Angelika - Theodor Storm - E-Book

Angelika E-Book

Theodor Storm

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Beschreibung

Angelika ist eine Erzählung von Theodor Storm. Seit Jahren hatten im stillen seine Augen an ihren feinen Zügen gehangen; denn sie war aufgewachsen, während er, wie auch noch jetzt, fast täglich in ihrem mütterlichen Hause verkehrte. Aber er war in einer erst in spätester Jugend eingeschlagenen Laufbahn, welche ihm die Aussicht auf Begründung einer Familie für immer oder wenigstens innerhalb der Jahre zu verwehren schien, in welchen Sitte und Gefühl dies gestatten. Noch jetzt nach fast geschlossener Jugend ein anderes zu versuchen, vergönnte ihm der Umfang seiner Bildung und seiner äußern Mittel nicht. Alles dessen war er sich bewußt; oft und vergeblich hatte er auf Mittel gedacht, wie er die Geliebte, wenn sie ja sonst die Seine würde, vor der geistigen und körperlichen Verkümmerung zu bewahren vermöchte, welche in dem Staate, dem seine Heimat angehörte, das gewöhnliche Los der Frauen seines Standes war. So gelangte er endlich dahin, in allen Gedanken an die Zukunft sein Leben von dem ihrigen zu trennen. Schon als sie noch kaum erwachsen war und während ihre Jungfräulichkeit noch in fester Knospe lag, hatte er oftmals ihrer dargereichten Hand die seinige mit einer Ängstlichkeit entzogen, über deren Ursache sie vergeblich nachgesonnen. Als aber allmählich Angelika groß und selbständig geworden war, als auch ihre Augen die seinen zu suchen begannen, und erschrocken zurückfuhren, wenn sie ertappt wurden; als anderseits ihm die Möglichkeit des Verlustes immer näher rückte und er mitunter schon die Gestalt dessen zu erkennen glaubte, an den er sie verlieren würde, da war endlich aller Erkenntnis und allen Willens unerachtet der Augenblick gekommen, in dem die Liebe ihr leidevolles Wunder zwischen ihnen vollbracht hatte.

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Seitenzahl: 32

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Angelika

AngelikaAnmerkungenImpressum

Angelika

Seit Jahren hatten im stillen seine Augen an ihren feinen Zügen gehangen; denn sie war aufgewachsen, während er, wie auch noch jetzt, fast täglich in ihrem mütterlichen Hause verkehrte. Aber er war in einer erst in spätester Jugend eingeschlagenen Laufbahn, welche ihm die Aussicht auf Begründung einer Familie für immer oder wenigstens innerhalb der Jahre zu verwehren schien, in welchen Sitte und Gefühl dies gestatten. Noch jetzt nach fast geschlossener Jugend ein anderes zu versuchen, vergönnte ihm der Umfang seiner Bildung und seiner äußern Mittel nicht. – Alles dessen war er sich bewußt; oft und vergeblich hatte er auf Mittel gedacht, wie er die Geliebte, wenn sie ja sonst die Seine würde, vor der geistigen und körperlichen Verkümmerung zu bewahren vermöchte, welche in dem Staate, dem seine Heimat angehörte, das gewöhnliche Los der Frauen seines Standes war. So gelangte er endlich dahin, in allen Gedanken an die Zukunft sein Leben von dem ihrigen zu trennen. Schon als sie noch kaum erwachsen war und während ihre Jungfräulichkeit noch in fester Knospe lag, hatte er oftmals ihrer dargereichten Hand die seinige mit einer Ängstlichkeit entzogen, über deren Ursache sie vergeblich nachgesonnen. Als aber allmählich Angelika groß und selbständig geworden war, als auch ihre Augen die seinen zu suchen begannen, und erschrocken zurückfuhren, wenn sie ertappt wurden; als anderseits ihm die Möglichkeit des Verlustes immer näher rückte und er mitunter schon die Gestalt dessen zu erkennen glaubte, an den er sie verlieren würde, da war endlich aller Erkenntnis und allen Willens unerachtet der Augenblick gekommen, in dem die Liebe ihr leidevolles Wunder zwischen ihnen vollbracht hatte. – –

Der Mond stand über dem Garten; aber er drang nicht durch die Blätterfülle des Bosketts, welches die beiden und ihr atemloses Geheimnis vor aller Welt verbarg. Sie hatten endlich auch zueinander geredet, einzelne scheue Worte, kaum halb gesprochen und dennoch ganz verstanden. Sie lag so leicht, so fest in seinen Armen; er sah plötzlich über alle Gegenwart hinweg bis an das Ziel seines Lebens, und glaubte auch dort sie ebenso zu halten. Aber er war von jenen Menschen, deren Wesen auf die nächsten Dinge zwar mit Sorgfalt und Ausdauer gerichtet, denen aber der Glaube an die Erreichung eines Außerordentlichen versagt ist, weil ihre Phantasie ihnen die vielfachen Möglichkeiten nicht vorzuhalten vermag, durch deren Verwirklichung sie allein dazu gelangen könnten. – Er ließ das Mädchen sanft aus seinen Armen und setzte sich auf die nebenstehende Gartenbank. Seine Augen ruhten auf ihrem jungen Antlitz; aber seine Gedanken forschten schon wieder grübelnd an der herben, unüberwindlichen Gegenwart.

Angelika mochte allmählich, während sie an seine Knie gelehnt vor ihm stand, sich selber unbewußt sein Schweigen als einen Ausdruck der Sorge und des Kampfes empfinden; denn sie legte wie zur Kühlung die Fläche ihrer Hand auf seine Augen.

Er zog die Hand hinweg und sagte: »Du darfst mich nicht blind machen, Angelika; um deinetwillen nicht! – Du weißt es, oder vielleicht du weißt es nicht: es sind in unsern Tagen der Menschen auf Erden so viele geworden, daß einem jeden unter ihnen ein volles Lebenslos nicht mehr zuteil werden kann. Aber das weißt du, unter welche Zahl ich gehöre, wenn du dir zurückrufst, was in deiner Gegenwart oft genug unter uns geredet worden.«

Sie neigte ihre Stirn auf die seine und schüttelte den Kopf.

»Du weißt es nicht, Angelika?«

»Nein«, sagte sie schüchtern, »was meinst du, Ehrhard?«

Er schwieg einen Augenblick, um sich zu sammeln; dann aber sagte er ihr alles mit klaren Worten, die Ungunst seiner vergangenen Jahre, sowie die Öde und Kargheit seiner Zukunft, die er sicher und, als wäre sie bereits Vergangenheit, vor ihr beschrieb.

Er fühlte das Zittern ihrer Hände; aber er ließ sich dadurch nicht irren, sondern setzte noch hinzu: »Was zwischen uns geschehen, das hätte nicht geschehen sollen; denn es ist ohne Frucht für die Bildung deines ferneren Lebens. Wir werden nie bekennen können, daß wir uns gehören; jetzt nicht und auch in Zukunft nicht, so lange es sonst geschehen darf. Und nun – Angelika, vergib mir, daß ich einen Augenblick dies alles habe vergessen können!«

Er hatte ihre Hand losgelassen, und es war ein kleiner Raum zwischen ihnen, so daß sie sich nicht berührten.