Auf Umwegen zum Glück - Hans Ernst - E-Book

Auf Umwegen zum Glück E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Lange hat sich Julia gegen ihre Liebe zu Maximilian Brunner gewehrt. Doch dann scheinen die Tochter des reichen Stögerhofbauern und der Sohn einer armen Witwe zusammen das ganz große Glück gefunden zu haben. Als jedoch Julia ihrem ahnungslosen Vater gestehen muss, dass sie von Maximilian ein Kind erwartet, reagiert der mit eiserner Härte: Die werdende Mutter wird zu Verwandten gebracht, und jeder Kontakt zwischen den Liebenden wird unterbunden. Als sich die beiden nach Jahren wieder sehen, ist Maximilian ein weltberühmter Skirennläufer geworden.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2002

© 2018 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titel der Originalausgabe: »Der Läufer von Flurs«

Titelbild: Mauritius Die Bildagentur GmbH – Pöhlmann

Redaktionelle Bearbeitung: Petra Schnell, Stephanskirchen

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

eISBN 978-3-475-54796-6 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Auf Umwegen zum Glück

Lange hat sich Julia gegen ihre Liebe zu Maximilian Brunner gewehrt. Doch dann scheinen die Tochter des reichen Stögerhofbauern und der Sohn einer armen Witwe zusammen das ganz große Glück gefunden zu haben. Als jedoch Julia ihrem ahnungslosen Vater gestehen muss, dass sie von Maximilian ein Kind erwartet, reagiert der mit eiserner Härte: Die werdende Mutter wird zu Verwandten gebracht, und jeder Kontakt zwischen den Liebenden wird unterbunden. Als sich die beiden nach Jahren wiedersehen, ist Maximilian ein weltberühmter Skirennläufer geworden.

– 1 –

Der Stögerhof war eines der schönsten und größten Anwesen im ganzen Tal. Wie eine Trutzburg stand er droben auf seiner Höhe. Hell schimmerte das weiße Gemäuer unter dem dunklen Holzwerk. Bis hoch hinauf zum Wald und hinunter fast bis nach Flurs reichte der Besitz.

Der Bauer war ein rüstiger Fünfziger, mit dunklem, kurz geschorenem Vollbart. Ein kantiger Kopf saß auf einem breiten Nacken, die starken Brauen standen wie Wollknäuel über den schwarzen Augen.

Lorenz Breitenbacher trug ein stolzes Wesen zur Schau, führte im Gemeinderat ein gewichtiges Wort und ließ die Dinge in aller Ruhe an sich herankommen. Dort prallten sie dann ab wie an einer Mauer, oder er nahm sie gelassen an sich und verwandte sie für seine Pläne, die durchaus kühn und unternehmungslustig waren.

Sein Weib hatte er sich aus dem Navistal, aus Matrei, geholt. Sie starb ihm nach fünfzehnjähriger Ehe in dem Augenblick, als sie ihm einen Sohn gebären wollte. Das war ein schwerer Schlag für ihn. Um dieses erhofften Sohnes willen hatte er die Tochter Julia nie mit sonderlicher Liebe umgeben. Es war, als habe er es ihr nie verziehen, dass sie als Mädchen zur Welt kam. Aber als man dann die Frau mit dem Neugeborenen ins Grab legte, versuchte er mit beinahe hilfloser Verlegenheit, das Vertrauen des Mädchens für sich zu gewinnen. Doch da war es schon zu spät. Julia hatte bereits im frühen Kindesalter die Lieblosigkeit des Vaters gespürt. Er hatte sie zwar nie geschlagen, aber wenn sie seine Hand streicheln wollte, zog er sie zurück, und auch sonst hatte Julia allüberall gespürt, dass der Vater sich an ihr nicht freute.

Als er sich ihr nun, plötzlich alleine erziehend, väterlich zuneigen wollte, nahm sie diese Liebe als etwas, mit dem sie nichts anzufangen wusste. Der Bauer wurde fast ärgerlich darüber, aber Julia war schon zu selbstbewusst geworden durch die Fülle der Pflichten, die die Mutter ihr hinterlassen hatte, dass sie den Zorn des Vaters gelassen hinnahm.

Lorenz Breitenbacher wurde im Laufe der Zeit mächtig stolz auf seine Tochter. War sie bis zum vierzehnten, fünfzehnten Jahr ein etwas verträumtes, ungelenkiges Kind, so wuchs sie von da an bildhübsch heran. In dem schmalen, gebräunten Gesicht glühten große dunkle Augen wie Sterne. Ihr Mund war weich, und dahinter schimmerten perlweiße Zähne. Julia schoss in die Höhe und wirkte mit sechzehn Jahren schon so wie andere Frauen mit zwanzig. Ein freies, stolzes Wiegen war in ihrem Schritt, und die Burschen begannen die Hälse zu recken, wenn sie durch Flurs ging. Aber ihr Sinn stand nicht danach. Sie war sich nicht bewusst, dass sie schön war, und hatte in ihren Augen noch immer den träumenden Glanz von Kindern, die an Märchen glauben.

Aber immerhin, der Bauer war stolz auf Julia. Er griff sich zuweilen in den Bart und sah ihr nach. Ganz die Mutter wird sie, stellte er dabei fest. Wenn es an der Zeit ist, werde ich ihr einen tüchtigen Mann besorgen. Freilich, ein Sohn wäre mir lieber, dann bliebe der Name Breitenbacher auf dem Hof, wie er es seit dreihundert Jahren war.

Bei jeder Gelegenheit sprach er von seiner Tochter. Im Wirtshaus brachte er gern die Rede auf sie, rühmte ihre Tüchtigkeit im Haushalt und ihre Umsicht in allen Dingen. Wenn dann gar einer durchblicken ließ, dass er einen Sohn habe, dann lachte er laut und ein wenig spöttisch.

»Den Mann, den meine Julia braucht, den such ich ihr selber. Ist mir nicht jeder gut genug, Bauer zu werden auf dem Stögerhof. Der ist ein kleines Königreich.«

Sonntags holte er den blitzblank geputzten Wagen aus der Garage und fuhr mit Julia nach Innsbruck. Da freute es ihn, wenn die Leute sich nach ihnen umdrehten. Julia überragte ihn schon um einen halben Kopf. Aber bei dem langsamen Schreiten durch die Straßen der Stadt reckte er sich unwillkürlich, um nicht gar so klein neben ihr zu wirken. Und er gab sich redlich Mühe, nicht mit dem Fuß zu klappern, denn zuweilen machte ihm eine frühere Verletzung am rechten Bein arg zu schaffen.

Es schmeichelte seiner väterlichen Eitelkeit, sich mit ihr sehen zu lassen. Er führte sie in ein Weinhaus oder in einen Wirtsgarten, wo viele Leute waren, denn er sagte sich: Sie braucht ein wenig Ablenkung. Ihre Pflichten sind schon zu groß und verlangen zuweilen eine Zerstreuung.

Von den Absichten des Vaters hatte Julia keine Ahnung. Sie fuhr zwar gern nach Innsbruck – es gab dort so viele Sachen in den Läden zu sehen –, aber ebensogern wäre sie daheimgeblieben und in den Bergwald hinaufgewandert, wie sie es als Kind so oft getan hatte, um dort den wunderbaren Dingen nachzuforschen, die im Walde webten und lebten.

Einmal sagte der Vater, halb im Spaß, halb ernst zu ihr: »Julia, du kommst jetzt allmählich in die Jahre, wo die Burschen sich nach dir umdrehen. Nimm dich in Acht.«

Daraufhin zuckte sie meist nur achtlos die Achseln. Sie wollte an solche Dinge noch keine Gedanken verschwenden. Mochten die Burschen doch auf sie schauen! Sie konnte es ihnen nicht verwehren. Sie lachte zuweilen sogar mit ihnen oder erwiderte schlagfertig einen Scherz; war sie doch mit den meisten von ihnen zur Schule gegangen. Aber sonst stand ihr Sinn nach anderen Dingen, obwohl sie nun schon bald achtzehn war.

Zu dieser Zeit bekam der Stögerbauer einen neuen Knecht. Er brauchte ihn dringend, denn es waren die Tage der Heuernte, und einer war ihm nach einem Streit davongelaufen. Vielleicht hätte er den Maximilian Brunner sonst gar nicht genommen, denn man hielt im allgemeinen nicht viel von ihm, obwohl eigentlich niemand ihm etwas Schlechtes nachsagen konnte.

Er wohnte mit seiner Mutter droben im Wald in einer ehemaligen Jagdhütte, half ihr Kräuter und Wurzeln zu sammeln, und manchmal mochte ihm vielleicht ein Rehbock über den Weg gesprungen sein, der nachher in den Pfannen seiner Mutter braten musste. Aber niemand konnte ihm Derartiges beweisen. Er lebte schlecht und recht mit seiner Mutter da oben und kümmerte sich nicht weiter darum, dass die Leute sagten, Kräutersammeln sei wohl keine Arbeit für einen kerzengerade gewachsenen Burschen.

Zwar trug auch diese stille Arbeit ihren Segen, denn die Josefa Brunner heilte mit ihren Tränklein und Salben Menschen und Vieh. Die Leute hätten also allen Grund gehabt, ihr dankbar zu sein. Aber es gehört zum Übel der Welt, dass man armen Menschen nicht dankbar ist. Ebenso hätten die Leute bei Maximilian Brunner den Willen zu redlicher Arbeit feststellen können, als er beim Stöger für den fortgelaufenen Knecht in die Bresche sprang. Aber das nahmen sie stillschweigend zur Kenntnis. Er blieb eben nach wie vor der Abkömmling eines wunderlichen Waldweibleins, um deren Leben sich etwas Geheimnisvolles rankte, obwohl sie nichts dafür konnte. Sie war nur einsam geworden, als ihr Mann starb. Sie hatte es oft bitter genug empfunden, dass man ihr und ihrem Buben mit gewisser Scheu begegnete, und dass man sich ihrer nur dann erinnerte, wenn man sie für einen Kranken brauchte, bei dem es oft nichts mehr zum Helfen gab.

Maximilian Brunner kam also in seinem neunzehnten Lebensjahr auf den Stögerhof. Er war ein stämmiger Bursche, ungepflegt in seinem Äußeren, wortkarg und verschlossen. Ein seltsames Feuer glühte in seinen Augen, die so schwarz waren wie das dichte Haupthaar, das ihm in wirren Locken in die Stirn fiel.

»Du kommst mir wie gerufen«, meinte der Stöger, als Maximilian in die Stube trat und sagte, er habe gehört, dass dem Stögerbauern ein Knecht davongelaufen sei, an dessen Stelle er treten wolle.

Maximilian schwieg, darauf und ließ den Bauern weiterreden.

»Es wird dich wohl ein wenig hart angehen«, meinte der Stöger. »Die Arbeit hier ist kein Kinderspiel wie das Kräutersammeln. Kannst du überhaupt Bauernarbeit?«

»Ich meine, der Bauer könnte es doch mit mir versuchen«, antwortete Maximilian bescheiden.

Der Stöger griff sich in den Bart und ließ ein kurzes Lachen hören. »Ha, versuchen – kein schlechter Witz. Na, gewachsen bist du ordentlich. Wenn du anpacken willst – zahlen werde ich dich nicht schlecht. Auch das Essen ist gut bei mir, du wirst dich wundern. Bei euch droben in der Hütte wird sicher oft der Schmalhans Küchenmeister gewesen sein, was?«

Maximilian furchte die Stirn. »Gehungert haben wir nie«, sagte er trotzig.

»Aber Leckerbissen werdet ihr wohl auch nicht gehabt haben. Na, mir kann es recht sein. Kannst gleich naufgehen zur oberen Wiese. Die andern schaffen im Heu.«

Als Maximilian die Stube verlassen wollte, trat Julia ein. Sie begegneten sich auf der Schwelle und sahen sich für Sekunden in die Augen. Dann schloss die Tür sich hinter Maximilian.

»Was ist denn das für ein wilder Bursche?«, fragte Julia den Vater.

»Ein neuer Knecht«, antwortete der Bauer. »Er ist drüben auf der anderen Seite des Tales zur Schule gegangen, darum kennst du ihn nicht. Aber von der Brunner Josefa wirst du schon gehört haben. Er ist ihr Sohn.«

»So, von der Brunner Josefa«, sagte Julia und schaute nachdenklich zum Fenster hinaus. Sie sah Maximilian mit ausgreifenden Schritten den Hügel hinaufmarschieren. Dann wandte sie rasch den Kopf. »Ich wollt nur fragen, Vater, ob jemand Zeit hat, ins Dorf zu gehen. Salz ist ausgegangen und das Salatöl.«

»Ist niemand daheim?« fragte der Bauer, aber er sah ein, dass ihm nichts anderes übrigblieb, als selber nach Flurs zu gehen, um die Sachen zu holen.

Julia werkte darauf wieder in der Küche. Bis es Mittag war, musste das Essen fertig sein. Es gab heute Schweinernes, im Kraut gekocht. Das würde dem neuen Knecht sicherlich gut schmecken, wo er doch der Sohn der armen Kräutersammlerin war.

Maximilian war unterdessen auf der Wiese angelangt. Die Leute gafften wohl, aber er fragte kurz, wer hier anzuschaffen habe und was es für ihn zu tun gäbe.

Der Großknecht wies ihm die Arbeit an. Er musste mit den Mägden das Gras anwerfen. Wahrhaftig, ein Kinderspiel war es, und auf dem Heimweg sagte er: »Am Nachmittag möcht ich mit euch mähen. Die Weiberarbeit passt mir nicht recht.«

Da sagte die mollige Stallmagd Christl spöttisch: »’s Kräutersammeln ist doch auch keine Mannsbilderarbeit.«

Mit einem Ruck drehte er sich um und packte ihr Handgelenk so fest, dass sie vor Schmerz aufschrie. Seine Augen wurden klein vor Zorn.

»Du, hör, was ich dir sage. Und ihr andern sollt es auch gleich wissen. Ich bin nicht gewillt, mir etwas am Zeug flicken zu lassen. Wenn eins von euch was gegen meine Mutter sagt, den schlag ich windelweich, ganz gleich, wer es ist.«

Maximilian besann sich hernach erst, dass er sich nicht so zornig hätte zeigen sollen. Aber er hatte sich damit gleich zu Beginn Achtung verschafft.

Julia trug das Essen in die Stube. Alle saßen um den großen, runden Tisch im Herrgottswinkel und warteten, dass ihnen die dampfende Schüssel vorgesetzt würde.

Der Bauer schöpfte sich zuerst heraus. Aber bevor er seinen Teller voll hatte und der Großknecht an die Reihe gekommen wäre, sagte Julia mit heller, vor Spott singender Stimme:

»Es wäre vielleicht angebracht, wenn der neue Knecht sich die Hände waschen würde, bevor er zu Tisch geht.«

Still wurde es.

Julia sah, die Arme über der Brust verschränkt, mit zusammengekniffenen Augen auf Maximilian.

Der wurde rot bis unter die Haarwurzeln, zog verlegen seine Hände vom Tisch und stand dann auf. Wortlos verließ er die Stube, obwohl jeder darauf gefasst war, dass er in Zorn geraten würde. Nein, ganz geduldig ging er hinaus, und man hörte draußen am Brunnen das Wasser plätschern. Aber er kam nicht wieder herein, warf sich hinter dem Haus ins Gras und presste die Fäuste an den Mund, um nicht hinauszuschreien vor Zorn und Scham. Eine Handvoll Johannisbeeren war für diesen Tag sein Mittagessen, dann ging er an die Arbeit.

Am nächsten Morgen zog Maximilian wieder mit zur Wiese hinauf. Er mähte in breiten Schwüngen und spürte, wie er mit jeder Mahd mehr und mehr von seinem bisherigen inhaltslosen Leben begrub, und er horchte mit beinahe kindhaftem Lächeln auf das Rauschen der Sense.

O ja, er konnte arbeiten! Das sahen alle, und er selbst begriff nicht ganz, dass es ihm bisher ohne Arbeit behaglich gewesen war. Konnte er der Mutter auf diese Art nicht mehr nützen? Er wollte ihr jeden Sonntag seinen Wochenlohn bringen, wollte Heller für Heller zusammenlegen, bis es dann so viele waren, dass man die Hütte ausbessern konnte. Ja, das würde er tun! Dahin ging sein Sinn, und deshalb packte er alle Arbeit mit lustvoller Freude an.

– 2 –

Drei Tage war er nun auf dem Stögerhof, und schon am ersten Tag hatte er gemerkt, dass Julia ihn nicht leiden mochte. Sie hatte bisher überhaupt kaum mit ihm gesprochen. Das erste Wort war gleich eine beschämende Demütigung für ihn gewesen. Und er wusste selber nicht recht, warum er dies so stillschweigend eingesteckt hatte. Hätte es ein anderer gesagt, er hätte um sich geschlagen, jawohl. Aber gegen so viel Schönheit war er machtlos.

Vielleicht wusste er selber nicht recht, dass er immer hinter Julia hersah. Er tat es wirklich ganz unbewusst, aber auch ebenso unauffällig. Julia jedoch merkte es und lehnte sich dagegen auf.

Maximilian tat in der Folgezeit das, was vielleicht manch anderer nicht getan hätte. Er gab sich Mühe, den Unwillen Julias nicht mehr zu erregen. Er wusch sich die Hände häufiger als die anderen drei Knechte zusammen. Er begann, sich in der Woche zweimal zu rasieren, und zog am Abend ein sauberes Hemd an. Das Haar hing ihm nicht mehr wirr und wild in die Stirn. Er trug es gescheitelt und gab seinem Gesicht dadurch einen ganz anderen Ausdruck.

Eines Abends traf die Julia ihn, blieb, erstaunt über die Veränderung, die mit seinem Äußeren vor sich gegangen war, einen Augenblick stehen, und sah in seine Augen, die zu fragen schienen: Ist es recht so? Aber dann verzog sich ihr Mund spöttisch, und sie ging an ihm vorüber.

Maximilian glaubte, dass er es erst vollends recht machen könne, wenn er sich noch mehr hinter die Arbeit stemmte. Die Kräfte dazu hatte er wohl.

Fast unmerklich wand er dem Großknecht die Macht aus den Händen. Der Bauer sah es nicht ungern, aber der hagere, kerzensteife Großknecht, der bisher das Zeitmaß der Arbeit bestimmt hatte, lehnte sich mürrisch dagegen auf, und als das Korn hereingebracht war, verließ er den Hof.

»Er treibt uns alle Leute fort«, sagte Julia zum Vater.

»Er schafft für zwei«, hielt der Bauer dagegen.

»Aber du weißt nicht, ob er das nächste Jahr noch bei uns bleibt.«

»Das wird sich zeigen. Ich werde ihn danach fragen. Es täte mir leid, ginge er, denn er ist ein guter Arbeiter.«

»Ein neuer Besen kehrt immer gut.«

»Du magst ihn nicht? Ich habe es längst gemerkt.«

»Nein, ich kann ihn nicht ausstehen!«

»Warum?«

»Weil er – weil er – er hat nämlich –«

Nun war es der Julia plötzlich unklar, was sie antworten sollte.

»Siehst, du weißt es selber nicht.«

»Nein, ich kann es nicht ausdrücken, ich weiß nur, dass er mir bis in die Seel hinein zuwider ist.«

Eines Tages, es war schon im Herbst, mähten die Knechte auf der oberen Wiese das Grummet. Julia trug ihnen um die dritte Nachmittagsstunde in einem Korb die Brotzeit hinauf. Sie musste dabei über die Weide, auf der das Vieh graste. An die vierzig Stück waren es, schöne, buntscheckige Kühe und Kalbinnen, mit einem Leitstier als Herrn und Gebieter.

Julia stellte den Korb in den Schatten eines Baumes, sprach mit den Knechten ein paar Worte, ohne Maximilian zu beachten, und stieg wieder über den Zaun, um zum Hof zurückzukehren.

Maximilian sah ihr aus gesenkten Lidern heraus nach. Mit ihm hatte sie nicht geredet, und es hätte ihm wirklich gut getan, wenn sie auch für ihn ein Wort gehabt hätte.

Wie stolz sie dahinschritt! Die Sonne flimmerte auf ihrem dunklen Haar. Sie hatte eine Hand in die Hüfte gestemmt und rupfte mit der anderen im Vorübergehen ein paar Blumen.

Da stellte plötzlich der Stier sich ihr in den Weg, mit gespreizten Beinen, den Kopf mit den mächtigen Hörnern erhoben.

Julia blieb stehen und kraulte ihn ein wenig in seinem dichten Haarwulst. Maximilian ertappte sich, dass er auf diese an ein Tier leichthin verschenkte Zärtlichkeit eifersüchtig wurde.

Julia ging weiter, ein Lied vor sich hinsummend. Sie sah nicht, dass der Stier sich umwandte und den Kopf zu Boden senkte.

Da gellte ein schriller Pfiff. Julia wandte sich um und sprang gerade noch rechtzeitig mit einem Satz zur Seite. Der Stier rannte im Sprung an ihr vorbei und rammte die Vorderbeine bis an die Knöchel in den weichen Boden. Aber er drehte sich sofort wieder um. Dampf stieg aus seinen Nüstern. Er senkte die Hörner von neuem zum Stoß.

Da brauste Maximilian den Hang herunter. Er packte den Stier mit solcher Kraft an den Hörnern, dass dieser verdutzt innehielt.

Julia hatte Zeit, sich über den Zaun zu retten. Jetzt ging der Stier Maximilian an. Geschickt wich der ihm aus, packte ihn in einem günstigen Augenblick wieder bei den Hörnern und stieß ihm die Finger der rechten Hand in die Nasenlöcher. Ein dumpfes Murren. Das Tier bäumte sich auf. Maximilian flog wie ein Spielball zur Seite. Ein Horn hatte ihm den rechten Oberarm aufgerissen. Das Hemd hing ihm in Fetzen vom Leib. Blut rieselte über seinen Arm.

Julia stieß einen Schrei aus, als sie den Mann so am Boden liegen sah. Maximilian hörte den Schrei und schnellte in die Höhe, duckte sich unter den gabelnden Hörnern hinweg und sprang mit einem gewaltigen Satz über den Stacheldrahtzaun, gerade in dem Augenblick, als die beiden anderen Knechte angekommen waren, um ihm beizustehen.

Julia war bis dahin erschöpft im Gras gesessen. Aber nun sprang sie auf und ging auf Maximilian zu.

»Du blutest. Komm, lass dir helfen.«

Er lächelte mit bleichen Lippen. »Das kann meine Mutter wohl besser«, antwortete er. »Im übrigen« – er sah auf seine Hände –, »ich habe mir die Hände nicht gewaschen. Es könnte dir wieder vor mir grausen.«

Eine fahle Blässe überzog ihr Gesicht. Das war treffend heimgezahlt.

Noch ehe sie antworten konnte, ging Maximilian davon, zu seiner Mutter, denn er verspürte jetzt doch heftige Schmerzen. Die Wunde blutete unaufhörlich, so sehr er auch die Hand darauf presste. Er sah nicht einmal zurück und merkte darum nicht, dass Julia immer noch auf demselben Platz stand und ihm nachschaute.

Tränen verdunkelten ihren Blick. Sie hätte weinen mögen wie ein Kind und wusste doch nicht warum.

Maximilian kam am Abend nicht zurück auf den Stögerhof. Als er am nächsten Tag auch noch nicht da war, sagte die Julia zum Vater:

»Glaubst du, dass es mit ihm schlimmer geworden sein kann?«

»Warum meinst du das?«

»Weil er noch nicht hier ist.«

»Sein Anblick ist dir ja ohnehin nicht angenehm!«

Ärgerlich winkte die Julia mit der Hand ab. »Es ist doch schließlich meinetwegen geschehen. Wir sollten wenigstens nachfragen, wie es ihm geht.«

Am Nachmittag machte sich darum der Stöger auf den Weg, um den Maximilian zu besuchen. Es war ein weiter Weg, aber er mochte sich wohl lohnen, denn diesen guten Knecht wollte er nur ungern verlieren. Der war schon wert, dass man nach ihm sah.

Maximilian hockte vor der Hütte, den Arm fest eingebunden. Der Bauer war froh, dass es nicht weiter schlimm zu sein schien. Das mochte also noch mal gut abgegangen sein!

»Ah, da sitzt er ja«, sagte der Stöger gut gelaunt. »Hab schon gedacht, du lägst gar im Bett!«

»Hat mich Blut genug gekostet. Aber das macht mir nichts, bin ohnehin arg vollblütig.«

Der Stöger setzte sich zum Maximilian auf die Bank. »Ja, ja«, sagte er und rückte den Hut aus der Stirn. »So dumm kann es manchmal ausgehen. Die Julia hat mir erzählt, wie du ihr beigesprungen bist. Dafür bin ich dir Dank schuldig. Ich versteh bloß nicht, der Stier ist doch sonst so lamperlfromm.«

»Ja mei, so ein Vieh hat auch mal Launen!«

Es entstand eine kleine Pause. Der Stöger streichelte seinen Bart und schaute zu den schwankenden Wipfeln der Bäume hinauf.

»Hab mir gedacht, ich muss einmal nach dir schauen, weil du nicht gekommen bist.«

»Als unnützer Esser mag ich nicht an deinem Tisch sitzen.«

»Was dir nicht einfällt! So ein Arbeiter wie du, der bringt das leicht wieder ein.«

Maximilian lächelte. »Weiß der Bauer vielleicht noch, wie er bezweifelt hat, ob ich überhaupt arbeiten könne?«

»Ja damals, ich hab dich ja weiter nicht gekannt. Aber nun möcht ich dich nicht mehr weglassen. Bei der Gelegenheit will ich dich auch gleich fragen, ob du für nächstes Jahr wieder bei mir bleiben willst?«

Maximilian überlegte sehr lange. Es dauerte dem Bauern fast zu lange, und er sagte darum: »Sei so gut und lass mich nicht im Stich.«

»An mir soll es nicht liegen«, antwortete Maximilian. »Ob aber die Julia damit einverstanden ist? Es könnten ihr meine Hände immer noch nicht sauber genug sein.«

Der Stöger lachte laut heraus. »Du Spaßvogel! Wirst dir doch nichts draus machen, was das trotzköpfige Dirndl sagt?«

Maximilian gab keine Antwort. Wenn der Bauer wüsste, dachte er, wie ich mich seit gestern in Sehnsucht nach der Julia verzehre. Ich hatte sogar gedacht, sie würde selber kommen, um mich zu holen.

Er hatte ihr doch das Leben gerettet. Eigentlich müsste dieses Leben nun doch ihm gehören – und dabei hatte er Furcht, sie könne ihn weiterhin mit ihrem Spott verfolgen. Und das würde er nicht mehr ertragen, wo nun doch dies auf der Weide geschehen war. Wäre er nicht gekommen, so hätte der Stier ihr unweigerlich den Garaus gemacht. Ob die Julia das bedachte?

»Es könnte vielleicht Wundfieber dazukommen«, meinte er nach einer Weile. »Deshalb möchte ich noch ein paar Tage hier bei meiner Mutter bleiben.«

Der Bauer nickte zustimmend. »Ganz richtig, Maximilian. Heil dich nur richtig aus. Die Hauptsache ist, dass du wiederkommst zu mir.«

In diesem Augenblick bog die Josefa den Hohlweg herunter.

»Meine Mutter kommt«, sagte Maximilian, und der Bauer wusste nicht recht, was er tun sollte. Am liebsten wäre er gegangen, aber er hätte sich da auffällig schnell verabschieden müssen, und das schien ihm nicht angebracht zu sein.

Der Josefa Brunner hatten Kummer und Sorgen das Gesicht zerfurcht und den Rücken gekrümmt.

Der Sohn half ihr, die Körbe vom Rücken zu nehmen, die sie bis zum Rand mit Kräutern und Wurzeln gefüllt hatte.

»Besuch hab ich bekommen, Mutter«, sagte er dann.

Der Stöger stand auf. »Ja, ich hab mir gedacht, muss doch einmal nachschauen, wie es ihm geht.«

Ruhig glitten die Augen der Frau über den Bauern hin. »Ein paar Tage muss er wohl noch hierbleiben«, meinte sie.

»Freilich, ich hab es ihm schon gesagt, er soll sich nur richtig auskurieren«, beteuerte der Bauer und griff in den Wurzelkorb. »Was hast denn da zusammengesucht?«

»Wenn ich dir die Kräuter alle beim Namen nennen müsst, glaub mir, Breitenbacher, du behieltest es doch nicht. Aber helfen tun sie.«

»Das ist die Hauptsach! Tja – und jetzt will ich mich langsam auf den Heimweg richten. Was ich noch sagen will, Maximilian, ich hab nichts dagegen, wenn du deiner Mutter ein paar Fuder Holz rauffahrst. Im Riedlschlag liegt genug umeinander.«

Maximilian begleitete seinen Bauern noch bis zum Weg hinaus. Dort blieb er dann an der Lichtung stehen, bis sich dessen Schritte in der Tiefe verloren, und seine Gedanken gingen zu Julia.

Er war froh, bald wieder auf den Stögerhof zurückzukommen. Er hatte aber zugleich Angst davor, denn ihm war, als ob etwas geschehen würde, etwas Unabwendbares. Sein Herz schrie nach Julia, die als Erbin des Stögerhofes ihm doch für alle Zeiten unerreichbar sein würde.

Er hatte noch niemals geliebt, und nun loderte eine Flamme in ihm, die ihn zu verzehren drohte. Immer sah er dieses schöne Gesicht vor sich. Ob er die Augen schloss oder ob er über den Wald schaute, ganz gleich, überall sah er nur das Mädchen. In der Nacht stahl es sich in seine Träume.

»Julia …«, sprach er leise für sich hin. Und nochmals: »Julia …«

Wie sie nur zu diesem Namen gekommen war? Er war doch sonst hierzulande nicht Brauch. Aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie mit ihrer seltsamen dunklen Schönheit anders hieße: Anna vielleicht oder so, wie man die Mädchen hier sonst nannte.

Die Mutter rief ihn.

Sie legte einen frischen Verband auf die Wunde, und dann saß er bei ihr auf der kleinen Bank. Er fühlte sich so geborgen bei der Mutter, deren Haare schneeweiß waren, und deren Augen in die Menschen hineinsehen konnten bis auf den tiefsten Grund.

So hatte sie auch längst gemerkt, dass mit ihrem Sohn etwas nicht in Ordnung war. Sie sah es jetzt wieder an seinem abwesenden Blick.

»Was hast du eigentlich?«, fragte sie in die Stille hinein.

Erschrocken fuhr er zusammen. »Ich? Nichts, Mutter.«

»Du kannst mich nicht täuschen, Maximilian. Ich merkte es doch, deine Gedanken waren im Augenblick ganz woanders.«

»Ja, ich habe gedacht, wie das hätte schlimm ausgehen können, da drunten auf der Weide.«

»Hast du das wirklich gedacht?«

Er gab keine Antwort und wurde rot.

»Siehst du«, sprach die Mutter weiter, »ich habe ja gewusst, dass es etwas anderes ist, das dich bewegt. Du hast dich verliebt.«

Maximilian fasste ihre gefalteten Hände. »Vielleicht ist es so, Mutter. Ich kenne mich selber nicht mehr recht aus mit mir.«

»So ist das immer, Bub, wenn man beginnt, nach dem anderen Teil seines Lebens zu suchen. Lass es mich wissen, wenn es so weit ist, Bub. Der Frau, die du einmal heimführst, möchte ich erst in die Augen schauen, dann kann ich dir sagen, ob sie zu dir gehört oder nicht.«

Er machte eine Bewegung mit der Hand, als möchte er etwas von sich fortschleudern. Und blieb dann still. Er hatte nicht den Mut, der Mutter von seiner Not zu erzählen.

– 3 –

Nun war Maximilian wieder auf dem Stögerhof. Er kam drei Tage, nachdem der Bauer bei ihm gewesen war, und ging sofort an seine Arbeit, als habe er sie gar nicht unterbrochen.

Dann fiel der Abend ins Land. Die Sonne brannte noch einmal in tausend goldenen Farben. Der Sommer war im Sterben.

Die Luft stand flimmernd in jener weiß gestreiften Bläue, die nur der Herbst zu geben vermag. Die fruchtbare Erde dampfte, und jeder Laut hatte einen tieferen und nachhaltigeren Klang.

Maximilian ging nach Feierabend hinter das Haus auf den kleinen Hügel, auf dem ein Kastanienbaum stand. Vor langer Zeit hatte jemand dort eine Bank angebracht. Dort setzte er sich hin.

Die Blätter rauschten, die Vögel pluderten sich in seinen Zweigen, und einmal flog eine vorwitzige Meise frech am Gesicht des Mannes vorbei. Allmählich senkte sich die Dämmerung. Ein tiefes, geheimnisvolles Schweigen breitete sich aus.

Aber nicht lange, dann erwachten die Stimmen der Nacht. Grillen begannen zu zirpen, und der Wind rauschte in den Blättern des alten Kastanienbaumes.

Dann spann der Mond sein Lichtnetz aus. Sein Leuchten warf violette Reflexe an die schwarzschattigen Bergriesen.

Plötzlich richtete sich Maximilian auf, denn es näherten sich Schritte.

Julia kam den Weg herauf.

Der Bursche hielt den Atem an. Was würde sie tun, wenn sie ihn hier sah?

»Du bist hier?«, fragte sie dann leise.

»Muss ich gehen?«

Sie machte eine Bewegung mit der Hand, als wolle sie ihn zurückhalten. Aber er war noch gar nicht aufgestanden.

»Bleib nur. Ich möchte dir – ich habe dir noch Dank zu sagen, wegen neulich.«

Maximilian schwieg, aber es beglückte ihn tief, dass sie nun neben ihm Platz nahm.

Ganz still saßen sie. Maximilian zog die Hand zurück, die er um die Banklehne geschlungen hatte. Beide ahnten dumpf, dass etwas Schicksalhaftes auf sie zukam.

Da sagte Julia: »Ich war oft garstig zu dir.«

Er hätte nun sagen können, wie schmerzhaft er dies immer empfunden hatte. Aber ihm war, als hielte man ihm die Kehle zu. Zu überraschend war das gekommen. Julia saß neben ihm. Nur der rote Saum ihres Kleides war zwischen ihnen.

»Oft war es nicht ganz zu Unrecht«, meinte sie nach einer Weile. »Du wirst es jetzt selber wissen, dass es nicht ganz unrecht war – das mit den Händen und alles andere, was ich dir sagen musste. Siehst du das jetzt ein?«

»Doch«, sagte er und legte den Kopf zurück, als wollte er zu einer Rede anheben. Aber es blieb bei diesem armseligen Wörtchen. Er schaute sie an. Irgendwie kam sie ihm verändert vor. Ihr Gesicht schien alle Strenge verloren zu haben. Das Mondlicht umschmeichelte ihre Schultern.

Das Rauschen im Kastanienbaum war stärker geworden. Einmal schrie ein Vogel leise auf im Traum. Julia hob die Hand und strich sich ein paar einzelne Haare hinters Ohr. In dieser Minute geschah es.

»Du bist so schön …«, sagte er langsam und so, als fehle ihm der Atem zu diesen Worten.

Es war, als sei ihm dies aus der Seele herausgebrochen, und von seinem Gesicht ging ein solches Leuchten aus, dass Julia ihn verwundert ansah.

Sie hatte das nicht zum erstenmal gehört. Man hatte es ihr schon oft gesagt, dass sie schön sei. Aber mit diesem Unterton hatte es noch niemand ausgesprochen.

Die Worte hatten Julia ins Herz getroffen. Mit einer hektischen Bewegung fuhr sie sich durchs Haar und erhob sich.

Da stand er schon neben ihr, ganz dicht waren seine Augen vor ihr, und sie fühlte sich bei den Händen gefasst.

»Bleib hier«, bettelte er. »Du, Julia – geh nicht fort –«

Sie hätte es in diesem Augenblick gar nicht tun können. Wie Blei waren ihre Füße. Ihr Mund stand halb offen. Sie konnte auch nicht ihre Augen von ihm wenden, musste ihn einfach ansehen.

Nun wusste sie nicht mehr, was geschehn sollte. Sie hatte Angst vor dem Kommenden, Angst und ein wenig Neugierde waren es. Sie wartete auf ein Wort, das den Zauber bräche.

Da sagte Maximilian: »Ach Julia, du weißt nicht, wie oft ich an dich denke.«

Eigentümlich, dass er gerade das sagte, was sie selber zu ihm auch sagen könnte. Seit Tagen kam er ihr nicht mehr aus dem Sinn. Vielleicht wäre es gut, ihn das wissen zu lassen.

»Soll das heißen, Maximilian, dass du mich liebst?«

Kaum war es heraus, entzog sie ihm ihre Hände. Das hätte sie nicht sagen sollen.

»Ja, Julia. Ich hab dich lieb. Ich weiß, es bedeutet dir nichts. Aber ich musste es dir einmal sagen, so etwas kann man nicht ewig mit sich herumschleppen.«

»Nein, das kann man nicht«, antwortete sie nachdenklich. Und dann kam wieder dieser erwartungsvolle Ausdruck in ihre Augen. Er müsste mich küssen, dachte sie schaudernd. Oder ich ihn. Irgend so etwas müsste geschehen. Sie fühlte es jetzt, dieser Maximilian bedeutet ihr mehr, als sie sich bisher hatte eingestehen wollen. Es beglückte sie und erfasste sie wie ein Rausch, dass er von seiner Liebe zu ihr sprach. Ein wunderbares Lächeln, wie er es noch nie an ihr gesehen, kam in ihr Gesicht.

»Es ist gut, Maximilian, dass du mir das gesagt hast«, sprach sie nach einer Weile wie zu sich selbst. Und dann legte sie, von einer geheimnisvollen Macht gezwungen, beide Hände um sein Gesicht, zog es ganz nah an sich und sagte: »Jetzt weiß ich es. Ich habe dich lieb gehabt seit dem Augenblick, wo du in unser Haus kamst. Da wurde ich unruhig und hasste dich darum. Aber es war ja doch alles nur Liebe. Doch, Maximilian – es ist vielleicht seltsam, aber ich könnte nicht ertragen, wenn du vor mir schon eine andere geliebt hättest.«

»Nein, Julia. Ich habe mich nie um Mädchen gekümmert.«

»Gut, gut«, sagte sie schnell und trat von ihm zurück. Das Lächeln von vorhin war wieder da. »Ich glaube, dass es sehr schön werden wird mit uns beiden. Aber nicht jetzt, nicht heute. Lass uns noch ein wenig warten. Gute Nacht, Maximilian.«

Schnell ging sie den Hügel hinunter. Der Rock flatterte um ihre Beine. Nicht ein einziges Mal sah sie zurück. Dann fiel die Haustür ins Schloss.

Maximilian stand wie betäubt. War das Wirklichkeit gewesen? Er ging zurück zur Bank, schlang die Arme um die Lehne und sah hinauf zum Sternenhimmel, als könnte einer der funkelnden Sterne ihm die vielen Fragen beantworten, die ihn jetzt bedrängten.

Julia war bei ihm gewesen, die schöne, stolze Julia, des Stögerbauern einzige Tochter! Wie war das der Reihe nach gewesen?

Sie war gekommen, hatte sich zu ihm gesetzt und mit ihm gesprochen. Jedes ihrer Worte rief er sich ins Gedächtnis. Er wollte sie festhalten, um nicht das leiseste davon zu vergessen. Er kam sich vor wie schwer beladen mit Glück und war voller Dankbarkeit gegen dieses Schicksal.

Vom Kirchturm in Flurs schlug es schon Mitternacht, als Maximilian zum Hof hinunterging. Hoch über dem Patscherkofel hing der Mond und sah lächelnd herab auf den einsamen Burschen, in dessen Herz in dieser Nacht das Wunder gekommen war.

Lass uns noch ein wenig warten, hatte Julia gesagt.

Aber es war nichts damit, denn am nächsten Tag zu heller Nachmittagsstunde suchte sie ihn auf, als sie ihn in der Scheune drüben allein wusste. Sie tat, als suche sie etwas. Dann zog sie das Scheunentor zu, war mit zwei Schritten bei ihm und warf die Arme um seinen Hals.

»Maximilian!« Ihr heißes Gesicht traf das seine. Alle Herrlichkeiten der Welt offenbarten sich ihm in diesem Kuss, den er mit aller Inbrunst entgegennahm.

Nur eine Nacht hatte sie dazu gebraucht, um sich vollends klar darüber zu sein, dass sie fortan alle Scheu vor Maximilian verlieren müsse.

Von da ab suchten sie sich häufig. Doch immer trafen sie sich heimlich, und niemand hatte sie bis jetzt beisammen gesehen. Und doch hätten alle es merken müssen, denn die beiden hatten sich in ihrem Wesen verändert. Alles war hell und aufgeschlossen an ihnen. In ihren Augen spiegelte sich tausendfältig das Glück aller Stunden. Sie fühlten sich in einem glückseligen Kreis, aus dem kein Weg herausführte.

Am ahnungslosesten war der Bauer. Ja, es freute ihn, dass Julia ihr schroffes und spöttisches Wesen dem Maximilian gegenüber abgelegt hatte. Er glaubte aber, dass dies aus Dankbarkeit geschehen sei, weil er sie vor dem wütenden Stier gerettet hatte.

Julia sang jetzt zuweilen mit ihrer dunklen Stimme kleine Lieder, die von Liebe kündeten und vom Glück. Wenn der Bauer das hörte, griff er sich lächelnd in den Bart.

Es wird allmählich Zeit, dass ich mich nach einem Mann für sie umschaue, sagte er dann zu sich. Aber zurücktreten, nein, das wollte er noch nicht. Dazu war er noch zu rüstig.

Die Tage wurden kürzer und unfreundlicher. November war es schon, und dann begann es zu schneien, drei Tage und Nächte ohne Unterlass, und die große Einsamkeit auf den Berghöfen hub an.

In dieser Zeit erkannten Julia und Maximilian, dass ihr Leben gemeinsam in einem tiefen, festen Grund verankert war. Sie fühlten sich aus dem Einerlei des Alltags herausgerissen, und oft war es ihnen zu eng im Haus. Aber der Schnee lag meterhoch auf Wegen und Hängen. Es war zwar mit Mühe ein Weg ins Dorf hinunter geschaufelt, aber die beiden hatten gar keine Neigung, unter die Menschen zu gehen. Sie wollten allein sein und einsam mit ihrer Liebe, wollten niemanden teilhaben lassen an ihrem Glück, weil sie wussten, dass die Menschen drunten im Dorf alles zerredeten, bis es als übler Klatsch in die letzte Hütte kroch.

Aber sie fanden eine andere Möglichkeit, allein zu sein und den Menschen fern. Maximilian begann, Julia das Skilaufen beizubringen, und sie war überrascht, den Geliebten auf diesem Gebiet als einen rechten Meister erkennen zu müssen.

Als Knabe schon fuhr Maximilian auf den Brettern zur Schule hinunter, und so wurde er frühzeitig vertraut und eng verwachsen mit den Skiern. Er schaute den Erwachsenen ab, was nur abzuschauen war, und übte auf dem Steilhang hinter der Waldhütte alles so lange, bis er mit sich zufrieden war. Zu gerne hätte er sich mit anderen im Wettstreit gemessen. Aber niemand lud ihn dazu ein. Ja, der Skiclub von Flurs ließ ihn unverblümt wissen, dass sie gar kein Interesse hätten an seiner Mitgliedschaft.

So lief Maximilian seine Zeiten für sich allein, stellte seine Berechnungen auf und steckte sich die Tore selbst aus. Aber alles hatte keinen Reiz, denn es war niemand da, mit dem er sich hätte messen können. Er stand immer allein und einsam auf seinen Brettern in der weißen Pracht. Es musste ihm genügen, dass seine Mutter ihm am Abend lächelnd über den Kopf streichelte und ihm dadurch andeutete, dass sie stolz auf ihn war.

Nun hatte Maximilian das erste Mal einen Menschen vor sich, dem er lehren durfte, was ihm mit den Jahren ein leichtes Spiel geworden war.

Zu Weihnachten bekam Julia ein Paar Ski und die nötige Ausrüstung dazu. Am Weihnachtstag wurde gleich auf dem Hang hinter dem Haus geübt. Der Vater stand hinter dem Stallfenster und wollte sich ausschütten vor Lachen, wenn von Julia plötzlich nichts mehr zu sehen war als ein Paar rudernde Arme, die sich aus dem Schnee hervorstreckten.

Ja, sie stürzte gar viele Male. Aber sie ließ es sich nicht verdrießen, und Maximilian war ein geduldiger Lehrer. Er erklärte ihr immer wieder aufs Neue, was beim Skilauf als erstes Gesetz zu gelten habe.

Und doch bedurfte es noch vier oder fünf Sonntage, bis Maximilian einigermaßen zufrieden war. Julia tat es Maximilian gleich, stand aufrecht auf den Brettern, nur mit den Knien federnd die Stöße abfangend. Die Skier lagen nun auch nicht mehr breit auseinander, sondern einer dicht beim anderen.

Ach, sie waren herrlich, diese Wintersonntage. Julia und Maximilian durchlebten sie wie im Traum. Durch die winterstillen, tief verschneiten Wälder führten ihre Spuren. Über einsame Bergrücken hinauf auf die Anhöhe, um sich dann in toller Schussfahrt in die Tiefe zu stürzen. Ein Leuchten und Flimmern lag in der Luft. Bei einem kühnen Schwung sprühte der Schnee hoch mit glitzernden Kristallkörnern.

Ein andermal brauste der Sturm über die Berge und fegte mit tosender Kraft Schneeflocken über die Kämme. Durch das Orgeln und Heulen kämpften Maximilian und Julia sich hindurch und fühlten, stärker als je zuvor, wie sehr sie zueinander gehörten, ja, wie ihre brausende, starke Jugend in diesen Kampf der freien und gewaltigen Natur hineingehörte.

An diesem Tag machten sie Rast droben in der Waldhütte der Josefa Brunner. Das kleine Haus war fast völlig eingehüllt von den gewaltigen Schneemassen, und nur rund herum war ein schmaler Pfad getreten.

Maximilians Mutter saß hinter dem Ofen und stickte. Sie sah verwundert auf, als die beiden die Stube betraten. Maximilian nahm Julias Handschuhe und hängte sie mit den seinen über die Herdstange. Dann sagte er:

»Das ist Julia, die Tochter vom Stögerbauern.«

Josefa Brunner nahm Julia scharf in ihren Blick, erhob sich und umschloss mit herzlicher Wärme die Hände des Mädchens. Ihre Augen freuten sich an der frischen Art des Mädchens.

»Ich will euch heißen Tee aufbrühen«, sagte sie dann und setzte einen Topf mit Wasser auf die glühende Herdplatte.

Maximilian stand erwartungsvoll mitten in der Stube. Sein Herz pochte in harten Schlägen. Es reizte ihn, der Mutter zu sagen: Sieh her, Mutter, das ist das Mädchen, das ich liebe. Schau ihr nur gut in die Augen, und sag mir dann, ob sie zu mir passt.

Maximilian brauchte gar nichts zu sagen. Die Mutter erahnte es, und ihr Herz zog sich in dumpfer Angst zusammen.

Das konnte nicht gut ausgehen! Die beiden brannten lichterloh in ihrer Liebe. Josefa fühlte, dass einmal etwas kommen würde, das mit zerstörerischer Grausamkeit über die beiden jungen Menschen herfallen würde. Ach, wenn ihr nur die Kraft gegeben wäre, jetzt mit ein paar guten Worten den jungen Menschen aufzudecken, was auf sie zukomme. Aber sie wusste, dass sie in den Wind geredet hätte, denn Menschen, die sich lieben, glauben an keine dunklen Gewalten, die über ihrer Liebe stehen könnten. Sie glauben nur an sich selbst und an die beglückende Gegenwart.

Josefa betrachtete verstohlen Julias schönes und stolzes Gesicht. Von Wind und Wetter waren ihre Wangen gerötet und das Haar ein wenig zerzaust. Das gab ihr etwas ungemein Lebendiges, Sprühendes. Sie sah auch, wie die Blicke der beiden ineinander verschmolzen. Die Worte des Mädchens klangen unendlich zärtlich und behutsam, wie auch jede ihrer Gebärden von einer Sanftheit war, die nur der Abglanz einer liebesglühenden Seele sein konnte. Aber ihre sehnsüchtigen Lippen sprachen Nebensächliches. Die alte Frau sollte wohl nicht ahnen, was hinter den Worten stand.

Ob sie wohl stark genug sein wird, dachte Josefa Brunner, wenn der Sturm kommt über das junge Glück? Sie kannte den Hochmut des Stögerbauern und konnte sich an den Fingern abzählen, dass er nie und nimmer seine Einwilligung geben würde zu diesem Bund. Dort musste einer anklopfen, der mehr aufzuweisen hatte als zwei starke Arme und ein treues Herz.

Ob die beiden Menschen sich wohl darüber klar waren? Sicher nicht, denn sie zärtelten mit ihren Blicken in einer nahezu rührenden Ahnungslosigkeit und schienen nur von dem Bewusstsein getragen zu sein, dass sie zueinander gehörten auf ewige Zeiten. Es wäre zu grausam gewesen, ein Wort zu sagen, das den Zauber zerreißen würde.

Und so tranken sie Tee zusammen, indessen draußen der Wind die Äste der Bäume aufstöhnen und ächzen ließ und sein wildes Lied um die kleinen Fenster sang. Sie saßen behaglich auf der Eckbank, und Julia hatte sich noch nie so wohl und zufrieden gefühlt wie in dieser einfachen Jagdhütte.

Als die Nacht hereinbrechen wollte, mussten sie an den Heimweg denken. Maximilians Mutter hängte sich ein Tuch um die Schultern und ging mit hinaus, wartete, bis sie die Ski angeschnallt hatten.

Da drehte sich Maximilian um, lehnte sich auf den einen Skistecken und beugte den Kopf nahe zur Mutter hin, als möchte er ihr etwas anvertrauen. Er musste aber ziemlich laut schreien, denn der Sturm riss ihm die Worte vom Mund fort.

»Julia – nicht wahr, Mutter – nun kennst du sie ja? Julia und ich – wir haben uns lieb …«

»Ja –«, sagte die Frau leise.

Julia stand daneben und lächelte.

»Du wirst es sicher schon gemerkt haben«, meinte Maximilian.

»Ich wusste es, als ihr über die Schwelle tratet.«

»Das nächste Mal musst du mir sagen, was du darüber denkst«, schloss Maximilian und drehte sich um. »Gute Nacht, Mutter!«

Und da brachte auch Julia das wunderbare Wort »Mutter« über die Lippen. »Gute Nacht, Mutter«, sagte sie, und es schwang etwas mit in ihrer Stimme, das von einer tiefen, innerlichen Wärme getragen war.

Dann glitten ihre Gestalten zwischen den Bäumen dahin und waren gleich darauf verschwunden.

Die alte Frau stand noch eine Weile im Freien. Der Sturm fegte durch den Winterabend.

Was wird im Frühling sein?, dachte sie. Die Angst wollte sie nicht loslassen. Sie ging ins Haus und zündete die Lampe an. Es war, als brenne sie heute heller und fröhlicher, weil ein junges Menschenglück für Stunden in diesem Raum geweilt hatte.

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