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Der Kern jeder in sich abgeschlossenen Geschichte basiert auf einer realen Begebenheit, der Rest schuldet der Fantasie, wird erweitert, verfeinert und ausgeschmückt mit Träumen und Wunschvorstellungen. Zu "Auf flachen Sohlen auf und davon": In der preisgekrönten Titelgeschichte erzählt die Autorin mit großer Feinfühligkeit in der Schreibweise in Episoden die Geschichte eines Mädchens, das, ungeliebt von der Mutter, gehänselt von den anderen Kindern, tyrannisiert und schlecht behandelt vom Ehemann, ungeachtet ihrer Bedürfnisse immer in nie wirklich passende Schuhe gezwängt, unbeirrt ihren Weg durchs Leben meistert. Zu "Sommer vor dem großen Knall": ,,Was für eine zauberhafte Geschichte... Ich bin geehrt und dankbar ein Teil davon zu sein... ... sie schreibt mit großer Empathie und Seelengenauigkeit..." (Gabriel Barylli)
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Seitenzahl: 118
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Auf flachen Sohlen auf und davon
Sommer vor dem großen Knall
Der Deal
Über alle Mauern
Der unrühmliche Tod des ehrenwerten Herrn Major
Feuerheiße Sommertage
Am Fluss Inn‘s Leben
Bohrmaschine in der Hand und Stöckelschuhe an den Füssen
Glastrennwände ausverkauft
Reisetagebuch eines Provinzmädchens
Sie war sechzehn Monate alt. Der Vater war mit ihr beim Kinderarzt gewesen. Wieder zuhause, wollte die Mutter wissen, was denn nun los sei mit ihren kleinen Füßchen, die sie beim Gehen stark nach einwärts drehte. Amüsiert grinsend antwortete der Vater: „Nichts fehlt der Kleinen. Sie braucht neue Schuhe, ihre sind ihr viel zu klein und sie tun ihr weh, deswegen dreht sie die Füßchen nach innen“. Die Schühchen des Mädchens waren ein Geschenk gewesen, von Vaters Chef zum ersten Geburtstag, beim „Haidegger“ gekauft, dem teuersten Kindergeschäft in der Stadt. Fasziniert vom luxuriösen Geschenk hatte die Mutter nie bemerkt, welche Qualen die Schuhe dem kleinen Mädchen verursacht hatten. Dann müsse man eben neue kaufen, meinte die Mutter, worauf der Vater erklärte, das habe er schon getan und hielt ihr freudestrahlend eine kleine Schachtel hin. Die Mutter öffnete die Schachtel und zog unter dem weißen Seidenpapier zierlich kleine, knöchelhohe Lackschuhe mit zwei Riemchen zum Schließen hervor. Und, er habe sie der Kleinen auch schon anprobiert, sie passten wunderbar und seien doch so hübsch anzusehen, ob sie ihr denn nicht auch gefallen würden, versuchte der Vater den wütenden Gesichtsausdruck der Mutter zu beschwichtigen. Das sehe ihm ähnlich, keifte die Mutter, er sei wirklich zu nichts zu gebrauchen, so einen Firlefanz von Mädchenschuhen zu kaufen, wo doch das Baby im Stubenwagen ein Bub sei, dann könne man die Schuhe wegwerfen, wenn das Mensch nach ein paar Wochen wieder herausgewachsen ist aus den Lackschuhen und sie nicht für den Bub hernehmen. Der Vater hörte nicht mehr hin, er war es leid, das ewige Nörgeln. Wozu hatte er zwei Ohren? Beim einen hinein, beim anderen hinaus, es musste ja nicht zwischenlanden in seinem Kopf, das Gezeter, das ewige.
Sie war neun Jahre alt. Der Sommer kam und sie brauchte neue Schuhe, die von der Erstkommunion waren ihr viel zu schnell zu klein geworden. Es war das erste Mal, dass das Mädchen mitfahren durfte zum Schuhe kaufen. Bisher hatte sie immer die Schuhe ihrer Cousinen auftragen müssen, oder Mutter hatte einfach irgendwelche für sie besorgt. Passen haben sie müssen und billig sein. Ob die Schuhe dem Mädchen gefielen, interessierte die Mutter nicht. Und jetzt durfte sie mitfahren in die Stadt und Schuhe für sich aussuchen. Aber das Mädchen hatte sich geirrt! Die Mutter ging hinein ins Geschäft, vorbei an den Regalen mit all den hübschen Schuhen, schnurstracks auf die Verkäuferin zu. Das Mädchen blieb an einem der Regale stehen und sah den dunkelblauen Schuh mit der kleinen Spange, nahm ihn in die Hand und entdeckte mit Freude, dass er gar nicht teuer war. Diese Schuhe wollte sie haben, das würde Mutter sicher erlauben. Die Mutter kam mit der Verkäuferin, beladen mit einem Turm von Schachteln, zurück und hieß das Mädchen, sich hinzusetzen und die von ihr ausgewählten Schuhe anzuprobieren. An jedem Paar war etwas aus zusetzen und zu nörgeln. Dem Mädchen war es einerlei, was die Mutter über all die Schuhe sagte, es war kein Paar dabei, das ihr gefiel. Aber plötzlich stand der blaue Schuh, ihr Schuh, vor ihren Füssen und die Verkäuferin ermunterte sie mit einem freundlichen Lächeln, ihn anzuziehen. Das Mädchen stand auf, ging ein paar Schritte umher, wie Mutter ihr geheißen. „Gefällt er Dir?“ fragte die Mutter. Das Mädchen war vor Verzücken kaum fähig zu antworten und nickte nur heftig mit dem Kopf. Unerwartet stand die Mutter jedoch auf, ging zielstrebig auf ein Regal zu, nahm einen Schuh heraus, hielt ihn ihrer Tochter hin und befahl ihr, ihn am anderen Fuß anzuprobieren.
Das „Aber…“ blieb dem Mädchen im Halse stecken, Tränen bahnten sich den Weg in ihre Augen. Artig schlüpfte sie in den ihr hingehaltenen Schuh. Mit einem klobigen, schwarzen Trachtenschuh, einem Haferlschuh, an dem einen Fuß, den heißbegehrten, zarten Spangenschuh am anderen, sah das Mädchen verwirrt zwischen ihrer Mutter und der Verkäuferin hin und her. „Den nehmen wir“, zeigte die Mutter auf das Unding von schwarzem Trachtenschuh, „den kann, wenn er dir nicht mehr passt, dein Bruder auftragen, dann hat das Geldausgeben wenigstens einen Sinn gehabt“. Das Mädchen kämpfte mit den Tränen, erwiderte jedoch kein Wort, weil sie wusste, dass es dann draußen vor der Türe dafür Prügel geben würde.
Sie war fast vierzehn Jahre alt. Sie ging am Rand der Straße zwischen Gehsteig und Fahrbahn durch den angehäuften Schnee. Sie schämte sich, schämte sich wegen der Schuhe, die sie anhatte und die sie im hohen Schnee zu verstecken versuchte, klobige, knöchelhohe Schnürschuhe, dunkelgrün mit einer Lasche aus abgewetztem Fell. Kein Mädchen musste solche Schuhe tragen, nur sie. Sie hatte neue Winterschuhe gebraucht, und eine Nachbarin hatte ihrer Mutter diese Schuhe für sie geschenkt. Die Schuhe waren altmodisch, hässlich und abgenützt. Alle ihre Freundinnen und die Mädchen auf der neuen Schule hatten schöne, modische, nagelneue Winterstiefel bekommen, nur sie nicht. Sie ging durch den tiefen Schnee, damit niemand ihre schrecklichen Schuhe sehen konnte. Sie wusste, dass die Nachbarskinder sie wieder verspotten würden, so wie immer, und sie würden ihr, wie schon so viele Male vorher, wieder nachrufen: “Hast Du das aus der Mottenkiste hervorgekramt?“
Sie war achtzehn Jahre alt, endlich mit der Schule fertig und hatte vor ein paar Monaten zu arbeiten begonnen. Sie verdiente endlich eigenes Geld und hatte sich davon drei Paar neue Schuhe gekauft, eines zum Arbeiten im Büro, eines für die Freizeit und ein elegantes Paar Pumps mit schmalem Absatz zum Ausgehen. Und sie hatte sich verliebt. Der junge Mann erklärte ihr schon nach wenigen Treffen: „Du kannst nicht immer in denselben Schuhe herumlaufen. Du brauchst unbedingt neue Schuhe, drei Paar sind zu wenig.“ Also kaufte sie Schuhe, passend zur jeweiligen Kleidung, passend zu jedem Anlass. Er sollte sich nicht schämen müssen mit ihr und ihren Schuhen, jetzt verdiente sie ja gut und konnte sich alle Schuhe kaufen, die sie brauchte. Am schönsten fand sie Schuhe mit Spangen oder Riemchen und mit höheren Absätzen. Sie war groß gewachsen und hatte schlanke, schöne Beine, da passten solche Schuhe wunderbar dazu.
Fünf Jahre später kaufte sie besondere Schuhe, weiße Schuhe, wunderschöne, an den Fersen offene Pumps aus echtem Leder. Sie brauchte sie zum langen weißen Hochzeitskleid. Ihr Bräutigam hatte ihr zwar ausdrücklich aufgetragen, flache Ballerinas zum Brautkleid zu kaufen, aber das wollte sie nicht, das fand sie hässlich. Sie kannte auch sonst niemanden, der zur Hochzeit flache Schuhe trug. Zwei Tage vor der Hochzeit verlangte ihr Bräutigam die Brautschuhe zu sehen und hieß das Mädchen sie anzuprobieren, damit er über-prüfen konnte, ob sie in den Hochzeitsschuhen ihn ja nicht überragen würde, schließlich war er nur einen Meter zweiundsiebzig groß und hatte sich extra für die Hochzeit Schuhe mit Plateausohlen gekauft. Die waren teuer, das sollte nicht umsonst gewesen sein. Das Mädchen hatte Glück gehabt, sie überragte ihren Bräutigam um keinen Millimeter und musste sich nicht wieder wegen unpassender Schuhe schämen.
Sie war fünfundzwanzig Jahre alt. Jetzt hatte sie endlich genügend Schuhe. Schuhe, passend für jede Gelegenheit, passend zu jedem Anlass, in jeder Farbe passend zum jeweiligen Kleid. Fast alles flache Ballerinas, damit sie nicht zu groß war neben seinen Eins-zweiundsiebzig. Zur Vorsicht ging sie mit leicht eingeknickten Knien neben ihm durchs Leben, damit sie ja nicht seine Eitelkeit verletzte und seinen Zorn auf sie herausforderte. Nach acht Jahren hatte sie genug von seinem Terror, seiner Lieblosigkeit und davon, dass er lieber einen Porsche haben wollte, als ein gemeinsames Kind. Hatte genug davon, dass er ihr vorschrieb, welche Schuhe sie tragen musste. „Und zieh ja nicht die hohen Sandalen an, so gehe ich nicht mit dir vor die Türe. Du hast doch neue rote Ballerinas gekauft, zieh die an, sonst bleibst du zu Hause“, rief er ihr aus dem Bad zu, wo er schon seit einer Ewigkeit mit seiner Frisur und seinem seidenen Halstuch beschäftigt war. Stillschweigend zog sie die Sandalen wieder aus, nahm ihre neuen roten Ballerinas aus dem Schuhschrank und zog sie an. Ohne ein Wort und ohne dass er es bemerkte, öffnete sie die Türe und lief ihm einfach davon …
***
Weg, weg, weg! Seit Wochen habe ich immer wieder nur den einen Gedanken - weg! Weg aus dieser Beziehung, weg von all dem Wahnsinn, den ich einfach nicht mehr ertragen kann. Weg – aber wohin? In eine andere Beziehung? In eine andere Stadt? – Sinnlos, weil ich mich doch selbst dorthin mitnehme und weil Weglaufen einfach keine Lösung ist! Gerade das weiß ich am besten, dass Weglaufen keine Lösung ist. Es muss eine Lösung geben, bleiben zu können und das Positive behalten zu können, eine Lösung, ein Weg zu finden sein, mit dem Negativen umzugehen ohne es zu ignorieren oder hinunterzuschlucken. Hinunterschlucken geht nicht mehr, denn es kommt sowieso alles wieder hoch. In irgendeiner Form kommt es wieder hoch – entweder den direkten Weg, auf dem es hinuntergeschluckt wurde, oder auf dem Umweg von Krankheiten und Schmerzen. Und ich will nicht mehr kotzen, nicht mehr krank sein und keine Schmerzen mehr haben, nicht die Schmerzen, die der Körper hat, um zu signalisieren, dass die Seele Schmerzen erlitten hat und immer noch erleidet. Nie wieder kotzen müssen, nur weil ich wieder etwas hinunter geschluckt habe, etwas, das einfach nur zum Kotzen ist.
Ich überlegte, wie ich wenigstens für einige Tage, eine Woche, ausbrechen könnte, woanders hin, irgendwo hin, wo ich mit nichts konfrontiert wäre, als mit Nichtstun, mit Sonne, mit Leben, mit Spaß an meinen Kindern – und dann bin ich, ich weiß eigentlich gar nicht wie, am Freitag hier auf dieser Insel gelandet.
„Wir hatten gar nicht vor, diesen Sommer irgendwohin zu fliegen. Wir wollten eine Woche in Italien verbringen, wie im letzten Jahr, und wir wollten zu viert fahren.
„Zu viert?“
„Du hast gedacht, ich wäre ganz allein mit meinen zwei Kindern, nicht wahr?“
„Ja sicher, wenn eine Frau mit zwei Kindern alleine im Urlaub ist, nimmt man an, es gibt da eben keinen Mann. Sonst wäre er doch mitgefahren. Warum ist er eigentlich nicht mitgefahren?“
„Ganz einfach, er wollte nicht. Unser letzter Urlaub ist irgendwie schief gelaufen. Er hat sich selbst überfordert – Urlaub mit zwei Kindern hat er sich wohl doch nicht so anstrengend vorgestellt. Für mich war es schrecklich. Er war zwar da, aber eigentlich doch nicht. Er hat den ganzen Tag am Strand geschlafen, ist immer wieder plötzlich verschwunden. Nie wusste ich, wo er hin ist und wann er wieder kommt. Seine einzige Möglichkeit, mit seinen Schwierigkeiten, die dieser Urlaub ihm gemacht hat, fertig zu werden, war eine riesige Distanz zwischen mir und ihm herzustellen. Für mich war das einfach nicht auszuhalten. Und da habe ich ihm heuer vorgeschlagen, dass ich mit den Kindern besser alleine wegfahre und wir beide dann im Herbst ganz alleine in die Toskana fahren.
Meine Kinder und ich beschlossen also, alleine nach Italien zu fahren. Natürlich war kein Zimmer mehr frei in dem Hotel, in dem wir unsere Urlaubswoche verbringen wollten. Plötzlich hatte ich auch keine Lust mehr, wieder in diesen Ort zu fahren und besorgte mir einige Reiseprospekte – einfach so, nur um zu schauen, was es an Angeboten gebe. Und da entdeckte ich dieses Hotel auf dieser Insel und dachte, das ist es, da möchte ich hin, das muss wunderschön sein, auch meine Kinder waren begeistert. Am nächsten Tag dann bin ich ins Reisebüro und habe Flugreise hierher gebucht, eigentlich viel zu teuer für uns, aber ich hatte das Geld auf dem Sparbuch und dachte, wer weiß, was nächstes Jahr sein wird. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass ich diese Reise unbedingt noch heuer, also in diesem Sommer machen müsste, so als wäre es die letzte Gelegenheit eine Flugreise zu machen. Ich weiß es nicht, ich kann es auch nicht erklären, ich musste einfach hierher fliegen, ich hatte keine Chance, es nicht zu tun. Irgendetwas trieb mich hierher. Ich weiß noch nicht, aus welchem Grund aber ich werde es sicher noch erfahren.
„Ich finde es auf jeden Fall sehr schön, dass ihr hier seid, und dass wir uns kennen gelernt haben. Ich wollte dich schon viel früher ansprechen, aber du hast nicht reagiert, als ich versuchte, Kontakt mit dir aufzunehmen, erst gestern Abend. Ich fand es total witzig, was du am Ende von diesem blöden Spiel „Männer gegen Frauen“ gesagt hast, besonders dein Satz „Ich dachte, es gehe um Männer gegen Frauen? Kein Mensch hat gesagt, es geht um Männer gegen Blondinen“, hat mir sehr gefallen.“
„Ich weiß auch nicht, warum ich das so spontan zu dir gesagt habe. Aber ich war froh, dass du mir dann angeboten hast, mich zu dir zu setzen. Wir haben uns sehr gut unterhalten an diesem Abend.“
Eigentlich war das noch nicht die ganze Geschichte, warum ich unbedingt hierher nach Ibiza kommen musste. Das hat sich schon viel früher abgezeichnet. Der Weg hierher hatte schon viel früher begonnen.
„In den letzten Wochen sind sonderbare Dinge passiert. Ich habe vieles gemacht, was überhaupt nicht in meiner Art liegt, es ist wirklich merkwürdig. Wie an jenem Tag, an dem ich vor diesem Schaufenster der Buchhandlung stand und, gelangweilt auf den Bus wartend, hineingeschaut habe. Plötzlich entdeckte ich ein Plakat, auf dem eine Lesung des österreichischen Autors G.B. angekündigt war. Ich rannte, ohne auch nur eine Sekunde zu überlegen, in die Buchhandlung, um mich zu erkundigen, ob der Autor selbst liest, ohne daran zu denken, dass ich ja schon etwas vorhatte für diesen Abend. Ich musste da einfach hin, obwohl ich der letzte Mensch bin, der sich Lesungen anhört, der irgendwo hinrennt, nur weil ein Prominenter dort auftaucht. Das hat mich nicht einmal als Teenager berührt, oder damals, als die Königin von England in Innsbruck war, oder gar der Papst, und wahrscheinlich außer mir ganz Innsbruck auf den Straßen. Und dann habe ich den großen Autor ganz einfach übersehen! Mein Mann musste mich erst