Am Tag, als er sein Spiegelbild grüßte - Erdmann Kühn - E-Book

Am Tag, als er sein Spiegelbild grüßte E-Book

Erdmann Kühn

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Beschreibung

"Ich hoffe, ich bringe nicht dein ganzes Leben durcheinander." "Doch, aber das ist mir gerade recht so!" In diesem kleinen Roman begibt man sich auf eine Spurensuche. Es geht ums große Aufräumen, um die Kursänderung des bisherigen Weges, um Alltag und Wahnsinn, Dienstwege und Auswege. Um die Suche nach Jakob, dem Lehrer, der einfach verschwindet - und was nun passiert mit seinem besten Freund David, der Frau seines Lebens Stella und deren Tochter Madita. Es geht um die unerträglichen Zumutungen und Störungen im Schulsystem, eine in die Jahre gekommene Dreierbeziehung, eine Amour fou, Enttäuschungen, Erwartungen, Überraschungen. Und immer um die Suche nach dem Glück.

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Erdmann Kühn ist in Berlin geboren und aufgewachsen und hat in Köln Kunst und Musik studiert. Er lebt im Rheinland, arbeitet als Lehrer und in der Lehrerfortbildung. Er ist Musiker, Chorleiter, singt, komponiert, arrangiert und schreibt.

Von Erdmann Kühn sind außerdem erschienen: „Jascheks Reise“ - ein Roadmovie in Romanform, „Himmel und Erde – Vaters Tagebücher 1926 – 1946“ und die drei Bücher der Friedel Trilogie „Der Junge auf der Schaukel“, „Abschied von Berlin“ und „Mein Kopf, der ist ein Zimmer“.

Man kann die Welt oder sich selbst ändern.

Das zweite ist schwieriger.

Mark Twain

Überall lernt man nur von dem,

den man liebt.

Goethe

Lerne lachen

ohne zu weinen

Tucholsky

Die Personen und Ereignisse in diesem Roman sind fiktiv. Sollten Ähnlichkeiten mit realen Personen, Ereignissen oder Zuständen auftauchen, kann es sich nur um Zufall, Irrtum oder Verwechslung handeln.

Inhalt

Ein Lehrer verschwindet

Spurensuche

Die Glastür

Schatten

Lehrerrolle

Der Motor

Was Macht macht

Sweet Suicide

Veränderung

Gesunder Egoismus

Erfolge

Inside

Outside

Madita

Abschied und Neubeginn

Vom Regen in die Traufe

Hinter den Dünen

Strandgespräche

Fortgespült

Yeşim

Rückzug

Stella

Auf Jakobs Spuren

Besuch

Zu Hause

Trio infernale

Ein Lehrer verschwindet

Bitte schau mal in meiner Wohnung vorbei.

Danke für alles,

Jakob

David schaut immer wieder auf die Nachricht auf seinem Handy. So als habe er noch nicht alles entziffert, als gäbe es da eine verborgene Botschaft hinter den Zeilen. Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Nachricht. Viele Worte macht sein Freund Jakob nie, das ist es nicht. Will er ihn einladen? Nein, dann hätte er doch eine Zeit dazu geschrieben. Ist er weggefahren und will, dass David sich um die Wohnung kümmert? Das hat er schon öfter gemacht, David hat den Schlüssel, falls Jakob sich mal aussperrt. Nein, Jakob arbeitet doch jetzt, die Schulferien sind vorbei. Seltsam. Oder ist er krank und braucht Hilfe? Und wieso „Danke für alles“? Was zum Teufel bedeutet „alles“?

David hätte gerne seine Frau gefragt, was sie von dieser merkwürdigen Nachricht hält, aber Stella arbeitet und kommt heute erst spät wieder. Konferenztag. Einer muss in diesem Haushalt ja das Geld verdienen. Also kramt David in der Küchenschublade nach Jakobs Wohnungsschlüssel, zieht sich seine Jacke über und holt das Fahrrad aus dem Keller. Jakob wohnt am anderen Ende der Stadt in einer kleinen Altbauwohnung, sehr schön gelegen, dicht am Rhein. Man kann die Schiffe vorbeituckern hören im Sommer, wenn man auf dem winzigen Balkon sitzt.

Die Septembersonne wärmt und David schwitzt in seiner Jacke, als er auf der Rheinpromenade in Richtung Süden radelt, aber er bemerkt es kaum. Beim Abbiegen fährt er beinahe einen alten Mann um, so sehr ist er in Gedanken mit Jakobs Nachricht beschäftigt. Er schließt sein Fahrrad am Halteverbotsschild vor Jakobs Haus fest und geht mit wackeligen Knien zum Haus. Die alte Haustür lässt sich wie immer aufdrücken, die marode Holztreppe ächzt bei jedem Schritt. Als er im Zwielicht des staubigen Treppenhauses das Schlüsselloch sucht, merkt er, dass seine Hand zittert. Zweimal rumgeschlossen, das macht Jakob sonst nie! Wie oft hat ihm Stella schon gesagt, wie leichtsinnig es ist, einfach nur die Tür ins Schloss zu ziehen.

David hat ein flaues Gefühl im Magen, als er die Tür öffnet. Er ruft zweimal: „Jakob?“, bevor er sich in der halbdunklen Wohnung vorantastet. Er erwartet nicht wirklich eine Antwort, er ist sich fast sicher, dass Jakob nicht da ist. Die Küchentür ist nur angelehnt, David öffnet sie und ist im ersten Moment geblendet vom Licht, das durch die Scheiben des Küchenfensters ins Zimmer fällt. Alles sieht ungewöhnlich sauber und ordentlich aus. Der Kühlschrank ist ausgeräumt und steht offen. Auch die Spüle ist bis auf die alte Teekanne leergeräumt. Im Geschirrschrank fehlt Jakobs Lieblingstasse, die mit den Pinguinen.

Auch die Tür zu Jakobs Schlaf- und Arbeitszimmer ist angelehnt. Das Bett ist gemacht, Jakob hat eine Tagesdecke darübergebreitet, das macht er sonst nie. Die Türen des Kleiderschrankes stehen offen, die meisten Kleidungsstücke sind ausgeräumt, zwei einsame Hemden hängen noch dort, eine Hose und drei Pullis liegen schön gefaltet im Regal und in der Schublade einzelne Socken. Jakobs Schultasche steht ordentlich am Schreibtisch, die Schreibtischplatte ist blank, nur ein paar Stifte liegen am Eck. Und ein Brief. David hat ihn sofort gesehen, aber er scheut sich, ihn in die Hand zu nehmen. Er schaut sich noch einmal nach allen Seiten um, als könne ihn irgendetwas davor bewahren, diesen Brief lesen zu müssen.

Er kennt Jakob schon so lange. Während des Studiums haben sie sich kennengelernt und einige Zeit zusammen gewohnt in der WG. Aber David hat nie geahnt, dass ihn Jakob einmal so überraschen, oder besser überrumpeln würde wie jetzt. Warum will er den Brief nicht lesen? Wovor hat er Angst? Haben sie sich nicht in all den langen Jahren alles erzählt? Was für verborgene Gedanken und Wünsche könnte Jakob gehabt haben, von denen er, David, nichts bemerkt hat? Geht es um Stella, ihre gemeinsame Freundin aus alten Tagen? Die Frau, die sie beide liebten und die sie beide liebte? Warum hat er immer noch ein schlechtes Gewissen nach all diesen Jahren? Nur weil er das getan hat, was Jakob sich nie getraut hat, nämlich Stella zu fragen, ob sie seine Frau werden will?

Lange Jahre hatten sie sich Stella geteilt und waren dabei immer beste Freunde geblieben. Stella hatte die Aufmerksamkeit zweier Männer genossen und dafür die Schrulligkeiten und Eigenheiten der beiden tapfer ertragen. Sie hatte sich darüber gefreut, dass solch eine Beziehung möglich war ohne Eifersucht und Konkurrenz. Natürlich gab es mal dicke Luft und Missverständnisse, aber bei allen dreien stand immer die Freundschaft an oberster Stelle und die Bereitschaft, der Freundschaft alles andere unterzuordnen und mögliche Probleme schnell aus der Welt zu schaffen.

Diese Dreierkombination kam Jakob mit seiner ausgeprägten Bindungsangst sehr entgegen. Er konnte mit Stella zusammen sein, er konnte mit David zusammen Musik machen oder durch die Kneipen ziehen, sie konnten zu dritt etwas unternehmen. Und er konnte sich jederzeit zurückziehen und für sich allein sein, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, denn Stella hatte ja auch noch David. David hatte manchmal Befürchtungen, er sei nur das dritte Rad am Roller, für Jakob zwar der beste Freund, aber bei Stella nur die Nummer zwei. Wie er darauf kam, wusste er selbst nicht so genau. Er hatte manchmal das Gefühl, Stella möge ihn sehr, aber Jakob noch etwas mehr.

Stella lachte ihn aus, wenn er so etwas andeutete. Sie hielt das für völligen Blödsinn. Aber hätte sie es zugegeben, wenn es so gewesen wäre? Dazu kam, dass Stella und Jakob bald als Lehrer richtiges Geld verdienten, während David als freischaffender Musiker manchmal nichts oder nur wenig hatte und die beiden um das monatliche feste Gehalt beneidete. Jakob hatte während des Musikstudiums auch mit dem Gedanken gespielt, Musiker zu werden, sich dann aber dagegen entschieden, weil er gerne Lehrer werden wollte. David hatte nichts gegen Kinder, aber ein Leben als Lehrer konnte er sich nicht vorstellen. So musste er gucken, wie er mit seiner Musik Geld verdienen konnte, und das klappte manchmal gut, aber meistens war es sehr mühsam.

Sein Leben war unsteter und schlechter zu planen als das der beiden anderen. Manchmal fuhr er als Gitarrist oder Background-Musiker auf Tourneen mit, hatte Engagements hier und dort, war wochenlang nicht zu Hause. Er hatte das aufregendere Leben, aber er wünschte sich manchmal die wohltuende Routine einer festen Arbeitsstelle mit ihren Annehmlichkeiten und vor allem den regelmäßigen Einkünften auf dem Gehaltskonto. Ein berechenbares, bürgerliches Leben. Etwas langweilig, aber sicher. Am Sonntagabend auf dem Sofa sitzen und Tatort gucken, statt auf irgendeiner kleinen Bühne zu stehen, in einem Tonstudio zu sitzen oder in einem hässlichen Billighotel zu übernachten in einer Stadt, die man lieber nicht näher kennenlernen wollte.

Es war Stella, die eines Tages erwähnte, sie sei jetzt über dreißig und würde gerne Kinder haben. „Ich würde euch liebend gerne alle beide heiraten, Jungs, aber das geht ja schlecht. Natürlich kann ich auch Kinder haben, ohne zu heiraten. Aber ich merke immer mehr, dass mir das wichtiger wird, eine richtige Familie, Kinder, die wissen, wer ihr Vater ist. Hört sich blöd an, ich weiß, aber da werde ich wohl ein wenig spießig.“

Jakob und David waren verwirrt und versuchten erst einmal, sich ihren eigenen Reim darauf zu machen. David hatte spontan den Impuls zu sagen: „Dann heirate doch Jakob, dann passt doch alles! Wir können ja trotzdem beste Freunde bleiben.“ Aber er verkniff es sich. Das wäre ja auch dumm, so schnell aufzugeben. Er wollte Stella auf keinen Fall verlieren, aber Jakob auch nicht. Plötzlich war da ein spürbarer Knacks in ihrer Dreierbeziehung, und dieser Knacks wurde eher größer als kleiner, als die beiden Männer in den folgenden Wochen viel nachdachten und wenig darüber sprachen. Auch Stella sprach nicht mehr weiter darüber und wartete auf Reaktionen. Der Ball lag jetzt bei den Jungs.

Schließlich wurde es David zu dumm. Er verabredete sich mit Jakob in ihrer Lieblingskneipe und wollte eine Klärung: „Wir haben jetzt lange genug alleine rumgegrübelt. Wenn wir nicht langsam in die Pantoffeln kommen, sucht sich unsere Hübsche noch einen anderen Mann, der sie heiratet und mit dem sie eine Familie gründen kann!“

Jakob lachte sein glucksendes Lachen, das direkt aus dem Bauch kam und bemerkte: „Ja, da hat sie uns ganz schön unter Druck gesetzt, was? Das schöne sorglose Leben ist nun vorbei!“

„Das kannst du wohl sagen! Ich fühl mich noch gar nicht so weit. Familienvater und so, da bin ich gar nicht der Typ für. Ich bin doch immer unterwegs und habe Mühe, ein bisschen Geld für mein eigenes Leben zu verdienen. Wie soll ich denn da für eine Familie sorgen?“

„Das ist gar nicht der Punkt, glaube ich. Stella verdient gut und hat überhaupt kein Problem damit, Mann und Kind mit zu ernähren. Da brauchst du keine Angst zu haben. So ist Stella nicht, dass sie dir später mal vorwirft, sie hätte die Familie ernährt!“

„Aber wie ist es mit dir? Möchtest du sie denn nicht heiraten?“

„Nee, ich möchte immer so weiterleben wie jetzt. Mit meinem Nebenbuhler als bestem Freund und der schönsten und klügsten Frau der Welt an unserer Seite.“

„Ach Jakob, das möchte ich doch auch. Und vielleicht klappt das ja auch. Aber einer von uns muss sie heiraten!“

„Dann mach du das, David! Ich kann das nicht!“

„Warum nicht?“

„Für mich kommt das viel zu früh!“

„Aber dann ist es zu spät!“

Jakob lachte wieder aus dem Bauch. Dann wurde er ernst und sagte: „Ja, dann ist das so. Aber ich weiß sie ja bei dir in guten Händen! Ich würde sie keinem anderen Mann gönnen! Niemals!“

Eine Weile tranken sie schweigend ihr Bier. Dann blitzte der Schalk in Jakobs Augen auf und er meinte: „Pass auf, die ersten zehn Jahre kriegst du sie. Und wenn du dann genug hast von der Ehe und den Kindern und so, dann lässt du dich einfach scheiden und dann kriege ich sie! So haben wir beide was davon!“

David grinste: „Und wenn nicht?“

„Dann hab ich eben Pech gehabt! Aber vielleicht habe ich mir in der Zwischenzeit ja auch schon eine jüngere Kollegin gesucht, mit der ich mich in der Mittagspause im Landkartenkeller treffe.“

„Davon träumst du?“

„Nein, überhaupt nicht! Nur unser Chef anscheinend. Und wer weiß, wenn ich mal älter bin …“

„Ich dachte immer, du wärst monogam!“

„Bin ich auch! Ich will nur Stella! Aber nicht heiraten!“

„Also, du meinst im Ernst, ich soll sie heiraten?“

„Ja. Auch wenn du mich für bescheuert hältst!“

„In der Tat! Aber nicht heulen hinterher!“

„Bei eurer Hochzeit werde ich bestimmt heulen! Vor Glück, dass unsere Hübsche so einen lieben Kerl abgekriegt hat!“

So war es dann gekommen. David hatte Stella geheiratet, obwohl er überzeugt war, dass Jakob eigentlich an seine Stelle hätte treten müssen. In der Hochzeitsnacht hatten sie sich Stella brüderlich geteilt, mit besoffenem Kopf und dem festen Vorsatz, dass alles so bleiben würde wie bisher. Eine Zeitlang war es auch so geblieben, erst als die beiden Kinder kamen, hatte sich die Situation Schritt für Schritt verändert. David und Stella waren zusammengezogen. Onkel Jakob kam vorbei und war für die Kinder der große Spaßmacher und Geschichtenerzähler, aber er kam und ging, er wurde Gast in der Familie von David und Stella. Er kam mehr, um die Kinder zu besuchen, als die Eltern. Natürlich wurde er Patenonkel und war bei allen wichtigen Festen dabei, aber eben als Gast.

David hatte diese Veränderung gar nicht so richtig bemerkt, er war schwer damit beschäftigt, seine neue Rolle als Papa mit Auftritten und seinen beruflichen Dingen zusammenzukriegen. Stella war oft erschöpft, weil sie sich hingebungsvoll um ihre beiden Mädchen kümmerte, die ihr alles abverlangten. Sie bekam auch nicht mit, dass Jakob immer mehr an die Peripherie gedrängt wurde. Als sie dann wieder in der Schule arbeitete, war sie in den ersten Jahren so kaputt, dass sie neben der Unterrichtsvorbereitung und dem Haushalt und der Kinderbetreuung keine Reserven mehr hatte für irgendetwas anderes. In dieser Zeit nahm ihr Jakob manchmal die Kinder ab oder holte sie vom Kindergarten. Er machte das gerne und liebte und verwöhnte die beiden Mädchen. Stella war ihm sehr dankbar dafür, er war ihr eine große Hilfe. Aber er war jetzt endgültig der gute Freund der Familie, der Onkel und aus der Rolle des Liebhabers heraus.

All das hatte er David erzählt, als sie beide sich einmal in der Kneipe aussprachen. David hatte darüber geklagt, wie wenig Zeit er nur noch hätte, dass ihm alles über den Kopf wachsen würde und seine Frau vor lauter Beruf und Familie gar keine Zeit und Lust mehr auf ihn hatte. Jakob hatte ihm eine Weile zugehört und dann gemeint: „Ich dachte schon, ich wäre derjenige, mit dem man Mitleid haben müsste. Aber wenn ich mir das so anhöre, dann kann ich eigentlich ganz froh sein über meine Position als väterlicher Freund. Ich kann mir ja immer noch eine andere suchen, wenn Stella mich nur noch als Kinder-Bespaßer braucht!“

„Machst du das denn?“

„Nee, du weißt ja, wie sehr ich an ihr hänge. Auch wenn sie jetzt manchmal so fertig aussieht! Aber ich bewundere, wie sie das alles hinkriegt!“

„Das bewundere ich auch! Ich bin ja leider oft keine Hilfe zu Hause. Aber es ist doch seltsam, wenn mit der Zeit aus der großen Liebe nur noch Bewunderung oder sogar Mitleid wird!“

„Meinst du, das ändert sich wieder, wenn die Mädels etwas größer sind?“

„Ich hoffe es sehr!“

All dies geht David durch den Kopf, während er in Jakobs verlassener Wohnung auf und ab läuft. Dann endlich fasst er sich ein Herz, geht zum Schreibtisch, nimmt den Brief und öffnet ihn mit zittrigen Fingern:

Lieber David! Liebe Stella!

Ihr wundert euch bestimmt darüber, dass ich weggegangen bin, ohne mich von euch verabschiedet zu haben. Der Grund ist einfach: Ich konnte es nicht. Vielleicht hätte ich es gar nicht geschafft, wenn ich es euch hätte erklären müssen.

Es kam einiges zusammen in den letzten Jahren. Die langen Jahre in der Schule haben mich müde und mürbe gemacht. Ich dachte immer, ich bin ein guter Lehrer und ich schaffe das alles. Aber schon in den ersten Jahren in der Schule zeigte sich, dass ich meine Rolle als Lehrer noch gar nicht gefunden hatte und immer wieder kämpfen musste, um in der Klasse zu bestehen. Viele meiner Ideen scheiterten an meiner nicht eindeutigen Lehrerrolle, an problematischen Schülern und vor allem immer wieder an völlig ignoranten Schulleitungen. Ich wollte guten und kreativen Unterricht machen und wurde als Lückenbüßer für schwierige Klassen, Vertretungsstunden und Nachmittagsunterricht missbraucht. In der Auseinandersetzung mit schwer verhaltensgestörten Schülern wurde ich von der Schulleitung allein gelassen. Dazu kam die immer weiter ausufernde Bürokratie. Ständige Protokolle, Schülerberichte, immer wieder neue Curricula wurden zu einem Zeitfresser, der zusammen mit andauernden Schüler- und Elterngesprächen dazu führte, dass ich für die Kinder selbst immer weniger Zeit und Energie hatte.

Als Konsequenz habe ich auf Stunden und Geld verzichtet, um wieder mehr Zeit zu haben. Ich hatte aber zunehmend den Eindruck, ich mache trotzdem einen Rund-um-die-Uhr-Job, bloß jetzt eben für weniger Geld. Dann habe ich schließlich die Schule gewechselt, um dem Irrsinn zu entfliehen und bin dabei leider vom Regen in die Traufe gekommen. Ich kann einfach nicht mehr. Ehe ich in die Klapse muss, gehe ich und mache einen radikalen Neuanfang. In der Schule habe ich Bescheid gesagt, dass ich nicht mehr komme. Beamtengehalt und Pensionsansprüche ade. Egal. Ich will Mensch bleiben, und das geht so nicht mehr.

Der zweite gewichtige Grund, wegzugehen, ist unsere Freundschaft. Der größte Fehler, den ich in meinem Leben gemacht habe, ist, dass ich dir, David, den Vortritt beim Heiraten gelassen habe, in der Hoffnung, alles würde beim Alten bleiben mit uns dreien. Ich habe gelitten wie ein Hund, habe mich selbst geohrfeigt und verwünscht. Ich hänge so an dir, Stella, dass ich einfach weit wegmuss von euch, um nicht zu verzweifeln. Ich hänge auch an dir, David, als bestem Freund, den ich je hatte, und auch an euren beiden wunderbaren Mädchen. Passt gut auf sie auf. Passt gut auf euch auf, ich liebe euch nämlich. Ich muss jetzt erstmal eine Weile völlig abtauchen und für mich sein, um mich wiederzufinden. Das kann Monate, aber vielleicht auch Jahre dauern. Wenn ich stabil genug bin, um euch wieder unter die Augen zu treten, komme ich euch besuchen, eines schönen Tages. Bis dahin bleiben mir und euch die Erinnerungen an wunderbare Jahre und eine unglaubliche Freundschaft!

Euer Jakob

PS. Eure Mädels kommen ja bald ins Studentenalter. Falls ihr oder sie meine Wohnung brauchen, geht zum Vermieter und übernehmt sie bitte. Eine entsprechende Erklärung liegt bei. Ansonsten kündigt doch bitte die Wohnung zum nächstmöglichen Termin. Geld für die nächsten drei Monatsmieten habe ich beigelegt. Guckt, was ihr von mir noch brauchen könnt und lasst den Rest bitte abholen. Sorry für die Mühe, die ich euch mache! Und tausend Dank!

PS.2: Meine Lehrerkalender aus meinen ganzen Schuljahren wollte ich natürlich nicht mitnehmen. Ich habe alles Wichtige notiert, sie waren für mich so etwas wie Tagebücher. Also wenn ihr wissen wollt, was tatsächlich in der Schule mit mir passiert ist, dann habt ihr dort reichlich Lesestoff.

Spurensuche

Als Stella abends nach Hause kommt, hat David etwas Schönes gekocht. Aber sie guckt ihn nur kurz an und fragt sofort: „Was is‘n los, David?“ Er druckst herum, sagt: „Wollen wir nicht erstmal essen, ich hab gekocht, Fenchel, das magst du doch!“

„Das ist total lieb von dir, aber ich seh dir an, dass irgendwas passiert ist. Ich weiß nicht, ob ich das so lange aushalte!“

„Versuch es bitte, sonst ist das Essen kalt!“

Schweigend essen sie, David muss sich dauernd räuspern, weil er das Gefühl hat, er würde sonst ersticken. Stella lobt sein Essen, aber sie ist nicht bei der Sache, sie schaut immer wieder zu ihm herüber in sein Gesicht, als könne sie aus den Stirnfalten lesen, was dahinter verborgen ist. Schließlich hält sie es nicht mehr aus: „Ist was mit Jakob?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„David, bitte spiel kein Verstecken mit mir, sag es einfach. Es ist was mit Jakob, oder?“

„Ja!“

„Komm, lass es dir nicht aus der Nase ziehen! Was ist mit ihm?“

„Er ist weg!“

„Wie, weg? Wo ist er denn?“

„Keine Ahnung. Weit weg vermutlich. Er hat nichts verraten. Er hat seine Stelle gekündigt und ist einfach weggegangen, um irgendwo anders ein neues Leben anzufangen.“

Stella starrt ihn fassungslos an, lässt die Gabel ins Essen fallen und fängt an zu weinen. Sie steht auf, setzt sich auf den Sessel, schluchzt immer stärker und hört nicht mehr auf. David setzt sich neben sie und legt seinen Arm um ihre Schulter. Sie wird geschüttelt von Schluchzern, es wird immer stärker. David holt ihr die Taschentücherbox, die sie im Handumdrehen leergeweint hat. Dann fängt er an, die Küche aufzuräumen. Als er mit einem Schnaps wieder ins Wohnzimmer kommt, ist Stella nicht mehr da. Er trinkt den Schnaps alleine und geht ins Schlafzimmer. Dort ist es schon dunkel, aber er hört Stella noch schniefen. Er fragt: „Möchtest du alleine sein?“

Sie schüttelt hörbar den Kopf.

Am nächsten Morgen frühstücken sie zusammen. Sie hat Jakobs Brief gelesen und sieht immer noch verheult aus. „Ein Glück, dass heute mein freier Vormittag ist. So kann ich ja keinem unter die Augen treten!“

Er küsst sie auf den Hals und sagt: „Selbst verheult siehst du noch süß aus!“

Das erste Lächeln auf ihrem Gesicht seit gestern Abend. „Danke, David, du bist so nett zu mir!“

Sie rührt in ihrem Tee, als wäre die Lösung aller Probleme auf dem Grund ihrer Tasse zu finden. Dann schaut sie ihn an: „Und was machen wir jetzt?“

„Wir fahren zusammen in seine Wohnung!“

Ein komisches Gefühl für David, schon wieder in dieser seltsam aufgeräumten, verlassenen Wohnung zu sein. So als ob die Seele fehlt. Trotzdem immer noch eine schöne Wohnung. Eine, die man auf keinen Fall kündigen sollte.

„Meinst du, wir sollten die Wohnung behalten?“

Stella liegt schon auf Jakobs Bett und liest in seinen Lehrerkalendern. „Auf jeden Fall sollten wir. Aber die Frage ist, ob wir uns das leisten können?“

„Solange ich keinen anständigen Verdienst mit nach Hause bringe, willst du sagen?“

„Quatsch nicht so ein dummes Zeug! Du hast einen Minderwertigkeitskomplex, weißt du das?“

„Aber es ist doch so. Von deinem Gehalt alleine können wir uns keine zwei Wohnungen leisten!“

„Nee, da hast du recht! Aber wenn wir für ein Jahr untervermieten würden, hätten wir Zeit gewonnen. Dann hat Madita ihr Abi und braucht vielleicht was. Mit einer Freundin oder so. Wir sollten die Wohnung auf keinen Fall weggeben.“

„Es ist das Einzige, was uns von Jakob geblieben ist, meinst du!“

„Genau! Und eines schönen Tages kommt er plötzlich hereinspaziert und dann kann er wieder hier wohnen!“

Jetzt ist es David, der schniefen muss. Er geht in die Küche und räumt im Küchenschrank Teemischungen und Gläser mit Mango Chutney zusammen, während seine Frau in den Tagebüchern wühlt. Er macht einen Darjeeling First Flush in Jakobs schöner alter Teekanne und bringt ihr einen Tee. Sie küsst ihn und sagt: „Hab ich dir schon mal gesagt, dass du der ideale Hausmann bist? Schade, dass du damit kein Geld verdienen kannst!“

„Könnte ich schon, wenn ich einer reichen, alten Dame regelmäßig Tee und Gebäck servieren würde und ihr beim Verfassen des Testaments hilfreich zur Seite stünde!“

„Und dann ist sie knausrig ohne Ende und lebt noch dreißig Jahre!“

„Du meinst, ich soll lieber einer jüngeren Frau den Haushalt richten und sie bei ihren regelmäßigen Migräneanfällen mit meinem Gitarrenspiel aufmuntern?“

Sie lacht, kneift ihn in den Bauch und sagt: „Das willst du also, du Lüstling!“

Er schaut unschuldig wie ein neugeborenes Lamm und fragt: „Was meinst du? Kochen, putzen oder Gitarre spielen?“

Sie boxt ihn und sagt: „Du weißt sehr genau, was ich meine!“

Eine Stunde später haben sie sich beide auf Jakobs Bett hingelümmelt, jeder auf einer Seite, in der Mitte liegt ein umgekippter Stapel Lehrerkalender. Stella liest in Jakobs letzten Aufzeichnungen und sucht Hinweise auf seine Flucht, während David die ganze Geschichte von vorn aufrollen möchte und sich Jakobs erstes Tagebuch geschnappt hat, aus seiner Referendarzeit. Ab und zu lesen sie sich gegenseitig wichtige Stellen vor, auf die sie gestoßen sind. David hält Stella ein zerknittertes Blatt hin, einen dünnen, löchrigen Durchschlag aus der Zeit, als man noch mit Schreibmaschine und Blaupapier arbeitete. „Hier guck mal, er hat als Referendar so eine Art Manifest geschrieben!“

„Lies mal vor!“

Unser Seminarleiter stellt ein Zunehmen der Konkurrenz untereinander und ein Abnehmen der Offenheit bei uns fest. Gut beobachtet!

Konkurrenzangst fällt nicht vom Himmel und Offenheit gedeiht nur dort, wo man keine Angst haben muss und sich verstanden fühlt. In unserem Seminar werden Abhängigkeiten, Unmündigkeit, Neid, Resignation und Angst gefördert. Ich weigere mich zu glauben, dass dies vorsätzlich und bewusst erfolgt. Es gibt keinen offenen Sadismus, keine offene Willkür – aber viele kleine, verdeckte zynische Bemerkungen, Drohungen und Willkürakte, die uns ängstlich, resigniert, ja krank machen. Auch diejenigen unter uns, die einmal fröhlich, offen und unvoreingenommen ihre Referendarzeit begonnen haben.

Lehrproben werden einen Tag vorher ohne Begründung abgesagt. Auf Nachfrage wird erklärt, Lehrproben seien doch „ganz normale“ Unterrichtsstunden. Der Seminarleiter käme dann eben zu einer anderen, „ganz normalen“ Stunde. Die Nächte und Wochenenden, die man sich mit der Vorbereitung um die Ohren geschlagen hat, sind nicht der Rede wert. Die seitenlangen Sachanalysen, didaktischen und methodischen Untersuchungen und das ganze übrige sinnlose Zeug wandern in die Tonne.

Krankhaft sind diese Ergüsse in DIN A 4! Krank wird man auch vom Verfassen dieser Werke, die dann in der Schublade des Seminarleiters verschwinden. Aber wie krank müssen eigentlich Ausbilder sein, die diese Machwerke allen Ernstes für „normale Unterrichtsvorbereitung“ halten?

In den Nachbesprechungen geht es dann zu einem speziellen Schlachtfeld: dem Zerfleddern und Auseinanderpflücken von Formulierungen. Lernziele werden zum Selbstzweck der Formal-Erotiker. Präzise müssen sie sein, sozusagen keimfrei, mit der genügenden Anzahl an Fremdworten versehen, hundert Prozent operationalisierbar! Ein Ziel, das doch eigentlich für menschliche Wesen gedacht ist, wird zur sinnentleerten Schablone, zur Computeranweisung. Hauptsache, man kann es verifizieren und anschließend erfolgreich abhaken.

Was tun wir da eigentlich? Warum lassen wir uns das gefallen? Wir wollten gute Lehrer werden und lernen, wie man guten Unterricht macht. Stattdessen formulieren wir nächtelang Lernziele und didaktische Analysen. Wir wollten Mensch bleiben, den Schülern ein menschliches Vorbild sein. Stattdessen haben wir Magenkrämpfe vor der Schule und beobachten an uns den Zerfall der Persönlichkeit in „Mensch“ und „Lehrer“.

Jeder entwickelt sein eigenes Ausweichverhalten, um nicht durchzudrehen. Die einen reden den Seminarleitern nach dem Mund und glänzen mit endlosen Redebeiträgen im Seminar, wo sie die neuesten Fremdwörter präsentieren, die ihnen anscheinend mühelos von den Lippen gehen. Die anderen ziehen sich zurück, enttäuscht, traurig, verbittert und wünschen sich, dass das alles doch bitte schnell vorbeigeht. Wohl dem, der Freunde hat, die keine Referendare sind! Wohl dem, der nicht den Verstand verliert! So hatte ich mir meine Lehrerausbildung nicht vorgestellt!

„Heftig, oder? Hast du das gewusst?“ fragt David. Stella schüttelt stumm den Kopf und schaut in die Ferne.

„War das wirklich so schlimm im Seminar?“

„Ich war ja woanders und erst ein Jahr später dran. Jakob hat das sehr gut beschrieben, diesen Irrsinn. Aber vielleicht war es bei uns nicht ganz so schlimm.“

„Hast du das denn mitbekommen, dass es ihm so schlecht ging damals?“

„Du kennst ihn doch mindestens genauso gut wie ich und weißt, dass er nicht groß über Probleme redet. Aber man merkte ihm den Stress natürlich an. Ich glaube, keiner geht durch diese Mühle, ohne an sein Stress-Limit zu kommen.“

„Das ist doch Wahnsinn! Bin ich froh, dass ich das nicht machen musste. Ich glaube, ich hätte geschmissen!“

„Das haben ja auch viele. Abgebrochen, als es überhaupt nicht mehr ging. Meine Freundin Sabine, mit dem Kleinkind zu Hause, das war einfach nicht machbar. Einer bei uns hat sich von der Autobahnbrücke gestürzt. Und Mira haben sie durchfallen lassen in der Prüfung, weil sie Magersucht hatte.“

„Im Ernst?“

„Ja, die Prüfer meinten, so etwas wie sie gehört nicht in die Schule. Sie war so ein bisschen punkig unterwegs, manchmal etwas schroff, aber hatte tolle Unterrichtsideen. Ihre Prüfungsstunden waren völlig okay, aber sie sollte keine Lehrerin werden.“

„Und das habt ihr euch gefallen lassen damals?“

„Ja, leider. Je länger ich darüber nachdenke, desto wahnsinniger ist das alles. Jakob hat absolut recht mit dem, was er da aufgeschrieben hat. Wir haben irgendwie versucht, durchzukommen und zu überleben. Und hinterher haben wir es schön verdrängt, was da mit uns passiert ist.“

„Ein toller Berufseinstieg für Leute, die Kindern dabei helfen sollen, reife und mündige Menschen zu werden!“

„Das kannst du wohl sagen!“

Die Glastür

Stella hat auch eine Stelle gefunden, die sie David vorlesen muss: „Hier, das war vor drei Jahren, hör mal!“

Heute ist mir etwas passiert, das ich immer noch nicht richtig fassen kann. Ich bin vom Pausenhof gekommen und im Schulflur auf die Glastüren zugelaufen. Ich sah, dass mir jemand entgegenkam. Ein Mann steuerte geradewegs auf die Tür zu und ich grüßte leicht mit der rechten Hand und nickte dezent mit dem Kopf. Erst als der andere im gleichen Moment genau dieselben Bewegungen machte, wurde mir schlagartig klar, dass ich mich gerade selbst im Spiegel gegrüßt hatte. Ich war vollkommen verdattert, dann musste ich lachen. Meine Kolleginnen, die mich im Lehrerzimmer fragten, was los wäre, wollten mir das nicht glauben und dachten, ich wollte sie veralbern. Sie fanden das total lustig, aber je mehr ich darüber nachdachte, als ich wieder zu Hause war, desto merkwürdiger kam mir das vor. Wie eine Szene aus einem surrealistischen Film.

Fange ich an, verrückt zu werden? Sind das die ersten Anzeichen? Neulich bin ich auf der Rückfahrt von der Schule beinahe frontal mit dem Auto des Hausmeisters zusammengestoßen, weil ich völlig in Gedanken war und nicht auf den Gegenverkehr geachtet habe. Im letzten Moment erst hab ich ihn gesehen, mit weit aufgerissenen Augen. Beim letzten Elternabend stand ich an der Tafel und wollte den Eltern meine Telefonnummer anschreiben. Eine Nummer, die ich seit so vielen Jahren habe und die ich immer im Schlaf wusste. Und plötzlich war sie nicht mehr da. Ich stand da wie ein Idiot, die Kreide in der Hand. Die Eltern haben gelacht, einige guckten etwas besorgt und mitleidig, als ich sagte: „Ich glaube, ich schreib sie Ihnen besser später auf!“

Solche Sachen häufen sich. Natürlich werde ich auch älter, klar, aber es liegt nicht daran. Nicht hauptsächlich. Ich glaube, es wird Zeit, dass ich rauskomme aus der Schule. Ein Leben lang zur Schule gehen, da muss man ja durchdrehen!

„Darüber hat er nie gesprochen, mit mir jedenfalls nicht. Mit dir?“ fragt Stella. David schüttelt den Kopf und schaut weit in die Ferne. Er versucht sich an den letzten Männerabend mit Jakob in der Kneipe zu erinnern. Das muss schon länger her sein. Plötzlich merkt er, dass Stella schnieft. Er rückt dicht zu ihr und legt seinen Arm um ihre Schulter. Jetzt fängt sie richtig an zu weinen. Sie will ihm etwas sagen, aber es geht unter im Schluchzen. Er holt ihr Taschentücher und ermutigt sie, erst einmal zu Ende zu weinen und dann zu sprechen.

„Mir wird gerade klar, wie weit Jakob und wir uns voneinander entfernt haben. Wir beide mit unserem Kinderglück und unseren Familiensorgen und Jakob, der parallel dazu sein eigenes kleines Leben lebt, sich beschissen in der Schule fühlt und wir kriegen nichts davon mit, ahnen es noch nicht einmal. Obwohl wir doch beste Freunde sind. Wir wussten doch früher alles voneinander. Na gut, fast alles. Wir haben so viel zusammen geredet und gemacht. Und uns dann immer mehr entfernt voneinander, schleichend, Schritt für Schritt. Und ich habe es noch nicht einmal richtig gemerkt! Wie konnte das passieren? Das ist doch erbärmlich, wenn man nicht mitkriegt, wie dreckig es dem besten Freund geht!“