Akte Witz: - Rudolph Kremer - E-Book

Akte Witz: E-Book

Rudolph Kremer

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Beschreibung

Ruhrstadt. Lärmende Nachbarskinder stürzen den eigenbrötlerischen Groschenromanautor Rud Rubenstein in eine Schaffenskrise. Deshalb zieht er in ein kleines altes Bürohaus Auf dem Holzweg Null B. Da er jedoch den Maklervertrag nicht genau liest, hat er plötzlich einen Mitbewohner: Den lebhaften Gelegenheitsjobber Stan Lauchmann. Der eröffnet in der gemeinsamen Wohnung eine Detektei und verwickelt seinen unfreiwilligen Hausgenossen ständig in haarsträubende Abenteuer. Diese sind protokolliert in den Witzakten, die hier und jetzt geöffnet werden. In diesem Buch bekommen es die Ruhrstadt-Detektive Rud und Stan auf drei Urlaubsreisen mit monströsen Frauengestalten zu tun: In Transsilvanien wollen sie, verkleidet als Vampir und Werwolf, an einem Gruselrollenspiel teilnehmen. Durch eine Verwechslung am Flughafen geraten sie jedoch auf eine echte Vampirfeier: Die Hochzeit der Lady Farlina. In Rom wird eine alte Landstraße von der Empuse, einer männerfressenden Dämonin aus der griechisch-römischen Mythologie, heimgesucht. Viele Männer sind ihr bereits zum Opfer gefallen, als Rud und Stan beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen, und dabei Kopf und Kragen riskieren. Vor der Küste Haifas soll häufig eine Meerjungfrau gesichtet werden. Zufällig stranden Rud und Stan in dieser Gegend mit einer Touristengruppe auf einer kleinen verlassenen Insel. Bald beginnt ein männlicher Tourist nach dem anderen zu verschwinden. Die Detektive haben rasch den Verdacht, dass die unheimliche Nixe ihre Hand im Spiel haben könnte.

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Inhalt:
Das Schloss der Vampirbraut
Das Reich der Empuse
Die Bucht der bissigen Meerjungfrauen
Vorwort
Das Schloss der Vampirbraut
Vorspiel
1. Zwei Monster auf dem Weg
2. Die verspätete Kutsche
3. Das Schlosshotel
4. Die aufgebrachte Prinzessin
5. Lustwandeln im Park
6. Überraschung im Verlies
7. Angriff aus dem Hinterhalt
8. Rutschpartie in die Unterwelt
9. Der Blutsauger-Ball
10. Der Fluchtversuch
11. Erste Rückkehr
12. Zweite Rückkehr
13. Der Wunsch zu fliegen
14. In Frankensteins Labor
15. Showdown auf den Zinnen
16. Das Dorf der Verdummten
17. Schrecken ohne Ende?
18. Unerwarteter Besuch
Nachspiel
Das Reich der Empuse
Vorspiel
1. Ein erschreckend lebensechter Tagtraum
2. Überraschung in der Pizzeria
3. Ein Herz aus Stein
4. Nachtwanderung
5. Ein bescheidenes Domizil aus Marmor
6. Der geheime Garten
7. Stürmischer Besuch
8. Dunkle Vergangenheit
9. Unheimliche Flurbegegnung
10. Ein Mann, ein Plan
11. Schreck in der Morgenstunde
12. Demaskierung im Park
13. Carlottas Liebe
14. Die Ruinenstadt
15. Das verschlossene Tor
16. Offenbarung im heiligen Hain
17. Trübe Stimmung
18. Katerfrühstück
Nachspiel
Die Bucht der bissigen Meerjungfrauen
Vorspiel
1. Eine sonnige Ausfahrt
2. Verschwunden
3. Der Tempel
4. Das Haus
5. Das Lagerfeuer
6. Nächtlicher Gesang
7. Eine Entdeckung
8. Eine Offenbarung
9. Die Begegnung
10. Der Meeresrat
Nachspiel

Akte Witz:

Monster-Frauen

Drei Rudbert-Rubenstein-

Reiseromane

Ruhrkrimi-Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2023 Dr. Rudolph Kremer

© 2023 Ruhrkrimi-Verlag

Taschenbuch: ISBN 978-3-947848-74-4

e-Book: ISBN 978-3-947848-75-1

Originalausgabe 2023

Titelbild:

© Eva Walther, Gestörte Mittagsruhe.

Acryl auf Leinwand, 2020

Alle Personen, Namen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Namen und Ereignissen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten!

Die Verwendung von Text und Grafik ist auch auszugsweise ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

https://www.ruhrkrimi.de

Vita des Autors

Rudolph Kremer, Jahrgang 1978, ist promovierter Altphilologe, evangelischer Theologe und Pädagoge. Er unterrichtet als Gymnasiallehrer im Osnabrücker Land. Aus seiner Feder stammen drei Monografien über das Geistesleben der alten Römer und diverse Erzählungen.

Als Erfinder und Autor der Hörspielreihe »Akte Witz«, die seit 2020 vom Maritim-Verlag produziert wird, präsentiert er mit »Monster-Frauen« die erste epische Trilogie zu den zwei Ruhrstadtdetektiven Rud und Stan.

Inhalt:

Vorwort

Das Schloss der Vampirbraut

Das Reich der Empuse

Die Bucht der bissigen Meerjungfrauen

Vorwort

Ruhrstadt. Lärmende Nachbarskinder stürzen den eigenbrötlerischen Groschenromanautor Rud Rubenstein in eine Schaffenskrise. Deshalb zieht er in ein kleines altes Bürohaus Auf dem Holzweg Null B. Da er jedoch den Maklervertrag nicht genau liest, hat er plötzlich einen Mitbewohner: Den lebhaften Gelegenheitsjobber Stan Lauchmann. Der eröffnet in der gemeinsamen Wohnung eine Detektei und verwickelt seinen unfreiwilligen Hausgenossen ständig in haarsträubende Abenteuer. Diese sind protokolliert in den Witzakten, die hier und jetzt geöffnet werden …

In diesem Buch bekommen es die Ruhrstadt-Detektive Rud und Stan auf drei Urlaubsreisen mit monströsen Frauengestalten zu tun: In Transsilvanien wollen sie, verkleidet als Vampir und Werwolf, an einem Gruselrollenspiel teilnehmen. Durch eine Verwechslung am Flughafen geraten sie jedoch auf eine echte Vampirfeier: Die Hochzeit der Lady Farlina … In Rom wird eine alte Landstraße von der Empuse, einer männerfressenden Dämonin aus der griechisch-römischen Mythologie, heimgesucht. Viele Männer sind ihr bereits zum Opfer gefallen, als Rud und Stan beschließen, der Sache auf den Grund zu gehen, und dabei Kopf und Kragen riskieren … Vor der Küste Haifas soll häufig eine Meerjungfrau gesichtet werden. Zufällig stranden Rud und Stan in dieser Gegend mit einer Touristengruppe auf einer kleinen verlassenen Insel. Bald beginnt ein männlicher Tourist nach dem anderen zu verschwinden. Die Detektive haben rasch den Verdacht, dass die unheimliche Nixe ihre Hand im Spiel haben könnte …

Das Schloss der Vampirbraut

Vorspiel

Unter dem blauen Himmel und der lachenden Mittagssonne erstreckte sich eine traumhaft schöne, menschenleere Naturlandschaft, eine üppige, wilde Vegetation aus Mischwald, Buschwerk und Gräsern – und mitten darin: Ein Abgrund. Eine bodenlose Schlucht, ein kleiner Canyon, in dem sich einer einsamen Insel gleich ein Felsplateau erhob, auf dem ein windschiefes Privatschlösschen errichtet worden war. Zu diesem Gebäude führte einzig eine alte wackelige Hängebrücke, die schon seit Jahren kein Mensch mehr betreten zu haben schien. Doch eines Tages hielt ein gelbes Postauto an dieser Brücke. Der arme Briefträger stieg blass aus dem Wagen. Er hatte das Bedürfnis, sich ein wenig von der durchrüttelnden Anfahrt zu erholen. Als er die Brücke erblickte, blieb er wie versteinert stehen. Er wurde nun kreidebleich: Denn an der Abbruchkante war kein Briefkasten zu entdecken. Wut stieg in ihm auf. Man konnte doch nicht von ihm verlangen, dass er sein Leben riskierte, um einen Brief … Da legte sich eine kleine Hand auf seine Schulter. Der Postbote fuhr zusammen und schrie auf.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken«, säuselte eine feine Mädchenstimme und der Mann blickte in die blauesten Augen, die er je gesehen hatte.

»Ich wollte nur diesen Brief entgegennehmen, um Ihnen den langen und umständlichen Weg über die Brücke zu ersparen.« Der Postbote begriff, dass diese junge Frau ihm soeben das Leben gerettet hatte, und händigte ihr erleichtert den Brief aus – einen seltsam altmodischen Brief mit transsilvanischem Poststempel, adressiert an eine gewisse Anabel von Scharfenstein, die Bewohnerin jenes einsamen Schlösschens, die ihm aber nun dankbarerweise so hilfreich entgegengekommen war.

»Vielen Dank, das ist sehr freundlich«, entgegnete er kurz angebunden und sah zu, dass er zu seinem Postauto zurückkehrte. Als er wegfuhr, machte sich auf dem hübschen Gesicht der jungen Frau ein maliziöses Lächeln breit. Sie blickte zufrieden auf den Brief und ging zurück zu ihrem Wohnwagen, den sie ein paar Meter von der Abbruchkante entfernt im Gebüsch geparkt hatte.

1. Zwei Monster auf dem Weg

Die Nacht lag wie ein schwarzes Tuch über der wilden karpatischen Gebirgslandschaft. Der helle Vollmond hatte sich hinter einer dunklen Wolke verkrochen. Zwei schattenhafte Gestalten stolperten hastig einen schmalen Bergpfad hinab. Sie rannten um ihr Leben. Der eine war ein vornehmer Vampir, der andere ein zottiger Werwolf.

»Der Mond könnte ruhig etwas heller scheinen! Man kann den Weg kaum erkennen«, klagte der Vampir schnaufend.

»Dann sieht man uns wenigstens nicht!«, grunzte der Werwolf. »Wir sind noch nicht weit genug vom Schloss entfernt. Wenn sie erst merken, dass wir weg sind, haben sie uns in Nullkommanichts eingeholt!«, setzte er keuchend hinzu. Beide waren am Ende ihrer Kräfte. Aber sie konnten sich keine Pause erlauben. Sonst fielen sie der blutdürstigen Meute zum Opfer. Plötzlich schrie der Vampir auf und stürzte zu Boden.

Der Werwolf erschrak: »Was ist los?«

»Ich habe mir den Knöchel verknackst!«, stöhnte der Vampir mit schmerzverzerrtem Gesicht und rieb sich den Fuß.

»O nein! Muss das jetzt sein?«, jammerte der Werwolf entnervt.

»Diese ganze Reise war von vornherein eine einzige Schnapsidee! Wie konnte ich mich nur dazu breitschlagen lassen?«, schimpfte der Vampir.

»Lamentieren hilft jetzt auch nicht. Komm, ich stütze dich!«, meinte der Werwolf und hatte seinen Freund schon aufgerichtet. »Es sind nur noch drei Kilometer bis zum Dorf. Das schaffen wir!« Der Vampir schrie auf. »Nein, mein Knöchel tut weh. Ich kann nicht mehr laufen.«

»Soll ich dich vielleicht hier zurücklassen?«, fragte der Werwolf verzweifelt. »O Mann, du hattest recht! Wir hätten diese Reise wirklich nicht machen sollen. Von Anfang an ist alles schiefgegangen!«

Sechs Stunden zuvor ...

Vor dem Fenster des Flugzeugs waren nur weiße Wattewolken zu sehen. Stan, ein junger Mann in einem verfilzten Wolfskostüm, war vor Begeisterung kaum auf dem Platz zu halten. »Mensch, Rud, in weniger als einer Stunde sind wir im Land des Blutfürsten Dracula!« Der Angesprochene, der in einen vornehmen schwarzen Umhang gekleidet war, hatte seine Augen geschlossen und tat so, als ob er schliefe. Damit konnte er seinen gesprächigen Sitznachbarn jedoch nicht täuschen. »Was hast du? Ist dir schlecht?«

»Nein«, knurrte Rud, »ich brauche nur ein bisschen Ruhe.« »Ach, komm schon, ich merke doch, dass es dir nicht gut geht. Du hättest diesen gammeligen Tomatensaft nicht trinken sollen. Davon wäre mir auch schlecht geworden«, ereiferte sich Stan. Rud versuchte, ihn weiter zu ignorieren. »Aber du musstest dich ja auf deine Rolle als Graf Dracula vorbereiten und diesen blutroten Saft trinken«, feixte Stan. Rud öffnete die Augen. »Es ist nicht der Tomatensaft. Es ist diese ganze Reise. Mitten in der Nacht aufstehen, am Vormittag wegen technischer Probleme in München notlanden, einen Tag lang am Flughafen auf einen Ersatzflieger warten, der am Abend mit Verspätung aus Italien kommt, und dann dein ständiges Gerede. Da braucht man schon mal seine Ruhe!«, brach es aus Rud hervor.

»Ist ja gut«, versuchte Stan seinen Freund zu beschwichtigen, »aber meine spontane Idee, die Wartezeit in München zu nutzen, um die Kostüme schon mal anzuziehen, gefällt dir doch? Du hast in deinem Vampir-Cape bereits viele bewundernde Blicke auf dich gezogen.« Ein Lächeln huschte über Ruds grimmiges Gesicht. Stans Schmeichelei schien zu verfangen. »Ich gebe zu, es ist ein interessantes Experiment. Wie diese ganze Reise«, sagte Rud in versöhnlichem Ton.

»Ja, ja! Du wirst sehen, sie wird dich zu einem großartigen neuen Roman inspirieren«, bekräftigte Stan. Das stimmte. Und diese Tatsache tröstete Rud. Normalerweise hatte er für Stans ausufernde Liebe zu Kostümpartys und Rollenspielen wenig Verständnis. Aber diesmal hatte Stan es geschafft, seinem Mitbewohner die Kombination aus Wochenendreise und Rollenspielparty schmackhaft zu machen. Immerhin war Transsilvanien seit dem Erfolgsroman von Bram Stoker ein Ort der Weltliteratur, und so etwas zog den Groschenromanautor Rudbert Rubenstein magisch an. Als der Flieger zur Landung ansetzte und die zwei Freunde sich bereit machten, erstmalig den Fuß auf transsilvanischen Boden zu setzen, ahnten sie nicht, dass sich in der Kabine der Flugzeugtoilette ein kleines, von allen unbemerktes Drama abspielte: Zwei Reisende aus Italien, die Rud und Stan in ihrer Verkleidung wie ein Ei dem andern glichen und bereits vor ihnen im Flieger gesessen hatten, waren kurz vor dem Landeanflug gemeinsam auf die Toilette gegangen und kamen nun nicht mehr heraus, weil sich die Tür verklemmt hatte.

2. Die verspätete Kutsche

Kurze Zeit später standen Rud und Stan auf einem kleinen Flughafengelände, das direkt in den karpatischen Urwald gebaut worden zu sein schien. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen. Die anderen Passagiere strömten zu einem alten Bus. »Müssen wir auch da einsteigen?«, fragte Stan.

»Nein«, entgegnete Rud, »wir werden doch von einer Kutsche abgeholt. So steht es jedenfalls im Prospekt.« Und bevor Stan irgendwelche Zweifel anmelden konnte, hatte die dunkle Waldstraße den Bus mit den Reisenden verschluckt. Jetzt waren Rud und Stan ganz allein. Um sie herum gab es nichts als Wiesen, Felder, Wälder und immer weiter zunehmende Dunkelheit.

»Du meine Güte«, meinte Stan kleinlaut, »hier ist ja wirklich nichts los. Wir stehen mitten in der transsilvanischen Pampa.«

»Nein«, verbesserte ihn Rud, der auf die gedankenlose Verwendung von Wörtern allergisch reagierte, »die Pampa liegt in Südamerika.«

»Na, auf jeden Fall ist das hier für mich die tiefste Walachei«, erwiderte Stan gereizt.

»Fast«, meinte Rud, »die liegt noch ein Stückchen weiter im Süden. Aber genau diese Richtung müssen wir einschlagen.«

»Dann hoffe ich nur, dass unsere Kutsche bald kommt«, brummelte Stan und setzte sich auf seine Reisetasche.

»Die taucht schon gleich auf«, entgegnete Rud und vertrat sich ein wenig die Beine. Das Gespräch verstummte für eine Weile. Man hörte nur den Wind, der durch die einsame Landschaft strich. Plötzlich keimte ein schlimmer Verdacht in Stan auf. Rud atmete tief durch.

»Was für eine herrliche Abendluft! Und diese Stille ...«, meinte er.

»Du, Rud?«, begann Stan zaghaft und der Freund warf ihm einen enervierten Blick zu. »Könnte es vielleicht sein, dass die Kutsche gar nicht mehr kommt, weil sie heute Morgen schon da war und wir nicht? Ich meine, das Hotel weiß doch gar nicht, dass wir einen halben Tag Verspätung haben.«

Rud winkte ab. »Ach was, die Fluggesellschaft hat das Hotel direkt informiert. Natürlich kommt die Kutsche.« Aber Stan zweifelte. »Bist du wirklich sicher, dass Ikarus Airlines die Info weitergegeben hat?«

»Selbstverständlich. Das wird immer so gemacht«, knurrte Rud und zeigte mit einer wegwerfenden Handbewegung an, dass er nicht mehr über die Sache reden wollte. Stan begann, in der Seitentasche seines Gepäckstücks zu kramen. Er glaubte, im Flyer gelesen zu haben, dass die Reisenden bei Verzögerung das Hotel selbst in Kenntnis setzen sollten. Natürlich hatte er am Münchener Flughafen auch nicht daran gedacht. Auf einmal zerriss ein schauriges Heulen die Nacht. Stan erstarrte in seiner Bewegung. »Was ist das?«, fragte er verängstigt.

»Das ist ein Wolf«, meinte Rud etwas gelangweilt.

»Hier gibt’s Wölfe?«, rief Stan entsetzt und konnte das Kippen seiner Stimme nicht vermeiden.

»Natürlich«, sagte Rud ruhig. »In diesen Wäldern leben sogar noch wilde Braunbären.«

»Ich dachte, die gäb’s nur in diesen Vampirgeschichten ...«, stotterte Stan.

»Nein, die Tiere sind real – im Gegensatz zu Vampiren, wenn es dich beruhigt«, erklärte Rud trocken. »Aber normalerweise gehen Wölfe und Bären den Menschen aus dem Weg.« Diese Bemerkung schien Stan nicht wirklich zu beruhigen. »Normalerweise? Dann hoffe ich, dass diese Kutsche kommt und wir uns nicht zu Fuß durch diese Wälder schlagen müssen.«

Wie auf Befehl waren plötzlich ein ratterndes Geräusch und das Getrappel von Pferdehufen zu vernehmen. »Siehst du? Da ist sie schon!«, sagte Rud. Er wirkte erleichtert. Stan kniff die Augen zusammen und blinzelte in die Dunkelheit. »Meine Güte! Man kann diese Kutsche kaum erkennen. So schwarz ist die.«

»Steht doch auch im Prospekt«, meinte Rud, »ein stilechtes traditionell-transsilvanisches Reisegefährt.« Allmählich hoben sich die Umrisse des finsteren Kutschwagens und der angespannten Rappen deutlich vom Schwarz der nächtlichen Waldstraße ab. Über den Pferden schien ein heller Fleck zu schweben. Rud und Stan starrten wortlos auf das näherkommende Gefährt. Da erkannte Stan, was zunächst wie ein geisterndes Irrlicht ausgesehen hatte: Der weiß schimmernde Fleck über den Pferden war das Gesicht des Kutschers, eines kleinen, verwachsenen Männleins, das unbewegt auf dem Kutschbock kauerte und die zwei wartenden Touristen mit seinem starren, eisigen Blick zu durchbohren schien. Stan lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Noch bevor er Rud etwas zuflüstern konnte, hatte der Kutscher gehalten, war vom Bock herabgesprungen und mit ausgestrecktem Arm auf die zwei Fremden zugelaufen. Stan erschrak über die plötzliche Behändigkeit des Männleins.

»Ah, guten Abend. Sie sind der Kutscher, der uns zum Hotel bringt?«, hörte er Rud fragen. Dann sah er, wie Rud dem Männlein die Hand geben wollte. Dieses schnappte jedoch direkt nach Ruds Koffer, und Stan wich unwillkürlich zurück, als gleich darauf nach seiner Reisetasche gegriffen wurde.

»Kommen, schnell!«, schnarrte das Männlein und hatte das Gepäck bereits in der Kutsche verstaut. Dann hielt es Rud und Stan die Kutschtür auf.

»Alle warten schon!«, sagte das Männchen, wobei es auffällig das R rollte und ungeduldig mit der Hand winkte. Als Rud und Stan noch versuchten, es sich in der Kutsche bequem zu machen, hatte der Wicht die Tür mit einem lauten Knall schon wieder ins Schloss geworfen und war in Windeseile auf den Kutschbock gesprungen, um die Tiere mit einem lauten Schnalzen in Bewegung zu versetzen. Dann begann eine wilde Fahrt über Stock und Stein. Rud war heilfroh, dass seine Reisetablette gegen Übelkeit noch wirkte.

Stan fand endlich seine Sprache wieder. »Sag mal, Rud, was ist denn das für ein Kutscher? Hat nicht gegrüßt, keine Miene verzogen. Er hat nicht mal auf deine Frage geantwortet. Oder sind solche Begrüßungen in Rumänien üblich?«

Rud lachte kurz auf. »Bist du hier der passionierte Rollenspieler oder ich?«, fragte er seinen Freund, der ihn immer noch verständnislos ansah. »Das Gruselspiel hat schon begonnen, Stan. Dieser bucklige Kutscher ist eben bereits voll in seiner Rolle und bringt uns jetzt zu den anderen Irren, die sich alle irgendeine unheimliche Identität zugelegt haben. Das heißt, ich bin ab jetzt der Graf und du bist mein treuer Diener.« Rud schien sich in dieser Rolle zu gefallen. »Natürlich, das weiß ich doch«, sagte Stan, »ich hab ja eben auch nur so getan, als hätte ich das Ganze nicht durchschaut. Ich bin schließlich nur ein dummer Werwolf.«

»Genau. Das bist du«, antwortete Rud und grinste. »Jetzt bin ich doch wirklich gespannt, welche Geschichte man sich für uns ausgedacht hat.«

3. Das Schlosshotel

Ehe sich Rud und Stan versahen, hatte die Kutsche gehalten und sie waren vom Kutscher mit ihrem Gepäck ins Freie befördert worden. Als das Gefährt davon ratterte, blickten die Freunde sich verwirrt um. Sie fanden sich auf einem Berg wieder. Vor ihnen ragte eine mächtige steinalte Festung in den Himmel, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hatte.

»Das Hotel sah in dem Prospekt aber ganz anders aus«, meinte Rud verunsichert. »Von Schloss war überhaupt keine Rede!« – »Ach was, Hotel!«, raunzte Stan abfällig, »das hier ist doch viel besser! Ein echtes Dracula-Gruselschloss. Wir sind eben schon mittendrin im Rollenspiel. Das hast du doch gerade selber gesagt.« Da konnte Rud nicht widersprechen, auch wenn ihm das Ganze seltsam vorkam. »Guck mal, ein richtiger alter Türklopfer!«, rief Stan begeistert, als er den metallenen Ring an dem riesigen Eingangstor bemerkte. Und noch bevor Rud etwas erwidern konnte, hatte Stan den Klopfer betätigt. Ohne eine Verzögerung öffnete sich die Tür mit einem grässlichen Knarren. Vor Rud und Stan stand eine bucklige kleine Gestalt – es war der Kutscher, diesmal allerdings in der Uniform eines livrierten Dieners. »Das ist doch derselbe, der den Kutscher gespielt hat«, flüsterte Stan irritiert. – »Ja«, gab Rud belustigt zurück, »das ist genau wie bei Bram Stoker. Dann ist er sicher auch der Graf.« Stan fragte sich noch, wie der Mann sich so schnell umgezogen hatte, da griff der Butler bereits nach Koffer und Reisetasche und schnarrte: »Eintreten, schnell, eintreten!« Rud und Stan folgten und fanden sich in einer geräumigen Empfangshalle wieder, an deren zwei Seiten jeweils eine große Treppe zu einer Galerie hinaufführte. Ächzend und keuchend schleppte das Männchen das Gepäck zum Absatz der rechten Treppe, um es dort abzustellen. Dann drehte es sich abrupt um, musterte Stan mit einem stechenden Blick und humpelte zur Wand, um eine rostige Eisenkette von einem Haken zu nehmen und damit auf Rud zuzugehen. »Für den Wolf!«, zischte der Mann. Rud verstand. »Ach, ich soll meinen Begleiter an die Kette legen? Er ist eigentlich ganz friedlich und hat mir versprochen heute nicht zu beißen«, meinte Rud, wobei er sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. Stan war empört. »Fesseln für mich? Ich bin ein freier Werwolf!«, rief er trotzig. Aber das Männchen ließ nicht mit sich reden. »Den Wolf anketten, bitte!«, sagte es mit strengem Blick und rasselte vor Ruds Nase mit der Kette herum. »Na schön«, erwiderte Rud großzügig, »aber legen Sie ihm ruhig selber das Halsband an.« Und dabei machte Rud ein so gebieterisches Gesicht, dass der Diener, ohne zu zögern, mit der Kette auf Stan losging. Dieser war perplex und wusste nicht, wie ihm geschah. »Jetzt mach schon mit, alter Rollenspieler!«, flüsterte Rud ihm schadenfroh zu. Stan strafte seinen Freund mit einem vernichtenden Blick. Doch da hatte der Diener ihm schon die Eisenkette um den Hals gelegt und Rud das andere Ende in die Hand gedrückt. Dann griff er wieder nach dem Gepäck und quälte sich stöhnend und pustend die Treppen zur Galerie hinauf. Rud und Stan folgten ihm, der eine belustigt, der andere verstimmt.

Oben angekommen, führte das Männlein die beiden unter schrecklichem Keuchen und Husten einen langen Gang hinunter, bis es atemlos vor einer Tür stehenblieb und einen rostigen Schlüssel im Schloss umdrehte. Die Tür schwang knarrend auf und der Butler schleppte, anscheinend in einer letzten Kraftanstrengung, die Gepäckstücke in den Raum. Dann winkte er den beiden Gästen, die mit fragenden Gesichtern vor der Tür stehengeblieben waren, ins Zimmer zu kommen.

Rud und Stan folgten sprachlos. Die Räumlichkeit war, abgesehen vom Staub mehrerer Jahrhunderte und von zu Fetzen zerschlissenen, ausgebleichten Vorhängen an den Fenstern, fast völlig leer. Nur in der Mitte des Raumes stand eine alte längliche Holzkiste, in der ein ausgestreckt liegender Mensch bequem Platz finden konnte, daneben lag ein Bündel Stroh auf dem Boden.

»Das große Gemach für die hohen Herrschaften«, schnarrte das Männlein und verbeugte sich vor Rud und Stan, als wären sie soeben in die Präsidentensuite geführt worden. Die zwei kamen sich verschaukelt vor. »Nun ausruhen, bitte. Igor kommt bald wieder«, sagte der Diener und verzog seine schmalen Lippen zum ersten Mal zu einer Art Lächeln, das ein paar ungepflegte, äußerst spitze Zähne offenbarte und seinem Gesicht einen bösartigen Ausdruck verlieh, sodass es Stan erneut einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Dann wurde das Männchen wieder ernst und fixierte die Gäste mit seinem kalten durchdringenden Blick, während es sich unter zahllosen Verbeugungen rückwärts schlurfend aus dem Raum entfernte und die furchtbar quietschende Tür vor sich schloss.

»O Mann, der spielt seine Rolle wirklich gut«, meinte Stan, wobei er versuchte, die Angst aus seiner Stimme zu verdrängen. Ruds Miene war zu Stein erstarrt.

»Sag mal, Stan, diese Rollenspielfetischisten glauben doch wohl nicht im Ernst, dass sie uns hier in dieser Bruchbude unterbringen können? Wir haben ein ordentliches Hotelzimmer gebucht.« Stan wusste, dass der Spaß für Rud aufhörte, wenn die Dinge nicht so verliefen, wie er es sich vorstellte – erst der pannenhafte Flugzeugwechsel in München, nun dieses unwirtliche, schmutzige Zimmer ohne Einrichtung. Vor allem war mit Rud nicht gut Kirschen essen, wenn er um seine Nachtruhe gebracht wurde. Stan blickte sich hilfesuchend im Raum um. Dann sah er etwas: »Guck mal, da ist noch eine Tür in der Wand. Das hier ist bestimmt nur der Vorraum. Mit der Schlafstätte für den Vampir und seinen Werwolf. Und nebenan ist sicherlich das richtige Hotelzimmer, mit Bett und Dusche.«

»Das ist wahrscheinlich nur ein Wandschrank«, entgegnete Rud grimmig.

»Das glaube ich nicht«, ereiferte sich Stan, und leise zu sämtlichen Göttern flehend, dass es nicht so wäre, eilte Stan zu der Wandtür, um sie zu öffnen. Sie war verschlossen.

»Und abgeschlossen ist der Wandschrank auch noch«, knurrte Rud. »Diesen Igor werde ich mir gleich vorknöpfen.«

Aber Stan gab noch nicht auf. »Warte, Rud, ich hab doch meinen Dietrich dabei«, sagte er und kramte im Gepäck nach seinem Einbruchswerkzeug, das er für alle Fälle immer bei sich trug. In diesem Moment öffnete sich die Zimmertür und Igor, der bucklige Butler, stand wieder im Raum. Er wirkte nervös. »Da sind Sie ja«, begann Rud und wollte gerade seinem Unmut Luft machen, da hatte der Gnom ihn bereits am Ärmel gepackt, um ihn aus dem Zimmer zu ziehen. »Mitkommen, eilig, sehr eilig, Prinzessin Farlina wartet.«

»So? Die Dame des Hauses will mich also empfangen? Sehr gut. Dann werde ich ihr gleich ein paar Takte erzählen. Aber meinen Ärmel können Sie ruhig loslassen«, sagte Rud bestimmt und folgte dem unruhig vor ihm her wackelnden Diener.

»Soll ich auch mitkommen?«, fragte Stan verwirrt.

»Nein, du bleibst hier. Wenn ich wiederkomme, will ich Ergebnisse sehen«, gab Rud in barschem Ton zurück und hatte die Tür hinter sich zugezogen. Ein wenig zurückgestoßen kam Stan sich schon vor. Aber er kannte Ruds Art und wusste, er musste diese vermeintliche Wandschranktür öffnen, um Rud nach dessen Rückkehr Bett und Bad zu präsentieren – oder eben doch nur einen Schrank. Also kramte er sein Schlüsselset hervor und begann, sich am Schloss der Tür zu versuchen. Da er dieses Werkzeug bei seinen detektivischen Ermittlungen oft nutzte, sollte die Öffnung der Tür für ihn kein Problem darstellen. Wie erwartet, hatte er das Schloss nach nur wenigen Sekunden geknackt. Aufgeregt zog er die Tür auf – und erschrak.

 

4. Die aufgebrachte Prinzessin

Igor überschlug sich fast, als er mit Rud im Schlepptau keuchend und ächzend die Treppen hinab eilte, die Empfangshalle durchquerte und einen langgezogenen Saal ansteuerte, in dem ein fast ebenso langer Tisch samt Bestuhlung stand. Eine ganze mittelalterliche Tafelrunde hätte hier sitzen können. Igor wies Rud an, am Ende des Tisches Platz zu nehmen, und zog sich rasch zurück. Nun saß Rud allein in diesem großen Raum und kam sich etwas verloren vor. Er sah sich um. Wo war er da nur wieder hineingeraten? Seitdem er versehentlich in eine Wohngemeinschaft mit dem Möchtegern-Privatdetektiv Stan gezogen war, hatte dieser ihn ständig in die absurdesten Situationen gebracht. Einerseits war das Zusammenleben mit dem abenteuerlustigen Stan ein permanenter Alptraum für den zurückhaltenden Rud, andererseits waren die verrückten Geschichten, die beide zusammen erlebten, eine unversiegbare Inspirationsquelle für Ruds neue Romane.

»Peppino di Parzoli!« Der schneidende Ton einer hellen lauten Frauenstimme schreckte Rud aus seinen Gedanken auf. Eine ganz in Weiß gekleidete, hochgewachsene junge Dame mit einem hübschen, von langen schwarzen Haaren umrahmten Gesicht war ans Kopfende des Tisches getreten, ohne dass Rud es bemerkt hatte. Das musste Prinzessin Farlina sein. Ruds Aufmerksamkeit war sofort von ihren dunklen Augen gefesselt, die zu Schlitzen verengt waren und eigenartig funkelten. Der Ausdruck eines tiefen, namenlosen Kummers lag auf dem Gesicht des Mädchens. »Ihr seid also wahrhaftig hier erschienen«, fuhr die blasse Schönheit fort. »All meine Briefe konnten Euch nicht davon abbringen, obgleich Ihr wisst, dass mir nichts an Euch noch an Eurem Namen liegt. Ich liebe Euch nicht, Peppino di Parzoli, auch wenn Ihr das Mittel gefunden habt, das meinen Vater aus seinem Bannschlaf erlösen kann. Letztlich geht es Euch doch nur darum, dass er nach alter Sitte die Hochzeitszeremonie anleiten kann. Nun, ich bin gewohnt, eine folgsame Tochter zu sein, und wenn Ihr meinen Vater wiedererweckt, so werde ich Eurem und seinem Willen gehorchen. Ihr sollt jedoch begreifen, dass ich Euch niemals lieben kann. Ihr werdet mit mir keine glückliche Frau an Eurer Seite haben, und das wird auch Euch keine bereichernde Ehe bescheren.«

Durch diesen theatralischen Wortschwall schien Farlina ein wenig außer Atem geraten zu sein. Sie machte jedenfalls einen sehr leidenden Eindruck und fixierte ihr Gegenüber aus verzweifelten, aber auch etwas lauernd wirkenden Augen. Schwer zu sagen, was sich in ihrem Kopf abspielte. Rud starrte die Frau wortlos an. Er war noch immer von ihrem Blick gefangen – natürlich hatte er kaum zugehört.

»Was ist? Ihr sagt nichts?«, fragte die Prinzessin vorwurfsvoll. Rud begann zu stottern. Er wollte versuchen, das Spiel zu verstehen und die Bruchstücke des soeben Gehörten, die er in seinem Gedächtnis zusammenklauben konnte, zu sortieren. Vor allem hatte er verstanden, dass diese Frau ihn offenbar nicht mochte. »Ach, mein Name ist also Peppino di Parzoli – und ich bin hier, um Euch zu heiraten, nachdem ich Euren Vater wiedererweckt habe? Er schläft also?«

»Treibt nicht auch noch Euren Spott mit mir!«, platzte es aus der Prinzessin heraus. »Ihr wollt mich nicht verstehen.« Doch mit einem Schlag hatte sie ihre Fassung wiedergewonnen und wirkte nun sehr entschlossen. »So sei es denn! Die Liste der Hochzeitsvorbereitungen ist lang. Folgt mir, Peppino. Ich führe Euch in die Küche.« Rud gehorchte. Er war von der Situation so überrollt worden, dass er sein eigentliches Anliegen, die Frage nach dem gebuchten Zimmer mit Bett und Bad, schlicht vergessen hatte. Er spielte einfach mit.

 

In der Küche legte Igor, der zuvor als Kutscher und als Butler aufgetreten und nun wie ein Zuckerbäcker gekleidet war, letzte Hand an eine große grüne Torte. Als er die Prinzessin und ihren Bräutigam in spe erblickte, begann er sofort mit dem Katzbuckeln. »Verehrte Prinzessin, verehrter Graf Peppino, herzlich willkommen in meinem Reich der süßen sündigen Leckereien.« Zu Ruds Erstaunen konnte Igor nun nicht nur richtige Sätze bilden, sondern sprach auch noch mit einem französischen Akzent. Dieser Rollenspieler war offenbar vielseitiger, als Rud am Anfang gedacht hatte. »Darf ich Euro Gnaden einen Keks anbieten?«, flötete der Bäcker mit einem zuckersüßen Grinsen und hielt Rud einen Teller vor die Nase.

Mit einem angewiderten Blick auf das vertrocknete und verschimmelte Gebäck, das darauf lag, lehnte Rud höflich ab: »Nein danke, Igor.«

»Ich bin nicht Igor. Mein Name ist Ivan«, belehrte ihn der Wicht und wirkte ein wenig beleidigt.

»Zeig uns die Torte, Ivan!«, befahl Farlina. – »Sehr wohl, Herrin!«, schnarrte das Männlein und machte eine große Geste. »Tataaa, hier ist sie.«

»Hm, die sieht aber gut aus«, hauchte Farlina und grinste. »Ihr wollt doch gewiss ein Stück probieren, Peppino?«, fragte sie mit einem seltsamen Seitenblick auf Rud. Dieser sah die grüne Torte skeptisch an. Sie war bestimmt fürchterlich süß und zu allem Überfluss von einer dicken weißen Schicht Zuckerguss überzogen. Rud hätte jetzt lieber etwas Anständiges gegessen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, was er für einen Hunger hatte. »Aber man kann die Hochzeitstorte doch nicht vor der Feier anschneiden«, sagte er ausweichend. »Außerdem gibt es ja bestimmt gleich Abendessen?«, fügte er hoffnungsvoll hinzu.

»Es ist nur eine von vielen Hochzeitstorten«, fuhr Farlina ihn an, »und wenn Ihr sie nicht probieren wollt, beleidigt Ihr meinen Bäcker, und wenn Ihr meinen Bediensteten beleidigt, dann kränkt Ihr auch mich.« Und bevor Rud noch etwas erwidern konnte, befahl sie dem Männlein: »Los, Ivan! Schneide ein großes Stück für unseren Gast ab. Mein zukünftiger Gemahl soll doch wissen, über welche außerordentlichen Fähigkeiten mein Personal verfügt.« Und schon hatte Ivan dem armen Rud ein Stück Torte gereicht. Rud hasste es, überrumpelt zu werden. Unbewegt starrte er auf das Tortenstück. Der Zuckerguss sah aus der Nähe betrachtet seltsam aus. »Worauf wartet Ihr noch? Nun probiert schon!«, herrschte Farlina ihn an.

»Besser eine süße Torte als nichts«, dachte sich Rud und schob sich gleich das ganze Stück in den Mund. Ivans Augen wurden groß. Farlina sah ihren Verehrer erwartungsvoll an. In ihrem Blick lag wieder etwas Lauerndes. Rud verzog das Gesicht. Entgegen seiner Erwartung schmeckte die Torte überhaupt nicht süß, sondern – nach bitteren, scharfen Kräutern ... Und irgendwie verschimmelt. Rud dachte an den vermeintlichen Zuckerguss und musste würgen. Am liebsten hätte er alles wieder ausgespuckt, aber er beherrschte sich und schluckte die Torte hinunter.

Erst jetzt bemerkte er, dass Farlina und Ivan ihn sprachlos anstarrten. »Und? Wie fühlt Ihr Euch?«, wollte die Prinzessin wissen, ohne ihre Erregung verbergen zu können. Rud wunderte sich über die Frage.

»Na ja«, sagte Rud, »die Torte ist wirklich was ganz Besonderes. Dabei bin ich eigentlich gar kein Kuchenfreund. Wann gibt es Abendessen?« Farlina schien für kurze Zeit erstarrt zu sein. Dann gab sie sich einen Ruck, warf Ivan einen scharfen Blick zu und fasste Rud bei den Schultern. »Später, Peppino, später. Nun zeige ich Euch erst einmal das Schloss. Wir machen einen Spaziergang durch den Park.« Und mit diesen Worten schob sie den verwirrten Rud aus der Küche, allerdings nicht, ohne sich noch einmal kurz zu ihrem Bediensteten umzudrehen und ihn anzuzischen: »Wir reden später, Ivan!«