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Amazonen fand ich immer schon beeindruckend. Dass ich im Alter von 40 Jahren selbst zu einer werden würde, damit hatte ich allerdings so gar nicht gerechnet. Wie jede achte Frau in Deutschland wurde ich mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert. Eins war klar: ich hatte nicht vor, darüber zu schreiben, aber dann ist es eben doch passiert. Das Ergebnis sind in ihrer Form völlig unterschiedliche Texte, entstanden aus Erinnerungsinseln dieser besonderen, herausfordernden und dennoch auch schönen Zeit in meinem Leben. Amazonenpoesie eben: Kraftvoll, verletzlich, wütend, zart, traurig, versöhnlich und voller Hingabe an das Leben.
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Seitenzahl: 71
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Amazonen fand ich immer schon beeindruckend. Dass ich im Alter von 40 Jahren selbst zu einer werden würde, damit hatte ich allerdings so gar nicht gerechnet. Wie jede achte Frau in Deutschland wurde ich mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert. Eins war klar: Ich hatte nicht vor, darüber zu schreiben, aber dann ist es eben doch passiert. Das Ergebnis sind in ihrer Form völlig unterschiedliche Texte, entstanden aus Erinnerungsinseln dieser besonderen, herausfordernden und dennoch auch schönen Zeit in meinem Leben – Amazonenpoesie eben: kraftvoll, verletzlich, wütend, zart, traurig, versöhnlich und voller Hingabe an das Leben.
Käthe Lorenz, geb. 1980 in Regensburg. Nach dem Studium der Kulturwissenschaft mit ästhetischer Praxis an der Universität Hildesheim arbeitete sie von 2005 bis 2020 als Theaterpädagogin an verschiedenen deutschsprachigen Theatern (unter anderem Münchner Kammerspiele, Düsseldorfer Schauspielhaus, Residenztheater München). Seit 2021 leitet sie die Geschäftsstelle der kom!ma, Verein für Frauenkommunikation, in Düsseldorf und ist zudem als freischaffen de Biodanzalehrerin, Moderatorin und Theaterpädagogin tätig. Und jetzt auch noch als schreibende und vortragende Person.
Dem Leben gewidmet.
Ein paar Worte vorab
Schock
Amazone 2.0
Flawless
Stoppt die Ratschläge
Der Mann muss positiv denken
Heidi aus Wilmersdorf ist sehr sensibel
Flashback
Du
Semantik
Angels
Angel 1
Angel 2
Angel 3
Loblied der Bedeutungslosigkeit
Neues Wir
Berührbar
Eiertanz
Die Macht deiner Worte, Frau Doktor
24. März
Yoko und John
Schwein gehabt
Doris
Bikinifigur
Piks
Studien-Trilogie
Eins: feel.leicht
Zwei: Wie ich an einem Sonntag in Brandenburg der Mitmenschlichkeit begegnete
Drei: Vom Risiko
Zu Beginn sei direkt gesagt, was vorliegender Text nicht ist: Roman, Krimi, Gedichtband, Drama, Autobiografie, Ratgeber, medizinisches Fachbuch. All das ist er nicht.
Was dieser Text ist: Ein Fragment, ein literarischer Scherbenhaufen, ein Zeugnis einer sehr besonderen Zeit in meinem Leben. Der Zeit rund um meine Brustkrebsdiagnose und -behandlung. Und in dem ist er all das: Roman, Krimi, Gedichtband, Drama, Autobiografie, Ratgeber, medizinisches Fachbuch. Ohne Anspruch auf Wahrheit, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Entstanden aus Erinnerungsinseln, an die es mich an manchen Tagen spült und an denen ich manches Mal gerne verweile und sie beschreibe, diese Inseln, und manchmal am liebsten sofort wieder flüchten würde. Wenn ich mich schreibend umblicke, verändert sich die Landschaft. Und deswegen schreibe ich. Konnte nicht anders als dies zu tun, um auf all diesen Inseln schließlich ein Zuhause zu finden und manchmal die immanente Schönheit aufzudecken.
Vielleicht ist dieser Text für dich, weil du selbst von der Diagnose betroffen bist, vielleicht fühlst du manches ähnlich, vielleicht auch alles anders. Egal wie: Ich verneige mich vor deiner Kraft und Schönheit. Keep on going.
Vielleicht ist vorliegender Text für dich, weil eine nahe - stehende Person betroffen ist: Dann hoffe ich, dass er dir Verständnis schenkt. Du bist sehr wichtig.
Oder der Text ist für dich, weil du Ärzt*in bist oder Pfleger-*in oder Therapeut*in. Vielleicht helfen dir manche Texte, die Patient*innenperspektive neu oder anders zu fühlen. Oder du bist einfach durch Zufall auf dieses Buch gestoßen. Egal wie: Ich wünsche dir und den Texten gute Begegnungen.
Am Ende sei nun ausdrücklich gesagt, was nachfolgende Texte sind: Autobiografische Poesie: Amazonenpoesie.
** Und noch etwas sehr Wichtiges:
In den nachfolgenden Texten wird sehr persönlich und detailliert von Krebs und den damit einhergehenden Therapien, außerdem von Krankheit, Suizid und Depression (im Text Angel 1) geschrieben. Wenn dir diese Themen zu nah gehen, lies diese Texte nicht, oder nicht alleine.
Ich trete auf die Maistraße. Die schwere Eingangstür der Frauenklinik fällt hinter mir ins Schloss. Die Münchner Herbstsonne scheint mir ins Gesicht. Irritiert mich. Tränen hängen im Herzen fest, wollen nicht glauben, was eben passiert ist.
Ich wähle Brittas Nummer. Geh ran. Bitte.
»Käthschi?«
Ihre Stimme befreit den Kloß in meinem Körper.
»Käthschi, was ist?«
Ja, was ist? Das weiß ich noch nicht so genau. Aber dass da was ist, was da nicht sein sollte, das weiß ich. Die Worte der Ärztin hallen in mir wider, erzeugen Wellen der Verzweiflung, Angst, Ratlosigkeit, Panik: »Warum kommen Sie erst jetzt? Wir nehmen jetzt eine Gewebeprobe. Ich will Ihnen keine falschen Hoffnungen machen: Das sieht nicht gut aus.«
»Käthschi, was ist?«
»Es ist was!«, ist das Einzige, was ich herausbringen kann.
Brittas Stimme wird ganz ruhig, wie ein beruhigendes Streicheln: »Ja …. ist gut Käthschi … Ist ja gut.«
Ich: orientierungslos. Am Ohr: das Telefon. Maistraße hoch. Maistraße runter. Unscharf: die Welt. In Aufruhr: ich.
»Ich komme so schnell ich kann, ja? Freitag, ja?«
Es ist Montag. Nie erschien mir unsere Fernbeziehung unsinniger als in diesem Moment.
»Wie kommst du heim?«
»Keine Ahnung. Mein Fahrrad steht hier.«
»Nimm dir ein Taxi, ja?«
Der Taxifahrer weiß von nichts, spricht aus einer Realität mit mir, in der ich gerade keine Heimat mehr habe.
»Scheeens Weeeda«, »deierne Mietpreise!«, »vui zvui Autos in dera Stoood«. Mein innerer Autopilot schafft es noch, ihm eine Konversation vorzuspielen. Wirft ab und an aus Höflichkeit ein: »Jaja, absolut!« und ein: »Mhm … ja« ein.
Der Rest von mir ist abwesend, befindet sich in der Vergangenheit, der Zukunft.
Bevor ich das Behandlungszimmer verlasse, schaut mir die Ärztin noch tief in die Augen: »Es gibt für alles eine Lösung. Vergessen Sie das nicht!«
Ich kann das gerade nicht fühlen. Wird das eine Lösung sein, an deren Ende das Leben steht?
Morgen, übermorgen, überübermorgen und an den Tagen danach: Termine bei Ärzt*innen, Knochenszinti, CT, Kardiologe, MRT, Blutabnahme, Zahnarzt, Überweisungen organisieren. Krebs haben ist ein echter Fulltimejob.
»Soderle. Des mochd vierundzwanzig fuchzig.«
Bitte. Danke. Schönen Abend noch.
Ferngesteuert schließe ich meine Wohnungstür auf. Alles wie immer. Hallo Pflanze, hallo Sofa, hallo Meditationsbank, hallo Fotografie … Und zugleich alles anders. Die Realität passt nicht mehr in die Bilder, die sie produziert. Erzeugt Reibung.
Ich starre an die Wände.
Liege schlaflos im Bett.
Schlafe irgendwann ein.
Wache ruckartig auf und für drei Sekunden fühlt sich die Welt gut an. Wie vorher. Die schönsten drei Sekunden des Tages. Dann wacht mein Bewusstsein auf und das Unwohlsein des vorangegangenen Tages legt sich wie eine schwere Decke auf mich. Wird mich den ganzen Tag einhüllen.
Ein Blick auf die To–Do–Liste.
Los geht`s.
Statistik: Jede 8. Frau ist (Stand heute, Tendenz steigend) im Laufe ihres Lebens betroffen.
1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, ich
stehe unter Schock
1, 2, 3, 4, 5, 6, ich
sträube mich. Will nicht. Will nicht die Nummer 8 sein. Will als Nummer 7 einfach weiterleben, mit meinen ganz normalen Problemen und Krisen. Ich hole tausend verschiedene Meinungen ein, in der Hoffnung jemand sagt mir das, was ich hören will. Aber niemand tut das.
1, 2, 3, 4, 5, ich
erwache nach der Operation als Amazone. Die körperliche Transformation ist vollzogen.
Ich erfahre, dass es doch übler ist als gedacht. Nächste Schritte stehen an. Ich beginne den Weg. Schritt für Schritt.
1, 2, 3, 4, ich
lerne meinen Körper während der Chemotherapie lieben. Er meistert das alles so großartig. Haare gehen, Übelkeit kommt und geht, Tränen kommen und gehen, ich gehe weiter. Schritt für Schritt. Gemeinsam mit all den Frauen, die mein Schicksal teilen.
1, 2, 3, ich
lerne, tief zu atmen und die Luft 30 Sekunden anzuhalten. Für die Bestrahlung. Ich bin müde, erschöpft, mag manchmal nicht mehr. Und gehe weiter. Trotzdem und mit allem.
1, 2, ich
hab`s geschafft. Die Angst bleibt bei mir. Besucht mich nachts.
1, ich
Schnitt.
»Wollen Sie das so lassen?«
Die Ärztin des Brustzentrums scheint irritiert. Es ist mein erster Nachsorgetermin und dies unsere erste Begegnung. Ich stehe vor ihr. Mit nacktem Oberkörper. Frage mich, ob es etwas weniger unangenehm wäre, wenn wir uns beide oben ohne begegnen würden, oder ob es die ganze Angelegenheit eher noch unangenehmer machen würde. Sie sieht mir nicht in die Augen. Blickt auf die Narbe, die sich über meinen linken Oberkörper zieht und die Zeugin ist, dass hier mal eine Brust war. Arbeitet sich routiniert durch den Termin. Das Gel wird mit einem furzenden Geräusch auf das Ultraschallgerät gepresst. »Bitte, legen Sie sich doch schon mal hin.«
Schnitt.
Ein Jahr vorher.
Wenige Tage nach der Diagnose. Im Zimmer der Oberärztin. Sie kommt zu spät zum Termin. Entschuldigt sich. Eine OP mit Komplikationen. Gibt mir kurz die Hand. Öffnet den PC mit meiner Akte. Nickt, kneift die Augen beim Lesen etwas zusammen. Ihr Blick ist fest, als sie konstatiert: »Wir können nicht brusterhaltend operieren. Wir machen das so, dass wir die Brust abnehmen und direkt ein Silikonimplantat einsetzen.« Ich verstehe nicht. Nicke.