wie geht es Kind B?

Bei Kind B sieht die Lage anders aus. Und hier wird es nun interessant. Wir könnten schlicht sagen, dass es – im Gegen satz zum glücklichen Kind A – unglücklich ist. Doch es empfindet erst einmal etwas anderes als Unglück. Wenn wir uns das Kind B in seinem Zimmer liegend oder sitzend vor Augen führen, erkennen wir eine Unruhe in ihm. Es kommt mit der Situation nicht zurecht. Warum? Was es als Säugling und Kleinkind erleben muss, ohne mitgenommen zu werden, getragen zu werden und ohne dabei zu sein, ist für uns Erwachsene gleichzustellen mit Folter. Allein in seinem Bettchen liegend, stundenlang bewegungslose und leblose Örtlichkeiten und Stofftiere ansehend, kann es nicht zurechtkommen. In seiner Umgebung ist einfach nichts lebendig. Es sollte eine sich ändernde Umgebung sehen und sieht unbewegliche Reichtümer. Es möchte Temperaturunterschiede erleben und erlebt sie nicht. Es möchte nach Lebendigem greifen, das nicht vorhanden ist. Es muss völlig selbstverständlich am gesellschaftlichen und familiären Leben teilnehmen und befindet sich im Nirgendwo. Es benötigt Verbundenheit und erlebt Trennung. Es muss wachsen dürfen und darf es nicht zeigen. Dazu kommt die Unsicherheit. Es kann sich auf seine Eltern nicht gut verlassen. Sie fallen immer mehr als liebevolle, interessierte, wertschätzende und gütige Bezugs personen aus. Was, wenn sie plötzlich ganz ausfallen? Was, wenn es allein zurechtkommen muss? Wie dem Kind B ist jedem Kind intuitiv bewusst, dass es allein nicht über leben kann. Das alles lastet schwer auf der kleinen Seele des Kindes B. Und es lastet nicht nur schwer auf der Seele. Nein, es tut ihm auch weh.8

Neue Erkenntnisse aus der Neurobiologie: Wenn Kinder aus der Verbundenheit und dem Wachsen dürfen herausgenommen werden, dann werden die Schmerzzentren in ihren Gehirnen aktiv. Diese Erkenntnis birgt noch einmal eine ganz andere Dimension für unser Kind B. Diese Schmerzen sind identisch mit körperlichen Schmerzen. Den Schmerzzentren des Gehirns ist es erstaunlicherweise gleichgültig, ob ein Kind eine Wunde an seinem Körper hat oder ob es aus der Verbundenheit und dem Wachsendürfen herausgenommen wird – sie feuern. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen körperlichen oder seelischen Wunden.

Das Erste, was also Kind B hat, sind Schmerzen. Sein Zustand der Ausgrenzung und Unverbundenheit aktiviert in seinem Gehirn die Schmerzzentren. Dadurch wird es unruhig. Unser menschliches Gehirn hat ein ausgeprägtes Schmerzfrühwarnsystem. Da Kind B wieder und wieder die Unverbundenheit erlebt, tut ihm allein die Vor ahnung, wieder abgelehnt zu werden, wieder aus seinem Wachsen genommen zu werden, wieder angeschrien zu werden, wieder ignoriert zu werden, weh. Nun kann ein menschliches Gehirn mit Schmerzen nicht dauerhaft umgehen. Schmerzen sollten zeitnah aufhören, am besten so schnell es geht. Dafür unternimmt das Gehirn einiges, was in seiner Macht steht. Und da die Zeit bei seelischen Wunden nicht heilt (darauf kommen wir später noch ausführlicher zu sprechen), muss unser Kind B etwas gegen seine Schmerzen unternehmen. Werden wir uns bewusst: Es muss – nicht vielleicht, nicht irgendwann – es muss zeitnah etwas dagegen unternehmen.

So wie sich bei Kind A ein „Schatz“ gebildet hat, festigt sich auch in Kind B eine Grundüberzeugung. Langsam, Schicht für Schicht, vom immer wieder Nicht-gesehen-Werden bis hin zur Einsamkeit, baut sich eine dunkle Wolke auf. Auch Kind B legt etwas in sich an. Es hat nicht das Format eines Schatzes, aber die Bedeutung ist ähnlich. Es wird seine eigene Wahrheit in sich abspeichern:

So, wie ich bin, bin ich -nicht- richtig.

In seinem „Nicht-richtig-Sein“ vereinen sich verschiedene Empfindungen im Kind B. So, wie ich bin, bin ich nicht liebens wert. So, wie ich bin, bin ich eine Last. So, wie ich bin, bin ich nicht wertvoll. So, wie ich bin, sieht man mich nicht. So, wie ich bin, mache ich nichts richtig. So, wie ich bin, bin ich nicht gut genug. So, wie ich bin, bin ich nicht willkommen und akzeptiert. Mehr als verständlich, dass es sich nicht als richtig erkennt, da ja vieles, was es macht, falsch und unerwünscht ist. Dieses „Nicht-richtig-Sein“ belastet Kind B auf der seelischen Ebene auf sehr traurige, unnatürliche Art. Wenn die dunkle Wolke so groß und mächtig geworden ist, dass die Sonne hinter ihr erlischt, wird auch das Strahlen in seinen Augen verschwinden.

Das Kind B muss mit seinen Schmerzen und dem Gefühl des „Nicht-richtig-Seins“ umgehen. Es stellt sich die Frage: Wie kann es darauf reagieren?

Je nachdem, wo die jeweiligen Charakterstärken des Kindes liegen, in welchem Umfeld es lebt und wie es veranlagt ist, beginnen sich nun verschiedene Verhaltensweisen in ihm zu entwickeln. Nachstehend sind einige bedeutende Verhaltens weisen skizziert. Welches das Kind B zuerst verfolgen wird, ist – wie gesagt – von Kind zu Kind unterschiedlich. Seine ursprüngliche Zuversicht und Gelassenheit wird es jedoch einbüßen, da diese angepassten Verhaltensweisen seine von Natur aus vorgesehene Leichtigkeit verändern.

Kind B reagiert

„Liebe kann man lernen. Und niemand lernt besser als Kinder. Wenn Kinder ohne Liebe aufwachsen, darf man sich nicht wundern, wenn sie selber lieblos werden.“

(Astrid Lindgren, Kinder- und Jugendbuchautorin)

Kind B reagiert mit Einfordern

Das Kind B reagiert erst einmal so, wie Kinder in so einer Situation sehr oft reagieren: Es fordert Verbunden