Anuk - Kune Mush - E-Book

Anuk E-Book

Kune Mush

4,8

Beschreibung

Anuk, ein charakterstarker Schlittenhund erzählt aus seinem Leben. Von den strengen Regeln und Durchsetzungen innerhalb des Rudels. Von Freundschaften, Sympathien und Ablehnung. Von der Treue, jedoch nicht immer Verständnis zu seinem Mush. Und von den spannenden Erlebnissen weiter Reisen und Touren durch Europa bis in die einsamen Fjällregionen nahe des Polarkreises.

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Meinen beiden Töchtern

Heike und Anja

gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Leben ist einmalig

Geburt

Beim Tierarzt

Welpenzeit

Ausbruch

Betreuung

Allgäu

Training

Mein erstes Wagenrennen

Trainingswagen und Schlitten

Mein erstes Schneerennen

Erste Nordlandreise

Ammarnäs - Dalavardo

Sommerfahrten

Fahrt nach Norrbränna

Übers Björkfjäll nach Bäverholmen

Zur Nasa

Ankörung

Wertung

Raufereien und Missgeschicke

Begegnungen

Reichlich beladen

Fremdhunde

Abgeräumt

Eifersucht

Junghunde

Einsame Straße

Eis

Baika und Bonnie

Schwierige Fahrten

Elche

Regen im Dezember

Fjälltouren

Heiligabend

Heimkehr

Aleska

Vielseitigkeitslauf

Laika

Allgäu – Adolfström

Elf Huskies

Sturm am Laisälven

Zum Bassjosjaure

Oberwasser

Pannenreiche Heimfahrt

Eine Sommerreise nach Schweden

Haus und Hütten

Innerkrems

Wildkogel

Bennie

Veränderungen

Nordisches Land

Letzte Fahrt

Leben ist einmalig

Der Idiot gibt keine Ruhe. Er reißt und zerrt seit Stunden an dem Drahtzaun. Ich zeige ihm die Zähne, ich drohe ihm. Aber er ist wie von Sinnen. Er rast, tobt, bellt und reißt dann immer wieder am Zaun. Das Loch wird ständig größer. Er wird mich töten, ich weiß es. Mich, Black Gipsy’s Anuk, von manchen auch der schwarze Teufel genannt.

Ich bin knapp 12 Jahre alt, mein glänzendes Fell hat die typische schwarz-weiße Huskyzeichnung. Dazu passen meine braunen Augen mit ihrem klaren Blick. Körperlich und geistig bin ich fit. Meine 1,40 m hoch gelegene Box im Wohnmobil erreiche ich noch immer aus dem Stand im freien Sprung.

Was mir aber jetzt fehlt, das sind zwei meiner Eckzähne, ausgerissen in ehrenvollen Kämpfen und Ausbruchversuchen. Es fehlt mir der Gegenbiss und ohne diesen habe ich keine Chance bei meiner Verteidigung.

Balto, dieses kompakte, grau-weiße Muskelpaket ist fünf Jahre jünger und hat ein kräftiges, lückenloses Gebiss. Seit kurzem fühlt er sich zum Rudelführer berufen und sucht den Kampf. Er will sich beweisen. Aber so doch nicht!

Ich war etwa acht Jahre der Rudelchef, souverän, oftmals despotisch. Hundertmal hätte ich Balto die Kehle durchbeißen können. Doch ich habe ihm nur stets seine Rangordnung klargemacht.

Was hast Du davon, wenn Du jetzt die Grenzen überschreitest und mich beseitigst? Du glaubst, dann bist Du der Größte? Man wird dich an die Kette legen, vielleicht sogar erschießen. Man wird dein Machogehabe künftig schon im Keim ersticken. Die menschlichen Begegnungen mit dir werden nicht mehr voller Liebe, sondern von Zurückhaltung geprägt sein. Du wirst überhaupt keine Gelegenheit erhalten, die Rolle eines Rudelführers zu leben. Mit deinem vermeintlichen Sieg hast du deine Chance verspielt.

Denk' doch an deine Tochter Dasha, sieben Monate alt, im Zwinger nebenan. Glaubst Du, mit einem Kampf kannst du Eindruck schinden? Sie ist jetzt schon total verängstigt, genau wie ihre Mutter Bonnie.

Am besten werde ich mich aus der Hütte heraus verteidigen. Aber die Eingangsöffnung ist viel zu breit. Ich habe Angst, nur nicht zeigen. Mush, wo bist du? Du wolltest uns in Notlagen doch immer beistehen. Aber ich weiß, mit Deiner schmalen Rente allein kannst du Dich und zwölf große Hunde nicht durchbringen. Du musst deinen Geschäften nachgehen, damit Geld in die Kasse kommt.

Aber warum müssen wir hier sein, in dieser endlos langen Zwingeranlage mit 50 anderen Huskies und 20 italienischen Hunden für die Vogeljagd. Das erste Mal, dass Du uns überhaupt weggebracht hast. Die Zwinger sind ja groß und sauber, die Drahtwände normalerweise stabil, aber für einen tobenden Balto doch kein Hindernis. Und keine Menschenseele weit und breit.

Er ist durch. Ich werde es ihm nicht leicht machen. Ich habe mich noch nie einem anderen Hund untergeordnet. Ich werde es auch jetzt nicht tun. Wir kämpfen, kämpfen bis zum absoluten Ende. Vielleicht gibt es auch einen Himmel für Huskies. Vor meinen Ahnen brauche ich mich nicht zu schämen. Ich bin meinem, unserem Charakter immer verbunden geblieben als eigenwilliger, aber treuer und mutiger Husky, dem keine Fahrt zu weit war, der keine Auseinandersetzung gescheut und der nie aufgegeben hat. Das Leben war schön.

Geburt

Hoppla, was ist denn da noch? Mush sieht im Vorbeigehen ein kleines längliches schwarzes Bündelchen in der Wurfkiste. Das bin ich, Anuk. Mit mir hat keiner mehr gerechnet, denn meine Schwestern Aleska und Anuja sind schon am Vortag, dem 4. Dezember, zur Welt gekommen. Und meiner Mutter Kiska konnte man nicht ansehen, dass sie mit dem Gebären noch nicht zu Ende ist. Denn kurze Zeit nach mir kommt auch noch meine dritte Schwester Askia.

Ich bin der Kleinste mit 390 Gramm. Unsere ersten Wochen verbringen wir mit trinken und schlafen in der extra für uns gebauten neuen Wurfkiste mit Sicherheitssteg und höhenregulierbarem Eingang. Standort ist das helle und ruhige Wohnzimmer in München von Mush und seiner Familie mit Frau und zwei Töchtern. Alle kümmern sich sehr um uns, am meisten aber unsere Mama Kiska. Die ersten drei Wochen versorgt sie uns auch ganz allein.

So etwas nach Weihnachten genügt uns die Wurfkiste nicht mehr, wir wollen Ausflüge machen. Nach dem Wohnzimmer bekommen wir die Küche angeboten. Da ist der Boden aber sehr glatt. Um nicht immer platt auf dem Bauch zu liegen, muss man richtig laufen lernen.

Schließlich dürfen wir auch auf die Terrasse. Da wird in der Ecke schon eine große Hundehütte aufgebaut. Und als die Nerven von Musha unsere lebhafte Gesellschaft in der Wohnung einfach nicht mehr aushalten, werden wir in diese Hütte umquartiert. Es folgt eine bitterkalte Januarnacht, doch das macht uns überhaupt nichts aus. Wir haben viel Stroh als Unterlage und kuscheln uns alle eng zusammen. Mama Kiska behütet uns wachsam.

Auf der Terrasse mit ca. 20 qm können wir immer frei herumlaufen. Manchmal öffnet man uns auch die Absperrung zum Garten. Da gibt es viel zu entdecken. Aleska kann als erste den Komposthaufen erklettern. Der Zaun zu den angrenzenden Grundstücken ist auch kein schwieriges Hindernis: die Nachbarn links glauben an eine Mäuseplage, weil wir heimlich ein wenig ihren Garten durchwühlt haben. Geradeaus, die Leute der Terrassenwohnungen freuen sich über unseren Besuch. Mush ist allerdings weniger erfreut, da er über den Zaun klettern, uns suchen und einsammeln und sich teilweise noch entschuldigen muss. Prompt wird auch der Zaun ausbruchsicher gemacht.

Jetzt müssen wir uns auf den eigenen Garten konzentrieren. Wir bearbeiten gründlich die Blumenbeete, was Musha so gar nicht gefällt. Die Rasenfläche wird umgestaltet und mit Hügeln, Höhlen und Gräben durchzogen. Garten war einmal, jetzt schaffen wir unser eigenes Reich.

Die Zähnchen wachsen, es juckt und wir wollen beißen und kauen. Aber immer wieder nimmt man uns Schuhe, Körbe, Tücher und sonstige Eroberungen wieder weg. Doch es gibt ja noch Tisch- und Stuhlbeine, Türfassungen und vieles mehr. Man findet immer etwas, wenn man so ständig unterwegs ist.

Beim Tierarzt

Wir sind gerade acht Wochen alt, da werden wir alle vier in einen Korb gesteckt und ins Auto verfrachtet. Mush ist wieder einmal auf Geschäftsreise und so bringt uns seine Tochter Anja zum Tierarzt. Fast hätte sie uns tatsächlich bis in die Praxis gebracht, aber noch auf der Treppe, kurz vor der Eingangstüre, ist es uns doch gelungen, aus dem Korb zu entwischen. Die Treppe hoch, über den schmalen Zufahrtsweg und ab auf die Gräfelfinger Hauptstraße.

Da sind Menschen, Autos, Geschäfte und viele Verstecke. Wir brauchen ja Bewegung, wir rennen kreuz und quer und Anja sowie alle Sprechstundenhilfen hinterher. Hei, ist das eine Jagd! Geistesgegenwärtig entreißt eine vorbeigehende Mutter ihrem laut protestierenden Sprössling im Kinderwagen das Wienerchen und lockt uns damit an. Dem können wir nicht widerstehen und lassen uns schließlich einfangen. Im Korb erholen wir uns von der Aufregung. Der Tag ist ja noch nicht zu Ende.

In der Praxis geht es noch einmal richtig rund. Aleska, unser Klettermaxe, ersteigt über den Stuhl den Schreibtisch und erobert dort die große Schale mit den Hundeleckerli. Anuja stößt unter dem Tisch den Papierkorb um und untersucht gründlich den Inhalt. Askia klettert auf ein Sidebord. Sie hat ziemlichen Durchfall und jetzt überkommt sie ein mächtiger Drang. Die schöne, weiß gestrichene Wand hat ihr Gemälde. Und ich will etwas öffnen, was ich jedoch, dem Geschrei nach zu urteilen, absolut nicht soll.

Aber Respekt, die Tierärztin hat gute Nerven und Humor. Sie steht in der Türe, sieht sich alles an und sagt nur - ”eine muntere Gesellschaft”.

Welpenzeit

Es ist eine schöne Zeit in München. Ab und zu machen wir Ausflüge in den Pasinger Park, dürfen frei herumsausen und finden die Bewunderung der Spaziergänger und anderen Hundehalter. Mush und die begleitenden Töchter sind aber anschließend immer recht geschafft. Vier heranwachsende Huskies und deren temperamentvolle Mutter in unbegrenztem Gelände unter Aufsicht zu halten, ist nicht gerade einfach.

Zu Hause hatten wir eine große Hundehütte mit zwanzig Quadratmetern Auslauf. In den anschließenden Garten durften wir nur noch unter Aufsicht. Musha brachte uns bei, dass wir nach Anbruch der Dunkelheit absolut die Schnauze zu halten hatten. Ringsum waren überall Häuser, wohnten Menschen, doch während unserer gesamten Münchner Zeit haben wir uns nicht eine einzige Beschwerde eingehandelt.

Trotzdem, so konnte es auf Dauer nicht weitergehen. Mush hatte einen Beruf und konnte nicht zwei- oder dreimal am Tag mit uns ins Gelände gehen. Also mussten wir verkauft werden, in jedem Fall aber eine neue Bleibe finden.

Mush machte sich nun mit Hilfe seiner Töchter auf die Suche im Bayerischen Wald und im Allgäu. Es muß ziemlich zeitaufwendig und nervenaufreibend gewesen sein, aber schließlich wurde man in einem kleinen, abgelegenen Weiler mit fünf Häusern im Allgäu fündig. Ein altes, aber gut renoviertes Bauernhaus mit großer Scheune und fast 8.000 qm Grund in 750 m Höhe ü. d. M. Keine Durchgangsstraße, umgrenzt von Feldern und Wäldern.

Als erstes begann die Zwingerplanung. Siggi, ein altgedienter Musher bestellte das Hundehaus und die Elemente bei Palmen und erklärte sich auch zum Aufbau bereit. Es wurde alles pünktlich nach Plan fertig und am 30. April, wir waren knapp fünf Monate alt, erfolgte der Umzug. Mush nahm seine persönlichen Dinge, die Büromöbel und ein altes Sofa, das eigentlich auf den Sperrmüll sollte, mit. Die komplette Vierzimmerwohnung überließ er Musha, die sich ja weigerte, in die Allgäuer Einöde mitzuziehen.

Auch unsere Mutter Kiska blieb in München. Um ihr den Abschiedsschmerz von uns zu erleichtern, ging jemand mit ihr spazieren, während wir in den PKW verladen wurden. Drei auf die Rückbank, Anuja in den Fußraum des Beifahrersitzes. Es wurde aber später erzählt, dass Kiska bei ihrer Rückkehr überhaupt keinen traurigen Eindruck machte. Sie schnüffelte zunächst überall herum, dann ließ sie sich auf ihrem Schlafplatz nieder, um endlich einmal einen mehrstündigen ungestörten Mittagsschlaf zu halten.

Die neue Adresse gefällt uns gut. Eine frische Luft, wenn die Bauern nicht gerade Gülle fahren. Einen weiten Blick über die Wiesen. Oft sind Rehe zu sehen, immer wieder Katzen, viele Vögel, manchmal auch Fuchs und Hase. Vor den großen Kühen auf der Wiese haben wir Respekt. Beim Nachbar über der Straße sind vier Schäferhunde in den Zwingern.

Der Nachbar überm Zaun hat Mush gleich kleingemacht. Der wollte wohl zeigen, wo der Weg lang geht und wer das Sagen hat. Ein Jurist im Staatsdienst, sehr lärmempfindlich, im Besitz von vier Katzen und einem schadhaften Zaun. Schlimmer kann es für den Halter von einem Rudel Huskies wohl kaum noch kommen. Aber, abgesehen von kleineren Attacken, haben wir die Nachbarschaft ohne Prozess überstanden und alle vier Miezen haben überlebt. Unsere Lebensqualität hat aber schon etwas gelitten, denn während die Katzen auf unserem großen Grundstück auf Mäusejagd gingen, wurden wir hinter Rohrstäben gesichert.

Mush ging öfters mit uns spazieren oder wir durften ihn am Fahrrad begleiten. Am besten war es, wenn mehrere Leute zu Besuch kamen. Dann erhielt jeder eine Hundeleine und einen Hund dazu und wir konnten alle gemeinsam wandern.

Anuja durfte einmal mit ins Haus gehen. Sie schaffte es auf Anhieb, eine Treppe hochzugehen. In einem der oberen Zimmer stand das Fenster offen. Anuja setzte sofort zum kühnen Sprung über den Fenstersims an. Sie muss sich wohl gewundert haben, dass der Flug so lange dauert, denn es waren fast vier Meter bis zum asphaltierten Boden. Mush war vor Entsetzen wie gelähmt. Er befürchtete das Schlimmste, als er angstvoll vorsichtig in den Hof hinunter blickte. Dort stand Anuja, die rechte Pfote leicht angehoben, und schaute verwundert nach oben. Aber nicht lange, denn es wurde ihr schnell bewusst, dass sie jetzt freie Fahrt nach allen Richtungen hatte und ab ging die Post, die Straße hinunter. Das brachte endlich auch Mush aus seiner Erstarrung. Er nahm den längeren Weg über die Treppe und lief schreiend seinem Hund hinterher. Eine leichte Prellung an der Pfote, unterm Kinn etwas aufgeschürft, war alles, was Anuja von ihrem Höhenflug abbekommen hatte.

Ausbruch

Der Zaun um das große Freigelände ist 1,80 m hoch. Er umschließt das Hundehaus, die innere Zwingeranlage mit stabilen Rohrstäben und Drahtabdeckung, sowie etwa 700 qm Wiese mit gut einem Dutzend großer Bäume. Starke Pfosten sind tief in die Erde versenkt. Mush hätte das allein nie geschafft. Sein Nachbar Karl hat das meiste bewerkstelligt und auch die Löcher für die Pfosten gebohrt. Keine einfache Sache, denn weite Teile des Untergrunds bestehen aus Nagelfluh, einem Schmelzwasserschotter des Illergletschers. Im Laufe von mehreren hunderttausend Jahren hat sich Kalkgestein im Sickerwasser gelöst und mit dem Schotter zu einer festen Masse verbunden. Jetzt hart wie Beton gibt der Boden nur an einzelnen Stellen nach und variable Lochabstände sind nicht zu vermeiden.

Die Pfosten hat dann der junge kräftige Bauer Heini, im Vorderlader seines Traktors stehend, mit einem riesengroßen Vorschlaghammer in die Erde gehauen. Von Pfosten zu Pfosten wurde lückenlos ein stabiler Drahtzaun befestigt, mit der unteren Kante in die Erde versenkt. So, alles hatte viel Zeit, Kraft und auch Geld gekostet. Vor allem Mush war stolz auf dieses Werk, hatte man doch, nach seiner Meinung, einen wunderschönen, ausbruchsicheren Freilauf geschaffen.

Wir erkundeten zunächst alles gründlich, dann macht Askia, unser Sprungtalent, den ersten Ausbruchtest und siehe da, es klappt auf Anhieb. Sie springt in das obere Drittel des Zaunes, mit zwei oder drei Kletterbewegungen bezwingt sie den Rest und landet sicher auf dem Boden der anderen Seite. Ein kleiner Erkundungsrundgang ohne größeren Schaden, dann sind wir alle wieder versammelt.

Zwei Tage später, Mush schildert gerade seiner Tochter im Freilauf den Ausbruch. Was soll das Gerede, denkt wohl Askia, nimmt einen kurzen Anlauf und ist mit federleichter Behändigkeit wieder auf der anderen Seite, auf und davon, sehr schnell außer Sichtweite. Die sofort eingeleiteten Suchmaßnahmen bleiben ohne Erfolg.

Bald kommt aber eine Unruhe in den kleinen Weiler. Bei Louis und Franz fehlt ein Huhn. Die beiden Rentner haben schon vor Jahren ihre Landwirtschaft aufgegeben und halten jetzt nur noch Katzen und Hühner. Ein Hund hat eine Henne geholt und lagert jetzt mit ihr an einem entfernten Waldsaum. Die Brüder sind der festen Meinung, dass es keiner von uns sein kan, denn wir befinden uns ja in einer festen Umzäunung. Also telefonieren sie mit einem Jäger, der auch schon sehr bald vor Ort eintrifft. Zum Glück ist bis dahin Askia mit ihrer Beute verschwunden. Mush erklärt recht kleinlaut, dass es doch einer seiner Hunde ist.

Er steigt zu dem Jäger ins Auto und sie fahren kreuz und quer durch die verzweigten Wald- und Wiesengebiete. Einige Jäger benachbarter Reviere haben Askia gesehen, können sogar das Halsband beschreiben, doch wie ein Phantom ist sie immer wieder schnell verschwunden. Es wird Nacht, der Jäger und Mush geben die Suche auf, verabreden sich für den nächsten Tag.

Da, es ist schon fast Mitternacht, kommt aufgeregt das Nachbarmädchen Birgit angelaufen. Sie hat unter ihrem geöffneten Fenster das leichte Scheppern der Hundemarke am Metallring des Halsbandes gehört. Askia muss in der Nähe sein. Tatsächlich, im Scheinwerferlicht können wir sie in Freilaufnähe in einem dichten Gehölz finden, wo sie gerade den Rest ihrer Beute verbuddelt. Sie wird eingefangen und zu uns in den sicheren Zwinger gesperrt.

Mush informiert am nächsten Tag frühzeitig den Jäger, dann ist sein Entschuldigungsgang zu den Brüdern fällig. Er nimmt dazu einen ganzen Kasten gutes Ottobeurer Bier mit. Das glättet schnell die Wogen und Franz, der Jüngere, meint sogar ”da kann der Hund jede Woche kommen und eine Henne holen”.

Der Kasten Bier war freilich das Wenigste. Auf ca. 110 m Zaunlänge in 1,80 m Höhe darf jetzt Mush eine 40 cm breite, nach innen geneigte Sicherheitsleiste aus Draht anbringen und verankern. Die Ausflüge über den Zaun sind damit beendet. Neue Ideen sind gefragt und die gehen einem Husky selten aus.

Betreuung

Birgit lieben wir sehr. Sie ist das fleißige, freundliche und immer hilfsbereite Nachbarmädchen von gegenüber. Sie versorgt uns in Abwesenheit von Mush und eigentlich ist das recht oft, meist so zwei bis vier Tage, und das mehrmals im Monat.

Bei unserer ersten Begegnung ist Birgit knapp elf Jahre alt, hat überhaupt keine Angst und findet sofort den richtigen Kontakt zu uns. Gewissenhaft bereitet sie uns die Mahlzeiten und sorgt für eine gerechte Verteilung.

Soweit es ihre Zeit erlaubt, beschäftigt sie sich mit uns, gibt ihre Anerkennung und lobt uns. Wir folgen ihr fast aufs Wort und freuen uns immer, wenn sie bei uns ist.

Birgit hat auch einen eigenen Hund, Champion Buck, ein imposanter Schäferhund. Mit ihm hat sie schon in ihren jungen Jahren viele Preise errungen und jedes Jahr kommen weitere Pokale und Meistertitel hinzu.

Bei Buck, den sie auch sehr liebt, muss sie immer auf Disziplin achten, während sie mit uns herumalbern und sich als sensibles junges Mädchen bei uns auch schon mal ausweinen kann.

Manchmal fährt Birgit im Trainingswagen oder auch im Schlitten mit uns mit. Wir erkunden neues Gelände und erleben gemeinsam so manches kleines Abenteuer.

Birgits Schwester Anja, so um die fünf Jahre alt, will uns unbedingt einmal begleiten. Wir passen höllisch auf, doch irgendwo im Wald haben wir sie dann doch verloren. Zu Hause muss die Mutter der Kleinen unseren Mush beruhigen, so bekümmert und besorgt ist dieser. Er geht auch sofort wieder auf Suche, doch da kommt ihm schon bald die Kleine auf ihrem Kinderfahrrad, fröhlich plappernd, entgegen.

Wir haben wieder einmal eine Schwachstelle an unserem Gehegezaun gefunden und sind an einem schönen Sonntagmorgen ausgebrochen. Mush sucht uns verzweifelt, ohne Erfolg. Schließlich informiert er Birgit und bittet um ihre Mithilfe. Diese schwingt sich auf ihr Geländefahrrad, ist auch bald wieder zurück, mich an der Leine, zwei Hunde folgen ihr frei und den letzten hat sie an Ort und Stelle angebunden.

Birgit hat einen sechsten Sinn, ein fantastisches Einfühlungsvermögen in die Gefühlswelt der Hunde.

Aufregend für Birgit, eigentlich für uns alle, ist die Geburt von Welpen. Dabei läuft es nicht immer so reibungslos ab. Bei meiner Schwester Askia erblicken die sechs gesunden Kleinen durch einen Kaiserschnitt das Licht der Welt. Der Tierarzt meint, dass die Bauern bei einer Kuh noch Verständnis für diesen Schnitt haben, aber bei einem Hund...

Unsere Hundezahl wurde immer umfangreicher und bald bilden sich zwei Rudel. Auch werden wir Älteren bei den Rennen nicht mehr oder nur noch als zweites Team eingespannt. Bei Longtrails und Mehrtagestouren müssen wir zu Hause bleiben. Da ist es wirklich tröstlich, dass sich immer jemand um uns kümmert.

Aus Birgit ist eine junge hübsche Frau geworden, sie findet einen sympathischen Freund, selbstverständlich aus der Hundeszene, und verlässt das Elternhaus.

Anja, inzwischen herangewachsen, übernimmt den Betreuungsjob. Sie ist pragmatischer, doch ebenfalls gewissenhaft, zuverlässig und pünktlich. Wir sind weiterhin in guten Händen.

Für mich und mein Rudel ist es ein Glücksfall, mehr als elf Jahre unseres Lebens von diesen beiden Mädchen begleitet zu werden.

Allgäu

Es gefällt uns hier. Wir haben einen schönen Zwinger inmitten eines großen Freilaufs mit einem herrlichen alten Baumbestand. Angrenzend, noch auf unserem Grundstück, befindet sich eine große, freie Wiese. Da sie nur einmal im Jahr gemäht und nie geodelt wird, trägt sie von Frühjahr bis Herbst ein abwechslungsreiches Grün und eine Vielzahl bunter Wildblumen. Hier legen im Mai die Rehe oftmals ihre Kitze ab.

Im hinteren Teil des fast 8.000 qm großen Grundstücks, unmittelbar vor dem steilen Abhang zum Tal, befindet sich ein schmaler Streifen Wald, schutzbietend vor den häufigen Westwinden. In unserer Sichtweite dient er auch lange Zeit einem stattlichen Rehbock immer wieder als Ruheplatz.

Das langgestreckte Gebäude, die Schmalseite zur Straße hin, beherbergt Wohnung, Garage, Scheune und frühere Stallungen. Ein paar Meter weiter, gleichfalls zur Straße hin, steht die aufwändig renovierte Kapelle Sankt Maria, erbaut im Jahre 1778.

Die fünf alten Bauernhöfe des Weilers stehen auf der ebenen Fläche des Kammes eng beisammen. Nur der später erbaute Gabler-Hof liegt etwas abseits inmitten seiner Wiesen.

Eine schmale Straße windet sich über die Hochfläche durch den Weiler und endet in einem holperigen Waldweg. Die Rushhour ist an Werktagen in der Regel zwischen 12 und 13 Uhr, denn da kommen Milchauto und der Briefträger.

Im Mai und Oktober findet jeden Freitagabend ein Gottesdienst in der kleinen Kapelle statt, zu welchem die Bauern der umliegenden Höfe mit ihren Familien kommen. Auch der Fronleichnamszug endet bei der Kapelle. Diese hat eine sehr hell klingende Glocke, welche uns immer das Signal gibt, kräftig mitzuheulen. Die Leute schmunzeln nur und zur Andacht sind wir auch rechtzeitig wieder still.

Am hinteren Ausgang des Grundstücks, unmittelbar vor unserem kleinen Wäldchen, ist eine Lücke im Zaun. Diese benutzt der Bauer mit seinen Fahrzeugen zur Gras- und Heuernte, mehr noch aber wir mit dem Schlitten und Trainingswagen. Wir kommen direkt auf die große Gablerwiese, fahren nahe der Hangkante bis zu dem Gedenkstein für die hier ehemals gestandene Burg Felsenberg, schon 1370 erwähnt als Sitz des Rueger von Felsenperch, ab dem 15. Jahrhundert Burgstall des Kloster Ottobeuren. Vor weniger als 200 Jahren noch mit Wall und Graben erkennbar, heute nur grüne Wiese.

Von diesem Punkt, über die Baumwipfel am Berghang hinweg, hat man einen weiten Ausblick über das Altillertal, durchzogen von Autobahn, Eisenbahn und Landstraße, besiedelt mit Dörfern und Weilern. Die Iller selbst hat sich schon vor Jahrtausenden weiter westlich ihr neues Flussbett gegraben.

Nach einem großen Linksbogen und Überquerung der schmalen Straße nimmt uns ein hochgewachsener, quellendurchsetzter Wald auf. Hier hindert aber schon bald der Krebsbach unser Weiterkommen. Eine schmale, morsche Jägerbrücke ist kilometerweit der einzige und für unser Gefährt nicht passierbare Übergang.