Aus dem Schatzkästchen der Inselbummlerin 3 - Regina Gehmlich - E-Book

Aus dem Schatzkästchen der Inselbummlerin 3 E-Book

Regina Gehmlich

0,0

Beschreibung

In ihrem dritten Band entführt Regina Gehmlich den Leser wieder auf zwei Inseln, die sie selbst besucht hat. Wie schon in den beiden vorangegangenen Bänden schildert sie kleine und große Wunder der dortigen Natur und zeichnet auf diese Weise mit allen Sinnen erlebte Stimmungsbilder, die das jeweilige Eiland lebendig werden lassen. Vulcano gehört zu den Liparischen oder Äolischen Inseln, die vor der Nordküste Siziliens liegen. Vulcano ist ein aktiver Vulkan mit mehreren ineinander verschachtelten Kratern und einer Vielzahl von Fumarolen, Löcher im Erdboden, an denen heiße Gase und Dämpfe aus dem Erdinnern austreten. Öland liegt in der Ostsee und gehört zu Schweden. Obwohl sie damit zu Skandinavien gehört, ist sie eher sonnig und trocken und vereint auf ganz eigene Weise Nord und Süd miteinander. Ein Lesebuch für Naturfreunde, sei es als Anregung für die nächste Urlaubsplanung oder einfach zum Entspannen nach einem anstrengendem Arbeitstag.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 108

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vulcano. Wo die Luft nach Schwefel

Öland. Wo Welten aufeinandertreffen

Vulcano. Wo die Luft nach Schwefel riecht

Mitreisende: M (37), R (33), M (6), A (4), D (3)

Es ist 7.00 Uhr. Das Abenteuer hat begonnen. Wir sitzen im ersten von insgesamt fünf Zügen, die uns in den nächsten beiden Tagen nach Milazzo bringen werden. Von dort aus soll es mit der Fähre nach den Äolischen Inseln, genauer nach Vulcano, gehen.

Würde alles klappen? Würden wir alle Anschlusszüge erreichen oder irgendwo auf halber Strecke liegenbleiben? Würden wir pünktlich genug ankommen, um den Hafen zu suchen und noch eine Fähre nach den Inseln zu erreichen? Fragen über Fragen, aber nun lag es nicht mehr in unserer Hand. Jetzt hieß es nur noch, uns zurückzulehnen und die Dinge auf uns zukommen zu lassen.

Nächster Tag, 17.00 Uhr. Wir haben es fast geschafft. In zehn Minuten wird die Fähre Vulcano erreichen, zumindest laut Fahrplan. Hinter uns liegen knapp zwei Tage Zugfahrt; über die Alpen hinweg durch ganz Italien, vorbei an Ruinen römischer Aquädukte, dem Vesuv und den Bergen Kalabriens, hinüber nach Sizilien. Wir hatten den Hafen von Milazzo und unsere Fähre gefunden. Außerdem war es uns – trotz mangelnder Erfahrung im Umgang mit Handys und ausländischen Mobilfunknummern – schon gelungen, Kontakt mit dem Schlüsselhalter unserer Ferienwohnung aufzunehmen, der zu unserer Überraschung auch noch sehr gut deutsch sprach.

Die Fahrt unserer Fähre verlangsamte sich. Wir gingen nach oben zum Ausgang, wo uns ein kräftiger Hauch wie von fauligen Eiern umwehte. Augenblicklich wandten wir uns nach dem stinkenden Müllbehälter um, aus dem dieser Geruch käme, entdeckten jedoch keinen.

Die Fähre hatte inzwischen angelegt, und wir traten hinaus auf den Steg. Viel nahmen wir im Gewimmel der ein- und aussteigenden Menschen noch nicht wahr; nur, dass es hier draußen immer noch genauso stank. Da fiel es uns wie Schuppen von den Augen: das waren keine faulenden Abfälle, die so rochen, das war die Insel selbst! Unsere Nasen, die sich eben hatten rümpfen wollen, glätteten sich wieder. Der Geruch, der eben noch ein Gestank gewesen war, wurde zum Willkommensgruß. Vulcano war ein aktiver Vulkan, genau deswegen waren wir ja hergekommen, und zu einem Vulkan gehörte Schwefelgeruch unweigerlich dazu. Fast waren wir nun versucht, ihn tief einzuatmen.

Es blieb jedoch bei dem bloßen Gedanken, denn in diesem Moment sprach uns der Schlüsselhalter unserer Ferienwohnung an. Wenig später waren wir in unserem Quartier. Es lag direkt am Fuße des Vulkans, und von der Terrasse aus konnten wir hinauf zum Kratergipfel schauen. Wir richteten uns kurz ein, dann brachen wir zu einem ersten Orientierungsspaziergang auf.

Unser Weg führte uns zunächst wieder zum Hafen. Von dort wandten wir uns, den Boutiquen und Souvenirläden folgend, ins Inselinnere. Links reihte sich Lädchen an Lädchen, rechts erhob sich nach wenigen Metern ein einzeln stehender rötlichbrauner Felsen, der vor langer Zeit zu einem gewaltigen Fumarolenschlot gehört haben musste. Besonders auf seiner Spitze waren auch jetzt noch gelbe Schwefelablagerungen zu sehen, während von unten ein paar blaßgrüne Feigenkakteen ihn zu erobern suchten. Die schon tiefstehende Sonne ließ den Felsen regelrecht aufleuchten. Darüber spannte sich das unwirkliche Blau eines Himmels, der kein Nachmittags-, aber auch noch kein Abendhimmel war.

Immer wieder schauten wir zu diesem unglaublichen Farbenspiel hinauf. Zwar waren wir genau wegen derartiger Landschaften hierhergekommen, aber von einem solchen Anblick hatten wir nicht zu träumen gewagt. Beinahe war er zu intensiv, um wahr zu sein. Schon in diesem Moment hatte sich die Reise gelohnt – und dabei fing unser Aufenthalt auf der Insel erst an!

Da wir jedoch vorrangig auf der Suche nach Einkaufsmöglichkeiten waren, die unsere Ernährung in den nächsten Tagen sichern würden, hielten wir uns für dieses Mal weiter an die belebteren Straßen. „Geothermie-Bad“ lasen wir an einem gründlich eingezäunten und peinlich genau angelegtem Anwesen. In seiner Mitte waren mehrere, noch leere Badebecken zu sehen. Ob das das Schwefelschlammbad war, von dem im Reiseführer die Rede war? Falls ja, fanden wir es recht enttäuschend. Wir hatten mehr an einen naturbelassenen Tümpel gedacht. Ein späterer Blick in unseren Reiseführer beruhigte uns jedoch. Das dort abgebildete Schlammbad sah anders aus, und wir würden es schon noch finden.

Als wir am nächsten Morgen erwachten, stand die Sonne schon recht hoch. Auf die Terrasse hinaustretend ging unser erster Blick hinauf zum Vulkan. An einigen Stellen kurz unterhalb des Gipfels sahen wir tatsächlich weißen Rauch austreten! Voller Begeisterung deckten wir den Tisch. Frühstück am Fuße des rauchenden Vulkans! Wieder und wieder schauten wir beim Essen hinauf und versuchten, diesen Anblick für immer in unserem Gedächtnis zu verankern, als fürchteten wir, er könnte sich im nächsten Moment in Nichts auflösen. Wie hätten wir auch wissen sollen, dass dieses Bild uns für die Dauer unseres Hierseins jeden Morgen in den Tag begleiten würde.

Nach dem Frühstück brachen wir zu unserer ersten Wanderung auf. Unser Ziel war Vulcanello, der jüngste Teil der Insel. Wir folgten zunächst dem gleichen Weg wie tags zuvor, vorbei an dem rötlichbraunen Felsen, wandten uns dann jedoch nach rechts dem Rand der Insel zu. Nach wenigen Metern endeten die Verkaufsstände und Boutiquen. Vor uns lag – durch einen Bretterzaun abgesperrt – eine Bucht; dahinter erhob sich der vergleichsweise niedrige Krater von Vulcanello. Rechts von uns erhob sich ein noch imposanterer Schwefelfelsen als der gestrige: gelb und stark zerklüftet, fast grottenähnlich. Den Bildern im Reiseführer zufolge musste es sich um Il Faraglione handeln. Hier irgendwo müsste demzufolge auch das Schlammbad sein. Und richtig: Durch die Zaunslatten spähend konnten wir ihn sehen: ein kleiner grauer Tümpel, aus dem die Köpfe einiger drinsitzender Leute ragten. Das sah schon wesentlich sympathischer aus als die „Wellness-Oase“ von gestern. In Richtung Vulcanello weitergehend kamen wir am Eingang des Schlammbades vorbei. Hier hing auch die Benutzungsordnung, die uns jedoch den nächsten Dämpfer versetzte: Von einer Benutzung des Schwefelschlammbades durch Personen unter 15 Jahren wird dringend abgeraten! Wir schluckten. Wieso denn das? Eine Begründung war nicht aufgeführt, lediglich weiter oben ein Hinweis, dass der Schlamm nicht in die Augen gelangen darf. Das war natürlich nicht von der Hand zu weisen, auch wenn es uns schwerfiel, dies einzusehen. Da mussten wir den schon fest eingeplanten Schlammbadbesuch wohl noch einmal überdenken.

Um so entschlossener setzten wir unseren Weg fort. Bald machte unsere Straße einen Rechtsschwenk, und wir befanden uns auf dem Isthmus, der Vulcano und Vulcanello seit ungefähr fünfhundert Jahren verbindet. Ehedem war Vulcanello eine eigenständige Insel gewesen, doch angeschwemmter Sand hatte im Laufe der Zeit den nur wenige Meter breiten und den Meeresspiegel um kaum einen Meter überragenden Übergang geschaffen, auf dem wir jetzt liefen. Linkerhand schien Strand zu sein, rechts stand Schilf in einer kleinen Bucht.

Drüben empfing uns wohltuender Schatten. Die Straße führte durch einen hellgrünen Mischwald aus Kiefern und Eukalyptusbäumen, den die Sonne mit Licht durchflutete. An den schattigsten Stellen – soweit man von Schatten überhaupt sprechen konnte – kroch eine fleischblättrige Pflanze am Boden entlang. Wir hätten sie wohl kaum wahrgenommen, hätte sie nicht so auffallende, große Blüten gehabt, die es schier unmöglich machten, sie zu übersehen. Mit ihren tiefrosa Fiederblättern rings um ein gelbes Körbchen erinnerten sie an zu groß geratene Tausendschönchen. Solche Blüten in einem Wald waren für uns etwas Neues, Ungewöhnliches, kannten wir aus Wäldern doch eher nur kleine Blüten. Blumen dieser Größe gab es eigentlich nur im Vorgartenbeet oder Blumenladen. Seltsamerweise wirkten sie dennoch nicht fehl am Platz, vielleicht, weil die Eukalyptusbäume und die immer wieder wie eingestreut vorkommenden Feigenkakteen uns beständig daran erinnerten, dass wir ganz woanders waren.

Dort, wo die Sonne direkt hinschien, saßen am Wegrand und auf den Mauersimsen ehemaliger Ferienanwesen Eidechsen. Näherten wir uns, huschten sie sofort weg. Anfangs bemerkten wir sie häufig erst durch das Geräusch, das sie dabei machten. Bald jedoch lernten wir, sie aus etwas größerer Entfernung zu entdecken und rechtzeitig stehenzubleiben, so dass wir sie häufiger zu Gesicht bekamen und beobachten konnten.

So gelangten wir nach einiger Zeit an den Abzweig eines Trampelpfades. Der Straße überdrüssig folgten wir ihm. Er führte uns zunächst in einen Schilftunnel, und auch hier huschten die Eidechsen davon. Am anderen Ende des Tunnels angekommen, befanden wir uns schon direkt auf der Flanke des Kraters, die nahezu vollständig mit Ginster überzogen war. Wir standen auf dem einzigen größeren freien Platz, der weiter hinten in einen Pfad überzugehen schien. Von den auf dem Boden liegenden Steinen schimmerte es uns schon wieder rotbraun und gelb von Schwefel entgegen. Wir bückten uns, um zu sehen, ob etwas Mitnehmenswertes dabei wäre. Das meiste waren jedoch nur oberflächliche Anflüge. Ansonsten bestand der ganze Krater aus einem grauweißen, kaolinähnlichen Lehm, zu dem die Schwefeldämpfe das einstige Vulkangestein gemacht hatten.

Wir überquerten den Platz und erklommen die Geländekante, an der der Pfad entsprang. Ihm folgend schlängelten wir uns durch den Ginster, der gerade in leuchtend gelber Blüte stand. Lehmkrümel rieselten in unsere Schuhe, doch wir achteten nicht darauf. Getrieben von purer Entdeckerlust und dem Wunsch, vielleicht auf den Kratergipfel zu gelangen, gingen wir immer weiter. Der Pfad wurde schmaler und schmaler, bald war er nur noch einen Fuß breit. Im gleichen Maße wurden die Ginsterbüsche immer höher. Erst waren sie hüfthoch, dann schulterhoch, und schließlich schlugen sie über uns zusammen.

Völlig unvermittelt war der Weg zu Ende. Rings um uns nur noch der grüngelbe Ginster. Unsere Gipfelbesteigung war zu Ende. Wir setzten uns auf ein paar nackte Lehmbuckel, die verrieten, dass wir nicht die ersten waren, deren Aufstieg hier ein jähes Ende fand. Natürlich hätten wir querfeldein weitergehen können, doch so verlockend wirkte der Kratergipfel nun auch wieder nicht. So machten wir eine kurze Rast, gönnten uns ein paar Schluck aus unseren Wasserflaschen und nutzten die Gelegenheit, neue Sonnencreme aufzutragen. Dann schlüpften wir wieder unter dem Ginster hindurch und kehrten zur Straße zurück.

Hier schüttelten wir nun doch erst einmal unsere Schuhe aus, dann setzten wir unseren Weg in der ursprünglichen Richtung fort. Die hiesigen Anwesen wirkten bewohnter, und auf dem Asphalt fehlte der Schatten, da der Wald zurückgetreten war. Es ging leicht bergab, bis sich die Straße wenig später teilte. Beide Abzweige wurden als Privatwege ausgeschildert. Was nun? Ein Blick in den Reiseführer sagte uns, dass das schon seine Richtigkeit hatte. Die linke Straße sollte zum Meer führen, außerdem meinte der Reiseführer, dass genau hier ein Weg nach rechts abgehen sollte, der zu bizarren Lavabildungen führte. Wo war der? Wir drehten uns mehrmals um uns selbst, aber ein Weg, auf den die Beschreibung passte, war nicht zu finden. Oder war tatsächlich die Fahrspur rechts von der Straße gemeint? Da wir Zeit hatten, beschlossen wir, ihr ein Stück zu folgen.

Wir waren noch gar nicht lange gegangen, da öffnete sich das Gelände und gab den Blick frei auf das Meer. Die Fahrspur endete in einem Sandfeld, und aus diesem ragten wüst verstreute Lavabrocken empor. Überrascht und fasziniert blieben wir stehen. Ob der Weg der richtige gewesen war, wussten wir immer noch nicht, aber es war auf jeden Fall die richtige Landschaft!

Der Sand lockte, und wir zogen unsere Schuhe aus. Noch im Ausziehen durchzuckte uns der Gedanke, ob er nicht zu heiß sein würde, aber dem war nicht so. Offenbar schien die Sonne noch nicht allzu lang hierher. Barfuß rannten wir in das Sandfeld hinein. Unsere Füße genossen es, das erstemal im Jahr von Schuhen befreit zu sein. Sand! Kein gewöhnlicher, nein, schwarzer Lavasand! Wie oft hatten wir schon davon gelesen, und es war ja auch nur logisch, dass aus schwarzer Lava schwarzer Sand entsteht – doch in dem gleichen Maße war es auch unvorstellbar: Sand war gelb; das war eine der Urweisheiten aus frühesten Kindertagen! Lange schon hatten wir uns gewünscht, selbst in dieser Unglaublichkeit zu stehen, und nun war es soweit! Wir spürten hinab in unsere Füße, als müsste Sand anderer Farbe sich auch anders anfühlen, aber das tat er natürlich nicht. Die Zehen tief in das Schwarz hineingespreizt blieben wir irgendwann stehen und schauten uns um. Rings um uns her lagen Lavabrocken verschiedenster Gestalt und Größe. Manche einzeln, andere bildeten einen ganzen Lavarücken. Die einen ragten fast vollständig aus dem Sand hervor, von anderen war gerade einmal der oberste Teil freigeweht. Allen gemeinsam war jedoch die sattbraune Farbe, mit der sie sich von dem schwarzen Sand abhoben, und das irgendwie zerrissene Aussehen. Die einzelnen Brocken wirkten wie Gesteinsfetzen; wie Fetzen teigiger Lava, deren äußerste Haut noch in der Luft oder beim Sturz ins Meer urplötzlich erstarrt war und so die nur für einen Moment angenommene Form für immer bewahrt hatte. An einigen konnte man auch die typische Riffelung sehen, die entsteht, wenn die auskühlende Außenhaut eines Lavastromes von der darunter fließenden, noch warmen Lava zusammengeschoben wird. Es war nicht schwer, denjenigen Felsen auszumachen, den wir schon auf den Postkarten in den Souvenirläden gesehen hatten: rechts von uns stand er – l’orso, der Bär. Es stimmte wirklich. Ein Bildhauer hätte die Haltung eines auf die Hinterbeine aufgerichteten Bären kaum besser wiedergeben können. Übermannshoch schien er das Gelände gleichsam zu überwachen.