Annikas Reise - Nemo von Falkenstein - E-Book

Annikas Reise E-Book

Nemo von Falkenstein

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Beschreibung

Als das Leben der neunjährigen Annika auf den Kopf gestellt wird, muss sie sich sieben Prüfungen stellen. Nicht nur, um an der Zauberschule aufgenommen zu werden, sondern auch, um sich selbst zu beweisen und einen finsteren Fluch zu brechen, der auf ihrer Familie lastet. Ein nostalgisches Abenteuer voller Mut, Mitgefühl, Liebe und Magie. Ideal für die Altersgruppe von 8 - 12 Jahren.

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Seitenzahl: 221

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Über das Buch:

Dieses Buch wurde, in der ursprünglichen Fassung, als Geburtstagsgeschenk für ein Mädchen namens Annabell geschrieben.

Es liefert den Hintergrund zu einem Armband, das sie dazu bekam, welches auf der Rückseite des Einbands abgebildet ist.

Die Handlung baut lose auf einer Kurzgeschichte auf, die sie schon früher als Geschenk erhielt, zusammen mit einem Paar Ohrsteckern. Diese Geschichte findet sich im Anhang des Buchs.

Es handelt sich hierbei um das erste Kinderbuch des Autors. Obwohl teilweise von realen Personen und deren Leben inspiriert, ist es als reine Fiktion zu betrachten!

Über den Autor:

Nemo von Falkenstein ist verheiratet und schreibt für zwei wundervolle Mädchen und ihre liebende Mutter. Im Alltagsleben ist er angehender Arzt, der im Schreiben einen Ausgleich zum anstrengenden und oft belastenden Arbeitsleben im Krankenhaus findet.

Er schreibt seit seiner Kindheit gern Geschichten und veröffentlichte – unter verschiedenen Pseudonymen – schon seit seiner Jugend diverse Kurzgeschichten und Lyrik.

Für Annabell, die wahre Annika. Alles Gute zum 9. Geburtstag! Ich wünsche dir viel Freude mit dem Armband und dem Buch und hoffe, dass es dich ein bisschen führen kann, auf deiner eigenen Heldinnenreise.

Und für Annabells tapfere Mama, die mit dem kleinen Teufelchen liebevoll durch jede noch so schwierige Zeit geht.

Mein Dank geht an meine liebe Frau Theresa, die so viel Geduld mit mir hat, in schwierigen Jahren fest an meiner Seite stand und die mich selbst bei so etwas hier unterstützt.

Ferner danke ich meiner Autorenkollegin Nina M. Janitz, die mir mit ihrem Scherbenpuzzle gezeigt hat, dass man es auch einfach mal machen kann.

„Das Mitgefühl mit allen Geschöpfen ist es, was Menschen erst wirklich zum Menschen macht.“ (Albert Schweitzer)

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Konsequenzen

Annikas Wutausbruch

Elterngespräch

Am See

Die Aufgaben

Kapitel 2: Der Beginn einer Reise

Ein Meer von Blüten

Der dunkle Schatten

Tage am See

Der Fluch

Kapitel 3: Das Königreich Chirnanok

Geisterjagd

Der König von Chirnanok

Die Suche nach Virenna

Staub und Papier

Schatten von Glanz

Kapitel 4: Gefallene Männer

Unter der Knute

Flucht

Stunden im Müll

Ratlosigkeit

Bedingungslose Treue

Schmerzliche Fügung

Herr Enkstätter

Wir haben ein Date

Muffensausen

Vater und Tochter

Kapitel 5: Die Prinzessin von Chirnanok

Virenna

Die Tränen der Fee

Frieden

Ein Neuanfang

Kapitel 6: Sinfingen

Schule

Das Einhorn

Die Radtour

Zu viel Glück

Kapitel 7: Licht

Vergebung

Baustellen

Neues Glück

Ein schöner Abend

Das Ende des Fluchs

Das letzte Glied

Der erste Zauber

Anhang: Die Tränen der Fee

Die Tränen der Fee

„Mitgefühl an die Schwachen ist verschwendet. Helfe denen, die Hilfe verdienen und mache dir jene untertan, die zu schwach sind, um gegen dich zu bestehen!“ (Alaric Falkner)

Kapitel 1: Konsequenzen

Annikas Wutausbruch

In dem beschaulichen Ort Chirnanok, der malerisch zwischen scharf gezackten Bergen und einem glitzernden See lag, war es wunderschön, mit seiner klaren Luft und der märchenhaften Landschaft – doch eigentlich auch furchtbar langweilig. Bis zu einem Tag in der kleinen Grundschule des Dorfes. Im Klassenzimmer der dritten Klasse, in dem die Wände mit bunten Landkarten, farbenfrohen Basteleien und selbst gemalten Bildern geschmückt waren, herrschte ein gewohntes Säuseln von gedämpften Kinderstimmen. Die neunjährige Annika saß am hinteren Ende des Raums und ihre unzähmbaren Strähnen, deren Farben von Blond bis Kastanienbraun alles abdeckten, fielen vor ihre großen, blauen Augen. Schläfrig versuchte sie, sich auf die monotonen Worte des Lehrers zu konzentrieren.

Herr Gruber, ein Mann mit strengem Blick und einer Brille, die ständig auf der Nase herabrutschte, sprach über die Geschichte der Ortschaft. „Und so wurde Chirnanok zu einem sicheren Zufluchtsort für alle“, schloss er mit einer dramatischen Geste.

Die Kinder raunten und tuschelten, aber Annika fühlte sich unbehaglich. Sie wusste, dass ihre Familie anders war; das Erbe ihres Vaters, des schwarzen Zauberers aus dem Dorf, lastete schwer auf ihr. In Gedanken versunken, kritzelte sie kleine Sterne und Monde an den Rand ihres Heftes.

„Annika!“, rief Herr Gruber plötzlich. „Kannst du uns erzählen, wie unser Ort seinen Namen bekam?“

Erschrocken blickte das Mädchen auf. Alle Augen waren auf sie gerichtet. „Ähm, ich…“, stammelte sie, ihre Wangen färbten sich rot. „Du solltest aufpassen, anstatt zu träumen“, tadelte der Lehrer sie streng. „Das sagt schon dein Halbjahreszeugnis!“

Die Kinder begannen zu kichern und Annika spürte, wie die Wut in ihr hochstieg. Sie wollte nicht wütend werden, sie wusste, was dann passieren konnte! Aber es war, als ob etwas in ihr erwachte, etwas Wildes und Unkontrollierbares. Plötzlich zitterten ihre Hände und ein eisiger Wind begann im Klassenzimmer zu wehen. Die Kinder hörten auf zu lachen und starrten erstaunt auf Annika, während die Blätter ihrer Hefte in der kalten Brise raschelten.

„Annika, beruhige dich!“, rief Herr Gruber, aber es war bereits zu spät. Annikas Magie war erwacht und sie konnte sie nicht mehr zurückhalten.

Mit einer schnellen Bewegung ihrer Hand fegte ein unsichtbarer Stoß eine Reihe Bücher vom nächsten Regal und die Kinder schrien auf, als sie durch die Luft wirbelten. Annika wollte, dass es aufhörte, aber ihre Macht gehorchte ihr nicht. Das nächste, was passierte, geschah wie ein Blitz. Das Regalbrett riss mit einem lauten Krachen von der Wand und raste quer durch das Klassenzimmer. Es traf die gegenüberliegende Seite mit solcher Wucht, dass es dort stecken blieb, wie ein Speer, der in die Trockenbauwand geschleudert worden war. Staub wirbelte auf, und für einen Moment herrschte absolute Stille.

Die Kinder starrten mit aufgerissenen Augen auf das Brett, das nun gefährlich aus der Mauer ragte. Einige begannen zu weinen, andere saßen einfach nur da, zu schockiert, um sich zu rühren. Herr Gruber stand fassungslos da, unfähig zu begreifen, was gerade geschehen war. „Annika“, flüsterte er, seine Stimme zitternd vor Unglauben. „Was hast du getan?“

Dieser standen die Tränen in den Augen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte immer Angst gehabt, dass eines Tages so etwas passieren könnte. Jetzt hatte sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Klassenkameraden in Gefahr gebracht.

„Es… Es tut mir leid“, stotterte sie, ihre Stimme ein kaum hörbares Flüstern. „Ich wollte das nicht.“

Aber ihre Entschuldigung ging im Chaos unter, das indessen ausbrach. Kinder schrien und rannten aufgeregt umher; einige suchten Schutz unter ihren Tischen.

Herr Gruber eilte zu Annika und nahm sie bei der Hand. „Komm, Annika, wir müssen mit deiner Mutter sprechen!“, sagte er ernst. Es war klar, dass dies kein gewöhnlicher Vorfall war, und dass das Mädchen Hilfe brauchte – Hilfe, die er ihm nicht geben konnte.

Auf dem Weg aus dem Klassenzimmer warfen die anderen Kinder ihr ängstliche Blicke zu. Sie flüsterten und tuschelten. Annika fühlte sich bloßgestellt und verlorener denn je. Sie wusste, dass nach diesem Vorfall alles anders sein würde.

Als sie aus dem Zimmer traten, ließen sie das Chaos hinter sich: Einen Raum voller verstreuter Bücher, einem zerstörten Regal und einer Klasse voller verstörter Kinder, zu denen nun – durch den Lärm aufgeschreckt – andere Lehrer aus dem Lehrerzimmer eilten.

Annikas Herz war schwer vor Schuld und Angst vor dem, was ihre unkontrollierte Zauberei noch anrichten könnte. Sie wusste, dass sie einen Weg finden musste, ihre Kräfte zu beherrschen, bevor noch Schlimmeres geschah.

Elterngespräch

Nach dem Vorfall im Klassenzimmer ging Herr Gruber schweigend mit Annika durch die stillen Sträßchen von Chirnanok. Sein Gesicht war ernst, während er die Hand seiner Schülerin festhielt. Das Mädchen, das sich so klein und verloren fühlte wie noch nie, wagte es nicht, ihm in die Augen zu sehen.

Sie erreichten das bescheidene Haus am Rande des Dorfes, in dem die kleine Familie in einer sanierungsbedürftigen Dreizimmerwohnung lebte. Herr Gruber klingelte an der Tür und Marlene, Annikas Mutter, öffnete.

„Frau Falkner“, nickte der Mann. „Gut, dass ich Sie hier antreffe. Da der Laden über Mittag geschlossen ist, nahm ich an, dass Sie zu Hause sind.“

Annika, die wie ein geprügelter Hund dreinschaute, trat schüchtern hinter ihrem Lehrer hervor. Marlenes Gesicht, normalerweise ruhig und sanft, verriet sofort Sorge, als sie ihre Tochter in diesem Zustand sah.

„Was ist passiert?“, fragte sie, während sie Annika in die Arme nahm.

Herr Gruber räusperte sich. „Es gab einen Vorfall in der Schule. Annika ist… ihre Magie entglitten. Ein Regalbrett wurde durch den Raum geschleudert.“

„Wurde jemand verletzt?“, wollte die Mutter erschrocken wissen.

„Nein.“ Der Lehrer schüttelte den Kopf. „Sie hat uns nur einen gehörigen Schrecken eingejagt. Und das Klassenzimmer braucht eine Renovierung…“

Die Frau seufzte tief und führte sie ins Wohnzimmer. „Bitte, setzen Sie sich!“, lud sie ihn ein. „Ich weiß, dass das schwer zu verstehen ist. Annika hat Probleme, ihre Magie zu kontrollieren. Es passiert immer dann, wenn sie wütend oder aufgeregt ist. In der Regel aber eher subtil. Jemand ärgert sie, und später passiert diesem Jemand ein… Missgeschick.“ Sie blickte beschämt zu Boden.

Herr Gruber setzte sich steif auf einen Stuhl. „Ich muss zugeben, dass ich schockiert bin. Ich wusste nicht, dass ihre Kräfte so… intensiv sind.“

Marlene nickte. „Ihr Vater war ein mächtiger, dunkler Hexer. Er kämpfte im magischen Krieg, als schwarzer Meister, an der Seite von Merlock dem Dreizehnten.“

Herr Gruber zog scharf die Luft ein. „Ihr Mann war bei den Dunklen Kräften?“

„Ja“, antwortete Marlene leise. „Aber er war nicht immer so! Als ich ihn kennenlernte, war er ganz anders. Alaric war freundlich, lustig und mitfühlend. Er wurde nur verführt und fehlgeleitet. Und ich… Ich war hilflos, als er sich veränderte. Ich habe keine magischen Kräfte, wissen Sie?“

Herr Gruber schüttelte den Kopf, offensichtlich unbehaglich bei dem Gedanken, dass der Vater seiner Schülerin für solch finstere Taten verantwortlich war. „Das hätte alles sehr schlimm enden können, wenn die Fraktion des Lichts den Krieg nicht gewonnen hätte. Für uns alle.“

„Ich weiß.“ Marlene wischte sich verstohlen die Tränen aus den Augen. „Als mir klar wurde, zu was er geworden war, nahm ich die Mädchen und floh. Wir zahlen heute noch den Preis dafür…“

Während sich der Lehrer noch fragte, welcher Preis das wohl sein mochte, fuhr sie fort: „Es fällt mir schwer, Annika zu erziehen. Mit Seraphina, meiner älteren Tochter, ist es einfacher. Sie ist ängstlich, aber sie hat keine Zauberkräfte.“

„Ich verstehe“, sagte der Mann kühl. „Aber wir müssen an die Sicherheit der anderen Kinder denken. Annika kann so nicht in der Schule bleiben!“

„Was?“, rief die erschrocken.

Marlene sah auf, dieses Mal mit unverhohlenen Tränen in den Augen. „Bitte, geben Sie ihr noch eine Chance! Sie ist kein schlechtes Kind. Sie ist nur… verloren.“

Herr Gruber stand auf, sein Gesichtsausdruck unverändert streng. „Ich werde sehen, was ich tun kann. Aber ich mache keine Versprechungen.“

Nachdem der Lehrer gegangen war, saß Marlene neben Annika, die still weinte. „Du musst lernen, deine Wut zu kontrollieren, Annika!“, sagte sie sanft, aber mit Dringlichkeit in der Stimme. „Wir können nicht zulassen, dass das, was mit deinem Vater passiert ist, sich bei dir wiederholt. Deine Magie ist mächtig und du musst lernen, sie verantwortungsvoll zu nutzen.“

Annika nickte, schluchzend. „Ich will keine böse Hexe sein, Mama! Ich will niemanden verletzen.“

„Ich weiß, mein Schatz.“ Marlene umarmte sie. „Und ich glaube dir. Aber wir müssen hart daran arbeiten. Du darfst deine Macht nicht aus Wut oder Angst einsetzen. Wir müssen einen Weg finden, sie zu kontrollieren.“

Annika wischte sich die Tränen ab. „Aber wie? Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Und die Zauberschule will mich ja nicht haben!“

„Sie haben nur Angst.“ Marlene wiegte ihre Tochter sanft in der Umarmung. „Angst, dass du zu gefährlich sein könntest, wenn du deine Kräfte beherrschst, aber nicht dich selbst.“

„Und wie soll ich das lernen, wenn es mir niemand beibringen will?“, schniefte das Mädchen.

„Wir werden Hilfe suchen“, antwortete ihre Mutter entschlossen. „Es gibt Bücher und vielleicht auch Menschen, die uns helfen können. Wir sind nicht allein in dieser Situation.“

„Ich habe Angst, Mama“, flüsterte Annika. „Ich will nicht enden wie Papa.“

„Das wirst du nicht“, versicherte Marlene ihr. „Du bist deine eigene Person, Annika. Du hast ein gutes Herz. Und solange du dich daran erinnerst, wer du wirklich bist und was du sein willst, wirst du den richtigen Weg finden.“

Sie saßen eine Weile in Stille, Annika in den Armen ihrer Mutter, und spürten die Last der Vergangenheit und die Unsicherheit der Zukunft. Marlene wusste, dass der Weg vor ihnen schwierig sein würde. Die Schatten des Krieges und ihres verstorbenen Mannes waren immer noch präsent, aber sie war entschlossen, Annika durch diese schwierige Zeit zu helfen.

„Wir werden das gemeinsam durchstehen“, versprach Marlene, während sie ihre Tochter festhielt. „Schritt für Schritt. Du bist nicht allein.“

Annika fühlte sich ein wenig getröstet, die Angst und Unsicherheit blieben jedoch. Sie wusste, dass der Weg zur Kontrolle ihrer Magie lang und voller Herausforderungen sein würde. Aber mit der Unterstützung ihrer Mutter an ihrer Seite fühlte sie sich bereit, sich diesen Herausforderungen zu stellen und zu beweisen, dass sie mehr war als das Erbe ihres Vaters.

Am See

Die Oberfläche des Luminarasees funkelte im goldenen Licht der untergehenden Sonne, eingebettet in die malerische Landschaft von Chirnanok. An seinem Ufer saß Annika, umgeben von der ruhigen Schönheit der Natur. Das Wasser schien sie mit offenen Armen zu empfangen. Doch selbst diese Idylle konnte nicht die Last lindern, die auf den kleinen Schultern ruhte. Ihre Augen, die noch Spuren von Tränen zeigten, starrten sehnsüchtig auf das Wasser, in der Hoffnung, Luna zu erblicken: Ihre einzige Freundin. Wie aus dem Nichts tauchte sie schließlich auf: Die weise Merrow mit ihrer blassgrünen Haut, die im letzten Licht des Tages schimmerte, und den langen, seegrünen Haaren, die sich sanft in den Wellen wiegten. „Hallo, Annika!“, grüßte sie mit einer Stimme, die so beruhigend war wie das sanfte Plätschern des Wassers.

„Hallo, Luna!“, erwiderte das Mädchen mit vor Kummer bebender Stimme.

„Erzähle mir, was passiert ist, Süße!“, forderte die sie freundlich auf. Ihre grünen Augen leuchteten in der Abendsonne, während sie sich elegant durch das Wasser bewegte und näher ans Ufer kam.

Annika atmete tief ein und ließ die frische, feuchte Luft ihre Lungen füllen, bevor sie begann, von dem Vorfall in der Schule zu berichten. Sie sprach von der unkontrollierbaren Magie, die aus ihr herausgebrochen war, von der ständigen Ablehnung an der Zauberschule und von ihrer tiefen Angst, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten.

Als die Wasserfrau sanft ihre kühle, feuchte Hand an die Wange des Mädchens legte, spürte Annika fröstelnd die scharfen Krallen und die Schwimmhäute zwischen ihren Fingern. „Du bist nicht dein Vater, Annika. Du bist ganz anders.“

„Du kanntest meinen Vater?“, fragte sie; ihre Augen weiteten sich vor Überraschung.

„Ja, ich kannte Alaric“, antwortete Luna nachdenklich. „Er war als Junge so anders. Fröhlich, liebevoll und neugierig auf die Welt. Wir haben zusammen am Ufer gespielt, haben die Sterne beobachtet und von großen Abenteuern geträumt.“

Annika hing an den Lippen ihrer Freundin, fasziniert von dieser unbekannten Seite ihres Vaters.

„Aber dann“, fuhr die Merrow fort, „begann er sich zu verändern. Er wurde angezogen von den dunklen Aspekten der Magie. Unsere Wege trennten sich, als er sich den dunklen Mächten hingab. Es war, als hätte ich einen Freund verloren und einen Fremden an seiner Stelle gefunden.“

„Ich will nicht so werden wie er“, flüsterte Annika mit angsterfüllter Stimme.

„Und das wirst du auch nicht“, erwiderte Luna bestimmt. „Du hast ein gutes Herz, Annika. Du bist mitfühlend und freundlich. Erinnere dich an die Male, als du den Schwächeren geholfen hast, wenn sie in der Schule geärgert wurden! Oder die Elster mit dem gebrochenen Flügel, die du wieder gesund gepflegt hast, nachdem sie an eure Balkontür geknallt war! Das macht dich aus, nicht die dunkle Vergangenheit deines Vaters.“

Ein Gefühl der Erleichterung durchflutete das Mädchen. Die Worte ihrer Freundin gaben ihr Kraft und Hoffnung.

„Ich werde mit meiner Cousine Cassiopeia sprechen“, sagte Luna. „Sie lebt im See bei der Zauberschule und kennt den Rektor. Vielleicht kann sie ein gutes Wort für dich einlegen.“

Annikas Herz machte einen Sprung. „Das würdest du für mich tun?“

„Natürlich“, lächelte die Merrow. „Ich glaube an dich. Du hast eine strahlende Zukunft vor dir, Annika. Lass sie dir nicht von den Schatten der Vergangenheit verdunkeln!“

Als es der Himmel war, der sich verdunkelte, und der erste Stern am Firmament erschien, fühlte sich das Mädchen gestärkt. Die Geschichten über ihren Vater und die aufbauenden Worte hatten sie mit neuem Mut erfüllt.

„Danke, Luna!“, sagte sie, ein Lächeln umspielte ihre Lippen.

Mit einem letzten Winken tauchte das magische Wesen in die Tiefe des Sees ab. Annika stand auf, ihr Herz deutlich leichter als zuvor. Sie blickte über das Wasser, auf dem sich nun der Mond spiegelte, und fühlte eine tiefe Verbindung zu diesem Ort, zu Luna und zu dem Pfad, den sie nun beschreiten wollte.

Der Weg zurück nach Hause fühlte sich weniger beschwerlich an als der zum See, obwohl die Dunkelheit sie nervös machte und sie bei Geräuschen plötzlich aufschrecken ließ. Doch Annika ging mit einem neuen Gefühl der Entschlossenheit, getragen von der Hoffnung, die ihre Freundin ihr gegeben hatte. Die Kühle des Abends umhüllte sie, und der sanfte Wind trug die versöhnlichen Laute der Natur zu ihr.

Sie dachte über Lunas Worte nach, über das Bild ihres Vaters als Junge, das so anders war als das, was sie immer gehört hatte. Es erinnerte sie daran, dass jeder Mensch mehrere Facetten hatte und dass das Leben aus Entscheidungen bestand. Sie würde ihre eigenen treffen! Sie wollte den Weg der Güte und des Lichts wählen, egal wie schwer es manchmal sein mochte.

Zu Hause angekommen, fand sie ihre Mutter in der Küche, die gerade das Abendessen vorbereitete. Marlene sah ihre Tochter an und spürte sofort, dass sich etwas verändert hatte.

„Annika, da bist du ja endlich! Du sollst doch nicht mehr allein draußen sein, wenn es dunkel wird. Alles in Ordnung?“

„Ja, Mama“, antwortete Annika. „Ich habe mit Luna gesprochen. Sie wird versuchen, mir zu helfen, in die Zauberschule zu kommen. Und ich… Ich habe beschlossen, dass ich nicht wie Papa sein werde. Ich werde meinen eigenen Weg gehen!“

Marlene lächelte und öffnete ihre Arme für eine Umarmung. „Das ist wunderbar, mein Schatz! Und das wirst du ganz sicher. Du hast so viel Gutes in dir.“

In dieser Nacht ging Annika mit einem Gefühl der Zuversicht zu Bett. Sie wusste, dass der Weg vor ihr nicht leicht sein würde, aber sie war bereit, ihn auf sich zu nehmen. Mit der Liebe ihrer Mutter, der Unterstützung von Luna und ihrem eigenen starken Willen würde sie zeigen, dass sie die Tochter ihres Vaters war, aber nicht sein Schatten. Sie war Annika, und sie würde ihr eigenes Licht in die Welt bringen!

Die Aufgaben

In der schummrigen Erdgeschosswohnung, die mehr von der Vergangenheit erzählte, als von der Hoffnung auf eine bessere Zukunft, kämpfte Annika mit dem Schlaf. Die Nacht hatte ihre Schatten durch die Risse der Vorhänge geworfen, die das Mondlicht in einem kaleidoskopischen Muster auf den Boden brachen. Das Zimmer, das sie mit Seraphina teilte, war in dieser Nacht zu ihrer eigenen kleinen Insel geworden. Ihre große Schwester hatte, wieder einmal, nebenan bei ihrer Mutter Zuflucht vor den Schrecken ihrer Träume gesucht.

Als das monotone Ticken der alten Wanduhr von einem sanften, doch dringlichen Tappen am offenen Fenster unterbrochen wurde, setzte Annika sich auf. Ihre Augen, an das Dunkel gewöhnt, entdeckten schließlich eine pechschwarze Gestalt auf der Fensterbank. Flauschiges Fell wurde von der kühlen Frühlingsluft zerzaust. „Hallo, Annika“, erklang eine Stimme, die klar und ruhig durch die Nacht schnitt. „Ich bin Nepomuk.“

„Eine sprechende Katze…“, murmelte Annika fassungslos, während sie den Umriss im Mondschein musterte. Seine grünen Augen glühten in der Finsternis, als Nepomuk behände ins Zimmer sprang.

„In Chirnanok gibt es noch viele Geheimnisse“, schnurrte er. „Wunder, die deine Vorstellungskraft übersteigen.“

Der Kater schritt leichtfüßig auf das Stockbett zu, in dessen unterer Etage Annika lag. „Das Aufnahmekonsortium der Zauberschule hat beschlossen, dir eine Chance zu geben, dich zu beweisen. Scheinbar hast du Freunde, die sich für dich eingesetzt haben.“

Das Mädchen lächelte – Lunas Cousine hatte offenbar Wort gehalten.

„Ich bin hier, um dir sieben Aufgaben zu stellen“, fuhr Nepomuk fort, während er sich setzte. „Sie sind der Schlüssel zu deiner Zukunft und der deiner Familie.“

Die Katze begann, in Ruhe ihre Vorderpfote zu belecken.

„Sieben Aufgaben?“, wiederholte Annika ungeduldig und setzte sich auf. „Aber wie…“ Nepomuk unterbrach sie. „Die Aufgaben sind so gewählt, dass sie dir helfen werden, zu wachsen und deine Fähigkeiten zu meistern. Du wirst Entscheidungen treffen müssen, die nicht nur dich, sondern auch das Schicksal anderer beeinflussen werden.“

Sie lauschte den Worten des Katers, die in der dunklen Stille des Zimmers eine unnatürliche Schwere hatten.

„Die erste Aufgabe wird es sein, deine Mutter wieder glücklich zu machen. Die Zweite wird es sein, deiner Schwester Seraphina zu helfen, das Dunkel zu durchbrechen, das ihre Träume und ihren Verstand umgibt. Die Dritte: Vertreibe den Geist, der im Keller deiner Schule spukt.“

Annikas Augen weiteten sich bei jeder neuen Aufgabe, bei jedem neuen Rätsel, das es zu lösen galt.

„Die vierte: Zeige Tapferkeit im Angesicht der Tränen der Fee, die in den Staub der Vergangenheit geweint wurden. Die Fünfte: Rette einen treuen Gefährten, der unter der Knute eines grausamen Herrn leidet. Die Sechste: Hilf einem gefallenen Mann und erkenne seinen wahren Wert. Und die Siebte, die vielleicht die schwerste sein wird: Brich den Fluch, der auf deinem Namen lastet, und bringe das Licht zurück in das Herz deiner Familie.“

„Aber wie soll ich das alles…?“

Der Kater fauchte ungehalten, als sie ihn unterbrach. „Du wirst Hilfe erhalten.“

Sie beobachtete fasziniert, wie sieben wunderschöne Schmetterlinge, mit blau-grün schillernden Flügeln, durch das Fenster herein flatterten und sich am Bett und der Wand um sie herum niederließen.

„Diese werden dich begleiten und führen. Wann immer du eine der Aufgaben erfüllst, wird sich einer davon in ein Schmuckstück verwandeln. Bewahre es sorgsam auf! Die Schmetterlinge werden zu sieben Gliedern eines Armbands werden, das schließlich das Zeichen deiner bestandenen Prüfung sein wird.“

Als Nepomuk mit diesen Worten schloss, wandte er sich zum Gehen. Doch bevor er wieder durch das Fenster verschwand, regte sich etwas auf dem kleinen Tisch, auf dem Annikas und Seraphinas Schulhefte lagen. Eines davon blätterte sich auf, wie von Geisterhand, und auf einer Seite, die zuvor leer war, standen nun die sieben Aufgaben in geschwungener Schrift niedergeschrieben.

Der Mond warf sein bleiches Licht auf die Seite und die Worte schimmerten wie Silberfäden auf dem Papier. Nepomuk war weg, aber das Heft und die darin geschriebenen Aufgaben waren der Beweis, dass er keine Traumgestalt gewesen war.

Mit einem schweren Atemzug schloss Annika das Schreibheft, ihre Finger strichen über den Einband, als wollte sie die Realität der Worte sichern. Sie verbarg es unter ihrem Kissen, ihr Herz schlug schnell vor Erwartung und Aufregung.

Sie dachte darüber nach, wie sie wohl ihre Mutter glücklich machen könnte, die erste Aufgabe auf der Liste, während sie die Silhouetten der Schmetterlinge um sie herum betrachtete.

Beim ersten Licht der Morgendämmerung würde sie aufstehen – nicht als das Mädchen, das sie gestern gewesen war, sondern als eine Zauberin auf einer Mission, die das Schicksal ihrer Familie verändern sollte.

Kapitel 2: Der Beginn einer Reise

Ein Meer von Blüten

Als die Morgensonne durch das Fenster des kleinen Zimmers in Chirnanok schien, erwachte Annika in ihrer unteren Etage des Stockbetts.

Sie streckte sich und spürte den kühlen Boden unter ihren nackten Füßen. Gähnend blickte sie nach oben, zu Seraphinas verwaisten Daunen.

Sie seufzte, als sie sich erinnerte, wie ihre große Schwester in der vorigen Nacht wieder panisch ins Bett ihrer Mutter geflüchtet war.

Annika griff unter ihr Kissen und zog das Heft hervor, das die Aufgaben von Nepomuk enthielt. Die geschwungenen Worte auf der Seite bestätigten ihr, dass die nächtliche Begegnung mit der sprechenden Katze kein Traum gewesen war.

Der Tag begann mit einer Notlüge, in der Annika behauptete, dass sie in die Schule gehen würde. Falls der Lehrer sie wieder wegschicken würde, versprach sie, würde sie ihre Mama sofort bei der Arbeit anrufen, damit sie nicht allein zu Hause sein müsste.

Nachdem Seraphina zur Schule und Marlene zu ihrem Arbeitsplatz im örtlichen Lebensmittelladen aufgebrochen waren, machte sich Annika auf den Weg zum Blumenladen in der Hauptstraße von Chirnanok. Zuvor hatte sie die alte Kaffeedose aus dem Regal neben ihrem Bett geplündert, in der sie ihre gesamten Ersparnisse aufbewahrte.

Der malerische Ort war geprägt von alten Fachwerkhäusern und verschnörkelten Altbauten, die ein nostalgisches Gefühl von Ruhe und Vergangenheit ausstrahlten.

Im Laden begrüßte Frau Weber, die Besitzerin, die kleine Rebellin mit einem warmen Lächeln.

„Hallo, Annika! Wie kann ich dir helfen?“, fragte sie.

„Ich möchte unseren Garten verschönern“, erklärte Annika und zeigte ihr gespartes Geld. Ihre Hände zitterten leicht, als sie die Münzen und zerknüllten Scheine auf den Tresen legte.

Frau Weber, die über die schwierige Situation der Falkners Bescheid wusste, sah das Geld und dann das hoffnungsvolle Gesicht des Mädchens.

„Komm, wir finden etwas Schönes für dich“, sagte sie mitfühlend.

Gemeinsam durchstöberten sie die Regale und Kisten des Ladens. Frau Weber wählte pflegeleichte Pflanzen aus und gab hilfreiche Tipps, welche Blumen am längsten blühen würden. Sie nahm sich Zeit, das Mädchen zu beraten und wählte Gewächse, die den kleinen Garten vor ihrer Wohnung in ein Blütenmeer verwandeln würden.

Als Annika ihr gespartes Taschengeld zusammenzählte, war schnell klar, dass es nicht annähernd ausreichen würde. Frau Weber sah das enttäuschte, kleine Gesicht. Die aufsteigenden Tränen, die in den großen, blauen Augen glitzerten. Dann traf sie eine Entscheidung.

„Ich gebe dir einen Rabatt“, sagte sie mit einem Lächeln. „Du bist so ein tapferes Mädchen. Ich möchte dir helfen.“

„Vielen Dank, Frau Weber!“, rief Annika, ihre Augen leuchteten jetzt vor Freude.

Sie verließ den Laden mit einem Bündel von Pflanzen und einfachen Gartengeräten in dem roten Bollerwagen, den ihre Mutter gern zum Einkaufen verwendete. Lächelnd malte sie sich aus, wie sie den tristen, kleinen Vorgarten in eine Blütenoase verwandeln würde.

Zu Hause machte sich Annika sofort an die Arbeit. Sie jätete Unkraut, lockerte die Erde und pflanzte die neuen Blumen ein. Ihre Hände wurden schmutzig und die kräftige Frühjahrssonne brannte auf ihrem Rücken, während ihr der Schweiß über das Gesicht rann. Aber das Gefühl, etwas Schönes zu erschaffen, gab ihr Kraft. Sie lächelte, als sie ihre sieben Schmetterlinge beobachtete, während sie sich auf den neuen Blumen niederließen. Glücklich begannen sie, mit ihren kleinen Rüsseln den Nektar aus den Blüten zu schlürfen.