Hingeschaut und aufgeschrieben - Charlotte Gundermann - E-Book

Hingeschaut und aufgeschrieben E-Book

Charlotte Gundermann

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Beschreibung

Kurze und ganz kurze Geschichten aus der Vielfalt unseres täglichen Lebens. Kritisch betrachtet, mit Phantasie und Liebe zum Detail erzählt und aufgeschrieben. Unterhaltend, besinnlich, skurril, aber immer mit einem guten Ausgang. Die kreative Sprache, das unorthodoxe Denken und das aufmerksame Beobachten geben den Erzählungen ihren unverwechselbaren Charakter.

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Zum Titel:

32 kurze und ganz kurze Geschichten aus der Vielfalt unseres Lebens.

Kritisch beobachtet, mit Phantasie und Liebe zum Detail erzählt und aufgeschrieben.

Unterhaltend, besinnlich, skurril, aber immer mit einem guten Ausgang.

Die kreative Sprache, das unorthodoxe Denken und das aufmerksame Beobachten geben den Erzählungen ihren unverwechselbaren Charakter.

Zum Autor:

Charlotte Gundermann, ist hauptberuflich

Diplom-Farbdesignerin und führt nebenberuflich eine Agentur für freies Erzählen und

Erzähltheater.

In ihrer Freizeit schreibt sie seit nachdenkenswerte Erzählungen und Geschichten, zumeist vor einem alltäglichen Hintergrund.

Für Herbert

Inhalt

Das Mittelalter lädt ein

Von einer gelungenen Mitternachtsparty der Jahrhundert-Prominenz

Die Kuratorin

Vom äußeren Schein und der inneren Kompetenz

Jedermanns Dinge

Von den besonderen Befindlichkeiten der gewöhnlichen Sachen

Hände

... langsam krochen sie hervor, lagen einfach da und schauten mich an ...

Haustürerlebnisse

Von individuellen Tür-Schicksalen und ereignisreichen Momenten

Wie? – Blau!

Von einer Kunstpädagogin und ihrem kleinen Kobold

Das Parkett

Wie das Merbau Parkett auszog, um neue Freiheiten zu finden

Die Phantasie

... (und) die Verwirrung entsteht im Kopf ...

Karo Kästchen

Beobachtung

Das Wachpersonal

Von einem Museumswächter und seinem „weißen“ Leidensweg

Der Kulturbahnhof

Von grauseligen Frisuren, blankpolierten Glatzen, Gedichten und Kuchen, Kuchen, Kuchen

Verwandtschaft

Von meinem Vater, mir und unserer Fabrikhalle

Briefumschlag

Vom kleinen Umschlag und seinem großen Abenteuer

Grau oder Grau

Vom bunten Leben der Farbe Grau

Das Dilemma der Farbe Weiß

Von der Nichtfarbe und der Göttin in Weiß

Das Reihenendhaus

... frisch herausgeputzt und stolz erwarteten wir die Zukunft ...

Der Rasemuck, eine Geschichte aus dem Moor

Wie sich der kleine Rasemuck für die Elfen fein macht

Sonja und die Erdfurchen

Der Stadtmensch Sonja und ihre Liebe zum Landleben

Schatten

Trauer

Das Leben

Platzbeschreibung

Ein menschlicher Typ

Der rote Faden

... (er) bringt durch seine Leuchtkraft ein wenig gute Laune mit und tröstende Worte ...

Das Frauenfreundinnen Wochenende

Von Frauenfreiheit und schlechtem Gewissen

Erlebnis Sauna

Von einem, der (sich) auszog – was auffällt

Museum Eins

Museum Zwei

Die kleine Rote Box

Die unwiderstehliche Rote Box – ein Sieg der Verführung

Der Parkplatz

Von der Mini Clubfrau und zwei Machos

Kunst

Künstl(er)ische Gedanken bei einem Glas Rotwein

Das Mittelalter lädt ein

Die letzten Besucher verlassen das Museum. Die Museumswächter in ihren blauen Uniformen lassen einen letzten, müden Blick durch die Räume schweifen. Es ist schon spät. Sie sind müde ob der vielen Kunst. Sie haben Hunger und sehnen sich nach einer Entspannung auf der Couch, bei Bier und Fernsehen, etwas Realem, etwas, was lebt und sich bewegt. Etwas, was denkt und spricht.

Das Museum, in dem sie arbeiten, beinhaltet eine Sammlung aus Stein- und Holzskulpturen, von der Antike über das Mittelalter bis zur Neuzeit. Nicht viele Besucher waren es heute. Die Lichter werden gelöscht, die Türen verschlossen. Die Garderobe von Mänteln und Hüten befreit. Dem Nachtwächter wünscht man eine schöne, ruhige Nacht und tritt hinaus in die lebendige Welt.

Totenstille ist es in den Räumen des Museums. Der Nachtwächter sitzt brav an seinem Pult und liest unter dem abgedunkeltem Schein der Lampe, die für ihn, für heute Nacht, zu erledigenden Aufgaben.

Plötzlich ein Geraune, ein Flüstern und Getuschel. Ach ja - fast hätte er es vergessen. Heute ist ein großer Tag. Man hatte ihm das schon vor Wochen zugeflüstert. - Das Mittelalter lädt heute gegen Mitternacht zu einer „get together“ Party. Eingeladen ist die Antike und natürlich die Neuzeit.

Die Party findet in dem Blauen Salon des Museums statt. Der Name definiert sich aus den wunderschönen, intensiv tiefblau gestrichenen Wänden. Der Raum ist ideal für eine Mitternachtsparty. Das Tiefblau der Wände, das warme Braun des Parkettbodens, sowie die luftige Raumhöhe sind für die Zusammenkunft ideal. Der Nachtwächter wurde sorgfältig darauf hingewiesen, die Beleuchtung so sparsam wie möglich einzusetzen. Er hat diese Aufgabe zu aller Zufriedenheit gelöst.

Die Skulpturen des Mittelalters haben sich versammelt und sind in gespannter Erwartung ihrer Gäste. Sie haben Podeste aufgestellt und Bänke zusammengerückt. Das Mittelalter steht in Reih und Glied, um die ankommenden Gäste zu begrüßen.

Der Heilige Augustus steht an erster Stelle, neben ihm der Heilige Abt. Beide sind etwas nervös und angespannt, denn sie sind für die Begrüßungsrede zuständig. Neben ihnen die Mutter Gottes, sie hatte sich ein Gewand aus wunderschönem, rostrotem Leinenstoff angelegt. Neben ihr die jugendliche Sybille, die mit ihrem langen schimmerndem Haar eine reine Augenweide ist. Der Evangelist Johannes mit seiner braunen, aus derben Stoff gewebten Kutte, bildet den Abschluss.

Ein langsames Schlurfen, dazu rasselnde Atemzüge zerreißen die Stille und die Spannung steigt. Wer ist es, der als erster aus dem Raum der Antike im Blauen Salon eintrifft? Nicht zu fassen - es ist Marc Aurel. Gestützt wird er von Diokletian. Es folgen Kaiser Konstantin und Alexander der Große. Beide schreiten mit majestätischen Schritten auf die Wartenden zu und platzieren sich auf einem der Podeste. Apollo naht, die wunderschöne Athena an seiner Seite. Diese werden gefolgt von Kaiserin Kleopatra, deren seidenes Gewand kunstvoll mit Edelsteinen bestickt ist. Begleitet wird sie von Hermes, dem Götterboten. Kaiser Augustus, Octavian und Kaiser Justinian bilden den Abschluss.

Gespannt wird die Neuzeit erwartet, deren Räumlichkeiten am anderen Ende des Museums liegen. Ein Fauchen und leises Knurren lässt die Anwesenden im Blauen Salon aufhorchen. Einschwebt Ariadne auf ihrem Panther, neben ihr läuft Susette Goutard. Dieser Anblick ist so faszinierend, so wunderbar außerirdisch, so unerwartet. Still ist es. Der Panther gleitet fast lautlos über das Parkett und trägt Ariadne mit stolz erhobenem Haupt in die Mitte des Raumes. Susette Goutard folgt eilig. Ihre zierlichen, nackten Füße lassen ihre Trippelschritte hörbar werden.

Mit einer eleganten Armgeste bittet Ariadne um Gehör und verkündet: „Ich grüße euch alle im Namen der Neuzeit. Zugleich möchte ich einige meiner Mitbewohner aus der Abteilung der Neuzeit für ihr Nichterscheinen entschuldigen. Einige sind noch damit beschäftigt, ihre Arbeiten, die man ihnen aufgetragen hat, zu vollenden. Wie z.B. diejenigen, welche Niederschriften der Geschichte in feinsten Buchstaben bis in die frühen Morgenstunden anzufertigen haben. Andere arbeiten an einer Skulptur, die eine Auftragsarbeit ist und in den nächsten Tagen zur Abholung bereitgestellt werden muss.“ Sie verneigt sich, gibt ihrem Panther ein Zeichen und platziert sich neben einem Podest.

Wie verabredet, betritt der Nachtwächter den Blauen Salon. Vor sich her schiebt er einen großen Wagen, der fast schon wie ein fahrbarer Tisch anmutet. Dieser ist bestückt mit silberglänzenden Platten, die über und über mit wundervollen, schmackhaften, exotischen Früchten bestückt sind. Karaffen stehen bereit, vollgefüllt mit Wein, und für jeden einen, aus schwerem Zinn gearbeiteten, Trinkbecher. Freudig und mit einem einstimmigem „Salve“ wird der Nachtwächter begrüßt.

Schnell ist alles verteilt und das Klicken und Anstoßen der Becher ist weit bis in das Museum hinein zu hören. Die Begrüßungsrede des Heilige Augustus und des Heiligen Abts aus dem Mittelalter wird kurz gehalten, da es schon spät in der Nacht ist, denn der eigentliche Sinn dieser „get together“ Party soll das Kennenlernen und sich Austauschens sein.

Kräftig wird dem Wein zugesprochen, so dass die Gespräche intensiv, die Atmosphäre locker wird. Kaiser Justinian (527-565 n.Chr.) gesellt sich zu Kaiser Konstantin (306-337 n.Chr.). Heftig diskutieren sie über die unterschiedlichen Kriegsführungen. Alexander der Große (323-336 n.Chr.), der natürlich von Marc Aurel vieles gehört hatte (161-180 n.Chr.), ergreift die Gelegenheit und trinkt mit ihm einige Becher Wein. Octavian (31 n.Chr.), der Kaiserin Kleopatra besiegte, umarmt sie und schließt mit ihr den Frieden.

Athena und der Götterbote Hermes aus der Antike verwickeln den Heiligen Augustus, sowie die Muttergottes aus dem Mittelalter, in Grundsatzgespräche über das Leben. Athena aus der Antike, Sybille aus dem Mittelalter, Ariadne, die ihren Panther für einen Moment an einer Bank abgelegt hatte, Susette Goutard aus der Neuzeit, sitzen sich auf Bänken gegenüber, essen von den köstlichen Früchten und bewundern sich gegenseitig. Sie sprechen über ihre Liebhaber, über ihre Macht, die sie sehr genossen haben und über ihre Stellung als Frau und Geliebte. Über die Gefahren, denen sie ausgesetzt waren und über ihre weibliche Raffinesse, die sie immer wieder einzusetzen wussten, um ihr Ziel zu erreichen.

Alles ist im Fluss. Die Stimmung ist einvernehmlich, respektvoll, die Gespräche informativ und tiefgründig. Mitternacht ist lange überschritten, das Morgengrauen zu erwarten. Der Nachtwächter steht am Eingang des Blauen Salons. Seine, auch zu später Stunde korrekte Uniform, unterstreicht noch einmal die Wichtigkeit seiner Person und seiner Aufgaben. Mit Genugtuung und großem Wohlwollen beobachtet er das Schauspiel. Dies allein ist ihm vergönnt. Niemand sonst hatte man ins Vertrauen gezogen. Welche Ehre. Stolz und Freude erfüllen ihn.

Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr verkündet ihm das Ende der Zusammenkunft. Er räuspert sich, zieht die Uniformjacke noch einmal glatt und betritt mit festem, selbstbewusstem Schritt den Blauen Salon, stellt sich in die Mitte und verkündet mit lauter, fester, aber freundlicher Stimme das Ende der Veranstaltung. Von überall hört man ein Ach - Nein, ist es schon Zeit, zu gehen? Schnell werden noch einige Becher des guten Weines gelehrt. Es wird sich ein letztes Mal an diesem Abend zugeprostet. Die Abschiedsszenen fallen üppig aus. Man umarmt sich lange, freundschaftlich und innig.

Am Ausgang des Blauen Salons positionieren sich die Gastgeber aus dem Mittelalter. Der Heilige Augustus mit dem Evangelisten Johannes, die Muttergottes mit Sybille und dem Heiligen Abt. Sie verabschieden ihre Gäste mit einer warmen, innigen Umarmung und versprechen die Wiederholung der Zusammenkunft. Als die wunderschöne Ariadne auf ihrem Panther aus der Neuzeit an ihnen vorbeizieht, treten alle unwillkürlich einen Schritt voller Respekt zurück. Sicherheit geht vor, das denken sie wohl.

Die Gäste sind verabschiedet. Nun geht es ans Aufräumen. Podeste werden zurückgeschoben, Bänke wieder an ihren Platz gestellt. Der Nachtwächter verstaut die leeren Weinkaraffen und Becher in einer Kiste. Alle Skulpturen begeben sich auf ihre angestammten Plätze. Das Licht wird gelöscht, die Tür des Blauen Salons leise geschlossen. Die Besucher, die am darauf folgenden Tag die Skulpturen der Antike, des Mittelalters und der Neuzeit bestaunen, sehen auf den sonst so steinernen Gesichtern ein Schmunzeln, ein kleines Lächeln. Was war geschehen?

Die Kuratorin

Heute ist es eine kleine Gruppe, die sich im Foyer des Museums für Zeitgenössische Kunst einfindet. Um 15.00 Uhr sollte die Führung starten, doch noch ist niemand in Sicht. Die wartenden Teilnehmer unterhalten sich flüsternd, oder stützen sich auf ihre mitgebrachten kleinen Museumsklappstühlchen, die es an der Garderobe gibt. Eine Weile vergeht.

Da, mit einem leisen Stöhnen öffnet sich die Schwingtür. Erwartungsvolle Blicke. Mit eiligen, plumpen Schritten tritt die Kuratorin vor uns, die wartende Gruppe. Die vorgebrachte Entschuldigung und gleichzeitige Begrüßung ist kurzatmig und kaum zu verstehen. Ihr hochroter Kopf lässt einige aus der Gruppe das Atmen vergessen. Sie kommt von einer Kinderführung und muss erst einmal durchatmen, vermittelt sie uns in kaum zu verstehenden Stakkatosätzen.

Wir, die Gruppe, nicken und lassen ihr Zeit. Groß und mächtig steht sie vor uns. Ihre etwas zu groß geratenen Füße stecken, trotz Winterzeit, in flachen, recht ausladenden, roten Schnallenschuhen. Bestrumpfte Beine, in verwaschenen, beige-braunen, blickdichten Strumpfhosen wachsen in den zu kurz geratenen Oberkörper. Auch hier hat sich die weibliche Ausgestaltung in den Proportionen vergriffen. Ein buntes, in der Farbigkeit undefinierbares Hängekleid soll es nun richten und versucht mit seinem fließenden Stoff die etwas zu rundlichen Hüften zu umschmeicheln. Eine grob gestrickte Weste mit fast Handteller großen, roten Knöpfen rundet das etwas andere Outfit ab.

Die Arme verschränkt sie unter dem ordentlichen Busen, wobei die Hände sich auf dem vorgewölbtem Bauch ausruhen. Das Gesicht ist eher klein, die Augen lebendig, der Mund fast wie ein zu schmal geratener Strich. Die Haare fallen glatt und glanzlos bis auf die Schultern. Wir, die Gruppe, werfen uns stumme Blicke zu. Augenbrauen und Schultern werden fragend hochgezogen. Was kommt da auf uns zu, wie sollen wir diese Führung überstehen? Nun gut, lassen wir es über uns ergehen.

Auf geht es zum ersten Exponat. Es ist ein Großformatiges. Formen und Farben haben sich ineinander gewoben, verschlungen. Schweigend und ziemlich ratlos stehen wir, die Gruppe, davor, suchen nach Punkten, an denen sich das Auge festmachen kann. Unsere Kuratorin tritt hervor, hustet, die Stimme stockt, das Haar streicht sie mit einer ungelenken Geste zurück. Ihre Augen leuchten auf. Nach einer kurzen Weile der Stille, der Sammlung, und des stummen Betrachtens, fängt sie mit ihrer Interpretation des Bildes an.

Fundiertes Wissen, ausgedrückt in klaren, verständlichen Worten. Wir, die Gruppe, sind fasziniert und vielleicht auch ein wenig