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Das Zerlegen großer Zahlen in Primfaktoren gilt unter Experten als schwierig. Genau auf diese Schwierigkeit vertraut der Internet-Standard der Datenverschlüsslung, mit dem wir als User täglich zu tun haben, ohne es zu merken. Das Produkt zweier großer Primzahlen kann zur Not von Hand bestimmt werden, während es umgekehrt auch mit leistungsfähigen Rechnern extrem aufwendig ist, eine solche Monsterzahl wieder zu zerlegen. Auf diesem Problem beruhen die heute üblichen Verfahren. Nur Quantencomputer, so die gängige Meinung, könnten die Rückverwandlung schnell genug erledigen. Doch nun kommt ein schräger, frecher Text ins Spiel, der zum ersten Mal, soweit ersichtlich, eine Gitterstruktur beschreibt, die mit den Primzahlen zusammenhängt und über eine einfache Befehlszeile gebildet wird. Die Bauart dieses Gitters macht es möglich, Primfaktoren quasi auf Knopfdruck auszulesen, schneller vermutlich, als mit einem Quantenrechner. Der Clou: Das Thema, so technisch es klingen mag, ist gut versteckt in der unterhaltsamen, stellenweise zum Schreien komischen Rahmenhandlung eines modernen Märchens. Die Entdeckung der Gitterstruktur gelingt dort einer Schülerin aus Norddeutschland, und das passt genau ins Bild. Obwohl lange unauffindbar, erweist sich der Zusammenhang nach getaner Arbeit als unanständig simpel, Neugierde genügte, ihn aufzudecken. Es sind halbe Kinder, die den Schatz finden, und wer den unbeschwerten Aktionen dieser Helden folgt, wird im Vorübergehen, fast spielerisch davon erfahren. Man liest ein wenig, und ohne es recht zu merken, hat man was erkannt. Nur das Vorwort richtet sich exklusiv an fachlich versierte Leser, abgesehen davon sollten Jung und Alt zu ihrem Lesespaß kommen. Das Buch enthält Abbildungen und Tabellen, aber keine Formeln oder Befehlszeilen. Wer sich damit auskennt, kann die Sachen in einer Tabellenkalkulation selber testen. Müssen wir nun warten, bis Kinder sich der Sache annehmen, oder werden Fachexperten auch mal etwas beitragen?
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Seitenzahl: 193
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Thomas BokelmannAls Anne Senft berühmt zu werden drohte
Thomas Bokelmann
Die Geschichte einer wundersamen Entdeckung,
© 2016 Thomas Bokelmann
Cover u. Bildbearbeitung RAGBIT, Schaafheim
Satz, Grafik u. Tabellen Thomas Bokelmann
Verlag Tredition GmbH, Hamburg
ISBN Paperback: 978-3-7439-0313-5
Hardcover: 978-3-7439-0314-2
e-Book: 978-3-7439-0315-9
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jegliche Verwendung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentlich Zugänglichmachung.
Das Auffinden eines Verfahrens, mit dem im Prinzip alle Primzahlen der Reihe nach und ohne die Notwendigkeit von Tests bestimmt werden können, war weniger ein mathematisches als ein strategisches Problem. Im Grunde war's ein Spiel mit Gedanken und Möglichkeiten, zunächst ohne praktischen Bezug. Auch das Sieb des Eratosthenesliefert die exakte Reihe der Primzahlen, indem es Schritt für Schritt alle Produkte aus der Reihe natürlicher Zahlen herausfiltert. Da keine Formel zugrunde liegt, blieben technische Anwendungen aus.
Die hier vorgestellte Methode beschreibt zum ersten Mal eine mit den Primzahlen zusammenhängende, verschränkteGitterstruktur,aus der sich eine einfach zu programmierende Formel ableiten lässt. Dadurch wird auch das Problem des Faktorisierens, das in der Mathematik (noch) als schwierig gilt, beherrschbar, mit weitreichenden Folgen. Erinnern wir uns.
Praktische Bedeutung haben Primzahlen hauptsächlich in der Datenverschlüsselung. Das Produkt zweier großer Primzahlen lässt sich leicht darstellen, kann aber nur unter hohem Aufwand wieder faktorisiert, d.h. in seine Bestandteile zerlegt werden. Auf dieser Schwierigkeit beruht u.a. die Sicherheit des verbreitetenRSA-Standards. Obwohl durch dasZahlkörpersiebund andere neue Verfahren Schlüssel von beachtlicher Länge nach jahrelangen Operationen im Rechnerverbund diskreditiert wurden, gilt das Verfahren an sich als sicher, da die Schlüssel relativ einfach verlängert werden können, während zugleich die Zahl der Möglichkeiten exponentiell zunimmt. Aber: das Gespenst des Quanten-Computers steht bereits im Raum. Diese Rechner, deren Bits beide Zustände, null und eins, gleichzeitig annehmen sollen, würden unter Verwendung des Shor-Algorithmus, in dem deterministische Formeln durch solche aus der Quantenphysik ergänzt werden, Primzahl-Schlüssel beliebiger Länge in kurzer Zeit diskreditieren. Die technischen Voraussetzungen zur Produktion dieser Chips in brauchbarer Größenordnung sind extrem hoch, Experten rechnen mit weiteren zehn bis fünfzehn Jahren Entwicklungszeit.
Nun könnte sich das Bild allerdings ändern. Wer mit Primzahlen und ihren Produkten arbeitet, um Authentifizierungen zu senden oder Daten zu verschlüsseln, muss sich wohl schon früher auf die Suche nach besseren Ideen begeben. Alle kryptografischen Methoden, die ausschließlich auf dem Faktorisierungsproblem beruhen, gehen möglicherweise auch ohne Quantenrechner den Bach hinunter.
Bei dem hier vorgeschlagenen BOTH-Radar spielt Rechnerleistung nicht die entscheidende Rolle. Einmal programmiert, liefert die Methode Primzahlen bis zur Darstellungsgrenze und als Nebeneffekt oder Hauptzweck, je nachdem, deren Produkte samt Faktoren vor und zurück. Man ruft die Daten auf und liest das Gesuchte ab, weil es eine Darstellungsart gibt, die für jedes Produkt solcher Primzahlen die Information über die enthaltenen Faktoren anzeigt. Die Subtraktion zweier Nachbarzahlen liefert das Ergebnis.
Experten werden an dieser Stelle abwinken, klar, es kann ja nicht sein.Und falls doch,so wird man fragen,wie will er das exponentielle Wuchern der Datenmengen in den Griff bekommen?
Was soll ich denn sagen?
Als mir klar wurde, dass dieses Verfahren nirgendwo beschrieben wird, kamen auch mir Fragen, ich wollte es nicht glauben. Das Thema fällt nicht ansatzweise in mein Fach, und das Wuchern der Datenmengen schien mir eine ernst zu nehmende Sache. Andererseits fiel mir auf, was für Klimmzüge weltweit unternommen wurden und werden, um die FaktoreneinzelnerSchlüssel zu finden.
Was man vorab sagen kann, ist dieses.
Die Abläufe beim Aufbau eines hinreichend großen Gittersystems der vorgetragenen Art entsprechen sehr wahrscheinlich nicht dem, was manpolynomielle Laufzeitgenannt hat, zumal sie theoretisch ad infinitum laufen können. Aber der Aufwand ist einmalig und dieErgebnisse bleiben, das Gitter ist real. Es bildet eine Art Chip, der aufgrund seiner Bauart Informationen enthält, die wir ansteuern und auslesen können, was nur mit dieser Zahlengruppe möglich ist. Auch das Raster, mit dem gesiebt wird, gerät schnell groß und größer, die Rechenvorschrift dabei dermaßen simpel, dass es eine Schande ist: Das Gitter entsteht aus lauter Additionen. Außerdem gibt es einen Faktor drei, der die Möglichkeiten zugunsten der Ergebnisse beschränkt. Weitere Filter sind zuschaltbar. Mit Hilfe von Quadratzahlen kann eine Art Grenze eingezogen werden. Schließlich besteht die Möglichkeit, die Suche auf beliebige Sektoren zu beschränken, ohne das Gesamtsystem aufzusetzen. Dazu wird nur jeweilseine,automatisch entwickelte Zeile gespeichert. Oder man fügt sie anderen Fragmenten des begonnenen Systems hinzu, die zugehörige Ordnungszahl läuft mit. Es gibt keine falschen Ergebnisse, jede einzelne der so entwickelten Positionen ist korrekt und innerhalb des Systems immer wieder nützlich, wobei eine jede mit allen anderen logisch verknüpft ist. Als Suchradar ohne System werden die Positionen in einem Durchgang generiert und gescannt. Keine Ahnung, was die Struktur sonst noch hergibt. Kommt sie in der Natur vor? Ermöglicht die Art, wie sie taktet, technische Anwendungen?
Wie angedeutet hat der Verfasser dieser Zeilen den zweifelhaften Vorteil,nichtvom Fach zu sein. In diesem Text jedoch geht es im Wesentlichen um die Projektion des von Leibniz und anderen verwendeten Ausdrucks zur Identifizierung von Primzahl-Kandidaten auf das Format einer 6-Stunden-Uhr, jawohl. Habe ich nicht gesagt, dass es Kinderkram ist? Nachplappern genügt!
Als ich bis hier geschrieben hatte, ereignete sich ein schrecklicher Zwischenfall.
Wie von einem bösen Blitz getroffen wurde mir klar, dass dieser Stoff für Experten überhaupt nicht geeignet ist.All diese Leute,rief der böse Blitz,werden mit vereinten Kräften dasselbe tun, was sie immer getan haben. Sie erfinden tausend Methoden, um ihn besonders schwierig aussehen zu lassen und Kinder so lange für dumme zu verkaufen, bis sie nur noch kotzen wollen.
Und seht nur, ich habe verstanden. Dieses eine Mal müssen Experten und Lehrer bei jungen Helden in die Schule gehen, um die Revolution nicht zu verschlafen. Dass die Lösung des alten Faktorisierungsproblems mit der Gitterstruktur geradezu unanständig simpel ist, als weitere Zumutung.
Ich lade Sie also ein, diese Kröten zu schlucken, und wage zu behaupten, dass es Ihnen sogar Vergnügen bereiten wird. Nur Geduld! Folgen Sie den Helden unserer Geschichte auf ihrer unbeschwerten Schlingerbahn und lassen sich zeigen, warum das sogenannte Primzahl-Rätsel eine Mystifikation darstellt, die nach all der Zeit nun entschleiert wurde.
Th. Bokelmann
Anne Senft, Schülerin der Ricarda-Huch-Gesamtschule unsrer kleinen, inmitten der Moorlandschaft des Nordens gelegenen Stadt, erledigte nicht alles immer so, wie man das von ihr erwartete. Es wäre gelogen, das zu behaupten. Niemand konnte vorhersehen, was sie im nächsten Augenblick tun würde. Oft kam es vor, dass sie innehielt und zu träumen schien, während in Wirklichkeit unheimlich viele Prozesse liefen. Innerlich eben, in ihrem Rechenzentrum. Man wusste nur, dass es ratterte. Und sagt nicht, Senft klinge wie sanft. Es sind eher Gegensätze, man merkt's nur nicht sofort.
Beim Outfit etwa, ihr hättet nichts gemerkt. Ob die Söckchen verschiedene Farben haben oder gleiche: wer möchte das überhaupt noch wissen? Oder nehmt den Gürtel. Er war nicht mal selbstgemacht wie andere Sachen, die sie trug, es zählten nur die aktuell befestigten Trophäen, das Gebimmel und spezielle Utensilien, die sich als nützlich erweisen könnten, ihr versteht mich, ein Lederband etwa mit herabhängender Feder.
Um das zu verstehen, müsste man wissen, dass Annes Onkel im Garten sieben Hühner samt Gockel hält, und dass der Falke, als er mal ein Küken holen wollte, ihr diese Feder überließ. Da sagt man ja nicht nein. Hat es übrigens nicht gekriegt, das kleine, gelbe Büschel. Überhaupt lässt sich vieles durchaus erklären, ich meine bei Anne. Abstehende Zöpfchen beispielsweise mit eingeflochtenen Perlen und Glitzerfunkel, wenn sie die trug, wiesen auf die Hauptrichtungen des Universums da draußen und auf Sternbilder, die sie kannte, freilich nur ungefähr.
Hing aber auch davon ab, was ihr durch den Kopf ging und in welcher Reihenfolge, das kann sich natürlich ändern. Im Grunde war′s ein Spiel mit flexiblen Regeln. Nur an Fasching, wenn alle Welt auf den Putzzu hauen pflegt, trug sie graues Einerlei, das fällt natürlich auf.
Auch an ihrem Verhalten, hey, ihr hättet lange nichts gemerkt. Wenn sie mit Huckebein sprach oder mit Lisa und Onkel Tom, es war, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Anders allerdings bei Thalersepp, amtlich Josef Thaler, dem vermutlich schlechtesten Mathelehrer des Universums. Auf diesen war sie nicht gut zu sprechen, um vorsichtig zu formulieren. Er wird als Fossil aus einer abgelebten Zeit betrachtet, so übel sein Unterricht, doch ausgerechnet in unserer Stadt konnte das Relikt überdauern.
Es soll andererseits nicht verschwiegen werden, dass Thaler serienmäßig die schönsten Zahlen schrieb, die man sich nicht vorstellen kann. Seine Zahlen waren ungeheuer wundersam, wie der Dichter sagt, an der Tafel, in Zeugnissen und Unterlagen, man geriet ins Schwärmen, so schön. Anne immer ausgenommen. Sie beobachtete lieber den rüttelnden Falken, bis er sich jäh in die Tiefe stürzte. Wenn sie mit Lisa abhing und das Gespräch auf Thaler kam, hielten sich beide die Nasen zu. Lisa wieder, ihr habt es erraten, ist die beste Freundin des Universums, dabei etwas älter und eine Klasse höher, damit muss man leben in einer ungerechten Welt.
Als Thaler die Multiplikation durchnahm, bahnten sich in Annes Umgebung einschneidende Veränderungen an. Zunächst stellte sich heraus, dass sie schneller antwortete als Tainie Thalersepp, Sohn des Mathelehrers, im Scherz auchTT die Krötegenannt, weil er daheim absolut nichts zu lachen hatte. Vermutlich besaß er keinen einzigen Lachmuskel. Habt ihr mal eine Kröte mit Lachfalten gesehen? Na also.
Tainie bedeutet mickrig oder zierlich, jedenfalls im Vergleich zum hochgewachsenen Vater. Er konnte einem leid tun auch wegen der Gesamtmenge an Geboten und Vorschriften, die er beachten musste. Kann es sein, dass so ein Wust das System ausbremst? Was haltet ihr von der These?
Ich denke, die Vorschriften wirkten wie ein Rohrverstopfer, wie eine Drosselklappe in einem sonst gut drehenden Motor. Doch wenn der Motor nicht in Fahrt kam, zog Thaler noch mehr Vorschriften aus dem Ärmel. Auch ein Scheißjob! Nachmittags hatte Tainie regelmäßig Ausgehverbot. Er musste Hausaufgaben machen oder Zahlen malen, Zahlen über Zahlen, um perfekt zu werden wie Vater Thalersepp.
Schön gelegen übrigens, unsere Stadt, mit einem See und einer Insel voller Vogelkot, ich komme darauf zurück. Ist meine Heimat und vermutlich der schönste Ort des Universums, soweit man das beurteilen kann. Ich habe natürlich nicht den vollen Durchblick!
Und doch kann ich's mir ungefähr ausrechnen. Zuerst muss man allerdings multiplizieren oder so, und zu diesem Zweck öffne ich ein ...
Wir blicken zurück, denn ein paar Jährchen ist es her, dass Anne mit den Grundrechenarten zu tun bekam. Ich weiß nicht genau, wie viele. Lernt man zwei mal zwei im Kindergarten? Jedenfalls in erster Näherung. Später bekam sie nochmal damit zu tun, in der zweiten oder dritten Klasse, keine Ahnung. Für euch eine entsetzlich langweilige Sache, schon klar, aber wartet einen Moment. Es ist anders, als ihr denkt. Außerdem nur ein Rückblick. Und es wird keine Hausaufgaben geben, Leute, deren Bedeutung heute maßlos überschätzt wird. Je weniger die Lehrer taugen, desto mehr geben sie auf, wenn ich mich recht erinnere. Womit wir bei Thaler und seinem Unterricht wären.
»Wie viel ist sieben mal acht, hopp-hopp? Wie viel neun mal drei?«
Thalersepp auf der Lauer nach falschen Antworten, ihr habt es erfasst.
Bevor Tainie die Hand heben konnte, gab Anne die Antwort. Als sie dazu verdonnert wurde, ihre Hand gefälligst zu heben, war sie wieder schneller, kam aber nur selten zum Zug. Das Spiel wurde langweilig.
Wenn ihr Arm nicht oben war, wurde sie fast immer drangenommen, weil Thaler eine Chance sah, ins Geschäft zu kommen. Immer vergeblich! Ihre Antworten kamen wie aus der Pistole geschossen, es dauerte aber eine Weile, bis Thaler ihre Taktik durchschaute. Ab da penetrante Langeweile.
Anne schaute zum Fenster hinaus, weil sie sich langweilte, und dann geschah es, gütiger Himmel.
»Neun mal sieben, kleine Senft, wie viel?«
»Warte mal, wenn man das da sieht, ich denke dreizehn sollte passen. Neun mal sieben ungefähr dreizehn bei diesem Sauwetter.«
»Bitte was für ein Wetter?«
»Kein Badewetter eben. Ich will mit Lisa anbaden im See. Ansonsten hätte ich siebzig vorgeschlagen oder tausend, falls nämlich außerdem Sonntag wäre.«
»Bist du plötzlich verrückt geworden? Es kann sich doch nicht ändern je nachdem!«
»Das sagstdu,ist aber langweilig. Hast du dich nie gefragt, warum an allen Tagen dasselbe Ergebnis gelten soll? Warum nicht plötzlich sieben für acht mal acht? Wo sich doch alles wandelt. Und warum dürfen wir nicht selber bestimmen in diesem Spiel?«
»Es kann doch nicht kleiner werden!«
»Was erzählst du nur! Einer sagt sechshundert Millionen, der Zweite dreiundvierzigviertel an Ostern, weil es schwierig klingt. Wir hätten ja noch den Lehrer, der immer dasselbe sagt, obwohl man schon beim zweiten Mal weiß, was er hören will. Und wenn er selber lernen soll, kriegt er einen roten Kopf. Gilt in der Schule nur das, was oft wiederholt wird? Oder laut genug hinausgebrüllt und schwierig klingt?«
Thaler hatte einen hochroten Kopf bekommen und zu schreien angefangen.
»Es reicht, was fällt dir ein! Morgen schreiben wir einen Test, und du, kleine Senft, wirst dich noch wundern.«
Er malte mit schöner Schrift einen Eintrag ins Klassenbuch, damit fing es an. Ich habe euch gewarnt, die Worte sanft und Senft bezeichnen einen echten Gegensatz. Man weiß nie, was geschehen wird, wenn man das Wort an Anne richtet.
An diesem Tag verließ sie die Schule inmitten einer Schar philosophierender, lachender Freunde.Acht mal acht ist sieben,riefen die laut.Oder tausendneunachtel am Sonntag.Oder dreizehn, wenn man nicht anbaden kann, grob geschätzt. Und der Mond sollte dabei aufgehen, ansonsten siebenundzwanzigviele.
Wie ihr seht, haben wir's mit ausgewiesenen Genies zu tun, die mehr Zahlen kennen als das Universum zur Verfügung stellt. So viel Spaß aber wie an diesem Tag hatten sie in keiner anderen Disziplin je gehabt.
Im übrigen war das Wetter nicht so übel wie berechnet, nur ein wenig wechselhaft.
Siebzehnacht in etwa, will heißen: überwiegend heiter. Könnte sogar neunzehn gewesen sein, aber nur mit Reißen. Immerhin ohne Hagelschauer, was ich mir für diejenigen unter euch zu erwähnen erlaube, die mit der Wettermathematik noch nicht vertraut sind. Wer in dieser Disziplin fortschreitet, bringt es irgendwann dahin, den schönsten Ort des Universums berechnen zu können. Und zwar ziemlich genau. Allein der See und die Vogelkot-Insel! Mit hinreichender Genauigkeit sozusagen, und das bedeutet viel in diesem Fach.
In der Mathematik ist lange nicht alles exakt. Habt ihr mal ein Siebtel ausgerechnet zetBe? Na also. Doch wenn junge Rechenkünstler Fehler machen, wird gezetert, unabhängig davon, ob man das Prinzip verstanden hat oder nicht. Die Motivation spielt keine Rolle mehr, alles soll plötzlich wahnsinnig präzise sein.
An dieser Stelle ein Hinweis. Wenn ihr irgendeinen Ausdruck dieser Abhandlung nicht versteht, fragt eine Person eures Vertrauens oder macht eine Überschlagsrechnung: Lohnt sich der Aufwand, lohnt er sich nicht, sollt ihr fragen. Ist es nicht tausendmal besser, die eigeneMotivation,dieses Wort war gemeint, zu überprüfen und eine Pause einzulegen? Um überhaupt zu verstehen, müsst ihr nämlich älter sein als die Helden dieser Geschichte am Anfang sind, sie werden bald ein Stück aufholen. Ich habe nie behauptet, dass es einfach ist, sondern dass es sich trotz allem lohnen soll.
Ein paar Fremdwörter können also vorkommen, seid ihr damit einverstanden? Ihr glaubt nicht, wie oft ich meinerseits beim Schmökern Begriffe nachschlage oder in die Suchmaske eingebe. Das hört nie auf.
Am Nachmittag desselben Tages, so viel solltet ihr wissen, lag die Mai-Sonne auf dem Schniebelsee, und während Tainie zuhause auf eine schwere Klassenarbeit vorbereitet wurde, ihr versteht mich, verfügten Anne und Lisa sich auf den alten Bootssteg zum Anbaden.
Wieder so ein Spruch:Sich irgendwohin verfügen.
Findet ihr, dass er geschwollen klingt? Eher cool? ZuAnne und Lisa passt er jedenfalls, die kannten ihn und spielten damit. Sie verfügten sich an den See zum Anbaden oder in den Hühnerstall, um frische Eier zu holen. Oder in die Arme ihrer Väter, um eine Gunst zu erwirken. Noch ein schräger Ausdruck:Eine Gunst von jemandem erwirken oder erschleichen.
Es hört nie mehr auf, wenn man anfängt, mit diesen Formen zu spielen.
Anne und Lisa saßen auf dem Steg und ließen die Füße im Wasser baumeln, konnten sich zum Schwimmen aber nicht sogleich entschließen. Wassertemperatur geschätzte fünf Grad über Null.
Sie redeten die ganze Zeit, manchmal mit zugehaltenen Nasen, als wollten sie abtauchen, tatsächlich war's aber wegen Thaler. Sobald dieser Name fiel, kam ein strenger Geruch auf, ganz merkwürdig. Keine Wissenschaft hat dieses Phänomen je untersucht.
Eine Art Polarwind strich über das Wasser und raschelte im Schilf, Schwärme kleiner Jungfische spielten hin und her. Ich glaube, Käsefüße wären denen lieber gewesen als die gepflegten Exemplare der jungen Damen. Da hätten sie möglicherweise angedockt und geputzt.
Plötzlich Schritte auf dem hölzernen Steg, ein Kerl aus der Heinrich-Heine-Schule, wie seltsam. Den Berechnungen der Anbadenden zufolge hätte er drüben im Strandbad auf der Rutsche spielen oder im Sandkasten Förmchen füllen sollen.
»Hast du dich verlaufen, Kleiner?«
»Oder suchst du deine Spielente? Hier ist sie nicht angespült worden, so viel ist sicher. Du kannst auf dem direkten Weg verschwinden, deine Mami macht sich wahrscheinlich Sorgen.«
Pete, ein Schüler in ihrem Alter, war eher groß geraten, für die von derHeinrich-Heinehatte das Universum aber nichts als Verachtung übrig gelassen.
Ich kann es aus eigener Erfahrung bestätigen. Über die Qualität dieser Truppe ist schon in meiner Schulzeit alles gesagt worden. Umgekehrt genauso.Wirwurden von denen bedauert, weil wirNullchecker ohne Ausnahmewaren. Natürlich nur in deren Loser-Weltordnung voller Tücke und Inkompetenz.
»Na, ihr Süßen, gab's Probleme mit der Obernull Thalersepp?« Der junge Mann war offenbar gut unterrichtet. »Hat er nochmal einen Rechenversuch unternommen?«
Falls ihr euch wundern solltet, dieser von gegenseitigem Verständnis getragene Wortwechsel entsprach den Verhaltensregeln unsrer Stadt bis ins Detail. Die Angehörigen beider Schulen machten aus der Voreingenommenheit einen Kult. Schließlich ging man aufhöhereLehranstalten,falls ihr den Ausdruck kennt.
»Das Bübchen sticht in meine Nase, Lisa.«
»Er beleidigt den Tag mit seiner Gegenwart.«
Anne und Lisa standen auf, sahen sich kurz an, und als Pete den falschen Fuß belastete, stießen sie ihn vom Steg ins Wasser, wo er abtauchte wie ein Stein.
Die Fische stoben auseinander, der Polarwind kräuselte das Wasser, Schilf raschelte, Anne und Lisa warteten. Pete war in voller Montur abgesoffen, nur Schuhe und Socken hatte er vorne am Ufer abgelegt.
»Dauert verdammt lange, vermutlich kann er nicht schwimmen.«
»Höchststrafe, Lisa, wir müssen ihn raufholen! Die kriegen einfach nichts auf die Reihe.«
Sie sprangen kopfüber hinein. Wenn man weit genug unten war, konnte man den hellen Sandboden ungefähr sehen. Von Pete keine Spur.
»Hast du was gesehen, Anne?«
»Nur Sand und Blasen, es ist so schlimm. Selbstrettenkann man sie nicht.«
Leicht gereizt gingen sie wieder auf Tauchstation. Sie kamen hoch, tauchten unter, kamen wieder hoch und tauchten ab, alles vergeblich. Nach geraumer Zeit gaben sie erschöpft auf.
»Wir müssen drüben im Strandbad den Bademeister rufen. Ein Taucher soll kommen oder die Polizei.«
»So übel sah er gar nicht aus, ich meine zum Ertränken. Hast du ein Handy, Lisa?«
Panik-Modus am Schniebelsee, schließlich eine Stimme aus dem Schilf.
»War schön, euch zu beobachten. Ihr hättet mich gefunden, wenn ich drin geblieben wäre.«
Pete war unterm Steg durchgeschwommen, um auf der andern Seite still wieder aufzutauchen, ein fürchterlich langweiliger Trick. Normalen Leuten schläft das Gesicht ein. Vor Überdruss zetBe oder Modergeruch. Für Anne und Lisa war bewiesen, dass diese Schule ein Universum der Tücke darstellte.
Immerhin fror der junge Mann kräftig, er schlotterte geradezu in seinen triefenden Klamotten, und so fing alles an. Die Badesaison eben und eine Kumpanei über Schulgrenzen hinweg, denn Pete sollte sich als werthaltig erweisen.
Versteht ihrwerthaltig?Ich wusste es, fürchte aber, dass all jene hochverehrten Leute, die hier aus beruflichen Gründen mitlesen – Mathelehrer, Programmierer, keine Ahnung – den Ausdruck missbilligen oder überhaupt nicht auf die Reihe kriegen. Tut uns natürlich leid. Bei den Zahlen zumindest werden wir ihrem Verständnis bald auf die Sprünge helfen.
Seit diesem schönen Maientag, das will ich sagen, haben die coolen Mädels derRicarda-Hucheinen Spezialausdruck, der anderswo die Kapazitäten übersteigt, ihr versteht mich. Von einem Kerl, der absolut unausstehlich ist, merkt euch dieses neue Idiom, wird dort gesagt:Er sieht zum Ersäufen übel aus.
Respekt!
Andernortssehen dieRicardas,wie man dort zu sagen pflegt,zumErbrechenübel aus, eine Floskel ohne jede Originalität. Medizinisch gesehen absurd und dem lupenreinen Idiom gegenüber etwa so beeindruckend wie der Misthaufen beim Schweine-Messie draußen am Torfmoor neben einem Sonnenaufgang in der Ägäis.
Ziemlich genau sogar. Vor allem, wenn der Haufen dampft und Millionen Schmeißfliegen sich dran laben.
Thaler machte seine Drohung wahr.
Am nächsten Tag teilte er Zettel aus, auf denen dermaßen viele Aufgaben ohne Lösung standen, dass es nicht möglich war, die leeren Fächer dahinter in einer Viertelstunde mit beliebigen Zahlen zu füllen, je nach Wetterlage und Vorlieben. Zögern und überlegen ging schon gar nicht. Mehr Zeit wurde aber nicht eingeräumt, eventuell hatte er sich verrechnet. Ganz oben auf dem Zettel der BefehlAUSRECHEN, mit schöner Handschrift eingetragen. Das hätte er nicht tun dürfen, wie ihr sehen werdet.
Anne las es und schaute ohne Eile zum Fenster hinaus. Wenn sie diesen Blick hatte, war alles möglich. War jener Modus, bei dem ihr Rechner mindestens im Terahertz-Bereich taktete, falls technische Details zählen.
Unsere Schule stand in einer parkartigen Anlage mit Hecken, Tannen und Buchen, vielen fleißigen Vöglein, aber auch Eichhörnchen. Eins dieser putzigen Tierchen hastete kopfüber den Stamm einer Kiefer herunter, der gebogene Ruderschwanz erhoben hinterher.
Auf irgendein Geräusch hin verschwand's plötzlich und lugte dann weiter oben vorsichtig hinterm Stamm hervor. Man sah genau, wie es rechnete.Wann sind dieHaselnüsse in der Hecke reif, wann die Bucheckern in den Baumkronen?lautete die Aufgabe.Und wie schön wäre es, Stücker tausend von jeder Sorte als Wintervorrat zu versteckeln, ohne dass der Eichelhäher, der ständig spioniert, die Hälfte klaut?
Die buschigen Ohren bewegten sich hin und her wegen der enormen Rechenleistung, die Augen funkelten. Es dauerte ungefähr eine Viertelstunde, bis das Ergebnis feststand.
Auch Anne war mit ihren Überlegungen zum Ende gekommen. Sie zog einen Querstrich über den Zettel und schrieb mit krakeliger Schrift unter die Befehlszeile: Man kann es nicht ausrechnen, Beweis folgt.AS
Tainie sammelte die beschmierten Zettel ein und legte sie auf's Pult, wo Thaler thronte und seine Stoppuhr neu programmierte. Sie piepte in allen Lagen, als wolle sie zeigen, dass er die Sache nicht im Griff hatte. Einige Singvögel wunderten sich über die seltsamen Töne und spotteten, was das Zeug hielt. Das Fenster rechts neben Thaler stand offen. Dieser pflegte sich als Frischluftfan mit Fahne zu bezeichnen. Sollte Humor zum Ausdruck bringen, der Zusatzmit Fahne.Thaler in der Nordkurve mit Frischluftfähnchen, habt ihr das?
Weil dieser Fall hoffnungslos ist, schlage ich vor, den Rest des Vormittags zu schwänzen.
Was hat sich Anne dabei gedacht, lautet die Frage, und ich kann euch nur raten, bei jungen Helden immer diese Frage zu stellen. Man weiß so gut wie nie, was die im Schilde führen bezetwe was genau in den Schaltkreisen eines Schädels vorgeht, der im Helden-Modus taktet. Fünfzehn Minuten reichen völlig aus für neue, große Perspektiven, seht nur selber.