Baby, Business, Bettgeflüster - Julia Niewöhner - E-Book

Baby, Business, Bettgeflüster E-Book

Julia Niewöhner

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Beschreibung

Drei Freundinnen, ein Baby und jede Menge Männer ... Klara ist seit sechs Monaten alleinerziehende Mutter und fertig mit den Nerven, als sie erfährt, dass ihr Job nach der Elternzeit auf der Kippe steht. Doch anstatt den Kopf in den Windeleimer zu stecken, wird sie kreativ und entwickelt eine Geschäftsidee. Aber wie soll sie Baby und Business unter einen Hut kriegen? Hebamme Franziska befindet sich mit ihrem Freund in der Krise. Ausgerechnet jetzt begegnet sie ihrer Jugendliebe, die es immer noch schafft, ihr den Kopf zu verdrehen. Für wen wird sie sich entscheiden? Romy steckt knietief im Diätstrudel und sucht in der Männerwelt verzweifelt nach Anerkennung. Aber sind es wirklich Traummaße und Traummann, die ihr zu ihrem Glück fehlen? Die Fortsetzung von »Sehnsucht nach Sodbrennen« - spritzig, sinnlich, ungeschminkt!

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Über die Autorin

Julia Niewöhner war als Diplom-Pädagogin

und Heilpraktikerin für Psychotherapie tätig, bis sie ihr erstes

Kind bekam. Während ihr Sohn am liebsten auf ihrem Arm

schlief, schrieb sie ihren Debütroman

einhändig auf ihrem Handy.

»Baby, Business, Bettgeflüster« ist ihr zweiter Roman.

Sie lebt mit ihrer kleinen Familie in Steinhagen bei Bielefeld.

Besuchen Sie die Autorin

unter www.julianiewoehner.de im Internet.

Lesen Sie außerdem:

»Sehnsucht nach Sodbrennen«, ISBN 9783744887816

Dieses Buch widme ich allen Müttern,

die für ihre Kinder durchs Feuer gehen würden.

Oder wahlweise in die Psychiatrie,

wenn die Autonomiephase beginnt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog: September

März – 6 Monate vorher

April

Mai

Juni

Juli

August

September

Epilog: Januar – 4 Monate später

Prolog

SEPTEMBER

Pläne, die: sind dazu da, um regelmäßig vom Kleinkind durchkreuzt zu werden

Klara nippte genussvoll an ihrem Latte Macchiato und reckte ihr Gesicht der warmen Nachmittagssonne zu. Julius hatte sich am Brunnen des Alten Markts in Bielefeld hochgezogen und freute sich, dass er sich daran entlanghangeln konnte. Mit seiner kleinen Schaufel in der Hand tapste er vergnügt immer wieder um den Brunnen herum, streckte seine Händchen in Richtung der Wasserfontänen und feierte seine neu gewonnene Unabhängigkeit. Auch Klara empfand ein lange vermisstes Gefühl der Freiheit: ihr Sohn brauchte sie ein kleines bisschen weniger als bisher und konnte sich alleine fortbewegen, so dass sie ihm einfach zuschauen und in Ruhe ihren Kaffee trinken konnte. Was für ein Unterschied zu seiner Säuglingszeit! Regelmäßig warf er ihr einen Blick zu und vergewisserte sich, ob sie noch da war.

»Huhu, Julius! Na, macht das Spaß?«, rief sie ihm zu.

»Da!«, rief er aufgeregt zurück.

»Was ist denn da?«

»Da!«, kam als Antwort. Mit seinem knappen Jahr war er zu detaillierteren Beschreibungen noch nicht fähig. »Da!«

Klara sah, wie er sich auf der anderen Seite des Brunnens bückte und sich irgendetwas auf dem Boden anschaute. Bevor er sich am Ende noch eine Zigarettenkippe in den Mund steckte, stand sie lieber auf und schaute nach. »Was hast du denn da entdeckt?«, trällerte sie ihm entgegen, als sie sah, worin er hingebungsvoll buddelte. »Oh nein, Julius, stopp! Das ist nichts zum Buddeln! Da hat ein Wauwau Aa gemacht und...« Kurz erinnerte sie sich an ihr damaliges Vorhaben, dass sie niemals Babysprache benutzen wollte.

Julius grinste sie an und zeigte stolz seine braunbeschmierte Schaufel.

»Gut, dass das Glück bringt«, mischte sich ein vorbeigehender älterer Herr ein und lächelte Julius amüsiert zu.

Klara kramte nach irgendetwas zum Abwischen und bedankte sich innerlich für das umfangreiche Sortiment, das sie immer mit sich herumschleppte, seitdem sie Mutter geworden war. Feuchttücher, Taschentücher, Spucktücher. Trotzdem wollte sie die Schaufel und Julius’ Hände richtig abwaschen, exte ihren Latte und steuerte mit Julius unter dem Arm die Damentoilette des Coffee Stores an. Die anderen Gäste rümpften die Nase angesichts der Duftwolke, die sie hinter sich her zogen.

»Julius, bitte halt einmal ganz kurz still. Mama will dir nur mal kurz die Hände waschen. Genau, patsch patsch.«

Julius klatschte mit den Händen in das fremde Waschbecken und schaute fasziniert auf den Seifenschaum.

»Klara?«, fragte eine Stimme hinter ihr, die sie zwar gut kannte, Klara aber trotzdem nicht sofort einfallen wollte, zu wem sie gehörte. Ausgerechnet jetzt – nach Kacke stinkend, mit Schweißperlen auf der Oberlippe und mit dem zappelnden Julius über dieses winzige Waschbecken gebeugt. Sie blickte auf und sah im Spiegel, dass Waltraud, ihre ehemalige Chefin, aus einer der Kabinen gekommen war und nun hinter ihr stand.

»Waltraud!«

»Klara, kann ich dir irgendwie helfen?«

»Ja, kannst du bitte Papierhandtücher aus dem Spender ziehen und Julius die Hände abtrocknen?«

»Na klar.« Waltraud konnte man ohne Weiteres um so etwas bitten.

»Danke. Wie geht’s dir? Und was machst du hier?« Sie hatte immer angenommen, Waltraud würde nur ayurvedischen Tee in ausgesuchten Yogatempeln trinken statt Milchkaffee im Coffee Store.

Waltraud betupfte Julius’ Händchen und erntete von ihm interessierte Blicke. »Ach, mir geht’s so weit ganz gut. Du und Romy, ihr fehlt mir natürlich. Und die Arbeit auch, aber es ist besser so.« Melancholie verschleierte ihre sonst so fröhlich strahlenden Augen.

Klara hielt inne und versuchte, in Waltrauds Augen zu lesen. »Wollen wir vielleicht noch ein bisschen quatschen? Also, nicht hier auf der Toilette, mein ich.«

»Gerne. Mein Mann sitzt vorne, aber der ist nicht böse drum, wenn ich ihn noch einen Moment länger Zeitung lesen lasse. Komm, ich trage deine Wickeltasche.«

Sie bestellten sich noch eine Limo, setzten sich damit nach draußen unter den großen Baum und drückten Julius ein Buch über Baustellenfahrzeuge in die Hand, das er mit Begeisterung durchblätterte.

»Ich muss dich unbedingt was fragen, Waltraud.«

»Dann frag doch.« Waltraud lächelte sie herzlich an.

»Wie konntest du nur?« Klara bemühte sich, ihren Zorn und ihre Enttäuschung zu verstecken, auch wenn sie wusste, dass Waltraud auf anderen sphärischen Ebenen nie etwas verborgen blieb. »Wie konntest du »Höhepunkt« an so einen Idioten verscherbeln, der die Beratungsstelle zugrunde richtet und Romy und mich rausekelt? Das muss dir doch von Vornherein bewusst gewesen sein!«

Waltraud atmete tief durch. »Ja, natürlich war ich mir dessen bewusst, Klara.«

»Aber das ergibt doch keinen Sinn!«

»Doch, das tut es. Darf ich dich zuerst fragen, wie es dir und Romy geht? Glaub mir, dann verstehst du mich besser.«

Klara schnaubte. »Gut. Uns beiden geht es wirklich gut. Julius feiert ja morgen seinen ersten Geburtstag und wir kommen immer besser zu zweit zurecht.«

»Und beruflich?«

»Nachdem ich Dr. Schilling kennengelernt hab, war mir schnell klar, dass ich für den nicht arbeiten will. Und naja, was soll ich sagen, im Laufe der Zeit hab ich eine Geschäftsidee entwickelt, die ich jetzt in die Tat umsetze. Und Romy steigt da mit ein.« Stolz schwoll in ihr an und sie spürte, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.

»Was denn für eine Geschäftsidee?«

MÄRZ – 6 Monate vorher

Unterdrückung, die: elementar wichtig, wenn das Baby endlich – ENDLICH – auf dem Arm eingeschlafen ist und man einen Hustenreiz spürt

Klara fühlte sich abgelutscht und ausgesaugt. Julius hatte über vierzig Minuten voller Inbrunst an ihrer ohnehin schon strapazierten Brust genuckelt, bis ihm endlich die müden Äuglein zugefallen waren. Jetzt durfte sie keinen Fehler machen. Wie menschliches Mikado entzog sie sich ihm Millimeter für Millimeter. Sein kleiner Fuß rutschte ohne Protest von ihrem Bein, sein Händchen lockerte anstandslos den Griff um ihren Finger und wenn sie jetzt noch geräuschlos das große Bett verlassen würde, könnte ihre abendliche Freizeit beginnen. In den letzten sechs Monaten hatte sie bereits gelernt, in welchem Winkel ihre Hüfte und an welcher Stelle der Lattenrost ein lautes Knacken von sich gaben. Einer professionellen Juwelendiebin gleich schlich sie sich geschmeidig durch das dunkle Schlafzimmer. Noch schnell das Babyphone einschalten – autsch! Da war der scharfkantige Bettkasten! – und dann raus mit ihr.

Vor der Tür blieb sie stehen und spürte, wie ihre Erleichterung einer gigantischen Welle der Erschöpfung Platz machte. Natürlich könnte sie sich auch einfach wieder zu ihm legen und sich ausruhen, aber sie brauchte einfach mal ein bisschen Zeit für sich. Kaputt schleppte sie sich in Richtung Wohnzimmer. Wollte sie mal wieder in einer Zeitschrift blättern? Oder eine Folge »Grey´s Anatomy« gucken? Oder einen Tee trinken, so lange er heiß war? Ihr Po hatte noch nicht ganz das Sofa berührt, als die Jalousien der Nachbarn mit einem knallenden Rattern die Stille zerstörten.

»Bitte nicht...« Klara schloss die Augen und zählte innerlich. Drei, zwei...

»Uwähhh!« beschwerte sich Julius vehement durch das Babyphone. In Momenten wie diesen sehnte sie sich danach, dem Kindsvater auf die Schulter zu tippen und ihm »Du bist dran« zuzuraunen. Dummerweise waren sie gerade dabei, sich scheiden zu lassen.

»Einen Eiweißshake mit Kokos, bitte.« Romys Haarspitzen waren schweißnass und ihre Wangen leuchteten rot. Nachdem beim »Zumba« mal wieder nur Frauen mitgetanzt hatten, hatte sie danach noch beim »Body Pump« mitgemacht, um mal wieder etwas Testosteron einzuatmen. Die männlichen Teilnehmer waren alle ganz nett und eigneten sich gut für ein bisschen Smalltalk an der Studiotheke, kamen aber niemals für mehr als das in Frage.

»Kommt sofort, Süße.« Mirko, der Fitnessschönling, der jeder Frau hier Komplimente und schöne Augen machte, schüttete die passenden Zutaten zusammen und ließ beim Mixen seine aufgepumpten Muskeln spielen.

Romy verdrehte die Augen. Weder sein Bizeps noch das Kosewort konnten sie beeindrucken. Zwar war sie nun schon viel zu lange Single und sehnte sich nach einer Beziehung, hatte aber trotz allem ihre Ansprüche. Und plumpes Auftreten war für sie ein Abtörner. Vorfreudig linste sie Richtung Uhr. Es war langsam Zeit, um nach Hause zu fahren und es sich vor ihrem Laptop gemütlich zu machen. Denn während ihr in der realen Welt kein Mann gut genug erschien, traf sie sich im Internet jeden Abend mit EinsamerWolf79. Entgegen seines einfallslosen Chatnamens war er alles andere als das. Charmant, kultiviert und zuvorkommend traf es viel eher. Seitdem sie sich vor zwei Wochen als ebenfalls einfallslose Wonder-Woman32 in dem Datingportal »Superflirt« eingeloggt hatte, war kein Abend vergangen, an dem sie sich nicht über Gemeinsamkeiten, aktuelles Zeitgeschehen und ihre Gefühlslage ausgetauscht hatten. Ihr Verstand sagte ihr immer wieder, dass Online-Dating nicht funktioniert und sie Gefahr laufe, sich in eine Illusion zu verlieben. Zu spät, antwortete ihr Herz.

»Oh, mon coeur, je t’aime«, hauchte Pierre liebevoll in Franziskas Ohr, nachdem er sich von ihr heruntergerollt und von hinten an ihren nackten Körper geschmiegt hatte. Sein Brusthaar kitzelte an ihrem Rücken und sein Bauch wärmte ihren kühlen Po.

»Ich liebe dich auch«, murmelte sie zurück. »So könnte ich jeden Tag ausklingen lassen.« Nach zwei Sturzgeburten und unzähligen Telefonaten mit verunsicherten Schwangeren hatte Pierre es mal wieder geschafft, sie von Kopf bis Fuß zu entspannen.

»Nischts lieber als das, mein Schatz.« Sie hörte ihn förmlich lächeln. »Isch stehe dir stets zu Diensten. Immer. Wirklisch. Du brauchst nur mit dem kleinen Finger zu...« Sein Handy piepste. »Oh, da muss isch range’en.«

Franziska zog die Bettdecke fest um ihren Körper, nachdem Pierre aufgestanden und mit seinem Telefon im Badezimmer verschwunden war. Sie waren offiziell ein Paar, seitdem sie gemeinsam dem kleinen Julius auf die Welt geholfen hatten. Noch nie hatte sie sich mit einem Partner so glücklich gefühlt, wie mit Pierre. Er schien ihre Bedürfnisse zu erahnen, den von Männern gefürchteten weiblichen Subtext zu entziffern und sie genauso zu lieben, wie sie im Kern ihres Seins nun einmal war. Sie führten eine Beziehung ohne Show und Franziska war sich sicher, dass sich das niemals ändern würde. »Eine Patientin?«

»Hm?« In Gedanken versunken kam Pierre zurück ins Bett gekrabbelt.

»War das eine deiner Patientinnen gerade am Telefon?« Als Hebamme wusste sie genau, wie stressig es war, immer erreichbar sein zu müssen.

Über sein Gesicht huschte ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. Das kam in letzter Zeit häufiger vor, fiel ihr aber jetzt zum ersten Mal bewusst auf.

»Non, oui. Isch darf nischt darüber spreschen. Ist das für disch in Ordnung?«

Franziska nickte. »Klar.« Die ärztliche Schweigepflicht nahm Pierre nun einmal sehr genau, was sie gut fand und grundsätzlich unterstützte. Trotzdem meldete sich in ihr zum ersten Mal ein flaues Gefühl im Magen.

»Bonne nuit, mon chérie.« Pierre gab ihr einen zärtlichen Kuss, der sich so wundervoll auf ihren Lippen anfühlte, dass die Schmetterlinge in ihrem Bauch wieder die Oberhand gewannen. Vorerst.

»Wie das Fähnchen auf dem Turme...«, sang Klara gerade auf der Krabbeldecke neben dem glucksenden Julius kniend, als es an der Tür klingelte. »Oh, dein Papa ist da!« Sie schnappte sich den kleinen Mann und öffnete Lorenz die Wohnungstür.

»Hallo ihr zwei! Da bin ich.« Typisch für ihn schien Lorenz nicht zu wissen, wie er sich seiner angehenden Exfrau gegenüber verhalten sollte. Stoffelig blieb er im Türrahmen stehen.

»Hallo.« Klara machte ihm Platz und guckte ungläubig auf sein Mitbringsel. »Was hast du denn mit dem Fußball vor?«

»Du hast doch gesagt, ich soll zum Spielen vorbeikommen, damit du mal wieder duschen kannst.« Verständnislos hielt er Julius den Ball hin.

»Julius fängt gerade an, sich vom Rücken auf den Bauch und wieder zurück zu drehen. Den Fußball kannst du in einem Jahr wieder mitbringen.« Klara nahm Lorenz den Ball ab und drückte ihm das Kind auf den Arm.

»Na, du bist ja heute ein echter Sonnenschein. Ich kann auch wieder gehen, wenn ich dir nichts recht mache.«

Klara seufzte. »Nein, bitte bleib.« Sie war zu ausgelaugt, um sich in den nächsten Stunden alleine um Julius zu kümmern. Außerdem hatte Waltraud, ihre Chefin, einen Termin anberaumt, zu dem Klara trotz Elternzeit eingeladen worden war. Lorenz zu ertragen schien ihr gerade das kleinere Übel zu sein. »Ich hatte eine furchtbare Nacht und habe eigentlich die ganze Zeit gestillt und...«

»Ich hab auch ziemlich schlecht geschlafen«, stöhnte Lorenz dazwischen.

»Ach ja?« Skeptisch zog sie die Augenbrauen hoch. Seitdem sie Mutter eines nachtaktiven Säuglings war, konnte sie Schlafprobleme anderer Menschen nicht mehr als solche würdigen.

»Ja. Ich bin bestimmt zwei Mal aufgewacht, obwohl ich sonst immer durchschlafe.« Er gähnte. »Ich fühl mich heute wie gerädert.«

»Oh ja, du Armer.« Sarkasmus floss wie grünes Gift aus ihren Worten. »Und musstest du beide Male eine Stunde wach bleiben, wippend und singend durch die Wohnung tigern und durftest dich erst wieder hinlegen, nachdem dir wer anders die Nippel abgekaut hat?«

»Nee. Wieso?«

»Weil so meine Nächte aussehen!«

Lorenz guckte, als überlegte er, ob er sie anmotzen oder geschickterweise lieber Feingefühl zeigen sollte. »Julius ist doch jetzt fünf Monate alt, oder?«

»Sechs«, korrigierte Klara ihn.

»Dann hör doch endlich auf mit der Stillerei. Dich macht es völlig fertig und Julius muss doch auch langsam lernen, ohne dich und deine Brüste auszukommen.«

Stilltipps von einem Mann im Allgemeinen und von ihrem zukünftigen Exmann im Besonderen konnte Klara einfach nicht ernst nehmen. »Und diese Info hast du woher?«

Lorenz schaute ausweichend zur Seite. Klara mutmaßte, dass er diese Weisheit von seinem Vater, ihrem fleischgewordenen Alptraum, aufgeschnappt hatte. Dessen Sätze plapperte er meistens unreflektiert nach, was Klara für einen erwachsenen Mann absolut peinlich fand.

»Weißt du was? Ich will es gar nicht wissen. Ihr könnt jetzt spielen gehen und ich schließe mich im Bad ein. Wenn was ist...«

»Wir kommen klar«, unterbrach er sie. »Komm, Julius, ich erklär dir jetzt mal, wie die Frauen ticken...«

Als hättest du irgendeine Ahnung davon, dachte Klara, als sie die Badezimmertür hinter sich schloss und auf dem Toilettendeckel in Tränen ausbrach.

Frisch geduscht und seelisch annähernd erholt ging sie zurück zur Krabbeldecke. Wie sie Vater und Sohn dort zusammen sah, zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. War es wirklich richtig, sich endgültig von Lorenz zu trennen? Nahmen sie Julius damit nicht eine glückliche, behütete Kindheit mit einer intakten Familie?

»Und jetzt will ich mal sehen, wie gut du dich schon rollen kannst. Komm schon, zeig mir das mal!«, forderte Lorenz seinen Sohn auf.

Julius begutachtete derweil intensiv sein Fäustchen und schien ganz fasziniert davon zu sein, wenn es sich wie durch Zauberhand öffnete.

»Na los!« Lorenz ließ nicht locker.

»Lorenz, du setzt ihn damit unter Leistungsdruck. Lass das bitte.«

Lorenz drehte sich genervt zu ihr um. »In unserer Gesellschaft kann man nur bestehen, wenn man richtig performed. Er profitiert von meinem Umgang mit ihm und verweichlicht nicht so, wie-«, brach er abrupt ab.

»Wie bei mir, meinst du.« Ach ja, deshalb will ich ihn nicht zurück haben, fiel es Klara wieder ein. Wegen ihrer Streitereien, seinem fehlenden Rückgrat seinem Vater gegenüber und seiner Illoyalität ihr gegenüber. Von seiner Affäre mit dieser Hostess kurz vor ihrer Hochzeit ganz zu schweigen. Es schien ihr unglaublich, dass ihre Hochzeit erst knapp neun Monate her war. So viel war in der Zwischenzeit passiert – der Selbstmord ihres Bruders, ihre Trennung, die Geburt und das erste halbe Jahr mit Julius – dass sich ihre Trauung rückblickend wie ein völlig anderes Leben anfühlte. Als wäre sie ein völlig anderer Mensch gewesen.

»Meine Eltern würden Julius übrigens auch gerne mal wieder sehen«, warf Lorenz ganz nebenbei ein.

»Deine Mutter kommt doch jede Woche vorbei«, wunderte sich Klara. Mit Hildegard verstand sie sich nach wie vor sehr gut.

Lorenz atmete tief durch. »Ich habe auch noch einen Vater, der seinen Enkelsohn vermisst.«

Als wäre dieses Ekelpaket zu sentimentalen Gefühlen in der Lage, ätze Klara innerlich.

Lorenz schien ihre Gedanken gelesen zu haben. »Klara, bitte sei nicht so egoistisch. Julius hat ein Recht darauf, all’ seine Großeltern kennenzulernen. Und nur weil du und mein Vater nicht auf einer Wellenlänge seid...«

»Egoistisch? Du nennst mich egoistisch?!« In Anbetracht ihrer derzeitigen Selbstaufgabe gab es keine Beschreibung, die ihrer Meinung nach weniger zu ihr gepasst hätte. Wobei sie nicht leugnen konnte, dass sie keine Lust auf Konrad Weber hatte.

»Jetzt flipp nicht gleich aus. Ich finde ja nur, dass du nicht alles alleine entscheiden darfst, nur weil du die Mutter bist.«

»...die sich nebenbei bemerkt um alles alleine kümmert«, ergänzte sie scharf.

»Weil du mich verlassen hast.« Verbittert zog er die Augenbrauen zusammen.

»Weil du eine andere gevögelt hast!«, erinnerte sie ihn laut.

Im Kreis drehen konnten sie sich schon immer gut. Julius schien die aggressive Stimmung auch zu bemerken und fing an zu weinen.

»Vielleicht gehst du jetzt besser.« Klara nahm Julius auf den Arm und komplimentierte Lorenz zur Tür. Ohne sich zumindest von seinem Sohn zu verabschieden, verschwand er wortlos im Treppenhaus. Dann würde Julius wohl nachher zum ersten Mal eine Sexualberatungsstelle von innen sehen.

EinsamerWolf79: »Hallo mein Herz, wie geht es dir? Ich genieße gerade die ersten Sonnenstrahlen des Jahres mit einem frischen Kaffee in der Hand und denke an dich. Bis nachher.«

Wonderwoman32: »Hallo du Sonnenanbeter! Klingt nach einem entspannten Nachmittag! Ich hocke leider im Büro mit meinem nervigen Kollegen. Keine Sonne und nur alter Kaffee. Deine Nachricht hebt allerdings erheblich meine Laune! Bis später!«

Romy lächelte verträumt ihren Rechner an und steckte sich eine Scheibe Salatgurke in den Mund. Was für ein sympathischer Typ! Ob seine Stimme wohl genauso samtweich klang, wie in ihrer Vorstellung? Und was er wohl beruflich machte? Wenn er mitten am Tag draußen sitzen konnte, war er bestimmt selbstständig. Oder arbeitslos. Bei der nächsten Gelegenheit würde sie sich mal genauer über ihn erkundigen, nahm sie sich vor.

»Hallo Romy, hallo Gustav, ist Klara auch schon da?« Waltraud wehte ins Büro und sah sich suchend um. Anders als sonst wirkte sie bedrückt oder wie sie es selbst beschreiben würde, war ihre Aura heute dunkelgrau.

»Da bin ich!« Schwer bepackt mit Julius im Maxicosi, der Wickeltasche schräg umgehängt und einer Mappe, die wenigstens etwas nach Arbeit aussah, stolperte Klara in ihr altes Büro. Wenn sie den Duft, der ihr Kind umgab, richtig deutete, würde sie Julius als erstes wickeln müssen. Während andere Kinder im Auto am besten einschlafen konnten, wirkte die Autoschale auf ihren Sohn abführend. Gustav, der sie während ihrer Elternzeit vertrat, zog verstört die Nase kraus, während Klara die Einwegunterlage, Feuchttücher und eine frische Pampers auf dem Büroteppich auslegte. »Bitte entschuldigt, aber das muss jetzt sein.«

»Kein Problem, meine Liebe«, beruhigte Waltraud sie. »Ein Kind zeigt uns doch immer wieder, was im Leben Priorität hat.« Waltraud war einfach die beste, weil mitfühlendste Chefin der Welt. Für sie zu arbeiten fühlte sich gar nicht wie Arbeit an.

Kurze Zeit später fanden sie sich in einem Stuhlkreis zusammen, meditierten für drei Minuten gemeinsam – so gut das eben mit einem brabbelnden Baby im Raum ging – und kamen zur Sache.

»Meine Lieben, ich muss euch heute etwas erzählen, was die Schwingungen in diesem Raum erschüttern und unser aller Leben verändern wird. Aber ich bin mir sicher, dass jede schlechte Nachricht einen Sinn hat und für jeden etwas Positives hervorbringt.«

»Du machst es aber spannend.« Romy wünschte sich, Waltraud käme endlich auf den Punkt. Einsamer-Wolf79 würde sicher nicht ewig auf sie warten.

Waltraud atmete tief durch und legte Daumen und Zeigefinger an jeder Hand aneinander. »Wie ihr wisst war ich letzten Monat mit meinem Mann in Indien und da haben wir etwas ganz Außergewöhnliches erlebt.«

Bestimmt berichtet sie gleich von einem Chanelling mit irgendeiner Gottheit oder so, dachte Klara belustigt, während sie Julius mit seiner Bärchenrassel unterhielt und er fröhlich auf ihrem Schoß strampelte. So kräftezehrend ihr neuer Job als Mama auch war – es war auch wunderschön.

»Sagt euch die Palmblattbibliothek etwas?«

Gustav guckte gar nicht wie immer wie ein nervöser Hamster, sondern schaute nur still zum Büroteppichboden.

»Kurz erklärt kann man in der Palmblattbibliothek alles über sein Leben erfahren. Sowohl alles, was bisher geschehen ist als auch alles, was noch kommen wird.« Nach einer Pause fügte sie betroffen hinzu: »Und ich weiß jetzt, wann ich sterben werde.«

»Was?!«, stießen Romy und Klara zeitgleich hervor und Julius blieb vor Schreck das Gebrabbel im Hals stecken.

Gustav schien bereits eingeweiht zu sein und blickte nicht einmal auf. Waltrauds Worte berührten ihn anscheinend sehr, obwohl er nicht gerade ein Fan von ihr war. Immerhin war sie seine Mutter, die ihn damals nach seiner Geburt verstoßen hatte.

Waltraud fuhr fort. »Natürlich hatte ich mir wie jeder andere gewünscht, dass mein Lebensende noch viele Jahrzehnte entfernt liegt, aber anscheinend ist mir ein langes Leben nicht vergönnt.« Sie schluckte.

»Und wann... wie...« Klara versuchte, nicht zu neugierig zu klingen, nicht zu erschrocken zu wirken und weiter Julius bei Laune zu halten.

»Die Details möchte ich euch ersparen. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, so viel kann ich euch sagen, deshalb...«

»Wie sicher ist das denn, dass die dir keinen Quatsch erzählt haben?« Romy wurde wütend. Sie mochte Waltraud und konnte mit allzu esoterischem oder gar übersinnlichem Kram wenig anfangen – erst recht nicht, wenn sich eine so tolle Frau davon gravierend beeinflussen ließ.

»Romy, ich fühle, dass du mich beschützen möchtest, aber ich glaube an die Informationen, die ich erhalten habe und nehme mein Schicksal an.« Waltraud legte ihr eine Hand aufs Knie. »Ich lade dich ein, mir weiter zuzuhören und auch dein Schicksal anzunehmen.« An die Gruppe gewandt kam sie endlich zur Pointe. »Da ich wie gesagt nicht mehr sehr lange leben werde, möchte ich diese Zeit natürlich bewusst nutzen und ich habe entschieden, »Höhepunkt« zu verkaufen.«

»Was?!«, kam es wieder von Klara und Romy.

»Und sollte niemand von euch über eine ungeahnte Kaufkraft verfügen, habe ich bereits einen Käufer gefunden. In einer Woche unterschreibt Dr. Schilling den Übernahmevertrag und danach könnt ihr ihn kennenlernen.«

»Halloooo! Da ist ja der süße Julius! Na? Woooo ist er? Daaaa!« Leonore und Herbert besuchten ihren Enkel so oft wie möglich, was ihnen gut tat, um mit dem Verlust ihres Sohnes zurechtzukommen und was Klara gut tat, um überhaupt zurechtzukommen. Ihre blonden langen Haare trug sie nur noch zu einem typischen, zotteligen Knoten und trug den immer gleichen fleckigen Stillpullover.

»Hallo Mama, hallo Papa.« Dankbar gab sie Julius direkt an ihre Mutter weiter. »Julius möchte heute nur auf dem Arm sein und ich komme zu gar nichts. Hier sieht’s aus wie Sau, deshalb...«

»Wo ist denn unser Julius?« Herbert hielt sich die Hände vor die Augen, bis Leonore theatralisch »Da!« rief. Julius gluckste und hatte den Trick anscheinend noch nicht durchschaut.

»Möchtet ihr was trinken? Oder-«, startete Klara einen neuen Versuch, Konversation zu betreiben.

»Wer hat ein Kille-kille-Bäuchlein? Der Julius? Der kleine Julius?« Ihre Eltern gingen total ab.

»Geht doch schon mal ins Wohnzimmer. Ich versuche mal kurz, die Küche aufzuräumen, weil...«

»Daaaa ist das Kille-kille-Bäuchlein!«, krähte ihre Mutter verzückt, während ihr Vater seinen eigenen Bauch herausstreckte und darauf herumtrommelte.

Klara gab es auf und verzog sich in die Küche. Auf der Spülmaschine stapelte sich das dreckige Geschirr, weil selbige voll mit Sauberem war. Der Anfang vom Ende, was Ordnung betraf. Und weil sie gerade ihre ersten Breiversuche unternommen hatte, lagen auf der Arbeitsplatte der orangeverkrustete Pürierstab, Beikostrezepte und benutzte Babylöffel herum. Bisher hatte Julius alles verschmäht, was nicht zu 100% aus Muttermilch bestand. Aus dem Wohnzimmer drang auf einmal unglückliches Geschrei. Klara warf den Lappen unbenutzt wieder in die Spüle zurück und steuerte auf ihren Sohn zu.

»Komm, gib ihn mir.« Kaum hatte sich Julius an Klaras Schulter geschmiegt, hatte er sich schon beruhigt.

»Also, ich frage mich, ob euer Bindungsverhalten gesund ist, mein Schatz«, richtete sich Leonore an ihre Tochter. »Die kleine Stella von Nebenan geht problemlos von Arm zu Arm und muss nicht ständig von ihrer Mutter durch die Gegend geschleppt werden.«

Klara atmete tief durch. »Mama, muss das jetzt sein? Ich...«

»Ich frage mich ja nur, wer hier wen braucht. Kinder merken es, wenn die Mütter sich nicht lösen können.«

»Mama, wenn du damit nicht aufhörst, möchte ich mich gleich von dir lösen.« Julius sollte ihren aufkeimenden Ärger nicht mitbekommen, weshalb sie ihre Stimme sanfter klingen ließ, als es in ihr aussah.

»Liebes, du fühlst dich von mir angegriffen, weil ich dir einen Spiegel vorhalte, was für die meisten Menschen unangenehm ist«, schwafelte Leonore mit ihrer Therapeutenstimme.

»Ist krampfhaftes Analysieren der Mitmenschen eine anerkannte Störung in deinem Beruf, Mama?« Ihre Beherrschung war am Ende.

Leonore guckte pikiert. »Das ist jetzt ganz schön...«

»Wenn Julius weint, dann nehme ich ihn auf den Arm und es ist mir egal, was irgendwelche Psychofuzzies irgendwann einmal darüber erforscht haben. Ich bin müde, die Wohnung steht Kopf, mein Job steht auf der Kippe und ich hab jetzt keine Lust, mir auch noch Probleme einreden zu lassen, die gar nicht existieren!« Mit jedem Wort war sie lauter geworden.

»Dein Job steht auf der Kippe?«, schaltete Herbert sich ein und brachte wieder Sachlichkeit in die aufgeheizte Atmosphäre.

»Ja. Waltraud verkauft die Beratungsstelle.« Leicht wippend hatte Klara den Eindruck, dass Julius’ Augen schwer wurden.

»Waltraud ist ja so eine tolle Frau«, schwärmte Leonore, als hätte sie die Tragweite ihrer Entscheidung gar nicht erfasst.

»Ja, natürlich ist sie toll, aber der Verkauf beeinflusst uns alle.«

»Wie geht denn Romy damit um? So ein tolles Mädchen!«

Mama ist mal wieder von allen anderen beeindruckt, außer von ihrer eigenen Tochter, dachte Klara genervt. »Sie findet es auch scheiße, aber sie hat auch kein Kind. Ihre Situation ist ganz anders als meine.«

Leonore lehnte sich auf dem Sofa zurück. »Ich weiß noch, dass Florian auch mal in so einer Klemme steckte.«

Und jetzt noch eine Florian-Geschichte, wand sich Klara innerlich. Immer mehr hatte sie den Eindruck, dass ihre bloße Anwesenheit ihre Eltern daran erinnerte, dass sie bis vor einigen Monaten eigentlich zwei Kinder hatten.

»Sein Chef zog weg, ein Neuer kam und krempelte den ganzen Laden um.«

»Kannst du etwas leiser sprechen? Julius döst gerade ein.« Oder würdest du einfach komplett den Mund halten? Das wär am besten.

»Na klar«, flüsterte ihre Mutter und hielt sich ihren Zeigefinger vor den Mund. Mit glasigen Augen schaute sie vor sich hin und fuhr fort: »Florian hat ihm damals ordentlich Paroli geboten und gezeigt, wer die besseren Karten hat.«

Bevor er sich nach jahrelanger Depression das Leben genommen hat, ergänzte Klara still. Sie wusste, dass es für die Trauerbewältigung wichtig war, über ihren Bruder zu sprechen und wie viele Hinterbliebene neigten auch ihre Eltern dazu, sich nur noch an seine positiven Eigenschaften zu erinnern. Trotzdem hätte sie heute echte Rückendeckung gebraucht, anstatt wie so oft Geschichten über ihren glorreichen Bruder zu hören und selbst kritisiert zu werden.

»Ohhhhh, wer wird denn da wach? Der süße kleine Julius?« Leonores Stimme schwang genauso um wie glücklicherweise das Thema. »Klara, wir müssen jetzt leider wieder fahren. Wie immer war es reizend bei euch.« Sie kniff Julius leicht in seine Wange. »Und wenn du doch nochmal etwas über die Bindungstheorie erfahren möchtest, bin ich dir wegen vorhin nicht böse und gerne bereit, dir Tipps zu geben.« Da war er – der abschließende Seitenhieb.

WonderWoman32: »EinsamerWolf79, bist du da?« Romy hatte es sich auf ihrem Sofa gemütlich gemacht. Nach der Hiobsbotschaft von Waltraud brauchte sie ein paar Streicheleinheiten für ihr Gemüt. Soul Food in Form von kandierten Nüssen – Nüsse waren schließlich voll von gesunden Fetten – und Schokolade – der Zartbittervariante wegen der Pflanzenstoffe – sollte ihr den Abend versüßen. Draußen war es bereits dunkel und der Winter kehrte für einen letzten eisigen Besuch in diesem Jahr zurück.

EinsamerWolf79: »Hallo meine Schöne, natürlich! Ich habe schon auf dich gewartet! Wie geht es dir?«

Obwohl sie noch keine Fotos ausgetauscht hatten und er keine Ahnung von ihrem Aussehen haben konnte, fühlte sie sich albernerweise geschmeichelt. Gerade in Zeiten, in denen sie selbst ihre schärfste Kritikerin war, was ihr Äußeres betraf, tat jedes lobende Wort von außen gut.

WonderWoman32: »Nicht so gut. Darf ich dir mein Herz ausschütten?«

EinsamerWolf79: »Immer. Vielleicht kann ich dir ja helfen...«

WonderWoman32: »Es geht um meinen Job. Die Firma wird verkauft und alles könnte sich ändern. Dabei war meine Chefin immer das Herz des ganzen Unternehmens.«

EinsamerWolf79: »Das tut mir leid.«

WonderWoman32: »Danke.«

EinsamerWolf79: »Darf ich dir einen Rat geben?«

WonderWoman32: »Her damit!«

EinsamerWolf79: »Jede berufliche Station ist doch nur eine Etappe von vielen. Veränderungen gehören zum Leben dazu und zeigen uns, wo unsere Reise hingehen könnte.«

WonderWoman32: »Und das heißt?!«

EinsamerWolf79: »Nimm es nicht so schwer. Wenn du mal alt und grau bist, wirst du darüber lachen.«

WonderWoman32: »Danke für die Weisheit, Opa! ;-)«

EinsamerWolf79: »Gerne, Frechdachs!«

Romy kicherte. Tatsächlich hatten ihre Großeltern sie immer so genannt. Bisher hatte sie es genossen, sich hinter der völligen Anonymität des Internets zu verstecken. Das machte das Flirten locker und einfach. Jetzt wollte sie endlich mehr über den Mann erfahren, der ihr Leben im Moment so viel schöner machte.

WonderWoman32: »Wie heißt du eigentlich im echten Leben? Oder ist dir das zu intim?«

EinsamerWolf79: »Intim wäre die Frage, was ich gerade anhabe (einen Schlafanzug mit dunkelblauen Blockstreifen). Ich heiße Paul. Und du?«

WonderWoman32: »Romy.«

EinsamerWolf79: »Und weiter?«

WonderWoman32: »Sind wir schon beim Nachnamen?«

EinsamerWolf79: »Nein. Aber ich will jetzt auch wissen, was du gerade trägst!«

Romy überlegte und schaute an sich herab. Die ehrliche Variante bestehend aus Wollsocken, Flanellnachthemd und Bademantel war so wenig sexy wie das Maurerdekollté eines verschwitzten LKW-Fahrers.

WonderWoman32: »Nichts als Wimperntusche und Ohrringe.«

EinsamerWolf79: »Ernsthaft?«

WonderWoman32: »Klar! Wieso?«

EinsamerWolf79: »Du könntest dich erkälten.«

WonderWoman32: »Gute Nacht, Opa!«

EinsamerWolf79: »Schlaf schön, Frechdachs!«