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Was kann es Schöneres geben, als sich zur Weihnachtszeit zu verlieben? Sich zur Weihnachtszeit in Fool’s Gold zu verlieben!Plätzchen backen, Geschenke einwickeln, den Baum schmücken - Noelle liebt die Weihnachtszeit und hat sich einen großen Traum erfüllt: Ihr eigenes Geschäft für Weihnachtsdekoration ist eröffnet, und es herrscht Hochbetrieb. Als sexy Gabriel anbietet auszuhelfen, wagt Noelle kaum zu hoffen, dass sich für sie noch ein anderer Traum erfüllt: der von einer eigenen Familie. Gabriel sieht gut aus, bringt sie zum Lachen und ihren Bauch zum Kribbeln … Er ist perfekt für sie - bis auf die Tatsache, dass er nur kurz in Fool's Gold ist, bevor er wieder als Helfer in die Krisengebieten der Welt reist. Trotzdem hofft Noelle, dass Heiligabend für sie zum wahren Fest der Liebe wird …
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Seitenzahl: 375
Susan Mallery
Apfel, Kuss und Mandelkern
Roman
Aus dem Amerikanischen von Gabriele Ramm
MIRA® TASCHENBUCH
MIRA® TASCHENBÜCHER erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2015 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH
Titel der nordamerikanischen Originalausgabe: Christmas On 4th Street
Copyright © 2013 by Susan Macias Redmond erschienen bei: HQN Books, Toronto
Published by arrangement with
Harlequin Books II B.V./S.àr.l.
Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner GmbH, Köln Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln
Redaktion: Daniela Peter
Titelabbildung: pecher und soiron, Köln Illustration: Matthias Kinner, Köln Autorenfoto: © annie b / STILLS Photography /
Harlequin Enterprises S.A., Schweiz
ISBN eBook 978-3-95649-497-0
www.mira-taschenbuch.de
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eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.
Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten
Dieses Buch ist all denen gewidmet, die unserem Land dienen. Den Soldaten, den Versorgungskräften, dem medizinischen Personal und all jenen, die manchmal den schwierigsten Job überhaupt haben: das Warten zu Hause. Mögen Sie alle wunderbare Feiertage voller Liebe und Glück verleben!
Außerdem widme ich diesen Roman meinen Cheerleadern – ihr seid großartig! Vielen Dank für all das, was ihr für mich tut.
Und natürlich widme ich dieses Buch meinen Leserinnen. Sie alle inspirieren mich tagtäglich! Im Gegenzug versuche ich, Ihren Traum von Fool’s Gold wahrzumachen. Wie versprochen habe ich in diesen Roman eine Schnitzeljagd eingearbeitet: sechzehn Objekte, die von Leserinnen auf Facebook vorgeschlagen wurden. Sie finden die Liste auf der Freebies-Seite auf www.susanmallery.com – im „Members Only“-Bereich. Wenn Sie noch nicht dazugehören, können Sie jederzeit kostenlos Mitglied werden, die Registrierung dauert nur wenige Sekunden.
Im wahren Leben ist Schnee längst nicht so idyllisch, wie es in Filmen oder im Fernsehen immer aussieht, dachte Noelle Perkins, als ihr schlitternder Wagen schließlich in einer Schneewehe zum Stehen kam. Sie war in die Berge hinaufgefahren, immer schön darauf bedacht, keine hektischen Bewegungen mit dem Lenkrad zu machen, als es dann doch passierte. Obwohl sie nicht einmal genau sagen konnte, was genau passiert war. Plötzlich war sie ins Schlingern geraten, und die Welt hatte sich um sie gedreht. Möglicherweise war dabei auch der eine oder andere Schrei ertönt, doch da sie allein im Auto saß, musste sie das ja niemandem verraten.
Sie blickte über die Kühlerhaube und sah, dass sie mit der Stoßstange in einer erstaunlich hartnäckigen Schneewehe steckte. Die gute Nachricht war, dass sie immerhin fast am Ziel angekommen war. Die schlechte, dass sie sich überlegen musste, wie sie nachher den Berg wieder runterkommen sollte.
Darüber zerbreche ich mir später den Kopf, entschied sie, als sie den Motor ausstellte und sich abschnallte. Jetzt musste sie erst einmal einen Welpen nach draußen lassen.
Noelle öffnete die Tür und wollte aussteigen. Im selben Moment wurde ihr klar, warum ihr Wagen sich plötzlich gedreht hatte: Schnee war offenbar ziemlich glatt. Als sie den Halt unter den Füßen verlor, schaffte sie es gerade noch, sich an der Fahrertür festzuklammern.
„Was für ein Mist!“, murmelte sie, nachdem sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden und behutsam die Wagentür geschlossen hatte. Langsam und vorsichtig machte sie sich auf den Weg zum Haus am Ende der langen Auffahrt.
In diesem Jahr hatte der Winter in Fool’s Gold schon früh Einzug gehalten. Ende Oktober waren bereits einige Zentimeter Schnee gefallen, die jedoch noch einmal weggetaut waren. Anfang November hatte es erneut geschneit, und jetzt, Mitte des Monats, hatte es die nächsten Schneeschauer gegeben. Aber in der Stadt ist das noch was anderes, dachte sie, als sie merkte, dass sie schon wieder auszurutschen drohte.
Sie wedelte mit den Armen, und es gelang ihr tatsächlich, auf den Füßen zu bleiben, sodass sie ihren Weg fortsetzen konnte. In der Stadt, da waren die Straßen geräumt und die Bürgersteige gefegt. Dann wurde noch so ein Zaubermittel draufgestreut, damit es nicht glatt war. Folglich hatte sie dort auch nie Probleme.
Eine Kindheit in Florida und ein beruflich bedingter Umzug nach Los Angeles sind keine gute Vorbereitung auf einen echten Winter, überlegte sie, als sie es bis zur Veranda geschafft hatte. Dort glitschte sie wieder aus. Es gelang ihr gerade noch, das Geländer zu packen, während ihre untere Körperhälfte die Bodenhaftung verlor und sich schließlich fast parallel zur Erde befand.
Sie bohrte die Schuhspitzen in den Schnee, in der Hoffnung, irgendwie Halt zu finden. Schließlich gelang es ihr, die Beine wieder anzuziehen und sich aufzurichten. Ich komme mir wie eine Comic-Figur vor, dachte sie grimmig. Nur dass leider die durchaus reale Möglichkeit bestand, sich die Knochen zu brechen.
„So hatte ich mir das nicht vorgestellt“, schimpfte sie laut. Dabei hatte Felicias Bitte eigentlich ganz harmlos geklungen. Weil alle unterwegs waren, war Webster, der acht Monate alte Welpe ihrer Freundin, allein zu Hause. Ob Noelle so lieb sein könnte, hinzufahren und ihn kurz rauszulassen?
Natürlich hatte Noelle zugestimmt, denn Felicia hatte Noelle auch schon so manchen Freundschaftsdienst erwiesen. Als Noelle am Labor-Day-Wochenende im September ihr Geschäft für Weihnachtsdekoration eröffnet hatte – The Christmas Attic – war Felicia wie selbstverständlich für sie da gewesen, war ihr beim Einräumen der Regale zur Hand gegangen und hatte ihr zudem wertvolle Tipps gegeben. Und als Noelle an der gemeinsamen Werbekampagne der städtischen Einzelhändler teilnehmen wollte, hatte Felicia ihr geholfen, sich durch den bürokratischen Dschungel zu kämpfen. Als Noelle sich Sorgen darüber gemacht hatte, dass sie wohl niemals einen Mann für … gewisse Stunden, geschweige denn die große Liebe finden würde, hatte Felicia ihr immer wieder versichert, dass es eines Tages passieren würde. Daher war es für Noelle selbstverständlich, sich um den jungen Hund zu kümmern, um sich bei ihrer Freundin zu revanchieren.
„Ich schaffe das schon“, redete Noelle sich ein, während sie die Treppe hinaufstieg. Erstaunlicherweise war die nicht rutschig. Was auch immer das für ein Zaubermittel ist, anscheinend benutzen sie es hier auch, dachte sie.
Sie ging zu den Blumenkübeln auf dem Geländer und tastete nach dem Ersatzschlüssel. Doch da war keiner. Sie kontrollierte sämtliche Kübel, fest davon überzeugt, dass Felicia ihr gesagt hatte, sie würde dort einen Schlüssel finden.
Nichts.
Weil sie nicht wusste, was sie tun sollte, ging sie erst einmal zur Haustür und hörte ein leises Schnüffeln.
„Hallo, Webster!“, rief sie.
Der Welpe jaulte aufgeregt.
Noelle griff nach dem Türknauf und stellte fest, dass er sich drehen ließ. Sie stieß die Tür auf.
Im nächsten Moment registrierte sie zwei Dinge gleichzeitig. Den sehr aufgeregten, fünfzig Pfund schweren Schäferhundwelpen, der auf sie zusprang, und den Seesack, der im Flur lag.
Automatisch streichelte Noelle den enthusiastischen Hund. Er leckte ihr die Hände und wedelte mit dem Schwanz, ehe er die Stufen hinunterstürmte und die Bäume an der Seite ansteuerte, um sein Geschäft zu erledigen.
„Es ist glatt“, rief sie ihm hinterher, nur um festzustellen, dass er anscheinend über magische Pfoten verfügte, denn kurz darauf kam er im gleichen Affenzahn wieder zurückgerannt, ohne auch nur einmal auszurutschen.
„Braver Junge“, sagte sie und umarmte den Hund.
Das erste Problem wäre damit schon mal gelöst, dachte sie. Jetzt blieben also nur noch der mysteriöse Seesack und die offene Haustür.
Der Beutel könnte Carter gehören, überlegte sie, Gideons dreizehnjährigem Sohn. Genauso gut könnte er aber auch der Beweis dafür sein, dass irgendein Verbrecher ins Haus eingedrungen war und in diesem Moment, während sie hier im Flur stand, dabei war, das Haus leerzuräumen. Was auch immer es war – sie würde es herausfinden.
Vorsichtig trat sie ins Haus, den aufgeregten Hund an der Seite. Neben der Haustür befand sich ein Schirmständer, aus dem Noelle sich jetzt den größten, am gefährlichsten aussehenden Schirm schnappte und ihn wie einen Schläger in die Hand nahm. Ich bin taff, redete sie sich ein. Schließlich hatte sie gerade Anfang des Herbstes einen Selbstverteidigungskurs absolviert. Allerdings hatte die Kursleiterin ihnen allen eindringlich geraten, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen.
„Wenn Sie hier sind, um irgendetwas zu stehlen, dann haben Sie Pech! Ich habe die Polizei verständigt, und ich bin schwer bewaffnet“, brüllte sie, während sie durch die große Diele in Richtung Wohnzimmer und Küche ging. Sie wusste, dass sich die Schlafzimmer jeweils an den Seiten des Hauses befanden, und dass es im Untergeschoss noch einen Wohnraum gab.
Webster fand Spaß an dem Spiel und wich nicht von ihrer Seite, während sein Schwanz in regelmäßigen Abständen gegen die Wand schlug.
„Kommen Sie einfach mit erhobenen Händen raus, dann passiert niemandem was!“, fuhr sie fort.
Anschließend hielt sie inne und lauschte. Aus dem Flur ertönte ein Geräusch. Mit erhobenem Schirm fuhr Noelle herum. Wenn nötig, würde sie dem Typen einen Schlag versetzen und dann machen, dass sie wegkam. Sie war sich sicher, dass Webster mit ihr wegrennen würde. Wahrscheinlich hielt er das Ganze für einen großen Spaß, der speziell für ihn arrangiert worden war.
Die Badezimmertür wurde geöffnet, und ein Mann trat heraus. Ein großer Mann, der nichts weiter als eine Jeans trug. In der Hand hielt er ein Handtuch, mit dem er sich seine frisch gewaschenen Haare abtrocknete. Und der Rest von ihm, überlegte Noelle, während sie die imposante, muskulöse Statur des Mannes anstarrte, ist wohl auch gerade frisch geduscht.
Sie blieb mitten im Flur stehen, während ihr mehrere Gedanken gleichzeitig durch den Kopf schossen. Erstens: Die wenigsten Einbrecher gingen während eines Raubzugs duschen. Das konnte sie zwar nicht wirklich belegen, aber sie ging einfach mal davon aus, dass es sich um eine Tatsache handelte. Zweitens: Auch wenn sie den Mann noch nie gesehen hatte, kam er ihr irgendwie bekannt vor. Drittens: Er war wirklich gut aussehend, mit dem hellbraunen Haar und den dunkelblauen Augen. Und hatte sie den Körper schon erwähnt? Denn der war auch fantastisch.
Sie starrten einander an, und Noelle dachte an ihre Liste. Richtig. Viertens … Sie senkte den Blick und musste schlucken. Der Mann hatte eine übel aussehende Verletzung an seiner linken Hand. Aufgeschürfte Haut, schwarze Fäden und …
„Oh, nein“, flüsterte sie, während sich um sie alles zu drehen begann. „Kein Blut. Bitte, alles, nur kein Blut!“
Es war schon ziemlich witzig, dass jemand, der so viel durchgemacht hatte wie sie, beim Anblick von Blut in Ohnmacht fiel, aber so war es nun einmal. Ironie des Schicksals. Ihr Magen rebellierte, Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Haut, und Noelle wusste, dass sie nur noch eine Millisekunde davon entfernt war, aus den Latschen zu kippen. Wenn das geschah, dann, so vermutete sie, würde Webster ihr auch nicht mehr helfen können.
Sie ging in die Knie, um die Entfernung zum Boden zu verringern und sich damit hoffentlich einen dauerhaften Gehirnschaden zu ersparen.
Gabriel Boylan starrte auf die in sich zusammensackende Blondine. „Das ist genau der Grund, warum ich Kleinstädte hasse“, erklärte er ihr, während er das Handtuch fallen ließ und zu ihr ging.
„Können Sie mich hören?“, fragte er laut.
Sie deutete auf seine verletzte Hand. „Halten Sie die weg von mir.“
Ihre Stimme klang schwach, und sie schien zu schwanken. Gabriel fluchte innerlich, als er bemerkte, dass die Frau, noch während sie zu Boden ging, weiterhin mit dem Schirm in seine Richtung fuchtelte. Na toll! Sein Bruder hatte sich in eine Verrückte verliebt.
Er schnappte sich den Schirm und entwand ihn ihr, bevor er sie am Arm festhielt. Sie stöhnte. Er registrierte ihr bleiches Gesicht und die schnelle Atmung und erkannte, dass sie kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren.
Weil er ohnehin müde und genervt war, hätte er nichts dagegen. Wenn die Frau bewusstlos war, machte sie vielleicht keinen Ärger mehr. Aber als Arzt war ihm natürlich klar, dass das die falsche Entscheidung war. Daher half er ihr so weit wieder auf, dass sie auf die Knie kam, bevor er ihren Kopf nach unten drückte.
„Kopf tiefer als das Herz“, befahl er. „Atmen Sie langsamer. Ihnen geht es gut.“
„Das können Sie überhaupt nicht wissen“, brachte sie heraus.
„Wollen wir wetten?“
Nachdem sie bei Bewusstsein zu bleiben schien, ging er zurück ins Bad und verband schnell seine linke Hand. Der tiefe Schnitt war hochempfindlich und blutete noch immer hin und wieder. Wobei er ja noch Glück gehabt hatte. Es war idiotisch gewesen, sich die Verletzung zuzuziehen, aber obwohl die Wunde schlimm aussah, würde er keinen bleibenden Schaden davontragen. Was wirklich wichtig war, schließlich brauchte er seine Hände, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
Nachdem er den Verband angelegt hatte, zog er sich ein sauberes, langärmliges T-Shirt an und ging zurück in den Flur.
Die Frau hatte sich aufgerichtet und starrte ihm entgegen. Ihr Blick wanderte zu seiner Hand, bevor sie ihn hastig wieder abwendete.
„Danke, dass Sie das bedeckt haben“, sagte sie leise.
Er nahm an, dass sie von der Wunde sprach und nicht von seinem Oberkörper. „Gern geschehen.“
Der Welpe ließ sich neben ihr nieder und lehnte sich an sie, bereit für die nächste Runde – was auch immer es war, was sie hier spielten.
„Du kannst kein Blut sehen“, stellte Gabriel fest.
Die Frau zuckte zusammen. „Ich weiß. Es ist albern, war aber schon immer so. Man sollte meinen, dass man irgendwann darüber hinwegkommt, aber nein. Merkwürdigerweise habe ich keine Probleme, wenn ich Spritzen kriege, solange kein Blut fließt. In dem Fall muss ich die Augen schließen.“ Sie holte tief Luft und schaute ihn dann an. „Wer sind Sie?“
Gabriel runzelte die Stirn. „Hat Gideon dir das nicht erzählt?“
„Ich habe in letzter Zeit nicht besonders viel mit ihm gesprochen.“ Sie hielt inne, als müsste sie darüber nachdenken, wie lange es her war. „Ich habe ihn in der Stadt getroffen, aber wir haben uns nicht lange unterhalten.“
Jetzt war Gabriel verwirrt. „Du bist nicht Felicia?“
Die Frau kam auf die Füße. Sie war groß und blond – zu dünn für seinen Geschmack, aber ansonsten ganz hübsch. Sie trug schwarze Jeans und ein albernes Sweatshirt, das mit winzigen Weihnachtsmannköpfen verziert war. Wie er schon vorhin festgehalten hatte – Kleinstädte taugten nichts.
„Nein, ich bin Noelle“, antwortete sie. „Wer bist du?“
„Gabriel.“
Er wollte noch etwas hinzufügen, doch sie riss die Augen auf. „Gideons Bruder?“
Er nickte, unfähig zu erklären, warum jemand, von dem er noch nie gehört hatte, im Haus seines Bruders Leute mit einem Regenschirm attackierte. Wobei es wohl keinen angemessenen Ort für ein derartig merkwürdiges Verhalten gab.
Sie lächelte. Worüber auch immer er sich gerade noch hatte beschweren wollen, es verpuffte in dem Moment, als sich ihre Mundwinkel hoben. Denn kaum hatte sie angefangen zu lächeln, hatte Gabriel das Gefühl, dass sich alles viel besser anfühlte. Seine Hand tat weniger weh, er war nicht mehr so müde, und das Bedauern darüber, hier nach Fool’s Gold gekommen zu sein, schwand ebenfalls.
Wenn das kein Trick war.
Ihr Lächeln wurde noch strahlender. „Oh, wow! Ich wusste nicht genau, ob du wirklich kommen würdest. Du bist der Arzt, oder? Felicia hat erwähnt, dass sie dich über die Feiertage eingeladen hat, aber ich dachte, du würdest es nicht schaffen. Ich bin Noelle Perkins. Felicia und ich sind befreundet. Ich habe einen Laden in der Stadt, und ich kenne natürlich auch Gideon. Und Carter.“
Der Sohn, von dem sein Bruder nichts geahnt hatte. Eine heikle Angelegenheit, dachte Gabriel.
„Gideon und Carter sind zum Einkaufen nach Sacramento gefahren. Felicia hat in der Stadt zu tun und mich daher gebeten, herzufahren und Webster rauszulassen.“ Ihr Lächeln schwand. „Oh, nein! Ich habe dich angegriffen. Das tut mir wirklich leid.“
„Ist schon okay“, beruhigte er sie. Hauptsächlich, weil er ja nicht zu Schaden gekommen war, und zum Teil, weil er sie noch einmal lächeln sehen wollte.
„Ich konnte mir nicht erklären, wieso die Tür offen war und der Ersatzschlüssel nicht dort lag, wo er laut Felicia hätte sein sollen.“
„Gideon hat mir auch von dem Schlüssel erzählt, und ich habe ihn einfach benutzt.“
„Natürlich.“
Das Lächeln kehrte zurück, und Gabriel entspannte sich.
Sie bückte sich und hob den Schirm auf. „Ich habe vor ein paar Wochen einen Selbstverteidigungskurs gemacht. Nur ein Samstagnachmittag mit dem grundlegenden Kram. Meine Kursleiterin würde mich umbringen, wenn sie wüsste, was ich getan habe, daher wäre ich dir dankbar, wenn du die Sache für dich behalten könntest.“
„Sicher, kein Problem.“
Sie warf noch einen Blick auf seine bandagierte Hand, ehe sie schnell wieder wegsah. „Äh, was hast du da mit deiner Handfläche angestellt?“
„Ich war ein Idiot.“
„Na ja, das kann jedem mal passieren.“
„Ich hätte es aber besser wissen müssen.“
Sie schenkte ihm noch einmal ein Lächeln. „Was? Wir anderen nicht?“
„Gutes Argument“, gestand er.
Sie schwenkte den Schirm. „Ich stelle den mal zurück“,meinte sie und ging den Flur entlang. „Willst du einen Kaffee?“
„Gern“, antwortete er und folgte Noelle, als sie in die Küche ging.
Sie holte Becher sowie zwei kleine, mit Kaffee gefüllte Kapseln heraus und wirkte dabei so, als würde sie sich hier gut auskennen.
Gabriel hatte sich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, dass sein Bruder verlobt war und einen Sohn hatte. Wobei diese beiden Tatsachen nicht miteinander verknüpft waren. Carters Mutter war bereits gestorben. Was Felicia anging … Gabriel runzelte die Stirn, als ihm klar wurde, dass er nicht einmal wusste, wie sie und sein Bruder sich kennengelernt hatten. Die Tatsache, dass er seit über einem Jahr mit niemandem aus seiner Familie gesprochen hatte, könnte etwas damit zu tun haben.
Webster folgte Noelle und schaute sie hoffnungsvoll an, als sie kleine Löffel herausholte und die Kaffeemaschine anstellte. Sie musterte den Hund.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass du schon was zu fressen bekommen hast“, sagte sie zu ihm.
Er wedelte mit dem Schwanz.
Sie seufzte. „Du bist so verfressen! Na gut, ich gebe dir einen Hundekuchen.“
Webster bellte, als er das Wort hörte, und folgte ihr in die Speisekammer. Auf einem der Regale stand ein Plastikbehälter, gefüllt mit Hundeleckerlis in Knochenform.
„Aber nur einen“, erklärte sie ihm und wartete, dass er sich setzte, bevor sie ihn belohnte.
Er nahm den Hundekuchen vorsichtig in sein Maul und stürmte aus der Küche.
Gabriel sah ihm hinterher. „Er ist kein wirklicher Wachhund. Er hat mich reingelassen, ohne mich auch nur einmal anzuknurren.“
„Er ist noch ein Welpe“, meinte Noelle. „Felicia möchte, dass er eher friedlich als aggressiv ist. Eigentlich ist es Carters Hund, aber sie ist diejenige, die sich hauptsächlich um ihn kümmert. Er hat schon ein paar Stunden Hundeschule hinter sich, aber bisher scheint er noch nicht so wirklich viel gelernt zu haben.“
Sie deutete zu dem großen Tisch, daher ging Gabriel hinüber und setzte sich. Noelle stellte einen Becher unter die Kaffeemaschine, ehe sie den Knopf drückte.
Danach lehnte sie sich gegen die Arbeitsplatte. „Du bist also über die Feiertage hier, um mit deiner Familie zusammen zu sein. Das ist doch nett.“
„Ich habe sie seit einer ganzen Weile nicht gesehen“, gab er zu und versuchte, sich zu erinnern, wann er das letzte Mal mit seinen Eltern und seinem Bruder zusammen Weihnachten gefeiert hatte. Muss mehr als zehn Jahre her sein, überlegte er. Fünfzehn Jahre? Noch länger? Vielleicht schon, bevor er aufs College gegangen war. „Du kannst mich gern über alles aufklären, was ich verpasst habe.“
„Deine Eltern habe ich noch nicht kennengelernt“, sagte sie munter. „Gideon kenne ich natürlich. Er ist vor mir hierhergezogen. Das war letztes Jahr. Ich bin erst seit dem Frühjahr in Fool’s Gold.“ Sie zog die Nase kraus. „Da war der Schnee schon weggetaut. Ich glaube, ich muss ein paar Fahrstunden nehmen. Es ist viel rutschiger, als ich gedacht habe. Ich weiß, dass das mit dem Eis zu tun hat, aber ich hätte nicht geglaubt, dass es so … na ja, du weißt schon, so eisig ist.“ Beim Wort eisig malte sie Gänsefüßchen in die Luft.
Gabriel lachte. „Da kannst du dich ja noch auf einiges freuen.“
„Du meinst, abgesehen von wärmerem Wetter?“ Sie drehte sich wieder zur Kaffeemaschine um und zog den Becher hervor. „Wie trinkst du ihn?“, fragte sie, schon auf dem Weg zum Kühlschrank.
„Schwarz.“
„Aha. Typisch Mann.“
Sie holte aromatisierte Kaffeesahne aus dem Kühlschrank, bevor sie Gabriel den Becher reichte und wieder zur Arbeitsplatte zurückkehrte. Ganz offensichtlich kannte sie sich hier in der Küche gut aus. Weil sie mit Felicia befreundet ist, überlegte er. Freundinnen trafen sich ständig zum gemeinsamen Kaffeetrinken. Vermutlich war das nicht anders, als mit seinem Kumpel loszuziehen, um ein Bier trinken zu gehen.
Nachdem sie eine weitere Kapsel in die Maschine getan hatte, stellte sie den Becher darunter und drückte den Schalter.
„Du weißt aber schon, dass Gideon zwei Radiosender gekauft hat, oder?“
Er nickte.
„Er moderiert jede Nacht eine Oldie-Sendung. Reichlich Songs, von denen ich noch nie etwas gehört habe, aber die meisten sind wirklich gut. Felicia kümmert sich um die Festivals hier im Ort. Sie ist sehr organisiert. Und Carter geht natürlich zur Schule.“ Sie blickte zu Webster, der zurück war und sie schwanzwedelnd anschaute. „Was ist mit dir, junger Mann? Irgendwelche beruflichen Pläne?“
Der Welpe bellte.
„Beeindruckend.“ Sie blickte zu Gabriel. „Tut mir leid. Ich rede mit allem und jedem.“
„Soll vorkommen.“
Ihr Kaffee war fertig, sie goss sich die Sahne dazu und stellte die Packung dann zurück in den Kühlschrank. Anschließend setzte sie sich Gabriel gegenüber und neigte den Kopf.
„Was kann ich dir sonst noch erzählen?“, überlegte sie. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich attackiert habe.“
„Mit einem Schirm.“
Sie lachte. „Ich weiß nicht so genau, ob es das besser oder schlimmer macht.“
Ihm gefiel das Funkeln in ihren blauen Augen, wenn sie lächelte. Er wollte, dass sie weitersprach, denn der Klang ihrer Stimme beruhigte ihn. Das klang lächerlich, aber so war es nun einmal. Was er nicht verstand, war, warum. Warum ausgerechnet sie? Er war ständig von Frauen umgeben. Von Ärztinnen, Krankenschwestern und Pflegerinnen, Soldatinnen und Büroangestellten. Aber Noelle war irgendwie anders.
„Wie lange ist Carter schon hier?“, fragte er.
„Seit diesem Sommer. Seine Mom ist ungefähr ein Jahr zuvor gestorben. Danach hat er in der Familie seines besten Freundes als Pflegekind gelebt. Soweit ich weiß, hatten sie das mit Carters Mom noch vor ihrem Tod abgesprochen. Aber sie bekamen Eheprobleme, und das hatte zur Folge, dass er in ein staatliches Heim kommen sollte. Carter hatte nicht viele Anhaltspunkte – nur den Namen seines Dads und dass der beim Militär gewesen war. Doch er hat Gideon gefunden und es geschafft, sich bis hierher durchzuschlagen. Ich glaube nicht, dass ich in seinem Alter schon so einfallsreich gewesen wäre.“
„Ich auch nicht“, gab Gabriel zu.
Er umschloss den Becher mit seiner gesunden Hand. Die Wunde in seiner linken Handfläche pochte im gleichen Rhythmus wie sein Herz. Wäre er sein eigener Patient, würde er sich empfehlen, etwas einzunehmen. Schließlich beschleunigte es den Heilungsprozess nicht, wenn man Schmerzen aushielt. Aber er wusste auch, dass er nicht auf sich hören würde. Er wollte nicht diese leichte Benommenheit verspüren, die mit Schmerzmitteln einherging. Außerdem war es noch nicht so schlimm, dass es nicht auszuhalten war.
„Du weißt aber, dass sie heiraten wollen, oder?“, fragte Noelle. „Gideon und Felicia.“
„Das habe ich gehört, ja.“
„Bisher stehen dazu noch keine weiteren Einzelheiten fest. Jedenfalls nicht, dass ich wüsste, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie lange warten wollen.“ Sie hielt inne, und hob ihren Becher. „Vermutlich sollte ich dich vor ihr warnen.“
„Vor Felicia?“
Noelle nickte. „Sie ist wirklich sehr klug. Und selbst wenn du dir jetzt jemanden vorstellst, der hochbegabt ist, wirst du ihr nicht einmal annähernd gerecht. Sie ist mehr als ein Genie, wobei ich nicht genau weiß, wie man solche Menschen nennt. Und sie äußert offen ihre Meinung, was ich toll finde, was für andere aber durchaus überraschend sein kann. Sie sagt wirklich genau das, was sie denkt, das heißt, du brauchst dich in ihrer Gegenwart nicht zu bemühen, um den heißen Brei herumzureden. Oh, und sie ist wunderwunderschön. Wenn wir nicht Freundinnen wären, müsste ich sie hassen.“
Die letzte Aussage wurde mit einem Lachen begleitet.
„Du bist auch gut darin, deine Meinung kundzutun“, sagte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Ich versuche lediglich, ehrlich zu sein. Du weißt schon – keine Zeit mit irgendwelchen Spielchen zu vergeuden. Aber das ist manchmal gar nicht so einfach. Aber ich denke, die Welt wäre eine bessere, wenn wir uns alle ein wenig mehr an die Wahrheit halten würden.“
Sie hielt inne, und ihre Mundwinkel hoben sich. „Keine Ahnung, wo dieser Sermon auf einmal herkam.“ Sie stand auf. „So, ich sollte lieber mal zurück in meinen Laden, bevor ich anfange, dich mit meinen Theorien über den Sinn des Lebens zu langweilen.“
„Darüber hast du Theorien?“, fragte er, während er ebenfalls aufstand.
„Ein paar, aber glaub mir, die willst du gar nicht hören. Wie auch immer, ich muss auch deshalb in den Laden zurück, weil ich in einem Anflug von Sparsamkeit anstelle von regulären Vollzeitkräften College-Studenten als Aushilfen engagiert habe.“
„College-Studenten sind keine regulären Kräfte?“
„Nicht wirklich. Und vor allem dann nicht, wenn in den Bergen frischer Pulverschnee liegt. Ich lebe in ständiger Angst, zu meinem Laden zurückzukehren und ihn offen vorzufinden, ohne dass irgendjemand dort ist. Jedenfalls niemand, der für mich arbeitet.“ Sie verstummte. „Das ist echt verrückt, denn die Highschool-Kids, die manchmal bei mir aushelfen, sind wirklich sehr gewissenhaft. Anscheinend entwickeln sie sich wieder zurück, wenn sie neunzehn werden.“
Gabriel hatte keine Ahnung, wovon sie redete, aber das war nicht schlimm. Es beruhigte ihn schon, einfach nur ihrer Stimme zu lauschen. Außerdem war er dankbar für die Informationen über seine Familie. Man könnte natürlich sagen, dass er das längst alles hätte wissen müssen, doch dem war nun mal nicht so.
„Es war schön, dich kennenzulernen“, sagte Noelle jetzt. „Und es tut mir leid wegen des Schirms.“
Er wischte ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung fort. „Kommst du klar, wenn du jetzt den Berg wieder runter in die Stadt fährst?“
Sie blinzelte ihn an, bevor sie die Augen aufriss. „Oh, Mist, Mist, verdammter Mist! Mein Auto steckt in einer Schneewehe fest.“
Mist war ihre Vorstellung von einem Schimpfwort? Amüsiert überlegte er, dass sie in Kandahar nicht eine einzige Stunde durchgehalten hätte.
„Ich vermute, du weißt auch nicht viel darüber, wie man im Winter Auto fährt?“, fragte sie.
„Doch. Ich habe mein Medizinstudium an der Northwestern University absolviert, und ich war mehr als einmal in Deutschland stationiert.“
„Oh, gut! Würde es dir dann etwas ausmachen, meinen Wagen aus der Schneewehe herauszufahren? Danach könnte ich ihn so wenden, dass er talabwärts zeigt, und dann müsste es gehen.“
Statt zu antworten, ging Gabriel zur Haustür. Obwohl er barfuß war, trat er hinaus auf die Veranda und betrachtete ihren Wagen, ein kleines ausländisches Modell, das mit der Schnauze im Schnee steckte.
Auf der Auffahrt waren Rutschspuren, und an einigen Stellen sah es so aus, als wäre Noelle hingefallen, als sie sich zum Haus vorgekämpft hatte.
„Das ist wirklich dein erster echter Winter, was?“
Sie gesellte sich zu ihm und meinte leicht beleidigt: „Ich habe andere Talente.“
Davon war er überzeugt, und am liebsten hätte er ihr versichert, dass die bestimmt sehr viel interessanter waren als ihre Fähigkeit, im Winter ein Auto zu lenken. Aber sie war eine Freundin seiner zukünftigen Schwägerin, dies hier war eine Kleinstadt, und außerdem würde er nicht lange bleiben. Alles gute Gründe, um lediglich zu sagen: „Daran zweifle ich nicht.“
Er trat zurück ins Haus und wartete, bis Noelle ebenfalls wieder drin war, ehe er die Tür schloss.
„Warte eine Sekunde, damit ich mir Stiefel anziehen kann, dann fahre ich dich zurück in die Stadt.“
„Du sollst dir doch nicht so viel Mühe machen!“
„Irgendjemand muss es tun, denn ich bezweifle doch stark, dass du es allein schaffst. Das Auto nur einfach in die grobe Richtung der Stadt zu drehen, ist nicht wirklich eine gute Lösung.“
Schicksalsergeben nickte Noelle dem netten, gut aussehenden Arzt zu, ehe der sich umdrehte und in einem der Gästezimmer verschwand. Sie seufzte. Das war einfach nicht fair! Er war Single – zumindest glaubte sie das –, sie war Single. Was sie sonst noch gemeinsam hatten, wusste sie zwar nicht, aber es gab da bestimmt etwas. Aber leider hatte sie ihn anscheinend nicht im Geringsten beeindruckt.
Okay, es gibt Schlimmeres, sagte sie zu sich selbst. Sobald die Hauptsaison in ihrem Laden vorüber war, würde sie eine Beziehung eingehen. Vielleicht sollte sie Mitglied in einem dieser Datingportale im Internet werden oder sich erkundigen, ob es hier in der Stadt Klubs für Singles gab. Und wenn alles nichts half, konnte sie noch ihre Freundinnen einspannen. Die hatten sich schließlich in letzter Zeit auch alle verliebt.
Vielleicht ist hier irgendwas im Wasser, überlegte sie, als Gabriel wieder auf sie zukam. Weil er jetzt Winterstiefel trug, überragte er sie noch ein Stückchen mehr.
„Die Schlüssel?“, meinte er.
Gehorsam reichte sie ihm den Autoschlüssel. „Ich bin sicher, wenn ich erst einmal aus der Schneewehe befreit bin, komme ich zurecht.“
„Das bezweifle ich“, erwiderte er nur und zog sich eine Jacke an. „Du bist so lange eine Gefahr für den Verkehr, bis du wieder ebenes Gelände erreicht hast.“
„Das ist nicht gerade schmeichelhaft.“
Ein vielsagender Blick aus seinen blauen Augen traf sie.
„Stimmt es etwa nicht?“
„Doch, aber musst du es so offen aussprechen?“
„Ich dachte, du magst Offenheit.“
„Nicht so sehr, wie ich gedacht habe.“
Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass Webster sicher im Haus war, schloss sie die Haustür ab und folgte Gabriel zu ihrem Wagen. Gehorsam wartete sie, bis er das Auto aus dem Schnee befreit hatte, was ihm im ersten Anlauf ohne Probleme gelang. Die Reifen drehten nicht einmal durch – was Noelle als persönlichen Verrat ansah. Sobald sie wieder zurück in der Garage war, würde sie mit ihrem Wagen ein ernstes Gespräch unter vier Augen führen.
Gabriel stoppte neben ihr und öffnete die Beifahrertür von innen. Kaum saß sie, registrierte Noelle auf einmal, wie eng beieinander die Sitze montiert waren und um wie vieles breiter Gabriels Schultern im Vergleich zu ihren waren. Während sie sich anschnallte, blickte sie zu dem Mann auf dem Fahrersitz.
Er hat ein nettes Gesicht, entschied sie. Er wirkte ein wenig so, als wäre er ständig auf der Hut, und es lagen tiefe Schatten unter seinen Augen, was vermutlich auf seine Verletzung und vielleicht die lange Reise hierher zurückzuführen war. Aber er war jemand, zu dem sie instinktiv Vertrauen fassen würde. Wobei ihre Instinkte nicht unbedingt etwas waren, womit sie angeben konnte. Sie brauchte ja nur an Jeremy zu denken.
Lieber nicht, dachte sie schnell und blickte geradeaus.
„In diese Richtung?“, fragte er und deutete mit seiner linken Hand nach vorn.
Prompt wurde ihr wieder ganz schwummrig. „Pass auf“, murmelte sie. „Das ist wie eine Waffe.“
Nach einem Blick auf seine bandagierte Hand meinte er nur: „Da ist so gut wie kein Blut zu sehen.“
Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen. „Allein das Wort an sich ist schon gefährlich. Ja, du musst dieser Straße ungefähr drei oder vier Meilen folgen. Dann, an der Kreuzung, biegst du rechts ab. Von dort folgst du einfach der Ausschilderung und landest direkt im Stadtzentrum.“
Sie legte eine Hand auf ihren Bauch und ermahnte sich, nicht mehr an seine Hand zu denken. Da half nur noch Ablenkung.
„Du hast dir eine wirklich gute Zeit für einen Besuch hier ausgesucht“, erklärte sie, wohl wissend, dass sie jetzt anfangen würde, vor sich hin zu plappern, doch es war ihr egal. Plappern war immer noch besser als in Ohnmacht zu fallen. Oder sich zu übergeben. „Es gibt immer irgendwelche Festivals in Fool’s Gold, aber vor allem während der kommenden Feiertage. Es finden ein paar Paraden und natürlich ein Krippenspiel statt. Darauf freue ich mich besonders, denn da spielt auch ein Elefant mit.“
„Bei einem Krippenspiel?“
„Du brauchst gar nicht so ungläubig zu klingen! Du weißt doch gar nicht, ob bei der Geburt von Jesus nicht vielleicht auch ein Elefant dabei war.“
„Ehrlich gesagt bin ich mir da ziemlich sicher.“
„Priscilla gehört bei den Feierlichkeiten in der Stadt einfach dazu. Sie ist Teil unserer Gemeinschaft.“
„Priscilla, der Elefant?“
„Kennst du irgendwelche anderen Priscillas?“ Sie riskierte es, die Augen wieder zu öffnen, erleichtert, dass sich keine blutigen Bandagen in ihrer Sichtweite befanden.
„Nein, sie wäre die Einzige.“
„Okay, hier musst du abbiegen“, sagte sie und deutete zur Seite, als sie die Kreuzung erreichten. „Folge der Straße einfach bis in die Stadt hinein. Auf der Frank Lane musst du dann rechts abbiegen.“
„Wer war Frank?“
„Keine Ahnung, aber von dort geht die 4th Street ab, in der mein Laden liegt. Tja, wer war Frank? Ich nehme an, es gibt noch so einiges, was ich über die Geschichte der Stadt lernen muss.“
„Immerhin weißt du über den Elefanten Bescheid, das zählt doch bestimmt auch schon was.“
Er ist nett, dachte sie und fragte sich, ob es ihr wohl gelingen könnte, ihn auf subtile Art und Weise auf einen Kaffee einzuladen. Oder zum Abendessen. Sie blickte verstohlen auf seine großen Hände, die auf dem Lenkrad ruhten, und überlegte, ob die Dinge wohl völlig aus dem Ruder laufen würden, wenn sie ihm eine Pyjamaparty zu zweit vorschlug.
Kurz darauf deutete sie auf ihren Laden, und Gabriel parkte den Wagen direkt davor.
Sie drehte sich zu ihm herum und wollte sich gerade herzlich bei ihm bedanken, als ihr klar wurde, dass es ein kleines Problem gab. „Wie kommst du denn jetzt zurück zu Gideons Haus?“
„Ich dachte, ich mache mich auf die Suche nach Felicia.“
Sie riskierte einen kurzen Blick auf seine Hand, ehe sie schnell wieder wegschaute, aus Angst, doch noch ohnmächtig zu werden. „Schaffst du das?“
„Klar, kein Problem. Du musst mich nur in die richtige Richtung weisen.“
Sie schaute ihm in die Augen und lächelte. „Ich dachte, das ist etwas, an das du nicht glaubst?“
„Da ging es ganz ausdrücklich nur um dich und das Fahren bei Schnee und Eis.“
„Ich wäre jetzt ja gern beleidigt, aber die Sache mit der Schneewehe würde das wohl irgendwie unglaubwürdig machen, oder?“
Sie stiegen aus, und Noelle erklärte ihm, wie er zu Felicias Büro kam, bevor er ihr den Autoschlüssel reichte.
„Danke, dass du mich gebracht hast“, sagte sie und wünschte, sie wüsste noch, wie das mit dem Flirten ging. Früher hatte das eigentlich für sie kein Problem dargestellt, aber anscheinend war sie aus der Übung. „Ich hoffe, wir laufen uns mal wieder über den Weg!“ Sie blickte auf den Schnee, der noch immer an ihrer Stoßstange klebte.
„Das hoffe ich auch.“
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Gabriel und versuchte herauszufinden, was er dachte. Doch seine dunkelblauen Augen verrieten nichts über seine Gefühle. Er lächelte, winkte ihr kurz zu und drehte sich dann um, um in die Richtung zu gehen, in die sie gewiesen hatte.
Noelle blickte ihm hinterher. Als er um die Ecke verschwand, eilte sie zu ihrem Laden, blieb jedoch abrupt stehen, als sie das Schild an der Eingangstür sah.
Sind zum Skilaufen. Kommen Sie später noch einmal vorbei.
Das Städtchen Fool’s Gold wirkte auf Gabriel wie die Kulisse eines kitschigen, fürs Fernsehen produzierten Films, als er Noelles Anweisungen zu Felicia folgte. Es herrschte geschäftiges Treiben auf den Straßen, und sämtliche Leute, denen er begegnete, grüßten ihn auf irgendeine Art und Weise. Frauen gingen Arm in Arm, die Bürgersteige waren gefegt und gestreut, und sämtliche Schaufenster waren mit Truthähnen, Kürbissen, buntem Herbstlaub oder sonstigen Hinweisen auf Thanksgiving dekoriert. Das hatte alles einen nahezu surrealen Touch. Gabriel erwartete schon fast, von tanzenden Laternenpfählen oder singenden Waldgeistern eskortiert zu werden.
Als er seinen Bruder das letzte Mal getroffen hatte, war Gideon unterernährt, verletzt und mental am Ende seiner Kräfte gewesen. Gideon war von den Taliban gefangen genommen und fast zwei Jahre lang von ihnen eingekerkert worden. Er hatte mit mehreren anderen Amerikanern in einer Zelle gesessen und war, genau wie sie, regelmäßig gefoltert worden. Gideon war der Einzige, der überlebt hatte.
Gabriel hatte ihn im Militärkrankenhaus besucht, wo Gideon sich regeneriert hatte. Anschließend hatte sein Bruder den Dienst quittiert und war nach Bali geflogen, wo er versucht hatte, eine Art Normalität für sich wiederzufinden. Gabriel schaffte es irgendwie nicht, das Bild, das er von seinem Bruder als Soldaten beziehungsweise als gebrochenem Gefangenen hatte, mit dem Bild eines Mannes in Einklang zu bringen, der in einer Stadt wie dieser lebte. Was zum Teufel war inzwischen passiert?
Doch eine Antwort auf diese Frage würde er wohl erst dann bekommen, wenn er die Möglichkeit hatte, mit seinem Bruder persönlich zu sprechen. In der Zwischenzeit ging er weiter, bis er das Büro fand, nach dem er gesucht hatte. Dabei ignorierte er den stechenden Schmerz in seiner Hand und auch die Müdigkeit, die er verspürte.
Er ging hinein und marschierte einen Gang entlang bis zu dem Zimmer, das als Fool’s Gold Festivalbüro gekennzeichnet war. Nachdem er einmal geklopft hatte, trat er ein.
Es war ein großer Raum mit einem imposanten Schreibtisch, Besucherstühlen und vielen bunten Postern, die für all die Events hier in dieser merkwürdigen Stadt Werbung machten. Doch was seine Aufmerksamkeit wirklich fesselte, war die groß gewachsene rothaarige Frau, die aufstand, als sie ihn sah.
Sie war hübsch. Nein, das war nicht das richtige Wort. Sie war umwerfend schön, mit grünen Augen und heller Haut. Ein eng anliegender Pullover betonte die perfekten Kurven. Sie riss die Augen auf, als sie um den Schreibtisch herumeilte.
„Gabriel! Da bist du ja. Noelle hat gerade angerufen und mir erzählt, dass du sie in die Stadt gefahren hast. Vielen Dank, dass du meiner Freundin geholfen hast! Bei diesen Wetterbedingungen ist sie keine besonders gute Fahrerin. Ich habe mein Möglichstes getan, um ihr theoretisch zu erklären, wie man auf einer vereisten Straße die Kontrolle über das Fahrzeug behält, aber ihr Weg scheint die Learning-by-Doing-Methode zu sein. Ich vermute, man lernt Autofahren im Winter wohl wirklich am besten durch praktische Erfahrung.“
Sie hielt inne und legte ihre Hände auf seine Oberarme. „Du hast so viel von deinem Bruder in dir! Aber es gibt auch eine Reihe von Variationen. Wie interessant! Ich habe selbst keine Geschwister, daher beruhen alle meine Beobachtungen über die subtilen Unterschiede und Ähnlichkeiten innerhalb einer biologischen Einheit auf Erfahrungen mit Freunden oder Menschen, mit denen ich arbeite.“
Noelle hatte ihn schon gewarnt, dass Felicia intelligent war. Offenbar war das kein Witz gewesen. Klug und schön, dachte er, während sie ihn anstarrte. Witzig, dass es trotzdem Noelles Lächeln gewesen war, das ihn heute am meisten in den Bann gezogen hatte.
Felicias Mund zitterte leicht, als ihr Lächeln langsam schwand. „Ich würde dich gern umarmen“, gab sie zu. „Oder ist das zu früh?“
„Tu dir keinen Zwang an“, sagte er und öffnete die Arme.
Felicia trat zu ihm und umarmte ihn fester, als Gabriel für möglich gehalten hatte. Er erwiderte die Umarmung und überlegte, dass Gideon mit dieser Frau alle Hände voll zu tun haben würde.
Sie machte einen Schritt zurück und deutete auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch. „Wie war deine Reise hierher? Bist du müde?“ Sie setzte sich wieder.
„Alles okay.“
Sie starrte auf seine Hand. „Das ist die Verletzung, von der Gideon mir erzählt hat? Soweit ich verstanden habe, sind weder Sehnen noch Nerven verletzt?“
„Nein, ich hatte Glück.“
„Stimmt. Angesichts der Stelle hättest du auch leicht etwas durchtrennen können …“ Sie brach ab und seufzte. „Das weißt du ja viel besser als ich.“
„Vielleicht auch nicht.“
Sie grinste. „Tut mir leid. Wenn ich nervös bin, rede ich zu viel.“ Sie sprang wieder auf und ging zu einem Tisch am Fenster, um sich einen Karton zu schnappen. Als sie ihn auf den Schreibtisch stellte, sah Gabriel, dass darin knackige rote Äpfel lagen.
„Die sind hier aus der Gegend“, erklärte Felicia. „Die letzten Äpfel der Saison. Köstlich.“
Er nahm sich einen, biss jedoch nicht hinein.
Felicia setzte sich wieder. „Carter ist ganz aufgeregt und freut sich, dich kennenzulernen. Er und Gideon sind nach Sacramento gefahren, zum Einkaufen.“ Sie machte eine kleine Pause. „Du weißt über Carter Bescheid, oder?“
„Gideons Sohn. Ja, er hat es mir erzählt.“
„Gut. Es ist toll und interessant, ihn um sich zu haben. Okay, hin und wieder hat er einen Gefühlsausbruch, aber ich bin sicher, dass das an den Hormonen liegt. In der Regel ist er ein lustiger und netter Junge. Außerdem ist er verantwortungsbewusst. Er kümmert sich gut um Webster.“ Sie biss sich auf die Unterlippe. „Es tut mir leid. Du hast ihn noch nie getroffen, und meine Beobachtungen haben zu diesem Zeitpunkt keinerlei Wert für dich. Es ist nur so … deine Zustimmung bedeutet mir sehr viel.“
Gabriel runzelte die Stirn. „Meine Zustimmung wozu?“ Zum Hund? Zu dem Jungen?
„Ich werde deinen Bruder heiraten.“
Ihre Stimme klang leise, zögernd. Gabriel wäre am liebsten aufgestanden und geflüchtet. Sie wollte seine Zustimmung, weil sie bald zur Familie gehören würde? Sollte das ein Witz sein? Wusste sie denn nicht, dass er seine Eltern seit über einem Jahr nicht mehr gesehen hatte und auch zu seinem Bruder kaum Kontakt hatte? Um diesen Besuch hier zu arrangieren, hatten sie mehr miteinander gesprochen als in den letzten zehn Jahren zusammengenommen.
„Ich bin sicher, dass ihr beiden sehr glücklich werdet“, sagte er und hoffte, dass er freundlich klang und nicht so, als wäre er in eine Falle getappt.
„Das werden wir“, versicherte sie ihm. „Gideon und ich passen gut zusammen. Wir beide lieben diese Stadt hier, und Carter natürlich. Ich war ebenfalls beim Militär, daher habe ich ein Grundverständnis von dem, was er durchgemacht hat, als er im Ausland war. Wir nehmen unsere Beziehung ernst, genau wie das Konzept einer Familie, und außerdem herrscht zwischen uns eine ausgezeichnete sexuelle Chemie.“
Sie machte eine kleine Pause und zog die Augenbrauen zusammen. „Letzteres hätte ich jetzt nicht sagen sollen. Das ist eher ein Thema für ein Gespräch unter Freundinnen.“
Trotz des Schmerzes in seiner Hand, trotz der Erschöpfung, die ihn zu überwältigen drohte, musste Gabriel lachen. „Na, das kann ich gerade noch verkraften“, meinte er. „Allerdings möchte ich keine weiteren Details hören. Schließlich reden wir hier über meinen Bruder.“
Sie lächelte. „Ja, natürlich. Ich möchte nicht, dass du dich unwohl fühlst.“ Ihr Lächeln schwand. „Deine Eltern werden auch bald hier sein.“
„Habe ich schon gehört. Es wird ein richtig großes Familien-Weihnachtsfest.“ Er blickte zu seiner Hand. Ein winziger Blutstropfen war durch die weiße Bandage gesickert. Der war wahrscheinlich der Grund, warum Noelle fast ohnmächtig geworden war. Sie ist wirklich ein Leichtgewicht, dachte er belustigt. Keine dreißig Sekunden würde sie seinen Arbeitstag überstehen. Wobei er auch wirklich nicht wollte, dass sie das zu sehen bekam, womit er sich während der letzten zehn Jahre tagtäglich hatte auseinandersetzen müssen.
„Meinst du, du könntest mir erzählen, wie sie so sind?“
Es dauerte einen Moment, ehe er begriff, dass Felicia von seinen Eltern redete und nicht von seinem Leben als Traumatologe in der Army.
„Ich bin mir nicht sicher, was du wissen möchtest“, gab er zu und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf seine zukünftige Schwägerin. „Meine Eltern waren immer sehr traditionell. Mom kümmerte sich um den Haushalt, und Dad hat uns allen gesagt, was wir zu tun haben.“
Felicia runzelte die Stirn. „In dieser Aussage stecken reichlich Informationen, aber ich verstehe sie nicht so ganz.“ Sie wedelte mit ihrer rechten Hand. „Ich mag zwar intellektuell hochbegabt sein, aber meine Sozialkompetenz ist leider nicht so gut ausgebildet. Mir geht es vor allem darum, dass sie eine gute Beziehung zu Carter aufbauen und nicht versuchen, Gideon auszureden, mich zu heiraten.“
„Großeltern sind doch darauf programmiert, ihre Enkelkinder zu lieben“, beruhigte er sie, beeindruckt von ihrer Offenheit. „Und was dich angeht – was soll man an dir nicht mögen?“
„Danke für das Kompliment. Ich könnte dir eine lange Liste mit all meinen Fehlern anfertigen, aber ich weiß, dass du danach gar nicht gefragt hast.“ Sie holte tief Luft. „Ich bin wirklich ziemlich nervös. Von eurer Mutter spricht Gideon immer voller Zuneigung, aber bei eurem Vater liegt die Sache anscheinend ein wenig anders.“
„Und dabei war er der gute Sohn“, meinte Gabriel trocken.
„Und du nicht?“
Gabriel hielt nicht viel davon, die Vergangenheit aufzuwärmen, und würde jetzt sicherlich nicht damit anfangen. „Unser Vater war Ausbildungsoffizier, Drill Sergeant. Für das Militär sicherlich super, für Kinder die Hölle.“ Immerhin hatte Gideon auch immer zur Army gewollt. „Pass nur auf, dass er Carter nicht herumkommandiert.“
Felicia nickte. „Wir haben eine Routine entwickelt, die uns allen zugutekommt. Ich werde darauf achten, dass wir uns die bewahren.“
Er machte den Fehler, seine verletzte Hand abzuknicken, und musste ein Fluchen unterdrücken. „Ich sollte dich wieder arbeiten lassen. Wann machst du Feierabend?“
„Um fünf.“ Sie sah ihn an. „Du bist bestimmt müde. Ich kann dich jetzt auch schnell nach Hause fahren, wenn du möchtest.“
„Nein, nein, ist schon in Ordnung“, erklärte er. „Ich werde ein bisschen in der Stadt herumspazieren, bis du fertig bist.“
Er gab ihr seine Handynummer und stand auf. „Es ist schön, dich kennenzulernen, Felicia! Mein Bruder kann sich glücklich schätzen.“
Ihre Miene wurde weicher und ein Ausdruck, den man wohl nur als Liebe bezeichnen konnte, erschien in ihren Augen. „Ich bin der Glückspilz. Ich freue mich auch, dass ich dich endlich kennengelernt habe.“ Sie grinste. „Immer wenn Gideon schlechte Laune hat, dann erinnere ich ihn daran, dass er sich einen Bauch mit dir geteilt hat. Ihm ist diese Vorstellung so unangenehm, dass er sich dadurch von dem, was ihm Sorgen bereitet, ablenken lässt.“
Gabriel war Arzt, doch selbst er dachte nicht gern daran, im Bauch seiner Mutter gewesen zu sein oder sich den Platz mit seinem Bruder geteilt zu haben. „Du bist eine merkwürdige Frau. Wie ich schon sagte, Gideon hat eine gute Wahl getroffen.“