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Ausgesetzt? Natürlich ist er ausgesetzt, der Dichter, wenn er den Mächtigen nicht in den Sprachvorgaben artig folgt wie weiland in der DDR, im sogenannten Ostblock und überhaupt in vielen Ländern gestern, heute und morgen. Wenn er nicht dem ideologisch kontaminierten Neusprech das Wort redet wie im heutigen Deutschland, wo Cancel Culture, Gender-Mainstreaming und Wokeness wie ein Pesthauch den Menschen manipulieren, irritieren und schlussendlich amputieren. Wenn er nicht "unserer" Freiheit und "unserer" Demokratie, sondern einer eigenen Freiheits- und Demokratieauffassung folgt, sei sie auch noch so humanistisch geprägt und verfassungsgemäß abgesichert. Wenn er also, der Dichter, nicht folgsam ist, dann bekommt er keine Anfragen zu Lesungen, Preise und Stipendien, keine Gastprofessuren. Für ihn wirbeln keine Trommeln, stehen Applaudeure nicht stramm und Laudatoren nicht Schlange.
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Seitenzahl: 36
Veröffentlichungsjahr: 2024
In memoriam Günter Kunert:
„Die künstlerische Freiheit ist niemals der politischen gleichzusetzen.“
Vorwort
Ausgesetzt? Freilich ist er ausgesetzt, der Dichter, wenn er den Mächtigen nicht in den Sprachvorgaben artig folgt wie weiland in der DDR, im sogenannten Ostblock, und überhaupt in vielen Ländern, damals, heute und morgen. Wenn er nicht dem ideologisch kontaminierten Neusprech das Wort redet wie im heutigen Deutschland, wo Cancel Culture, Gender-Mainstreaming und Wokeness wie ein Pesthauch den Menschen manipulieren, sprachlich irritieren und schlussendlich amputieren. Wenn er nicht „unserer“ Freiheit und „unserer“ Demokratie, sondern einer eigenen Freiheits- und Demokratieauffassung folgt, sei sie auch noch so humanistisch geprägt und verfassungsgemäß abgesichert. Wenn er sich nicht bereitfindet, zu schreiben wie es jüngst einer der renommiertesten Verlage in seinen Fragen zu einem Autorenporträt tat: „Gibt es eine:n Denker:in, der:die Sie begleitet?“ Wenn er also, der Dichter, nicht folgsam ist, dann bekommt er keine Anfragen, Preise und Stipendien, keine Gastprofessuren. Für ihn wirbeln keine Trommeln, stehen Applaudeure nicht stramm und Laudatoren nicht Schlange. „Nein“, schreibt der aus solchen Gründen ausgewanderte Matthias Politycki in seinem 2022 erschienenen Buch Mein Abschied von Deutschland, „eine vertikale Zensur, ausgeübt durch Staatsorgane, gibt es in Deutschland zum Glück nicht. Doch die horizontale Zensur, ausgeübt durch uns selbst und unsresgleichen, ist womöglich umfassender, als es staatliche Kontrolle je sein könnte.“[1] Der englischsprachige Film Self-Censored[2] zeigt die flirrende Angst von jungen Christen in Europa, wenn sie sich zu sich selber bekennen. Etwas Unheimliches kommt unaufhaltsam in Fahrt …
Lediglich zwei Worte habe ich geschwärzt, und dies auch nur, um zu zeigen, was in neueren Schriften immer häufiger schlechter Gebrauch wird. Die russische Dichterin Lina Kostenko hat es in ihrem Gedicht Zensor in euch selbst treffend gesagt: „Wie ein Teufel auf dem Schornstein hockt er/und bohrt den Schürhaken des Zweifels in euer Hirn./Er schabt das Heiligste weg, nicht auf einmal, nein,/Schritt um Schritt, Zeile um Zeile./Unmerklich sägt er euch selbst aus euch selbst heraus./Von euch bleibt nichts als die Hülle.“[3]
Jene für diese Sammlung ausgewählten Gedichte, die ich in der DDR von 1977 bis 1990 schrieb, hatte ich weiland nur unter Freunden verteilt. Jeder Veröffentlichungsversuch wäre absurd gewesen, da selbst meine religiöse und umweltkritische Lyrik abgelehnt worden ist, teils aus ideologischen Gründen, teils weil sie zu anspruchsvoll gewesen sein soll.[4] Insgesamt gesehen, zeigen die in Jahreszahlfolge angeordneten Gedichte zwar eine Kontinuität in der Kritik politischer Verhältnisse, jedoch auch, und dies vor allem vor dem hier nicht sichtbaren Hintergrund all meiner Gedichte, erkennbare Cluster. Und welches Land meine ich in all meinen Texten? Natürlich das Land Heines und Hölderlins, oder mit Franz Josef Degenhardt gesagt: „Ja, dieses Deutschland meine ich,/wo wir uns finden/Unter den Linden/Und auch noch anderswo.“[5]
Inhalt
Vorwort
Kind sein
Spur der Partei
Enttäuschung
Angst
Sonnensehnsucht
Niels Nielsen
Sprache
Durchfahrt Honecker
Unsere Zukunft
Blues
Klageruf
Der sozialistische Gang
Tote Tage
Das freie Wort
Paralyse
Widerstand
Zukunft
Zerbrochene Hoffnung
Das Partisanenmädchen
Die Dichter
Vorbei, vorbei
Nachtschatten
Denunziant
Davongemacht
Verfolgung
Aus allen Träumen
Rote Ratlosigkeit
Dir zugehört
Heimkehr
Das fehlende Ganze
Unterwegs
Lebende Fackeln
Gottes Einspruch
Städtebau
Der Mensch
Wiederkehr
Kneipensplitter V
Tod eines unbekannten Dichters
Frostzeit
Lebensaussicht?
Leben
Staub der Geschichte
Der Tage Wechsel
Mein fremdes Land
Kraftwehen
Wer wird es sein?
Verschlungen
Die Vergewaltiger der Worte
Die Lügen dieser Welt
Zeitraub
Fliehende Zeit
Armut des Ausdrucks
Vom Landgrafen aus
Neue Zeit?
Zukunft 2000
Trauer, nein
Dein Spiel, Politiker, nicht meins
An die Städtezernichter
Kranker Zeiten Wörter
Gesellschaftswandel
Eine Eselei
Zeitgeist
Zensur
Die Rotte
Blick hinunter, zurück
Ausgesetzt!
Ohne Bindungen
Ketzervorwurf
Moderne
Agenda 2010
Zurückgehen
Arge
Seitaltersherland I
Seitaltersherland II
Schreitet selbander
Anima Candida
Kultureller Abriss
Kolossal
Abschied von Berlin
Steht auf!
Bursche, die Orchideen
Fahles Licht
Dürftigkeit
Fall-Linien
Tödlicher Ausgang
Ohne Gott
Dauergrinsen
Es ist nicht
Die Tötung
Mein Land
Heute
Meine Erde
Schiffbruch
Ins Endliche
Posthumanismus
In ein Ende. In ein Ende
Gegen den Strom
Rausch
Nimm Abschied
Anmerkungen