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In der 1933 erschienenen Autobiografie von Alice B. Toklas schildert Gertrude Stein ihr Leben aus Sicht ihrer langjährigen Gefährtin, Muse und Sekretärin Alice Babette Toklas – ein Kunstgriff, um offener über sich selbst erzählen zu können. Im Mittelpunkt stehen ihre zahlreichen Begegnungen und Freundschaften mit einigen der berühmtesten Künstler und Intellektuellen der Zeit: Pablo Picasso, Georges Braque, Henri Matisse, Djuna Barnes, Guillaume Apollinaire, Marie Laurencin, Ernest Hemingway, F. Scott Fitzgerald, Man Ray, Tristan Tzara und viele andere trafen sich samstagabends in Steins Salon in der Rue de Fleurus 27. Das Werk, verfasst in Steins unverwechselbarem Stil, ist eine faszinierende Chronik der Pariser Avantgarde, voller kurioser kleiner Geschichten und Anekdoten, die nach Cesare Pavese "so unwahrscheinlich sind, dass sie zweifellos wahr sein müssen, und so wahrscheinlich, dass sie wie erfunden wirken … In diesem Spiel mit Spiegelungen liegt das köstliche Geheimnis dieser Prosa." In ihrer Modernität und Lebendigkeit lässt sich diese Prosa in der Übersetzung von Roseli und Saskia Bontjes van Beek bis heute bestens nachvollziehen. "Einstein war der kreative philosphische Geist des Jahrhunderts und ich war die kreative literarische Geist des Jahrhuderts." Gertrude Stein
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Seitenzahl: 448
Autobiografie vonAlice B. Toklas
Aus dem Amerikanischen vonRoseli und Saskia Bontjes van Beek
Kapitel Eins:Bevor ich nach Paris kam
Kapitel Zwei:Meine Ankunft in Paris
Kapitel Drei:Gertrude Stein in Paris 1903–1907
Kapitel Vier:Gertrude Stein bevor sie nach Paris kam
Kapitel Fünf:1907–1914
Kapitel Sechs:Der Krieg
Kapitel Sieben:Nach dem Krieg 1919–1932
Editorische Notiz
Ich wurde in San Francisco, Kalifornien geboren. Ich habe es deshalb immer vorgezogen in einem gemäßigten Klima zu leben aber es ist schwierig, auf dem europäischen Kontinent oder selbst in Amerika, ein gemäßigtes Klima zu finden und darin zu leben. Der Vater meiner Mutter war ein Pionier, er kam 1849 nach Kalifornien, er heiratete meine Großmutter die Musik sehr gern hatte. Sie war eine Schülerin von Clara Schumanns Vater. Meine Mutter war eine ganz reizende Frau namens Emilie.
Mein Vater stammte aus einer patriotischen polnischen Familie. Sein Großonkel stellte für Napoleon ein Regiment auf und war dessen Oberst. Sein Vater verließ seine Mutter gleich nach der Hochzeit, um in Paris auf den Barrikaden zu kämpfen, doch weil seine Frau ihm kein Geld mehr schickte, kam er bald wieder und führte das Leben eines wohlhabenden konservativen Grundbesitzers.
Ich selbst habe Gewalt nie gemocht und immer Freude am Sticken und Gärtnern gehabt. Ich liebe Bilder, Möbel, Gobelins, Häuser und Blumen sogar Gemüse und Obstbäume. Ich mag eine schöne Aussicht allerdings kehre ich ihr wenn ich sitze gern den Rücken zu.
Ich führte während meiner Kindheit und Jugend das behütete Dasein meines Standes und meiner Umgebung. Ich hatte zu der Zeit ein paar intellektuelle Erlebnisse die ich jedoch für mich behielt. Als ich etwa neunzehn Jahre alt war schwärmte ich sehr für Henry James. Ich fand The Awkward Age müsse sich sehr gut für die Bühne eignen und ich schrieb an Henry James und schlug ihm vor es zu dramatisieren. Ich erhielt daraufhin einen reizenden Brief von ihm, aber dann, als ich mir meiner Unzulänglichkeit bewusst wurde, schämte ich mich und hob den Brief nicht auf. Vielleicht dachte ich damals ich hätte nicht das Recht ihn aufzubewahren, jedenfalls existiert er nicht mehr.
Bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr interessierte ich mich ernstlich für Musik. Ich studierte und übte fleißig. Bald darauf kam es mir jedoch unnütz vor, meine Mutter war gestorben und mich überfiel zwar keine unüberwindliche Traurigkeit, aber da war kein echtes Interesse das mich anspornte. In der Geschichte der Ada in Geography and Plays hat Gertrude Stein eine sehr gute Beschreibung von mir gegeben wie ich damals war.
Von da an war ich etwa sechs Jahre lang hinreichend beschäftigt. Ich führte ein angenehmes Leben, hatte viele Freunde, mancherlei Abwechslung viele Interessen, mein Leben war ziemlich ausgefüllt und ich genoss es jedoch ohne glühend daran interessiert zu sein. Das bringt mich auf die Feuersbrunst in San Francisco die zur Folge hatte dass der ältere Bruder von Gertrude Stein und seine Frau von Paris nach San Francisco zurückkehrten und das führte zu einer grundlegenden Veränderung in meinem Leben. Ich wohnte damals bei meinem Vater und Bruder. Mein Vater war ein ruhiger Mann der die Dinge gelassen hinnahm, auch wenn sie ihn tief berührten. Am ersten schrecklichen Morgen der Feuersbrunst in San Francisco weckte ich ihn auf und sagte ihm, die Stadt sei von einem Erdbeben erschüttert worden und stehe jetzt in Flammen. Das wird uns im Osten schaden, sagte er drehte sich um und schlief weiter. Ich entsinne mich dass als mein Bruder eines Tages mit einem Freund ausgeritten war, eins der Pferde ohne Reiter zum Hotel zurückkehrte, die Mutter des anderen Jungen begann eine furchtbare Szene zu machen. Beruhigen Sie sich Madame, sagte mein Vater, vielleicht ist es mein Sohn der ums Leben gekommen ist. Einen seiner Grundsätze werde ich nie vergessen, wenn du etwas tun musst tu es gern. Er sagte mir auch dass eine Gastgeberin sich nie für ein Missgeschick in Fragen ihres Haushalts entschuldigen sollte, denn wenn es eine Gastgeberin gebe gäbe es einfach kein Missgeschick eben weil es eine Gastgeberin gebe.
Wie ich schon sagte lebten wir alle behaglich zusammen und in mir war weder das dringende Verlangen noch kam es mir in den Sinn etwas zu ändern. Mit der Störung der Routine unseres Lebens durch das Feuer und dann mit der Ankunft von Gertrude Steins älterem Bruder und seiner Frau wurde alles anders.
Mrs. Stein brachte drei kleine Matisse-Gemälde mit, die ersten modernen Dinge die über den Atlantik kamen. Ich lernte sie in dieser Zeit allgemeiner Wirren kennen und sie zeigte sie mir, sie erzählte mir auch viele Geschichten über ihr Leben in Paris. Nach und nach erzählte ich meinem Vater dass ich San Francisco vielleicht verlassen würde. Er regte sich nicht darüber auf, schließlich gab es damals ein allgemeines Gehen und Kommen und viele meiner Freunde gingen. Innerhalb eines Jahres war auch ich gegangen und ich war nach Paris gekommen. Dort besuchte ich Mrs. Stein die inzwischen nach Paris zurückgekehrt war, und dort in ihrem Hause lernte ich Gertrude Stein kennen. Ich war beeindruckt von der Korallenbrosche die sie trug und von ihrer Stimme. Ich kann sagen dass ich nur drei Mal in meinem Leben einem Genie begegnet bin und jedes Mal erklang in mir eine Glocke und ich irrte mich nicht, und ich kann sagen in jedem Fall war es bevor sie allgemein als Genies anerkannt waren. Die drei Genies über die ich sprechen möchte sind Gertrude Stein, Pablo Picasso und Alfred Whitehead. Ich habe viele bedeutende Menschen kennengelernt, ich habe mehrere berühmte Menschen kennengelernt doch habe ich nur drei hervorragende Genies gekannt und in jedem Fall erklang in mir gleich auf den ersten Blick ein Läuten. In keinem der drei Fälle habe ich mich geirrt. So begann mein neues erfülltes Leben.
Das war im Jahr 1907. Gertrude Stein hatte gerade Three Lives in Satz gegeben das sie als Privatdruck herausbrachte, und sie steckte tief in The Making of Americans, ihrem Tausend-Seiten-Buch. Picasso hatte gerade sein Porträt von ihr beendet das damals niemand mochte ausgenommen der Maler und die Gemalte und das jetzt so berühmt ist, und er hatte gerade sein merkwürdiges kompliziertes Bild von den drei Frauen begonnen, Matisse hatte gerade sein Bonheur de Vivre beendet, seine erste große Komposition die ihm den Beinamen Fauvre oder Zoo eintrug. Es war der Moment den Max Jacob seither das heroische Zeitalter des Kubismus genannt hat. Ich entsinne mich dass Picasso und Gertrude Stein kürzlich über verschiedene Dinge sprachen die damals geschehen waren, einer von beiden sagte aber das alles kann doch nicht in dem einen Jahr geschehen sein, oh sagte der andere, meine Beste du vergisst dass wir damals jung waren und in einem Jahr haben wir eine Menge getan.
Es gibt eine Unmenge zu erzählen über das was damals geschah und was davor geschehen war, was zu alledem führte, doch jetzt muss ich beschreiben was ich sah als ich ankam.
Der Haushalt in der Rue de Fleurus 27 bestand damals wie auch jetzt noch aus einem winzigen Pavillon mit vier kleinen Zimmern, Küche und Bad, und einem sehr großen daran anschließenden Atelier. Jetzt ist das Atelier durch einen winzigen Flur 1914 gebaut mit dem Pavillon verbunden doch damals hatte das Atelier einen eigenen Eingang, man läutete am Pavillon oder klopfte an die Ateliertür, und viele Leute taten beides, doch mehr noch klopften ans Atelier. Ich durfte beides. Ich war eingeladen worden Samstagabend zum Essen zu kommen dem Abend wo jedermann kam, und tatsächlich kam jedermann. Ich ging zum Essen. Das Essen hatte Hélène gekocht. Ich muss ein wenig von Hélène erzählen.
Hélène war schon seit zwei Jahren bei Gertrude Stein und ihrem Bruder gewesen. Sie war eine von jenen Perlen mit anderen Worten vorzüglichen Mädchen für alles, guten Köchinnen die sich ganz dem Wohlergehen ihrer Herrschaft und ihrer selbst widmen, fest davon überzeugt dass alles was man kaufen kann viel zu teuer ist. Oh das ist aber teuer, war ihre Antwort auf jede Frage. Sie verschwendete nichts und führte den Haushalt mit nicht mehr als acht Francs täglich. Sie wollte mit dieser Summe sogar inklusive Gäste auskommen, es war ihr Stolz, doch das war natürlich schwierig weil sie um der Ehre ihres Hauses willen und auf Wunsch ihrer Herrschaft jedem immer genug zu essen geben sollte. Sie war eine ausgezeichnete Köchin und machte ein sehr gutes Soufflé. In jenen Tagen lebten fast alle Gäste mehr oder weniger von der Hand in den Mund, keiner verhungerte, irgendeiner half immer doch die meisten lebten nicht im Überfluss. Es war Braque der etwa vier Jahre später als sie alle bekannt zu werden begannen sagte, mit einem Seufzer und einem Lächeln, wie sich das Leben verändert hat wir alle haben jetzt Köchinnen die ein Soufflé machen können.
Hélène hatte ihre eigenen Ansichten, zum Beispiel konnte sie Matisse nicht leiden. Sie sagte immer ein Franzose solle nicht überraschend zum Essen bleiben vor allem nicht wenn er sich vorher beim Mädchen erkundigt habe was es zu essen gebe. Sie sagte Ausländer wären durchaus berechtigt so etwas zu tun aber kein Franzose und Matisse habe dies einmal getan. Wenn also Miss Stein zu ihr sage, Monsieur Matisse bleibt heute Abend zum Essen, dann sage sie, in dem Fall mach ich kein Omelette sondern Spiegeleier. Dafür braucht man die gleiche Anzahl Eier und die gleiche Menge Butter aber es zeugt von weniger Achtung, und er wird verstehen.
Hélène blieb bis Ende 1913 im Haushalt. Dann bestand ihr Mann, sie hatte inzwischen geheiratet und hatte einen kleinen Jungen, darauf dass sie nicht länger für andere arbeitete. Zu ihrem großen Bedauern ging sie und später sagte sie immer dass das Leben zu Hause lange nicht so amüsant sei wie in der Rue de Fleurus. Viel später, etwa vor drei Jahren, kam sie für ein Jahr wieder zurück, da es ihr und ihrem Mann schlecht ergangen und der Junge gestorben war. Sie war so vergnügt wie früher und außerordentlich interessiert. Sie sagte ist es nicht merkwürdig, all die Leute die ich damals kannte als sie noch niemand waren stehen jetzt immer in den Zeitungen, und neulich Abend wurde im Radio Monsieur Picassos Name erwähnt. Ja die Zeitungen schreiben sogar über Monsieur Braque, der immer die großen Bilder beim Aufhängen festhalten musste weil er der Stärkste war, während der Hausmeister die Nägel einschlug, und jetzt wird im Louvre, man stelle sich vor, im Louvre ein Bild von dem armen kleinen Monsieur Rousseau gezeigt, der so schüchtern war dass er sich nicht einmal traute an die Tür zu klopfen. Hélène war furchtbar gespannt Monsieur Picasso und seine Frau und sein Kind zu sehen und kochte ihr allerbestes Diner für ihn, aber wie sehr er sich verändert hat, sagte sie, nun, sagte sie, das ist schließlich ganz natürlich aber immerhin hat er einen hübschen Sohn. Wir dachten Hélène sei in Wirklichkeit wiedergekommen um auf die junge Generation einen Blick zu werfen. Das war sie auch in gewisser Hinsicht aber sie interessierte sich nicht für sie. Sie sagte sie machten ihr keinerlei Eindruck was alle traurig stimmte denn sie war in ganz Paris zur Legende geworden. Nach einem Jahr ging es ihnen wieder besser, ihr Mann verdiente mehr Geld, und sie bleibt nun wieder zu Hause. Aber zurück zum Jahr 1907.
Ehe ich von den Gästen erzähle muss ich erzählen was ich sah. Wie ich schon sagte war ich zum Abendessen eingeladen ich klingelte am kleinen Pavillon und wurde in den winzigen Vorraum geführt und dann in das kleine Esszimmer dessen Wände mit Büchern bedeckt waren. Auf die einzigen freien Stellen, die Türen, waren ein paar Zeichnungen von Picasso und Matisse geheftet. Da die anderen Gäste noch nicht gekommen waren führte Miss Stein mich ins Atelier. Es regnet oft in Paris und es war immer schwierig durch den Regen vom Pavillon zur Ateliertür im Abendkleid zu gehen, aber an solchen Dingen durfte man sich nicht stören da die Gastgeber und die meisten Gäste es nicht taten. Wir gingen also ins Atelier das mit einem Sicherheitsschlüssel aufgemacht werden musste dem einzigen Sicherheitsschlüssel im ganzen Viertel damals, und es war nicht so sehr wegen der Sicherheit, denn die Bilder hatten in jenen Tagen keinen Wert, sondern weil der Schlüssel klein war und in das Portemonnaie passte und nicht so riesig war wie französische Schlüssel. An den Wänden entlang standen mehrere gewaltige italienische Renaissancemöbel und in der Mitte des Raumes ein großer Renaissancetisch, darauf ein hübsches Tintenfass, und auf dem Ende sorgfältig gestapelt mehrere Hefte, die Sorte Hefte die französische Kinder benutzen, mit Bildern von Erdbeben und Entdeckungsreisen auf dem Deckblatt. Und an allen Wänden bis oben an die Decke waren Bilder. An dem einen Ende des Raumes war ein großer gusseiserner Ofen den Hélène immer mit Getöse auffüllte, und in einer Ecke des Raumes war ein großer Tisch auf dem Hufeisennägel und Kieselsteine und kleine pfeifenförmige Zigarettenhalter waren die man neugierig betrachtete aber nicht berührte die aber wie es sich später herausstellte der Inhalt der Taschen von Picasso und Gertrude Stein waren. Doch zurück zu den Bildern. Die Bilder waren so seltsam dass man ganz unwillkürlich zuerst lieber alles mögliche andere ansah als sie. Ich habe mein Gedächtnis aufgefrischt und einige Fotos betrachtet die damals im Atelier aufgenommen wurden. Die Stühle im Raum waren auch alle italienische Renaissance, nicht sehr bequem für kurzbeinige Leute und man gewöhnte sich an mit untergeschlagenen Beinen zu sitzen. Miss Stein saß neben dem Ofen auf einem schönen Stuhl mit hoher Rückenlehne und ließ friedlich ihre Beine herabhängen, was sie sich angewöhnt hatte, und wenn einer von den vielen Besuchern auf sie zukam um sie etwas zu fragen erhob sie sich von diesem Stuhl und erwiderte meistens auf französisch, im Moment nicht. Das bezog sich meistens auf etwas was sie sehen wollten, Zeichnungen die fortgeräumt worden waren, ein Deutscher hatte einmal Tinte auf eine verschüttet, oder auf irgendeinen anderen nicht erfüllbaren Wunsch. Doch zurück zu den Bildern. Wie gesagt bedeckten sie die weißgetünchten Wände bis ganz oben an die sehr hohe Decke. Der Raum wurde damals durch sehr hohe Gasanschlüsse beleuchtet. Das war das zweite Stadium. Sie waren gerade montiert worden. Davor hatte es nur Lampen gegeben, und ein großer Gast hielt die Lampe hoch während die anderen hinsahen. Doch nun war das Gas installiert worden und ein erfinderischer amerikanischer Maler namens Sayen, der seine Gedanken von der Geburt seines ersten Kindes ablenken wollte, brachte gerade eine automatische Vorrichtung an damit die hohen Gasanschlüsse von selbst angingen. Die alte höchst konservative Hauseigentümerin duldete keine Elektrizität in ihren Häusern und erst 1914 wurde elektrisches Licht gelegt, weil die alte Eigentümerin da schon zu alt war um noch den Unterschied zu bemerken, gab ihr Hausverwalter die Erlaubnis. Doch jetzt will ich wirklich von den Bildern erzählen.
Es ist sehr schwierig heute wo alle sich an alles gewöhnt haben zu beschreiben was für ein Unbehagen einen überkam wenn man das erste Mal all diese Bilder an diesen Wänden betrachtete. Damals waren alle möglichen Bilder da, es war noch nicht die Zeit gekommen als es bloß Cézannes, Renoirs, Matisses und Picassos, und erst recht nicht als es später nur noch Cézannes und Picassos waren. Damals waren dort ziemlich viele Matisses, Picassos, Renoirs, Cézannes aber da waren auch sehr viele andere Dinge. Da waren zwei Gauguins, da waren Manguins, und da war ein großer Akt von Valloton der so wirkte aber nicht so aussah wie die Odaliske von Manet, da war ein Toulouse-Lautrec. In jener Zeit sah Picasso ihn sich einmal an und sagte äußerst kühn, trotzdem kann ich besser malen als er. Toulouse-Lautrec hatte ihn in seinen Anfängen am meisten beeinflusst. Ich kaufte später ein kleines winziges Bild von Picasso aus jener Epoche. Da war ein Porträt von Gertrude Stein von Valloton das ein David hätte sein können aber keiner war, da war ein Maurice Denis, ein kleiner Daumier, viele Cézanne-Aquarelle, da war einfach alles, da war sogar ein kleiner Delacroix und ein mittelgroßer Greco. Da waren riesige Picassos aus der Harlekin-Periode, da waren zwei Reihen Matisses, da waren ein großes Frauenporträt von Cézanne und einige kleine Cézannes, all diese Bilder hatten eine Geschichte und ich werde sie noch erzählen. Jetzt war ich verwirrt und ich schaute und ich schaute und ich war verwirrt. Gertrude Stein und ihr Bruder waren an diesen Zustand bei ihren Gästen derart gewöhnt dass sie dem keine Beachtung schenkten. Dann klopfte es kräftig an die Ateliertür. Gertrude Stein öffnete sie und ein kleiner dunkelhaariger gepflegter Mann trat ein an dem alles, Haare, Augen, Gesicht, Hände und Füße, sehr lebendig war. Hallo Alfy, sagte sie, dies ist Miss Toklas. Guten Abend Miss Toklas, sagte er ganz feierlich. Es war Alfy Maurer, ein alter Habitué des Hauses. Er war schon da bevor diese Bilder da waren, als nur japanische Holzschnitte da waren, und er war einer von denen die Streichhölzer anzündeten um einen kleinen Ausschnitt des Cézanne-Porträts zu beleuchten. Natürlich sieht man dass es ein fertiges Bild ist, pflegte er den anderen amerikanischen Malern zu erklären die kamen und ratlos aussahen, man sieht es daran dass es einen Rahmen hat, denn wer hat schon je von jemandem gehört der ein Gemälde rahmt wenn das Bild noch nicht fertig ist. Er hatte mitgemacht, mitgemacht, mitgemacht immer bescheiden immer aufrichtig, er war es der ein paar Jahre später die erste Sendung Bilder für die berühmte Barnes Collection getreulich und mit großer Begeisterung zusammenstellte. Er war es der als Barnes dann kam und mit dem Scheckbuch winkte sagte, meine Güte, ich habe ihn nicht hergebracht. Gertrude Stein die leicht aufbraust, kam eines Abends nach Hause und da waren ihr Bruder, Alfy und ein Unbekannter. Der Unbekannte gefiel ihr nicht. Wer ist denn das, sagte sie zu Alfy. Ich habe ihn nicht hergebracht, sagte Alfy. Er sieht wie ein Jude aus, sagte Gertrude Stein, er ist schlimmer als das, sagte Alfy. Aber zurück zu jenem ersten Abend. Ein paar Minuten nachdem Alfy gekommen war klopfte es heftig an die Tür und Hélène rief, das Essen ist fertig. Komisch dass die Picassos nicht gekommen sind, sagten alle, aber wir wollen nicht warten zumindest will Hélène nicht warten. Also gingen wir in den Hof und in den Pavillon und Essraum und fingen an zu essen. Komisch, sagte Miss Stein, Pablo ist immer die Pünktlichkeit selbst, er kommt nie zu früh und er kommt nie zu spät, er verkündet stolz Pünktlichkeit sei die Höflichkeit der Könige, sogar Fernande wird durch ihn pünktlich. Natürlich sagt er oft ja wenn er gar nicht beabsichtigt zu tun wozu er ja sagt, er kann nicht nein sagen, nein ist nicht in seinem Wortschatz und man muss wissen ob sein Ja ja bedeutet oder nein bedeutet, aber wenn er ein Ja sagt das ja bedeutet und das hat er wegen heute Abend ist er immer pünktlich. Es war in den Tagen bevor es Autos gab und keiner dachte an Verkehrsunfälle. Wir waren gerade mit dem ersten Gang fertig als wir eilige Schritte im Hof hörten und Hélène öffnete die Tür ehe es klingelte. Pablo und Fernande wie sie damals von allen genannt wurden traten ein. Er, klein, beweglich aber nicht unruhig, seine Augen hatten die seltsame Fähigkeit sich weit zu öffnen und alles was er sehen wollte in sich aufzusaugen. Er hatte an der Spitze der kleinen Schar die Einsamkeit und Kopfhaltung eines Stierkämpfers. Fernande war eine große schöne Frau mit einem wunderbaren großen Hut und einem ganz offensichtlich neuen Kleid, sie beide waren sehr aufgeregt. Ich bin untröstlich, sagte Pablo, aber du weißt genau Gertrude ich komme nie zu spät aber Fernande hatte für die Vernissage morgen ein Kleid bestellt und es kam nicht. Na nun seid ihr ja da, sagte Miss Stein, und weil ihr es seid wird Hélène es nicht übel nehmen. Und wir setzten uns alle. Ich saß neben Picasso der sehr schweigsam war und erst allmählich friedlich wurde. Alfy machte Fernande Komplimente und sie war auch bald ruhig und gelassen. Nach einer Weile raunte ich Picasso zu dass mir sein Porträt von Gertrude Stein gefalle. Ja, sagte er, alle sagen sie sähe nicht so aus aber das ist einerlei, sie wird es, sagte er. Die Unterhaltung wurde bald lebhaft es drehte sich alles um den Eröffnungstag des Salon des Indépendants der das große Ereignis des Jahres war. Alle waren gespannt auf die Skandale die es geben oder nicht geben würde. Picasso stellte nie aus da aber seine Schüler dies taten und es über jeden Schüler eine Menge zu erzählen gab stiegen die Hoffnungen und Befürchtungen ins Unermessliche.
Als wir beim Kaffee saßen hörten wir auf dem Hof Schritte lauter Schritte und Miss Stein stand auf und sagte, lasst euch nicht stören, ich muss sie nur hereinlassen. Und sie verschwand.
Als wir ins Atelier hinübergingen waren da schon viele Leute im Raum, hier und da Gruppen, Einzelne und Paare und alle schauten und schauten. Gertrude Stein saß neben dem Ofen und sprach und hörte zu und erhob sich um die Tür zu öffnen und auf verschiedene Leute zuzugehen und redete und hörte zu. Üblicherweise öffnete sie auf das Klopfen hin die Tür und die übliche Begrüßungsformel war, de la part de qui venez-vous, wer hat Sie empfohlen. Im Prinzip konnte jeder kommen doch um der Form willen und weil es in Paris formell zugeht, wurde von jedem erwartet dass er den Namen dessen angeben konnte der ihm davon erzählt hatte. Es war eine reine Formsache, eigentlich konnte jeder kommen und weil die Bilder zu jener Zeit keinerlei Wert hatten und es auch in gesellschaftlicher Hinsicht keinen Vorteil brachte irgendjemanden dort kennenzulernen, kamen nur die die wirklich interessiert waren. Wie gesagt konnte jeder kommen, trotzdem war da die Begrüßungsformel. Einmal sagte Miss Stein beim Öffnen der Tür wie üblich auf wessen Einladung hin kommen Sie und da hörten wir wie eine gekränkte Stimme antwortete, aber auf die Ihre, Madame. Es war ein junger Mann den Gertrude Stein irgendwo kennengelernt hatte und mit dem sie sich lange unterhalten hatte und den sie prompt herzlich eingeladen hatte und dann prompt vergessen hatte.
Der Raum war bald sehr sehr voll und wer war da nicht alles. Gruppen von ungarischen Malern und Schriftstellern, zufällig war nämlich einmal ein Ungar mitgebracht worden und die Kunde hatte sich in ganz Ungarn verbreitet, jedes Dorf in dem es einen jungen Mann mit Ambitionen gab hatte von der Rue de Fleurus 27 gehört und nun lebte er einzig im Gedanken daran dorthin zu gelangen und viele gelangten dorthin. Immer waren sie da, in jeder Größe und Gestalt, in allen Abstufungen von Reichtum und Armut, manche ganz reizend, andere einfach ungeschliffen und ab und zu ein bildschöner junger Bauer. Dann waren auch viele Deutsche da, nicht allzu beliebt denn sie neigten immer dazu alles sehen zu wollen was beiseite gestellt war und sie neigten dazu Dinge zu zerbrechen und Gertrude Stein hat eine Schwäche für zerbrechliche Gegenstände, sie hat einen Horror vor Menschen die nur Unzerbrechliches sammeln. Auch waren ziemlich viele Amerikaner da, manchmal brachte Mildred Aldrich eine Gruppe oder Sayen, der Elektriker, oder irgendein Maler und gelegentlich verirrte sich ein Architekturstudent dorthin und dann waren da die Habitués, darunter Miss Mars und Miss Squires die Gertrude Stein später in ihrer Geschichte von Miss Furr and Miss Skeene verewigte. An jenem ersten Abend sprachen Miss Mars und ich über ein damals brandneues Thema, wie man sein Gesicht zurechtmacht. Sie interessierte sich für Typen, sie wusste es gibt die femme décorative, die femme d’intérieur und die femme intrigante; zweifellos sei Fernande Picasso eine femme décorative, aber was sei Madame Matisse, femme d’intérieur, sagte ich, und das freute sie sehr. Von Zeit zu Zeit hörte man das helle spanische wiehernde Lachen von Picasso den fröhlichen Kontraaltausbruch von Gertrude Stein, Leute kamen und gingen, ein und aus. Miss Stein sagte mir ich solle mich zu Fernande setzen. Fernande war immer wunderschön aber ein wenig mühsam. Ich setzte mich, es war mein erstes Sitzen neben der Frau eines Genies.
Ehe ich beschloss dieses Buch Meine fünfundzwanzig Jahre mit Gertrude Stein zu schreiben, hatte ich oft gesagt ich würde schreiben, Die Frauen von Genies neben denen ich gesessen habe. Ich habe neben so vielen gesessen. Ich habe neben Ehefrauen gesessen die keine Ehefrauen waren, von Genies die wirkliche Genies waren. Ich habe neben wirklichen Ehefrauen von Genies gesessen die keine wirklichen Genies waren. Ich habe neben Frauen von Genies, von Beinahegenies, von Möchtegerngenies gesessen, kurzum ich habe sehr oft und sehr lange neben vielen Ehefrauen und Ehefrauen von vielen Genies gesessen.
Wie ich schon sagte war Fernande, die damals mit Picasso lebte und schon lange mit ihm gelebt hatte das heißt damals waren sie alle vierundzwanzig Jahre alt aber trotzdem hatten sie schon lange zusammengelebt, Fernande war die erste Frau eines Genies neben der ich saß und sie war nicht im Geringsten amüsant. Wir sprachen über Hüte. Fernande hatte zwei Gesprächsthemen Hüte und Parfums. An jenem ersten Abend sprachen wir über Hüte. Sie liebte Hüte, sie hatte das echte französische Gespür für Hüte, wenn ein Hut dem Mann auf der Straße keine witzige Bemerkung entlockte war der Hut kein Erfolg. Später gingen sie und ich einmal zusammen in Montmartre spazieren. Sie hatte einen großen gelben Hut auf und ich einen viel kleineren blauen. Während wir so dahinspazierten blieb ein Arbeiter stehen und rief, da gehen Sonne und Mond und scheinen gemeinsam. Oh, sagte Fernande strahlend zu mir, Sie sehen unsere Hüte sind ein Erfolg.
Miss Stein rief mich und sagte sie wolle mich Matisse vorstellen. Sie sprach mit einem mittelgroßen Mann mit rötlichem Bart und Brille. Er hatte ein sehr aufgeräumtes wenn auch etwas schwerfälliges Auftreten und Miss Stein und er schiencn sich in lauter Anspielungen zu unterhalten. Als ich näher kam hörte ich sie sagen, oh ja doch jetzt wäre es schwieriger. Wir sprachen soeben, sagte sie, von einem Essen das wir vor einem Jahr hier gaben. Wir hatten gerade alle Bilder gehängt und baten alle Maler her. Sie wissen ja wie Maler sind, ich wollte sie glücklich machen und setzte jeden seinem eigenen Bild gegenüber, und sie waren glücklich so glücklich dass wir zweimal Brot nachholen mussten, wenn Sie Frankreich kennen werden Sie wissen das bedeutet sie waren glücklich, denn ohne Brot können sie nicht essen und trinken und wir mussten zweimal Brot nachholen also waren sie glücklich. Keiner merkte meine kleine List bis auf Matisse und der auch erst beim Weggehen, und nun sagt er es ist ein Beweis dass ich sehr durchtrieben bin. Matisse lachte und sagte, ja ich weiß Mademoiselle Gertrude, die Welt ist eine Bühne für Sie, aber es gibt solche und solche Bühnen, und wenn Sie mir so aufmerksam und so andächtig zuhören und doch kein Wort von dem hören was ich sage dann muss ich wirklich sagen dass Sie sehr durchtriebcn sind. Dann begannen sie wie alle anderen auch über die Vernissage der Indépendants zu sprechen und natürlich verstand ich nicht worum es ging. Aber allmählich verstand ich und später werde ich noch die Geschichte der Bilder, ihrer Maler und ihrer Schüler erzählen und worum es bei dieser Unterhaltung ging.
Später war ich in Picassos Nähe, er stand nachdenklich da. Finden Sie, sagte er, dass ich wirklich wie Ihr Präsident Lincoln aussehe. Ich hatte an jenem Abend alles Mögliche gedacht aber das hatte ich nicht gedacht. Wissen Sie, fuhr er fort, Gertrude, (ich wünschte ich könnte etwas von der schlichten Herzlichkeit und Vertrautheit vermitteln mit der er immer ihren Namen aussprach und mit der sie immer sagte, Pablo. Während ihrer langen Freundschaft mit all ihren manchmal schwierigen Momenten und Komplikationen hat sich hieran nie etwas geändert.) Gertrude zeigte mir eine Fotografie von ihm und ich habe versucht mein Haar so zu legen dass es wie seins aussieht, ich finde über der Stirn tut es das. Ich wusste nicht ob es ihm damit ernst war oder nicht doch ich war verständnisvoll. Damals wusste ich noch nicht wie durch und durch amerikanisch Gertrude Stein war. Später neckte ich sie oft, nannte sie einen General, einen Bürgerkriegsgeneral auf einer der beiden oder auf beiden Seiten. Sie hatte eine Anzahl von Fotografien vom Bürgerkrieg, sehr schöne Fotografien und sie und Picasso hockten stundenlang darüber. Dann fiel ihm auf einmal der Spanische Krieg ein und er wurde sehr spanisch und sehr bitter und Spanien und Amerika konnten sich in ihrer beider Person sehr bittere Wahrheiten über das Land des anderen sagen. Doch an jenem ersten Abend wusste ich nichts von alledem und deshalb war ich höflich und das war alles.
Und nun näherte sich der Abend seinem Ende. Alle brachen auf und immer noch sprachen alle von der Vernissage der Indépendants. Auch ich brach auf und hatte eine Einladungskarte für die Vernissage bei mir. Und so fand das Ganze, einer der wichtigsten Abende meines Lebens, ein Ende.
Ich ging zur Vernissage und nahm eine Freundin mit, denn die Einladungskarte die ich erhalten hatte galt für zwei. Wir gingen sehr früh hin. Es war mir gesagt worden wir sollten früh hingehen sonst würden wir überhaupt nichts sehen können, und es wären dann auch keine Sitzplätze mehr da, und meine Freundin saß gern. Wir gingen in das Gebäude das extra für diese Ausstellung errichtet worden war. In Frankreich errichtet man immer Dinge nur für einen Tag oder für wenige Tage und reißt sie dann wieder ab. Gertrude Steins älterer Bruder sagt immer das Geheimnis der ständigen Vollbeschäftigung oder nicht vorhandenen Arbeitslosigkeit in Frankreich beruhe auf der Unzahl von Männern die stets damit beschäftigt seien provisorische Gebäude zu errichten oder abzureißen. In Frankreich sei die Natur der Menschen so dauerhaft dass sie es sich leisten können mit ihren Gebäuden so umzugehen wie sie Lust haben. Wir gingen also zu dem langen niedrigen wirklich sehr sehr langen provisorischen Gebäude das jedes Jahr für die Indépendants errichtet wurde. Als nach dem Krieg oder kurz vorher, das habe ich vergessen, die Indépendants eine ständige Bleibe in dem großen Ausstellungsgebäude, dem Grand Palais, erhielten war es längst nicht mehr so interessant. Schließlich ist es das Abenteuer das zählt. Das lange Gebäude erstrahlte herrlich im Pariserischen Licht.
In früheren, noch früheren Tagen, in den Tagen Seurats, hatten die Indépendants ihre Ausstellung in einem Gebäude wo der Regen hineinregnete. Und eben deswegen, weil er im Regen Bilder hängte, holte sich der arme Seurat seine verhängnisvolle Erkältung. Jetzt regnete es nicht herein, es war ein schöner Tag und uns war sehr festlich zumute. Als wir hinkamen waren wir tatsächlich früh dran beinahe die Allerersten. Wir gingen von einem Saal in den anderen und hatten offen gesagt keine Ahnung welche Bilder unsere Samstagabendgesellschaft für Kunst halten würde und welche bloß Versuche von wie man es in Frankreich nennt Sonntagsmalern waren, Arbeitern, Friseuren und Veterinären und Visionären die nur einmal wöchentlich malen wenn sie nicht arbeiten müssen. Ich sage wir wussten es nicht aber vielleicht wussten wir es ja doch. Aber nicht bei dem Rousseau, und da war ein riesengroßer Rousseau der der Skandal der Ausstellung war, es war ein Bildnis der Offiziellen der Republik, Picasso besitzt es jetzt, nein bei dem Bild konnten wir nicht ahnen dass es eins der berühmten Bilder werden sollte, und dass es wie Hélène gesagt hätte, im Louvre landen würde. Da war auch wenn ich mich recht entsinne ein eigenartiges Gemälde von demselben Zöllner Rousseau, eine Art Apotheose Guillaume Apollinaires mit einer betagten Marie Laurencin hinter ihm als Muse. Das hätte ich auch nicht als ein ernst zu nehmendes Kunstwerk erkannt. Zu jener Zeit wusste ich natürlich nichts von Marie Laurencin und Guillaume Apollinaire doch es gibt später eine Menge über sie zu berichten. Dann gingen wir weiter und sahen einen Matisse. Ah da begannen wir uns heimisch zu fühlen. Wir erkannten einen Matisse sobald wir ihn sahen, erkannten ihn sofort und genossen ihn und erkannten dass es große Kunst und schön war. Es war eine üppige Frauengestalt die zwischen einigen Kakteen lag. Ein Bild das nach der Ausstellung in der Rue de Fleurus sein sollte. Dort geschah es eines Tages dass der fünfjährige Junge des Hausmeisters der Gertrude Stein oft besuchte die ihn sehr gern hatte ihr in die Arme sprang als sie in der offenen Tür zum Atelier stand und als er ihr über die Schulter blickte und das Bild sah begeistert ausrief, oh là là was für ein wunderschöner Frauenkörper. Miss Stein pflegte diese Geschichte immer wieder zu erzählen wenn ein gelegentlicher Besucher in dem feindseligen Tonfall eines gelegentlichen Besuchers sagte, indem er dieses Bild ansah, und was soll das darstellen.
Im selben Saal wie Matisse, von einer Trennwand ein bisschen verdeckt, war eine ungarische Fassung desselben Bildes von einem gewissen Czobel an den ich mich von der Rue de Fleurus her erinnerte, es war der gelungene Einfall der Indépendants einen ungestümen Schüler dem ungestümen aber nicht ganz so ungestümen Meister gegenüberzustellen.
Wir gingen weiter und weiter, da waren so viele Säle und so viele Bilder in den Sälen und schließlich kamen wir zu einem mittleren Saal und da war eine Gartenbank und weil Leute hereinkamen eine ganze Menge Leute setzten wir uns auf die Bank um auszuruhen.
Wir hatten uns ausgeruht und sie alle angesehen und es war wirklich die Boheme genau wie man sie aus der Oper kannte und sie waren ganz wunderbar anzusehen. Und auf einmal legte jemand hinter uns eine Hand auf unsere Schultern und brach in Lachen aus. Es war Gertrude Stein. Ihr habt euch ausgezeichnet platziert, sagte sie. Aber warum das, fragten wir. Weil ihr das worum es geht direkt vor euch habt. Wir schauten aber wir sahen nichts als zwei große Bilder die ziemlich gleich aber nicht vollkommen gleich aussahen. Eins ist ein Braque und eins ist ein Derain, erklärte Gertrude Stein. Es waren seltsame Bilder von seltsam geformten eher holzklotzartigen Figuren, das eine wenn ich mich recht entsinne eine Art Mann und Frau, das andere drei Frauen. Nun, sagte sie und lachte noch immer. Wir waren verdutzt, wir hatten so viel Seltsames gesehen wir wussten nicht warum diese beiden noch seltsamer sein sollten. Sie verschwand schnell in der aufgeregten und redseligen Menge. Wir erkannten Pablo Picasso und Fernande, wir glaubten noch viele andere zu erkennen, tatsächlich schienen alle an unserer Ecke interessiert zu sein und wir blieben, aber wir wussten nicht weshalb sie so besonders interessiert waren. Nach einer ganzen Weile kam Gertrude Stein zurück, diesmal offensichtlich noch aufgeregter und belustigter. Sie beugte sich über uns und sagte feierlich, wollen Sie Französischstunden nehmen. Wir zögerten, ja wir könnten eigentlich Französischstunden nehmen. Schön Fernande wird Ihnen Französischstunden geben, gehen Sie und suchen Sie sie und sagen Sie ihr dass Sie ganz wild darauf sind Französischstunden zu nehmen. Aber weshalb sollte sie uns Französischstunden geben, fragten wir. Weil, nun weil Pablo und sie beschlossen haben sich für immer zu trennen. Ich glaube es ist früher schon mal geschehen aber nicht seit ich sie kenne. Pablo sagt nämlich wenn man eine Frau liebt, gibt man ihr Geld. Wenn man aber eine Frau verlassen will muss man warten bis man genug Geld hat das man ihr geben kann. Vollard hat ihm gerade sein Atelier abgekauft und deshalb kann er es sich leisten sich von ihr zu trennen indem er ihr die Hälfte gibt. Sie will sich ein Zimmer nehmen und Französischstunden geben und hier kommen Sie ins Spiel. Aber was hat das mit diesen beiden Bildern zu tun, fragte meine so neugierige Freundin. Nichts, sagte Gertrude Stein und ging laut lachend davon.
Ich werde die ganze Geschichte noch erzählen wie ich sie später erfahren habe aber jetzt muss ich Fernande suchen und ihr vorschlagen Französischstunden bei ihr zu nehmen.
Ich wanderte umher und musterte die Menge, nie hätte ich gedacht dass es so viele unterschiedliche Männer geben könne die Bilder malen und anschauen. In Amerika, sogar in San Francisco, war ich es gewohnt Frauen auf Ausstellungen zu sehen auch einige Männer, aber hier waren Männer, Männer, Männer, manchmal Frauen bei ihnen aber häufiger drei oder vier Männer mit einer Frau, manchmal fünf oder sechs Männer mit zwei Frauen. Später gewöhnte ich mich an dieses Verhältnis. In einer dieser Gruppen von fünf oder sechs Männern und zwei Frauen sah ich die Picassos, das heißt ich sah Fernande mit ihrer charakteristischen Geste, einen beringten Zeigefinger gerade in die Luft gestreckt. Wie ich später herausfand hatte sie Napoleons Zeigefinger genauso lang wenn nicht gar ein bisschen länger als ihr Mittelfinger, und der stach, sobald sie erregt war, was aber eigentlich nicht sehr oft geschah denn Fernande war träge, immer schnurstracks in die Luft. Ich wartete weil ich nicht in diese Gruppe eindringen wollte an deren einem Ende sie und an deren anderem Ende Picasso alle Aufmerksamkeit auf sich zog aber schließlich nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und trat vor und lenkte ihr Augenmerk auf mich und trug ihr meinen Wunsch vor. Oh ja, sagte sie freundlich, Gertrude hat mir von Ihrem Wunsch erzählt, es würde mir großes Vergnügen bereiten Ihnen Stunden zu geben, Ihnen und Ihrer Freundin, in den nächsten Tagen werde ich aber noch sehr viel damit zu tun haben mich in meiner neuen Wohnung einzurichten. Gertrude will mich Ende der Woche besuchen, wenn Sie und Ihre Freundin sie begleiten wollen könnten wir dann alles abmachen. Fernande sprach ein sehr elegantes Französisch, natürlich mit Rückfällen ins Montmartrische dem ich nur schwer folgen konnte, aber sie war zur Lehrerin ausgebildet worden, ihre Stimme war bezaubernd und sie war sehr sehr schön mit einem herrlichen Teint. Sie war eine üppige Frau aber nicht zu üppig denn sie war träge und sie hatte die kleinen runden Arme die die charakteristische Schönheit aller französischen Frauen ausmachen. Es war eher schade dass kurze Röcke je aufkamen denn bis dahin hatte man keine Vorstellung von den stämmigen französischen Beinen der durchschnittlichen französischen Frau, man dachte bloß immer an die Schönheit der kleinen rundlichen Arme. Ich willigte in Fernandes Vorschlag ein und ging.
Auf dem Weg dahin wo meine Freundin saß gewöhnte ich mich weniger an die Bilder als vielmehr an die Leute. Es wurde mir klar dass es einen bestimmten einheitlichen Typ gab. Viele Jahre später, also vor nur wenigen Jahren, als Juan Gris den wir alle sehr liebten starb, (er war nach Pablo Picasso Gertrude Steins liebster Freund) hörte ich sie zu Braque sagen, als sie und er bei der Trauerfeier nebeneinanderstanden, wer sind all diese Leute, es sind so viele und sie kommen mir so bekannt vor und ich weiß von keinem wer er ist. Oh, erwiderte Braque, das sind all die Leute die Sie bei der Vernissage der Indépendants und im Herbstsalon zu sehen pflegten und Sie sahen ihre Gesichter zweimal im Jahr, Jahr für Jahr, und das ist der Grund weshalb sie Ihnen alle so bekannt vorkommen.
Gertrude Stein und ich gingen etwa zehn Tage darauf nach Montmartre, ich zum ersten Mal. Ich habe nie aufgehört es zu lieben. Wir gehen von Zeit zu Zeit dorthin und jedes Mal habe ich wieder dasselbe zarte freudige Gefühl der Erwartung das ich damals hatte. Es ist ein Ort, wo man immer stand und manchmal wartete, nicht darauf dass etwas geschah, man stand nur einfach da. Die Bewohner von Montmartre saßen nicht viel, meistens standen sie was ebenso gut war da die Stühle, die Restaurantstühle Frankreichs, einen nicht zum Sitzen einladen. Also ging ich nach Montmartre und begann meine Lehrzeit im Stehen. Zuerst besuchten wir Picasso und dann besuchten wir Fernande. Picasso geht jetzt nicht gern nach Montmartre, er möchte nicht gern daran denken und schon gar nicht davon sprechen. Selbst zu Gertrude Stein spricht er nur ungern darüber, es gab Dinge die damals seinen spanischen Stolz tief verletzten und die letzte Zeit seines Lebens in Montmartre war ganz Bitterkeit und Enttäuschung, und nichts kann bitterer sein als spanische Enttäuschung.
Doch damals war er dort zu Hause und gehörte zu Montmartre und wohnte in der Rue Ravignan.
Wir gingen zum Odéon und nahmen dort einen Omnibus, das heißt wir stiegen ganz nach oben auf einen Omnibus, einen jener hübschen alten von Pferden gezogenen Omnibusse die schön schnell und regelmäßig quer durch Paris fuhren und dann bergauf bis zur Place Blanche. Dort stiegen wir aus und gingen eine steile Straße hinauf die gesäumt war von Läden mit Sachen zum Essen, die Rue Lépic, und dann bogen wir um eine Ecke und stiegen noch steiler wirklich beinahe senkrecht hinauf und kamen zur Rue Ravignan, jetzt Place Emile-Gondeau sonst aber unverändert, deren Stufen zu dem kleinen ebenen Platz mit seinen wenigen aber sehr zierlichen kleinen Bäumen führen, in einem seiner Winkel tischlerte ein Mann, als ich das letzte Mal vor nicht langer Zeit dort war tischlerte dort noch immer ein Mann in einem seiner Winkel, und ein kleines Café gerade dort wo man die Stufen hinaufgeht wo sie alle zu essen pflegten, es ist noch da, und linker Hand das niedrige Holzgebäude mit den Ateliers das noch da ist.
Wir gingen die paar Stufen hinauf und durch die offene Tür linker Hand vorbei an dem Atelier in dem später Juan Gris sein Märtyrerdasein führen sollte wo aber damals ein gewisser Vaillant lebte, ein unscheinbarer Maler der sein Atelier als Damengarderobe bei dem berühmten Bankett für Rousseau zur Verfügung stellen sollte, und dann vorbei an einer steilen Stiege an deren Fuß Max Jacob ein wenig später sein Atelier hatte, und vorbei an einer weiteren und schmalen steilen Treppe die zu dem Atelier führte wo vor Kurzem ein junger Mensch Selbstmord begangen hatte, Picasso malte eins seiner schönsten frühen Bilder von den um den Sarg versammelten Freunden, wir gingen an all dem vorbei zu einer größeren Tür an die Gertrude Stein klopfte und Picasso öffnete die Tür und wir traten ein.
Er trug was die Franzosen singe oder Affenanzug nennen, einen Overall aus blauem oder braunem Jeansstoff, ich glaube seiner war blau und er wird singe oder Affe genannt weil er aus einem Stück besteht mit einem Gürtel, wenn der Gürtel nicht zugemacht wird, was meistens geschieht, dann baumelt er hinten herunter sodass man wie ein Affe aussieht. Seine Augen waren herrlicher als selbst ich sie in Erinnerung hatte, so tief und so braun, und seine Hände so dunkel und zierlich und flink. Wir gingen weiter hinein. Da war ein Sofa in einer Ecke, ein sehr kleiner Ofen der zum Kochen und Heizen diente in der anderen Ecke, ein paar Stühle, der große zerbrochene in dem Gertrude Stein saß als sie gemalt wurde und ein allgemeiner Geruch nach Hund und Farbe und da war eine große Hündin und Picasso schob sie hin und her von einem Platz zum anderen genauso als wäre die Hündin ein großes Möbelstück gewesen. Er forderte uns zum Sitzen auf doch da alle Stühle belegt waren standen wir alle und blieben stehen bis wir gingen. Es war meine erste Erfahrung im Stehen aber später merkte ich dass hier alle stundenlang so standen. Gegen die Wand war ein riesengroßes Bild gelehnt, ein merkwürdiges Bild in hellen und dunklen Farben, das ist alles was ich sagen kann, von einer Gruppe, einer riesengroßen Gruppe und daneben ein anderes in einem Rotbraun, von drei stämmigen und posierenden Frauen, das Ganze eher erschreckend. Pablo Picasso und Gertrude Stein standen nebeneinander und plauderten. Ich stand etwas abseits und sah mich um. Ich kann nicht behaupten dass ich irgendetwas begriff doch ich spürte dass da etwas Schmerzliches und Schönes war und Bedrückendes und doch Unfreies. Ich hörte Gertrude Stein sagen, und meins. Daraufhin holte Picasso ein kleineres Bild hervor, eine ziemlich unfertige Arbeit die nicht fertig werden konnte, sehr blass fast weiß, zwei Figuren, sie waren wohl ganz da aber sehr unfertig und nicht fertigzustellen. Picasso sagte, das wird er aber nie akzeptieren. Ja, ich weiß, antwortete Gertrude Stein. Aber trotzdem ist es das Einzige in dem alles da ist. Ja, ich weiß, erwiderte er und sie verstummten. Danach setzten sie ihre leise Unterhaltung fort und dann sagte Miss Stein, nun wir müssen gehen, wir sind zum Tee bei Fernande. Ja, ich weiß, erwiderte Picasso. Wie oft siehst du sie, sagte sie, er wurde sehr rot und machte ein verlegenes Gesicht. Ich bin noch gar nicht da gewesen, sagte er verärgert. Sie gluckste, wir gehen jedenfalls hin, sagte sie, und Miss Toklas wird Französischstunden nehmen. Ah die Miss Toklas, sagte er, mit den kleinen Füßen wie eine Spanierin und Ohrringen wie eine Zigeunerin und einem Vater der König von Polen ist wie die Poniatowkis, natürlich wird sie Stunden nehmen. Wir alle lachten und gingen zur Tür. Dort stand ein sehr schöner Mann, oh Agero, sagte Picasso, du kennst die Damen. Er sieht wie ein Greco aus, sagte ich auf Englisch. Picasso fing den Namen auf, ein gefälschter Greco, sagte er. Oh ich vergaß dir die hier zu geben, sagte Gertrude Stein und reichte Picasso ein Bündel Zeitungen, die werden dich trösten. Er öffnete sie, es waren die Sonntagsbeilagen von amerikanischen Zeitungen, es waren die Katzen yammer kids. Oh oui, Oh oui, sagte er mit zufriedenem Gesicht, merci danke Gertrude, und wir gingen.
Wir gingen dann und stiegen noch weiter den Hügel hinauf.
Was dachten Sie von dem was Sie sahen, fragte Miss Stein. Nun ich habe etwas gesehen. Ja natürlich, sagte sie, aber haben Sie gesehen, was das mit den beiden Bildern zu tun hatte vor denen Sie neulich so lange bei der Vernissage saßen. Nur dass die Picassos ziemlich scheußlich waren und die anderen nicht. Natürlich, sagte sie, wie Picasso einmal bemerkte, wenn man etwas macht, ist das Machen so schwierig dass es unweigerlich hässlich werden muss, aber die die es nach einem tun brauchen sich nicht den Kopf über das Machen zu zerbrechen und sie können es schön machen, und daher gefällt es allen wenn die anderen es machen.
Wir gingen weiter und bogen in eine kleine Straße ein und dort war noch ein kleines Haus und wir fragten nach Mademoiselle Bellevallée und wir wurden in einen kleinen Flur geschickt und wir klopften und betraten einen mittelgroßen Raum in dem ein sehr großes Bett war und ein Klavier und ein kleiner Teetisch und Fernande und zwei andere.
Eine von ihnen war Alice Princet. Sie war ein ziemlich madonnenhaftes Geschöpf, mit großen schönen Augen und entzückendem Haar. Fernande erklärte nachher sie sei die Tochter eines Arbeiters und habe die groben Hände die das typische Merkmal der Arbeiterschicht seien. Sie habe, erklärte Fernande, sieben Jahre mit Princet zusammengelebt der bei der Regierung beschäftigt war und sie sei ihm treu gewesen à la Montmartre, das heißt sie habe in guten wie in schlechten Tagen zu ihm gehalten sich aber nebenbei amüsiert. Jetzt wollten sie heiraten. Princet sei Chef seines kleinen Ressorts im Staatsdienst geworden und nun würde es für ihn unumgänglich sein andere Ressortchefs zu sich einzuladen und so müsse er natürlich das Verhältnis regeln. Tatsächlich heirateten sie ein paar Monate später und im Zusammenhang mit dieser Heirat machte Max Jacob seine berühmte Bemerkung, es ist wunderbar sich sieben Jahre lang nach einer Frau zu sehnen und sie dann endlich zu besitzen. Die von Picasso war da schon praktischer, warum heiraten sie um sich dann scheiden zu lassen. Das war eine Prophezeiung.
Kaum waren sie verheiratet begegnete Alice Princet Derain und Derain begegnete ihr. Es war was die Franzosen un coup de foudre nennen, oder Liebe auf den ersten Blick. Sie verliebten sich wahnsinnig ineinander. Princet versuchte es zu ertragen aber jetzt waren sie verheiratet und alles war anders. Außerdem war er zum ersten Mal in seinem Leben zornig und in seinem Zorn zerriss er Alices ersten Pelzmantel den sie zur Hochzeit bekommen hatte. Danach war alles aus, und nur sechs Monate nach der Hochzeit verließ Alice Princet und kehrte nie zurück. Sie und Derain verschwanden zusammen und haben sich seither nie getrennt. Ich mochte Alice Derain immer sehr gern. Sie hatte eine gewisse wilde Ursprünglichkeit die vielleicht mit ihren groben Händen zusammenhing und merkwürdigerweise zu ihrem Madonnengesicht passte.
Die andere Frau war Germaine Pichot, ein ganz andersartiger Typ. Sie war ruhig und ernst und spanisch, sie hatte die breiten Schultern und den starren leeren Blick der Spanierin. Sie war sehr sanft. Sie war mit dem spanischen Maler Pichot verheiratet, der ein ganz wunderbarer Mensch war, er war lang und dünn wie eine jener primitiven Christusgestalten in spanischen Kirchen und wenn er einen spanischen Tanz vorführte was er später bei dem berühmten Bankett für Rousseau tat, dann ging eine erschütternde Frömmigkeit von ihm aus.
Germaine, erzählte Fernande, war die Heldin manch einer seltsamen Geschichte, sie hatte einmal einen jungen Mann ins Krankenhaus gebracht, er war während einer Rauferei in einem Varieté verletzt worden und seine Kumpane hatten ihn allesamt im Stich gelassen. Germaine stand ihm ganz selbstverständlich bei und kümmerte sich um ihn. Sie hatte viele Schwestern, sie und alle anderen waren geboren und aufgewachsen in Montmartre und sie waren alle von verschiedenen Vätern und mit verschiedenen Nationalitäten verheiratet, sogar mit Türken und Armeniern. Später war Germaine viele Jahre lang schwer krank und sie hatte immer einen anhänglichen Freundeskreis um sich. Sie pflegten sie im Sessel ins nächste Kino zu tragen und sich, sie in ihrem Sessel, die Vorstellung anzusehen. Das machten sie regelmäßig einmal die Woche. Ich glaube sie machen es noch immer.
Die Unterhaltung an Fernandes Teetisch war nicht lebhaft, keine hatte etwas zu sagen. Es machte Spaß sich zu sehen, es war sogar eine Ehre, aber das war auch ungefähr alles. Fernande jammerte ein bisschen dass ihre Putzfrau nicht gut Staub gewischt und das Teeservice abgewaschen habe und dass der Kauf eines Bettes und eines Klaviers auf Abzahlung gewisse Unannehmlichkeiten mit sich brächte. Sonst hatte wirklich keine von uns viel zu sagen.
Schließlich einigten wir uns wegen der Französischstunden, ich sollte fünfzig Cents pro Stunde bezahlen und sie sollte mich in zwei Tagen aufsuchen und wir würden anfangen. Erst gegen Ende des Besuchs waren sie ungezwungener. Fernande fragte Miss Stein ob sie noch irgendwelche Witzbeilagen aus den amerikanischen Zeitungen hätte. Gertrude Stein erwiderte dass sie sie gerade eben bei Pablo gelassen habe.
Fernande fuhr auf wie eine Löwin die ihre Jungen verteidigt. Das ist eine Rohheit die ich ihm nie verzeihen werde, sagte sie. Ich habe ihn auf der Straße getroffen, er hatte eine Witzbeilage in der Hand, ich bat ihn sie mir zu geben damit ich mich etwas ablenken könnte und er weigerte sich strikt. Es war eine Grausamkeit die ich nie verzeihen werde. Ich bitte dich, Gertrude, die nächsten Nummern der Witzbeilage mir persönlich zu geben. Gertrude Stein sagte, natürlich sehr gern.
Als wir gingen sagte sie zu mir, hoffentlich haben sie sich wieder versöhnt ehe die nächste Witzbeilage der Katzenyammer kids erscheint denn wenn ich sie Pablo nicht bringe regt er sich sehr auf und wenn ich es tue wird Fernande eine fürchterliche Szene machen. Ich glaube wahrhaftig ich werde sie entweder verlieren müssen oder meinen Bruder veranlassen sie versehentlich Pablo zu bringen.
Fernande erschien sehr pünktlich zur Verabredung und wir begannen mit unserer Stunde. Wenn man Französischstunden nimmt muss man sich natürlich unterhalten und Fernande hatte drei Themen, Hüte, über Hüte hatten wir nicht mehr viel zu sagen, Parfums, über Parfums hatten wir noch allerlei zu sagen. Bei Parfums war Fernande überaus verschwenderisch, ganz Montmartre regte sich über sie auf weil sie einmal eine Flasche Parfum namens Rauch gekauft und achtzig Francs dafür bezahlt hatte was damals sechzehn Dollar waren und es hatte keinerlei Duft dafür aber solch wunderbare Farbe, wie echter in Flaschen gefüllter flüssiger Rauch. Ihr drittes Gesprächsthema waren die verschiedenen Kategorien von Pelzen. Es gebe drei Kategorien von Pelzen, in der ersten Kategorie seien Zobel, in der zweiten Kategorie Hermelin und Chinchilla, in der dritten Kategorie Fuchs und Eichhörnchen. Es war das Erstaunlichste was ich je in Paris gehört hatte. Ich war sprachlos Chinchilla zweite Kategorie, Eichhörnchen als Pelz bezeichnet und Seal überhaupt nicht erwähnt.
Unser einziges anderes Gesprächsthema waren die Beschreibung und Namen von Hunden die damals Mode waren. Das war mein Lieblingsthema und wenn ich ihr welche beschrieben hatte zögerte sie jedes Mal, ach so, rief sie, als gehe ihr ein Licht auf, Sie meinen einen kleinen belgischen Hund der Griffon heißt.
Da saßen wir also, sie war sehr schön aber es war ein bisschen mühsam und eintönig, deshalb schlug ich vor wir sollten uns im Freien treffen, irgendwo Tee trinken oder in Montmartre spazieren gehen. Das war besser. Sie fing an mir allerlei zu erzählen. Ich traf Max Jacob. Fernande und er waren sehr lustig miteinander. Sie taten als ob sie ein vornehmes Paar aus der Zeit des Ersten Kaiserreichs wären, er der alte Marquis der ihr die Hand küsste und Komplimente machte und sie die Kaiserin Joséphine die sie entgegennahm. Es war eine Karikatur aber eine sehr gelungene. Dann erzählte sie mir von einer geheimnisvollen schrecklichen Frau namens Marie Laurencin die Töne wie ein Tier ausstoßen könne und Picasso ärgere. Ich hielt sie für eine schreckliche alte Frau und war entzückt als ich die elegante junge Marie kennenlernte die wie ein Clouet aussah. Max Jacob stellte mir ein Horoskop. Es war eine große Ehre weil er es schriftlich tat. Damals habe ich es nicht zu würdigen gewusst aber inzwischen habe ich es gelernt und vor allem erst kürzlich, da all die jungen Leute die Max so bewundern so erstaunt und beeindruckt sind dass er meins aufschrieb weil man allgemein glaubte dass er sie nie aufschriebe sondern bloß aus dem Stegreif stelle. Jedenfalls habe ich meins und zwar schriftlich.
Dann erzählte sie mir auch noch eine Menge Geschichten über van Dongen und seine holländische Frau und seine kleine holländische Tochter. Van Dongen wurde durch ein Porträt berühmt das er von Fernande malte. So hat er diesen Typ Mandelaugen geschaffen der später so sehr in Mode kam. Aber Fernandes Mandelaugen waren angeboren, ob Gutes oder Schlechtes alles an Fernande war angeboren.