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»Opfergaben« – Teil 1 von AERA – Die Rückkehr der Götter: Das große Dark-Fiction-eSerial des Meisters der Phantastik! Es geschah. Von einem Tag auf den nächsten waren sie wieder da: Götter. Und zwar die alten Götter. Jene, welche die Bibel mit »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben« meinte – und deren Existenz die Heilige Schrift der Christen niemals in Abrede stellte. Interpol-Ermittler Malleus Bourreau ist Atheist geblieben in einer Welt, in der es vor Göttern nur so wimmelt. Und er ist gut in seinem Job, denn er hat keinen Respekt. Nicht vor Menschen und nicht vor Göttern. Sein aktueller Fall fordert ihn allerdings: Wertvolle Artefakte aus den verschiedensten Kulturen sind verschwunden, und die Diebe gehen dabei buchstäblich über Leichen. Wie hängen die Gegenstände zusammen? »Opfergaben« ist der erste Teil des zehnteiligen eSerials »AERA – die Rückkehr der Götter« von Markus Heitz: Malleus Bourreau muss zum einen den Mord an einem Souvenirhändler in Treva (Hamburg) lösen und kommt dabei einem weiteren Rätsel auf die Spur: Was hat es mit der verschwundenen Unbekannten aus der Bretagne auf sich? Die Hinweise führen über Umwege nach Lettland. Und auch der Souvenirhändler hat ein weiteres Geheimnis hinterlassen.
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Seitenzahl: 182
Markus Heitz
AERA Die Rückkehr der Götter
Episode 1 OPFERGABEN
Knaur e-books
»Opfergaben« – Teil 1 von AERA – Die Rückkehr der Götter: Das große Dark-Fiction-eSerial des Meisters der Phantastik! Es geschah. Von einem Tag auf den nächsten waren sie wieder da: Götter. Und zwar die alten Götter. Jene, welche die Bibel mit »Du sollst neben mir keine anderen Götter haben« meinte – und deren Existenz die Heilige Schrift der Christen niemals in Abrede stellte. Interpol-Ermittler Malleus Bourreau ist Atheist geblieben in einer Welt, in der es vor Göttern nur so wimmelt. Und er ist gut in seinem Job, denn er hat keinen Respekt. Nicht vor Menschen und nicht vor Göttern. Sein aktueller Fall fordert ihn allerdings: Wertvolle Artefakte aus den verschiedensten Kulturen sind verschwunden, und die Diebe gehen dabei buchstäblich über Leichen. Wie hängen die Gegenstände zusammen? »Opfergaben« ist der erste Teil des zehnteiligen eSerials »AERA – die Rückkehr der Götter« von Markus Heitz: Malleus Bourreau muss zum einen den Mord an einem Souvenirhändler in Treva (Hamburg) lösen und kommt dabei einem weiteren Rätsel auf die Spur: Was hat es mit der verschwundenen Unbekannten aus der Bretagne auf sich? Die Hinweise führen über Umwege nach Lettland. Und auch der Souvenirhändler hat ein weiteres Geheimnis hinterlassen.
Es geschah 2012.
Von einem Tag auf den nächsten waren sie wieder da: Götter.
Und zwar die alten Götter.
Jene, welche die Bibel mit Du sollst neben mir keine anderen Götter haben meinte – und deren Existenz die Heilige Schrift der Christen niemals leugnete. Oder in Abrede stellte.
Im 21. Jahrhundert rechnete jedoch niemand damit, dass die Götter zurückkehren. Mitten hinein in das, was man Realität nennt.
Sie ritten aus den Himmeln.
Sie stiegen aus Pyramiden, aus Tempeln, Schreinen und Heiligtümern, aus Wäldern, Sümpfen und Nebeln.
Sie sprachen zu den Ihren –
überall.
Mannigfaltig kamen sie und wirkten.
Die Meldungen über Sichtungen häuften sich und über die Wunder, die sie vollbrachten.
Egal ob Manitu, ob Mictlantecuhtli, ob Anubis, ob Odin und Thor, ob namenlose Naturgottheiten oder Legenden wie Mars und Hephaiston, ob Olorun, ob Erdmutter und Loa, ob Shiva oder Kami oder Manifestationen Buddhas oder Cai Shen – sie existierten.
Manche Götter traten vor Kameras, gaben Interviews und damit denen Mut und Antrieb, die immer an sie geglaubt hatten und deswegen verspottet worden waren.
Manche Götter eroberten sich ihre alten Kultstätten zurück, auf die vor allem die Christen ihre Kirchen gestellt hatten. Prächtige Bauten wurden dem Erdboden gleichgemacht und durch vergessene Symbole ersetzt.
Manche Götter lebten unter den Sterblichen, in alten Tempeln, in neu errichteten Anlagen, in Hochhäusern oder ganz alleine in unterirdischen Bunkern und kilometerhohen Türmen.
Manche von ihnen gründeten Firmen, um ihren Einfluss in der Welt der Sterblichen auszuweiten, mischten sich in Wertpapierhandel ein, betätigten sich in der Wirtschaft.
Und die Konzerne hatten ein enormes Interesse daran, mit den Göttern ins Geschäft zu kommen.
Manche Götter nahmen Ausgewählte mit auf andere Planeten.
Sie brachten Andenken von dort mit oder errichteten Gebäude, um dort zu verweilen. So sagen es die Gerüchte.
Und siehe, eine neue Ära der Historie begann: Aus Glaube wurde Wissen.
… nur die Christen, die Moslems und die Juden warteten vergebens.
Kein Gott, kein Allah und kein Jahwe.
Keine Engel, keine Dämonen.
Nicht einmal der Teufel erschien.
Die einst mächtigsten Religionen der Historie schrumpften zu Sekten ohne Gott. Ihre Anhänger wurden verlacht und verspottet.
Es folgten Massenkonvertierungen und Kriege, bis sich das Gefüge neu eingepasst hatte.
So änderte sich die Welt.
Ob zum Guten oder zum Schlechten – würde sich noch herausstellen …
OPFERGABEN
»Ich habe die Götter, die meine Eltern mich gelehrt haben, verehrt alle Zeit meines Lebens, und jene, die mir das Leben geschenkt haben, habe ich immer in Ehren gehalten.
Von den anderen Menschen aber habe ich keinen getötet und keinen eines mir anvertrauten Gutes beraubt noch sonst ein nicht wiedergutzumachendes Unrecht begangen.«
Ägyptisches Totenbuch,
um 1500 v. Chr.
Mich hätte das nicht interessiert.
Überhaupt nicht.
Wer in diesen Tagen lebt, kennt die Grausamkeiten, von alten abgefuckten Wesen begangen, von verblendeten dumpfen Menschen bejubelt. Oder auch mal umgekehrt.
Modern-komplizierter.
Archaisch-brachialer.
Wir stecken in einem beschissenen diametralen Gegensatz, und das macht uns fertig. Technik, Wunder, Grausamkeiten. Ohne meinen Wodka wäre ich am Arsch.
Als die Nachrichten Bilder aus der Via del Sudario sendeten, da dachte ich: Scheiß drauf.
Dann aber sah ich bei einem verhuschten Schwenk über die Hausfront ihn – den Mann, der aus dem Fenster blickte.
Man muss wissen, wer er ist, um ihn zu erkennen.
Er ist um die vierzig, per se nicht sonderlich auffällig, weder an Statur noch Gesicht, das recht schmal ist. Die schwarzen Haare trug er an den Seiten kurz, oben etwas länger und im Nacken ausrasiert. Er ließ sich neuerdings eine abgespeckte Version des Fu-Manchu-Schnittes mit Kinnbärtchen stehen, was zusammen mit den Stoppeln recht verwegen aussah, wie ein verfickter älterer Musketier – nur in männlich. Unterhalb des rechten Auges verläuft eine kaum sichtbare waagrechte Narbe, die ihm ein Messer verpasste. Das weiß ich.
Zusammen mit schwarzem Hut und runder Sonnenbrille war er so gut wie unkenntlich.
Aber nicht für mich.
Es gab für mich kein Halten mehr: Ich musste dorthin!
Ich füllte mit zitternden Fingern den Flachmann, zog mich an und kramte meine Automatik aus den Müllbergen meiner heruntergekommenen Bude.
Und seitdem folge ich ihm.
Er weiß nicht, dass es mich gibt. Aber ich bin da.
Ich bin da …
Italien, Rom, November 2019
Malleus betrachtete das Büro des Bürgermeisters, in dem sich nichts mehr befand, abgesehen von dem großen steinernen Schreibtisch in Grau, der den Tätern wohl zu schwer zum Mitnehmen und zu stabil zum Zerschlagen gewesen war; dafür hatten sie ihn mit aufrecht stehenden, roten Pfeilen beschmiert, wie ein Laie vermuten würde.
Hellere Rechtecke an den vertäfelten Wänden zeigten, wo einst Bilder gehangen hatten, staubfreie Flecken am Boden und auf den Teppichen sprachen von Gegenständen, die mitgenommen worden waren. Musikanlage, Boxen und andere elektronische Einbauten wie den Fernseher hatten sie fachmännisch entfernt, wie die heraushängenden Kabel bezeugten. Die Tür zum Tresor stand offen, darin herrschte gähnende Leere.
Was Malleus ins Auge sprang, waren grobe Seile, die bei näherer Betrachtung aus frischen, zähen Zweigen bestanden. Er konnte riechen, dass die Ästchen vor nicht langer Zeit abgeschnitten worden waren. Drei Schlingen lagen um den schweren Tisch, die Stränge führten zum offenen Fenster.
Man hätte vermuten können, dass die Diebe – aus welchen Gründen auch immer – statt Kunststofffasern Naturmaterial bevorzugt hatten, um den Tatort zu verlassen.
Dagegen sprach das, was am anderen Ende der Seile hing.
Leise knirschten die verdrehten Zweige, bewegten sich sachte, als würde jemand daran ziehen.
Malleus machte einige große Schritte durch das Zimmer und warf einen Blick aus dem Nachbarfenster, zuerst hinaus auf die Straße, die im Schein der untergehenden Sonne lag und voller Menschen war.
Die Neugierigen drängten sich in der Via del Sudario hinter den Polizeiabsperrungen. Es wurde fotografiert und diskutiert, einige gingen, manche kamen hinzu, angelockt von der Neuigkeit, um sie mit eigenen Augen zu sehen.
Malleus hob seinen Personal Digital Assistant – kurz PDA – und filmte die Menge in einem Schwenk. Dabei fing er auch die aufragenden Tempel und Paläste ein, die sich überall im Stadtbild in neuer Pracht erhoben, aufmerksamkeitsheischend mit Scheinwerfern beleuchtet; auf einzelnen Säulen und Flachdächern loderten Flammen in riesigen Feuerschalen.
Aus dem notdürftigen Instandhalten war nach dem Erscheinen der alten Götter ein prunkvolles Restaurieren geworden. Ein neues Rom entstand, prächtig und neo-antik.
Im Kolosseum strahlten die Lichter, beleuchteten die vielen Bögen und warfen helle Kegel in den sich verdunkelnden Himmel, um Jupiter zu grüßen.
Das Forum Romanum, einst buchstäblich ruinöse Touristenattraktion, erstand von Neuem. Die Arbeiten liefen noch, die Planungen für Neubauten gingen bis 2050, hatte Malleus in einer Zeitung auf dem Weg nach Rom gelesen. Die Götter wollten es so.
Die Götter wollen viel, dachte er.
»Monsieur Bourreau! Kommen Sie runter, damit wir das unwürdige Schauspiel beenden können«, rief einer der Kriminalkommissare in Zivil hinauf. »Die hingen lange genug.«
Malleus nickte und steckte den PDA ein, durchquerte den Raum und besah ihn ein letztes Mal, bevor er in den Flur trat und durch das Haus nach unten ging. Er trug seinen dunklen Gehrock, dessen Schnitt an indischer Herrenmode angelehnt war, darüber einen schwarzen Militärmantel mit extra hohem Kragen. Die Füße steckten in flachen, schwarzen Schuhen.
Unterwegs entzündete er eine seiner krummen, dünnen Zigarren, die sich Culebras nannten und richtig rochen und genug Qualm fabrizierten, um sämtliche Feinstaubmessgeräte der Welt zu überlasten. E-Zigaretten hasste Malleus ebenso wie Rauchverbote, daher ignorierte er beides. Er paffte eine Culebra mit grüner Banderole. Sie helfen am besten beim Denken.
Er hätte den herumbrüllenden Beamten korrigieren können: Er war kein Monsieur, weder Franzose noch Belgier. Er war Deutscher, so stand es zumindest in seinem Pass. Aber es hätte nur unnötig die Aufmerksamkeit der Menge erregt. Er mochte es nicht, erkannt zu werden, was trotz Sonnenbrille und Hut gelegentlich geschah.
Als Malleus das Freie betrat, ballten sich die Wolken zu einem grauschwarzen Konvolut, aus dem erste Blitze zuckten; leiser Donner grollte über den Köpfen und Gebäuden.
»Zeus kommt! Seht, er kommt und sieht nach dem Rechten«, hörte er im Vorbeigehen eine Frau voller Überzeugung sagen. Sie schoss wie eine Verrückte Fotos von den rollenden Gespinstformationen. »Er findet die germanischen Mörder noch vor der Polizei. Achtet auf seine Zeichen!«
Malleus rückte seinen Hut zurecht. Ihm lag vieles auf der Zunge. Beispielsweise dass es Zeus nicht interessierte, wer wen umbrachte. Dass Zeus bestimmt gerade eine wie sie hinter einem Busch vernaschte. Oder dass Zeus sich nicht die Mühe machte, sich als Gewitter zu tarnen. Zudem stand man auf römischem Boden, und damit wäre es Jupiter, der anrücken müsste.
Aber wer an diese scheinbar göttliche Show glauben wollte, glaubte eben an die Show. Seit ein paar Jahren gab es dazu die vermeintlichen Beweise. Überall auf der Welt.
Malleus blieb davon unbeeindruckt.
Für ihn gab es ein halbes Dutzend Erklärungen für die Rückkehr der Götter; beispielsweise dass Außerirdische es verstanden, wie man den menschlichen Geist übertölpelte, und sich in den Gesamtpantheon von Terra eingelesen hatten. Oder Massenhypnose in Kombination mit Technik, um den Menschen etwas zu geben, auf das sie Energie verschwendeten, sodass sie nun lieber zu Wesenheiten beteten, anstatt gegen Dinge und Zustände aufzubegehren. Das und vieles mehr zog er in Betracht.
Malleus schritt an der Absperrung vorbei und erreichte den grauhaarigen Ermittler, der passend zur Stadt auf den Namen Romano hörte. Der Mantel war auch grau, die Augen, die Barthaare, einfach alles an diesem Polizisten schien grau zu sein.
Sie schüttelten sich die Hand, dann wandten sich beide dem Haus zu.
Aus dem Fenster baumelte – gut sichtbar im Schein der Straßenlampen – eine männliche, nackte Leiche. Den Ausmaßen und Tätowierungen nach handelte es sich um Bürgermeister Emanuele Domenico, über dessen Kopf ein schwarzer Sack gezogen war. Rechts und links von ihm hingen toten Haushunde, ebenso aufgehängt wie ihr Herr. Schneeweiße Labradore; die Zungen ragten schlaff und lang aus den Schnauzen.
Der auffrischende Wind spielte mit den drei Körpern, die am frühen Morgen von Passanten entdeckt worden waren. Tiere und Mensch begannen einen grotesken Tanz, pendelten und stießen zusammen, drehten Pirouetten. An den Beinen des Mannes hafteten Exkremente, die inzwischen eingetrocknet waren.
»Eingenommen ist die Stadt Rom, die zuvor die ganze Welt besiegt hatte«, las Romano die gekrakelten Runen, die über den Fenstern geschrieben standen. »Und dazu wieder die aufrecht stehenden Pfeile.«
»Tīwaz: das T und die Rune des Gottes Tyr.« Malleus paffte an der krummen Zigarre, die in seinem linken Mundwinkel steckte und ihren Rauch gen Himmel sandte, als würde sie mit eigenen Zeichen protestieren. Er nahm die Sonnenbrille ab, um besser sehen zu können; die blauen Kontaktlinsen kaschierten, dass er verschiedenfarbige Augen hatte. »Stammvater der Germanen und in der späteren Mythologie zu einem Sohne Odins erklärt.« Er steckte die Hände in die Taschen und achtete darauf, die Brille nicht zu knicken. »Schlachtenlenker. Und Kriegsgott.«
»So weit waren wir auch schon.« Der graue Romano zuckte zusammen, als sich ein Blitz knisternd über den Himmel erstreckte und verblassend auflöste. Einige Zuschauer klatschten und priesen Jupiter. »Unsere Götter mögen es nicht, wenn Germanen Morde in ihrer Stadt begehen.«
»Würden sie es mögen, wenn sich die eigenen Gläubigen umbringen, Commissario?« Malleus grinste breit. »Die Götter sind sich mal wieder ähnlicher, als sie wollen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Tīwaz besitzt eine verwirrend große Ähnlichkeit mit dem Planetenzeichen für Mars. Da könnte man doch überlegen, ob Tyr, Jupiter und Zeus und Mars nicht doch …«
Romano schnaubte. »Keine blasphemischen Abhandlungen. Ich weiß, was Sie sind, Monsieur Bourreau.«
»Und genau deswegen stehe ich hier. Weil ich klar denken kann.« Malleus blieb in seinem Tonfall stets höflich. Er nahm die Rechte aus der Tasche und zeigte auf den Satz an der Wand. »Es ist ein Zitat, das dem Kirchenvater Hieronymus zugeschrieben wird, als er von Roms Plünderung durch Alarichs Truppen erfuhr. Das war im Jahr 410, nach christlichem Kalender.«
»Wissen wir.« Der graue Romano war entnervt, musste jedoch erdulden, dass er die gesamte Unterrichtsstunde bekam.
Das kostete Malleus aus. »Das ausgeräumte Büro spielt ebenso auf die Plünderung an.« Er zog die linke Hand aus der Tasche und nahm die Zigarre aus dem Mundwinkel, spuckte einige Tabakkrümel auf den Boden. Der Nachteil, wenn man das Ende anschnitt und nicht anbohrte. »Das Aufhängen an einem öffentlichen Ort, die Stränge aus Zweigen, die Kapuze über dem Kopf, die toten Hunde, das alles ist eine Reminiszenz an eine germanische Bestrafungsform. Sie haben ihn zudem hoch aufgehängt, was eine besondere Schmach darstellt.«
»Sie?«
»Es braucht mehr als zwei Männer, um Hunde zu bändigen, diesen Brocken von Bürgermeister zu hängen und das Büro komplett zu leeren.« Malleus zeigte mit dem Daumen hinter sich, die Zigarre malte wieder Rauchzeichen, während ein lauter Donner auf sie niedergrollte. »Sehr viel Aufwand.«
Die ersten Menschen verließen den Bereich. Man fürchtete das Unwetter oder eben doch, Opfer von Jupiters Zorn zu werden. Ein Blitz in den Boden würde etliche von den Beinen holen und schwer verletzt zurücklassen.
»Dachten wir uns auch schon.« Romano machte beschwichtigende Gesten in Richtung seiner Einsatztruppe, die zu den Leichen hinaufzeigte und anschließend in den Himmel deutete. Sie wurden nervös. »Alles in allem hielten wir es für einen religiös motivierten Mord: Germanen, die ihr Kommen ankündigen und Tyrs Macht zur Schau stellen wollen. Deswegen töteten sie Signore Domenico nach alter Sitte. Wir wollten die Expertise eines Fachmannes dazu. Sicherheitshalber, bevor wir damit vor die Medien und das Pantheon treten. Teilen Sie meine Einschätzung?«
»Pantheon. Richtig. Das wollte ich mir noch anschauen.« Malleus kratzte sich an der linken Augenbraue.
Romano blickte entsetzt. »Sie wollen nicht allen Ernstes einen Fuß in das Heiligtum setzen?«
Malleus lachte. »Was soll geschehen? Stürzt der Bau dann ein?« Er paffte und blies den Rauch nach oben. Der blaugraue Dunst stieg senkrecht hinauf, als könnten ihm die Böen nichts anhaben.
Der Ermittler hatte sich rasch wieder im Griff. »Ihre Sache, was Sie in Ihrer Freizeit anstellen. Nicht meine.« Er sah zu den Leichen, die stärker pendelten und sich drehten, als tanzten sie vor Freude, an der frischen Luft sein zu dürfen. »Dann lasse ich sie jetzt abschneiden.«
»Für meine genaue Expertise ist es noch zu früh. Ich werde mir die Schrift und Farbe genauer ansehen«, warf Malleus ein. »Doch wer immer diese Runen schrieb, war nach meiner ersten Einschätzung kein versierter Germane.« Er zeigte mit der linken Hand auf die Schrift an der Wand, deutete auf und ab, die Zigarrenglut zog die Runen in der Luft rot nach. »Krakelig, ungleich, unsicher. Auch die Tyr-Runen auf dem Schreibtisch des Opfers waren unsauber gemalt. Zeit hatten die Täter genug, also war Hektik nicht der Grund. Jemand, der den Anspruch seines Gottes öffentlich machen will, würde sich Mühe geben. Viel Mühe. Der Verfasser hier hat abgemalt.«
»Aha?«
»Das Erhängen war eine Diebesstrafe.« Malleus zeigte auf den Toten. »Eigentlich hätten sie ihm den Kopf abschlagen müssen und den Schädel separat zur Schau stellen. Es handelt sich immerhin um den Bürgermeister. Eine Persönlichkeit. Den Stellvertreter jenes Roms, das man brechen will. Und Blut wirkt auch besser, wenn es irgendwo runterläuft.« Er sah den Kommissar an. »Kennen Sie doch von den Opferungen in den Tempeln.«
Der graue Romano biss die Zähne fest zusammen, wie an den hervortretenden Wangenmuskeln zu sehen war. »Also doch nichts Religiöses?«
»Nein. Und dass die vermeintlichen Germanen den Tresor fanden, ihn öffneten ohne Gewaltanwendung …«
»Domenico hätte es ihnen verraten können.«
Malleus nickte ablehnend. »Denke ich nicht. Es gibt keinerlei Wunden, die auf Folter und Prügel hinweisen. Zumindest sind von hier aus keine zu erkennen. Dazu kommt: Sie haben alles Wertvolle mitgenommen – ausschließlich aus dem Arbeitszimmer. Was für eine Plünderung ist das denn?«
»Eine symbolische?«
»Ich bitte Sie, Commissario.« Malleus lachte Qualm in den Wind. »Germanen und gesittet? Bei einer Plünderung? Würde das zusammengehen?« Er paffte die Zigarre und schnippte den Stummel davon. Kaum hatte sie seine Hand verlassen, erlosch die Glut, und die Rauchkringel vermochten sich nicht mehr gegen die Böen zu wehren.
Ein leichter Regen setzte ein, und weitere Schaulustige entfernten sich. Nasser Boden leitete Elektrizität besser. Viele Gesetze der Physik griffen nach wie vor, auch wenn die Götter sich gezeigt hatten und manche es Wunder nannten, was geschah.
»Finden Sie heraus, woher die Gegenstände in Domenicos Büro stammten, denn ich wage zu behaupten: Nichts davon hat er bezahlt. Dann haben Sie den sehr irdischen Grund, warum er und seine Hunde aus dem Fenster baumeln«, empfahl Malleus. »Meine Vermutung: Jemand hat sich die Geschenke zurückgeholt sowie das Geld, das er dem Bürgermeister zuvor gegeben hatte. Kann sein, dass es ein Mafia-Arm war. Kann sein, dass es ein enttäuschter Industrieller war, der seine Repo-Leute nach Bestechungsgaben ausschickte. Und um die Spannungen zwischen Germanien und Italien anzufachen und vom eigentlichen Hintergrund abzulenken, stichelt man zwischen den Göttern.«
»So wie Atheisten?«, erwiderte der graue Romano schneidend.
Malleus lächelte. »Lieber Commissario! Atheisten können sich nicht über etwas lustig machen, was es nicht gibt. Das wäre ein Paradoxon.«
Romano sandte sein Team aus, das unter vielen halblauten Kommentaren Vorbereitungen zum Bergen der Leichen traf. »Dann sage ich den Medien, dass wir nicht von einem religiös motivierten Mord sprechen.«
»Wäre weiser, Commissario. Sie verlieren zwar den Vorsprung, weil die echten Täter danach wissen, dass Sie nicht auf das emotionale Ablenkungsmanöver hereinfielen, doch es ist seriös.« Malleus setzte zu einem weiteren Satz an, als sich kreischend ein Blitz aus den Wolken löste.
Die elektrische Spannung in der Luft wurde auf der Haut spürbar, die knisternde Energie jagte gleißend in den Bürgermeister und ließ ihn Funken schlagen.
Die Menge an der Via del Sudario schrie im Kollektiv auf.
Die Wucht der Entladung riss den Leichnam auseinander, das Blut spritzte über die Hauswand, der verbrannte Unterkörper klatschte auf die Straße, verkohlte Zehen zerplatzten beim Aufschlag. Die Innereien folgten, manche hingen wie lang gezogene Würmer aus dem Kadaver, bevor sie rissen. Der Geruch nach Exkrementen verstärkte sich.
Der Strang aus Zweigen hatte sich entzündet, das Tuch über dem Kopf fing ebenso Feuer und verbrannte das Antlitz des Ermordeten.
Die Schaulustigen starrten und schwiegen und dachten fassungslos nach, wie man dieses Zeichen des Gottes zu deuten hatte.
Malleus reichte dem perplexen Romano die Hand und schüttelte sie, ohne dass der Kommissar den Druck nennenswert erwiderte. »Sie täten gut daran, dieses Ereignis in der Öffentlichkeit zu einem späteren Zeitpunkt als göttliche Bestätigung für die kriminellen Machenschaften von Signore Domenico zu interpretieren. Jupiters Strafe oder so. Aber so schlau« – er ging los und winkte – »sind Sie von selbst, Commissario.«
Malleus zog die auberginefarbenen Handschuhe an, schlüpfte unter dem Absperrband hindurch und drängte sich durch die verstummte Masse, die den herbeispringenden Feuerwehrleuten zusah, wie sie die Kadaverreste mit Pulver löschten.
Ihn zog es ins Pantheon wie einen Wissenschaftler zu den schlimmsten Seuchenherden.
Ich folge ihm.
Auch am Abend der ersten Begegnung, von der er nichts bemerkt.
Wie locker er durch Roms Straßen geht – als fürchte er nichts und niemanden. Er hat keine Angst, das merkt man.
Es gibt verschiedene Geschichten über ihn, und alle habe ich gesammelt.
Er kämpfte in den Übergangskriegen, als sich Islam, Christentum und Judentum gegen die ubiquitären Götter auflehnten und echt dachten, sie könnten gewinnen.
Diese arroganten Narren. Sie kämpften gegen GÖTTER!
Und da ihre eigenen nicht auftauchten, endete es mit einer Niederlage. In den christlichen Hochburgen der USA, in Mittel- und Südamerika wurde es besonders unschön, aber auch in der arabischen Welt und dort, wo die Muslime stark gewesen waren, spritzte das Blut nur so. Auch Europa kam nicht ohne Tote aus.
Tja, so ist das, wenn Glaube auf Wissen trifft: Eines davon bleibt auf der Strecke.
Heute sind die Verfechter der ehemals mächtigen Religionen kleine Häufchen, die sich über die ganze Welt verteilt haben und belacht werden. Die Völker ohne Gott, so werden sie genannt. Nichts anderes als Sekten. Das eint sie. Scheißgeile Ironie, wenn man mich fragt.
Die Kirchen wurden eingerissen oder umgebaut und umgewidmet, den meisten Moscheen und Synagogen ging es ebenso. Hing vom Gott ab, wie tolerant er sich denen gegenüber zeigte, die ihn einst als Aberglaube abgetan hatten. Manche von ihnen wollten die Unterdrücker von einst einfach brennen sehen und schlachteten ganze Gemeinden ab. Muss viel Spaß gemacht haben, schätze ich, über Jahrhunderte angestaute Wut rauszulassen. Entchristianisierung nennen sie es.