Atlan 454: Erinnerungen an Terra - H.G. Francis - E-Book

Atlan 454: Erinnerungen an Terra E-Book

H. G. Francis

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Beschreibung

Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Während Pthor und die Pthorer es immer wieder mit neuen Beherrschern, Besatzern und Invasoren zu tun haben, trachtet der Arkonide danach, die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis auszuspähen und die Kreise der Mächtigen zu stören. Gegenwärtig geht es Atlan und seinen Gefährten Razamon und Kennon/Axton allerdings nicht darum, den Machthabern der Schwarzen Galaxis zu schaden, sondern es geht ihnen ganz einfach ums nackte Überleben - und das seit der Stunde, da sie auf Geheiß des Duuhl Larx im "Land ohne Sonne" ohne Ausrüstung und Hilfsmittel ausgesetzt wurden. Die Welt, auf der die drei Männer aus ihrer Betäubung erwachen, ist Dorkh, eine Welt, die für die unfreiwilligen Besucher ein Übermaß an Schrecken und tödlichen Überraschungen bereithält. Doch mehr darüber demnächst. Jetzt blenden wir wieder um nach Pthor, wo Grizzard mit dem Körper, in dem er steckt, unvermittelt Schwierigkeiten bekommt. Er bittet die Magier um Hilfe - und dabei kommt es zu seinen ERINNERUNGEN AN TERRA ...

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Nr. 454

Erinnerungen an Terra

Die Horden der Nacht auf der Erde

von H. G. Francis

Atlans kosmische Odyssee, die ihren Anfang nahm, als Pthor, der Dimensionsfahrstuhl, das Vorfeld der Schwarzen Galaxis erreichte, geht weiter. Während Pthor und die Pthorer es immer wieder mit neuen Beherrschern, Besatzern und Invasoren zu tun haben, trachtet der Arkonide danach, die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis auszuspähen und die Kreise der Mächtigen zu stören.

Gegenwärtig geht es Atlan und seinen Gefährten Razamon und Kennon/Axton allerdings nicht darum, den Machthabern der Schwarzen Galaxis zu schaden, sondern es geht ihnen ganz einfach ums nackte Überleben – und das seit der Stunde, da sie auf Geheiß des Duuhl Larx im »Land ohne Sonne« ohne Ausrüstung und Hilfsmittel ausgesetzt wurden.

Die Welt, auf der die drei Männer aus ihrer Betäubung erwachen, ist Dorkh, eine Welt, die für die unfreiwilligen Besucher ein Übermaß an Schrecken und tödlichen Überraschungen bereithält.

Die Hauptpersonen des Romans

Grizzard-Upanak – Ein Mann erinnert sich an seine Vergangenheit.

Copasallior, Querllo und Glyndiszorn – Die Magier bewirken einen Körpertausch.

Lebo Axton – Der Terraner soll aus seinem neuen Körper verdrängt werden.

Razamon

1.

Die Büsche teilten sich, und eine stählerne Gestalt trat auf die Lichtung hinaus, in deren Mitte sich ein Brunnen befand. Ein Mädchen erhob sich aus dem Gras und trat der drohend wirkenden Gestalt entgegen.

»Hallo«, sagte sie lächelnd.

»Hallo«, antwortete der Stählerne.

Sie betrachtete ihn und wartete darauf, dass er irgend etwas tat. Doch die stählerne Gestalt stand einfach nur vor ihr und schwieg.

»Was ist los mit dir, Grizzard?«, fragte sie. »Warum steigst du nicht aus?«

Der Angesprochene antwortete nicht.

Unwillig krauste sie die Stirn.

»Glaubst du, ich habe den langen Weg von Moondrag gemacht, um eine Rüstung zu umarmen? Oder – bist du gar nicht Grizzard?«

Sie wich vor ihm zurück.

»Doch, Enis, ich bin Grizzard«, tönte es dumpf unter der Rüstung hervor, »aber – ich fühle mich nicht wohl.«

Ihr Unmut verflog schnell. Sie lächelte.

»Ach, das ist es. Aber dann solltest du wirklich aus dem scheußlichen Ding hervorkommen. Frische Luft tut dir gut. Du weißt, dass mich dein Äußeres nicht stört. Oder hast du das vergessen?«

Als Grizzard auch jetzt noch nicht aus der Porquetor-Rüstung stieg, ging sie um ihn herum und klopfte gegen das Metall. Nun endlich öffnete er die Verschlüsse und kletterte mit ihrer Hilfe aus der Rüstung hervor. Sie lachte, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.

»Mein kleiner Narr«, sagte sie zu der verkrüppelten Gestalt. »Warum bist du nur so scheu?«

Grizzard lebte in dem Körper Lebo Axtons. Er war 1,52 m groß, schwach wie ein Kind, hatte eine vorgewölbte Brust und einen riesigen Schädel mit stark hervorquellenden Augen. Das spitze Kinn schien zerbrechlich wie Glas zu sein. Die großen, abstehenden Ohren sahen noch abstoßender aus als sonst, da sein Schädel fast kahl geworden war. Nervös zuckte das linke Augenlid.

Grizzard trug einen grünen, abgewetzten Anzug, der ihm viel zu groß war. Die Ärmel hingen so weit über die Hände hinaus, dass Enis diese nicht sehen konnte.

»Wie siehst du aus?«, fragte sie vorwurfsvoll und drückte ihn ein wenig von sich weg. Ihr fiel auf, dass er einen starken Mundgeruch hatte. Sie versuchte, ihn nicht merken zu lassen, wie sehr dieser sie störte. Doch Grizzard kam von selbst darauf zu sprechen.

»Ich sagte doch, dass ich mich nicht wohl fühle«, versetzte er. »Seit Tagen versuche ich alles, um frisch zu sein. Ich spüle Mund und Zähne fast stündlich, aber es hilft nichts.«

»Mach dir nichts daraus«, entgegnete sie. »Das geht vorüber.«

Sie ließ sich ins Gras sinken und gab sich Mühe, unbeschwert zu erscheinen. Tatsächlich aber fühlte sie sich abgestoßen. Grizzard sah schlecht aus. Die Augen waren glanzlos, und die Lippen waren eigentümlich eingefallen. Zunächst konnte Enis sich nicht erklären, wieso das so war. Dann aber durchzuckte es sie.

Er hat Zähne verloren!, dachte sie. Er hat nur noch halb so viele Zähne wie sonst.

Zum ersten Mal seit langer Zeit fragte sie sich, ob es richtig gewesen war, sich ausgerechnet auf ihn zu konzentrieren. Sie hatte das armselige Leben in Moondrag schon lange satt. Sie träumte davon, in der FESTUNG zu leben – nicht jedoch als niedere Dienerin oder gar als Sklavin, sondern irgendwo weiter oben auf der gesellschaftlichen Rangliste. Sie wusste nicht, wie es in der FESTUNG aussah. Das war ein Grund dafür gewesen, dass sie sich mit Grizzard befasst hatte. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie sie ihn bei ihrem ersten Treffen an dieser Stelle überrascht hatte. Zufällig hatte sie beobachtet, wie er aus der Rüstung kroch, um sich im Brunnen zu waschen. Sie hatte die Gelegenheit ergriffen, ihn kennen zu lernen.

Natürlich hatte sie von Porquetor gehört, von seiner Entmachtung und davon, dass jemand anderes jetzt in seiner Rüstung lebte. Auch dieser andere war mächtig, so hieß es, und sie hatte sich gesagt, dass sie nur mit Hilfe eines Mächtigen in die FESTUNG kommen und dort ebenfalls zu einer Mächtigen werden konnte.

Im Gespräch mit ihm hatte sie sogar sein hässliches Äußeres vergessen. Sie hatte gemerkt, dass er eine beeindruckende Persönlichkeit war, mit der sich reizvoll plaudern ließ.

Seitdem musste etwas geschehen sein.

Grizzard war anders als bei ihrem letzten Treffen. Er wirkte unsicher und unglücklich. Irgend etwas beschäftigte und quälte ihn. Bestürzt fragte sie sich, ob er einen Machtverlust erlitten hatte, oder ob sonst etwas geschehen war, was ihre Erfolgsaussichten verminderte.

Sie hatte kein schlechtes Gewissen, weil sie versuchte, ihn zu täuschen und dadurch zu einem besseren Leben zu kommen. Die Zustände in Moondrag erschienen ihr unerträglich. In der FESTUNG konnte es nur besser sein. Deshalb schien ihr jedes Mittel erlaubt, das ihr ermöglichte, dorthin zu kommen und unter Umständen zu leben, die menschenwürdiger waren.

Grizzard setzte sich ins Gras. Er blickte sie an.

»Du bist schön, Enis«, sagte er. »Ich habe von dir geträumt. Oft. Und ich habe bereut, dass ich dich damals weggeschickt habe. Ich hätte dich gleich mit in die FESTUNG nehmen sollen.«

»Damals war es wohl nicht möglich«, erwiderte sie.

Er hatte tiefe Ränder unter den Augen.

»Gib mir deine Hand«, bat sie. Er zögerte, doch sie gab nicht auf.

Schließlich schob sich seine Hand unter dem Ärmel hervor, doch nun zuckte die Hand des Mädchens zurück. Sie sah, dass die Fingerspitzen braun waren.

»Du bist krank«, sagte sie erschrocken. »Du bist schwer krank. Gibt es keinen Arzt in der FESTUNG, der dich behandeln könnte?«

Grizzard erhob sich mühsam. Er schüttelte den Kopf.

»Meine Krankheit kann niemand vertreiben«, erwiderte er keuchend. »Sie frisst mich auf.«

Sie dachte über seine Worte nach, und plötzlich weiteten sich ihre Augen. Sie eilte zu ihm und wollte ihm die Hände an die Schultern legen. Sie war jedoch so ungeschickt, dass sie ihn dabei umstieß. Grizzard stürzte ins Gras. Die Ärmel rutschten über die Handgelenke hinaus, und sie sah, dass seine Hände und die Unterarme mit braunen und schwarzen Flecken übersät waren.

»Das ist es also«, sagte sie mit tonloser Stimme und wich wie vor einem Aussätzigen vor ihm zurück. »Du verfaulst bei lebendigem Leib. Und ich habe gedacht, durch dich könnte ich in die FESTUNG und zu einem besseren Leben kommen. Wie konnte ich nur!«

Seine Augen wurden feucht.

»Enis«, flüsterte er mühsam. »So etwas darfst du nicht sagen.«

Sie schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging wortlos davon. Er kroch hinter ihr her und versuchte sich aufzurichten, aber er war zu schwach. Er konnte noch nicht einmal ihren Namen rufen. Er wurde sich dessen bewusst, wie demütigend die Situation für ihn war. Keuchend blieb er im Gras liegen. Er blickte auf seine Hände. Kalte Schauer liefen ihm über den Rücken.

Er wusste, dass sie Recht hatte!

Enis hatte die Wahrheit gesagt. Er verfaulte bei lebendigem Leib. Der Körper, in dem er leben musste, stieß ihn ab, als sei er etwas Fremdes, das nicht zu ihm passte.

Grizzard horchte in sich hinein.

Er war etwas Fremdes. Dies war nicht sein Körper, sondern der Lebo Axtons. Er hasste diesen Körper, in dem er leben musste, wie er noch nichts zuvor gehasst hatte. Und er war unglücklich in ihm. Er spürte das Mitleid der anderen, und er fühlte sich dadurch gedemütigt. Die Verachtung oder die Abscheu aber einiger anderer machten ihm nur wenig aus. Es war nicht seine Schuld, dass er in diesem Körper lebte. Ein unglücklicher Zufall war für den Körpertausch verantwortlich.

Er glaubte, genau zu wissen, wie alles geschehen war.

Lebo Axton war durch die Dimensionen nach Pthor gekommen. Er hatte den Dimensionsfahrstuhl zu dem Zeitpunkt erreicht, als er in der Senke der verlorenen Seelen aus seinem Tiefschlaf erwacht war. In diesem Moment war es zum Tausch gekommen. Axtons Ich hatte sich in seinem Körper gefangen, und sein Ich war in den verwachsenen Körper Axtons geglitten.

Seitdem hatte Grizzard versucht, den Tausch wieder rückgängig zu machen. Es war ihm nicht gelungen.

Und jetzt musste er feststellen, dass der Körper Axtons ihn abstieß.

Hing das etwa damit zusammen, dass Lebo Axton vielleicht nicht mehr am Leben war?

Grizzard hatte kaum noch Hoffnung, zu seinem Körper zu kommen. Er rechnete damit, dass Axton gemeinsam mit Atlan und Razamon von dem wütenden Neffen Duuhl Larx im Rghul-Revier umgebracht worden war.

Er blickte auf seine Fingerspitzen.

Das Gewebe war gangränös. Es starb ab, weil es nicht mehr ausreichend durchblutet wurde. Dieser Verfall betraf nicht nur seine Hände. Noch stärker waren die Füße davon betroffen. Die Zehen waren bereits schwarz.

Und in der FESTUNG gab es keinen Arzt, der das gangränöse Gewebe hätte behandeln können. Es gab niemanden, der ihm hätte helfen können. Grizzard wusste, dass im Grunde genommen Hände und Füße amputiert werden mussten, doch davor schreckte er zurück, weil er danach völlig hilflos gewesen wäre. Er hätte noch nicht einmal die Porquetor-Rüstung steuern können. Schlimmer jedoch war noch, dass auch mit derartigen Amputationen keine Wende erreicht worden wäre. Er hatte Zähne verloren, und er wusste, dass dafür die gleiche Erscheinung verantwortlich war. Er wusste, dass er aus dem Mund roch, und dass dafür absterbendes Gewebe verantwortlich war. Der Axton-Körper war nicht mehr in der Lage, für das richtige Säuremilieu in den Schleimhäuten zu sorgen. Das führte zwangsläufig zu Sekundärerkrankungen, die noch quälender waren als der Verfall des Körpers.

Grizzard wusste, dass bald auch die anderen Schleimhäute befallen werden würden. Pilze würden sich ansiedeln und die Qualen bis ins Uferlose steigern.

Seine Finger gruben sich in den weichen Boden. Grizzard schluchzte. Sein Hass gegen Lebo Axton wurde grenzenlos. Es half nichts, dass er sich ins Bewusstsein rief, dass Axton schuldlos an dem Tausch war. Er hasste ihn dennoch. Mehr als je zuvor. Und daran änderte auch nichts, dass er von seinem Tod überzeugt war.

Axton war ihm bisher stets ausgewichen. Er hatte seinen neuen Körper leidenschaftlich und mit allen nur denkbaren Tricks verteidigt. Grizzard konnte es ihm nicht verdenken. Er hätte in ähnlicher Situation kaum anders gehandelt.

Dennoch hasste er Axton für das, was er getan hatte.

Axton ahnte nicht, welche Qualen er litt.

Er konnte nichts davon wissen, dass er in einem verfaulenden Körper lebte.

Er konnte noch nicht einmal ahnen, wie sehr Hände und Füße schmerzten.

Grizzard vernahm Stimmen in der Nähe. Er raffte sich auf, kroch auf allen vieren zur Rüstung, richtete sich daran auf und kletterte mühsam hinein, wobei er ständig fürchtete, dass sie umkippen könnte. Es gelang ihm, in die Rüstung zu kommen und sie zu schließen. Unmittelbar darauf betraten zwei Technos die Lichtung. Er beobachtete sie durch die Sichtschlitze des Helms. Ehrfurchtsvoll blieben sie stehen, blickten ihn an und warteten darauf, dass er etwas sagte. Dann zogen sie sich leise zurück und verschwanden im Gebüsch.

Grizzard war sicher, dass die Begegnung anders verlaufen wäre, wenn sie ihn so schwach und hilflos im Gras gesehen hätten.

Erschöpft ließ er den Kopf sinken. Die Rückenmuskeln schmerzten so stark, dass er sich kaum aufrecht halten konnte. Er sehnte sich danach, ausschlafen zu können. Das war ihm in den vergangenen Tagen nicht vergönnt gewesen. Immer wieder war er aufgewacht, weil die Schmerzen ihn nicht ruhen ließen.

»Warum hängst du noch an diesem Leben?«, fragte er sich. »Welchen Sinn hat dieses Leben noch? Ist das überhaupt noch ein Leben? Ist das nicht vielmehr schon der Tod? Oder bin ich ihm nicht zumindest näher als dem Leben? Warum schreckst du vor dem letzten Schritt zurück? Warum tötest du dich nicht selbst? Dann haben alle Qualen ein Ende.«

Einige Minuten lang gab er sich dem Gedanken hin, Selbstmord zu begehen. Und er dachte nur noch darüber nach, wie er sich töten sollte.

Doch dann erwachte Widerstand in ihm.

War es wirklich richtig, einfach aufzugeben? Hatte Axton dann nicht endlich freie Bahn – falls er noch lebte? Vielleicht wartete Axton nur auf ein derartiges Ereignis? Deutete nicht sogar manches darauf hin?

Grizzard glaubte Axton vor sich sehen zu können – jenen Körper, der ihm gehörte, der schön und vollkommen war.

Nein, durchfuhr es ihn, wenn ich schon sterben muss, dann nicht in diesem verkrüppelten Körper, dann in meinem eigenen Körper.

War das nicht sein gutes Recht?

Und war das nicht zugleich auch der einzige Weg, mit dem er einen Triumph Axtons verhindern konnte?

Er richtete sich auf. Seine Hände ballten sich zu Fäusten.

Noch einmal würde er alle Energien mobilisieren, die in ihm waren. Mit letzter Kraft würde er kämpfen. Ihm blieben vielleicht nur noch Stunden, den Körpertausch herbeizuführen. Wenn er diese letzte Frist nicht nutzte, war alles zu spät. Er musste sie nutzen. Und nur die Magier konnten ihm dabei helfen.

Die Magier?

Wo waren die?

Grizzard horchte in sich hinein. Viel war geschehen in den letzten Tagen. Die Machtverhältnisse in der FESTUNG hatten sich mehrfach geändert. Immer neue Gerüchte waren aufgetaucht.

War Thamum Gha der wirkliche Herrscher? Oder waren es die Göttersöhne, die als die Herren auftraten? Oder waren gar die Magier diejenigen, die die Macht in Händen hielten?

Grizzard atmete einige Male tief durch. Er hatte das Gefühl, dass sich seine Sinne verwirrten. Was spielte das alles für eine Rolle, wo es ihm doch nur darum ging, unter menschenwürdigen Umständen sterben zu dürfen?

Für ihn konnte nur wichtig sein, wie er zu den Magiern kam. Er musste sie so schnell wie möglich finden und dazu bringen, dass sie ihm halfen. Er war sich klar darüber, dass das schwer sein würde. Dennoch war er optimistisch. Mit der Überzeugung des Sterbenden glaubte er daran, dass die von ihm gefasste Idee die einzig richtige war – und dass alle anderen sich dieser Idee beugen würden.

Er griff in die Schaltungen der Porquetor-Rüstung und drehte sich um. Dann marschierte er in Richtung FESTUNG.

Er hatte Mühe, die Augen offenzuhalten. Er war müde, und nicht nur die Extremitäten wurden nicht mehr durchblutet, auch das Gehirn war in Mitleidenschaft gezogen. Die Nervenbahnen begannen sich zu zersetzen. Seine Reaktionen ließen nach, und das Wahrnehmungsvermögen sank.

Grizzard eilte mit seiner Rüstung mitten durch die Parkanlagen der FESTUNG und zerstörte dabei die Aufbauarbeit von vielen Wochen, ohne es zu bemerken. Zwei Technos stellten sich ihm heftig gestikulierend in den Weg, um ihn daran zu hindern, einige Kleinplastiken zu zertrampeln. Vergeblich. Er sah die Technos nicht und hätte auch sie überrannt, wenn sie nicht im letzten Moment zur Seite gesprungen wären.

Grizzard merkte, dass ihm die Sinne schwanden. Die Angst, zu lange gewartet zu haben, drohte ihn zu übermannen. Starb er bereits? Hatte er seine letzte Chance vertan, weil er untätig geblieben war?

Plötzlich hatte er Angst, dass er vergeblich nach den Magiern suchen würde.

Ihm blieb keine Zeit mehr, bis zur Großen Barriere von Oth zu laufen. Er musste die Magier – oder doch wenigstens einen von ihnen – hier im Bereich der FESTUNG finden.

Er sank nach vorn und merkte nicht, dass er die Rüstung noch mehr beschleunigte.

Ihm schwanden die Sinne.

Sein Körper fiel auf die Schaltungen. Die Rüstung stürmte voran und schleuderte alles zur Seite, was ihr in die Quere kam. Sie durchbrach die Wand eines kleinen Gebäudes im Park vor der FESTUNG, zerschmetterte das Inventar, zerfetzte die Rückwand und rannte ins Freie.

Grizzard bemerkte davon nichts.

Einige Technos verfolgten ihn. Sie schrien, um andere zu warnen. Und endlich reagierte ein anderer Techno auf diese Rufe. Er spannte ein Seil zwischen zwei Bäumen, und er hatte kaum den letzten Knoten festgezurrt, als sich Porquetors Stahlbeine am Seil verfingen. Die Rüstung stürzte vornüber auf den Boden. Die Beine bewegten sich weiter wie zuvor, doch nun rammten sich nur die Knie und die Fußspitzen in den Boden, ohne dass sich etwas änderte. Der bewusstlose Grizzard wurde in der Rüstung hin und her geworfen, erwachte jedoch nicht.