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Aphorismen - Oscar Wilde - Frank Thissen hat für die Aphorismensammlung aus den Werken und Briefen von Oscar Wilde in acht Kapiteln die zitierenswertesten Aussprüche der für Oscar Wilde zentralen Themenbereiche Kunst, Leben, Gesellschaft, Genie einander zugeordnet. In der Summe geben diese Sentenzen in ihrer Eigenständigkeit, in ihrer stilistischen Abgeschlossenheit und Allgemeingültigkeit einen konzentrierten Einblick in Werk und Denken des Autors.
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Seitenzahl: 95
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Alle Kunst ist ganz und gar nutzlos.
Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol.
Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr.
Wer das Symbol deutet, tut es auf eigene Gefahr.
Kunst offenbaren und den Künstler verheimlichen ist das Ziel der Kunst.
Die Kunst ist kein Spiegel, sondern ein Kristall. Sie schafft ihre eigenen Gestalten und Formen.
Die Kunst ist das einzig Ernsthafte auf der Welt. Und der Künstler ist der einzige Mensch, der nie ernsthaft ist.
Es gibt keine Stimmung oder Leidenschaft, die uns die Kunst nicht geben kann, und wer ihr Geheimnis ergründet hat, vermag im voraus zu sagen, welcher Art unsere Erfahrungen sein werden.
Ziel der Kunst ist es einfach, eine Stimmung zu erzeugen.
Die Kunst ist dann gesund, wenn sie die Schönheit unserer Zeit zum Ausdruck bringt, und sie ist krank, sobald sie ihre Themen aus früheren, romantischen Zeitaltern heraufholen muß.
Die entscheidende Entdeckung ist, daß das Lügen, das Erzählen von schönen, unwahren Dingen, das eigentliche Ziel der Kunst ist.
»Und die Kunst?« »Ist eine Krankheit.«
In Wirklichkeit spiegelt die Kunst den Beschauer, nicht das Leben.
Wir können einem Menschen verzeihen, daß er etwas Nützliches schafft, solange er es nicht bewundert. Die einzige Entschuldigung dafür, etwas Nutzloses zu schaffen, besteht darin, daß man es über jedes Maß bewundert.
Und dennoch können die Wahrheiten der Kunst nicht gelehrt werden: sie offenbaren sich – und zwar nur denjenigen, die dem Schönen sich aufgetan haben in ihrem Studium und ihrer Verehrung aller schönen Dinge.
Ich bewahre mir Kunst als Leben.
Es gibt nichts, was Kunst nicht ausdrücken kann.
Der Zweck der Kunst ist, den göttlichsten, entlegensten der Akkorde anzuschlagen, die in unserer Seele Musik machen; und Farbe ist an sich eine mystische Gegenwart auf der Oberfläche der Dinge und der Ton eine Art Schildwache.
Das Abnorme im Leben steht in normalem Verhältnis zur Kunst. Es ist das einzige im Leben, was in normalem Verhältnis zur Kunst steht.
»Müssen wir uns also in allem an die Kunst halten?«
»In allem. Denn die Kunst verletzt uns nicht.«
Die höchste Kunst dient dem Menschen, so wie die großartigste Natur sich selbst dient.
Die Kunst ist das mathematische Resultat des emotionellen Strebens nach Schönheit. Wenn ein Kunstwerk nicht durchdacht ist, ist es nichts.
Die Wahrheit in der Kunst ist die Identität eines Dinges mit sich selbst: das Äußere, das zum Ausdruck des Innern geworden: die fleischgewordene Seele: der vergeistigte Leib.
Nur ein Temperament, das durch seine Phantasie, in einem Zustand vertiefter Einbildungskraft, neue und schöne Eindrücke zu empfangen vermag, wird imstande sein, ein Kunstwerk zu würdigen.
Das Kunstwerk soll den Zuschauer beherrschen: nicht der Zuschauer das Kunstwerk. Der Zuschauer soll empfänglich sein. Er soll die Violine sein, die der Meister spielt. Und je vollständiger er seine eigenen dummen Ansichten, seine eigenen törichten Vorurteile, seine eigenen absurden Ideen über das, was Kunst sein und was sie nicht sein sollte, unterdrückt, desto wahrscheinlicher wird er das Kunstwerk verstehen und zu würdigen wissen.
Die große Wahrheit, daß sich die Kunst zunächst weder an den Intellekt noch an das Gefühl wendet, sondern ganz allein an das künstlerische Temperament.
Jede Kunst ist amoralisch. Denn Gefühlserregung um der Gefühlserregung willen ist das Ziel der Kunst, und jede Gefühlserregung um des Handelns willen ist das Ziel des Lebens.
Das moralische Leben des Menschen gehört zum wesentlichen Gegenstand des Künstlers, die Moral der Kunst besteht jedoch in der vollkommenen Anwendung eines unvollkommenen Ausdrucksmittels.
Alle Künste sind amoralisch – außer jenen niedrigeren Formen der sinnlichen oder belehrenden Kunst, die, im Bösen oder Guten, zum Handeln anzustacheln sucht. Denn Handeln jeder Art gehört in den Bereich der Ethik. Ziel der Kunst ist es einfach, eine Stimmung zu erzeugen.
Wenn die Betrachtung eines Kunstwerks Aktivität irgendeiner Art auslöst, so ist das Werk entweder von recht zweitrangiger Qualität, oder dem Betrachter ist die Tiefe der künstlerischen Impression verschlossen geblieben. Ein Kunstwerk ist nutzlos, wie eine Blume nutzlos ist. Eine Blume blüht sich selber zur Freude. Ihre Betrachtung verschafft uns einen Augenblick der Freude. Mehr ist über unser Verhältnis zu Blumen nicht zu sagen.
Der Kunst erwächst keinerlei Schaden, wenn sie sich fernhält von den sozialen Problemen des Tages. Vielmehr gelingt es ihr auf solche Weise, noch vollständiger uns vor Augen zu führen, was wir im Innersten begehren.
Das Leben verdirbt durch seinen Realismus immer die Thematik der Kunst. Das erhabenste Vergnügen an der Literatur ist, das Nicht-Existente existent zu machen.
Die Abneigung des neunzehnten Jahrhunderts gegen den Realismus ist die Wut Calibans, der sein Gesicht im Spiegel sieht.
Die Abneigung des neunzehnten Jahrhunderts gegen die Romantik ist die Wut Calibans, der sein Gesicht nicht im Spiegel sieht.
Ein Künstler sollte schöne Dinge schaffen, aber nichts aus seinem eigenen Leben hineintun. Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen mit der Kunst umgehen, als sei sie eine Art Autobiographie. Wir haben das abstrakte Gefühl für Schönheit verloren.
Je mehr wir die Kunst studieren, desto weniger kümmert uns die Natur.
Zweifellos hat die Natur gute Absichten, aber, wie Aristoteles einmal sagte, sie kann sie nicht ausführen. Wenn ich eine Landschaft betrachte, sehe ich auch gleich alle ihre Mängel. Zu unserem Glück jedoch ist die Natur so unvollkommen, sonst wäre nie die Kunst entstanden. Die Kunst ist unser geistvoller Protest, unser kühner Versuch, der Natur ihren eigentlichen Platz zuzuweisen.
Der allgemeine Ruf unserer Zeit lautet: »Laßt uns zum Leben und zur Natur zurückkehren, sie werden uns die Kunst neu erschaffen und ihren Pulsschlag wiederbeleben, sie werden ihren Schritt beflügeln und ihrer Hand Kraft verleihen.« Aber leider! unsere freundlichen und wohlmeinenden Bestrebungen gehen irre. Die Natur ist immer hinter der Zeit zurück. Und das Leben – es ist das Zersetzungsmittel, das die Kunst schwächt, der Feind, der das Haus verwüstet.
Obwohl es paradox erscheinen mag – und Paradoxien sind immer gefährliche Dinge –, ist es darum nicht weniger wahr, daß das Leben die Kunst weit mehr nachahmt als die Kunst das Leben.
Ein großer Künstler erfindet eine Idealfigur, und das Leben versucht sie nachzubilden, in einer leichtverständlichen Form zu reproduzieren.
Das Leben ist der Kunst bester, der Kunst einziger Schüler.
Schopenhauer hat den Pessimismus analysiert, der das moderne Denken bestimmt, aber Hamlet hat ihn erfunden. Die Menschen sind schwermütig geworden, weil eine Theaterfigur einmal an Melancholie krankte. Der Nihilist, dieser wunderliche Märtyrer ohne Glauben, der ohne Inbrunst an den Pfahl geht und für etwas stirbt, woran er nicht glaubt, ist ein reines Produkt der Literatur. Er ist von Turgenjew erfunden und von Dostojewski vollendet worden.
Die Literatur greift immer dem Leben vor. Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht. Das neunzehnte Jahrhundert, wie wir es kennen, ist zum großen Teil eine Erfindung Balzacs.
Woher, wenn nicht von den Impressionisten, stammen jene wundervollen braunen Nebel, die durch unsere Straßen ziehen, die Gaslampen verschleiern und die Häuser in ungeheuerliche Schatten verwandeln? Wem verdanken wir die köstlichen Silbernebel, die über unserem Fluß brauen und die geschwungene Brücke, die schwankende Barke in die zarten Linien vergänglicher Anmut hüllen, wenn nicht ihnen und ihrem Meister? Der ungewöhnliche Umschwung, der während der letzten zehn Jahre in den klimatischen Verhältnissen Londons stattfand, ist einzig und allein einer besonderen Kunstrichtung zuzuschreiben.
Die Natur ist keineswegs die große Urmutter, die uns gebar. Sie ist unsere Schöpfung. Es ist unsere Einbildungskraft, die sie beseelt. Die Dinge sind, weil wir sie sehen, und was wir sehen und wie wir sehen, hängt von den Künsten ab, die uns beeinflußt haben. Es ist ein großer Unterschied, ob man ein Ding ansieht oder ob man es sieht. Man sieht nichts, solange man nicht seine Schönheit sieht. Dann, und erst dann, wird es lebendig. Jetzt sehen die Leute die Nebel, nicht weil es Nebel gibt, sondern weil die Dichter und Maler ihnen die geheimnisvolle Schönheit solcher Erscheinungen offenbaren. Es hat vielleicht schon seit Jahrhunderten in London Nebel gegeben. Das glaube ich sogar ganz sicher. Aber niemand hat sie gesehen, und deshalb wissen wir nichts darüber. Sie waren nicht vorhanden, bis die Kunst sie erfunden hat.
Die Kunst entfaltet sich lediglich in der ihr eigenen Bahn. Sie ist nie ein Symbol des Zeitalters, die Zeitalter sind ihre Symbole.
Ein Gegenstand in der Natur wird viel anziehender, wenn er uns an einen Gegenstand in der Kunst erinnert, ein Gegenstand in der Kunst dagegen gewinnt keine wahre Schönheit, weil er uns etwa an einen Gegenstand in der Natur erinnert. Der primäre ästhetische Eindruck von einem Kunstwerk entsteht nicht durch Vergleich oder Suche nach Ähnlichkeit.
Eine wirklich gelungene Knopflochblume ist das einzige Bindeglied zwischen Kunst und Natur.
Jede schlechte Kunst entsteht durch die Rückkehr zum Leben und zur Natur, und indem man sie zu Idealen erhebt. Das Leben und die Natur mögen der Kunst zuweilen als rohes Material dienen, doch ehe sie der Kunst von wirklichem Nutzen sein können, müssen sie in künstlerische Übereinstimmung gebracht werden. Sobald die Kunst auf ihr schöpferisches Ausdrucksmittel verzichtet, gibt sie alles auf.
Als Methode ist der Realismus ein völliger Irrtum, und die beiden Dinge, die jeder Künstler vermeiden sollte, sind Modernität der Form und Modernität des Inhalts.
Die einzigen wirklichen schönen Dinge sind die Dinge, die uns nicht betreffen.
Die Vergangenheit ist ohne Bedeutung. Die Gegenwart ist ohne Gewicht. Mit der Zukunft allein haben wir uns auseinanderzusetzen. Denn die Vergangenheit ist, was der Mensch nicht hätte sein dürfen. Die Gegenwart ist, was der Mensch nicht sein sollte. Die Zukunft ist, was die Künstler sind.
Der Künstler ist der Schöpfer schöner Dinge.
Kein Künstler wünscht etwas zu beweisen. Selbst Wahres kann bewiesen werden.
Kein Künstler hat ethische Neigungen. Ethische Neigung ist bei einem Künstler eine unverzeihliche Manieriertheit des Stils.
Niemals ist ein Künstler morbid. Der Künstler kann alles ausdrücken.
Gedanke und Sprache sind für den Künstler Werkzeuge einer Kunst.
Laster und Tugend sind für den Künstler Stoffe einer Kunst.
Vollkommenheit ist des Künstlers Ziel.
Die Freude, die ein Mensch bei der Schaffung eines Kunstwerks empfindet, ist eine ganz persönliche Freude, und um dieser Freude willen allein schafft er. Der Künstler sieht bei der Arbeit nur seinen Gegenstand. Nichts anderes interessiert ihn. Der Gedanke, was die Leute dazu sagen mögen, kommt ihm gar nicht. Er ist von seinem Gegenstand völlig fasziniert. Gegen andere ist er gleichgültig.
Das Leben des Künstlers ist einfach Entwicklung des Ich. Demut heißt beim Künstler, daß er jede Erfahrung offen bejaht, so wie Liebe beim Künstler einfach jener Schönheitssinn ist, der der Welt ihren Leib und ihre Seele enthüllt.
Nichts fürwahr ist dem jungen Künstler so gefährlich wie irgendeine Auffassung von idealer Schönheit; sie verführt ihn beständig zu schwächlicher Niedlichkeit oder lebloser Abstraktion. Wollen Sie jedoch das Ideal erreichen, so dürfen Sie es nicht seines lebendigen Wesens entkleiden. Sie müssen es im Leben finden und in der Kunst neu schaffen.
Kein großer Künstler sieht die Dinge, wie sie wirklich sind. Täte er es, so wäre er kein Künstler mehr.
Durch die Kunst, die Kunst allein, erreichen wir unsere Vollendung.
Ein Kunstwerk ist das unverwechselbare Ergebnis eines unverwechselbaren Temperaments. Seine Schönheit beruht auf der Tatsache, daß der Schöpfer ist, was er ist.
Die Kunst ist die intensivste Form des Individualismus, die die Welt kennt.
Ein wirklicher Künstler glaubt an sich, weil er ganz und gar er selbst ist.
Nur die Mittelmäßigkeit macht Fortschritte. Ein Künstler bewegt sich in einem Kreis von Meisterwerken, von denen das erste nicht weniger vollkommen ist als das letzte.