Anna 1964 / Nana in der Fallle - Charlotte Gundermann - E-Book

Anna 1964 / Nana in der Fallle E-Book

Charlotte Gundermann

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Erzählung: Anna 1964 Im Jahr 1964 ist die Teilung Deutschlands allgegenwärtige Realität. Die 16-jährige Anna besucht ihre Tante in Leipzig und erlebt 6 Wochen den Alltag einer Bäckerfamilie in der DDR. Erzählung: Nana in der Falle Nana wird durch Schicksalsschläge früh aus ihrem beschaulichen Leben gerissen und durch diese Eregnisse im ganzen Leben geprägt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 108

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Zu „Anna 1964“

Im Jahr 1964 ist die Teilung Deutschlands allgegenwärtige Realität. So auch für die Familie von Anna.

Anna lebt mit den Eltern und Geschwistern in der BRD und besucht als 16-jährige ihre Tante in der DDR.

Dort, in der Nähe von Leipzig erlebt sie 6 Wochen den Alltag in einer Bäckerfamilie.

Zu „Nana in der Falle“

Nana wird früh durch Schicksalsschläge aus ihrer beschaulichen Welt gerissen.

Diese Ereignisse prägen sie ihr ganzes Leben und bestimmen ihr Handeln.

Zur Autorin:

Charlotte Gundermann schreibt in ihrer Freizeit nachdenkenswerte Erzählungen und Kurzgeschichten, zumeist vor einem alltäglichen Hintergrund.

Inhaltsverzeichnis

Anna 1964

Nana in der Falle

Anna 1964

Die beiden Schwestern wuchsen in Breslau, in einem streng behüteten, katholischen Elternhaus auf. Breslau war zu ihrer Zeit ein friedfertiger, ruhiger Ort, umgeben von Wäldern, in denen versteckte Badeseen zum Ausruhen und Entspannen einluden.

Johanna und Marga. Marga, ein zartes, stilles Mädchen mit blasser Haut. Ihre schwarzen Haare kräuselten sich dicht, fielen ihr fast bis auf die Schultern. Marga war schon als kleines Kind schwächlich, litt unter immer wiederkehrenden Krämpfen, die sich durch den ganzen Körper zogen.

Der Hausarzt, ein konservativer Allgemeinmediziner, der auch schon mal zur Behandlung von Tieren im Ort zur Verfügung stand, also ein robuster, erfahrener Arzt, so dachte man. Margas wiederkehrende Krämpfe nahm er nicht sehr ernst. „Nach der Pubertät werden diese Krämpfe verschwunden sein“.

Also machte sich niemand aus der Familie ernsthafte Sorgen, auch wenn Marga unter den immer häufiger werdenden Anfällen litt, ihr zarter Körper sich vor Schmerzen krümmte, sie oft dalag wie ein kleines Häufchen Elend. Johanna, die Ältere, sorgte sich sehr um ihre Schwester, saß stundenlang an Margas Bett, hielt ihre Hand, redete beruhigend auf sie ein, bis Marga erschöpft einschlief. Die beiden Mädchen mochten sich sehr, hatten ein inniges, vertrautes Verhältnis.

Johanna, war ein Mädchen voller positiver Energie, voller Zuversicht und Lebensfreude. Mit ihren 12 Jahren hatte sie den Kleinkinderspeck noch nicht ganz abgelegt, wirkte etwas pummelig, was ihr eine gewisse robuste Ausstrahlung verlieh. Johanna und Marga empfanden ihre Vertrautheit wie einen Geheimbund, in dem sie sich gegen die Strenge ihrer Mutter schützen konnten.

Ihre Mutter, aufgewachsen in einem kleinen Dorf, auf einem Bauernhof mit vielen Geschwistern. Sie war eine rundliche Person, mit strengen Regeln und wenig Liebe. Die zwei Töchter wurden von ihr im streng katholischen Glauben erzogen. Der Vater, ein Bahnarbeiter in gehobener Position, überließ die Erziehung der Töchter seiner Frau, mischte sich nicht ein. Er liebte und bewunderte seine Töchter auf eine distanzierte Art und Weise.

Die Jahre vergingen, beide Mädchen hatten ihren Schulabschluss mit guten Noten erreicht.

Johanna machte eine Ausbildung als Lohnbuchhalterin, lernte Stenographie, hatte Interesse an Fremdsprachen, lernte mit großem Spaß und viel Eifer Englisch und Französisch. Sie legte sehr viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres, kämmte ihre schwarzen Haare nach Vorbildern aus den Frauenmagazinen, nähte sich Kleider und Röcke nach eigenen Vorstellungen.

Marga wollte unbedingt in den Verkauf, machte eine Ausbildung als Bäckereifachverkäuferin. Ihr körperlicher Zustand, ihre Gesundheit schwankten von „mir geht es gut“, bis „ich bin kraftlos, total erschöpft“. Natürlich waren die krampfartigen Anfälle nicht verschwunden. Immer öfter fühlte sie sich von der Umwelt missverstanden, dann zog sie sich zurück und weinte. Sie weinte oft.

Kurz nach ihrem 18. Geburtstag lernte sie den Bäckermeister Walter, der 4 Jahre älter war, kennen. Er arbeitete in der elterlichen Bäckerei, die er in ein paar Jahren übernehmen sollte. Nach knapp einem Jahr heirateten sie, bekamen kurz hintereinander 2 Söhne, wohnten in der geräumigen Dachgeschosswohnung über der Bäckerei.

Das Haus hatte eine gute Aufteilung. Der Bäckerladen im Erdgeschoss war nicht sonderlich groß, hatte ein kleines, fast bis zum Boden heruntergezogenes Fenster, daneben die Tür aus altem dunklem Holz. Eine Türglocke mit dem Klang einer bayrischen Kuhglocke gab Auskunft darüber, wenn ein Kunde den Laden betrat. Direkt hinter dem Laden schloss sich die Backstube an. Das Geschoss darüber bewohnten die Schwiegereltern.

Marga fühlte sich wohl. Sie arbeitete Hand in Hand mit ihrer Schwiegermutter, genoss das Leben mit ihrem Mann Walter und den Kindern. Die Bäckerei gab es nun schon in der 3. Generation in Markkleeberg, nicht weit von Leipzig entfernt.

Johanna bewarb sich nach der Ausbildung in einer großen Anwaltskanzlei, in der sie als Lohnbuchhalterin und Anwaltsgehilfin eine Anstellung bekam. Sie war fleißig und sehr gewissenhaft, was ihr einen guten Ruf unter den Kollegen einbrachte. Durch ihre aufgeschlossene, fröhliche Art war sie eine Bereicherung für die, doch so oft recht trockenen, langwierigen Verhandlungen mit den Klienten.

In ihrer Freizeit traf sie sich mit ihrer Freundin Maria. Im Nachbarort gab es einen Offiziersclub, den die Mädchen mit elterlicher Erlaubnis besuchen durften. Dort konnten die Mädchen junge Offiziere in ihren schmucken Uni-formen kennen lernen. Der Club, ausgestattet mit einer dunklen Holzvertäfelung, bequemen Sesseln, bezogen mit grünem Samt, das Licht gedimmt, Kerzen überall, die Hintergrundmusik dezenter Jazz. Die jungen Offiziere standen in Grüppchen, tranken Bier, plauderten.

Johanna und Maria suchten sich einen Platz an der Bar. Sehen und gesehen werden war ihr Motto. Kaum hatten sie sich ihre Drinks bestellt, wurden sie von ein paar jungen Offizieren umringt. Johanna verliebte sich auf der Stelle in den gutaussehenden, zurückhaltenden Fernmeldeoffizier Hans. Nach einiger Zeit wurden sie ein Paar. Nachdem Hans seinen Militärdienst beendet hatte, heirateten sie.

Eine große Heizungsfirma, beheimatet in einem Vorort von Düsseldorf, stellte ihn als Diplomingenieur in der Entwicklungsabteilung ein. Johanna und Hans wohnten dort in einem kleinen Reihenhaus mit Garten, welches die Firma ihren Mitarbeitern zu einem günstigen Mietpreis zur Verfügung stellte. Es dauerte nicht lange, der Nachwuchs stellte sich ein. Sie bekamen 2 Söhne und eine Tochter.

Johanna und Marga hielten trotz der Entfernung engen Kontakt. Wenn sie sich nur kurz Hallo sagen wollten, telefonierten sie, plauderten über belanglose Dinge des Tages.

In langen Briefen, die nur für sie beide bestimmt waren, schrieben sie über ihre Wünsche und Träume, fragten sich ab über Problematiken in der Kindererziehung, suchten und fanden Rat. Besuche waren eher seltener, es sei denn, es standen runde Geburtstage an.

1963, ein Schicksalsjahr. Der Mauerbau, Deutschland geteilt in Ost und West. Familien wurden getrennt, so auch Johannas und Margas. Marga lebte ab sofort in Ost-, Johanna in Westdeutschland. Was ein Irrsinn, dachten und fühlten die Menschen. Das Leben in Ostdeutschland, der DDR, wurde über die Jahre immer beschwerlicher. Firmen wurden geschlossen, der Sozialismus kontrollierte das tägliche Leben, Kontakte nach Westberlin, mit dort lebenden Verwandten, wurden kontrolliert und weitgehendst untersagt.

Die Unzufriedenheit war groß. Die Kontrolle, das Bespitzelt werden, das Nichtvertrauen den Freunden, den Nachbarn, sogar den eigenen Familienmitgliedern gegenüber, wurde immer mehr zur Gefahr, die Vorschriften, die Verbote, man musste auf der Hut sein.

Marga, gerade hatte sie ihr seelisches Gleichgewicht gefunden, lebte in einem selbstgespinnten Kokon, ignorierte die Außenwelt, bis ihre Familie ein Schreiben von höchster Stelle bekam, dass die Bäckerei nicht stillgelegt, nicht enteignet, nicht in einer Kolchose zusammengefasst wird, sondern im Eigentum der Familie bleibt, mit folgenden Einschränkungen: Mehl, Zucker, keine Butter sondern Margarine, Eier, Hefe, Salz und andere Backzutaten werden ab sofort, im Sinne der Planwirtschaft, monatlich zur Verarbeitung zugeteilt.

Über diese „bevorzugte Maßnahme“, wie es in dem Schreiben hieß, waren Marga und ihre Familie froh. Walter, ihr Ehemann, sah es sogar als positiven Anreiz. „ Jetzt ist Kreativität in der Backstube angesagt“, verkündete er eines Abends mit einem augenzwinkernden Lächeln.

Im Laufe der Jahre wurden die Lebensmittel immer knapper, es bot sich der Garten hinter dem Haus als idealer Ort an, um Gemüse und Obst zu pflanzen. Walter baute mit seinem Vater einen Hühner- und Kaninchenstall, die Selbstversorgung wurde mit der Zeit immer wichtiger. Durch die Lebensmittelknappheit standen die Menschen in langen Schlangen vor den Geschäften, so auch vor Margas Bäckerei. Die Menschen kauften Brote und Brötchen in Mengen, kamen mit Rucksäcken, um die Backwaren darin zu verstauen und nach Hause zu tragen. Die Angst der Menschen, der Willkür der Politiker ausgesetzt zu sein, keine Zuteilung für genügend Lebensmittel zu bekommen, war groß, konnte täglich eintreffen.

Margas inneres Gleichgewicht fiel in Schieflage. All die Sorgen, all die Kümmernisse, die sie von ihren Kunden täglich im Laden hörte, nahm sie sich so sehr zu Herzen, dass sie immer häufiger von krampfartigen Anfällen überwältigt wurde. Nach langwierigen Untersuchungen in einer Leipziger Spezialklinik, stand die Diagnose fest: Epileptische Anfälle, ausgelöst durch Überforderung im täglichen Leben. Tabletten sollten helfen, taten es zeitweise.

Johanna war mit ihrem Leben zufrieden. Das Haus, welches ihnen die Firma zur Verfügung stellte, wurde für die Familie zu einer Oase der Ruhe, sie fühlten sich wohl. Hans machte einen guten Job, wurde befördert, war anerkannt. Ihre 3 Kinder besuchten das Gymnasium.

Die beiden Jungs trainierten in ihrer Freizeit in einer angesehenen Eishockeymannschaft, die Tochter verbrachte jede freie Minute beim Leichtathletiktraining. Einige Auszeichnungen hatte sie sich schon erarbeitet, strebte jedoch nach mehr.

Johanna :

„Ich machte mir große Sorgen um meine Schwester Marga. Die Mauer, die nun schon seid einigen Jahren unser Land in Ost und West teilte, wurde für meine Schwester und ihre Familie zur immer größeren Last. Jeden Monat schickte ich ein Paket mit Dingen des alltäglichen Lebens, wie Kaffee, Schokolade, Zucker, Strumpfhosen, Schnürsenkel, schwarze und braune, Schuhcreme, Handseife, Zahnpasta, Pflaster, usw. All diese Dinge waren in der DDR Mangelware.

Ich tat mein Bestes, half so gut ich konnte. Ich schrieb Briefe, in denen ich von unserem Leben erzählte, wollte aufheitern, Sorgen vergessen lassen.

In den Zeiten, in denen es Marga schlecht ging, nahm unser Briefwechsel zu. Beim Lesen der Briefe hatte ich das Gefühl, meine Schwester sitzt mir gegenüber in dem behaglichen Ohrensessel, schaut mich an, wartet gespannt auf meine Antworten.

Uns, die wir in Westdeutschland lebten, ging es gut.

Die Firma, in der Hans arbeitete, verzeichnete auf dem Weltmarkt große Erfolge. Hans war ein Denker, entwickelte neue Produkte, zeichnete, verbesserte, optimierte. Unsere Kinder machten keine großen Probleme. Streitereien, wie sie unter Geschwistern üblich sind, blieben nicht aus. Die beiden Jungs rivalisierten beim Sport und bei den Mädchen, was jeweils von kurzer Dauer war. Unsere Tochter zog sich gerne in ihr Zimmer zurück, las Bücher, erfand Geschichten. Ich organisierte unser Familienleben, kümmerte mich um Haus und Garten. Ab und zu traf ich mich mit ein paar Frauen aus der Nachbarschaft, zum Gedankenaustausch bei Kaffee und Kuchen“.

Marga:

„Der Kontakt mit Verwandten aus Westdeutschland wurde streng kontrolliert, Telefonate abgehört, Briefe geöffnet. Die Pakete von meiner Schwester Johanna kamen beschädigt an, der Inhalt nicht komplett. Kaffee, Tee, Schokolade wurden geplündert. Eine Erklärung fehlte. Es gab die Möglichkeit, sich bei einer Meldestelle zu beschweren.

Die Konsequenzen einer Beschwerde wären für unsere Bäckerei, für unsere Familie fatal. Immerhin waren wir Privilegierte und standen unter besonderer Beobachtung. Die Bäckerei, das Haus mit dem Garten waren in unserem Privatbesitz. Bis jetzt wurden wir noch nicht enteignet. Also hieß es stillhalten und so wenig wie möglich auffallen. Nach wie vor wurden uns die Zutaten für die Backstube nach den Vorgaben der Planwirtschaft zugeteilt.

Jeden Monat gab es eine Liste, wie viel Brötchen, wie viel Brote, welche Kuchen und Teilchen wir zu backen hatten. Walter und mein Schwiegervater hielten sich nicht immer daran. Im Sommer ernteten wir von unseren Obstbäume aus dem Garten Äpfel, Birnen, Pflaumen. Auch hatten wir durch unsere Hühner genügend Eier, sodass die Männer jeden Samstag Bleche mit Obstkuchen backen konnten.

Unsere Kunden standen in langer Schlange vor dem Laden, um ein Kuchenblech zu bekommen. Oft hatte ich ein mulmiges Gefühl, denn man wusste ja nie, ob sich ein Spitzel unter der Kundschaft befand.

Bis jetzt war das Glück auf unserer Seite, unsere Kundschaft verschwiegen. Die beiden Männer waren fleißig. Mitten in der Nacht, meistens gegen 3.00 Uhr begannen sie mit ihrer Arbeit in der Backstube. Gegen 10.00 Uhr waren sie fertig, frühstückten, holten ihren Nachtschlaf nach.

Am Nachmittag wartete die Arbeit im Gemüse- und Obstgarten, Hühner und Kaninchen wollten versorgt werden. Ersatzteile für unseren Trabbi waren rar, gab es eigentlich nicht. Tauschgeschäfte waren angesagt. Eier, Obst oder auch schon einmal ein Huhn, dafür gab es dann einen gebrauchten Auspuff, Schrauben oder einen Fensterheber.

Mit meiner Schwiegermutter kam ich gut zurecht. Die Arbeit im Laden, im Haushalt teilten wir uns. Ab und zu hatten wir Meinungsverschiedenheiten über die Erziehung der beiden Jungs. Denn meine beiden Jungs waren überaus lebhaft, sehr aktiv, sehr laut, oft wurde gestritten, gerauft, sie mussten ihre körperlichen und geistigen Kräfte messen. Für mich war der Alltag teilweise sehr beschwerlich, fühlte mich überfordert, litt tagelang an bohrenden Kopfschmerzen.

Die krampfartigen Anfälle kamen immer öfter, raubten meine Energie. Meine Schwester Johanna fehlte mir sehr. In meinen Briefen schüttete ich ihr mein Herz aus, wünschte mir sehnlichst einen Besuch. In Abstimmung mit ihr reichte ich einen Besucherantrag bei der zuständigen Behörde in Markkleeberg für sie und ihre gesamte Familie ein. Alle zwei Jahre konnte so ein Antrag gestellt werden. Ob er bewilligt oder abgelehnt wird wusste man nie.

Ich war jedoch guter Hoffnung. Wochen, ja Monate vergingen, nach einem guten halben Jahr Wartezeit die Antwort von offizieller Stelle, keine Einreiseerlaubnis. Damit hatte ich nicht gerechnet. Diese Antwort, ohne weitere Erklärung, war für mich wie ein Schlag ins Gesicht.

M