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1887 begann Nansen mit den Vorbereitungen für eine Überquerung des großen Eisfeldes, das das Innere Grönlands bedeckt. Viele Fachleute schlossen die Möglichkeit eines Erfolgs aus, und sogar ein kleiner Zuschuss wurde von der norwegischen Regierung abgelehnt. Augustin Gamel, ein Kaufmann aus Kopenhagen, stellte diesen schließlich zur Verfügung , während Nansen den größten Teil der Kosten für die Expedition aus seinen privaten Mitteln bezahlte. Als Begleiter hatte er Otto Neumann Sverdrup, Kapitän O. C. Dietrichson, einen dritten Landsmann, und zwei Lappen erwählt. Die Expedition begann im Mai 1888 und führte von Leith nach Island, wo sie sich einem Robbenfänger anschloss, der zur Ostküste Grönlands fuhr. Am 17. Juli beschloss Nansen, das Schiff zu verlassen und sich einen Weg durch den Eisgürtel zum weit entfernten Land zu bahnen, aber die Gruppe stieß aufgrund des Eisdrucks auf große Schwierigkeiten, geriet in Treibeis und erreichte das Land erst am 29. Juli, nachdem sie in der Zwischenzeit weit nach Süden abdrifteten. Sie machten sich auf dem Treibeis wieder auf den Weg nach Norden und begannen am 16. August mit der Besteigung des Inlandeises. Am 5. September erreichten sie den höchsten Punkt der Reise und schließlich Ende des Monats die Westküste am Ameralik Fjord, wo sie von Stürmen, großer Kälte und anderen Schwierigkeiten empfangen wurden. Als sie die Siedlung Godthaab erreichte, musste die Gruppe dort überwintern. Erst im Mai 1889 gelang die Rückkehr nach Hause. Nansens Buch beschreibt die Abenteuer der Norweger und zeigt die wertvollen wissenschaftlichen Ergebnisse der Reise auf. Dies ist Band eins von zwei.
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Seitenzahl: 438
Auf Schneeschuhen durch Grönland
Band 1
FRIDTJOF NANSEN
Auf Schneeschuhen durch Grönland, Band 1, Fridtjof Nansen
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849680044
www.jazzybee-verlag.de
Kapitel I. Einleitung.1
Kapitel II. Die Ausrüstung.18
Kapitel III. Das Schneeschuhlaufen, die Entwickelung und die Geschichte dieser Kunst.46
Kapitel IV. Von Norwegen über Schottland und die Faröer nach Island.83
Kapitel V. Reise von Island zum Klappmützenfang.105
Kapitel VII. An Bord des „Jason“.128
Kapitel VIII. Gegen Land. — Das Treiben im Eis.144
Kapitel IX. Wir treiben weiter durch das Eis.156
Kapitel X. Historische Übersicht über frühere Versuche, den Eisgürtel auf Grönlands Ostküste zu durchdringen etc.171
Kapitel XI. Nordwärts an der Ostküste entlang. Zusammentreffen mit Eskimos.197
Kapitel XII. Ein Eskimolager.210
Kapitel XIII. Weiter nordwärts an der Küste entlang.233
Kapitel XIV. Neues Zusammentreffen mit Eskimos. Zwischen Eisbergen.246
Es war im Sommer 1882, als ich an Bord des norwegischen Seehundfängers „Viking“ unter dem noch unbekannten Teil der grönländischen Ostküste (auf dem 66° 50′ N. B.) im Eis stecken blieb. 24 Tage lagen wir dort fest, und mit jedem Tage wurden wir zum Entsetzen der Besatzung der felsigen Küste näher getrieben. Die Berggipfel und Gletscher dort hinter dem Treibeise lagen am helllichten Tage da und glänzten. Am Abend und zur Nachtzeit, wenn die Sonne sie bei ihrem Rundgang berührte und den Horizont hinter ihnen in ein Feuermeer verwandelte, trat ihre wilde Schönheit noch mehr hervor. Dass das Fernrohr vom Großmast aus mehr als einmal am Tage gen Westen gerichtet wurde, und dass diese ganze unbekannte Welt meine junge Seele zu sich hinzog und lockte, ist wohl kaum zu verwundern. Unablässig grübelte ich darüber nach, wie diese Küste zu erreichen sei, die so Viele vergebens gesucht haben, und ich kam zu dem Resultat, dass sie zu erreichen sei, wenn nicht durch das Eis vermittels eines Schiffes — wie man das früher versucht hatte —, so doch über dasselbe, und zwar indem man Boote hinter sich herzog. Ich wollte sogar gleich einen Versuch machen und allein über das Eis an Land spazieren. Dies Vorhaben scheiterte jedoch an dem Kapitän, der es unter den obwaltenden Verhältnissen nicht verantworten zu können glaubte, dass irgend Jemand das Schiff auf längere Zeit verließ.
Nach meiner Heimkehr schrieb ich infolge einer Aufforderung einen Artikel in der „Geografisk Tidsskrift“ (7. Band, S. 76), in welchem ich meine Vermutung aussprach, dass sich Grönlands Ostküste ohne Schwierigkeiten würde erreichen lassen, indem man mit einem norwegischen Seehundfänger so weit wie möglich vordränge, das Schiff dann verließe und sich über das Eis an Land begäbe. Dass mir schon damals der Gedanke vorschwebte, in das Innere des Landes vorzudringen, lässt sich also nicht leugnen, — dieser Gedanke gewann jedoch erst bei einer späteren Gelegenheit feste Gestalt.
Es war an einem Herbstabend im darauffolgenden Jahr — also 1883 —, ich erinnere mich dessen, als sei es gestern gewesen. Ich saß und hörte gleichgültig zu, wie aus den Zeitungen vorgelesen wurde. Da fesselte meine Aufmerksamkeit plötzlich ein Telegramm, welches berichtete, dass Nordenskjöld glücklich von seiner Expedition nach Grönlands Innerem zurückgekehrt sei, dass er keine Oasen, sondern nur endlose Schneefelder gefunden habe, auf welchen seine beiden Lappen in kurzer Zeit eine unglaubliche Strecke zurückgelegt und sich äußerst günstig über die Schneeschuhbahn geäußert haben sollten. Der Gedanke, Grönland auf Schneeschuhen von einer Küste bis zur anderen zu durchdringen, durchzuckte mich wie ein Blitz. Der Plan war fertig, so wie er später vorgelegt und ausgeführt wurde.
An der Ostküste Grönlands 1882.
(Nach einer Skizze des Verfassers gezeichnet von E. Nielsen.)
Mein Plan war in aller Kürze der folgende: Wenn man eine Expedition kräftiger Schneeschuhläufer auf zweckmäßige Art ausrüstete, so mussten diese imstande sein, Grönland zu durchqueren, falls sie von der richtigen Seite anfingen; dieser letzte Punkt aber war von großer Wichtigkeit.
Fing man, wie alle früheren Expeditionen, von der Westküste an, so konnte man sicher sein, nicht durchzudringen. Man würde in dem Falle die Fleischtöpfe Ägyptens hinter sich haben, während man vor sich nur die unbekannte Eiswüste und die Ostküste hatte, die nicht viel besser ist. Und selbst für den Fall, dass man durchdrang, hatte man einen ebenso langen Weg zurückzulegen, um wieder in die Heimat zu gelangen.
Der einzig sichere Weg war meiner Meinung nach, durch das Treibeis vorzudringen, an Grönlands öder, eisbedeckter Ostküste zu landen und sich von hier aus nach der bewohnten Westküste zu begeben. Auf diese Weise brach man alle Brücken hinter sich ab, man hatte nicht nötig, die Mannschaft vorwärts zu treiben, — die Ostküste würde kaum einen Einzigen zur Umkehr verlocken, während vor uns die Westküste lag, die uns mit allen Annehmlichkeiten der Zivilisation winkte und zu sich zog. Da war keine Wahl, — nur vorwärts! Die Parole würde lauten: Der Tod oder Grönlands Westküste.
Im folgenden Jahr setzte ich meinen Plan einem Bekannten in Dänemark brieflich auseinander und machte den Vorschlag, eine dänisch-norwegische Expedition nach der Ostküste Grönlands zu unternehmen. Die Dänen sollten die Ostküste untersuchen, während sich die Norweger auf Schneeschuhen über das Inlandseis nach der Westküste begaben.
Dieser Vorschlag führte jedoch zu keinem Resultat, und da ich anderweitig stark in Anspruch genommen war, ruhte die Sache während einiger Jahre. Erst im Herbst 1887 fasste ich den Entschluss, meinen Plan allen Ernstes wieder aufzunehmen. Meine ursprüngliche Absicht war es, die Expedition mit Privatmitteln auszuführen, als ich aber von verschiedenen Seiten dringend aufgefordert wurde, die norwegische Universität um die nötigen Mittel zu ersuchen, um der Expedition dadurch ein öffentliches, nationales Gepräge zu verleihen, willigte ich ein und reichte ein Gesuch um 5000 Kronen zu der Ausführung einer Reise nach diesem Plan an die Universität ein.
Das Gesuch wurde auf das kräftigste von dem akademischen Kollegium unterstützt und der Regierung übersandt, damit diese die Sache in Erwägung ziehen und das Gesuch auf reguläre Weise als Regierungsvorschlag an das Storthing weiter befördern sollte. Von der Regierung erhielt ich indessen die Antwort, dass man nicht glaube, auf den Vorschlag eingehen zu können, und in den regierungsfreundlichen Organen hieß es sogar, dass man keinerlei Grund habe, das norwegische Volk die große Summe von 5000 Kronen bezahlen zu lassen, damit ein Privatmann eine Vergnügungsreise nach Grönland unternehmen könne. Die Meisten, die von meinem Plan hörten, hielten ihn für den reinsten Blödsinn, — ich müsse entweder nicht bei meinen fünf Sinnen oder doch mindestens lebensüberdrüssig sein, — was denn in Grönlands Innerem zu holen sei? Glücklicherweise war eine Unterstützung seitens der Regierung oder anderer keine Notwendigkeit für mich, denn ich erhielt von einem Manne in Kopenhagen das Anerbieten, mir die Summe, um welche ich eingekommen war, auszubezahlen. Dieser Mann war der Etatsrat Augustin Gamél, der sich schon durch die Ausrüstung der Dijmphna-Expedition um die arktische Forschung verdient gemacht hatte. Dies Anerbieten von einem Ausländer und einem mir persönlich unbekannten Manne, zu einer Expedition beizutragen, welche von den Meisten für Wahnsinn erklärt wurde, erschien mir so edelmütig, dass ich mich keinen Augenblick besinnen konnte, es anzunehmen.
Etatsrath Augustin Gamél.
Erst im Januar 1888 trat ich in einem Artikel in der norwegischen Zeitschrift „Naturen“, betitelt „Grönlands Inlandsis“, mit meinem Plan an die Öffentlichkeit. Nachdem ich u. a. die zahlreichen früheren Versuche, in das Innere Grönlands vorzudringen, erwähnt hatte, sage ich:
„Mein Plan ist in aller Kürze der folgende: Mit drei bis vier der besten, ausdauerndsten Skiläufer, die aufzutreiben sind, beabsichtige ich, mich anfangs Juni mit einem der norwegischen Seehundsfangfahrzeuge von Island aus nach Grönlands Ostküste zu begeben und ungefähr beim 66° N. B. zu versuchen, mich so weit wie möglich der Küste zu nähern.[1]
Kann das Fahrzeug das Land nicht erreichen, was jedoch nach den von den Seehundsfängern gemachten Erfahrungen, die sich häufig dieser Küste genähert haben,[2] nicht unwahrscheinlich ist, — so verlässt die Expedition das Fahrzeug, sobald dies der Küste so nahe wie möglich gekommen ist, und begibt sich über das Eis an Land. Um über das offene Wasser zu gelangen, das sich voraussichtlich in der Nähe der Küste befindet, zieht man ein leichtes Boot auf Schienen hinter sich her über das Eis. Dass eine solche Fahrt über das Treibeis möglich ist, glaube ich auf Grund früherer Bekanntschaft mit demselben annehmen zu können. Im Jahre 1882 machte ich nämlich mit dem Seehundsfänger „Viking“ aus Arendal eine Reise in diese Gegend, und wir saßen im Juni an der Ostküste von Grönland im Eis fest. 24 Tage hindurch trieben wir an der Küste, an welcher ich jetzt an Land zu gehen gedenke, entlang, und ich hatte während der Zeit auf meinen zahlreichen Wanderungen und Jagdausflügen reichliche Gelegenheit, Bekanntschaft mit der Beschaffenheit des Eises und den Schneeverhältnissen zu machen, wie wir auch auf unserer Reise häufig infolge plötzlicher Einklemmungen gezwungen waren, unsere Boote lange Strecken über die Eisschollen zu ziehen. — Auf diese Weise glaube ich also das Land erreichen zu können. Am liebsten würde ich es sehen, wenn dies ein wenig nordwärts von Kap Dan geschehen könnte, da die Küste hier noch nicht von Europäern bereist ist und schon an der Küste vielerlei von Interesse zu untersuchen sein würde. Weiter südwärts dagegen ist die Küste verhältnismäßig bekannt, da die dänische Frauenboots-Expedition unter Kapitän Holms Leitung im Jahre 1884 bis zu einem etwas nördlich von Kap Dan gelegenen Punkt vordrang und in Angmagsalik, einer Kolonie heidnischer Eskimos, etwas südlich von dem genannten Vorgebirge, überwinterte. Nachdem wir die Untersuchungen an der Küste gemacht haben, die sich ohne große Zeitvergeudung ausführen lassen, treten wir sobald wie möglich die Wanderung über das Inlandseis an. Gelangt die Expedition nördlich von Kap Dan ans Land, so beginnen wir unsere Wanderung am Ende eines der dort belegenen Fjorde; landen wir dagegen südlicher, so müssen wir uns in den tiefen Sermilikfjord begeben, um von hier aus auf das Eis zu kommen.
Die Expedition versucht gleich so hoch wie möglich auf eisfreies Terrain zu gelangen, selbst wenn die Steigung hier bedeutend stärker sein sollte als auf den Gletschern; hierdurch hat man nämlich den Vorteil, dass man, wenn es sich endlich als notwendig zeigt, auf das Eis zu gehen, voraussichtlich flacheres und ebeneres Eis finden und gleichzeitig das schlimmste Gletschereis vermeiden wird, das uns durch seine Unebenheiten und Spalten nicht geringe Gefahren und Hindernisse in den Weg legen kann. Auf das Eis gekommen, richtet die Expedition ihren Kurs auf Christianshaab an der Diskobucht, und sucht diesen Ort baldmöglichst zu erreichen. Indem man sich nach der Diskobucht begibt, statt eine südlichere Richtung einzuschlagen, hat man auf der einen Seite den Vorteil, dass man auf dem nördlicheren Wege voraussichtlich eine bessere Schneeschuhbahn finden wird, und auf der anderen Seite den, dass man an der Diskobucht, wo keine tiefen Fjorde in das Land einschneiden, verhältnismäßig leicht bewohnte Orte antreffen wird, da die vor der Küste belegene Diskoinsel mit ihren etagenförmigen Basaltklippen vom Inlandseise aus gesehen einen guten Wegweiser abgeben dürfte, um von dort mit Leichtigkeit nach einer der beiden Kolonien Jakobshafen oder Christianshaab zu gelangen, die ungefähr einen halben Grad voneinander entfernt an der Diskobucht liegen.
Die Entfernung von der Ostküste, wo ich zu landen gedenke, bis zu der Diskobucht beträgt ungefähr 670 km; wenn man nun rechnet, dass man täglich 20-30 km zurücklegen kann, was für Schneeschuhläufer sehr mäßig gerechnet ist, so wird die Reise nicht über einen Monat währen; nimmt man aber Proviant für die doppelte Zeit mit, so scheint alle Wahrscheinlichkeit für einen glücklichen Ausgang vorhanden zu sein.
Der Proviant muss auf Schlitten gezogen werden. Außer den gewöhnlichen Schneeschuhen (Ski) denke ich eine andere Art Schneeschuhe (Truger)[3] mitzunehmen, die dort, wo der Schnee weich und nass ist, zweckmäßiger sind.
Neben dem Proviant für ungefähr zwei Monate, sowie den verschiedenen Arten von Schneeschuhen sollen ferner die notwendigen Instrumente zur Ortsbestimmung etc. etc. mitgenommen werden.“
Dass gegen einen Plan wie diesen auch in der Presse mehr oder weniger kräftige Einwendungen erhoben wurden, ist ja nicht zu verwundern; sie zeichneten sich jedoch durchgehend dadurch aus, dass sie auffallende Unkenntnis der Eis- und Schneeverhältnisse sowie der Passage über die Eis- und Schneefelder verrieten.
Ich kann mir das Vergnügen nicht versagen, hier einige kleine Auszüge aus einem Vortrag wiederzugeben, der von einem jungen dänischen Grönlandsfahrer in Kopenhagen gehalten und in der dänischen Zeitschrift „Neue Erde“ (Ny Jord) im Januar 1888 abgedruckt worden ist. Da heißt es u. a.:
„Andere Pläne sind nicht weiter als bis auf das Papier gelangt, so z. B. der Vorschlag in einem Ballon quer über das Inlandseis zu gehen, der schon Ende des vorigen Jahrhunderts gemacht wurde. Zu der letzten Klasse von Vorschlägen, die bis dahin nur bis auf das Papier gelangten, gehört auch derjenige, der von dem nordischen Zoologen, dem Konservator an dem Museum zu Bergen, Fridtjof Nansen gemacht ist.“ — — —
„Es ist sehr viel, was für den Grundgedanken in Nansens Expedition spricht, sowohl dass er sich von der Ostküste nach dem zivilisierten Teil Grönlands hinüberzubegeben gedenkt (statt umgekehrt), als auch, dass er als tüchtiger Skiläufer Ski als Beförderungsmittel benutzen will. Aber mit dieser Anerkennung der Grundgedanken des Planes muss auch für Jeden, der etwas von den Verhältnissen kennt, die Anerkennung aufhören. Schon die Art und Weise, wie Nansen die Ostküste zu gewinnen gedenkt, indem er nämlich die sichere Schiffsplanke verlassen und gleich einem Eisbären von einer schaukelnden Eisscholle auf die andere wandern will, bis er das Ufer erreicht hat, ist ja so dummdreist, dass man nicht weiß, was man dazu sagen soll.
Jedoch den Fall gesetzt, das Glück wäre dem Kühnen hold und Nansen erreichte die Ostküste Grönlands, was will er dann anfangen, um das eigentliche, ebene Inlandseis zu erreichen, — mit anderen Worten, wie will er über den äußeren Rand des Inlandseises gelangen, wo Fels auf Fels aus der Eisdecke emporragt und diese aller Wahrscheinlichkeit nach an den meisten Stellen unpassierbar macht.“ — — —
„Nansens Plan, gerade die steilen Küstenfelsen zu erklimmen und von dort auf das aufgedämmte hohe Eisfeld zu spazieren, verrät deshalb eine vollständige Unkenntnis der Verhältnisse.“ — —
— — „Mit dem, was man vom Außenlande sehen kann, hört meine Erfahrung auf, und ich kann deswegen nicht darauf eingehen, den Plan zu kritisieren, der darauf ausgeht, den inneren Teil des Inlandseises zu passieren, und eine genügende Menge Proviant mit sich zu führen, — ich glaube übrigens, dass sich dieser Plan möglicherweise ausführen ließe, falls Nansen wirklich über den ersten Rand des Eises gelangen könnte.
Auf etwas ganz anderes dagegen halte ich mich für verpflichtet und berechtigt in der vorliegenden Angelegenheit aufmerksam zu machen: nämlich, dass meiner Ansicht nach Niemand das moralische Recht hat, durch Wagnisse, die nur eine geringe Aussicht haben, zu irgendwelchem Resultat zu führen, die Eskimo-Einwohner Ostgrönlands zu belästigen, indem man von ihnen verlangt, dass sie Einem aus der Klemme helfen, in die man sich selber ohne jeglichen Zweck hineinbegeben hat. Es kann nämlich für uns Wenige, die etwas von den Verhältnissen im dänischen Ostgrönland kennen, kein Zweifel darüber sein, dass man, — so wie Nansens Plan entworfen ist, falls nicht das Schiff die Küste erreicht und auf ihn wartet, bis er gezwungen ist, seinen Plan aufzugeben, — zehn gegen eins wetten kann, dass Nansen entweder sein Leben und vielleicht das Anderer, ohne allen Zweck aufs Spiel setzt oder auch, dass er von den Eskimos aufgenommen und von diesen an der Küste entlang bis zu den dänischen Stationen an der Westküste geführt wird. Niemand aber hat das Recht, die Ostgrönländer ohne Zweck zu einer langen und für sie verderblichen Reise zu veranlassen.“ — — —
Diese Artikel waren sicher in bester Absicht geschrieben, aber sie geben doch ein klares Beispiel, welche fast abergläubische Angst viele Menschen — und darunter selbst Sachverständige und Autoritäten — vor dem Inlandseise und vor einer Passage über die Schnee- und Eisfelder bis vor ganz kurzem empfunden haben müssen. Der Verfasser des oben erwähnten Artikels hatte sich selber mehrere Jahre lang am Rande des Inlandseises aufgehalten, aber niemals war ihm der Gedanke gekommen, einen kleinen Spaziergang über diesen Rand hinaus zu machen. Er würde sicher schon bei den ersten Schritten viele seiner groben Irrtümer eingesehen haben und sich darüber klar geworden sein, „was eine völlige Unkenntnis der Verhältnisse“ bedeute.
In einem anderen wenn möglich noch weniger sachkundigen Artikel hieß es, dass wenn Nansen selber so verrückt sein wolle, so etwas zu wagen, er doch sicher nicht einen einzigen Menschen mit sich bekommen würde, und allein könne er das Wagnis doch nicht unternehmen!
Auch in der englischen Presse erschienen mehrere Artikel gegen die Expedition.
Aber trotz aller dieser warnenden Stimmen und trotz der allgemeinen Ansicht, dass das Ganze eine Tollheit sei, fanden sich doch genug Menschen, die sich daran beteiligen wollten. Ich erhielt über 40 Gesuche von Leuten in den verschiedensten Stellungen. — Da waren Offiziere, Pharmazeuten, Kaufleute, Bauern, Seeleute, Studenten etc. etc. Und außerdem waren noch Viele da, die kein direktes Gesuch einreichten, die aber sagten, dass sie mehr als gerne mitwollten, und dass sie sich melden würden, wenn sie wüssten, dass es ihnen nützen könne. Es waren auch nicht allein Norweger, sondern aus Dänemark, Frankreich, Holland und England liefen gleichfalls Gesuche ein.
Ich konnte indessen nur Leute gebrauchen, die mit dem Schneeschuhlaufen vertraut und die als energische ausdauernde Menschen bekannt waren. Ich wählte folgende Norweger: Otto Sverdrup, früheren Schiffskapitän, Oluf Dietrichson, damals Premier-Lieutenant, jetzt Kapitän bei der norwegischen Infanterie, und Kristian Kristiansen Trana, einen norwegischen Bauernburschen. Da ich ursprünglich die Absicht hatte, Rentiere mitzunehmen, und da ich glaubte, Nutzen aus dem angeborenen Ortssinn der Naturvölker, sowie ihrer Gabe, sich in alle möglichen Lagen des Lebens zu finden, ziehen zu können, so schrieb ich an ein paar mir empfohlener Männer in Finnmarken und fragte an, ob sie mir ein paar Berglappen verschaffen könnten, die geneigt seien mitzukommen. Ich fügte hinzu, dass es mutige Leute sein müssten, bekannt als besonders ausdauernd und geeignet, sich auf unbekanntem Terrain zurecht zu finden; auch müssten sie von vorneherein völlig über die gefahrvolle Natur des Vorhabens unterrichtet sein, es müsse ihnen eingeschärft werden, dass ebenso viel Aussicht vorhanden sei, dass sie nicht zurückkehrten, als dass sie ihre Heimat glücklich wieder erreichten, — ferner müssten es unverheiratete Leute in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren sein, da ich glaube, dass Körper wie Geist in dem Alter am widerstandfähigsten und geeignetsten für ein solches Unternehmen seien.
Es währte lange, ehe Antwort auf meine Vorfrage kam, — die Post gelangt nicht schnell zu den Bewohnern Finnmarkens, — nur alle vierzehn Tage kommt sie mittels einer Rentierpost über das Gebirge zu ihnen. Endlich als die Zeit bereits drängte, erhielt ich die Antwort, ich könne zwei tüchtige Kerle aus Karasjok bekommen, wenn ich gut bezahlen wolle. Ich ging so ungefähr auf ihre Forderungen ein und telegraphierte, dass sie baldmöglichst kommen müssten. Dann erhielt ich die Nachricht, sie seien unterwegs und würden den und den Tag eintreffen, — ich war natürlich sehr gespannt darauf, sie zu sehen. An einem Sonnabendabend wurden sie erwartet. Es waren Leute am Bahnhof, um sie in Empfang zu nehmen und sie in ihr Logis zu führen. Aber keine Lappen kamen. Auch am Sonntag kamen sie nicht. Niemand konnte begreifen, was aus ihnen geworden war; endlich am Montag hieß es, nun seien sie angekommen. Und wirklich, sie waren gekommen, — mit dem gemischten Güterzug statt mit dem Eilzug. Ich eilte nach ihrem Logis und kam in ihr Zimmer, — mitten in demselben stand ein junger, hübscher Mann mit einem beinahe mehr finnischen als lappländischen Aussehen, hinten in einer Ecke saß ein alter Mann mit langem, schwarzem Haar, das ihm über die Schultern hing; er war klein von Wuchs, sah aber noch kleiner aus, wie er da zusammengekrochen auf einer Kiste saß. Er hatte ein stärkeres lappländisches Äußere als der Junge. Auf ihn passte völlig die Beschreibung, die Peder Dass (1685) von den Lappen gibt:
Das Volk, das ist von ganz eigner Natur,
Kurzbeinig im Wuchs und von kräft’ger Statur,
Es gleicht auf ein Haar den Zwergen.
— — — — — — — — — — — — — —
Mit klugem Aug, das gar scharf weiß zu schau’n,
Von Antlitzfarbe ganz gelblich und braun,
Spitzkinnig mit länglichen Kiefern.
Als ich eintrat, neigte er den Kopf und kreuzte die Arme auf morgenländische Weise, — der Junge grüßte auf ganz gewöhnliche Art. Der Alte konnte nur wenig Norwegisch, deshalb musste ich mit dem Jungen sprechen. Ich fragte, ob sie sich wohl befänden, und weshalb sie mit dem langsamen Zuge gekommen seien. Ja, sie hätten es nicht besser gewusst, und dann sei es mit dem Zuge ein paar Kronen billiger gewesen.
„Wie alt seid Ihr denn?“ — „Ich bin 26 Jahre alt, und er dort, Ravna, ist 45 Jahre.“ Das war denn doch eine merkwürdige Geschichte! Ich hatte ausdrücklich betont, dass sie zwischen 30 und 40 Jahre alt sein sollten. „Ihr seid beide Berglappen?“ — „Nein, nur Ravna ist Berglappe, ich bin in Karasjok ansässig.“ — Noch schlimmer; ich hatte ausbedungen, dass es Berglappen sein sollten. „Aber seid Ihr denn gar nicht bange davor, die Reise zu unternehmen?“ — „Ja, wir ängstigen uns sehr, man hat uns unterwegs gesagt, die Expedition sei so gefährlich, dass wir wohl nicht lebendig wieder nach Hause kämen, und deshalb sind wir so bange geworden.“ — Aber das war denn doch zu arg! Sie waren nicht einmal von dem in Kenntnis gesetzt worden, worauf sie eingingen, die armen Menschen! Ich hatte die größte Lust, sie gleich wieder nach Hause zu schicken, aber jetzt war es zu spät, andere Leute zu verschreiben.
Ich musste sie behalten, deshalb war es das Beste, sie zu trösten, so gut ich konnte und ihnen zu sagen, dass das, was die Leute redeten, Unsinn sei, — ihnen schon im Voraus den Mut zu nehmen, hatte gar keinen Zweck, sie konnten ihn ohnedies schnell genug verlieren. Wenn sie auch nicht so stark und ausdauernd aussahen, wie ich es gewünscht hatte, so machten sie doch den Eindruck von herzensguten, zuverlässigen Menschen. Und dass sie das waren, haben sie in vollem Maße bewiesen, und in Hinsicht auf ihre Ausdauer ließen sie nichts zu wünschen übrig. Als Naturvolk betrachtet, hatte ich von ihnen übrigens bei weitem nicht den erwünschten Nutzen. So wurden sie beispielsweise zu Rekognoszierungen überall nicht verwendet.
In einer Schilderung,[4] welche Balto von der ganzen Fahrt gemacht hat, fährt er, nachdem er von seiner Reise von Finnmarken erzählt und wie ihnen die Leute unterwegs allen Mut genommen hätten, indem sie mich als einen ganz verrückten Menschen darstellten, folgendermaßen fort:
„Am 14. April reisten wir von Trondheim und kamen am 16. April nach Kristiania. Nansen hatte einen Mann nach dem Bahnhofe geschickt, um uns in Empfang zu nehmen, nämlich Sverdrup; er kam zu uns und fragte: „Seid Ihr die beiden Männer, die mit Nansen wollen?“ — Wir antworteten, dass wir es seien. Sverdrup erzählte, dass auch er einer von denen sei, die mit Nansen wollten, und er erzählte, dass er ausgegangen sei, um uns zu empfangen. „Kommt jetzt mit mir!“ und wir gingen mit ihm, und er führte uns in ein Hotel, das in der Tolbodgade Nr. 30 liegt. Nach Verlauf einer Stunde kamen Nansen und Dietrichson, um uns zu begrüßen. Es war überaus herrlich und wunderbar, als wir diesen unseren fremden Herrn zu sehen bekamen, nämlich Nansen. Er war uns fremd, aber sein Antlitz schien uns entgegen, als sei es das Antlitz unserer zurückgebliebenen Eltern gewesen, so schön kam es mir vor, und so war auch sein an uns gerichteter Willkommgruß. Alle die fremden Leute in der Stadt waren sehr gut und freundschaftlich gegen uns Lappen während der ganzen Zeit, die wir in Kristiania waren; von der Zeit an wurden wir noch vergnügter, und das war sehr angenehm für uns.“
Da wir uns nun durch dies ganze Buch hindurch mit diesen fünf Menschen beschäftigen sollen, wäre es vielleicht ganz angebracht, sie einzeln vorzustellen. Wir wollen mit den Norwegern anfangen und sie dem Alter nach vorführen.
Otto Neumann Sverdrup wurde am 31. Oktober 1855 auf dem Hofe Haarstad in Bindalen auf Helgeland geboren. Sein Vater war der Wald- und Hofbesitzer Ulrik Sverdrup und seine Mutter war Petra Knoph.
In einer rauen Natur geboren und von Kindheit an daran gewöhnt, sich in allen möglichen Beschäftigungen und in allem möglichen Wetter in Wäldern und auf Bergen umherzutreiben, lernte er früh für sich selbst sorgen und auf eigenen Füßen stehen. Er war noch ein kleiner Knabe, als er anfing auf Skischuhen zu laufen, und dass sich in einem so unkultivierten Distrikt wie in Bindalen die beste Gelegenheit findet, sich zu einem tüchtigen und unerschrockenen Skiläufer auszubilden, liegt auf der Hand. Mit zehn Jahren erhielt er eine Flinte, und von der Zeit an streifte er stets auf Jagdausflügen umher, im Winter auf Schneeschuhen, im Frühling auf der Auerhahn- und im Herbst auf der Bärenjagd. Er wurde nicht in die Stadt geschickt, um zur Schule zu gehen, sondern er hatte einen Hauslehrer. Eine besondere Vorliebe für Bücher scheint er jedoch niemals gehabt zu haben.
Mit 17 Jahren ging er zur See und reiste dann während vieler Jahre teils mit norwegischen, teils mit amerikanischen Schiffen.
Im Jahre 1878 machte er sein Steuermannsexamen in Kristiania und fuhr dann mehrere Jahre als Steuermann. Als solcher erlitt er vor einigen Jahren mit einem norwegischen Schoner an der Westküste von Schottland Schiffbruch. Bei dieser Gelegenheit zeigte er so recht, welcher Kern in ihm steckte, denn es ist hauptsächlich seiner Besonnenheit und Schneidigkeit zu verdanken, dass die Mannschaft gerettet wurde. Einen Schoner und ein Dampfschiff führte er als Kapitän, — ein Jahr lang lag er auch mit einem Fischkutter an der Nordlandsküste. Vor einer Reihe von Jahren geschah es, dass man in Göteborg einen Führer für Nordenfeldts unterseeisches Boot suchte, das über die Nordsee nach England geführt werden sollte. Man setzte eine Belohnung für Denjenigen aus, der dies gefahrvolle Amt übernehmen wolle, aber es fand sich Niemand, der es wagte. Da kam Sverdrup zufällig dorthin und erbot sich gleich dazu, er überredete einen Vetter, als Maschinist mitzugehen, und diese Beiden wollten es übernehmen, das unsichere Fahrzeug, das noch Niemand auf größere Entfernungen versucht hatte, nach England zu führen, ja, Sverdrup meinte, es sei ein wahrer Sport, aber dann, im letzten Augenblick, änderten die Unternehmer ihren Entschluss und ließen das Boot über die See bugsieren.
Während der letzten Jahre hat sich Otto Sverdrup größtenteils auf dem Gute seines Vaters aufgehalten, der vor ungefähr 11 Jahren seinen Besitz in Bindalen verkauft und sich weiter südwärts auf Trana bei Stenkjär angesiedelt hatte. Hier beschäftigte er sich bald mit dem Einen, bald mit dem Andern, bald stand er dem Forstwesen, bald dem Flößen des Holzes vor, bald war er Schmied, bald ging er auf Fischfang aus, und überall war er der Erste. Sein liebster Zeitvertreib war es, in stürmischem Wetter in einem Nordlandsboot auszusegeln, wenn das Boot mit vierfach gerefften Segeln die schäumende Brandung durchschnitt, ganz so, wie es bei Peder Dass heißt:
Schiffskapitän Otto Sverdrup.
„Gebt acht auf die Schote!
Schöpfkell in die Faust, das Auge im Wind,
Stemmt gegen das Seil, seid schnell und geschwind,“ —
da gefiel Sverdrup das Dasein.
Dass ein solcher Mann für eine Expedition wie geschaffen war, ist selbstverständlich. Durch sein bewegtes, vielseitiges Leben hatte er gelernt, sich in allen schwierigen Lagen zurechtzufinden. Stets war er ruhig, immer wusste er Rat. —
Oluf Christian Dietrichson wurde am 31. Mai 1856 in Skogn bei Levanger geboren. Sein Vater war der Kreisarzt Peder Wilhelm Krejdahl Dietrichson und seine Mutter Canuta Pauline Ditlevine Due. Er genoss eine strenge Erziehung und wurde früh zu männlicher Tätigkeit angehalten und an das Leben in freier Luft gewöhnt. Sein Schulweg bis Levanger, wo er bis 1873 die Schule besuchte, betrug fast eine deutsche Meile, später kam er ein Jahr auf Trondheims Lateinschule und von dort nach Kristiania auf die Maribogadens-Schule, wo er bis 1876 blieb. Dann nahm er ein Jahr lang Privatstunden und wurde 1877 Kadett, als solcher kam er in die mittelste (die sogen. zweite) Klasse der damals aus fünf Klassen bestehenden Kriegsschule. Im Jahre 1880 wurde er zum Offizier, im Februar 1882 zum Seconde-Lieutenant und im Sommer 1890 zum Kapitän in der Trondheimschen Brigade ernannt.
1886 wurde er Premier-Lieutenant in derselben Brigade.
In den Wintersemestern 1882-84 machte er die Zentralturnschule in Kristiania durch und bildete sich zum Lehrer in der Gymnastik und Waffenführung aus; im Jahre 1887 wurde er als Hilfslehrer bei dieser Schule angestellt.
Dietrichson hat sich sein Leben lang auf das eifrigste mit allen körperlichen Übungen beschäftigt. Von Natur hat er einen starken, wohl proportionierten Körper, der durch gute Erziehung stets abgehärtet und entwickelt worden ist.
In den späteren Jahren hat er jeden Winter lange Schneeschuhtouren durch die verschiedenen norwegischen Berggegenden gemacht; er hat auf seinen Schneeschuhen fast alle Täler zwischen Skien und Trondheim durchwandert, und es gibt wohl kaum Jemand, der so viel von Norwegen zur Winterszeit gesehen hat, wie er.
Kapitän O. C. Dietrichson
Auf der Expedition gereichten uns die Kenntnisse, die er durch seine militärische Ausbildung erworben hatte, zu großem Nutzen. Er übernahm fast ausschließlich die Führung des meteorologischen Tagebuches, wie auch die ausgeführten Landmessungen und die angefertigten Karten sein Verdienst sind. Mit Selbstaufopferung und großem Eifer unterzog er sich dieser Arbeit, die um so anerkennenswerter ist, wenn man bedenkt, unter welchen Verhältnissen er arbeitete. Vollauf kann das wohl nur Derjenige verstehen, der es versucht hat, bei einer Temperatur von unter -30, seine Beobachtungen zu machen, und sein meteorologisches Tagebuch genau und pünktlich wie gewöhnlich zu führen, selbst wenn man todmüde ist, und wenn von allen Seiten der Untergang droht, oder zu schreiben, wenn die Finger so von Frost angeschwollen sind, dass man kaum einen Bleistift halten kann. Ja, dazu gehört wahrlich mehr als das gewöhnliche Maß von Energie und Charakter! —
Kristian Kristiansen Trana war nicht mehr als 24 Jahre alt, als er sich der Expedition anschloss. Dies ist freilich ein bedeutend geringeres Alter, als wie ich es zu dergleichen Strapazen für zweckmäßig halte, aber er war mutig und stark und hatte eine ganz außerordentliche Lust zu dem Unternehmen. Auf Sverdrups Empfehlung hin besann ich mich deswegen nicht, ihn mitzunehmen. Ich sollte es auch nicht bereuen, obgleich er sein kräftigstes Alter sicher noch nicht erreicht hatte. Er wurde am 16. Februar 1865 in dem Oertchen Grinna geboren, ein wenig südlich von Trana, dem jetzigen Sverdrupschen Besitz. In seiner Heimat hat er sich hauptsächlich an Forstarbeiten beteiligt, außerdem ist er mehrmals zur See gewesen und hat infolgedessen ein wenig von der Welt gesehen. Er war ein tüchtiger, zuverlässiger Bursche, und wenn Kristian versprochen hatte, irgendetwas auszuführen, so wusste ich stets, dass es getan wurde. —
Kristian Kristiansen.
Samuel Johannesen Balto ist ein in Karasjok ansässiger Lappe, er war 27 Jahre alt, als er sich auf die Expedition begab. Er war von mittlerer Größe und hatte eigentlich nichts ausgeprägt Lappländisches in seinem Äußern. Er gehört zu den sogenannten Flusslappen, die gewöhnlich größer von Wuchs sind und stark mit Kvänen (Finnen) vermischt zu sein pflegen. Die meiste Zeit hatte er mit Forstarbeiten verbracht, mehrere Jahre hindurch war er aber auch mit auf Fischfang ausgezogen. Eine Zeitlang hatte er bei den Berglappen gedient und war beim Hüten der Rentiere behilflich gewesen.
So war er u. a. eine kurze Zeit hindurch Knecht bei Ravna gewesen. Er war ein lebhafter, aufgeweckter Bursche, eifrig bei allem, was er vornahm; er unterschied sich hierin wesentlich von seinem Kameraden Ravna. Dabei besaß er eine große Ausdauer und war stets bereit, bei allem zu helfen, wodurch er für uns von großem Nutzen wurde. Mit seiner fließenden Zunge und seinem gebrochenen Norwegisch war er auch im wesentlichen das erheiternde Element unserer Expedition. —
Samuel Balto. Ole Ravna.
Ole Nielsen Ravna ist ein Berglappe aus der Karasjokgegend und zählte 45 oder 46 Jahre, — er war dessen selber nicht ganz sicher. Sein ganzes Leben lang hat er als Nomade in seinem Zelt gelebt, mit seinen Rentieren auf den finnmarkischen Feldern umherziehend. Seine Rentierherde war vor seiner Reise nach Grönland nicht sonderlich groß, — sie zählte zwischen 200 und 300 Tiere. Er war der Einzige von der Expedition, der verheiratet war, — er verließ seine Frau und fünf Kinder. Wie bereits vorhin erwähnt, hatte ich keine Ahnung davon, — ich hatte als Bedingung aufgestellt, dass keiner der Teilnehmer verheiratet sein solle. Wie es die Berglappen in der Regel zu sein pflegen, war er bedeutend phlegmatischer als der jüngere Lappe, er sah es am liebsten, wenn wir uns nicht auf der Wanderschaft befanden, um mit gekreuzten Beinen still in einer Ecke des Zeltes sitzen zu können und nichts zu tun, nachdem er sich vorher gründlich vom Schnee gereinigt hatte. Selten sah man ihn etwas vornehmen, ohne dass er direkt dazu aufgefordert wurde. Er war sehr klein von Wuchs, aber überraschend stark und ausdauernd, obwohl er sich selbst und seine Kräfte stets zu schonen wusste. Er sprach, besonders zu Anfang der Reise, sehr wenig norwegisch, aber infolgedessen konnten seine Bemerkungen oft äußerst komisch klingen und große Heiterkeit hervorrufen. Er konnte nicht schreiben und hatte keinen Begriff von einer so modernen Einrichtung wie einer Uhr, lesen hingegen konnte er, und seine liebste Lektüre war das Neue Testament in lappländischer Sprache, von dem er sich niemals trennen wollte.
Beide Lappen waren, wie sie selbst sagten, nur mitgegangen, um Geld zu verdienen, nicht aus Lust an dem Unternehmen oder an Abenteuern. Sie waren im Gegenteil äußerst bange vor dem Ganzen und ließen sich leicht einschüchtern, was ja kein Wunder ist, wenn man bedenkt, wie wenig sie von vorneherein über unsere Pläne unterrichtet waren. Dass sie nicht so unwissend zurückkehrten, kann man u. a. aus Baltos Aufzeichnungen ersehen, von denen auch späterhin einige mitgeteilt werden sollen.
Beide Lappen waren übrigens gutartige und liebenswürdige Menschen. Ihre Treue konnte oft etwas Rührendes haben, und ich habe sie mit der Zeit sehr liebgewonnen.
Fußnoten.
[1] Am liebsten wollte ich bei dem unbekannten Scoresbyfjord weiter nordwärts landen. Dazu musste man jedoch ein besonderes Fahrzeug mieten, und da es voraussichtlich Schwierigkeiten machen dürfte, die hierzu erforderlichen Geldmittel aufzutreiben, habe ich diesen Plan vorläufig aufgegeben.
[2] Als Beispiel kann angeführt werden, dass dort im Sommer 1884 sehr wenig Eis war und die Seehundsfänger die Klappmützen beinahe hart am Lande fingen.
[3] Diese „Truger“ sind aus einem ovalen Holzrahmen gebildet und mit einem Weidengeflecht überspannt. Sie werden in Norwegen viel angewendet, selbst für Pferde.
[4] Auf meine Aufforderung hin schrieb Balto nach unserer Rückkehr den folgenden Bericht in lappländischer Sprache. Prof. Fries hat freundlichst einige Teile davon übersetzt, und die Übersetzung ist so wortgetreu wie möglich gehalten.
Bei Expeditionen von einer Natur, wie die, von welcher hier die Rede ist, hängt selbstverständlich ein glücklicher Ausfall im Wesentlichen von der Ausrüstung ab; ja in diesem besonderen Fall würde das Leben der Teilnehmer aufs Spiel gesetzt, wenn die Ausrüstung nicht so war, wie sie sein sollte. Ein Nagel oder eine Fuge, die ihren Zweck nicht erfüllen, können die ganze Expedition aufhalten, ja die allerernstlichsten Folgen nach sich ziehen. Jede noch so kleine Einzelheit muss gewissenhaft geprüft werden, und man darf weder Veränderungen noch Umstände scheuen, bis alles so vollkommen wie möglich ist. Das Ganze erfordert die bedachtsame Überlegung einer langen Reihe von Bagatellen, von deren Summe aber der Erfolg abhängig ist; es kann schwerlich zu viel Gewicht darauf gelegt werden. Viele der früheren Expeditionen sind meiner Ansicht nach zu leicht über diesen Punkt hinweggegangen.
Wie bereits erwähnt, war es ursprünglich meine Absicht, falls dies ausführbar sei, Hunde oder Rentiere zum Ziehen zu benutzen. Der hierdurch entstehende Vorteil ist begreiflicherweise kein geringer, sobald man die Tiere erst glücklich an der Stelle hat, von wo aus die Schlittenfahrt ihren Anfang nehmen soll. Es ist von vielen erfahrenen Männern gesagt worden, dass sich Zugtiere nicht zu langen Schlittenexpeditionen eignen, da die Tiere — sowohl Hunde wie Rentiere — nur Proviant für sich selber in einem bestimmten Zeitraum ziehen können. Ich verstehe indessen dies Räsonnement nicht, — kann man die Tiere nicht den ganzen Weg benutzen, so steht man sich immerhin gut dabei, sie so lange wie möglich zu benutzen und dann zu schlachten.
Hat man eine genügende Anzahl Tiere — Rentiere oder Hunde — und nimmt man so viel Proviant für sie mit, wie sie neben der übrigen Ausrüstung der Expedition ziehen können, so kann man mit ihrer Hilfe schnell vorwärtskommen, ohne sich wesentlich anzustrengen. Gleichzeitig hat man den Vorteil, dass man — indem man die Tiere nach und nach schlachtet — sich beständig frisches Fleisch zu verschaffen in der Lage ist. Auf diese Weise bedarf man auch keines so umfangreichen Proviants für sich selber, wie dies sonst notwendig sein würde. Wenn man dann endlich gezwungen ist, die letzten Tiere zu schlachten, muss man voraussichtlich ein gutes Stück vorwärtsgekommen sein, ohne an seinen eigenen Kräften zu zehren; nebenbei hat man den Vorteil, sich die ganze Zeit hindurch an frischem Fleisch satt essen zu können, was von großer Bedeutung ist, da man die Reise nun mit ungeschwächten Kräften fortzusetzen vermag. Mancher wird einwenden, dass dies nicht der Fall sein kann, wenn es sich um Hunde handelt, darauf kann ich aber nur antworten, dass ich aus Erfahrung weiß, welch guter Koch der Hunger ist, und dass Hundefleisch durchaus nicht unschmackhaft ist, — die Eskimos halten es sogar für einen Leckerbissen, — und dass Derjenige, der es unter Umständen wie den hier obwaltenden, nicht zu essen imstande ist, sich nicht als Teilnehmer einer Expedition dieser Art eignet.
Hätte ich gute Schlittenhunde auftreiben können, so würde ich sie unbedingt mitgenommen haben. Die Hunde haben nämlich den großen Vorteil vor den Rentieren, dass sie bedeutend leichter zu transportieren und nicht schwer zu füttern sind, sie ernähren sich von demselben Proviant wie wir, während die Rentiere ihren eigenen Proviant haben müssen, der im Wesentlichen aus Rentiermoos besteht, und umfangreich und schwer ist. Es war mir indessen nicht möglich, in der kurzen Zeit, die mir zugemessen war, brauchbare Hunde aufzutreiben, deswegen musste ich den Gedanken aufgeben. Dann dachte ich an Rentiere, schrieb deswegen nach Finnmarken, versah mich sogar in Röros mit Rentiermoos. Aber dann stellte es sich heraus, dass mit ihrer Verfrachtung große Schwierigkeiten verbunden waren, und dass es noch größere Schwierigkeiten machen würde, sie in Grönland an Land zu schaffen. Ich gab deshalb auch die Rentiere auf und hielt mich nun ausschließlich an die Menschen.
Wenn man jedes Stückchen Brot, welches man essen will, selbst ziehen muss, da ist es ganz natürlich, dass man alles so leicht wie möglich einzurichten sucht; der Proviant, die Gerätschaften, die Kleidung, alles muss auf das geringste Minimum reduziert werden. Wenn man mit einer solchen Ausrüstung beschäftigt ist, so kommt man schließlich ganz unbewusst dazu, den Wert aller Dinge nach ihrem Mangel an Gewicht zu berechnen, ja selbst wenn es sich nur um ein Taschenmesser handelt, kommt es vor allem darauf an, dass es leicht ist. Man muss sich aber auch hüten, in der Jagd nach Leichtigkeit allzu weit zu gehen, — die Gerätschaften müssen stark sein, denn sie sollen manche harte Probe bestehen. Die Kleidung muss warm sein, Niemand weiß, wie kalt es wird, und der Proviant muss nahrhaft sein und aus verschiedenen Nahrungsmitteln in passendem Verhältnis bestehen, denn uns steht ein schweres Stück Arbeit bevor, weit schwerer als es sich wohl einer der Teilnehmer träumen lässt.
Aufbruch am Morgen auf dem Inlandseise.
Das Wichtigste bei einer Schlittenexpedition ist natürlich der Schlitten. Da im Laufe der Zeiten, besonders von England aus, so viele Schlittenexpeditionen nach den arktischen Regionen veranstaltet sind, so sollte man annehmen, dass der Schlitten auf Grund der auf diese Weise gewonnenen Erfahrungen einen hohen Grad der Entwickelung angenommen haben müsse. Das ist nun freilich nicht der Fall, und man kann sich nicht genug wundern, dass Expeditionen so neuen Datums, wie z. B. die zweite deutsche Nordpolexpedition 1869-70 (nach der Ostküste von Grönland), die österreichisch-ungarische Nordpolexpedition 1872-74 (nach dem Franz Josef-Land) oder selbst die große englische Nordpolexpedition unter Nares 1875-76 (nach dem Smith Sund) mit so großen, klotzigen, unzweckmäßigen Schlitten ausgerüstet wurden, wie dies der Fall war. Weit besser stand es in dieser Beziehung mit den beiden letzten amerikanischen Expeditionen (1881-84) und derjenigen, die im Jahre 1884 unter Schley und Soleys Leitung zu Greelys Entsatz ausgesandt wurde.
Der gewöhnliche Fehler bei den Schlitten der verschiedenen Expeditionen bestand darin, dass sie zu schwer und zu klotzig gebaut und viel zu groß waren. Wenn man dazu in Betracht zieht, dass sie gewöhnlich viel zu schmale Schienen hatten, so wird es leicht zu verstehen sein, dass sie tief in den Schnee einsanken und oft nur mit größter Schwierigkeit vorwärts zu bewegen waren. Einzelne Expeditionen gebrauchten wohl die in Amerika üblichen Toboggans, die aus einem einzigen, vorn erhöhten Brett bestehen. Sie sind gewöhnlich aus Birkenholz oder dergl. und haben eine Länge von 2,5 m und eine Breite von 46 cm oder mehr.
Wir finden diese Schlitten schon im Anfange unseres Jahrhunderts zu Expeditionen benutzt, — beispielsweise führte Franklin solche auf seiner ersten Expedition mit sich. Der englische Reisende Dr. Rae und nach ihm Greely wandten ähnliche, auf beiden Seiten mit ganz schmalen und niedrigen Schienen versehene Schlitten an. Es ist ganz selbstverständlich, dass diese Schlitten sich bei losem Schnee gut auf der Oberfläche halten und sich zu einer solchen Bahn vorzüglich eignen, wenn aber der Schnee ein wenig härter ist, geben sie doch eine zu starke Reibung und sind dann schwer zu ziehen.
Auf den Gedanken, die Schlitten auf breite Schienen zu stellen, sind merkwürdigerweise nur sehr wenige Expeditionen gekommen.
Payer sagt freilich in seinem Buch über die österreichisch-ungarische Expedition, „dass breite Schlittenschienen den Marsch durch tiefen Schnee sehr erleichtern“. Er meint damit Schienen von 2¾ Zoll Breite, — was für uns Norweger etwas ganz Natürliches ist, da wir von alten Zeiten her an die „Skikjälker“ gewöhnt sind. Es sind dies kleine Schlitten, die auf breiten, den Schneeschuhen (Ski) ähnlichen Schienen ruhen und in vielen Gegenden Norwegens von den Schneeschuhläufern sowohl im Walde wie im Gebirge angewendet werden, um Lasten wie Heu, Holz und dergl. zu befördern. Sie werden an einem Seil gezogen, aber durch eine an der Seite befestigte Stange gelenkt, was sehr wichtig ist, um die „Kjälker“ zu verhindern, die Schneeschuhläufer zu überfahren, wenn es in sausender Fahrt den Berg hinabgeht. Die „Skikjälker“ sind über Schweden und Finnland bis nach Sibirien hin verbreitet.[5]
Dieser Kjälke schwebte mir bei der Konstruktion des Schlittens vor, der von uns zur Anwendung gelangte. Derselbe verband die Eigenschaften, die bei einem Schlitten als die wichtigsten betrachtet werden müssen, — er war stark, leicht, hielt sich gut auf der Oberfläche und glitt leicht über den Schnee hin, gleichviel wie derselbe beschaffen war. Außer den norwegischen „Kjälkern“ hatte mir auch der Schlitten vorgeschwebt, der in der Greely-Expedition beschrieben war und dessen sich die Expedition bediente, welche ausging, um Greely zu suchen.[6]
In dem Tischler Christiansen, jetzt in Naes in Telemarken ansässig, fand ich einen tüchtigen und gewissenhaften Mann für die Anfertigung der Schlitten. Er sparte nichts, um meinen Wünschen nachzukommen und das ausgesuchteste Material zu verschaffen. Erst nach zahllosen Änderungen und Versuchen, — u. a. auf einer Reise über das Gebirge von Bergen nach Kristiania, — entschloss ich mich für die Form, welche wir dann später benutzten.
Alles Holzwerk mit Ausnahme der Schienen war von Eschenholz und aus so zähen Stücken wie nur möglich. Da auserlesenes Eschenholz bekanntlich ein außerordentlich starkes Material ist, konnte das Obergestell der Schlitten sehr leicht und dünn angefertigt werden, ohne doch schwach zu werden.
Die Schienen waren an einigen Schlitten aus Ulmenholz verfertigt, an anderen aus Ahorn, — welche beide Holzarten sich vorzüglich durch ihre Glätte auf dem Schnee auszeichnen. In der Beziehung war es freilich einerlei, woraus sie gemacht waren, denn die Schienen waren mit dünnen Stahlplatten beschlagen, die ich abzunehmen dachte, sobald wir auf losen Schnee kämen, die jedoch mit einer einzigen Ausnahme während des ganzes Weges benutzt wurden.
Folgende Zeichnung gibt wohl eine so anschauliche Vorstellung von dem Bau der Schlitten, dass jede weitere Beschreibung überflüssig ist. Es waren gar keine Nägel verwendet worden, alles Zusammenfügen war vermittelst Sorring bewerkstelligt, was den Schlitten elastischer macht, so dass er bei Stößen u. dergl. nachgibt, wo Nägel in der Regel herausfallen. Die Folge hiervon war auch, dass auf der ganzen Reise nicht das Geringste zerbrochen wurde. Die Länge der Schlitten betrug ungefähr 2,90 m und die Breite etwa 0,50 m. Maß man die Schienen an der Unterseite von einer Spitze zur anderen, so betrug ihre Länge 2,89 m, während die Breite 9,5 cm betrug. Dass sie sowohl hinten wie vorne in die Höhe gebogen waren, gab dem Schlitten eine größere Stärke und Elastizität, und gewährte gleichzeitig den Vorteil, dass man ihn, falls das Vorderteil auf irgendeine Weise beschädigt werden sollte, umwenden und das hintere Ende als Vorderteil benutzen konnte. Die in die Höhe stehende Rücklehne, die man auf der Zeichnung erblickt, war aus einer gebogenen, dünnen Eschenstange gemacht. Sie erwies sich sehr praktisch zum Lenken und Schieben des Schlittens auf schwierigem Terrain, wo eine Person nicht ausreichte, um einen Schlitten vorwärtszubewegen.
Schlitten der Expedition.
Das Gewicht eines jeden Schlittens ohne die Stahlschienen betrug ungefähr 11,5 kg; mit den Stahlplatten unter den Schienen 13,75 kg. Außer diesen dünnen Stahlplatten war an der Mitte jeder Schiene auf der Innenseite eine schmale, viereckige Stahlstange angebracht, die als eine Art Kiel dienen und bei hart gefrorenem Boden die Schlitten steuern und sie am Schleudern verhindern sollte, welches Letzteres von großer Wichtigkeit ist, wenn man sich über Eisgletschern mit Spalten hinbewegt, wo ein Schlenkern des Schlittens leicht ein Verschwinden in der Tiefe zur Folge haben kann, — und in einem solchen Falle kann man froh sein, wenn man nicht mit in den Abgrund hinabgerissen wird.
Diese Stahlstangen leisteten uns, solange sie festsaßen, vorzügliche Dienste, da sie aber bei den heftigen Bewegungen der Schlitten auf dem unebenen Terrain in der Nähe der Küste vielen Stößen ausgesetzt waren, wurden sie bald abgerissen, — besonders geschah letzteres, sobald wir in die Kälte hinaufkamen, wo der Stahl so zerbrechlich wurde wie Glas.
Bei künftigen Expeditionen wäre deshalb ein Kiel unter den Schienen, falls man einen solchen benutzen will, auf andere Weise anzubringen, als wir es getan hatten. Am stärksten würden solche Kiele natürlich sein, wenn sie mit den Stahlplatten aus einem Stück gearbeitet wären, dadurch würden diese aber den Vorzug verlieren, den unsere hatten, nämlich dass sie abgenommen werden konnten, wenn man sich ihrer nicht bedienen wollte.
Wie es aus der Zeichnung hervorgeht, befand sich in der Mitte der Oberfläche der Schienen ein längslaufender Rücken, der ihnen, die des Gewichts halber natürlich dünn waren, die nötige Steifigkeit und Elastizität gaben.
Die Schlitten waren darauf berechnet, je von einem Mann gezogen zu werden, da es aber bei schwierigem Terrain am richtigsten ist, einen Mann vorauszuschicken, um den besten Weg ausfindig zu machen, ohne dass die Expedition deswegen Halt zu machen braucht, und da es gleichzeitig am schwersten ist, im losen Schnee voranzugehen, so finde ich es am zweckmäßigsten, wenn der erste Schlitten von zwei Männern gezogen wird. Aus diesem Grunde hatten wir nur fünf Schlitten mitgenommen.
Welch ein Vorteil es ist, so viele kleinere Schlitten zu haben statt weniger großer, wie die meisten früheren Expeditionen, scheint mir auf der Hand zu liegen.
Bei schlechtem Terrain, wo man nur mühselig vorwärtskommt, ist es schwer, die großen Schlitten mit ihrer schweren Last zu handhaben, ja bei unserer Expedition würde es oft geradezu eine Unmöglichkeit gewesen sein, ohne sie abzuladen und die Bagage zu tragen, während wir, wenn wir zu Zweien oder Dreien den Transport eines unserer kleinen Schlitten übernahmen, überall hindurch kommen konnten, ohne umzupacken oder abzuladen. Zuweilen waren wir gezwungen sie ganz und gar, so wie sie waren, zu tragen.
Das Verwandeln unserer Schlitten in Segelschlitten, was mehrmals geschah, ging ohne weiteres vor sich, indem wir zwei oder drei Schlitten nebeneinanderstellten und vermittelst einiger Schneeschuhe oder Stäbe zusammenbanden und festschnürten, dann errichteten wir einige eigens dazu mitgebrachte Bambusrohre als Masten. Als Segel benutzten wir unseren Zeltfußboden oder zwei Persenninge. Wenn wir die Schlitten dann mit einer vorn angebrachten Steuerstange — ähnlich einer Wagendeichsel — von Bambusrohr lenkten, so konnten wir auf diese Weise ganz gut segeln. Wenn man bei einer Ausrüstung speziell diesen Punkt ins Auge fassen würde, konnte man sich natürlich noch bedeutend praktischer und zweckmäßiger einrichten, als wir es getan hatten. Meiner Ansicht nach muss dieser Art und Weise der Beförderung — die auf dem grönlandischen Inlandseis zuerst von dem Amerikaner Peary angewandt wurde — bei künftigen Expeditionen weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden, als bisher. Besonders dürfte es für die Untersuchung des antarktischen Kontinents von Bedeutung werden.
Für eine Expedition wie die unsere ist selbstverständlich die Konstruktion der „Ski“ von ebenso großer Wichtigkeit wie die der Schlitten. Da ich aber im nächsten Kapitel unsere Ski eingehender besprechen werde, so will ich vorläufig nur darauf hinweisen. Außer den „Skiern“ führten wir auch indianische Schneeschuhe und norwegische Truger mit uns.
Die indianischen Schneeschuhe bestehen bekanntlich aus einem Flechtwerk von Tiersehnen (am häufigsten vom amerikanischen Elentier), die in einen Rahmen von zähem Holz (Eschenholz oder dergl.) gespannt werden. Unsere Schneeschuhe hatten eine Länge von 1,06 m und eine Breite von 39 cm.
Die norwegischen Schneeschuhe oder, wie wir sie nennen, „Truger“ waren aus Weidenflechtwerk angefertigt und hatten eine Form, wie aus umstehender Zeichnung ersichtbar ist. Sie waren klein und hatten nur eine Länge von ungefähr 89 cm und eine Breite von ca. 26 cm.
Die Truger werden in einzelnen Gegenden Norwegens nicht selten im Winter wie im Frühling verwendet. Besonders sind sie bei Frühlingswetter besser zu gebrauchen, als die Ski. Die hauptsächliche Verwendung finden die Truger jedoch in vielen Gegenden des Landes für die Pferde. Diese Pferdetruger gleichen völlig den Menschentrugern, nur ist die Befestigung selbstverständlich ein wenig anders und der Form der Pferdehufe angepasst. Unsere Fjordpferde lernen es sehr bald, auf Trugern zu gehen, und können infolgedessen mit großem Nutzen auf schneeigem Terrain verwendet werden, wo andere Pferde eine Unmöglichkeit sind.[7]
Norwegischer Truger oder Lappenschuh.
Schneeschuhe, sowohl indianische wie norwegische, stehen natürlich unter gewöhnlichen Verhältnissen weit hinter den Skiern zurück, d. h. falls ein Mann diese letzteren zu benutzen versteht. Wenn ich trotzdem Schneeschuhe mitnahm, so geschah das aus dem Grunde, weil ich glaubte, sie würden dort zweckmäßiger sein, wo es darauf ankam, die schweren Schlitten die Hügel hinauf zu ziehen. Hierzu wurden sie denn auch verwendet, — ich selber gab den indianischen den Vorzug, ebenso einzelne der anderen Norweger. Einer von ihnen konnte sich jedoch nicht mit ihnen aussöhnen. Es erfordert nämlich ein wenig Übung, um sich ohne zu straucheln auf ihnen bewegen zu können. Er bediente sich dann der norwegischen Truger, mit denen er freilich bedeutend tiefer in den weichen Schnee hineinsank.
Lange fanden die Schneeschuhe überhaupt nicht Anwendung, bald schnallten wir die Ski an und fanden, dass diese, selbst wenn es bergan geht, vorzuziehen sind.
Das Boot der Expedition.
Einen Vorzug haben allerdings die Schneeschuhe vor den Skiern, falls unter diesen kein Fell ist, nämlich den, dass sie auch bei Tauwetter benutzt werden können, wenn der Schnee ballt und sich unter den Skiern festhängt. Ein zweiter Vorzug besteht darin, dass die Schneeschuhe bedeutend leichter zu tragen sind als die Skier.
Um ein zweckmäßiges Boot zu erhalten, das leicht genug war, um über das Meereis gezogen zu werden, und dabei doch stark genug, um die vielen Stöße aushalten zu können, denen es zwischen den launenhaften Treibeisschollen ausgesetzt sein würde, — ließ ich ein besonders für diesen Zweck berechnetes in Kristiania bauen.
Die ganze Länge des Bootes betrug 5,96 m, die größte Breite 1,88 m, die inwendige Tiefe 0,63 m. Die Vertäfelung des Bootes bestand aus einer doppelten Haut, von denen jede 10 mm dick war, und einer Zwischenlage von dünnem Segeltuch. Die innere Vertäfelung bestand aus Fichtenholz, die äußere aus norwegischem Eichenholz, beide auf das sorgfältigste zusammengefügt. Die Bänder oder Spanten waren aus gebogenem Eschenholz, 26 mm breit und 13 mm dick, mit einem Abstand von 15¹⁄₇mm voneinander. Auf der unteren Seite befand sich zu beiden Seiten des Kieles je eine Schiene von Fichtenholz, die darauf berechnet waren, das Boot während des Transportes über das Eis zu stützen. Das Boot war sehr zweckmäßig gebaut, es war stark und dabei elastisch genug, um dem Druck der Eisschollen nachzugeben. Ich bin jedoch geneigt, eine einfache Vertäfelung der doppelten vorzuziehen, da das Boot dadurch leichter zu steuern ist und die doppelte Vertäfelung leicht Wasser aufnimmt und das Boot dadurch schwerer macht. Außerdem ist ein Boot ohne Schienen einerseits ebenso leicht über das Eis zu transportieren, während andrerseits bei einem Boot mit Schienen die letzteren leicht in die Klemme geraten, wenn sich das Eis zusammenstaut, und dadurch das Boot zerstören.
Ein wichtiger Ausrüstungsgegenstand für alle arktischen Expeditionen ist der Schlafsack. Für eine Expedition wie die unsere war die Natur des Stoffes, aus welchem diese Säcke verfertigt werden sollten, natürlich von größter Wichtigkeit. Ein solcher Sack musste so leicht wie möglich sein und dabei doch genügend Wärme gewähren. Auf früheren Expeditionen hat man teilweise Wolle oder Filz dazu verwendet, teilweise verschiedene Fellarten. Der wollene Stoff gewährt natürlich den Vorteil, den Schweiß besser hindurchzulassen, als wie es bei Fellen der Fall ist; auf diese Weise kondensiert sich die Feuchtigkeit bei starker Kälte nicht in dem Grade, wie in einem aus Fellen bestehenden Sack, — auf der anderen Seite aber hat der Wollstoff den großen Fehler, dass er im Verhältnis zu seiner Wärme viel zu schwer ist. Ich ging eine Zeitlang mit dem Gedanken um, wollene Schlafsäcke zu versuchen, aber ich fand, dass sie zu wenig Wärme gaben, und ich fürchte, dass, wenn wir uns wirklich derselben bedient hätten, wir kaum die Westküste Grönlands lebendig erreicht haben würden.
Die halbe Expedition in ihrem Schlafsack.
Nach verschiedenen Versuchen entschied ich mich endlich für Schlafsäcke aus Rentierfell, als das zweckmäßigste, was für den Augenblick aufzutreiben war. Das Rentierfell ist im Verhältnis zu seinem Gewicht das wärmste aller mir bekannten Fellarten, besonders ist das Winterfell des Rentierkalbes äußerst leicht und warm. Dies konnte ich jedoch leider nicht mehr rechtzeitig auftreiben, weshalb ich mich mit dem Fell von „Simlern“ (Rentierkühen), das bedeutend schwerer ist, begnügen musste. Eine Schattenseite bei den Rentierfellen ist natürlich die, dass die Haare sich leicht abscheuern, wie es auch nicht viel Wasser verträgt, ohne dass die Haare ausfallen. In der Beziehung ist Hundefell weit besser und stärker, die Wärme des Rentierfelles erreicht es freilich nicht. Noch besser als Hundefell ist Wolfsfell, das nur den einen Fehler hat, sehr kostbar zu sein. Das Fell unserer Schlafsäcke hielt während der ganzen Reise und auch den Winter auf der Westküste gut vor. Es war für unseren Zweck vom Kürschner Brandt in Bergen besonders präpariert und ich hatte allen Grund, damit zufrieden zu sein.
Wir hatten zwei Schlafsäcke, von denen jeder so eingerichtet war, dass er drei Mann fassen konnte. Dies ist sehr zweckmäßig, indem ein Sack für drei Mann natürlich bedeutend leichter ist, als drei „einschläfrige“ Säcke, und außerdem ist ein solcher viel wärmer, indem drei Männer in demselben Sack sich gegenseitig erwärmen.
Einen noch größeren Vorteil würde man in dieser Hinsicht durch einen Sack für die ganze Expedition erzielt haben. Dies mochte ich jedoch nicht wagen, denn wenn der Schlitten, auf welchem dieser eine Sack lag, in eine Eisspalte fiel, so würden wir ohne jeglichen Schutz gegen die Nachtfröste dastehen, während wir — falls einer der dreischläfrigen Säcke verloren ging — doch nicht ratlos waren, zur Noth konnten nämlich vier Mann in dem einen Sack schlafen; man hätte dann allerdings abwechseln müssen.
Nach oben zu waren die Säcke mit einem mützenartigen Deckel versehen, die vermittelst zweier Riemen zugezogen werden konnten. So lange die Kälte nicht allzu fühlbar war, pflegte es mit diesen geschlossenen Deckeln warm zu werden, sobald es aber kälter wurde, waren wir froh, soweit zuschnüren zu können, als die Riemen reichten.
Durch die Spalte, welche trotzdem blieb, hatten wir immerhin Ventilation genug. Von der kühlen Nachtluft, die in Grönlands Innerem weht, brauchte nicht viel in die Säcke zu dringen, um die Kälte empfindlich werden zu lassen. Um die Schlafsäcke gegen Feuchtigkeit zu schützen, hatte ich Bezüge aus dünnem Wachstuch anfertigen lassen, — sobald wir aber auf das Inlandseis kamen, wurden diese Bezüge kassiert.
Luftkissen aus Kautschuk als Unterlage für die Säcke hielt ich nicht für notwendig, da die Säcke aus Rentierfell waren; und da diese Luftkissen ziemlich schwer sind, ist es natürlich ein Vorteil, wenn man sie entbehren kann.
An Kleidungsstücken hatten wir, mit Ausnahme einiger Reservegegenstände, nicht viel mehr mit, als das, worin wir die ganze Zeit, seit wir Norwegen verlassen hatten, gingen und standen. Ausgenommen zwei „Päsker“ (Pelze) mit dazu gehörigen Beinkleidern aus Rentierfell, welche die Lappen mithatten, und einer kleinen, mit Eichhornfell gefütterten Jacke, die ich mitnahm, freilich fast ohne Verwendung dafür zu haben, hatten wir keinerlei Pelzbekleidung mit, sondern waren von Kopf bis zu Fuß in Wolle gehüllt. Am bloßen Leibe trugen wir dünne, wollene Hemden und ebensolche Unterbeinkleider, dann kam eine dickere isländische wollene Unterjacke und darauf das Oberzeug, das aus einer Jacke für den Oberkörper, Kniebeinkleidern und Schneesocken für die Beine bestand und aus norwegischem Fries verfertigt war. Diese Bekleidung erwies sich als äußerst praktisch. Wollenes Zeug ist bei Strapazen, wie überall, das gesundeste, indem es der Transpiration freien Durchgang gewährt, wogegen Leinen, Baumwolle sowie Fellbekleidung dieselbe hemmen. Vor allen Dingen mussten wir es natürlich vermeiden zu schwitzen, da dies bei starker Kälte leicht eine Abkühlung mit nachfolgendem Erfrieren zur Folge haben kann. Wir mussten deshalb lieber allmählich, wenn wir warm wurden, von unseren Bekleidungsstücken ablegen, und so konnte es sich ereignen, dass die Mitglieder der Expedition bei einer Kälte von 20-30 Grad nur mit einer wollenen Unterjacke bekleidet waren und dabei schwitzten wie an einem Sommertage.