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Ich möchte wissen, wie viele Vögel ihr dem Aussehen nach kennt, und was ihr über ihre Nester und ihre Lebensweise wißt.
Es gibt zwischen drei- bis vierhundert verschiedene deutsche Vögel, und sehr wenige Leute kennen sie alle. Aber die an irgend einem Orte gewöhnlich vorkommenden Vögel kann man in einem Jahre ohne große Mühe sämtlich kennen lernen. Später mag man sich dann nach denen umsehen, die seltener vorkommen.
Am besten wird so angefangen, daß man alle Vögel aufschreibt, die man sicher kennt, und angibt, woran man sie erkennt. Es ist wohl nicht möglich z. B. ein Rotkehlchen mit seiner roten Brust, seinem rundlichen kleinen Körper und seinen braunen Flügeln zu verkennen. Die Brust des Weibchens ist weniger rot und die der Jungen überhaupt nicht. Aber wenn man die letzteren mit den Alten zusammen gesehen hat, wird man sie bald an ihrer Gestalt erkennen.
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Kinderaugen in der Natur
Viertes Buch
Von Arabella B. Buckley (Mrs. Fisher)
von Professor Dr. Fritz Kriete und Dr. Otto Rabes
1911
© 2023 Librorium Editions
ISBN : 9782383836773
Vorwort.
Zur Einführung dieser Übersetzung sei hier kurz auf einige uns zusagende Eigentümlichkeiten dieser anspruchslosen Hefte hingewiesen, die uns veranlaßten, auf die Aufforderung der Verlagsbuchhandlung hin, sie ins Deutsche zu übertragen.
Überall ist versucht, Stil und Satzbau so klar und einfach zu gestalten, daß nach dieser Seite hin Kindern beim Lesen keine Schwierigkeiten erwachsen.
Die behandelten Stoffe aus dem Leben der Tiere und Pflanzen sind gut gewählt, dabei interessant — nicht rein beschreibend — gestaltet.
Vielmehr ist jeder einzelne Abschnitt, der stets ein in sich abgeschlossenes Ganze bildet, so durchgeführt, daß er die kleinen Leser zu eigenen Beobachtungen anregt.
Endlich sind die farbenschönen Abbildungen einheitlich und naturgetreu ausgeführt, so daß auch sie das Interesse der Kinder beleben helfen. Überhaupt stand für unsere Erwägungen der Gedanke im Vordergrunde, daß diese Bücher geeignet sein könnten, sich im Kampfe gegen die unsere Jugend verseuchende Schundliteratur als nützlich zu erweisen.
Halle, im Mai 1911.
Kriete. Rabes.
Viertes Buch.Aus dem Leben unserer Vögel.
Ich möchte wissen, wie viele Vögel ihr dem Aussehen nach kennt, und was ihr über ihre Nester und ihre Lebensweise wißt.
Es gibt zwischen drei- bis vierhundert verschiedene deutsche Vögel, und sehr wenige Leute kennen sie alle. Aber die an irgend einem Orte gewöhnlich vorkommenden Vögel kann man in einem Jahre ohne große Mühe sämtlich kennen lernen. Später mag man sich dann nach denen umsehen, die seltener vorkommen.
Am besten wird so angefangen, daß man alle Vögel aufschreibt, die man sicher kennt, und angibt, woran man sie erkennt. Es ist wohl nicht möglich z. B. ein Rotkehlchen mit seiner roten Brust, seinem rundlichen kleinen Körper und seinen braunen Flügeln zu verkennen. Die Brust des Weibchens ist weniger rot und die der Jungen überhaupt nicht. Aber wenn man die letzteren mit den Alten zusammen gesehen hat, wird man sie bald an ihrer Gestalt erkennen.
Aber der Buchfink hat auch eine rote Brust. Wie kann man ihn nun von einem Rotkehlchen unterscheiden? Die Brust des Finken ist mehr braunrot als die des Rotkehlchens, und selbst in einiger Entfernung kann man ihn an den weißen Bändern auf seinen dunklen Flügeln und den gelben Spitzen, die einige Federn haben, erkennen. Dann ist sein Körper länger, und er bewegt sich anmutiger als das Rotkehlchen; auch das laute „rüip, pink, pink“, das er ausstößt, wenn man sich seinem Neste nähert, sagt uns sofort, wer er ist.
Die Lerche erkennt man an ihrem schlanken braunen Körper und der weißgefleckten Kehle sowie an der Art und Weise, wie sie aufsteigt, wenn sie ihr liebliches Lied ertönen läßt. Der gemeine Grünspecht ist leicht an seinen glänzenden Farben, seinen sonderbaren Füßen und dem steifen Schwanz zu erkennen, den er gebraucht, um an den Bäumen hinaufzuklettern. Und obgleich der Kleiber (auch „Spechtmeise“ genannt) auf ähnliche Weise klettert, würde man ihn doch niemals für einen Specht halten, denn er ist nicht größer als ein Sperling und hat einen kurzen Schwanz, blaugraue Flügel und eine rötlich-gelbe Brust.
Außerdem kennt ihr wohl die gurrende Holztaube, die schwatzende Elster, den hoch in die Luft steigenden Habicht mit dem gebogenen Schnabel und die mit flaumigem Gefieder bedeckte Eule. Und ihr würdet mir wahrscheinlich noch viele andere nennen können.
Die meisten Vögel, die ihr kennt, pflegen das ganze Jahr bei uns zu bleiben. Aber nicht alle tun dies. Der Segler (Turmschwalbe) beginnt schon Ende Juli nach dem Süden zu ziehen, und die Hausschwalbe und Mauerschwalbe folgen im Oktober. Wenn sie fort sind, kommen Schwärme von Krammetsvögeln aus dem Norden und fressen von den roten Beeren der Eberesche und von den schwarzen Holunderbeeren.
Die Rauchschwalbe und die Haus- oder Mehlschwalbe sind einander sehr ähnlich, und da sie zusammen kommen und gehen, so würde es schwer sein, sie auseinander zu halten, wenn man nicht daran denkt, daß die Rauchschwalbe eine braunrote Stirn und Kehle und unter dieser einen tiefdunkelblauen Streifen quer über die Brust hat, und daß die Gabel ihres Schwanzes länger ist als bei der Hausschwalbe. Man kann sich das ganze Jahr hindurch damit beschäftigen, die Vögel zu beobachten, darauf zu achten, wann sie kommen und gehen, was für Nahrung sie zu sich nehmen, wie sie fliegen, ob sie am Morgen oder am Abend singen, und wo sie ihre Nester bauen.
Viele Landleute und Gärtner schießen die kleinen Vögel, weil sie ihr Getreide und andere Sämereien fressen; leider aber auch sehr viele Vögel, die sich hauptsächlich von Insekten nähren. Man sollte die letzteren kennen, weil sie dadurch sehr nützlich sind, daß sie Ohrwürmer und Raupen, Larven und Schnecken vertilgen. Wenn man einmal in der Morgenfrühe beobachtet hat, wie eine Drossel ein Schneckenhaus gegen einen Stein schlägt, um die Schnecke herauszubekommen, so wird man sagen müssen, daß sie ein guter Gärtner ist, und ihr einige Früchte im Sommer nicht mißgönnen.
Auch die Nester und die jungen Vögel sind zu beobachten. Man braucht dabei die Nester nicht auszunehmen oder den Vögeln ihre Eier zu rauben. Viel mehr lernt man dadurch, daß man Blätter und Zweige vorsichtig zurückbiegt und in das Nest sieht. Denn so kann man oft wiederkommen und beobachten, wie die Jungen auskriechen, und wie sie wachsen. Wenn man vorsichtig ist, den Busch nicht heftig bewegt und die Eier nicht anfaßt, wird die Mutter sie nicht verlassen. Im letzten Jahre baute ein Drosselpärchen sein Nest in einer Hecke neben einem Fußwege, wo fortwährend Leute vorbeigingen. Aber obwohl ich oft hinging und es betrachtete, zog die Mutter ihre vier Kleinen alle auf. Sie pflegte ruhig auf dem Neste sitzen zu bleiben, wenn ich hineinsah, während das Männchen auf einem ganz in der Nähe stehenden Baume sang.
Mache sechs Vögel ausfindig, die sich in der Nachbarschaft befinden und beschreibe sie.
Vögel singen, wenn sie sich wohl befinden, und kreischen, wenn sie erschreckt werden, gerade wie Kinder. Nur hat jeder von ihnen einen ihm eigentümlichen Gesang. Man kann es gleich merken, wenn die kleinen Singvögel sich wohl fühlen; denn jeder von ihnen trillert sein fröhliches Lied, während er auf einem Baumzweige oder auf einer Hecke sitzt.
An frühen Frühlingsmorgen kann man sie fast vor Tagesanbruch im Garten singen hören. Zuerst hört man ein leises Zirpen und Zwitschern, als ob die Vögel sich guten Morgen wünschten und ihre Kehlen erprobten. Wenn dann die Sonne aufgeht, so ertönt heller Gesang.
Rotkehlchen, Drosseln, Amseln, Finken und Zaunkönige singen lustig darauf los, und viele andere kleine Vögel stimmen ein. Wenn sie alle zusammen singen, kann man nicht leicht das Lied des einen von dem des anderen unterscheiden, selbst das der Drossel nicht, obwohl sie am lautesten und am hellsten von allen singt.