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»Alle reden vom Altern, wir tun's!« Begleiten Sie das erfolgreiche Bestsellerduo auf seiner rasanten Abenteuer-Reise durch die späteren Jahre In der Theorie haben wir die herrlichsten Pläne für die Happy Hour unseres Lebens: Freundschaften und Hobbies pflegen, Träume realisieren, sich selbst, die Welt, vielleicht auch noch einmal die Liebe neu entdecken. In der Praxis zeigt sich: Älterwerden ist gar nicht so einfach, wie man immer denkt. Denn da liegt plötzlich ein Rentner in unserem Bett, man soll mal wieder mit einem Taschengeld auskommen und nicht nur die Kinnhaare wachsen, sondern auch Trägheit, Mutlosigkeit und Fatalismus. Der Notausgang aus dem Alters-Grau: Humor, Zuversicht und Mut Die Spiegel-Bestseller-Autorinnen Susanne Fröhlich und Constanze Kleis haben ein paar Vorschläge, wie man den Zumutungen des Älterwerdens die Stirn bietet. Natürlich alle im Selbstversuch getestet - Wie man den Langlebigkeits-Hype – inklusive Eisbaden – überlebt - Wie man in einem Tattoo-Studio seine wahre Bestimmung findet - Wie man der Sogkraft des Sofas entkommt - Wie man lernt Finanzthemen zu lieben - Wie man möglichst früh letzte Dinge regeltGanz nach dem Motto: »Sei stärker als deine stärkste Ausrede – kleine Schritte sind besser als keine Schritte!« Ein Buch für alle, die die Alters-Arena mit hoch erhobenem Kopf betreten und den angestaubten Bildern von der Frau in ihren späteren Jahren den Mittelfinger zeigen wollen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 327
Veröffentlichungsjahr: 2025
Susanne Fröhlich / Constanze Kleis
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
»Alle reden vom Altern, wir tun’s!«
Begleiten Sie das erfolgreiche Bestsellerduo auf seiner rasanten Abenteuer-Reise durch die späteren Jahre
In der Theorie haben wir die herrlichsten Pläne für die Happy Hour unseres Lebens: Freundschaften und Hobbies pflegen, Träume realisieren, sich selbst, die Welt, vielleicht auch noch einmal die Liebe neu entdecken. In der Praxis zeigt sich: Älterwerden ist gar nicht so einfach, wie man immer denkt. Denn da liegt plötzlich ein Rentner in unserem Bett, man soll mal wieder mit einem Taschengeld auskommen und nicht nur die Kinnhaare wachsen, sondern auch Trägheit, Mutlosigkeit und Fatalismus.
Der Notausgang aus dem Alters-Grau: Humor, Zuversicht und Mut
Die Spiegel-Bestseller-Autorinnen Susanne Fröhlich und Constanze Kleis haben ein paar Vorschläge, wie man den Zumutungen des Älterwerdens die Stirn bietet. Natürlich alle im Selbstversuch getestet
– Wie man den Langlebigkeits-Hype – inklusive Eisbaden – überlebt
– Wie man in einem Tattoo-Studio seine wahre Bestimmung findet
– Wie man der Sogkraft des Sofas entkommt
– Wie man lernt Finanzthemen zu lieben
– Wie man möglichst früh letzte Dinge regelt
Ganz nach dem Motto: »Sei stärker als deine stärkste Ausrede – kleine Schritte sind besser als keine Schritte!«
Ein Buch für alle, die die Alters-Arena mit hoch erhobenem Kopf betreten und den angestaubten Bildern von der Frau in ihren späteren Jahren den Mittelfinger zeigen wollen.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.droemer-knaur.de
Motto
Kaptelaufmacher
Der ganze schöne Rest
Kapitelaufmacher
Wir haben die Jahre schön
Schmetterling-Blues
Das große Staunen
Alle Tanzlust will Ewigkeit
Ortswechsel
Von Luxus bis Low Budget
On the Road again …
Reise-Mehrwert
Premierenfeiern
Man trifft sich …
To do or not to do
Ausreden-Championship
Saumseligkeitsspuren
Sozial faul
Leerlauf
Gar keine Termine ist auch keine Lösung
Affären
Kapitelaufmacher
Einmal fast ewig gelebt …
Ice Ice Baby
Tiefgekühlt
Wunschdenken
Neunzig ist das neue fünfzig
Longevity-Ausgangslage
Wollt ihr die totale Disziplin?!
Verzweiflung inbegriffen
Reich und unsterblich
Jedem sein langes Leben
Kapitelaufmacher
Aufzucht-Zielgerade
Gebrauchswert
Jugendüberheblichkeit
Abrechnungsmodus
Schuldverteilung
Social Distancing
Bratwurst-Geheimnisse
Kindertalk
Kapitelaufmacher
Der Rentner in meinem Bett
Ruhestandsverweigerer
Loriot-Momente
Liebe im Ruhestand
Bedürfnispyramiden
Notausgänge
Etwas Besseres
Leider ungeil
Kapitelaufmacher
Der Teufel ist ein Eichhörnchen
Brustkopfrechnen
Baustelleneröffnungen
Letzte Dinge
Kapitelaufmacher
Supermann darf nicht sterben
Gewese für Fortgeschrittene
Hilfeverweigerer
Gesundheitsparadox
Frauen kränkeln anders
Materialverschleiß
John-Wayne-Syndrom
Wider besseres Wissen
Der innere Kerl
Kapitelaufmacher
Küsse den Dagobert Duck!
Rechnen für Anfänger
Lernverweigerinnen
Geld ist relativ
Trocken, salzlos, unsexy
Übereifrige Friedenstauben
Sparpotenzial
Geld können
Strahlenschutzunterwäsche und andere Investments
Kapitelaufmacher
Uschi Glas und ich
Leben im Konjunktiv
Die Reue-Kategorien
Abenteurer im Abseits
Richtig über falsch
Kapitelaufmacher
Latten im Alterszaun
Jugendwahnsinnig
Altershingabe
Platzmacherinnen
Jung gedacht
No risk, no fun …
Kriminelle Alterserscheinungen
Altershelikopterübermutter
Kapitelaufmacher
Der allgemeine Verfall
Kleine Korrekturen
Naturbelassen
Sehenswürdigkeiten
Beauty-Praxis-Check
Zurück in die Wirklichkeit
Bein-Freiheit
Gewichtsklassen
Farbenlehre
Kapitelaufmacher
Lose Verbindungen
Kleine Lichter
Männer-Alternativen
Liebe sich, wer kann …
Aufbruch ins Unverbindliche
Viele fürs Leben
Das Freundschafts-Einhorn
Der ewige Lockdown
Kontaktdurst
Freundschaftsansprüche
Kapitelaufmacher
Schluss
Monster auf der Flucht
Einfach mal was Schönes
Quellen
»So wie ich es sehe, musst du den Regen ertragen, wenn du den Regenbogen willst.«
Dolly Parton
Wir leben eine Art Pubertät ohne Pausenaufsicht.
Was und wer wartet da draußen denn noch auf mich?« Gabriele stellte diese Frage bei unserem letzten Freundinnentreffen. Stellvertretend für uns alle. Wir sind nicht ganz alt, aber zweifelsohne bereits länger nicht mehr richtig jung. Einige haben Kinder, die eine Weile aus dem Haus sind und dabei einen ziemlich erwachsenen und ganz schön selbstständigen Eindruck machen (auch, wenn manche Mütter das gern ignorieren). Unsere Jobs laufen in leidlich geordneten Bahnen, wenn wir nicht sowieso schon in Rente sind. Wir sind zwar nicht mehr der heißeste Scheiß. Aber trotzdem noch recht ansehnlich. Zumal, wenn man beim Blick in den Spiegel die Lesebrille weglässt. Wir befinden uns irgendwo zwischen Adele und André Rieu. Hoffen darauf, viel Schönes vor uns zu haben, und fürchten, dass das Beste vielleicht hinter uns liegt. Wir sehen ja an unseren Eltern, wie kurz am Ende das Leben doch sein kann. Und bekommen es auch in den Medien zu spüren, die unsere Altersgruppen so gern in Schubladen stecken, in denen sich schon Blasentee, Rheumasalbe, Treppenlifte, Inkontinenzeinlagen und »endlich nicht mehr müssen müssen« befinden. (An dieser Stelle unsere Botschaft an die Berufsjugendlichen aus der Werbebranche: Unser Geld bekommt ihr so ganz sicher nicht!)
Wir leben gleichzeitig eine Art Pubertät ohne Pausenaufsicht und unter einem Damoklesschwert. Einerseits ist praktisch alles möglich. Wir können noch mal studieren, Fremdsprachen lernen, als Granny-Au-pair nach New York ziehen, uns scheiden lassen und neu verlieben oder mit einer Freundin zusammenziehen und haben für all das jede Menge Zeit. Denn wir werden sehr viel älter werden als die Generationen vor uns. Andererseits bergen die späteren Jahre für viele auch gesundheitliche Einschränkungen, herbe Schicksalsschläge, und außerdem bestätigt der Rentenbescheid bei manchen nun den Verdacht, dass man gleichzeitig sehr alt und immer noch Taschengeldempfänger sein kann. Dann möchte der Mann – statt zu reisen, wie man sich das so schön vorgestellt hat – lieber mit dem Sofa eine organische Verbindung eingehen, und/oder die Kinder fangen mit Mitte dreißig gerade die vierte Ausbildung an. Das kann einen ganz schön zermürben. Zumal ja noch ein dritter Faktor hinzukommt: Jetzt, wo sich das strikte Alltagskorsett, in dem wir die letzten Jahrzehnte verbracht haben, langsam lockert, fallen auch all die Ausreden weg, mit denen wir uns und anderen erklärt haben, weshalb wir keinesfalls dazu kommen, regelmäßig Sport zu machen. Wieso es keine gute Idee ist, einfach mal drei Monate auf Weltreise zu gehen. Warum Vokabelnlernen Jahrzehnte nach der letzten Englischarbeit echt eine Zumutung ist.
Jetzt stellen wir fest: Wir könnten uns endlich unsere Träume und Sehnsüchte erfüllen. All das tun, wozu wir so lange nicht gekommen sind. Aber wir merken auch, dass die Motivation vor allem da zu Hochform aufläuft, wo wir uns selbst Hürden in den Weg stellen. Indem wir behaupten, dass wir nun aber wirklich »zu alt« sind oder es sowieso »zu spät« sei und wir uns »mit DER Arthrose im Knie« höchstens noch die Schleichspur zutrauen. Ja, wir lernen uns selbst noch einmal ganz neu kennen. Was auch nicht immer einfach ist.
Aber das alles dient einem sehr, sehr guten Zweck: Bloß nicht die vielleicht beste, ganz sicher aber die letzte Gelegenheit zu verpassen, all das zu tun, was wir uns für ein gutes, spannendes, beglückendes langes Leben vorgenommen haben. Gemeinsam mit vielen anderen klugen, interessanten, lustigen, neugierigen, tatkräftigen Frauen.
Was das genau sein könnte, darum geht es in diesem Buch. Wir beide haben so ziemlich gemeinsam (die eine etwas früher als die andere) dieses ja auch für uns neue Terrain »Altern« betreten. Wir haben ausprobiert, was alles möglich, nützlich, bereichernd, vernünftig beglückend sein könnte. Wir waren im Tattoo-Studio, Eisbaden und mit dem Rucksack auf großer Reise. Wir haben erfahren, dass man sich auch in einem Volkshochschulkurs »Steuererklärung« ein wenig verlieben kann – nämlich in das Thema »Finanzen«. Wir haben uns mit dem Rentner in unserem Bett auseinandergesetzt, waren in Tanktop und Baggy-Jeans tanzen und haben uns gefragt, wie sinnvoll ein Mann überhaupt für ein erquickliches Später ist. Wir haben uns mit den letzten Dingen beschäftigt – mit Krankheiten, Pflege, Vorsorgevollmachten. Genauso auch mit Einsamkeit und Freundschaften. Wir haben darüber nachgedacht, uns die Falten einfach mal professionell wegstraffen zu lassen und ob Grau wirklich das neue Pink ist. Bei all dem haben wir erfahren, dass es so viel mehr Schönes über das Älterwerden zu sagen gibt als bloß, endlich aus dem Beuteschema von Till Lindemann raus zu sein.
Wir freuen uns jedenfalls auf all das, was noch kommt. Darauf, gemeinsam mit all den wunderbaren Frauen da draußen total fit, sehr neugierig und enorm abenteuerlustig noch sehr viel älter zu werden. Schon, weil Menschen, die dem Alter positiv gegenüberstehen, fünf bis sechs Jahre länger leben, als solche, die sich darüber grämen. Bevor Sie jetzt denken, wir hätten uns das Alter mit Klosterfrau Melissengeist rosig getrunken – lesen Sie einfach weiter und schauen Sie schon mal im Netz nach Badeseen, die auch im Winter geöffnet sind, hübschen Tattoo-Motiven und dem nächsten Club, der die Musik Ihrer Jugend spielt: Sie werden dies alles möglicherweise bald sehr gut brauchen können.
Manchmal muss man sich eben selbst davon überzeugen, dass man noch ganz anders ist und anderes kann.
»Years may wrinkle the skin, but to give up enthusiasm wrinkels the soul.«
Samuel Ullman
Ich sitze rücklings auf einem Stuhl. Nur in Jeans und BH. Hinter mir bearbeitet ein knapp Volljähriger meinen Rücken. Ja, was nun kommt, hätte durchaus einen Vermerk des Jugendschutzes verdient. Nicht etwa wegen »sexueller Inhalte«, sondern weil hier jemand, der nun wirklich alt genug wäre, um es besser zu wissen, es trotzdem tut: sich ein Tattoo stechen lassen. Genauer gesagt lasse ich die kleine Rose vergrößern, die ich seit dreißig Jahren auf meiner linken Schulter trage. An einer Körperstelle, die vermutlich als letzte faltig werden würde. So war damals mein Plan, und dann war die Stelle auch die Antwort auf die Frage: »Was ist, wenn es dir in fünf Jahren nicht mehr gefällt?« Dann könnte ich das Tattoo jenseits meines Blickfeldes erfolgreich ignorieren. Der Tätowierer damals war ein gemütlicher, älterer Kerl. Und ja, das Stechen hat ein wenig wehgetan. Er und ich haben uns trotzdem blendend unterhalten. Am Schluss sagte er mir, wie nett er mich findet und dass er mir deshalb noch ein Extra tätowiert habe: einen kleinen Schmetterling. Der riss die an sich schöne Rose für meinen Geschmack leider in tiefste Kitschabgründe. Na prima: Keine fünf Minuten nach dem Stechen war ich schon froh, dass mir meine Tätowierung nicht allzu oft unter die Augen kommen würde. »Das ist echt frech und übergriffig!!«, meinte eine Freundin damals ganz richtig. Aber jetzt war der Schmetterling nun mal da. Und man kann nicht sagen, dass er den Eindruck des Tattoos im Umfeld schmälerte. Alle fanden es schrecklich, dass ich mich überhaupt hatte tätowieren lassen. Inklusive meines Mannes. Der hatte mir gleich bei einem unserer ersten Dates – es war die Zeit der Arschgeweihe – erklärt, wie maximal bescheuert er Tattoos findet. Aber weil die Rose schon vor ihm da war, hat er sie dann doch geschluckt.
»Sei doch froh, wenn es endlich verblasst ist!«, meinten jetzt alle, denen ich erzählte, dass ich mir mein Tattoo mit über sechzig noch mal in hübsch gönnen wollte. Aber auch: »In deinem Alter sollte man doch vernünftiger sein!« Ich sagte: »So ein Tattoo hat doch auch Vorteile. Zum Beispiel erleichtert es die Identifizierung nach einem Flugzeugabsturz!« Und: »Sogar Kaiserin Sissi hatte ein Tattoo!« Ich fragte jeden, der ein einigermaßen ansprechendes Bild unter und auf der Haut trägt, nach einer Empfehlung und vereinbarte schließlich einen Termin in dem Studio mit den überzeugendsten Arbeitsproben.
Diesmal war es kein gemütlicher Kerl in den Fünfzigern, sondern ein junger Bulgare. »Ein großes Talent!«, so versichert mir der Besitzer des Tattoo-Studios. Ich hoffe, dass mich die Tattoo-Hochbegabung nicht so nett findet wie sein Vorgänger. Aber da wir nicht miteinander reden können – er spricht kein Deutsch und kein Englisch –, stehen die Chancen gut. Gemeinsam haben wir uns in Zeichensprache grob darauf geeinigt, dass es eine größere Rose in einem ganz anderen Style werden soll. Und dass der Schmetterling unbedingt wegmuss. Das Resultat ist ganz in Ordnung. Sehr viel besser jedenfalls als das Vorgängermodell.
Mein Mann sagt nichts. Die eine oder andere Freundin lässt sich die Rose zeigen und betont noch einmal, dass so etwas für sie niemals infrage komme. Dabei habe ich die Möglichkeiten, andere zu schocken, nicht mal im Ansatz ausgekostet. Also jedenfalls nicht so weidlich wie der junge Mann – Typ »vollschlanker Teddy« –, der mit mir im Tattoo-Studio war. Als ich ging, hatte er sich gerade sein T-Shirt über das zähnefletschende Monster gezogen, das ihm in XXL auf die leicht speckige Brust gestochen wurde. Ich dachte noch: Da will einer seine wilde und verwegene Seite zeigen – und also, dass er ganz anders als die Erwartungen ist, die er vermutlich weckt.
Eine Freundin, der ich davon erzähle, meint: »Boah, stell dir vor, der lernt eine Frau kennen, die ihn gerade deshalb süß findet, weil er so weich und knuffig ist und eben nicht einer von den Kerlen, an deren stahlharten Muskeln man sich beim Sex schlimme Prellungen holt. Und dann zieht er sich aus. Das ist doch ein Schock!! Und was sagt er später mal seinen Kindern? ›Papi hat eine Wette verloren?‹«
Aber kann es einem nicht herzlich egal sein, was die anderen sagen? Noch einmal mehr in einem Alter, in dem man aus Erfahrung weiß, dass ein eigenes Leben immer erfüllender, aufregender, erfreulicher ist als das, was einem andere dauernd aufdrängen wollen? Wie dem knuffigen Teddy dieses Monster auf der Brust, so hätte man mir schon vor dreißig Jahren nicht mal überhaupt ein Tattoo zugetraut. Wie vieles andere auch nicht. Ich habe mir manches nicht mal selbst zugetraut. Bis ich es gemacht und den Rahmen verlassen habe, in den man mich stecken wollte. Manchmal muss man sich eben selbst davon überzeugen, dass man noch ganz anders ist und anderes kann. Und ich finde, dafür ist gerade jetzt – im fortgeschrittenen Alter – die perfekte Gelegenheit. Die Pflichten werden weniger, das enge Korsett der Aufgaben lockert sich.
So ziemlich alles ist jetzt möglich. Auch und vor allem: sich von den Erwartungen anderer zu verabschieden. Im Großen wie im Kleinen und manchmal ganz nebenbei.
So wie Birgit, mit der ich gestern shoppen war. In einem Kaufhaus entdeckte die 64-Jährige ihr Traumkleid. Expressive, riesige Blüten. Puffärmel, die textile Inkarnation des Sommers. Normalerweise unbezahlbar für sie, die von einer kleinen Rente lebt, nun aber vom Sale in greifbare Nähe gerückt. Birgit probierte es an und war sofort schockverliebt. Eine andere Kundin beobachtete, wie Birgit sich vor dem Spiegel hochbeglückt von allen Seiten betrachtete. »Ja, ganz hübsch«, sagte die Kundin. »Aber Sie wissen schon, dass dieses Kleid Sie nicht gerade schlanker macht!«
Birgit antwortete: »Ach, ich finde das Kleid so schön. Und ehrlich, ich bin jetzt in einem Alter, wo es mir wirklich egal ist, ob mich ein Kleid schlanker macht. Eine Diät würde mich schlanker machen. Aber wissen Sie was: Die steht nicht auf meiner To-do-Liste. In diesem Kleid fühle ich mich besonders. Ich kaufe es!«
Die Kundin, zaundürr, behängt mit reichlich viel teurem Schmuck, wirkte ein wenig brüskiert. Nicht nur, weil da eine ihren sicher gut gemeinten Rat in den Wind schlug (in den allerdings auch eine amtliche Beleidigung verpackt war: In ihren Augen sollte Birgit ja dringend drauf achten, nicht noch dicker auszusehen, als die Kundin sie offenbar empfand). Vermutlich hat es ihr Weiblichkeits-Koordinaten-System durcheinandergebracht, dass eine Frau mal nicht darauf aus war, sich entlang der offiziellen Beauty-Anforderungen herzurichten und das bis zum Ende ihrer Tage als ihre Hauptaufgabe zu betrachten.
»Lass dich überraschen!« – die Titelmelodie der Rudi-Carrell-Show, die 1988 an den Start ging, könnte auch den Soundtrack für unser Älterwerden abgeben. Angesichts der Möglichkeitsräume, die sich uns auch durch andere eröffnen. Weil sie uns zeigen, was nun alles geht.
Es sind Frauen wie jene, die wir auf Sylt trafen. Wir hatten eine »Vogelkundliche Führung« gebucht. (Ja, wir waren sehr verzweifelt nach einer Woche schlechtem Wetter.) Treffpunkt war das Haus des Vereins, der die Führungen organisiert. Idyllisch und sehr einsam gelegen. Die Frau, die uns nun die Vogelwelt dort nahebringen sollte, erzählte, sie habe früher Pflegekräfte unterrichtet, sei aber nun seit Kurzem in Rente. Nach einer Schulung mache sie nun für ein paar Monate Freiwilligendienst hier in der Station. Ihre Aufgabe: Vögel zu zählen und vogelkundliche Führungen für die Touristen zu übernehmen. Die Frau zeigte uns, wo sie wohnte: in einer winzigen Kammer unterm Dach. Ohne Bad und Dusche. »Ich benutze Besuchertoiletten im Erdgeschoss. Auch zum Waschen.« Ich dachte an ein paar Freundinnen, die es unzumutbar finden, wenn im Hotelzimmer der Fön fehlt. Aber wie heißt es so richtig: »Glück ist eine Überwindungsprämie« und »Kein Essen ohne Abwasch«. Oder etwas poetischer: »Zu seinen Sternen segelt man am besten auf einem Meer aus Schweiß und manchmal auch Tränen.«
Sehr viel davon hat eine Bekannte investiert, die im stolzen Alter von Mitte sechzig mit dem Trompetespielen begann. Der Anfang sei ganz einfach gewesen: »Wenn man dazu Lust hat, geht man zum Blasorchester Babenhausen 1949 e.V. Dort wird man in einen Raum voller Instrumente geführt und hat die Qual der Wahl zwischen Flöte, Oboe, Klarinette, Saxofon, Trompete, Horn, Tenorhorn, Bariton, Euphonium, Posaune, Tuba, Schlagzeug.« Dann gilt: üben, üben, üben. Wöchentlich finden jeweils Unterricht und eine Orchesterprobe statt für den großen Auftritt – einmal im Jahr in der Stadthalle. Andere um uns herum fangen noch einmal ein Studium an oder lernen eine Fremdsprache oder zu kraulen. So wie die Seniorinnen in dem spanischen Hallenbad, in dem ich im Frühling schwimmen war. Sie übten unter Anleitung einer jungen Frau mehr als eine Stunde lang. Keine jammerte, keine machte eine Pause. Es sah anstrengend aus. Aber man spürte auch die Freude an den neuen Fertigkeiten. Daran, immer noch zu wachsen. Auch und gerade an den Herausforderungen, denen man sich in den späteren Jahren stellt. Man könnte auch sagen: Leben bringt Leben hervor.
Freitagabend in der Brotfabrik Frankfurt im Stadtteil Hausen. Um 21 Uhr öffnen sich die Pforten für die Party »minus50plus«, um 21:10 Uhr ist die Tanzfläche voll. Erst denke ich: »Gott, so viele alte Menschen hier!« Dann fällt mir ein, dass ich ja genauso alt bin, und wenig später fühle ich mich inmitten von rund zweihundert anderen »Babyboomern« wie einst im Mai. Sie kommen nicht nur aus Frankfurt. Sie reisen teilweise aus anderen Bundesländern an, um zu feiern, als wäre man noch mitten in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren. Als gäbe es kein Morgen, in dem man sich über die pflegebedürftigen Eltern Sorgen macht, die eigene magere Rente, den Krieg in der Ukraine oder den grauen Star, der einem gerade attestiert wurde.
Ja, entgegen anderslautenden Vermutungen sind Zeitreisen möglich. Jedenfalls unter der Regie der 69-jährigen Elvira Weiss. Sie lässt hier als DJ Vira zweimal im Monat eine Art akustischen Jungbrunnen sprudeln. Als man sie Anfang der Nullerjahre fragte, ob sie an ihre DJ-Erfahrung aus den 1980ern in einem der angesagtesten Frankfurter Clubs anknüpfen wolle, war Elvira Weiss noch skeptisch, wie sie mir in einem Interview für die Frankfurter Allgemeine Zeitung erzählte. »Ich dachte erst: Da kommt doch niemand. Die Männer nicht, weil sie längst zu träge sind. Die Frauen nicht, weil sie sich nicht allein trauen. Aber da hatten wir uns getäuscht.«1 Die Partyreihe – die sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Verleger Rainer Weiss, aus der Taufe hob – war von Anfang an ein Erfolg. »Es gibt ja sonst kaum Orte für diese Generation, an denen auch die Musik gespielt wird, die mit so vielen Erinnerungen an deren wilde Partyzeiten verbunden ist. Dann ist es auch entspannt. Es gibt keine ›Tür‹, also keine Kontrolle, irgendeine bestimmte Optik oder ein Outfit betreffend. Jeder kann so kommen, wie er oder sie ist. Und niemand braucht es peinlich zu sein, noch mit Ende sechzig oder auch mal Mitte siebzig die Tanzfläche zu rocken. Das ist es ja, was an diesem Abend alle wollen.«2
Elvira Weiss isst übrigens vor ihrem Auftritt erst mal einen Teller Spaghetti. »Die Kohlehydrate beruhigen mich!« Und sie sorgen für Ausdauer. So ein Abend dauert für die Mutter zweier Söhne immerhin bis zwei Uhr morgens. »Die letzten zehn Minuten gehe ich für das letzte Lied selbst auf die Tanzfläche. Dann spiele ich oft ›School‹ von Supertramp. Das ist einfach so grandios. Ich tanze mit allen, die noch da sind, und bedanke mich dafür, dass sie ein so tolles Publikum sind. Dann gibt es einen Wahnsinnsapplaus. Das ist unglaublich.«
Rauskommen, Spaß haben, den Horizont erweitern. Es gibt so viele Möglichkeiten – sowohl ganz in der Nähe und ebenso natürlich auch in der Ferne.
Ich stehe am Busbahnhof in Kuala Lumpur. Es ist Nacht. Mein Rucksack wiegt 21 Kilo – meine Handtasche (extra im Outdoorladen gekauft, also kein Designerteilchen) bestimmt noch mal acht Kilo. Ich müsste mal. Es ist kühler als gedacht, und ich frage mich wirklich, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe. Ist das altersadäquat, was ich hier mache? Was genau will ich eigentlich hier? Habe ich etwa kein schönes Zuhause?
Ich schleppe den Rucksack, die Tasche und mich auf ein Schmuddelklo. Es ist eng. Und ehrlich gesagt auch eklig. Gerade fühle ich mich nur mies. Allein zu reisen ist eine Herausforderung. Niemand, dem man die Ohren volljammern kann, niemand der mit einem staunt, lacht und sich auch mal ärgert. Oder zumindest mal auf den Rucksack aufpasst.
Ich warte auf den Bus. Den Nachtbus nach Tioman. Tioman ist eine Insel im Südchinesischen Meer. Da will ich hin. Ein spontaner Reiseplan. Nichts, was schon ein Leben lang auf meiner Agenda stand.
Die Idee, nach Tioman zu fahren, kam durch meine Literatursendung beim MDR. Eine meiner Gäste war eine Frau, die mit dem Segelboot um die Welt gefahren ist und dann auf den Philippinen entführt wurde. Nach einem Monat Geiselhaft wurden sie und ihr Partner freigekauft. Inzwischen ist sie mit dem Boot (ganz allein!) von den Philippinnen bis nach Tioman gesegelt (allein der Gedanke, das unbegleitet zu stemmen, gruselt mich) und liegt dort im Hafen. »Kommen Sie mich doch mal besuchen!«, sagte sie, als wir beim MDR zusammensaßen. Und ich, ich sagte: »Ja.« Wer mich kennt, weiß, dass ich das, was ich zusage, zumeist auch einhalte.
Deswegen nun der Busbahnhof.
Als ich so ohne Begleitung nur mit meinem irre schweren Rucksack am Flughafen in Frankfurt stand, kam ich mir vor wie eine verwegene Abenteurerin. Dabei war schon die Logistik des Packens eine Herausforderung. Kulturbeutel von 18-jährigen Backpackern sehen mit Sicherheit anders aus als meiner. Er nimmt den halben Rucksack ein, und ich habe mich schon enorm eingeschränkt. Ich habe Make-up und fast alles Dekorative zu Hause gelassen. Aber mit Ende fünfzig braucht es schon ein wenig mehr als mit Anfang zwanzig. Allein mein Vorrat an Kontaktlinsen … die Schilddrüsentabletten …
Ich weiß natürlich inzwischen, dass man im Zweifelsfall sehr viel weniger braucht, als man denkt, und die Wahrscheinlichkeit, dass ich auf Tioman chic ausgehen werde und entsprechende Kleidung brauche, tendiert gegen null. Aber sicher ist sicher. Ich bin für alle Fälle gerüstet. Mein Rücken findet das keine gute Idee.
Die Anreise bis zur Insel gestaltet sich als Geduldsspiel. Als ich mit dem Bus in Mersing (nie im Leben vorher davon gehört) ankomme, bin ich wie durch den Fleischwolf gedreht. Die Klimaanlage lief auf vollen Touren, ich bin schockgefrostet und habe kein Auge zugetan. Aber ich bin da, und jetzt fehlt nur noch die Fährfahrt bis zur Insel.
Leider spielt das Wetter nicht mit. Es regnet, und das Meer ist enorm aufgewühlt. Ich stecke in Mersing fest, kein Urlaubsziel, das ich empfehlen würde. Ich gehe laufen, erkunde den Ort, viel gibt es nicht zu sehen, checke diverse Backpacker-Optionen für die Übernachtung (noch denke ich, es wird nur eine …). Mehrbettzimmer, Männer und Frauen gemischt, am Ende buche ich dann doch ein Hotel. Es ist klein, mittelsauber, aber ich muss mein Zimmer nicht teilen, und es ist billig. Ich kann, nachdem ich dann drei lange Tage in Mersing war – das Meer wollte sich einfach nicht beruhigen –, niemandem raten, dort Urlaub zu machen.
Irgendwann geht die Fähre (die einen recht mitgenommenen Eindruck macht), und das Meer ist immer noch reichlich wild. Egal. Ich will nur eins: Endlich raus aus Mersing. Etwa ein Viertel der Passagiere muss sich übergeben. Zum Glück gehöre ich nicht dazu, mein Magen ist seefest, und ich bekomme auch nichts ab. Aber olfaktorisch ist die Überfahrt keine Freude.
Tioman ist eine hübsche Insel. Ich werde herzlich willkommen geheißen von der Frau, die ich nur aus meiner Sendung und von dem darauffolgenden E-Mail-Verkehr kenne und bei der ich die nächsten zwölf Tage wohnen darf. Auf ihrem Schiff.
Das Leben auf einem Segelboot hat, wenn man es von außen betrachtet, viel Romantisches. Wohnt man dort, weiß man, es ist vor allem ziemlich eng. Man hat kaum Platz, und die kitschige Vorstellung, mit jemandem – selbst jemandem, den man sehr liebt – so um die Welt zu segeln, bekommt erste kleine Risse. Man kann sich nie aus dem Weg gehen.
Für mich – mit meiner eingebauten zeitlichen Begrenzung – ist es ein Abenteuer. Etwas, das ich noch nie gemacht habe. Ich frage meiner Gastgeberin Löcher in den Bauch. Über ihr Leben, das so anders verlief als meins. Wir gehen schnorcheln, sehen Haie (»Die machen nichts«, meint sie!), wandern über die Insel, auf der es Schlangen und sehr große Echsen-Warane gibt. Wir joggen gemeinsam und freuen uns, als die Fähre frisches Obst auf die Insel bringt. Dass man über ein paar Bananen so in Ekstase geraten kann, hätte ich nicht gedacht. Ich weiß schnell, das wäre nicht mein Leben: auswandern auf eine ferne Insel mit wilden Stränden. So weit ab vom Schuss zu leben, mit Menschen, deren Sprache ich nicht verstehe, und ab und an Touristen, die gerne zum Tauchen auf die Insel kommen – das würde mich dauerhaft langweilen. Alles, was auf Postkarten und in Reiseportalen so verlockend aussieht, hat eben auch eine zweite Seite. Am Strand sind Sandmücken, das kulinarische Angebot ist überschaubar, und mir würden vor allem Freunde und Familie fehlen.
So oder so bringt mich diese Reise raus aus meiner kleinen Komfortzone. Sich einlassen auf andere Lebensbedingungen ist interessant. Damals habe ich beschlossen, das auch in Zukunft immer wieder zu tun – rauszukommen aus meinem überschaubar geregelten Leben. Es folgten Reisen nach Nepal und Uruguay. Fast wäre ich auch in Uganda gelandet.
Als Freundinnen dorthin zu den Gorillas fahren wollten und mich gefragt haben, ob ich Lust hätte mitzukommen, habe ich erst mal direkt abgewunken: »Ist mir zu teuer, leider.« Solche Reisen kosten schnell 15000 Euro. »Wir fahren mit Aldi Reisen – knapp 3000 Euro!«, haben sie geantwortet. Immer noch kein Superschnapp, aber für die Gorillas dann eben schon. Das war drin, und ich habe direkt gebucht. Leider gab es wegen Corona keine Gelbfieberimpfung und somit keine Gorillas. Nur ein Beispiel, um zu zeigen, dass es immer auch die erschwinglichere Variante gibt. Und ja, ich weiß, auch 3000 Euro sind eine Menge Geld. Aber im Vergleich für das Reiseziel fast schon ein Supersonderangebot. Ich bin zu all diesen Reisen alleine gestartet, habe aber jede Chance genutzt, Menschen vor Ort zu treffen. Also Vorsicht, wenn Sie zu mir sagen: »Komm mich doch mal besuchen« – es ist sehr wahrscheinlich, dass ich Ihr Angebot annehme.
Natürlich hatte ich oftmals Angst. Habe mich gefragt, ob das nicht komplett plemplem ist, aber letztlich hat meine Neugier immer meine Angst besiegt. Ja, es birgt ein Risiko, das Haus zu verlassen, Neues zu entdecken, und es gab Momente, in denen ich mich ein wenig gefürchtet habe. Aber ich bin insgesamt (auch wenn das meine Kinder und einige Freunde verneinen würden) eine vernünftige Frau. Setze mich nicht unnötigen Gefahren aus.
Natürlich kann man auch niedrigschwelliger reisen. Man muss nicht in entlegene Länder fliegen, Gelbfieberimpfungen erledigen, man kann durch Deutschland wandern, begleitete Radtouren machen, Busreisen buchen. Reisen hat unterschiedliche Härtegrade. Niemand muss zelten, aber wer Lust darauf hat, kann das noch im Alter tun (wenn die richtige Isomatte für die strapazierte Bandscheibe gefunden ist …).
Am Geld muss die Reiselust nicht scheitern. Geldknappheit ist oft ein Argument, um schön zu Hause zu bleiben. Aber auch mit wenig geht ganz schön viel. Klar, in der Businessclass auf die Malediven, um im Fünf-Sterne-Ressort abzuhängen, das wird nicht funktionieren. Aber wie wäre es mit Interrail? Mit dem Zug quer durch Europa. Das habe ich mit sechzehn gemacht und herrliche Erinnerungen. Auch als Seniorin geht das. Die Bahn bietet diverse Optionen, und ab sechzig gibt’s zehn Prozent Nachlass. Der Interrail Global Pass Senior kostet in der zweiten Klasse für drei Monate 860 Euro. Dafür darf man neunzig Tage quer durch Europa fahren. Ein Monat ist für 626 Euro zu haben, und wer mag, kann auf die erste Klasse upgraden. Dann kostet der Spaß 1093 Euro für drei Monate.
Das Schöne am Älterwerden ist, dass viele einfach sehr viel mehr Zeit haben. »Aber übernachten und essen muss ich ja auch noch!«, beklagte sich Miriam. Essen muss man auch zu Hause, und Hostels haben keine Altersgrenze. Ihre Wohnung könnte Miriam in der Zeit untervermieten. Es gibt immer Wege, Geld zu sparen.
»Unter all den jungen Menschen komme ich mir dann sicherlich blöd vor!«, legte Miriam nach. »Sie werden dich großartig finden, aufgeschlossen, jung geblieben und all das!«, versuche ich es weiter. Und wenn nicht – na und. Wir sind inzwischen in einem Alter, in dem uns das, was andere vielleicht denken könnten, wirklich quadrategal sein kann.
Reisen per Interrail erfordert natürlich eine gewisse Flexibilität, wer die Bahn kennt, so wie ich, weiß das. Man muss spontan sein können, schnell umplanen und mit gewissen Widrigkeiten leben. Aber wer es wagt, wird was erleben. Hat was zu erzählen.
»Allein der Gedanke schreckt mich ab!«, erklärt mir eine andere Freundin. »Ich habe gerne genaue Pläne und ich mag es nicht, wenn ich die Sprache in einem Land nicht verstehe.« Auch eine Interrailreise kann man planen, und das mit der Sprache, tja, das schränkt dann, außer Sie sind ein Fremdsprachengenie, schon sehr ein. Aber mal ehrlich, auch mit eingerostetem Schulenglisch kommt man gar nicht mal schlecht durch Europa.
Zieht es Sie weiter weg und Sie können sich eine solche Reise nicht leisten, dann gibt es auch hier wunderbare Möglichkeiten. Granny-Au-pair ist eine davon. Man kann Familien unterstützen und bekommt dafür Kost und Logis. Wer sagt, aus dem Kinderkosmos bin ich zum Glück raus, kleine Kinder brauche ich wie ein Loch im Kopf, kann mit Älteren arbeiten oder auch bei sozialen Projekten mitmachen. Schulen in Peru, Frauenorganisationen in Indien, es gibt eine Unmenge zur Auswahl. Man muss sich nur trauen. Für ein halbes Jahr oder auch nur ein paar Monate sehen, wie andere leben, vielleicht sogar am anderen Ende der Welt. Mit anderen Worten: Wer will, der kann.
Natürlich ist es absolut legitim zu sagen: Mir gefällt es zu Hause. Ich muss nicht raus. Aber dann einfach in die Tonne mit den Ausreden.
Einmal im Jahr verreise ich mit Freundinnen über ein langes Wochenende. Ein Kurztrip, auf den wir uns alle sehr freuen. Endlich mal Zeit für ausgedehnte Gespräche, gemeinsames Erleben. Von Kopenhagen über Antwerpen, Barcelona, Amsterdam, Oslo, Rom, Paris, Lyon (wirklich hübsch by the way). Wir mieten uns eine Wohnung und machen ein bisschen Kultur, bummeln, gehen essen und haben einfach eine schöne Zeit. Wir haben unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten und versuchen, die Reisen den Geldbeuteln anzupassen. Reden offen darüber. Andere Freundinnen fahren gemeinsam zu Ausstellungen, Wellnesswochenenden oder wandern über die Alpen.
Ich habe zu Hause einen Globus und schaue immer mal wieder drauf und sehe all die Länder, die ich nicht kenne. Da gibt es noch einiges zu tun. Ich ahne, dass ich in zwanzig Jahren sehr, sehr wahrscheinlich nicht mehr mit dem Rucksack reisen werde. Dann bliebe ja immer noch die Kreuzfahrt. Ökologisch gesehen sicherlich kein Highlight, aber für ältere Menschen enorm praktisch. Gepäck und Kabine bleiben, und man spart sich einiges an Logistik.
Marianne, eine Freundin meiner Mutter in den Achtzigern, liebt die Sicherheit, die ihr das Kreuzfahrtschiff bietet: »Ich weiß, wo ich schlafe, ich muss nichts rumschleppen, man spricht meine Sprache, und es gibt sogar eine kleine Klinik an Bord, falls mich der Schlag trifft. Abends gibt es Lesungen und Shows, auch mal was anderes als das ewige Fernsehgucken. Und dann sind die Landgänge organisiert. Wer schlecht zu Fuß ist, wird mit dem Bus rumgefahren. Man kommt rum, aber eben bequem.« Sie überlege sogar, statt ins Heim, aufs Schiff zu ziehen. »Betreuter kann man kaum wohnen, und teurer ist es auch nicht. Ich habe schon Frauen kennengelernt, die den größten Teil des Jahres auf dem Schiff leben. Solange man noch kein kompletter Pflegefall ist, ist das doch eine nette Alternative.«
Wer sagt: So weit bin ich noch nicht, Kreuzfahrten sind mein Horror – wie wäre es mit Bildungsreisen? Die sind oft günstig, man lernt Menschen kennen und kommt rum. Dümmer wird man dabei auch nicht.
Mögen Sie Tiere? Wie wäre es mit Tiersitting? Oft gibt es Angebote in hübschen Städten. Sie wohnen umsonst und kümmern sich um Mauzi oder Hugo, den Cockerspaniel. Lernen eine neue Umgebung kennen. Auch Haussitting wird angeboten, wenn Sie allergisch gegen Tierhaare sind. Haustausch, Wohnungstausch, wenn man sich den Markt anschaut, gibt es unzählige Möglichkeiten, die eine Reise sehr viel günstiger machen. Singlereisen, Sportreisen, Wandern in Gesellschaft, Schweigen im Kloster – es gibt so viel mehr als Pauschalreisen nach Mallorca. Wobei auch dagegen selbstverständlich nichts einzuwenden ist. Jede wie sie mag.
Das eigene Zuhause auf Zeit zu verlassen, bringt viel. Travelbook, ein deutsches Reiseportal, schreibt: »Während einer Reise schliefen die Probanden länger, hatten mehr Bewegung und interagierten mehr mit anderen Menschen. Das allgemeine Wohlbefinden stieg, da sich nicht um Alltagssorgen, Einkäufe und Erledigungen gekümmert werden musste. Eine Distanz zum Zuhause bewirkt offenbar eine positive Grundstimmung, denn die Tätigkeiten, die im heimischen Umfeld als zusätzliche Lasten empfunden werden, sind im Urlaub annehmbar. Der Unterschied zwischen einer Reise und einem kompletten, freien Wochenende hingegen sind verschwindend gering. Insgesamt machten eine unbekannte Umgebung, neue Erfahrungen und das Fehlen der lästigen Alltagsaufgaben die Studienteilnehmer glücklicher und ausgeglichener.«3
Also: Reisen Sie, wohin auch immer, wie auch immer und mit wem auch immer. Hauptsache, man ist auch mal weg und anderswo als unterwegs auf den gewohnten Gleisen. Ganz ohne Performance-Druck. Denn dafür sind wir tatsächlich definitiv zu alt: um auch noch mit unseren Auszeiten in der Konkurrenzarena gegeneinander anzutreten. Gut ist, was uns guttut. Und das ist mindestens so individuell wie Partnerwahl oder Frisur. Schlecht ist, ausgerechnet im Urlaub auch noch im Competition-Hamsterrad unterwegs sein zu wollen.
Gut, wir werden nicht mehr Medizin studieren können, und für einen Flickflack-Kurs würde ich mich nach einer Meniskus-OP auch nicht mehr anmelden. Den hätte ich mir aber auch vor der Meniskus-OP und in dem dafür richtigen Alter verkniffen. Wie so vieles, was ich hätte tun können, aber nicht gemacht habe. Man tut ja nie und in keinem Alter wirklich alles, was möglich wäre. Schon aus Zeitgründen. Nur in den späteren Jahren grämt man sich darüber, was alles nicht mehr geht. Dabei bieten sich nun gerade so viele Optionen, Neuanfänge, Entdeckungen und Gelegenheiten zu Ausgrabungsarbeiten längst verschüttet geglaubter Sehnsüchte wie vielleicht kaum je zuvor. »Späte Freiheit« nannte der Soziologe Leopold Rosenmayr diese Lebensphase. Eine Art Jugend, nur ohne Erziehungsberechtigte, Hausarrest, Akne, Social-Media-Stress und Minderwertigkeitskomplexen. »Eines Tages« – oder »Tag eins« –, das ist dann unsere Entscheidung.
Erfreulich viele haben sich für Letzteres entschieden. Darunter die Graffiti-Künstler-Gruppe Sprayground Old Robinson aus Hanau im Alter zwischen 60 und 87 Jahren. Nach der Devise »Sprühen statt Stricken« verschönern sie im Auftrag mit Spraydosen Wände im öffentlichen Raum. Oder der Zahnarzt in Rente aus Wiesbaden, den ich vor drei Jahren interviewte. Er hatte mit 77 die Drei-Pässe-Tour im Distrikt Solukhumbu in der Everest-Region – eine fast dreiwöchige, anspruchsvolle Hochroute mit Höhen von über 5000 Metern – absolviert. Schwer bepackt mit Schlafsack, Zelt und Kochgeschirr, war er bis zu acht Stunden täglich auf unbefestigten Wegen unterwegs, über Geröll, Moränen oder Altschneefelder. Als er seinem Umfeld seine Pläne verkündete, waren alle entsetzt. Seine zweite Frau, Freunde, die Kinder und neun Enkel rieten ihm dringend ab. »Mein Sohn bot mir sogar vier Tage vor Reiseantritt an, die Reisekosten zu übernehmen, wenn ich storniere.«
Ich hatte ein Interview mit Evelyn Hall – die mit 78 Jahren immer noch ein gefragtes Model ist. Sie war Solotänzerin an der Hamburger Staatsoper, Showgirl in Las Vegas, feierte dort mit Elvis und Diana Ross und stand später als Schauspielerin auf der Bühne. Mit 65 lief sie das erste Mal bei der Berliner Fashion Week über den Catwalk. Sie sagte, sie habe eine ungebrochene »Lust, etwas Neues über mich zu erfahren«. Deshalb hat sie unter anderem auch mit dem Singen begonnen. Für sie ist das Alter keine Abschiedstournee, sondern eine endlose Abfolge an Premierenfeiern.
Das gilt ebenso für die Frankfurter Senioren-Theatergruppe »Die Zeitlosen«. Alle sind in ihren Siebzigern und wollten schon immer mal auf die Bühne. Jetzt finanzieren sie sich gemeinsam mit Adrian Scherschel einen professionellen Schauspieler und künstlerischen Leiter, der mit ihnen die Stücke erarbeitet und zur Aufführung bringt. Solche wie »Warten« (auf Godot) oder »Momentaufnahmen« oder »King Lear«. Mit ein paar kleinen Veränderungen. Einmal musste das bei Shakespeare so üppige Personal deutlich reduziert werden. Zum anderen wurden die Verwandtschaftsverhältnisse angepasst. Da die Darstellerinnen deutlich aus dem Töchter-Alter heraus sind, bekam König Lear kurzerhand ein paar Schwestern. Vier bis sechs Vorstellungen des jeweils erarbeiteten Stücks bringt die Theatertruppe auf die Bühne. Und zwar ohne Netz und doppelten Boden. Es gibt keinen Souffleur. Bislang allerdings wurde auch keiner gebraucht.
Es ist ja alles noch da, was wir brauchen, um uns spannende, herausfordernde, beglückende, bereichernde Antworten auf die Frage »Und was machen wir jetzt?« zu geben. Geist, Köpfchen, Energie, Neugier, Abenteuerlust, Leidenschaft, Spieltrieb. Und man erhält es sich umso länger, je früher und ausdauernder man es gebraucht. ForscherInnen des Leibnitz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg haben etwa einen Zusammenhang hergestellt zwischen »Offenheit für Erfahrungen« und einer höheren Hirnaktivität im Alter.4 Dass das Gehirn von Menschen, die auch in späteren Jahren noch Neues erlernen, mehr von der wertvollen grauen Nervenzellensubstanz in mehreren Gehirnregionen aufbaut, zeigte auch eine andere Studie von WissenschaftlerInnen des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.5 Auch der Hippocampus, in dem neue Hirnzellen gebildet werden können, vergrößerte sich. Altersexperten raten deshalb dringend zum Neuland. Auch »Just for a Thrill«, wie Ray Charles einmal sang.
Dazu braucht es allerdings die Bereitschaft, immer wieder auch Anfänger zu sein. Sich mal nicht auszukennen. Nicht vorher schon genau wissen zu müssen, wie es am Ende ausgehen wird. Das kann schwer sein in einem Alter, von dem man sich verspricht, endlich mal vom ewigen Verbesserungshaken zu kommen. In dem man sich auch mal rundum fix und fertig fühlen will und eigentlich nur noch das Vermögen an reichen Erfahrungsschätzen verwalten wollte. Und jetzt soll man noch mal als blutiger Laie zurück auf Start gehen? Die Komfortzone verlassen? Tango lernen? Eine neue Sprache? Andere Länder erkunden? Neue Menschen in sein Leben lassen?
Das kann hart und manchmal auch ein wenig frustrierend werden. Schon weil man merkt: Es ist ja gar nicht das Alter, das Türen schließt, sondern die so treuen Begleiter Verzagtheit, Trägheit, Unentschiedenheit, Harmoniestreben, mit denen wir uns schon so lange selbst begrenzten. Nur dass uns jetzt die Entschuldigungen ausgehen. Es gibt immer weniger Pflichten, Sachzwänge, die man vorschieben kann.