Auszeit auf dem kleinen Archehof - Leonie Abels - E-Book

Auszeit auf dem kleinen Archehof E-Book

Leonie Abels

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Beschreibung

Neustart mit Herz und vier Pfoten.

Isabell braucht eine Auszeit. Nach der Trennung von ihrem Freund, der im selben Hotel angestellt ist, zieht Isabell die Reißleine und kündigt. Sie muss allerdings drei Monate bis zum Beginn ihrer neuen Arbeit überbrücken und findet per Zufall im Internet die Stellenausschreibung des Archehofs Sonnentau. Als sie dann dort ankommt, ist sie entsetzt. Die Gäste müssen aushelfen, es gibt keine richtige Struktur und die Zimmer sind veraltet. Isabell weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. Doch dann bemerkt sie die Herzlichkeit, Wärme und den wahren Wert des Archehofs …

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Neustart mit Herz und vier Pfoten.

Isabell braucht eine Auszeit. Nach der Trennung von ihrem Freund, der im selben Hotel angestellt ist, zieht Isabell die Reißleine und kündigt. Sie muss allerdings drei Monate bis zum Beginn ihrer neuen Arbeit überbrücken und findet per Zufall im Internet die Stellenausschreibung des Archehofs Sonnentau. Als sie dann dort ankommt, ist sie entsetzt. Die Gäste müssen aushelfen, es gibt keine richtige Struktur und die Zimmer sind veraltet. Isabell weiß gar nicht, wo sie anfangen soll. Doch dann bemerkt sie die Herzlichkeit, Wärme und den wahren Wert des Archehofs …

Über Leonie Abels

Leonie Abels ist das Pseudonym einer erfolgreichen Schriftstellerin. Sie liebt das Landleben und alles, was man damit verbindet. Sie ist eine passionierte Kuhkraulerin, Eselliebhaberin und Ziegenfreundin. Außerdem ist sie bekennender Schwarzwald-Fan: die wunderbare Landschaft, die gute Küche und die  unkomplizierte Art der Bewohnerinnen und Bewohner begeistern sie immer wieder aufs Neue. Mit ihren Geschichten rund um den Archehof Sonnentau hat sie sich einen lange gehegten Traum erfüllt und einen Ort erschaffen, an dem sie selbst gern leben würde.

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Leonie Abels

Auszeit auf dem kleinen Archehof

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

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1.: Isabell

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.: Holger

9.: Isabell

10.

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13.: Caro

14.: Isabell

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16.: Caro

17.: Isabell

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19.: Holger

20.: Caro

21.: Peggy

22.: Isabell

23.: Caro

24.: Isabell

25.: Peggy

26.: Isabell

27.: Caro

28.: Peggy

29.: Isabell

30.

31.: Caro

32.: Phil

33.: Caro

34.: Isabell

35.

Impressum

1.

Isabell

»Guten Tag. Spreche ich mit Peggy Haller vom Archehof Sonnentau?«

»Ich denke schon.«

»Fein! Ich rufe wegen Ihrer Anzeige an.«

»Welche Anzeige?«

Isabell ist irritiert. »Einen Moment, bitte.« Hastig scrollt sie über das Display ihres Smartphones und sucht nach der Stellenausschreibung, die sie im Internet gefunden hat. »Hier hab ich’s! Allrounderin gesucht für zeitweilige Leitung unserer kleinen, familiär geführten Pension inmitten der Natur und in traumhafter Lage«, liest sie vor. »Ankommen und Wohlfühlen ist unsere Devise. Herzlichkeit wird bei uns großge…«

»Verstehe schon. Sie sind nicht die Stallhilfe.«

»Ähm, nein.«

»Schade. Die hätte ich nämlich wirklich dringend …« Peggy Haller unterbricht sich mitten im Satz und flucht laut: »Nun rück mir nicht so auf den Pelz, Ernst! Du bist und bleibst ein altes Ferkel!« Es folgt ein Rumpeln, Trappeln, Türenschlagen. »So, da bin ich wieder«, meldet sie sich ein wenig kurzatmig zurück. »Ich hab den Kerl rausgeschmissen. Jetzt können wir reden. Wer sind Sie noch mal?«

»Isabell Melchior. Ich hatte Sie angeschrieben und möchte nachfragen, ob Sie meine Unterlagen bekommen haben. Weil ich nichts von Ihnen gehört habe.«

»Sind Sie die Frau, die ihre Bewerbung mit der Post geschickt hat?«

»Ja, das stimmt. Aber ich hatte Ihnen auch eine E‑Mail …«

»Mir haben die Briefmarken gefallen.«

»Die … die Briefmarken?«

»Genau! Da waren Schwarzhalsziegen drauf. Auch eine bedrohte Nutztierrasse. Die züchten wir ja hier auf unserem Archehof. Sehr gut mitgedacht, muss ich sagen. Hat mir gefallen.«

Isabell runzelt die Stirn. Sie hat keine Ahnung von Schwarzhalsziegen. Und mitgedacht hat allenfalls die Frau auf der Poststelle, die die Marken aufgeklebt hat. Doch auch daran glaubt sie nicht wirklich. Was soll’s. Offensichtlich soll es ihr Schaden nicht sein. Im Gegenteil.

»Wann können Sie hier sein?«, erkundigt sich Peggy Haller forsch.

Isabell ist nun doch ein wenig überrumpelt. »Sollten wir uns nicht zuerst kennenlernen?«

»Dafür ist später Zeit«, widerspricht die Bäuerin lautstark, um das plötzlich einsetzende, heftige Pladdern zu übertönen. Offenbar lässt sie gerade irgendwo Wasser ein. »Ist ja auch nur für drei Monate, da sollte man nicht so viel Wind machen. Wenn Sie natürlich zuerst herkommen wollen … Von mir aus. Aber so eine weite Reise wäre mir persönlich zu viel. Woher sind Sie noch mal? Freiburg?«

»Hamburg.«

»Sag ich doch! Also, kommen Sie einfach vorbei. Abhauen können Sie immer noch, wenn Sie’s bei uns nicht aushalten.«

2.

Am frühen Nachmittag erreicht Isabell endlich Mühlach. Jetzt kann es nicht mehr weit sein. Sie lässt das Schwarzwaldstädtchen hinter sich und folgt einer Landstraße. Zwei Kilometer weiter biegt sie ab in Richtung Filzach. Wie ein hellgraues Schleifenband windet sich das Sträßchen die sanft geschwungenen Hügelkuppen hinauf, vorbei an Viehweiden und Streuobstwiesen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals zieht sich dunkler Nadelwald die Steilhänge hinauf. Wie ein dicht gewebtes Vlies bedeckt er die Hügelketten, die sich in der Ferne zum Gebirge auftürmen. Fasziniert lässt Isabell ihren Blick schweifen … und reißt erschrocken das Lenkrad herum. Ein grüner Mercedes schießt ihr in der Kurve entgegen und schneidet sie gefährlich.

»Wohl lebensmüde, wie?«, schimpft sie, nachdem sie ihren Wagen wieder auf die Spur gebracht hat. Sie atmet tief durch und wartet darauf, dass ihr pochendes Herz sich beruhigt. »Puh! Das wäre um ein Haar ins Auge gegangen.«

Die Straße führt jetzt an einer Weide vorbei, auf der sattbraun gescheckte Kühe mit weißen Köpfen grasen; an einem Gatter drängt sich eine blökende Schafherde zusammen.

Eine letzte Kurve, dann wird der Hof sichtbar: ein kompakter Bau mit hölzernen Balustraden und einem mächtigen, tief hinabgezogenen Dach. Zwischen dunklem Holz strahlen weiße Sprossenfenster hervor. Ein Haus, wie es für den Schwarzwald typisch ist. Ein Haus wie aus einem Märchen, denkt Isabell. Sie parkt auf dem unbefestigten Randstreifen vor einer umzäunten Wiese, steigt aus und streckt sich. Ihre Ankunft wird nicht unkommentiert gelassen: Eine Schar Gänse nähert sich mit wildem Geschnatter. Aufgeregt schieben die Tiere ihre langen Hälse durch den Zaun, als wollten sie Isabell zu fassen bekommen.

»Ihr seid mir ja welche.« Sie beobachtet die Gänse einen Augenblick, wendet sich ab und steuert auf das Haus zu. Aus der Nähe betrachtet wird deutlich, dass es schon bessere Tage gesehen hat. An einigen Stellen ist das Holz schadhaft und hätte dringend eine Reparatur nötig. Aber gerade diese Unvollkommenheit verstärkt den märchenhaften Eindruck noch, ebenso wie die üppig blühende Kletterrose, deren rote Blüten in apartem Kontrast zu dem nahezu schwarzen Holz stehen.

Isabell nimmt die drei Stufen zu der wuchtigen Eingangstür hinauf, betätigt den Klingelknopf, wartet eine Weile. Sie schellt nochmals, aber nichts geschieht. Auch auf ihr Rufen erhält sie keine Antwort. Die Gänse haben derweil das Interesse verloren und sind wieder ihrer Wege gezogen. In der Ferne blöken noch immer die Schafe.

Isabell umrundet das sich an den Hang schmiegende Haus und betritt dann einen etwas höher liegenden, gepflasterten Innenhof. Die Stallungen liegen im L‑förmigen Winkel zum Wohnhaus, schließen sich jedoch nicht direkt an dieses an. Die rückwärtige, zum Hang hin gelegene Seite des Hauses hat das Aussehen einer Scheune und folglich keine Fenster, sondern nur ein großes Tor, durch das man von hier aus ebenerdig fahren könnte, wäre es nicht geschlossen. Ein paar Meter entfernt parkt ein in die Jahre gekommener, schlammbespritzter Geländewagen, umrahmt von ein paar scharrenden Hühnern. In einer Ecke dampft eine Mistkarre vor sich hin. Sanftes Schnauben und verhaltenes Rumpeln dringt aus den Stallungen; Mauersegler pfeifen von den Dächern. Isabell geht weiter, entdeckt eine halb offen stehende Hintertür und steuert darauf zu.

»Hallo?« Zögernd betritt sie einen schmalen Flur mit braun-weiß gekachelten Fliesen. An einer Hakenleiste hängt eine verfilzte Wolljacke im Norwegermuster, daneben ein Wust von Regenmänteln. Gummistiefel in allen Größen reihen sich unter eine schlichte hölzerne Sitzbank, auf der ein Stapel Werbeblättchen, eine Fellbürste, ein Führstrick und die schimmernde Folie eines Schokoriegels liegen. Es riecht seltsam hier drin, findet Isabell. Irgendwo aus dem Innern des Hauses dringen jetzt Geräusche herüber. Also muss jemand da sein. Sie fasst sich ein Herz und folgt dem kurzen Flur, der geradewegs in die Küche führt, tritt über die Schwelle … und erstarrt.

Unmittelbar vor ihr steht ein riesiges Schwein. Es hat wolliges, braunschwarzes Fell und mustert sie aus winzigen, glitzernden Äuglein. Mit eifrigen Grunzlauten streckt es ihr seine feuchtkalte Schnauze entgegen, schnuppert an ihren Händen und inspiziert ihre Manteltaschen.

Isabell glaubt sich zu erinnern, dass Schweinebisse unmittelbar zum Tod führen. Sie hält die Luft an und wagt nicht, sich zu bewegen.

»Herrje! Warum steht die Tür wieder auf?«, poltert es plötzlich aus dem Flur. Die Stimme klingt vage vertraut. Schon betritt eine stämmige Frau mit wirrem, angegrautem Lockenkopf den Raum und drängt sich vorbei. »Herrschaftszeiten, Ernst! Sieh zu, dass du an die frische Luft kommst! Musstest du mir wieder die Schokoriegel wegfressen, du alte Wutz!« Mit entschlossener Miene schiebt sie das Schwein hinaus aus der Küche und scheucht es nach draußen. »Die Tür muss geschlossen bleiben«, verkündet sie nach ihrer Rückkehr. »Sonst fühlt sich alles eingeladen, was hier so kreucht und fleucht.«

»Sie war offen, als ich kam«, wagt Isabell einzuwenden.

»Dann war Ernst wohl mal wieder der Übeltäter«, mutmaßt die Frau achselzuckend. »Ich warte auf den Tag, an dem er Erdnüsse futternd auf meiner Couch vorm Fernseher liegt.« Sie wischt sich die Hände an ihrer Arbeitshose ab und streckt Isabell die rechte Hand hin. »Peggy Haller. Bin die Chefin vom Ganzen. Hallöle!« Unter dem festen Händedruck ist ihre schwielige Handfläche zu spüren. »Kannst mich Peggy nennen. Wir duzen uns hier alle. Wär ja auch albern, wenn ich ›Herr Ernst‹ sagen würde, oder?« Sie stößt ein kehliges Lachen aus.

»War das ein Wildschwein?«, erkundigt sich Isabell. Ihr sitzt der Schreck noch immer in den Gliedern.

»Schon mal ein Wildschwein mit Plüschohren gesehen?« Peggy Haller grinst spitzbübisch.

An dieser Bestie hat nichts auch nur im Ansatz plüschig gewirkt, findet Isabell. Sie erinnert sich auch nicht, jemals ein Wildschwein in einer Küche angetroffen zu haben … ob mit oder ohne Plüschohren.

»Ich finde, er sieht nicht aus wie ein Schwein«, beharrt sie.

»Das findet Ernst auch.« Wieder lacht Peggy. »Aber glaub mir, er ist eins. Ein Majolika-Wollschwein, um genau zu sein.«

»Ist er irgendwie … gefährlich?«

»O ja!« Peggy nickt. »Gefährlich für alles, was essbar ist! Aber nein, das war nur Spaß! Ernst ist ein friedlicher Geselle. Allerdings verfressen bis zum Gehtnichtmehr. Und er mag’s nicht, wenn du ihn provozierst.«

Isabell kraust skeptisch die Stirn. »Wie mache ich das, rein theoretisch?«

»Du solltest ihm nicht genüsslich was vorfuttern. Das hat er nicht gern. Auch nicht in seinem Beisein die Kätzchen kraulen und herzen. Da wird er eifersüchtig. Und überhaupt … keine allzu großen Intimitäten.«

»Intimitäten?«

»Du wirst ja wohl wissen, was Intimitäten sind, Mädel! Knutschereien mag er nicht so. Wenn dich dein Freund besucht, sollte es euch also nicht gerade in seiner Anwesenheit überkommen.«

»Da besteht keine Gefahr«, lacht Isabell. »Ich habe keinen Freund.«

Peggy schaut sie einen Augenblick nachdenklich an. »Freundin vielleicht?«

»Auch nicht.«

»Was soll’s.« Sie zuckt die Achseln. »Wie auch immer: Ernsts bester Kumpel ist Hans. Bestimmt hat er Sehnsucht nach ihm gehabt. Allerdings ist Hans mit Phil zum Einkaufen nach Mühlach runtergefahren. Unser Ernst wäre sicher auch gern mit von der Partie gewesen, aber irgendwo muss Schluss sein, sag ich immer.«

Isabell nickt eifrig, obwohl sie keine Ahnung hat, wovon die Rede ist.

»Genug der Schweinereien!« Peggy klopft ihr lächelnd auf die Schulter. »Ich freue mich jedenfalls, dass du da bist. Eine Stallhilfe können wir wirklich dringend brauchen.«

Die Enttäuschung über das Missverständnis beruht auf Gegenseitigkeit, doch Isabell ist zu sehr Profi, um sie sich anmerken zu lassen, und Peggy kommt zu dem Schluss, dass sie sich deswegen nicht aus dem Fenster stürzen muss. Stattdessen schlägt sie eine Hausführung vor, auf die Isabell bereits neugierig ist.

»Dann wollen wir mal. Der Reihe nach und wie sich’s gehört.« Sie verlassen Küche und Haus wieder, passieren die talwärts gelegene Frontseite und steuern das reguläre Eingangsportal an, das Isabell bereits kennt. Peggy schließt die Tür auf und führt sie in einen langen, geraden Flur, der sich irgendwann in der Dunkelheit des Hausinneren verliert. »Das wäre dann dein Wirkungsbereich.« Ihre Hand vollführt einen schwungvollen Schlenker, der alles umfasst: die getäfelten Wände, den Dielenboden, die hölzerne, in die oberen Stockwerke führende Treppe; sie bezieht die beiden samtgepolsterten Sessel in der Ecke mit ein, den vertrockneten Blumenstrauß auf dem Tischchen davor, das an der Wand hängende Hirschgeweih, das von einem filigranen Netz aus Spinnweben überzogen ist.

»Sehr schön«, lobt Isabell. »Aber wo ist die Rezeption?«

»Rezeption?« Peggy legt ihre Stirn in Falten. »Wir sind nicht das Ritz, Kindchen.«

»Wie checken die Gäste denn ein?«

»Sie rufen an und teilen uns mit, wann sie ankommen. Oder sie schreiben eine E‑Mail. Jemand ist dann schon da, der sie reinlässt.«

»Und wenn nicht?«

»Irgendjemand ist immer da«, beharrt Peggy. »Du hast es ja selbst erlebt.«

Fast muss Isabell lachen. Der Irgendjemand war in ihrem Fall ein Wollschwein namens Ernst.

»Im Parterre haben wir ein Zimmer und zwei Ferienappartements.« Peggy ist schon weitergegangen und deutet auf eine Tür. »Hier ist das größere für Familien. In dem anderen wohnt Phil.«

»Phil?«

»Phil Wagner. Ist so eine Art Langzeitgast.«

»Sie meinen … du meinst, er verbringt den Winter hier?«

Peggy lacht auf. »Wie schon die letzten sechs und die Sommer dazu«, erwidert sie trocken. »Ich fürchte, den werden wir nie wieder los.« Mit schnellen Schritten läuft sie durch den Flur und steuert auf eine weitere Tür zu. »Hier ist der Gastraum.«

Grelles Deckenlicht flammt auf. Isabell betritt einen holzvertäfelten Raum, der von einem riesigen grünen Kachelofen dominiert wird. Eine Handvoll Tische und Stühle sind ohne sichtbare Ordnung über die Fläche verteilt. Die zahlreichen Sprossenfenster bilden einen Erker, durch den jedoch kaum Licht hereinfällt, da die Vorhänge größtenteils zugezogen sind. Die gesamte Stirnseite des Raumes wird von einer hölzernen Eckbank eingenommen. Seitlich daneben steht etwas verloren ein altes Klavier. Auf eigentümliche Weise betont das grelle Deckenlicht die Düsternis des Raumes, dazu zieht es vom Flur her unangenehm. Fröstelnd macht Isabell einen Schritt nach hinten.

»Eigentlich wollte Phil dir alles zeigen. Er kennt sich am besten aus«, meldet Peggy sich wieder zu Wort. »Aber wie ich schon sagte: Er ist zum Einkaufen gefahren. Keine Ahnung, wo er sich so lange herumtreibt. Na ja, er wird wieder auftauchen. Gehen wir nach oben, da sind die Gästezimmer.«

Auf dem Rückweg durch den Flur hängt Isabell der Frage nach, wieso ein Langzeitgast mit dem Betriebsablauf besser vertraut ist als die Pensionswirtin, doch eine plausible Antwort will ihr nicht einfallen.

»Wir haben zehn Zimmer im ersten Stock«, erklärt Peggy, während sie die knarzenden Stufen hochstapft. »Für meinen Geschmack sind das neun zu viel.«

Oha. Isabell hält unwillkürlich inne. »Und was ist mit dem zehnten?«, erkundigt sie sich.

»Da wohnt der Dichter. Der stört nicht weiter.«

»Ein Schriftsteller?«

»Was sich so Schriftsteller nennt.« Peggy hat den oberen Treppenabsatz erreicht und bleibt einen Moment stehen. »Gelesen habe ich noch nichts von ihm, aber das muss nichts heißen. Jedenfalls ist er ein Stammgast. Betreibt so ’ne Art Homeoffice hier. ›Dichterklause mit WLAN-Anschluss‹, sag ich immer.« Sie geht weiter und schließt die erste Tür auf. »Bitte sehr!«

Isabell betritt erwartungsvoll das Zimmer. Zuerst springt ihr das riesige Doppelbett ins Auge, das von zwei altmodischen Nachttischchen flankiert wird. Gegenüber vom Bett steht ein wuchtiger Schrank, daneben ein Sekretär, scheinbar geradewegs einem Billigmöbelprospekt entsprungen, ebenso wie die beiden unbequem aussehenden Stühle. Eine scheußliche Deckenlampe. Rüschengardinen. Dazu dicke Vorhänge in einem rostigen Orangeton. Mamma mia!

»Die Betten sind gut«, hört sie Peggy sagen. »Die Gäste behaupten immer, sie schlafen wie die Babys darin.«

»Ist das so?« Isabell tritt ans Fenster, zieht die Gardine zurück und lässt den Blick über einen grasbewachsenen Hügel schweifen, der perfekt gerundet ist wie die Kuppe eines riesigen Eis. Eine Herde Schafe weidet darauf. Oder sind es Ziegen? In einiger Entfernung erkennt sie das Gatter wieder, an dem sie vorbeigefahren ist, auch die Obstbäume auf der gegenüberliegenden Seite. Seitlich der Kuppe erhebt sich ein Nadelwäldchen. Das rostrote Laub einer jungen Buche leuchtet wie eine Feuerkugel daraus hervor. Hinter dem Wäldchen sind weitere Wiesen und Weiden zu erkennen, die in der Ferne vom dunklen Grün der Tannenwälder abgelöst werden. Unwillkürlich atmet Isabell tief durch.

»Wie gefällt dir das Zimmer?«, erkundigt sich Peggy in ihrem Rücken.

»Darf ich ehrlich sein?« Isabell dreht sich wieder zu der Bäuerin um.

»Nur zu! Ich werd’s verschmerzen.«

»Der Ausblick ist wunderbar, das Zimmer leider weniger. Der Raum ist gut geschnitten und nicht zu klein. Das Bett ist eine Antiquität und passt zum Ambiente. Aber die Bettwäsche geht gar nicht. Dieses wirre orangebraune Muster – wie aus den Siebzigern des letzten Jahrhunderts. Und dann diese Leuchten!« Sie tritt vor und knipst eine der Nachttischlampen an. Nichts tut sich. »Das hatte ich befürchtet«, seufzt sie und blickt wieder zum Fenster. »Die Vorhänge …« Sie schüttelt den Kopf. »Dann die Gardinen. Kein Mensch braucht Gardinen bei dieser Aussicht!«

»Was du nicht sagst.« Peggy mustert sie, als würde sie sie zum ersten Mal richtig wahrnehmen. »Vielen Dank jedenfalls für die offenen Worte.«

»Bitte sehr.« Isabell hält ihrem bohrenden Blick stand. »Darf ich auch die anderen Zimmer sehen?«

»Klar. Aber erwarte nicht zu viel Abwechslung.«

Die Warnung ist berechtigt. Teppiche, Vorhänge und Bettwäsche variieren in Rostbraun, Schlammbraun und einem todmüden Beigebraun. Das ist alles.

»Dieser Kalender da.« Isabell deutet auf eine Wand in Zimmer acht. Hier hängt das gleiche Motiv wie in allen anderen Zimmern: eine grasende Lämmerherde, die sich in der Unschärfe verliert. Im Vordergrund dagegen prangt gestochen scharf eine Arzneiflasche mit blauweißem Etikett, dazu der Slogan: ›Kokzidiose war gestern‹.

»Anni hat immer darauf geachtet, dass der richtige Monat angezeigt wird«, verkündet Peggy stolz, bevor sie Isabells skeptischen Blick auffängt. »Was denn, der Kalender gefällt dir auch nicht? Der ist doch ganz hübsch, dachte ich. Den gab’s beim Futtergroßhandel umsonst, da hab ich gleich ein Dutzend mitgenommen.«

Isabell unterdrückt ein neuerliches Seufzen.

»Wir sollten uns darüber unterhalten, welche Pflichten Anni hatte«, erklärt sie ausweichend. »Die werde ich dann ja übernehmen müssen.«

»Pflichten? Ja, also …« Peggy fährt sich grübelnd durchs Haar. »Unsere Anni hat den Laden geschmissen. Aber sie fällt nun leider für längere Zeit aus. Bandscheibenvorfall.«

»Das tut mir leid.«

»Mir auch.« Peggy tritt ans Fenster und späht erwartungsvoll nach draußen. »Sie war eine sehr fleißige Person«, fährt sie mit abgewandtem Blick fort. »Hat die Zimmer in Ordnung gehalten, die Bäder gemacht, für die Wäsche gesorgt, die Gäste in Empfang genommen und sich gekümmert, wenn irgendwas los war.« Sie schaut wieder zu Isabell hinüber. »Das wären dann jetzt so ungefähr deine Aufgaben.«

»Okay. Und wer unterstützt mich dabei?«

»Wer dich unterstützt?« Peggy zieht die Augenbrauen hoch. »Anni hat das alles allein geschafft. Sie hat sogar zwischendurch beim Melken geholfen, wenn Not am Mann war.«

Kein Wunder, dass sie einen Bandscheibenvorfall hat, denkt Isabell im Stillen. Ihre erwartungsfrohe Stimmung verflüchtigt sich zusehends.

»Deshalb hatten wir ja ›Allrounderin‹ geschrieben«, ergänzt Peggy, während ihr Blick wieder aus dem Fenster gleitet.

»Von Stallarbeit war nicht die Rede«, erklärt Isabell sachlich.

»Tierlieb sollte man schon sein, wenn man hier arbeitet. Das stand ganz klar in der Anzeige«, behauptet Peggy und gibt ihren Fensterplatz auf. Isabell ist sich sicher, dass davon nichts in der Anzeige stand. Dabei betrachtet sie sich durchaus als tierlieb, wenngleich es bisher immer eine Liebe auf Abstand war.

»Hey, Mädchen, guck nicht so!« Die Bäuerin stößt einen kehligen Lacher aus. »Das mit der Stallarbeit war ein Scherz. Und mit dem Gästefrühstück hast du auch nichts zu tun. Dafür ist Phil zuständig.« Sie schickt sich an, das Zimmer zu verlassen, und Isabell folgt ihr. »Ansonsten gibt’s hier keine Küche«, berichtet sie, während sie die Tür hinter sich zuzieht. »Dafür steht unten ein großer Kühlschrank. Der ist immer gut gefüllt, und alle dürfen sich bedienen. Ich hatte vergessen, ihn dir zu zeigen. Aber was man nicht im Kopf hat, muss man eben in den Beinen haben, wie’s so schön heißt.« Wieder geht es treppab, durch die Diele und den langen Flur, vorbei an der Gaststube.

»Hier steht unser Prachtstück!« Peggy öffnet schwungvoll die Tür des Kühlgeräts, das mit seiner Wuchtigkeit den halben Weg versperrt. Ein strenger Käsegeruch schlägt Isabell entgegen. »Milch, Butter, Wurst … alles da.« Peggy greift nach einem Töpfchen Quark und hält es ihr hin. »Hier, schau! Überall kleben Schildchen drauf mit dem Haltbarkeitsdatum, zur Orientierung. Alles, was abgelaufen ist, esse dann ich.« Sie schaut auf und scheint Isabells befremdeten Blick geradezu zu genießen. »Man merkt doch, wenn etwas verdorben ist. Riechen, anschauen … und du weißt Bescheid. Was nicht schlecht ist, ist noch gut. Also kann man’s essen«, doziert sie. »Das mach ich schon mein Leben lang so, und es hat mir nie geschadet.«

Wer weiß, denkt Isabell ein wenig amüsiert, sagt aber nichts.

»Keine Sorge, du kannst das anders handhaben«, beruhigt Peggy sie jetzt. »Deswegen ja die Schildchen. Der Preis steht auch drauf. Die Gäste rechnen alles zusammen und tun das Geld in die Dose da oben.« Sie streckt sich, greift nach einer alten Keksdose und schüttelt sie kurz. Das metallische Scheppern zaubert ihr ein zufriedenes Lächeln ins Gesicht. Dann stellt sie die Dose wieder zurück. »Das hätten wir also auch geklärt. Jetzt zeige ich dir deine Unterkunft.« Sie deutet auf eine Stiege am Ende des Flurs, die in den zweiten Stock hinaufführt. »Da müssen wir rauf!«

Mit heimlicher Sorge fragt sich Isabell, welche neuerlichen Überraschungen sie dort oben erwarten werden, und rechnet mit dem Schlimmsten. Der Aufstieg ist einigermaßen beschwerlich, denn die Stiege ist sehr steil und die Stufen sind schmal. Als sie oben angelangt sind, muss Peggy einen Moment verschnaufen, dann drückt sie die Klinke einer grob gezimmerten Tür. »Bitte, nach dir!«

Isabell betritt einen nahezu quadratischen Raum, dessen Zentrum ein wuchtiger Pfeiler aus Eichenholz bildet. Unter das Fenster in der Schräge wurde ein einfaches hölzernes Bett geschoben, daneben steht eine hübsche Weichholzkommode. In der Ecke zwischen Dach und Stirnwand steht ein gusseiserner Ofen, davor ein Ohrensessel, über den ein Schaffell gebreitet ist.

Staunend schaut Isabell sich um. Dieser Raum hat etwas, was den übrigen Gästezimmern komplett fehlt: Er hat Charakter und vermittelt Geborgenheit.

»Ein schönes Zimmer«, lobt sie.

»Es wäre meins, wenn die vielen Stufen nicht wären«, entgegnet Peggy schmunzelnd. »Leider haben meine Knie das Treppensteigen nicht mehr so gern. Dabei hatte ich extra das Fenster einbauen lassen. Und die Holzpaneele weiß zu streichen, war eine Heidenarbeit.« Sie deutet auf die hellen Schrägen. »Der Raum war früher mal ein Teil des Getreidespeichers. Es gab kaum Licht. In den anderen Wohnräumen allerdings auch nicht.«

»So wie im Flur unten?«, erkundigt sich Isabell interessiert.

»So ungefähr. Diese Finsternis hält heute niemand mehr aus.«

Isabell sieht sich noch einmal um. Sie kann keine weitere Tür entdecken. »Wo ist das Bad?«

»Unten. Gleich die erste Tür rechts«, erwidert Peggy prompt.

»Was denn, es gibt keine Toilette hier oben?« Isabell sieht sie ungläubig an.

»Entschuldige, Mädel. Aber dieses Haus ist über dreihundert Jahre alt. Damals gab es kein fließend Wasser, keine Dusche und kein Spülklosett. Die Leute haben sich trotzdem sauber gehalten … und sie wussten sich zu helfen.«

»Sie wussten sich zu helfen?«

»Genau! So ein Nachttopf ist eine simple, aber recht praktische Erfindung.«

Ein Nachttopf? Isabell verspürt keine Lust, sich schon wieder auf den Arm nehmen zu lassen. »Hat Anni hier gewohnt?«, wechselt sie das Thema.

»Anni? Nein, die wohnt oben in Filzach. Sie kam jeden Morgen um sechs Uhr rauf und ist mittags wieder gefahren, wenn nichts Besonderes anstand.«

»Und wer hat sich anschließend um die Gäste gekümmert?«

»Unsere Gäste sind erwachsene Menschen, die braucht man nicht ständig zu betüddeln«, erwidert Peggy kurz angebunden. »Katastrophen sind bisher jedenfalls ausgeblieben.« Isabell atmet tief durch.

»So ganz verstehe ich die Formulierungen in der Stellenanzeige nicht«, erklärt sie nach kurzem Schweigen. »Von wegen ankommen und sich wohlfühlen und so weiter.«

»Verbiete ich meinen Gästen etwa, sich wohlzufühlen?«, kontert Peggy ironisch. »Das bleibt doch wohl jedem selbst überlassen.«

»Herzlichkeit wird bei uns großgeschrieben«, zitiert Isabell weiter aus dem Gedächtnis.

»Ach, das!« Peggy winkt ab. »Das hat Ludwig geschrieben. Er meinte, das muss so.«

Isabell hat keine Ahnung, wer Ludwig ist.

»Alles muss heutzutage authentisch und bodenständig sein und vor Herzblut triefen«, beschwert Peggy sich jetzt. »Ich find’s albern, ehrlich gesagt. Wer sich nichts Tolleres vorstellen kann, als anderen die Frühstückseier zu servieren, mit dem stimmt doch was nicht, oder?« Sie schüttelt den Kopf.

Für einen Moment verschlägt es Isabell die Sprache. Sie liebt ihren Beruf. Ihren Gästen eine gute Zeit zu bereiten und in glückliche, zufriedene Gesichter zu schauen, ist für sie das Schönste überhaupt. Diese Frau namens Peggy Haller scheint nun wirklich keine einzige Eigenschaft zu besitzen, die für eine Pensionswirtin von Vorteil wäre.

»Weshalb gibt man dann eine solche Anzeige auf?« Dieses Mal gibt Isabell sich keine Mühe, ihre Kränkung zu verhehlen.

»Na, weil wir jemanden finden mussten!«, entgegnet Peggy mit entwaffnender Ehrlichkeit. Isabell weiß nicht, was sie darauf erwidern soll, doch lautes Gänsegeschnatter entbindet sie vorerst von diesem Problem.

Sofort steuert Peggy auf das Fenster zu und späht hinaus. »Da kommt Jenny mit der neuen Stallhilfe!«, verkündet sie erleichtert. »Entschuldige, aber ich muss da jetzt mal ganz fix hin. Wir sehen uns später!« Und damit ist sie auch schon aus der Tür.

3.

Was für ein Tag! Isabell lässt sich auf das Bett sinken, das nun bis Neujahr ihres sein wird. Oder bis morgen früh. Sie hat sich noch nicht entschieden.

Von ihrem neuen Leben trennen sie nur drei Monate. Drei Monate, in denen sie irgendwo unterkommen muss. Eine Art Arbeitsurlaub, so hat sie sich die Sache vorgestellt. Ein kleines Schwarzwaldabenteuer. Danach wartet ein wunderbares Hotel in der Schweiz auf sie, dazu gute Bezahlung und Entwicklungsmöglichkeiten bis rauf ins Management der Kette. Ein echter Neuanfang.

Sie ist fest gewillt, das Beste draus zu machen. Drei Monate. Eine überschaubare Zeit. Aber auch nicht gerade mit einem Augenwischen vorbei. Was nun?

Sie wälzt sich auf die andere Seite, rechnet mit Federnquietschen oder einer durchgelegenen Kuhle. Aber nein. Die Matratze ist in Ordnung. Sie streckt den linken Arm aus und knipst die Nachttischlampe an. Sie streicht über die rot-weiß karierte Bettwäsche, schnuppert daran. Der Duft von altem, frisch gewaschenem Leinen steigt ihr in die Nase, dazu ein Hauch Lavendel. Sie verschränkt die Arme hinter dem Kopf und starrt an die Decke. Das imposante Gebälk über ihr erinnert sie an einen Glockenturm. Dem Himmel so nah. Sie fühlt sich plötzlich sehr verloren.

Ein Nachttopf! Wie kann man nur! Sie beugt sich vor und späht unter das Bett. Nichts. Natürlich nicht! Diese Peggy hat sie auf die Schippe genommen. Sie stemmt sich wieder nach oben und ihr Blick streift unweigerlich den mächtigen Eichenholzpfeiler, der das Deckengebälk trägt. Schräg hinter dem Pfeiler steht etwas auf dem Dielenboden. Keine Frage, was es ist. Und wenn schon! Plötzlich ist ihr alles egal.

Sie hat eben kein Glück gehabt. Mal wieder nicht. Aber das Problem wird sich schon irgendwie lösen lassen. Ihre vielen beruflich bedingten Aufenthalte an fremden Orten haben Isabell eines gelehrt: Es ist nicht gut, sich in Verlorenheitsgefühlen zu ergehen. Was am besten dagegen hilft, ist Schlaf. Nur ein einziges Mal hat ihr der Schlaf nicht geholfen, aber genau genommen war es da auch keine berufliche Reise gewesen. Ganz im Gegenteil, es war eher …

Stopp! Keine Grübeleien mehr. Entschlossen rückt sie ihr Kissen zurecht, löscht das Licht und zieht die Decke bis ans Kinn. Von irgendwoher ruft ein Käuzchen. In der Ferne bellt ein Hund. Eine Windböe streicht ums Haus. Balkenknarzen. Dann nichts mehr.

4.

Isabell ist pünktlich. Um acht Uhr erwarte dieser Phil-wer-auch-immer sie in der Gaststube, hatte Peggy ihr am Vorabend noch ausgerichtet.

Als sie die Gaststube betritt, flutet ihr wohlige Wärme entgegen. Der grüne Kachelofen bollert und die tief hängenden Lampenschirme über den Tischen tauchen den Raum in weiches Licht. Auf einem der beiden eingedeckten Tische brennt eine rote Stabkerze. Ein Gedeck für eine Person. Brötchen. Butter. Marmelade. Käse und Aufschnitt. Räucherforelle. Ein Glas Orangensaft.

»Guten Morgen!« Ein älterer Herr betritt den Raum und kommt mit freudigem Lächeln auf sie zu. Er ist groß und schlank, beinahe hager, seine knochigen Schultern sind beim Gehen leicht nach vorn gebeugt.

»Isabell Melchior«, stellt sie sich rasch vor, um Verwechslungen mit irgendwelchen Stallhilfen vorzubeugen.

Sie reichen einander die Hände.

»Philip Wagner. Schön, Sie kennenzulernen!« Er deutet auf den gedeckten Tisch mit der brennenden Kerze. »Bitte, setzen Sie sich!«

»Entschuldigen Sie, aber ich fürchte, ich kann nicht bleiben.« Sie lächelt bedauernd.

»Nanu?« Verwundert hebt er die Augenbrauen. »Keine Sorge, das müssen Sie auch nicht. Ich halte Sie nicht fest«, erklärt er nach kurzer Überlegung. »Aber frühstücken müssen Sie. Also bitte, nehmen Sie Platz!« Er rückt ihr den Stuhl zurecht, ein rustikales, hölzernes Exemplar mit herzförmiger Lehne, wie alle hier im Raum, wiederholt die einladende Geste. Wie soll sie sich gegen so viel Freundlichkeit wehren?

»Kaffee oder Tee?«

»Kaffee wäre wunderbar.«

»Kommt sofort.« Philip Wagner verschwindet durch die Tür, durch die er gekommen ist.

Isabells Blick wandert wieder im Raum umher. Gestern hat sie ihn als düsteres Loch empfunden. Heute wirkt er wie eine warme Höhle, wie ein schützendes Nest. Es muss die Beleuchtung gewesen sein, überlegt sie. Grelles Neonlicht tilgt jeden Charme. Aber jetzt …

Philip Wagner kehrt mit dem Kaffee zurück und serviert ihr ein Frühstücksei. Das Ei ist grün. »Gefärbt?«, erkundigt Isabell sich verwundert.

»Nein, das ist die natürliche Farbe.«

»Sind die Hühner auch grün?«, scherzt sie.

»Finden Sie es selbst heraus.« Philip Wagner zwinkert ihr zu, wünscht ihr einen guten Appetit und lässt sie allein.

»Das Frühstück war sehr gut«, lobt sie eine Weile später.

»So soll es sein!« Der alte Mann schenkt ihr ein gewinnendes Lächeln. »Lorbeeren einer Frau vom Fach freuen mich natürlich besonders. Dazu von einer mit Ihren Referenzen …«

»Sie haben meine Unterlagen gelesen?«, fragt sie erstaunt.

»Aber sicher! Irgendjemand musste es ja tun, wo Sie sich schon die Mühe gemacht haben. Darf ich mich übrigens setzen?«

»Gern.«

Philip Wagner nimmt Platz, schiebt den Käseteller zur Seite und mustert sie mit unverhohlener Neugier. »Wenn ich fragen darf: Was hat Sie an dieser Stelle hier gereizt?«

»Es ist für den Übergang gedacht«, beeilt sie sich zu sagen. »Im nächsten Jahr trete ich eine Stelle in der Schweiz an.«

»Ja, das hatten Sie geschrieben. Herzlichen Glückwunsch übrigens.« Wieder dieses einnehmende Lächeln. Dieser Mann ist einfach sympathisch. »Aber warum die Pension Archehof Sonnentau?«

»Ich wollte etwas Sinnvolles tun«, beantwortet sie seine Frage und fühlt sich plötzlich unbehaglich. »Vielleicht war’s auch ein bisschen Abenteuerlust. Der Hof, die vielen Tiere … Aber bitte … wird das ein Vorstellungsgespräch? Es hieß, das sei nicht nötig, obwohl ich es angeboten hatte. Jetzt ist es dafür zu spät, fürchte ich.«

»Himmel, nein!« Philip Wagner hebt abwehrend die Hände. »Es war reine Neugier. Aber Sie haben recht: Es geht mich nichts an. Entschuldigen Sie bitte meine Neugier.« Er schiebt den Käseteller noch ein Stückchen weiter von sich. »Mich wundert es nicht, dass Sie enttäuscht sind. Die Zimmer, der Service: Sie hatten sich bestimmt etwas anderes vorgestellt. Und Peggy …« Er hält einen Moment inne. »Sie tut, was sie kann, aber sie hat ihre Grenzen. Das Archeprojekt, die Tiere: in dieser Arbeit geht sie auf, hundertprozentig. Aber die Hotellerie ist nicht ihr Ding.«