Akte Witz - Folge 1: Die Turmkammer der schreienden Alraune - Rudolph Kremer - E-Book

Akte Witz - Folge 1: Die Turmkammer der schreienden Alraune E-Book

Rudolph Kremer

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Beschreibung

Das Alchemie-Museum im Ruhrstädter Hexenturm wird aufgelöst. Doch im Jahr 1519 hat der Alchemist Dr. Wundersam einen Fluch über die Stadt verhängt, der wirksam wird, wenn Unbefugte Hand an seine Turmkammer legen. Tatsächlich werden die Bürger bald von den Kreaturen des Gelehrten heimgesucht: Ein Galgenmännchen und ein Basilisk terrorisieren die Stadt, und die Alraune des Meisters stößt jede Nacht entsetzliche Schreie aus. Die Detektive Rud und Stan sollen Ruhrstadt retten...

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Seitenzahl: 175

Veröffentlichungsjahr: 2025

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In dieser Reihe bisher erschienen:

7001 Stefan Melneczuk Marterpfahl

7002 Frank W. Haubold Die Kinder der Schattenstadt

7003 Jens Lossau Dunkle Nordsee

7004 Alfred Wallon Endstation

7005 Angelika Schröder Böses Karma

7006 Guido Billig Der Plan Gottes

7007 Olaf Kemmler Die Stimme einer Toten

7008 Martin Barkawitz Kehrwieder

7009 Stefan Melneczuk Rabenstadt

7010 Wayne Allen Sallee Der Erlöser von Chicago

7011 Uwe Schwartzer Das Konzept

7012 Stefan Melneczuk Wallenstein

7013 Alex Mann Sicilia Nuova

7014 Julia A. Jorges Glutsommer

7015 Nils Noir Dead Dolls

7016 Ralph G. Kretschmann Tod aus der Vergangenheit

7017 Ralph G. Kretschmann Aus der Zeit gerissen

7018 Ralph G. Kretschmann Vergiftetes Blut

7019 Markus Müller-Hahnefeld Lovetube

7020 Nils Noir Dark Dudes

7021 Andreas Zwengel Nützliche Idioten

7022 Astrid Pfister Bücherleben

7023 Alfred Wallon Der Sohn des Piratenkapitäns

7024 Mort Castle Fremde

7025 Manuela Schneider Die Waffe des Teufels

7026 Rudolph Kremer Die Turmkammer der schreienden Alraune

7027 Alfred Wallon Heimtückische Intriegen

7028 Marco Theiss Ein Texaner gegen Chicago

7029 Uwe Niemann Das unreine Herz

7030 Nils Noir Damn Evil

7031 Rudolph Kremer Die Höhle des blauen Drachen

Die Turmkammer der schreienden Alraune

Akte Witz

Buch Eins

Rudolph Kremer

* * *

Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier

Redaktion: Danny Winter

Coverillustration: Studio Bono Muranaz

Grafik & Umschlaggestaltung: Lars Giesen

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.blitz-verlag.de

V2 05.02.2025

ISBN: 978-3-68984-219-2

Inhalt

Vorwort

Vorspiel

Ein schwarzer Tag für das Museum

Eine heiße Bieterschlacht

Der Schatten des Archivars

Unheimlicher Besuch im Schlafzimmer

Ein Geschenk zum Freundschaftspreis

Eine unliebsame Begegnung

Ein neuer Auftrag

Ein listiger Plan

Ein weiteres Monster

Täuschungsmanöver und Monsterjagd

Erste Enthüllungen

Eine Dame aus Adelskreisen

Stans Einstieg

Stans Abstieg

Der abtrünnige Mönch

Showtime für zwei vermummte Gestalten

Zugriff!?

Offene Fragen

Die große Offenbarung

Nachspiel

Das Hörspiel zu Serie

Über den Autor

Vorwort

Ruhrstadt. Lärmende Nachbarskinder stürzen den eigenbrötlerischen Groschenromanautor Rud Rubenstein in eine Schaffenskrise. Deshalb zieht er in ein kleines altes Bürohaus Auf dem Holzweg Null B. Da er jedoch den Maklervertrag nicht genau liest, hat er plötzlich einen Mitbewohner: Den lebhaften Gelegenheitsjobber Stan Lauchmann. Der eröffnet in der gemeinsamen Wohnung eine Detektei und verwickelt seinen unfreiwilligen Hausgenossen ständig in haarsträubende Abenteuer. Diese sind protokolliert in den Witz-Akten, die hier und jetzt geöffnet werden.

Als eines Tages das Alchemie-Museum im Ruhrstädter Hexenturm aufgelöst wird, spielen sich in der Stadt unheimliche Ereignisse ab: Ein alter Fluch scheint in Erfüllung zu gehen; die Kreaturen des Alchemisten suchen die Gegenwart heim, um das getilgte Andenken ihres Meisters zu rächen. Rud und Stan werden direkt in das Geschehen verwickelt. Ihre aberwitzigen Erlebnisse sind die Inspirationsquellefür den Ruhrstadt-Roman Die Turmkammer der schreienden Alraune.

Vorspiel

Vor dem Haupttor von Ruhrstadt, 1519.

Es war ein düsterer, stürmischer Novemberabend. Der aufgebrachte Wind fegte dem schwarz gewandeten Mann, der soeben zu Boden gestürzt war, den großen Schlapphut vom Kopf und peitschte ihm das tote Laub um die Ohren. Die erboste Menge reckte die brennenden Fackeln gen Himmel und skandierte: „Fort mit dem Hexer! Fort mit dem Hexer!“ Der einsame Mann lag für eine Weile regungslos im Dreck, am ganzen Körper zitternd, nach Luft ringend. Er fühlte sich von dieser Brandung purer Feindseligkeit überwältigt. Allein die Autorität des Bürgermeisters, der nun zwischen den geschundenen Dunkelmann und den empörten Mob trat, hielt die Leute davon ab, dem Ausgestoßenen auf der Stelle den Garaus zu machen. Die Menge wurde ruhiger. Der Bürgermeister erhob seine Stimme: „Hör zu, Magus! Du hast vernommen, was die Ruhrstädter von deiner Profession halten. Hiermit wird dir unwiderruflich befohlen, die Ruhrstadt unverzüglich zu verlassen und nimmermehr in ihre Bannmeile zurückzukehren. Solltest du es dennoch wagen, dich in diesen Gefilden noch einmal blicken zu lassen, so wirst du mit des Seilers Tochter Hochzeit halten.“ Die tosende Menge stimmte grölend zu. Plötzlich schien neues Leben in den erniedrigten Mann zu fahren. Er setzte seinen Schlapphut wieder auf und erhob sich, wobei er sich mit einer erhabenen Geste den Staub von der Kleidung klopfte. Er durchbohrte die Menge mit einem stechenden Blick. „So sei es!“, ertönte die helle blecherne Stimme des Magus. Die Fackelträger verstummten. „Ihr sollt euren Willen haben. Ich werde die Bannmeile dieser Stadt nie mehr betreten. Aber ich werde die Ruhrstadt, meine Heimat, stets in meinem Herzen tragen, so wahr ich allen Ruhrstädtern mein Leben lang mit den besten Absichten gedient habe. Ja, es mag sein: Ich habe über die Stränge geschlagen. Doch ich bin nicht mit teuflischen Mächten im Bunde. Gleichwohl kann ich euren Unmut verstehen. Daher wage ich eine letzte Bitte an euch zu richten: Mögemeine verlassene Wirkstätte in dieser Stadtdavor bewahrt bleiben, durch feindliche Hände entehrt zu werden.“ Die Menge begann entrüstet zu murren. Der Magus schien mit einem Mal zu wachsen. Ein letztes Mal erhob er seine markante Stimme: „Denn eines schwöre ich euch: Sollte irgendein Tunichtgut es wagen, Hand an meine alchemistische Kammer zu legen, so wird mein grauenhafter Fluch über diese Stadt und ihre Einwohner kommen.“ Das Volk verstummte. Ein kalter Wind kam auf. Der flackernde Widerschein der Fackeln spielte auf den entsetzten bleichen Gesichtern der Stadtbewohner und verwandelte sie in unheimliche unbelebte Masken. Der Magus hatte das Volkfür ein letztes Mal in seinen unwiderstehlichen Bann gezogen.„Ja, ich sage euch: Wenn ihr mein alchemistisches Heiligtum nicht in Ehren haltet, werden meine Geschöpfe, der Homunculus und der Basilisk, euch und eure Nachkommen derartig heimsuchen, dass in der Ruhrstadt Heulen und Zähneklappern herrschen wird und ein allgemeines Wehklagen über meine Verbannung!“ Ein plötzlicher Donnerschlag unterstrich diese Worte und erhellte für ein paar Sekunden das Gesicht des Magus, das einen stolzen, überlegenen Ausdruck erkennen ließ. Der aufgebrachte Pöbel schien zu Stein erstarrt. Dann drehte der Mann sich auf dem Absatz um und schritt in Seelenruhe davon, ohne sich noch einmal umzukehren.

1. Ein schwarzer Tag für das Museum

Ruhrstadt, Turmkammer des Magus, Gegenwart.

Uwe Unwirsch starrte gedankenverloren aus dem Fenster des alten Hexenturms. Die Skyline der Stadt war an diesem Morgen von Nebel verhangen. Die graue Ruhr schob sich träge durch den Kanal, der direkt am Museums-turm vorbeiführte, und erinnerte Uwe Unwirsch an ein schwerfälliges, bald ausrangiertesFörderband. Die trübe Atmosphäre dieses Tages passte zur Stimmung des Museumsleiters. Erwar angespannt und erschöpft zugleich. Seit Monaten konnte er nicht mehr richtig abschalten, weil er fieberhaft damit beschäftigt war, die Besucherzahlen seines alchemistischen Museums wieder zu erhöhen. Er hatte Anzeigen im Ruhrstädter Abendblatt geschaltet, Plakate kleben lassen, in der Fußgängerzone eigenhändig Flyer verteilt; er hatte mit Schulen telefoniert, sich Zugänge zu sämtlichen Social-Media-Kanälen verschafft, um dort auf die Kammer des Alchemisten aufmerksam zu machen; er hatte sogar angefangen, alberne Werbevideos zu drehen und ins Netz zu stellen. Mit einem einzigen Ergebnis: Es kam ihm so vor, als nähme die Welt die Werbung für seine Alchemie-Stube gar nicht wahr. Zum Glück lief das Foltermuseum im Turmkeller noch immer hervorragend. Uwe Unwirsch hatte fast das ganze Geld aus diesem Gewinn in die Werbung für die Alchemisten-Kammer gesteckt. Er hatte einst beide Turmmuseen vom Eigentümer des Hexenturms gepachtet und fragte sich nun, wie es sein konnte, dass der Ansturm auf die Folterinstrumente noch immer so groß war, während die geheimnisvolle, feingeistige Welt des Alchemisten keine Anziehungskraft mehr auf die Menschen ausübte. Dabei sah Uwe Unwirsch die Bewahrung dieser magischen Stätte als seine Lebensaufgabe an. Wehmütig blickte sich der Mittfünfziger in der Turmkammer um und liebkoste mit seinen Blicken zunächst das wurmstichige Schreibpult, auf dem das Notizbuch des Magus lag, dessen geöffnete Seiten mit mysteriösen esoterischen Zeichen bemalt waren, dann die zahllosen alchemistischen Gerätschaften, die ausgestopften Tiere und die vielen alten Wälzer, die im gesamten Raum verteilt waren, und schließlich die Wandvitrine mit der schreienden Alraune, einer Zauberwurzel, die ein menschenartiges Aussehen besaß und mit einem grotesk verzerrten Gesicht zu schreien schien. All diese Dinge waren ihm so vertraut und ans Herz gewachsen. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er Scharen von begeisterten Besuchern durch die geräumige Zauberturmkammer geführt hatte. Doch das war lange her. Uwe fühlte sich von der Gegenwart abgehängt, verraten. Er war ausgelaugt, verunsichert und der Verzweiflung nahe. Melancholisch schritt der Museumsleiter auf den langsam erblindenden Wandspiegel des alten Alchemisten zu. Was er darin sah, war ein alter, gramgebeugter Mann. Ja, er trug die Verantwortung für das Vermächtnis des Magiers auf seinen Schultern. Doch diese Bürde erschien ihm nicht als Last, sondern als Auszeichnung. Er, Uwe Unwirsch, war dazu auserwählt, die Turmkammer des Magus für die Nachwelt zu erhalten. Während er sich in dem antiken Spiegel musterte, richtete er sich langsam auf, sein Aussehen verjüngte sich. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Wenn er nur lang genug hinsah, glaubte er fast, hinter seinen eigenenZügen das Gesicht des Magus zu erblicken, wie es auf demkleinen Portrait in der Turmkammer zu sehen war: Der ernste, wissende Blick, der nur den Eingeweihten vorbehalten ist, diese stechenden grauen Augen, die den Betrachter durchdrangen und tief in dessen Seele zu lesen schienen …

Das Klopfen an der Turmkammertür riss Uwe aus seinen Gedanken. Er hatte beinahe vergessen, welchen wichtigen Besucher er an diesem Morgen erwartete. Dabei ging es nun darum, den nächsten, vielleicht tödlichen Angriff auf die Kammer des Alchemisten abzuwehren. „Die Tür ist offen!“, rief Uwe mechanisch. Die hölzerne Tür schwang knarrend auf und ein hochgewachsener hagerer Mann um die sechzig betrat den Raum wie ein Herrscher: Walter F. Walther, der Eigentümer des Hexenturms, war auf Uwes Wunsch erschienen. „Schön, dass Sie es einrichten konnten“, sagte der Museumsleiterhöflich undlud den Gast ein, auf einem alten Holzstuhl Platz zu nehmen. „Nein danke, ich stehe lieber“, gab Walther etwas schroff zurück. „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie gleich zum Punkt kommen könnten.“ Uwe atmete tief durch und sagte entschieden: „Gut. Ich habe Sie eingeladen, um Sie davon zu überzeugen, dass diese Kammer erhalten bleiben muss.“ Walther sah Uwe verständnislos an. „Wie bitte?“ – „Sehen Sie“, erklärte Uwe, „ich betrachte es als meine Lebensaufgabe, dies alles hier für die Nachwelt zu bewahren. Aber momentan gibt es gewisse Umstände … Um es kurz zu machen: Ich brauche Ihre Hilfe, Herr Walther.“ Der Eigentümer des Turmes blickte den Museumsleiter forschend an. „Meine Hilfe?“ – „Genau. Sie wissen ja“, fuhr Uwe fort, „die Besucherzahlen schwächeln momentan ein wenig. Ich unternehme aber alles Menschenmögliche, um sie wieder anzukurbeln. Nur leider ist die Alchemisten-Kammer akut bedroht, wenn der Pachtzinsfür diesen Raum zu stark steigt …“ – „Also daher weht der Wind!“, polterte Walther los. „Sie haben mich hierherbestellt, um mich zu bitten, auf diePachterhöhung zu verzichten! Wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Ich habe wirtschaftliche Zwänge!“ Uwe legte dem Turmbesitzer unwillkürlich seine Hand auf die Schulter. „Herr Walther! Sehen Sie sich diese Alchemisten-Kammer doch bitte einmal genau an. Alles ist so aufgebaut, wie es zur Zeit unseres großen Stadtzauberers Dr. Wundersam nachweislich aussah. Das Schreibpult mit dem aufgeschlagenen Notizbuch, die Regale mit den Reagenzgläsern, die zahllosen alchemistischen Requisiten …“ Walther befreite sich von Uwes Arm. „Als Eigentümer des Turmes kenne ich diese Räumlichkeiten nur allzu gut.“ Doch der Museumsleiter ließ sich nicht beirren. Er redete sich in einen regelrechten Feuereifer. „Schauen Sie hier zum Beispiel, die echte Alraune in dem Glaskasten, den Dr. Wundersam persönlich in die Wandnische neben der Tür eingebaut hat. Vor über 500 Jahren! Das Glas wurde noch nie ausgewechselt. Es ist alles völlig authentisch. Sie spüren doch auch die magische Atmosphäre dieser Turmkammer? Hier in diesem Raum atmen wir Geschichte. Man kann die Vergangenheit sehen und anfassen! Jeder kann an diesem Ort die alten Zeiten begreifen. So etwas darf man einfach nicht aufgeben!“ Walther hob abwehrend die Hände. „Das ist ja alles schön und gut, Herr Unwirsch. Ich verstehe Ihre Begeisterung. Aber Sie müssen auch meine Lage begreifen. Alles wird teurer. Ich habe Unkosten zu tragen. Und das Finanzamt steigt mir aufs Dach, wenn ich den Pachtzins nicht erhöhe. Ich würde zu wenig Steuern bezahlen.“ Uwe Unwirsch entgleisten die Gesichtszüge. „Das bedeutet aber, dass wir das Museum nicht halten können!“, brach es aus dem sonst so selbstbeherrschten Museumsleiter hervor und für den Bruchteil einer Sekunde sah er sich selbst vor seinem geistigen Auge als ein Abbild der schreienden Alraune. – „Tja, es tut mir leid“, entgegnete Walther entschlossen, „aber wie gesagt: Mir sind leider die Hände gebunden. Die Pachterhöhung ist unumgänglich.“ Uwe Unwirsch stand da wie betäubt. „Ich werde also das Alchemie-Museum verlieren?“, dachte er laut. – „Aber Sie haben doch noch das Folter- und Hexenmuseum im Turmkeller“, versuchte Walther ihn zu beschwichtigen. „Das läuft ja nicht schlecht. Die Turmkammer räumen wir frei für einen solventen Mieter. Die Leute stehen Schlange für diese historische Wohnung mit Blick auf die Ruhr.“ Ein Blitz durchfuhr Uwes Eingeweide. „Sie wollen das Museum wirklich auflösen und eine Mietwohnung aus der Alchemie-Kammer machen? Und was ist mit all den wertvollen Exponaten?!“, rief er empört. – „Die alten Sachen werden wir versteigern lassen“, meinte Walther kalt. „So bringen sie vielleicht noch was ein. Mal sehen. Es tut mir leid für Ihre Ambitionen, aber für mich ist die Sache damit vom Tisch. Es gilt natürlich die üblicheKündigungsfrist.“ Mit diesen Worten machte Walter F. Walther auf dem Absatz kehrt und steuerte die Kammertür an. Ambitionen! Dieses Wort klang wie Hohn in Uwes Ohren. Sein Lebenswerk … Das Vermächtnis des großen Dr. Wundersam … So sang- und klanglos sollte es verschwinden? „Einen Augenblick!“, rief Uwe, und Walther, der bereits die Tür hinter sich schließen wollte, drehte sich noch einmal um. „Sie wissen doch, was der Magus Dr. Wundersam den Nachfahren der damaligen Ruhrstädter prophezeit hat? Wenn irgendjemand Hand an seine Kammer legen sollte, wird sein Fluch über diese Stadt hereinbrechen.“ Für eine Weile starrte Walther den Museumsleiter ausdruckslos an. Dann verzog sich seine Miene zu einem boshaften Grinsen und er lachte laut auf. „Fluch? Ich bitte Sie. Das meinen Sie doch wohl nicht ernst?“ Und mit einem verächtlichen Grunzen schloss er die Tür hinter sich.

2. Eine heiße Bieterschlacht

So viele Menschen hatte die alte Turmkammer schon lange nicht mehr gesehen. Alle schienen noch einmal gekommen zu sein, um Abschied vom alchemistischen Museum zu nehmen. In Wahrheit waren jedoch fast nur Leute aufgetaucht, die ein reges Interesse an antiken, vielleicht gewinnbringend weiterzuverkaufenden Schnäppchen hatten. Natürlich waren einige Teilnehmer auch aus reiner Neugier dabei. Vor dem größeren Turmfenster, wo vorher das Schreibpult des Alchemisten gestanden hatte, war das Versteigerungspult der Auktionatorin errichtet worden. An der Wand direkt gegenüber der Tür, seitlich vom Publikum, saß Walter F. Walther mit verschränkten Armen und kritischem Blick, um den Verkauf seiner Gegenstände zu überwachen. Er war gespannt darauf, wieviel Geld das alte Inventar wohl noch einbringen mochte. An der anderen Wand, direkt unter der schreienden Alraune, kauerte Uwe Unwirsch mit zerknirschtem Gesicht. Dieser Auktion beizuwohnen brach ihm das Herz; aber er hatte keine Wahl. Und tief in ihm loderte eine finstere, grimmige Hoffnung; sein Glaube an den Fluch des Magus war ungebrochen.

Die Versammlung summte wie ein Bienenstock. Ein letzter Teilnehmer betrat den Raum: Dieter Sackmann, ein dreißigjähriger, etwas schusseliger Lebenskünstler, der in Ruhrstadt bekannt wie ein bunter Hund war, weil er mal diese, mal jene Arbeit annahm. Er sah sich ein wenig verwirrt im Raum um, bis er einen freien Platz neben einer jungen rotgelockten Frau entdeckte. Seine Miene erhellte sich. Die Dame erblickte ihn ebenfalls und verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. Ungeschickt kletterte Dieter über die bereits sitzenden Auktionsgäste hinweg, um zu dem freien Platz am Ende der Reihe zu gelangen. „Grüß dich, Sanja! Du auch hier?“, rief der Spätankömmling schnaufend, sobald er in Hörweite war. Die Angesprochene rutschte auf ihrem Stuhl zurück, um den mittlerweile schweißgebadeten Dieter vorbeizulassen. „Na, Dieter? Ich hatte dich schon vermisst. Mir war klar, dass so ein alter Sammlerfuchs wie du sich diese Auktion nicht entgehen lässt.“ Dieter nahm keuchend Platz. Sanja rückte ein Stück von ihm weg. – „Ich wusste gar nicht, dass du dich für Alchemie interessierst“, meinte Dieter verwundert. „In der Schule war Chemie doch nicht gerade deine große Liebe!“ – „Tatsächlich interessiert mich diese sogenannte Alchemie überhaupt nicht“, gab Sanja kühl zurück. „Ich soll nur das Notizbuch dieses Dr. Wunderlich für das Stadtarchiv ersteigern. Der alte Walther wollte es der Stadt ja nicht als Schenkung überlassen. Dieser Gierschlund. Dabei hätte es schon längst an einen ordentlichen Aufbewahrungsort gehört, an dem es vor dem Sonnenlicht geschützt ist. Die aufgeschlagenen Seiten sind doch bereits bis zur Unlesbarkeit verblasst. Ich hoffe, dass der Zustand der restlichen Seiten besser ist.“ – „Wundersam“, entgegnete Dieter. – „Was?“, fragte Sanja irritiert. – „Der große Alchemist von Ruhrstadt hieß Dr. Wundersam.“ Sanja verdrehte entnervt ihre grünen Katzenaugen. „Ist ja gut. Von mir aus.“ – „Und ich fürchte, du wirst in mir heute einen Konkurrenten haben“, fuhr Dieter fort. Sanja sah ihren Sitznachbarn überrascht an. „Ach ja?Bücher sind doch eigentlich nicht so deins!“, meinte sie spitz. – „Es ist ja nicht für mich“, erklärte Dieter, „sondern für einen Freund. Der will es seinem Mitbewohner schenken, als Überraschung. Einem bekannten Schriftsteller.“ Sanja ging ein Licht auf. „Du redest von Rud und Stan, diesem schrägen Detektivgespann?“ – „Genau“, bestätigte Dieter. „Stan hat mich beauftragt, das Buch zu ersteigern. Weil ich mich ja mit Auktionen auskenne. Und weil ich natürlich sowieso hierherwollte.“ – „Ist klar“, erwiderte Sanja und kicherte. „Na gut. Wir werden ja sehen, wer den Zuschlag bekommt. Ich habe immerhin das Stadtsäckel hinter mir.“ Mit diesen Worten zeigte Sanja Zahnig ihr breites, selbstbewusstes Grinsen, das ihr wie ins Gesicht gemeißelt war und das sie häufig für die Zeitung erstrahlen ließ – wenn sie als Stadträtin wieder eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben der Gemeinde spielte und bei der Einweihung eines Kindergartens ein Band durchschnitt oder bei irgendeinem anderen Anlass in der ersten Reihe stand. Wie immer ließ Dieter das maskenhafte, punktgenau eingesetzte Markenzeichen seiner einstigen Schulkameradin nicht unbeeindruckt. „Na ja. Ich selber bin schon mit einem kleinen Erinnerungsstück aus der Alchemisten-Kammer zufrieden“, antwortete er bescheiden. „Vielleicht dieses ausgestopfte Krokodil da.“ Doch Sanja hatte ihre Aufmerksamkeit bereits einer anderen Sache zugewendet. „Sieh mal“, zischte sie, „wie feindselig der Unwirsch den Walther fixiert. Hu, dieser Blick jagt mir einen kalten Schauder über den Rücken.“ Sie schüttelte sich. Dieter drehte den Kopf zwischen den beiden Männern hin und her. „Stimmt. Wenn Blicke töten könnten … Es ist jedenfalls nicht zu übersehen, dass der Haussegen zwischen dem Museumsleiter und dem Turmherrn reichlich schief hängt. Wer weiß, wie lange das Foltermuseum im Keller noch bestehen wird.“ Dieter lachte. „Vielleicht können wir hier bald auch ein paar Daumenschrauben oder eine eiserne Jungfrau ersteigern.“ Sanja grinste wieder. „Na, dann bist du ja sicher ganz vorne dabei. Ich weiß doch, dass du auf so was stehst, Dieter!“ – „Was?!“, krächzte der Gefoppte entgeistert. Aber er hatte keine Zeit, die böse Neckerei zu kontern. Denn die Auktionatorin, eine resolut wirkende Frau in den Fünfzigern mit dem klangvollen Namen Prunk, klopfte mit dem Hammer auf ihr Pult. Die Menge wurde ruhig. „Sehr geehrte Damen und Herren“, begann sie. „Hiermit eröffne ich die Versteigerung der Einrichtungsgegenstände des Ruhrstädter Alchemisten-Museums in einem ungewohnten, aber stimmungsvollen Ambiente: In der urtümlichen Alchemisten-Kammer des Ruhrstädter Hexenturms. Wir beginnen mit ein paar Original-Kolbengläsern und einer Kalabasse aus dem 16. Jahrhundert …“