Auf der sonnenheißen Halde - Hans Ernst - E-Book

Auf der sonnenheißen Halde E-Book

Hans Ernst

0,0
16,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In dem kleinen Haus auf der sonnenheißen Halde führen Margret Stuttberger und ihr Vater ein glückliches Leben in sehr bescheidenen Verhältnissen. Margret ist mit dem Jäger Martin Luger verlobt, und die beiden freuen sich auf ihre Hochzeit. Am Vorabend des ungeduldig erwarteten Tages aber wird Martin von einem Wilderer erschossen, für Margret bricht die Welt zusammen. Viele Jahre vergehen, bis sie ihr Leid vergessen kann und bereit ist, den Bauern Lorenz Hoiger zu heiraten. Hans Ernst erzählt in diesem Roman ein Schicksal aus den Bergen seiner oberbayerischen Heimat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 1997

© 2017 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelfoto: Michael Wolf, München

Redaktionelle Bearbeitung: Petra Schnell, Stephanskirchen am Simssee

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN 978-3-475-54725-6 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Auf der sonnenheißen Halde

In dem kleinen Haus auf der sonnenheißen Halde führen Margret Stuttberger und ihr Vater ein glückliches Leben in sehr bescheidenen Verhältnissen. Margret ist mit dem Jäger Martin Luger verlobt, und die beiden freuen sich auf ihre Hochzeit. Am Vorabend des ungeduldig erwarteten Tages aber wird Martin von einem Wilderer erschossen, für Margret bricht die Welt zusammen.

Viele Jahre vergehen, bis sie ihr Leid vergessen kann und bereit ist, den Bauern Lorenz Hoiger zu heiraten. Hans Ernst erzählt in diesem Roman ein Schicksal aus den Bergen seiner oberbayerischen Heimat.

– 1 –

Der Wald war sommernachtsstill, und die Hitze nistete noch nicht in den Wipfeln, als Professor Velden mit seinem Jäger Martin Luger den holperigen Weg hinaufstieg.

Zwei Stunden waren sie bereits gewandert vom Dorf St. Andrä herauf, in dem sich Professor Velden zwei kleine Zimmer gemietet hatte. Vor fünf Jahren hatte er die Gemeindejagd zum zweiten Mal gepachtet, und seit dieser Zeit war Martin Luger sein verlässlicher Jäger. Bei ihm wusste er die Jagd in guten Händen, zumal er selber aus seiner Privatklinik in der Stadt nur übers Wochenende schnell einmal kömmlich sein konnte.

Professor Velden war ein rüstiger Fünfziger, auf dessen breitem Rücken die Doppelflinte wie ein Spielzeug hing. Der Jäger ging mit langem, zügigem Schritt voraus. Er war etwa sechsundzwanzig Jahre alt, eine Gestalt, die nur aus Knochen und Sehnen bestand. Sein Gesicht war jetzt, Anfang Juni, schon so braungebrannt, als hätte er tagelang in sengender Augusthitze unter freiem Himmel gearbeitet. Die Brauen über den dunklen Augen und das kleine Bärtchen auf der Oberlippe schienen fast weiß gegen die dunkle Haut, die bis weit über die Brust sichtbar war, weil er das Hemd immer weit offen trug.

Als sie abermals eine halbe Stunde gewandert waren, zogen ihnen leichte Nebelschleier entgegen. Der Professor blieb stehen und hob schnuppernd die Nase.

»Wir werden doch nicht schlechtes Wetter kriegen?«

Der Jäger schüttelte den Kopf. »Der Nebel kommt nur vom Firnschnee herüber, der immer noch da drüben in der Scharte liegt. Es wird einen ganz herrlichen Tag geben, Herr Professor.«

Und tatsächlich, nach kurzer Zeit schon zerrissen die Nebelschleier, die Sterne waren auf einmal alle erloschen, und über den östlichen Bergen erhob sich eine schimmernde Helle. Der Tag erwachte.

Sie hatten ein Latschenfeld erreicht, und der Jäger blieb stehen, legte seinen Rucksack ab und nahm das Fernglas vor die Augen.

»Hier muss der Hirsch kommen«, versicherte er mit einer Bestimmtheit, die jeden Irrtum ausschloss.

»Hoffen wir’s«, meinte sein Herr etwas skeptischer und suchte nach einem geeigneten Platz zum Niedersetzen. Die aufsteigende Sonne fiel nun über die Berge, auf die Buckel und Almfelder. Die letzten Morgenschleier zerrissen, und man konnte mit dem Fernglas jetzt das Dorf St. Andrä und seinen kleinen See in der Tiefe ganz gut ausmachen. Jenseits des Sees schimmerten die weißen Mauern von Schloss Wellbrunn mit der gepflegten Parkanlage. Trotz der frühen Morgenstunde war bereits ein Boot mit einem einsamen Ruderer auf dem See.

Auch Professor Velden hatte sein Glas an die Augen gehalten und sah in die Runde. Tief unten lag die Röckl-Alm. Soeben öffnete sich die Tür, und die Sennerin trat heraus, streckte die Arme hoch, als wolle sie den neuen Tag mit dieser Gebärde begrüßen. Dann ging sie zum Brunnen, streifte das Leibchen ab und begann sich zu waschen.

In diesem Augenblick stupste der Jäger seinen Herrn leise an.

Um einen Buckel im Latschenfeld, kaum hundert Schritte entfernt, bog ein Schatten und gabelte mit dem mächtigen Geweih wie spielend in die Büsche.

»So ein Trumm Hirsch!«, wisperte der Jäger aufgeregt.

Der Professor entsicherte ganz ruhig seine Büchse. Sein Gesicht war ohne jede Erregung, nur seine linke Schläfe zuckte ein wenig. Die schmalen Hände hoben jetzt das Gewehr.

Auf einmal witterte der Hirsch sie, warf das Geweih in die Höhe und wandte sich zur Flucht. Aber da krachte bereits der Schuss. In der Morgenstille dröhnte das Echo wie Hammerschläge durch alle Schluchten und Schründe. Ein mattes Gepolter im Geröll hinter dem Latschenhang, über das der Hirsch hinuntergeflüchtet – dann auf einmal Stille.

Ein paar Minuten saß der Jäger mit wildklopfendem Herzen und lauschte talwärts. Dann sprang er auf und rannte den Hang hinunter. Langsam folgte ihm der Professor, und als er unten ankam, eilte ihm der Jäger schon mit dem Bruch entgegen. Seine Augen blitzten vor Freude.

»Gratuliere, Herr Professor, zum ersten Hirsch in diesem Jahr! So was von einem Hirschen! Schaun S’ doch bloß einmal her, was der für ein Geweih hat! Und ein Schuss wie gezirkelt! Mitten aufs Blatt! Das muss Sie doch freun, Herr Professor!«

»Natürlich freut es mich, Martin«, lachte Velden und schob die Hand des Jägers zurück, die ihm das feststehende Messer hinhielt. »Nein, mein Lieber. Das mach nur du. Ich schneide in meiner Klinik das ganze Jahr über genug. Wenn du fertig bist, komm in die Jagdhütte. Ich gehe schon voraus. Vielleicht kannst du den Weg über den Holzschlag nehmen, dass ein paar Holzknechte den Hirsch ins Tal bringen.« Er steckte den Bruch an seinen Hut, warf die Büchse auf den Rücken und ging davon.

Der Jäger kam nicht mehr dazu, sein Bündel loszuwerden, das er auf dem Herzen trug. Angesichts des herrlichen Jagdglücks, das seinem Herrn gerade zuteil geworden war, wäre es ihm leichter gefallen, von der schwierigen Sache zu reden, die sich nicht mehr länger hinausschieben lassen konnte. Seufzend zerrte er die Jacke herunter und kniete sich dann nieder, um an dem erlegten Hirsch das weidmännische Handwerk zu vollbringen. Nachdem er Herz und Leber im Rucksack verstaut und den Hirsch mit ein paar Latschenzweigen zugedeckt hatte, stieg er durch den Luchtengraben zum Holzschlag, von wo schon lange das feine Singen der Sägen und der helle, metallene Axtschlag herüberschallten.

Weil es Samstag war und sie ohnehin ins Tal mussten, passte es den Holzknechten, den Hirsch um die Mittagsstunde mitzunehmen, wo sie ihn beim Wirt »Zur goldenen Gams« abzuliefern hatten.

»Ist’s Eingeweid noch dabei?«, fragte einer der Holzknechte.

»Das könnt euch grad so passen!«, lachte Martin Luger und schob das verfilzte Hütl mit der wippenden Adlerfeder aus der Stirn. »Behüt euch! Ich muss schaun, dass ich zur Jagdhütte komm, der Professor wartet.«

Den Bergstock ergreifend, sprang er über ein paar gefällte Stämme hinweg und folgte einem Steig, der sich leicht aufwärts und dann wieder abwärts zog und schließlich zur Jagdhütte führte. Als er schon ziemlich nahe war, vernahm er den zärtlichen Schlag einer Drossel. Er blieb stehen und horchte mit schiefgehaltenem Kopf. Dieser süße Vogelruf erweckte in ihm die Erinnerung an jenen Abend vor einem Jahr, als er auf der sonnenheißen Halde unterhalb des Prinzenwaldes der Margret Suttberger zum erstenmal begegnet war.

Ein Jahr war das schon wieder her, und er meinte, es sei erst gestern gewesen, dass er mit ihr über das Johannisfeuer sprang und sie dann heimbegleitete. Die Margret war damals gerade aus Miesbach heimgekommen, wo sie drei Jahre gewesen war, um das Schneiderinnenhandwerk zu erlernen. Und nun sollte sie in ein paar Wochen seine Frau werden. In der Kirche waren sie bereits zum erstenmal verkündet worden, und auch an der schwarzen Tafel neben dem Bürgermeisteramt waren sie angeschrieben.

Seit dem gestrigen Abend drückte Martin Luger schon umeinander, seinem Herrn dieses wichtige Ereignis mitzuteilen. Aber das war geradezu merkwürdig an diesem Jäger: Sonst ein Kerl, der mit beiden Füßen fest im Leben stand, dem keine Wand zu steil und kein Weg zu weit war, war er in diesen Dingen aber von einer seltsamen Verschlossenheit, ja, geradezu von einer hilflosen Scheu. Damals, vor fünf Jahren, hatte Professor Velden einen ledigen Jäger gesucht und den Martin Luger in seine Dienste genommen. In seiner etwas burschikosen Art hatte er auch erklärt, warum er lieber einen Unverheirateten hätte. Ein Jäger gehöre in den Wald und solle ganz sorglos leben können. Wären aber erst ein Weib da und Kinder, so sei sein Leben mit Sorgen belastet, die sich auch auf den Dienst auswirkten.

Martin hatte bereits schon daran gedacht, den Dienst zu quittieren und im Sägewerk Molzer in St. Andrä zu arbeiten. Niemand, nicht einmal Margret, wusste, wie schwer ihm das Herz bei dem Gedanken daran wurde, denn er war Jäger mit Leib und Seele.

Mit einem Seufzer, der so tief war, als hätte er ihn aus einem Brunnen heraufgeholt, machte er sich wieder auf den Weg und sah nach kurzem schon die kleine Blockhütte vor sich liegen.

– 2 –

Die Jagdhütte besaß nur zwei Räume. Einer war mit einem kleinen Herd und alten Bauernmöbeln ausgestattet, im zweiten standen nur ein Schrank und ein Feldbett, in dem der Professor zu schlafen pflegte.

Im Herd brannte bereits ein Feuer, und der Professor saß hemdsärmelig hinter dem Tisch. In seinen Augen leuchtete die stille Freude eines Menschen, der sich für ein paar Tage vom hektischen Trubel seines Wirkungskreises hatte lösen können.

Als er den Schritt seines Jägers hörte, schob er sich hinter dem Tisch hervor und trat unter die Tür.

»Du kommst schon, Martl? Das ist recht. Ich hab einen Hunger wie ein Wolf!«

Der Jäger hängte seine Büchse an den Haken und zerrte den Rucksack herunter.

»Möcht der Herr gern Leber sauer oder lieber Herz gedünstet?«

»Nein, das Herz lassen wir uns morgen von der Gamswirtin drunten auf dem Rost zubereiten. Wir machen uns jetzt saure Leber. Schneid nur gleich die Zwiebeln her. Essig ist doch noch da?«

Es war alles da, und nach kurzer Zeit duftete es im Hüttenraum so herrlich, dass dem Professor das Wasser im Mund zusammenlief.

»Du kochst so gut, Martl, dass du überhaupt nie zu heiraten brauchst«, stellte Velden seinem Jäger das Zeugnis aus.

Die Ärmel hochgekrempelt, stand Martin vor dem Herd und rührte in der Pfanne. Er duckte bei diesem Lob den Kopf. Dann räusperte er sich.

»Wegen der Kocherei vielleicht nicht, Herr. Aber es gibt ja auch noch andere Sachen.«

»Was für Sachen?«

»Na ja, so halt.« Martin legte ein hölzernes Tablett auf den Tisch und stellte die dampfende Pfanne darauf. Dann öffnete er die kleine Falltür im Hintergrund und nahm zwei Flaschen Bier aus dem Felsloch, das gute zwei Meter im Durchmesser hatte.

Der Professor hatte bereits zu essen begonnen und stellte wiederum fest: »Wenn es meine Frau auch hundertmal versucht, sie bringt einfach diesen Geschmack nicht zustande wie du.«

»Dabei ist es ganz einfach. Zwiebeln, Essig, ein Stäuberl Mehl, je eine kleine Prise Paprika, Pfeffer und Salz.«

»Es kommt eben auf die genaue Dosierung an. Nicht zu viel und nicht zu wenig. Und dann, denke ich, darf die Leber wahrscheinlich auch nicht zu lang über dem Feuer stehen.«

»Sonst wird sie zäh«, bestätigte Martin.

Der Professor brockte sich Brot in die Pfanne und strich den letzten Rest der köstlichen Soße heraus. Dann griff er nach der Zigarrenkiste, die auf dem Fensterbrett stand. Er zündete die kostbare Brasil aber nicht an, sondern brach sie in der Mitte durch und steckte die eine Hälfte in eine kurze Pfeife. Schweigend reichte Martin ihm Feuer.

Nachdem er die ersten Rauchwölkchen genießerisch gegen die niedere Decke geblasen hatte, stemmte er beide Ellenbogen auf den Tisch und sah seinen Jäger forschend an, der gerade sein Bierflaschl an die Lippen setzte.

»Du, sag einmal, Martl, was ist denn los mit dir? Ich merke seit gestern abend schon, dass dich was drückt.«

Der Jäger stellte das Bierflasche nieder, behielt es aber weiter in den Händen, gerade so, als brauche er einen Halt. Dann platzte er heraus:

»Heiraten möcht ich.«

Der Professor nahm die Pfeife aus dem Mund, schaute seinen Jäger eine Weile belustigt an und lachte dann laut heraus.

»Und da machst du ein Gesicht, als ob dir die Hennen das Brot weggenommen hätten? Das wäre doch eher ein Grund, dass du dich freust!«

»Ja – das ist nämlich so – indem der Herr Professor einmal gesagt hat –« Er brach ab.

»Was soll ich gesagt haben?«

»Dass ein verheirateter Jäger immer mit Sorgen belastet ist.«

»Ach, das war doch nicht so gemeint, Martl. So gut solltest du mich in all den Jahren doch kennen gelernt haben, um zu wissen, dass ich dir alles Glück gönne. Sonst wäre ich ja ein schöner Egoist.«

Der Jäger schluckte heftig, seine Stirn war in strenge Falten gelegt. »Es ist ja dann auch wegen der Familie.«

»Kinder meinst du?«

Lebhaft nickte der Jäger. »So drei bis vier Stück. Und die kosten Geld.«

»Wem sagst du das? Ich habe doch selber vier.« Der Professor stand auf und begann in der kleinen Stube auf und ab zu wandern. Dann blieb er vor dem Jäger stehen. »Ist es die Suttberger Margret?«

»Ja, mit Verlaub, Herr. Die Margret ist es. Der Herr Professor meint vielleicht, sie könnte noch zu jung sein. Sie ist im Mai neunzehn geworden und ein kreuzbraves, anständiges Mädl.«

»Daran zweifle ich überhaupt nicht, Martl. Und zu jung? Alt wird man von selber. Aber reden wir nicht lang um den Brei herum. Es läuft ja doch schließlich alles da hinaus, dass du ein höheres Gehalt willst. Schon wegen der Familie!«

»Am Anfang müsste es ja nicht gleich mehr sein. Die Margret verdient ja auch was mit ihrer Näherei, und mit den Kindern, ja, da müssten wir halt noch ein paar Jahre warten.«

»Ah, da schau her! Und das alles bloß, weil du deinen Jagdherrn so schlecht kennst und meinst, dass du ihm hundert oder zweihundert Mark mehr nicht wert bist!« Die Pfeife war ausgegangen und Velden zündete sie neu an. »Ich will dir einmal was sagen, Martl. Du hast mir jetzt fünf Jahre treu und ehrlich gedient. Ich weiß, ich habe meine Mucken, aber du hast kein einziges Mal gemurrt. Ich könnte mich an einen anderen Jäger nur schwer wieder gewöhnen. Also bleibt es dabei, dass ich dich aufbessere und du weiter in meinen Diensten bleibst. So – und jetzt bitt ich mir ein anderes Gesicht aus. Ein frohes Gesicht. Ich leg mich jetzt ein paar Stunden hin. Am späten Abend gehn wir nochmals auf Pirsch.«

Er legte die Pfeife auf das Ofensims und ging in die Kammer hinüber, und kurze Zeit später hörte der Martin schon seine tiefen Atemzüge durch die nur angelehnte Tür.

Martin spülte das Geschirr noch ab, fegte die Stube sauber, dann legte er sich draußen unter den Schatten der Bäume. Es kam ihm vor, als sei eine Zentnerlast von seinen Schultern gefallen. Nun wurde ja alles gut! Er brauchte nicht im Sägewerk Molzer zu arbeiten, durfte Jäger bleiben, das Gehalt wurde ihm aufgebessert, und er konnte dann gleich diesen Sommer noch daran gehen, die zwei Dachstübchen im Häusl auf der Halde auszubauen.

Über dem Grübeln und Rechnen fielen auch ihm nach kurzer Zeit bereits die Augen zu. Sie waren ja immerhin schon um halb zwei Uhr in der Frühe aufgebrochen.

– 3 –

Eine Stunde Fußmarsch von St. Andrä in nördlicher Richtung, bergwärts, lag das kleine Anwesen des Ferdinand Suttberger. Man nannte ihn den »Häusler von der Halde«. Die Halde war ein sich weit ins Tal hinunterziehender Wiesenhang, auf dem fast den ganzen Tag über die Sonne lag. Schon am Morgen, wenn sie aufging, fiel das ganze Licht in breiten Strahlen über das kleine, aus Holz gebaute Häusl her. Die ersten Schatten stellten sich erst am späten Nachmittag ein, wenn die Sonne den Grat der westlichen Waldberge erreicht hatte.

Neben dem Häusl war ein kleiner Stall, der nur Platz für zwei Stück Vieh hatte. Gleich vor dem Haus lagen ein paar Felder, die wie dunkle Tücher auf den steilen Hang hingebreitet schienen. Es wuchs nicht viel darauf. Ein paar Zentner Kartoffeln und ein paar Säcke Korn, mehr gaben die Äcker nicht her. In dieser Höhe schienen nur die Steine zu wachsen. Wenn sie auch jährlich aufgelesen und zu einem Mäuerchen hinter dem Haus geschichtet wurden, im nächsten Jahr waren wieder neue Steine da. Die Leute, die hier wohnten, erwarteten schon gar nichts anderes mehr. Das kam vielleicht daher, weil sie zufrieden und glücklich waren. Zwei Menschen lebten zur Zeit nur in dem Häusl, dessen Holz von der Sonne vieler Sommer schon fast schwarz gebrannt war. Das waren der Ferdinand Suttberger und seine schöne neunzehnjährige Tochter Margret. Die Mutter war erst vor zwei Jahren gestorben. Darum hatte Margret auch ihren Traum begraben müssen, drunten in St. Andrä eine Nähstube aufzumachen, um für die Mädchen des Dorfes und die vielen Sommerfrischler die gut sitzenden Dirndlkleider zu schneidern.

Ja, dieser Traum war vorbei. Sie konnte den Vater nicht allein lassen. Nur selten verirrte sich eine Kundschaft so weit herauf. Sie schneiderte aber trotzdem fleißig, durfte die fertigen Dirndlkleider dann im Laden der Familie Kreuzberger in St. Andrä ausstellen, wofür die geschäftstüchtige Kreuzbergerin beim Verkauf so eines Kleides zwanzig Prozent einstrich.

Margret war jung und gesund, sonst hätte sie es manchmal nicht bewältigen können. Der Haushalt machte viel Arbeit, dann saß sie oft bis weit nach Mitternacht noch an der Nähmaschine beim Schein einer schummrigen Lampe.

Aber das sollte ja nun anders werden, hatte der Martin ihr gesagt. Neben seinem Jägerberuf wollte er noch so viel Zeit finden, die paar Acker und Wiesen zu bestellen. Margret konnte dann untertags nähen, und am Abend würden sie dann auf der Hausbank sitzen, Hand in Hand, und hinunterschauen auf das abendliche Dorf mit seinem Lichtgefunkel über dem See. Es musste ein herrliches Leben werden! Margret liebte diesen langaufgeschossenen, ruhigen Burschen mit der ganzen Kraft einer ersten Liebe. Ein Jahr kannten sie sich jetzt, und es war alles ganz klar zwischen ihnen. Eins richtete sich am anderen auf, es gab keine Wolken, und die Zukunft hing wie ein seidener Mittagshimmel über ihnen.

Margret trat aus der Haustür, ging zum Brunnen und ließ den Eimer voll laufen. Sie war ein schlank gewachsenes Mädel, mit dunkelblondem Haar und haselnussbraunen Augen, aus denen ein stilles Hoffen und ein starkes Vertrauen strahlten. Ihr Wesen war von stiller Heiterkeit, sie sang gerne ein kleines Lied vor sich hin und war nie mürrisch, auch wenn sie noch so viel Arbeit hatte.

Die Sonne stand schon schräg über den Wipfeln, die Bäume warfen die ersten, zögernden Schatten über die Halde.

Es war wohl noch etwas zu früh, nach dem Jäger auszuschauen. In zwei Stunden vielleicht konnte er kommen. Weit drüben knarrte ein hochbeladener Heuwagen über die Tennenbrücke beim Hoigerbauern. Die abgeerntete Fläche glänzte in der Ferne wie helles Gold.

So schön sollte man es haben, wie die da drüben im Hoigertal! Helle, luftige Stuben, elektrisches Licht und eine gute Fahrstraße nach St. Andrä hinunter. Am Südhang ertragreiche Äcker ohne Steine, saftige Weidewiesen, die sich bis zum Bergwald hinaufzogen. Margret erinnerte sich, wie sie sich als Kind immer gewünscht hatte, es auch so schön zu haben. Die Kinder von der Hoigen wurden im Winter mit einem Schlittengespann zur Schule gefahren und wieder abgeholt. Sie hatte den weiten Weg immer zu Fuß gehen müssen. Ach ja, sie hatte schon eine recht arme Kindheit auf der Halde erleben müssen. Erst seit sie selber etwas dazuverdiente mit ihrer Näherei, war es etwas leichter geworden, und die Margret sehnte sich nicht mehr danach, dass es anders sein möchte.

Sie trug das Wasser nun ins Haus und schüttete es in einen großen Holzzuber. Dann sah sie nach dem Feuer. Der Vater kam vom Stall herüber und setzte sich auf die Bank neben dem Ofen.

»Was gibt’s heut zu essen?«

»In der Speis draußen liegt ein Stückl schwarzer Presssack für dich«, antwortete Margret. »Oder soll ich dir ein paar Eier aufschlagen?«

Ferdinand Suttberger war jetzt etwa siebzig Jahre alt, ein kleiner, untersetzter Mann mit schütterem, grauem Haar, der schon recht schlecht sah, weswegen er auch eine Brille trug.

Margret holte jetzt den Presssack, richtete Essig, Öl und Zwiebeln in einem Schüsselchen her, in das der Vater sich den Presssack schnitt.

»Kommt der Jäger noch?«, fragte er dann während des Essens.

»Ich weiß nicht genau, Vater. Wenn der Professor da ist, muss er wahrscheinlich wieder bei ihm oben in der Jagdhütte bleiben.«

»Wann ist denn die Hochzeit eigentlich?«

»Du weißt es doch, Vater, am vierundzwanzigsten Juni«, erwiderte Margret.

»Am Johannistag also.«

»Es hat sich grad so ergeben.« Margret setzte sich dem Vater gegenüber an den Tisch, stemmte das Kinn in die Fäuste und sah ihn nachdenklich an. »Manchmal kommt es mir vor, Vater, als wärst du mit allem nicht recht einverstanden?«

»Wie kommst du darauf?«, fragte er unsicher.

»Du sinnierst so viel in letzter Zeit.«

»Soll ich denn lachen, wenn ich mein Kind verliere?«

Ärgerlich wischte Margret Brotkrumen vom Tisch.

»Das hast du mir schon einmal gesagt, Vater. Aber das ist doch Unsinn! Ich gehe ja nicht aus dem Haus.«

»Ja, aber aus meinem Herzen willst du raus.«

»Ach, wer sagt denn das? Wenn du so redest, Vater, möchte ich meinen, dass du mir mein Glück nicht gönnst?«

Erschrocken warf er den Kopf zurück, dass ihm die Brille weit herunterrutschte.

»Wie kannst du so was glauben? Nichts liegt mir näher, als dass du glücklich wirst! Und der Martin, ja, er ist der richtige Mann für dich. Brav, fleißig und auch in der Armut aufgewachsen. Das bindet aneinander, weißt du, jedenfalls ist es besser, als wenn einer von den reichen Bauernsöhnen käm und dich wegholte. Das sieht immer nach ein bissel Gnade aus. Beim Martin aber glaube ich nicht, dass ich Angst haben müsste vor meinen alten Tagen.«

»Es wird sich überhaupt nichts ändern, Vater, nur dass wir von jetzt an wieder zu dritt sein werden, und, wenn Gott es will, im nächsten Jahr zu viert.«

Vor dem Haus war ein Schritt zu hören, und Margret stand freudig erregt auf. Aber es war nicht der Jäger, der jetzt die Stube betrat, sondern der Hoiger Lorenz, ein junger, gut aussehender Bursch, ein paar Jahre älter als die Margret.

»Ach, du bist es«, sagte die Margret, und die Enttäuschung klang ganz deutlich aus ihrer Stimme. Der Lorenz erkannte das auch sofort und lächelte.

»Ja, leider bin’s bloß ich. Der Jäger wär dir lieber gewesen, was?«

»Was führt dich denn heut noch auf die Halde?«

»Der Vater schickt mich, ob du nicht Zeit hättest, in den nächsten Tagen einmal zu kommen. Ein paar Küh bräuchten ’s Ausschneiden.«

Der Suttberger betätigte sich nämlich als Klauenschneider und war ob seiner Tüchtigkeit sehr gesucht. Diese Arbeit führte ihn auf viele Höfe im weiten Umkreis, und manchmal war er gleich drei Tage unterwegs.

»Schau ich halt am Montag gleich einmal ’nüber zu euch. Wie weit seid ihr mit dem Heu schon?«

»Heut haben wir ziemlich was abgeräumt. Wenn das Wetter so aushält, werden wir zu Petri und Paul alles daheim haben.«

Margret sah an dem Burschen vorbei zum Fenster hinaus. »Warum hängst du denn deinen Hut da draußen an den Brunnenschlegel?«, fragte sie.

Lorenz lächelte unsicher.

»Weil ich geschwitzt hab, und da hab ich ihn halt gleich da draußen hingehängt, als ich den Kopf unters Wasser hielt.« Er stand wieder auf. »Also, Suttberger, dann kommst am Montag.«

»Ja, gleich in der Früh nach dem Eingrasen.«

Margret begleitete den Burschen hinaus, nicht nur aus Höflichkeit, sondern weil sie nach dem Jäger ausschauen wollte.

Lorenz nahm seinen Hut und setzte ihn auf und hockte sich auf den Brunnenrand.

»Ja, dann heiratest du also jetzt«, sagte er. »Eigentlich schad.«

Margret verschränkte die Arme über der Brust und sah ihn belustigt an. »Wie meinst denn das?«

»Weil es einfach schad ist um dich.«

Margret nahm neben ihm Platz.

»Das musst mir jetzt schon näher erklären.«

Der Lorenz sah sie lange an. Dann griff er nach ihrer Hand.

»Eigentlich tätst mir auch gut gefallen, Margret, im Ernst. Seit du wieder daheim bist, hast du dich völlig verändert. Im vorigen Jahr hab ich mir schon gedacht, dass ich dich einlad für den großen Kirchweihtanz in St. Andrä. Aber dann ist mir der Jager zuvorgekommen.«

Margret entzog ihm ihre Hand.

»Du hast eben zu lange gewartet. Und wenn ich mich recht erinnere, Lorenz, in der Schule und auch hernach, da hast du mich nie beachtet. Ihr Hoigerischen seid immer so stolz gewesen. Auch deine Schwestern haben immer auf mich runtergeschaut. Freilich, wir sind ja auch bloß die Häuslerleut von der Halde. Die Ärmsten, die ringsum leben.«

»Das darfst auch nicht sagen, Margret. Es gibt noch ärmere. Meinst, dass es wenigstens hinhaut mit dem Jager?«

»Wie hinhaut?«

»Ich mein, ob du da recht glücklich wirst.«

»Ja, Lorenz«, antwortete Margret ohne zu überlegen. »Ich hab ihn gern, und er mag mich. Und mehr braucht es nicht zum Glück. Er war der erste Mensch, der außer meinem Vater wirklich gut zu mir gewesen ist.«

Auch Lorenz stand nun auf.

»Kunststück, wenn man so ausschaut wie du. Zu dir muss man doch gut sein! Und was das Gernhaben betrifft, Margret – ich muss so viel an dich denken in letzter Zeit. Manchmal geh ich drüben bei uns zum Hügel nauf und schau, ob ich dich nicht auf einen Husch sehen kann.«

Immer größer und erstaunter wurde ihr Blick.

»Und das sagst mir jetzt, vierzehn Tage vor meiner Hochzeit?«

»Hätt ich denn Chancen gehabt, wenn ich früher geredet hätte?«

Sie wich seinen fragenden Augen nicht aus, schüttelte nach einer Weile den Kopf.

»Wahrscheinlich nicht, weil ich dir nicht geglaubt hätte. Und dann, was glaubst denn du, was deine Leute dazu gesagt hätten? Der stolze Hoiger, deine Mutter und deine Schwestern?«

Sie sah, wie er bei ihren Worten errötete und zur Seite schaute.

»Gelt, da weißt keine rechte Antwort«, sagte Margret, befriedigt, dass sie recht zu haben schien.

»Das käm immer nur auf mich ganz allein an«, meinte er wenig überzeugend.

»Ganz richtig, Lorenz. Aber so seid ihr ja gar nicht veranlagt. Keiner von euch Bauernbuben, die sorglos und in Reichtum aufgewachsen sind. Manchmal ja, da steigt einer runter aus seiner stolzen Höh und lügt einem armen Luder was vor von der Lieb und dergleichen. Bis sie ihm glaubt. Und bald hat er sie schon wieder vergessen, denn zum Heiraten ist ja so was nicht. Dazu hat ihm der Vater längst eine ausgesucht, wie es so bei euch Brauch ist.«

»Du urteilst aber hart, Margret.«

»Hart oder ungerecht?«

»Oder hast du – ich meine, sprichst du vielleicht gar aus Erfahrung?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mir hätte so was nicht passieren können. Die Mutter, Gott habe sie selig, hat mir früh genug die Augen geöffnet. Der Martl ist der erste Mann in meinem Leben, auch wenn du es vielleicht nicht glauben willst.«

Ohne dass sie es recht bemerkt hatten, war die Nacht niedergesunken. Am Himmel tanzten schon abertausend Sternblumen.

In der Stube hatte der alte Suttberger bereits Licht gemacht und wanderte von der Stube in seine Schlafkammer.

»Der Vater geht schon ins Bett«, sagte Margret.

»Ja, muss ich auch heimgehn jetzt?«, antwortete Lorenz und zog seine Frage so in die Länge, dass sie die Antwort des Mädchens, noch zu bleiben, erfordert hätte. Aber Margret dachte gar nicht daran, ihn dazu aufzufordern. Vielleicht kam der Martin doch noch. Und wenn nicht, dann wollte auch sie sich schlafen legen, denn in der vorigen Nacht hatte sie bis Mitternacht an der Nähmaschine gesessen.

– 4 –

Über St. Andrä lagen schon die tiefen Schatten des Abends, als im Studierzimmer des hochwürdigen Herrn Dekan Stüber das Licht angeknipst wurde. Hinter dem Pfarrherrn betraten ein wenig scheu und befangen der Jäger Martin Luger und die Margret Suttberger den großen Raum, in dessen Ecke eine Mariengrotte stand, vor der ein rotes Licht brannte.

Sie hätten nicht so befangen zu sein brauchen, der alte Herr mit seinem schneeweißen Haar war voller Herzensgüte, besonders zu denen, die so arm zu ihm kamen wie die beiden. Der Jäger hatte einen dunkelgrauen Steireranzug an, an dessen Ellbogen zwei lederne Herzen aufgenäht waren. Das Mädchen trug die dunkle, strenge Halbtracht des Tales, die sie ein wenig älter erscheinen ließ. In der Hand hielt sie ein dickes Gebetbuch. Aber das hätte sie gar nicht gebraucht, denn der geistliche Herr wollte ja keine Betstunde mit ihnen abhalten, sondern nur das übliche Stuhlfest zur Auffrischung des schon Vergessenen aus der Religionsstunde und zur Ermahnung für das Kommende.

»So, bitte schön, nehmt nur Platz. Ja, dort auf dem Kanapee. Wie geht’s denn dem Vater, Margretl?«

»Dank schön, Herr Pfarrer, so weit recht gut. Die Augen lassen halt recht aus bei ihm.«

»Bei mir auch, bei mir auch«, seufzte der Dekan, zog sich einen Stuhl herbei und setzte sich den beiden gegenüber. »Ich hab jetzt schon die dritte Lesebrille. Man hätte sich in der Jugend Ohrringe stechen lassen sollen. Das soll angeblich für die Augen gut sein. So, da seid ihr nun. In drei Tagen also wird die Hochzeit sein. In der Früh um sieben Uhr, glaub ich. Warum eigentlich schon so früh?«

»Wir wollen kein großes Aufsehen«, antwortete die Margret, und der Jäger nickte zustimmend.

»Wenn man so jung und so schön ist wie du, Margretl, dann sollt man sich ruhig bewundern lassen. Bist eine meiner liebsten Schülerinnen gewesen. Herr Bräutigam, da kann ich Ihnen nur gratulieren! Also fangen wir gleich einmal bei dir an, Margretl. Kannst du mir sagen, was die Engel sind?«

»Die Engel – die Engel – das sind rein geistige Wesen, die Gott anbeten und alles tun, was er ihnen anschafft.«

»So ähnlich, ja«, nickte der Dekan. »Und seine Aufträge erfüllen, heißt es eigentlich. Aber der Sinn ist der gleiche, wie du es ausdrückst. Was weißt du vom Heiligen Geist?«

»Der Heilige Geist, das ist – das ist eine weiße Taube«, stotterte die Margret, weil ihr nichts anderes einfiel.

»So? Na ja, ich will es gelten lassen. Der Heilige Geist ist die dritte göttliche Person.«

»Auf der Zung hab ich’s gehabt«, gestand die Margret. »Aber rausbracht hab ich’s halt nicht.«

»Macht nichts, Margretl. Wenn du es auf der Zunge hast, dann lebt es auch in deinem Herzen. Und das ist die Hauptsache. So – und nun zu Ihnen, Herr Bräutigam. Was war denn der heilige Josef?«

Der Jäger klammert seine Faust so fest um die Krempe des Hutes, dass es leise knirscht. Schweiß stand unter seinem lockigen Haar auf der Stirn.

»Das war ein Zimmerer«, gluckste er heraus.

»Ein Zimmermann, jawohl. Aber wie sagt man denn noch zu ihm?«

»Sepp.«

Hier musste der Dekan herzlich lachen.

»Stimmt, zu Josef sagt man im Volksmund auch Sepp. Aber das habe ich nicht gemeint. Ich meine, was für eine bedeutende Rolle hat er sonst gespielt?«

»Er war der Nährvater.«

»Sehr richtig. Der Nährvater, Betreuer und Beschützer der Heiligen Familie. Und weil wir jetzt schon bei der Familie sind, wollen wir gleich dabei bleiben. Ihr beide steht ja nun vor der großen und heiligen Aufgabe, eine Familie zu gründen. Zwei Menschen, die das Leben nun fortan miteinander tragen wollen, bis der Tod euch einmal scheidet. Es gibt nicht lauter Sonnentage in so einem Leben. Kinder kommen – oder sollen wenigstens kommen, weil eine Ehe ohne Kinder wie eine Suppe ohne Salz ist – seht, dann kommen mitunter auch Sorgen und Schatten. Dann müssen zwei Menschen zusammenstehen und alles miteinander tragen und an das Licht glauben, das hinter jedem Dunkel wieder leuchten wird. Ja, das wäre eigentlich so ziemlich alles, was ich euch mitgeben kann an gutem Zuspruch und Rat. Das Leben wird immer so sein, wie es zwei Menschen sich aufbauen, und vom ersten Tag der Ehe an sollt ihr bestrebt sein, gute Wurzeln zu schlagen. Dann darf auch einmal ein schwerer Sturm kommen. Man wankt und schwankt dann höchstens ein wenig, aber man stürzt nicht.«

Der Dekan stand auf und reichte beiden die Hand.

»Wie war Ihr Name gleich wieder?« fragte er dabei den Bräutigam.

»Martin, Herr Dekan, Martin Luger.«

»Schön. Da haben Sie ein geradezu prächtiges Vorbild an Ihrem Namenspatron. Der hat doch auch seinen Mantel geteilt und einem Bettler geschenkt. Und so sollen Sie auch mit der Margret alles teilen. Nicht gerade einen Mantel, aber Freud und Leid und alles, was Gott schenkt an Speise und Trank, an frohen und trüben Stunden. Und nun recht gute Nacht.«

Draußen umfing sie die warme Juninacht, die nicht ganz dunkel war, weil ein Halbmond sie erhellte. Wie dunkle Konturen standen die Berge unter dem glitzernden Sternenhimmel. Vom See her kam eine leichte Brise, und im Schilf raunte es geheimnisvoll.

»Der hätt mir jetzt bald warm gemacht mit seiner Fragerei«, meinte Martin und seufzte.

Hand in Hand gingen sie durch das Dorf, in dem hinter den Fenstern die Lichter so gemütlich brannten. Als sie an der hell erleuchteten Terrasse des Gasthofs »Zur Linde« vorbeigingen, fiel es Martin ein:

»Eigentlich könnten wir uns jetzt ein Schöpperl Wein erlauben auf den Schrecken ’nauf. Und vielleicht warme Würstl.«

Sie standen auf der Straße, und Margret schaute ein wenig bange auf die weiß gedeckten Tische da drinnen, an denen gut gekleidete Menschen saßen.

Sie wollen wissen, wie es weitergeht?Dann laden Sie sich noch heute das komplette E-Book herunter!

Besuchen Sie uns im Internet:www.rosenheimer.com