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Die Gedichte von Christian Morgenstern sind wie Angelhaken: einmal zugeschnappt, kommt der Leser nicht mehr von ihnen los. 'Ein Wiesel saß auf einem Kiesel inmitten Bachgeriesel.' Morgenstern verblüfft und beglückt, mit seinen komischen Reimen wie den berühmten 'Galgenliedern' ebenso wie mit seinen feinpoetischen Liebes- und Stimmungsgedichten. 'Als Gott den lieben Mond erschuf, gab er ihm folgenden Beruf …', der hier nicht verraten wird, er findet sich in dieser Auswahl, in der Morgensterns Werk strahlend funkelt.
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Seitenzahl: 96
Christian Morgenstern
Die schönsten Gedichte
Ausgewählt vonKim Landgraf
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© 2017 Anaconda Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
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Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de
ISBN 978-3-7306-9171-7V002
www.anacondaverlag.de
MALERERBE
ROSEN IM ZIMMER
VÖGLEIN SCHWERMUT
DER TOD UND DER MÜDE
DER VERGESSENE DONNER
DAS HÄUSCHEN AN DER BAHN
KLEINE GESCHICHTE
DER ZEITUNGLESENDE FAUN
KRÄHEN BEI SONNENAUFGANG
VATERLÄNDISCHE ODE
BAHN FREI!
GESELLSCHAFT
1
2
QUOS EGO!
MAIMORGEN
SEGELFAHRT
VORMITTAG AM STRAND
AUGUSTTAG
ERSTER SCHNEE
WAS FRAGST DU VIEL
AN SOLCH EINEM VORABEND DER LIEBE
DER WIND ALS LIEBENDER
NIETZSCHE
BERLIN
EIN GEDICHT WALTHERS VON DER VOGELWEIDE
TOLSTOI
SCHLUMMER
GEBET
BEIM PUPPENDOKTOR
FRAU HOLLE IN IHREM HIMMLISCHEN HAUS
DIE VOGELSCHEUCHE
DAS TREUE RAD
HERR LÖFFEL UND FRAU GABEL
DER FUCHS UND DIE HÜHNER
FIPS
WINTERNACHT
BEI UNS SELBER BLEIBEN
DEN GESELLSCHAFTSNARREN
ICH LIEBE DIE FURCHE DES EILENDEN SCHIFFES
O WAHRHEIT
PANTHEISTISCH
MODERNE ÄSTHETEN
DIE ÄSTHETISCHEN
DIE SCHÖNHEIT
WIR LYRIKER
GELEHRTE
DICH SELBER NACH DIR SELBST
AN DEN ANDERN
LASS DIE MOLEKÜLE RASEN
BUNDESLIED DER GALGENBRÜDER
SCHLACHTGESANG
NEIN!
GALGENBRUDERS LIED AN SOPHIE, DIE HENKERSMAID
DAS GEBET
DER ZWÖLF-ELF
DAS GROSSE LALULĀ
DAS MONDSCHAF
DAS WEIBLEIN MIT DER KUNKEL
DAS PROBLEM
FISCHES NACHTGESANG
DIE TRICHTER
DER TANZ
DAS KNIE
DER SEUFZER
DAS ÄSTHETISCHE WIESEL
DER SCHAUKELSTUHL AUF DER VERLASSENEN TERRASSE
DIE BEICHTE DES WURMS
DIE MITTERNACHTSMAUS
DER WALFAFISCH
MONDENDINGE
DIE SCHILDKRÖKRÖTE
DER HECHT
DIE BEIDEN ESEL
DER IGEL
DIE BEIDEN FLASCHEN
DER STEINOCHS
DAS WASSER
DIE LUFT
DER LATTENZAUN
UNTER ZEITEN
DIE LAMPE
DAS LIED VOM BLONDEN KORKEN
DER WÜRFEL
Die Westküsten
DER MOND
DER TRAUM DER MAGD
ANTO-LOGIE
DAS NASOBĒM
IM JAHRE 19 000
DIE PROBE
DER HEROISCHE PUDEL
DAS HUHN
MÖWENLIED
IGEL UND AGEL
DER WERWOLF
DIE FINGUR
DAS FEST DES WÜSTLINGS
KM 21
GEISS UND SCHLEICHE
DIE ZWEI WURZELN
GALGENKINDES WIEGENLIED
WIE SICH DAS GALGENKIND DIE MONATSNAMEN MERKT
GALGENBERG
PALMSTRÖM
DAS BÖHMISCHE DORF
NACH NORDEN
WESTÖSTLICH
DIE KUGELN
LÄRMSCHUTZ
ZUKUNFTSSORGEN
DAS WARENHAUS
THEATER
II
DIE WISSENSCHAFT
IM TIERKOSTÜM
DIE TAGNACHTLAMPE
DIE KORFSCHE UHR
PALMSTRÖMS UHR
KORFS GERUCHSINN
DER WELTKURORT
DIE MAUSEFALLE
II
DIE WEGGEWORFENE FLINTE
KORFS VERZAUBERUNG
KORF-MÜNCHHAUSEN
PALMSTRÖM AN EINE NACHTIGALL, DIE IHN NICHT SCHLAFEN LIESS
EUROPENS BÜCHER
KORF IN BERLIN
ALPINISMUS
I
II
DIE BRILLE
DIE MITTAGSZEITUNG
KORF ERFINDET EINE ART VON WITZEN
BILDER
DIE WIRKLICH PRAKTISCHEN LEUTE
DIE UNMÖGLICHE TATSACHE
DIE BEHÖRDE
PLÖTZLICH …
PROFESSOR PALMSTRÖM
GLEICHNIS
DER TRÄUMER
PALMSTRÖM LOBT
MUHME KUNKEL
EXLIBRIS
WORT-KUNST
DER PAPAGEI
DIE ZIRBELKIEFER
DER DROSCHKENGAUL
MOPSENLEBEN
DER MEILENSTEIN
TÄUSCHUNG
VICE VERSA
AUF DEM FLIEGENPLANETEN
DAS PERLHUHN
DAS EINHORN
DIE NÄHE
DER SALM
DIE ELSTER
ANFRAGE
ANTWORT (I. A.)
ENTWURF ZU EINEM TRAUERSPIEL
DAS AUGE DER MAUS
ZWISCHENDURCH
SCHICKSAL
DAS GRAB DES HUNDS
DAS NILPFERD
DER SPERLING UND DAS KÄNGURU
DER LEU
TERTIUS GAUDENS
DAS GEIERLAMM
KURHAUSKONZERTBIERTERRASSENEREIGNIS*
DER ZWI
UNTER SPIEGELBILDERN
DIE UNTERHOSE
GEBURTSAKT DER PHILOSOPHIE
DER KORBSTUHL
DIE ZWEI PARALLELEN
DER GINGGANZ
DIE OSTE
LIEB OHNE WORTE
ES PFEIFT DER WIND …
GESPENST
DER SCHNUPFEN
LEBENS-LAUF
IM REICH DER INTERPUNKTIONEN
ETIKETTEN-FRAGE
DAS LÖWENREH
DER PAPAGEI
DAS SYMBOL DES MENSCHEN
SCHIFF »ERDE«
DAS MONDSCHAF
DIE ZEIT
DAS GRAMMOPHON
DER BAHNVORSTAND
UKAS
ZIVILISATORISCHES
DER WASSERESEL
TOILETTENKÜNSTE
BERLINER MÄGDE AM SONNABEND
DER NEUE VOKAL
SCHOLASTIKERPROBLEM
EIN MODERNES MÄRCHEN
I. Früchte der Bildung
II. Not lehrt Beten
DIE ZWEI TURMUHREN
ST. EXPEDITUS
I
II
VERZEICHNIS DER GEDICHTÜBERSCHRIFTEN UND -ANFÄNGE
Die Spanne, die nicht Träumen ist noch Wachen,
beschenkt mich oft mit seltsamen Gedichten:
Der Geist, erregt, aus Chaos Welt zu machen,
gebiert ein Heer von landschaftlichen Sichten.
Da wechseln Berge, Täler, Ebnen, Flüsse,
da grünt ein Wald, da türmt es sich graniten,
da zuckt ein Blitz, da rauschen Regengüsse,
und Mensch und Tier bewegen sich inmitten.
Das sind der Vordern fortgepflanzte Wellen,
die meinen Sinn bereitet und bereichert,
das Erbe ihrer Form- und Farbenzellen,
darin die halbe Erde aufgespeichert.
Ich stand, eine Vase
voll üppiger Rosen,
auf einer Konsole
am Lager der Liebsten
und goss überschwängliche
Gluten und Düfte
ins mondige Dämmer
der magdlichen Kammer.
Aufseufzte das Mädchen
und streckte das weiße
Gelenk ihrer Linken
nach mir und umschloss mich
und hob mich hinüber –
und alles im Schlafe.
Da schwankte die Vase,
und all meine Rosen
entfielen ihr lodernd
und hüllten in Purpur
das brüstliche Linnen:
Aufschlugen erschreckt sich
zwei glänzende Augen –
und sahn mich, den Menschen,
sich über sie beugen …
Ich aber – ihr Götter! –
mich über sie neigend,
ich ward meines Kusses
betrogen! –: Nur Rosen,
worauf ich mich neigte!
Kein Liebchen, kein Lager,
kein Zimmer, kein Ort mehr –
nur Rosen, nur Rosen!
Ich stürzte in Rosen –
durch Rosen – auf Rosen …
bis quälende Schmerzen
der Schläfe mich weckten.
Ein schwarzes Vöglein fliegt über die Welt,
das singt so todestraurig …
Wer es hört, der hört nichts anderes mehr,
wer es hört, der tut sich ein Leides an,
der mag keine Sonne mehr schauen.
Allmitternacht, Allmitternacht
ruht es sich aus auf dem Finger des Tods.
Der streichelt’s leis und spricht ihm zu:
»Flieg, mein Vögelein! flieg, mein Vögelein!«
Und wieder fliegt’s flötend über die Welt.
»Von der Brücke hinunter
in die dunklen, ruhlosen Fluten,
deren Wellen um Wellen
deine Blicke mit sich fort ziehen,
deren Wellen um Wellen
ein Stück deines Willens
davonführen,
bis er ganz dir geraubt,
und dein Leib,
leer,
schwer,
übers Geländer schlägt –
von der Brücke hinunter
schaue, spähe …
siehst du das Wort nicht,
das meine Finger
ins Wasser schreiben?
Friede … Friede …!
und was ich nun schreibe?
Komm!
Komm!!
Siehst du es nicht?
Beuge dich tiefer!
Komm!!!«
Ein Gewitter, im Vergehn,
ließ einst einen Donner stehn.
Schwarz in einer Felsenscharte
stand der Donner da und harrte –
scharrte dumpf mit Hals und Hufe,
dass man ihn nach Hause rufe.
Doch das dunkle Donnerfohlen –
niemand kams nach Hause holen.
Sein Gewölk, im Arm des Windes,
dachte nimmer seines Kindes –
flog dahin zum Erdensaum
und verschwand dort wie ein Traum.
Grollend und ins Herz getroffen
lässt der Donner Wunsch und Hoffen,
richtet sich im Felsgestein,
wie ein Bergzentaure ein.
Als die nächste Frühe blaut,
ist sein pechschwarz Fell ergraut.
Traurig sieht er sich im See
fahl, wie alten Gletscherschnee.
Stumm verkriecht er sich, verhärmt;
nur wenn Menschheit kommt und lärmt,
äfft er schaurig ihren Schall,
bringt Geröll und Schutt zu Fall …
Mancher Hirt und mancher Hund
schläft zu Füßen ihm im Schrund.
Steht ein Häuschen an der Bahn,
hoch auf grünem Hügelplan.
Tag und Nacht, in schnellem Flug,
braust vorüber Zug um Zug.
Jedes Mal bei dem Gebraus
zittert leis das kleine Haus –:
»Wen verlässt, wen sucht auf
euer nimmermüder Lauf?«
»Oh nehmt mit, oh bestellt
Grüße an die weite Welt!«
Rauch, Gestampf, Geroll, Geschrill …
Alles wieder totenstill.
Tag und Nacht dröhnt das Gleis.
Einsam Häuschen zittert leis.
Litt einst ein Fähnlein große Not,
halb war es gelb, halb war es rot,
und wollte gern zusammen
zu einer lichten Flammen.
Es zog sich, wand sich, wellte sich,
es knitterte, es schnellte sich –
umsonst! es mocht’ nicht glücken
die Naht zu überbrücken.
Da kam ein Wolkenbruch daher
und wusch das Fähnlein kreuz und quer,
dass Rot und Gelb, zerflossen,
voll Inbrunst sich genossen.
Des Fähnleins Herren freilich war
des Vorgangs Freudigkeit nicht klar –
indes, die sich besaßen,
nun alle Welt vergaßen.
Auf einem Eichenstrunk, die Ziegenbeine
behaglich überschlagen, sitzt ein Faun
und liest in einem alten Zeitungsblatt,
das er im Walde irgendwo gefunden.
Ein Feuilleton »Die Presse, ihre Macht
und heilige Mission« beschäftigt ihn.
»Die Presse«, liest er, »ist das Fundament
der heutigen Kultur, der stärkste Hebel
geistigen Fortschritts, höherer Gesittung.
Sie ist die Lehrerin, Erzieherin
und Richterin der Völker! Nichts entzieht sich
der Allmacht ihrer Kritiker: Sie prüft,
beleuchtet alles, was du denkst und tust,
sie ist die vornehmste, stets wachsame
und drum so wichtige Vertreterin
der öffentlichen Meinung. Papst und Kaiser
umbuhlen sie. Und bis herab zum Bettler
sieht alle Stände, alle Klassen man
ihr unterworfen und gezwungen, sie
zu respektieren. Und noch mehr, noch mehr!
Sie ist das unentbehrlich-wichtigste
Verkehrs- und Bildungsmittel unsrer Zeit:
Bezieht ein großer Teil der Menschheit doch
heut sein gesamtes Wissen aus der Zeitung!
Denn mehr und mehr verdrängt die Tagespresse
der langen Bücher zweifelhaften Wert:
Der Menschen Kraft, Bedürfnis nehmen heut
die Zeitungen und Zeitschriften in Anspruch,
sodass der Sammlung fordernden Lektüre
kein Raum mehr bleibt. Die für den Tag geschriebnen
und mit dem Tag vergehnden Zeitungen,
sie wirken eben rascher als die dicken,
gedankenschweren Bücher, ja noch mehr!
In ihren Händen liegt das Schicksal aller
schriftstellerisch- und dichterischen Werke!«
Mit breitem Grinsen liest es der Panisk,
und seine Flöte an die Lippen langend,
erhebt er sich und trabt vergnügt waldein.
Ein Wiesel raschelt unterm Stamm hervor;
die hohen Eichen flüstern hell im Wind;
und das Papierchen tanzt in eine Pfütze.
Noch flieht der Blick des jungen Tags
der Berge nebelgraue Gipfel,
und schon entschwebt, gemessnen Schlags,
die erste Krähe ihrem Wipfel.
Der schwankt, befreit von schwerer Last,
dass rings die Zweige sich bewegen:
Fahlsilbern sprüht von Ast zu Ast
des Frühtaus feiner Flüsterregen.
Doch eh’ sein Flüstern noch erstickt,
enttönt ein »Krah« dem stillen Raume:
Der Vogel hat am Wolkensaume
das erste blasse Rot erblickt.
Auf allen Wipfeln wacht es auf
und schüttelt sich und ruft nach Taten …
In lautem Streiten und Beraten
erhebt sich endlich Hauf um Hauf.
Nur zwei Gewitzte warten schlau,
bis alles nach und nach verstoben,
sie wissen einen nahen Bau,
den gestern Jäger ausgehoben.
Ein Käuzleinflügel harrt hier noch,
die Kecken lecker zu belohnen –:
Das Paar umkreist erregt das Loch …
Braungolden glänzt das Meer der Kronen …
Weh dir,
der du ein Deutscher bist!
Deine glühende Seele
musst du in Einsamkeit flüchten;
denn im Qualm und Geschrei deiner Märkte
achtet niemand dein –
und wie ein Narr
stehst du, feierlich dich gebärdend,
schwere, langsame Worte rollend,
unter der wirren, kreischenden Menge.
Rolltest du blanke Taler
in ihre Gassen,
heiß umpestete dich
ihr geiler Atem –
aber verhüllten Hauptes,
Mensch der Würde,
wendest du dich …
Hier ist unheiliger Boden.
Weh dir,
der du ein Menschenfreund –
doppelt weh dir,
der du es Deutschen bist!
Aus der Inbrunst deiner Liebe
musst du dich
immer wieder
in brennender Scham
an die Knie der Einsamkeit
flüchten!
Nur müsst ihr mich nicht halten wollen,
wenn die Rosse der Phantasie
vor meiner Geißel dahinrasen!
Wehe dem Schurken,
der mir in die Zügel fällt, –
siebenmal schleif ich ihn
um den Bezirk
meiner Welt.
Wehe vor allem dem Rezensenten,
der mir
mit höchst ungriechischem Feuer
den Weg bedräut.
Meine Peitsche ist länger noch
als seine Ohren,
von stärkerem Leder
als seine Hirnhaut,
die Schnur noch gespaltner
als seine Zunge.
Bahn frei!
Kurz ist zur Fahrt die Zeit.
Springt mit herauf,
wenn’s euch lüstet!