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Der dritte Band von Liv Keens Rock & Love Serie rund um die »Swores«! Rockstar John sucht nach einer zweiten Chance in der Liebe, nachdem er bitter enttäuscht wurde. Mit einer heftigen Männer-Enttäuschung im Gepäck taucht Lisa Hanningan auf der Verlobungsfeier ihrer Freundin auf. Um sich von ihrem Liebesdesaster abzulenken, überlegt sie, der Männerwelt komplett abzuschwören - oder die Flasche Tequila, die vor ihr steht, alleine auszutrinken. Doch beide Pläne sind in dem Moment zum Scheitern verurteilt, als sie John McDermit, dem Keyboarder der Band Swores, in die muskulösen Arme läuft. Je mehr sich Lisa dagegen wehrt, umso mehr verfällt sie Johns Charme. Allerdings hat John bereits Kinder und eine schwierige Ex-Frau. Und Lisa möchte nie wieder "die andere Frau" sein … Für alle Fans von »Backstage Love – Sound der Liebe«: Erfahre, wie es mit den Rockstars der »Swores« weitergeht! Liv Keen lässt in dieser Rockstar-Romance nicht nur die Herzen der Fans höher schlagen. »Backstage Love – Hals über Kopf verliebt« ist die noch einmal vollkommen überarbeitete Neuausgabe des bereits unter dem Titel »Kopfüber verliebt – Backstage-Love 3« erschienenen Werkes der Autorin Kathrin Lichters. Alle Bände der Rock & Love Serie auf einen Blick: Band 1 - Backstage Love - Unendlich nah Band 2 - Backstage Love - Sound der Liebe Band 3 - Backstage Love - Hals über Kopf verliebt
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Seitenzahl: 445
Liv Keen
Backstage Love – Hals über Kopf verliebt
Roman
Knaur e-books
Halbnackt und mit einer heftigen Männer-Enttäuschung im Gepäck taucht Lisa Hanningan auf der Verlobungsfeier ihrer Freundin auf. Um sich von ihrem Liebesdesaster abzulenken, überlegt sie, entweder lesbisch zu werden oder die Flasche Tequila, die vor ihr steht, alleine auszutrinken. Doch beide Pläne sind in dem Moment zum Scheitern verurteilt, als sie John McDermit, dem Keyboarder der Band Swores, in die muskulösen Arme läuft. Je mehr sich Lisa dagegen wehrt, umso mehr verfällt sie Johns Charme. Allerdings hat John bereits Kinder und eine schwierige Ex-Frau. Und Lisa möchte nie wieder »die andere Frau« sein …
Für meine Mama,
die niemand jemals wird ersetzen können und die ich mehr liebe, als Worte sagen können.
Liebes Tagebuch,
Abby ist endlich eingeschlafen. Sie hat ganz schrecklich geweint, weil Mummy ihr nicht »Somewhere Over The Rainbow« vorgesungen hat. Ich habe es dann versucht, aber ich kenne den Text nicht gut genug. Ich werde ihn aber morgen ganz oft üben, damit Abby nicht mehr so traurig ist. Tante Margie hat gesagt, dass wir Mummy eine Weile nicht sehen können, was mich nicht sehr traurig macht. Aber Abby ist noch so klein und deswegen so viel trauriger. Keine Ahnung, wann Dad uns holen kommt. Leider hat er vergessen zu sagen, wann genau. In seiner letzten Karte steht nur, dass er bald kommt. Ich werde einen Teil von Abbys und meinen Kleidern im Koffer lassen. Denn wenn Dad hierherkommt, werden wir nur wenig Zeit haben, unsere Sachen zu packen. Tante Margie und Dad schreien sich immer nur an.
Ich möchte unglaublich gern mit ihm mitfahren. Er sagt, dass sein Lkw ihn überall auf der Welt hinbringt. Ich würde zu gern die Koalabären sehen. Das sind nämlich meine Lieblingstiere. Sie sehen so süß aus. Tante Margie sagt, das sei in Australien und viel zu weit weg. Sie hat gelacht, als ich ihr sagte, dass Dad mit uns dort hinfährt. Sie hat gesagt, dass er niemals herkommen wird und es nie schafft, uns nach Australien zu bringen, um die Koalas zu sehen. Vorher müsste er erst mal seinen Arsch hochkriegen.
Ich weiß nicht, was das heißt, aber es ist ein böses Wort. Ich glaube ihr auch nicht. Tante Margie ist nicht sehr nett zu Kindern. Ich weiß nicht, ob ich sie mag. Manchmal backt sie uns kleine Kuchen und legt laute Musik auf, zu der wir dann tanzen. Aber manchmal ist sie ganz komisch und sagt richtig böse Schimpfwörter. Ich weiß, dass man die nicht sagen darf, aber Tante Margie hört nie auf mich. Abby und ich gehen dann einfach ins Bett. So wie heute, wenn sie Besuch von ihren Freunden hat. Ich hoffe, Abby wird nicht wieder von der lauten Musik wach. Aber sie liegt ganz ruhig neben mir. Wenn es zu laut ist, halt ich ihr die Ohren zu. Ich pass auf Abby auf. Ich mach jetzt schnell das Licht aus, bevor Tante Margie reinkommt und mich ausschimpft.
Bis morgen,
Deine Lisa
Aufgeregt zupfte Lisa an ihrem schwarzen Trenchcoat, den sie um die Taille fest zugebunden hatte. Sie trug die ebenfalls schwarzen, unglaublich hohen Pumps, die Ethan so gern an ihr sah. Ihre lockige rote Mähne fiel offen über ihre Schultern, und an ihren Ohren baumelten goldene Kreolen. Ihr Make-up war dezent, nur ihren schönen Mund hatte sie mit einer kräftigen Farbe in Szene gesetzt. Ihre Beine waren frisch rasiert, und sie duftete nach dem teuren Parfüm, das er ihr erst vor einer Woche geschenkt hatte. Der Duft war ihr etwas zu schwer, aber sie wollte nicht undankbar erscheinen und ihm eine Freude machen.
Lisa stieg aus dem Aufzug und betrat die Etage mit den Büros. Sie war erleichtert, dass sie auf den ersten Blick verlassen schien. Es war schon nach sechs, und anders als auf den Stationen gab es hier normale Arbeitszeiten. Man hätte ihr wahrscheinlich von der Stirn ablesen können, dass sie unter ihrem Mantel bis auf einen hauchdünnen roten Spitzenslip nackt war. Zum ungefähr hundertsten Mal fragte sie sich, was sie hier überhaupt machte. Sie musste verrückt sein, dass sie diese Show abzog. Andererseits wollte sie nach der gestrigen Entdeckung in Ethans Schreibtischschublade alles tun, um ihn in eine besondere Stimmung zu versetzen.
Sie sah auf ihre Uhr und sagte sich, dass noch genügend Zeit blieb, um pünktlich zu Lizzys Verlobungsfeier zu kommen. Doch auf keinen Fall wollte sie ihre eigene Chance auf eine Verlobung verpassen.
Sie blieb vor der Tür zu Ethans Büro stehen, fuhr sich noch einmal durch die Locken und befeuchtete die Lippen. Dann drückte sie die Klinke hinunter und betrat den schummrig erleuchteten Raum. Eine Kerze brannte, und Lisa vernahm ein seltsames Geräusch.
»Ethan?«, fragte sie unsicher und sah den dunklen Haarschopf ihres Freundes hinter dem Schreibtisch auftauchen. Er starrte sie mit großen Augen an. »Li…, Lisa?«, stotterte er.
»Wer sonst?«, lachte sie.
»Was tust du hier? Wolltest du nicht zu dieser Party fahren?«, fragte er ungewohnt schroff.
»Na ja, ich wollte dich überraschen, da du wegen der Arbeit ja leider nicht mitfahren kannst, um meine Freunde kennenzulernen.« Sie öffnete aufreizend langsam den Trenchcoat und positionierte sich so, dass er sie in all ihrer Pracht ansehen konnte. Als Ethan schluckte und seltsam gequält die Augen schloss, fuhr sie verführerisch fort: »Ich habe hier eine Stelle, die du dir mal ansehen soll…«
Weiter kam Lisa nicht, denn in diesem Moment meldete sich eine weitere Person zu Wort.
»Was geht hier eigentlich vor sich, Schatz?«
Der Kopf einer Blondine tauchte neben Ethan auf, die zuerst ihn und dann Lisa böse anfunkelte. Irgendwoher kannte Lisa die Frau – war sie nicht erst heute Morgen dem Personal als neue Chirurgin vorgestellt worden? Hätte sie ihre Aufmerksamkeit dem Professor gewidmet, statt mit Rachel über den Ring in Ethans Schublade zu tuscheln, wäre ihr nicht entgangen, dass sie die Tochter des Chefs war, wie ihr jetzt wieder siedend heiß einfiel. Fassungslos starrte Lisa die beiden Köpfe vor sich an, die auf eine seltsam verdrehte Art an ein Puppentheater erinnerten, und bemühte sich, eins und eins zusammenzuzählen. Hastig schloss sie den Trenchcoat vor den Augen der beiden in flagranti Ertappten und stand hilflos im Raum.
»Liebling, ich kann dir das erklären …«, begann Ethan.
»Lass mich raten, es ist nicht so, wie es aussieht?«, fragte Lisa tonlos. Das Gefühl, am Boden festgewachsen zu sein, nahm sogar noch zu.
Doch Ethan achtete gar nicht auf sie. Er sah nur die fremde Frau an, die antwortete: »Ich fass es nicht! Am Tag unserer Verlobung besitzt du die Frechheit, eins deiner Flittchen hierherzubestellen …«
Lisa fiel aus allen Wolken, als ihr klar wurde, dass nicht sie mit »Liebling« gemeint war. Schockiert starrte sie auf das surreale Bild, das sich ihr bot. Sie erwischte ihren Freund beim Sex mit einer anderen, und dann stellte sich heraus, dass nicht sie die betrogene Freundin war. Nein, sie war die andere Frau. Schon wieder.
»Miranda …«
»Du bist verlobt?«, entfuhr es Lisa.
Die Blondine erhob sich – erst jetzt fiel Lisa auf, dass sie Ethans Hemd übergezogen hatte –, sah sie herablassend an und hob die linke Hand, an der ein großer Diamant funkelte.
Der Ring sah dem in Ethans Schublade verdammt ähnlich, und Lisa schnappte nach Luft. Sie spürte, wie sich all ihre Zukunftsträume in Rauch auflösten. Sie wandte den Blick mühsam von der fremden Hand mit ihrem bereits probeweise getragenen Ring ab und taxierte Ethan, der sich gar nicht wohl in seiner Haut zu fühlen schien.
»Wie konntest du mir das nur antun?«, fragte sie mit ungewohnt brüchiger Stimme.
Da sie die aufsteigenden Tränen nicht mehr lange würde zurückhalten können, wandte sie sich um. Sie lief zur Tür und schlug sich bei dem Versuch, diese schwungvoll zu öffnen, die Kante vor die Stirn. Tiefer konnte sie nicht mehr sinken, und so rannte sie mit ihrem Trenchcoat und den viel zu hohen Pumps ungelenk zum Aufzug zurück. Auf dem Weg knickte sie mit dem Fuß um, und der Absatz brach ab. Der Schmerz erwischte sie kalt, doch Lisa verkniff sich weiter die Tränen. Sie wollte nur noch weg von hier. Rasch zog sie beide Schuhe aus und ging erhobenen Hauptes auf die Aufzugtür zu. Mit Schwung drückte sie auf den Knopf und wartete ungeduldig. Sie wagte es nicht, sich nach Ethans Büro umzusehen, aus Angst, er könnte ihr folgen. Jedoch war diese Sorge völlig unbegründet. Denn weder er noch seine Verlobte befanden es offenbar für nötig, ihr nachzueilen. Sie vernahm nur laute Stimmen aus der Richtung. Wie dumm war sie nur gewesen?
Gerade als Lisa dachte, es könnte nicht mehr schlimmer kommen, ging die Aufzugtür auf. Sie wischte ihre Nase am Trenchcoat ab und blickte einem streng wirkenden Mann in Schlips und Anzug entgegen, der sie durch seine kleinen Brillengläser scharf musterte.
Der Professor stattete seinem Büro offenbar noch einen spätabendlichen Besuch ab. »Was haben Sie denn hier zu suchen, Miss äh, Hanningan? So heißen Sie doch, oder? Sind Sie nicht Schwester in der Notaufnahme?«
»Ja, das bin ich. Und was ich hier tue? Das frage ich mich auch«, schnappte Lisa mit Schamesröte im Gesicht. Sie trat in den Aufzug und wandte sich zu dem älteren Mann um. Plötzlich wog ihr roter Seidenslip fünfzig Kilo, und sie bemühte sich, jede ihrer Kurven vor dem Chef zu verbergen. Er hatte zwar keinen Röntgenblick, mit dem er durch den Mantel sehen konnte, trotzdem fühlte Lisa sich vor ihm vollkommen entblößt. »Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend, Professor MacAllister.« Verzweifelt wartete sie darauf, dass der Aufzug sich schloss und sie endlich allein war. Als die Tür endlich zuging, stand der Professor immer noch davor und starrte sie an.
Sobald sie allein war, schloss Lisa die Augen und ließ den wellenartigen Schmerz der Enttäuschung zu. Wieso nur passierte das immer ihr? Was hatte sie dem Universum bloß getan, dass sie eine Enttäuschung nach der anderen ertragen musste? Sie schien diese beziehungsgestörten und betrügerischen Kerle wie magisch anzuziehen.
Dabei hatte Ethan überhaupt keines dieser Klischees erfüllt. Er war aufmerksam gewesen und hatte Lisa über einen Monat umworben, bevor sie mit ihm ins Bett gegangen war. Er hatte sie oft zum Essen ausgeführt, sie waren ins Kino gegangen, und Lisa wusste dank seines Einsatzplans im Krankenhaus, dass er in den letzten drei Monaten fast jede freie Minute mit ihr verbracht hatte. Deswegen hatte sie nicht einen Augenblick an seiner Aufrichtigkeit gezweifelt oder es überhaupt in Erwägung gezogen, dass es noch eine andere Frau geben könnte.
Als sie sich nun allerdings die Worte ihres Chefs von der morgendlichen Verkündung in Erinnerung rief, holte sie tief Luft. Der Professor hatte stolz von der chirurgischen Arbeit seiner Tochter in den USA berichtet. Das erklärte vermutlich, warum Lisa das letzte Vierteljahr Ethans volle Aufmerksamkeit genossen hatte. Seine Verlobte war auf einem anderen Kontinent gewesen.
Lisa öffnete die Augen und betrachtete sich im Aufzugspiegel. Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben, und auf der Stirn wurde eine blaue Beule sichtbar, die stark pochte. Wie jämmerlich sie doch gewesen war. Hatte sie wirklich gedacht, dass Ethan, jüngster Oberarzt im Falmouther Krankenhaus, gut aussehend und charmant, ausgerechnet sie heiraten wollte? Wie verzweifelt musste sie sein, dass sie so dringend auf einen Antrag hoffte? Scham kroch in ihr hoch, und sie konnte den eigenen Anblick nicht mehr ertragen. Schnell sah sie auf ihre nackten Füße hinab. Die kirschroten Zehennägel hoben sich stark von der hellen Haut ab. Sie wischte sich kurz übers Gesicht, als der Aufzug auf der zweiten Etage hielt und zwei Personen zustiegen. Es waren Krankenschwestern, die Lisa zwar bekannt waren, aber auf einer anderen Station arbeiteten.
Die beiden warfen ihr einen kurzen, zweifelnden Blick zu und setzten dann ihre Unterhaltung fort.
»Sie heißt Miranda MacAllister und soll bei Dr. Jacobson, einer Koryphäe der Neurochirurgie in den Staaten, gelernt haben.«
»Hast du ihre Beine gesehen? Ich muss keine Koryphäe sein, wenn ich nur ihre Beine hätte. Da reicht es, wenn der Rock kurz genug ist.« Die Frau kicherte albern.
Lisas selten blöder Einfall schien angesichts der perfekten Frau an Ethans Seite Ausmaße unbekannter Dimensionen anzunehmen. Sobald sich die Aufzugtüren im Erdgeschoss öffneten, drängte sie sich an den beiden Kolleginnen vorbei und rannte, die Schuhe noch immer in einer Hand, auf die Drehtür des Krankenhausfoyers zu. Natürlich hakte diese genau jetzt, weil eine leere Plastikflasche sich darin verkeilt hatte. Sie stieß mit aller Kraft dagegen, aber erst nach dem dritten Versuch flog die Flasche fort, und Lisa eilte auf den dunklen Parkplatz hinaus. Sie war sich der Blicke in ihrem Rücken durchaus bewusst und versuchte, möglichst unerkannt zu ihrem kleinen Peugeot zu gelangen.
Sie hatte die Fahrertür kaum hinter sich zugeschlagen, als sie den Kopf gegen das Lenkrad sinken ließ. Das Auto war ihr Zufluchtsort, und endlich verdrückte sie ein paar Tränen. Ob diese aus Kummer, Enttäuschung oder Scham flossen, konnte sie nicht sagen.
Nach einer Weile, sie hatte das Gefühl für die Zeit verloren, erinnerte sie sich wieder an die Verlobungsfeier ihrer Freundin, und sie hob den Kopf. Alles in Lisa schrie danach, die Feier ausfallen zu lassen. Das Letzte, was sie jetzt sehen wollte, war ein glückliches Paar, das sich ewige Liebe schwört. Allerdings war sie neben Mia und Misha eine von Lizzys Brautjungfern und da konnte sie ihre Freundin auf deren Verlobung unmöglich derart vor den Kopf stoßen.
Lisa klappte die Sonnenblende herunter und betrachtete ihr trauriges Gesicht. Sie würde das machen, was sie immer tat. Sie würde ihre Gefühle runterschlucken und tun, was man von ihr erwartete. Doch zuerst brauchte sie einen Ort, wo sie sich unbeobachtet in ihr Kleid zwängen – oder überhaupt irgendetwas anziehen konnte.
Der Blick in den Spiegel zeigte eine junge Frau mit teils blonden, teils blau gefärbten Haaren und blauen Augen. Im Moment waren diese Augen mit einem grauen Kajalstift fein umrandet und mit zarten Lidschattenfarben betont. Ihre Lippen glänzten dank des Lipglosses honigfarben. Die glatten Haare fielen offen über ihren Rücken, was elegant und zugleich natürlich wirkte. Das grüne Kleid aus Seide und feiner Spitze schmiegte sich an den schlanken Körper. Ihre Hand zitterte leicht, als sie mit einem Taschentuch einen kleinen Fleck verschmierter Wimperntusche unter den Augen säuberte. Sie starrte sich an und zwang sich, nicht weiter nachzudenken. Heute war ihr großer Tag. Sie legte wie mechanisch die Uhr an und streifte den zarten Silberring mit dem großen blauen Diamanten über den linken Ringfinger. Sie hielt den Ring mit der rechten Hand ganz fest und schloss die Augen. Wirre Gedanken schossen ihr durch den Kopf.
Erst als schrille Stimmen ertönten, wurde sie aus ihrem Gedankenkarussell befreit. Sie öffnete die Augen, blickte zwei bekannten und sehr geliebten Gesichtern im Spiegel entgegen und tat das Erste, was ihr einfiel: Sie lächelte.
»Wow! Du siehst einfach wunderschön aus, Lizzy«, sagte Mia ehrlich hingerissen und lächelte zurück.
Lynn hingegen kämpfte mit den Tränen und klaute eins der Kosmetiktücher auf Lizzys Schminktisch. Seit Lynns Sieg über den Krebs war sie unglaublich nahe am Wasser gebaut, was Lizzy jedes Mal daran erinnerte, dass ihre Mutter diesen Tag fast nicht miterlebt hätte. Spätestens jetzt traten ihr ebenfalls Tränen in die Augen. Sie wandte sich zu ihrer Mutter um und schloss sie in die Arme.
»Es tut mir so leid. Ich weiß, ich bin schrecklich«, stammelte Lynn unter Tränen, und Lizzy schüttelte den Kopf.
»Nein, Mum, ich verstehe schon.« Sie blickte in Lynns blaue Augen, und dann lachten sie beide. Mia trat zu ihnen und umfing von jeder eine Hand.
Lynn sah von ihrer Tochter zu ihrer Schwiegertochter. »Eine Donahue ist schöner als die andere. Wir brauchen auf jeden Fall mehr Taschentücher«, bemerkte sie und nutzte diesen Vorwand, um die beiden Freundinnen einen Moment allein zu lassen.
»Ich glaube, du warst niemals schöner als heute. Aber warum siehst du so nachdenklich aus?«, fragte Mia stirnrunzelnd. Wie immer durchschaute ihre Freundin sie sofort.
»Bist du sicher, dass du das heute Abend überstehst?«, lenkte Lizzy sie gekonnt ab und deutete auf den gewaltigen Babybauch.
Mia seufzte kurz, dann nickte sie hastig. »Aber selbstverständlich. Bis auf die geschwollenen Füße und den minütlichen Drang, zur Toilette zu gehen, geht es mir prächtig. Als könnte mich jemals etwas davon abhalten, an der Verlobungsfeier meiner besten Freundin und meines Bruders teilzunehmen. Ich bin schließlich die Trauzeugin! Was mich daran erinnert, dass ich nach dem Schwein sehen wollte. Eine Barbecue-Grillparty kurz vor Weihnachten – auf so was kann nur mein Bruder kommen …« Mia murmelte etwas vor sich hin und wandte sich dann wieder an Lizzy. »Hast du was von Lisa gehört? Sie sollte längst da sein.«
»Sie kommt schon noch, Mia.« Lizzy sah ihrer Freundin nach, wie sie sich mit einer Hand auf dem Bauch durch die Tür zwängte. Zum Glück hatte Mia vergessen, sie nach dem Grund ihrer Nachdenklichkeit zu fragen. Das lag bestimmt an den Schwangerschaftshormonen, die Mia ein wenig schusselig machten … Der Kindersegen bei ihr und Nic schien kein Ende zu nehmen. Nach Josh hatten die beiden ein Zwillingspärchen bekommen. Grace und Ava wurden im Sommer bereits drei Jahre alt und erfüllten Nics und Mias Leben mit viel Trubel. Lizzy hatte es nicht fassen können, als Mia ihr vor ein paar Monaten von ihrer dritten Schwangerschaft berichtet hatte. Sie war anfangs sogar ziemlich geschockt gewesen. Doch mittlerweile musste sie sich eingestehen, dass Mia für diesen Job besser geeignet war als irgendjemand anderes. Sie war die geborene Großfamilienmutter.
Der Gedanke an ihre tollen Nichten und Neffen erfüllte Lizzy normalerweise mit Stolz, heute allerdings war da auch Traurigkeit. Sie lehnte sich gegen die Kommode und zwang sich sofort wieder zu lächeln, als es an der Tür hämmerte. Wenig später tauchte ein brauner Haarschopf auf, und ihr Herz klopfte heftig gegen ihre Rippen.
Liam kam in einer Anzugshose und einem weißen, maßgeschneiderten Hemd auf Lizzy zu und sah zum Anbeißen aus.
Er grinste von einem Ohr zum anderen.
»Oh, bitte entschuldigt, Miss, ich fürchte, ich habe mich in der Tür geirrt. Ich suche meine wunderschöne, etwas verrückte Verlobte. Haben Sie sie zufällig gesehen?«
Lizzy tat, als überlegte sie ernsthaft. »Hm. Nein, ich erinnere mich an keine Verrückte. Aber wenn diese Sie im Zimmer einer fremden Frau vorfindet, wird sie ganz sicher nicht begeistert sein.«
»Einer atemberaubend schönen und attraktiven fremden Frau, der ich unmöglich widerstehen kann«, ergänzte er mit verschleiertem Blick. Seine kräftigen Arme umfingen Lizzys Taille, und er drückte sie fest an sich. Als er sich zu ihrem Hals hinunterbeugte und ihn bis zu der empfindsamen Stelle an ihrem Ohr liebkoste, entwich ihr ein leises Seufzen. Augenblicklich zog sich alles in ihr vor Sehnsucht nach Liam und seinem Körper zusammen.
Lizzy konnte es selbst kaum glauben, welche Gefühle er nach all den Jahren immer noch in ihr auslöste. Sie war die glücklichste Frau der Welt, zumindest war sie das bis vor wenigen Stunden gewesen. Von einem Augenblick auf den anderen hatte sich ihr Leben verändert, und sie stand vor einer Hürde, an die sie niemals gedacht hätte. Aber vielleicht konnte sie dieses Problem vergessen, wenn Liam sie nur noch ein wenig länger hielt und ihr den Atem raubte, wenn er sie so küsste.
Er löste seine Lippen von ihrer Haut, und Lizzy knurrte verspielt erbost, was ihren Verlobten zum Lachen brachte.
»Lass uns einfach verschwinden, Liam. Wir könnten diesen Abend auch anders gestalten.« Anzüglich lächelnd legte sie ihre Hand auf seine empfindsamste Stelle, die durchaus bereit schien.
»Sonst sagst du immer, ich sei unersättlich, du Nervensäge.«
»Ich meine es ernst, Liam!«
Er runzelte die Stirn und sah sie skeptisch an. »Hat da jemand etwa kalte Füße? Wenn dir das alles zu viel ist, warum …?«
»Red keinen Unsinn, Liam!«, beruhigte Lizzy ihren Freund, der wie immer sofort besorgt war, wenn er spürte, dass sie etwas bewegte. »Ich wollte dir nur ein besonderes Geschenk zu unserer Verlobungsfeier machen.«
Er grinste breit, und Lizzy atmete erleichtert aus. Heute sollte er glücklich sein – nichts sollte ihn von der Verlobungsfeier ablenken.
»Gut, ich will nämlich heute Abend jedem meine heiße und absolut bezaubernde Verlobte präsentieren.« Damit löste er sich von ihr. »Außerdem werde ich Josh beim Schweinehüten helfen. Mia ist eine richtige Glucke, oder?«
Lizzy nickte zustimmend und winkte ihm leicht zu. Als die Tür sich schloss, atmete sie erleichtert aus. Es war, als fiele eine große Last von ihr ab. Wieso musste ihr das passieren? Nachdem ihr das absolut Beste geschehen war, passierte ihr nun das Unvorstellbarste.
Diesmal war es Lynn, die erneut anklopfte und gleich darauf den Kopf zu ihr ins Zimmer hereinsteckte. »Liebes, die ersten Gäste sind angekommen. Bist du so weit?«
Lizzy nickte und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Sie liebte Liam und würde alles für ihn tun. Doch konnte sie alles von ihm verlangen?
Es gab keinen besseren Ort, um ihre Verlobung zu feiern, als in Jeffs Bar. Vor ihr hatten Lizzy und Liam vor über drei Jahren erst zueinandergefunden. Doch viel wichtiger war, dass Jeffs Bar ein Ort war, an dem die beiden seit jeher ihre Freizeit verbrachten. Jeff hatte ihnen oft eine Cola oder ein Bier spendiert, als die Swores, Liams und Nics Band, noch völlig unbekannt und pleite gewesen waren. Er hatte sie in der Bar spielen lassen und ihnen dafür viel zu viel Geld bezahlt. Mia hatte lange für ihn gearbeitet, und auch Lizzy war ein gern gesehener Gast. Jeff gehörte quasi zur Familie. Es war also nur logisch, bei ihm zu feiern, und als sie vor ein paar Wochen deswegen auf ihn zugekommen waren, war er Feuer und Flamme gewesen. Er hatte sofort beschlossen, den Laden an dem Tag für alle Gäste zu schließen und ihnen diese Feier zur Hochzeit zu schenken.
Seine Bar hatte eine traumhafte Lage, direkt am Strand. Obwohl es zu dieser Jahreszeit selbst in Bodwin, im südlichsten Cornwall, zu kalt war, um draußen zu sitzen, war der Blick aus den Fenstern auf das eisblaue Meer atemberaubend. Und drinnen erst – Lizzy betrachtete die dekorierte Bar ungläubig. Mia, Lisa, Misha, Celine und ihre Mum hatten wirklich alles gegeben. Sie konnte nicht glauben, wie viel Mühe und Arbeit sie sich alle gemacht hatten. Überall waren große Teller mit Wachskerzen aufgestellt und sorgten ganz ohne Kitsch für eine romantische Atmosphäre. Wildrosen standen in Vasen auf den Tischen und auf der langen Bar. Sie blieb an einem der Pfeiler stehen und beobachtete ihren Verlobten. Liam hatte die Ärmel seines Hemdes bis zum Ellbogen hochgekrempelt und begrüßte gerade seine engsten Freunde und Bandkollegen. Als John ihn herzlich umarmte, dauerte die Umarmung einen Augenblick länger als bei den anderen. John flüsterte etwas in Liams Ohr und sah dann flüchtig zu ihr. Daraufhin wandte auch Liam seinen Blick zu Lizzy und lächelte glückselig. Es war einer dieser Momente, in denen keiner von beiden etwas sagen musste, um sich zu verständigen.
Sein Blick hatte Lizzy immer Geborgenheit gegeben, doch heute fühlte es sich anders an. Liam war ihre große Liebe, und sie wusste, dass er für sie genauso empfand. Aber würden sie einander genug sein? Konnte sie das von ihm erwarten?
Sie wurde von ihren Gedanken abgelenkt, als sie eine rote Lockenmähne mit Mia in den Frauentoiletten verschwinden sah. Lizzy wollte nichts lieber, als ihren Freundinnen hinterhereilen, doch da traten die ersten Gäste auch auf sie zu. Sie musste sie begrüßen und ihnen ebenso wie Liam zeigen, dass alles in Ordnung war.
»Wo zum Teufel hast du gesteckt, Lisa?«, fragte Mia, während sie ihre Freundin in die Frauentoilette schob und die Tür hinter ihnen zuzog. Sie wandte sich zu Lisa um und blickte einer Person entgegen, die nichts mit der Frau gemein hatte, die sie seit so vielen Jahre kannte. Absolut nichts.
Lisa war von all ihren Freundinnen die stärkste und stolzeste. Auf Mia hatte sie immer amazonenhaft gewirkt, und ein Teil von ihr hatte ein bisschen mehr so sein wollen wie Lisa. Sie kümmerte sich um sich selbst und machte immer den Anschein, als brauchte sie nie jemand anderen. Lisa hatte immer schon ein paar Pfund zu viel auf den Hüften gehabt, zumindest, wenn man Karl Lagerfelds Vorliebe für Hungerhaken teilte. Das brachte ihrer Freundin aber keine Minuspunkte bei den Männern ein. Wer mochte nicht gern etwas zum Anfassen – abgesehen von diesem Modefanatiker? Doch Lisa hatte mit Männern viel Pech gehabt. Es hatte bei ihrem Vater angefangen und sich wie eine Pechsträhne durch ihr Leben gezogen. Dennoch hatte Mia sie nie verzweifelt oder am Rande eines Nervenzusammenbruchs erlebt. Bis heute.
Jetzt ließ ihre Freundin die Schultern hängen. Alles an ihr wirkte mutlos und zutiefst erschüttert. Selbst ihre roten Locken, ihr Markenzeichen, hingen schlaff nach unten. Sofort war Mia alarmiert.
»Was ist passiert? Oh, Lisa, sag schon! Was ist nur los?« Sie umfing Lisas Schultern und brachte sie dadurch dazu, sie anzuschauen. Es schien, als hätte sie geweint. Mia drückte sie eine Weile an sich und streichelte ihr übers Haar.
»Ist was mit Abby? Oder mit deiner Mum? Was ist passiert?«, flüsterte sie nach einer Weile eindringlich.
Lisa schüttelte den Kopf und wischte sich über die Augen. »Nein, allen geht es gut. Es ist nur … es geht um … Oh, Mia! Ich komme mir so lächerlich vor.« Lisa ließ sich auf einen der plüschigen Hocker plumpsen, die vor der Spiegelwand standen, und Mia reichte ihr ein Kosmetiktuch, das Lisa anschließend in den Händen drehte. »Ethan … alles ist aus.«
»Nein! Aber wieso denn? Dein Outfit sah doch so gut aus und …«
»Es war eine völlige Katastrophe. Warum glaubst du, stehe ich in meinem alten T-Shirt und Jogginghose vor dir?« Lisa schüttelte traurig den Kopf und holte tief Luft. »Bitte zwing mich nicht, es jetzt zu erzählen. Ich möchte, dass Lizzy diesen Abend richtig genießen kann. Sie soll nichts davon erfahren. Bitte, Mia, sag ihr nichts und lass uns rausgehen! Wenn ich das Drama mit Ethan nicht sofort mit einem oder mehreren Drinks runterspüle, breche ich zusammen.«
Mia nickte, reichte Lisa die Hand und zog sie hoch. »Ganz wie du willst, Süße. Aber du weißt, wir sind immer für dich da. Und Lizzy wird dich morgen dafür umbringen, dass du es ihr nicht erzählt hast.«
»Mit der halben Portion werde ich schon fertig.« Lisas Lächeln erlosch sofort wieder. »Das hier ist wohl das größere Problem.« Sie deutete an sich hinab. »So wie ich aussehe, weiß Lizzy sofort, dass was im Argen ist. Kriegst du mich wieder hin, Mia?«
»Und ob! Wo ist dein Outfit?« Lisa deutete auf die Sporttasche, die sie auf den Boden gefeuert hatte. Daraus lugte ein wenig Stoff ihres grünen Kleides hervor.
Die beiden Frauen machten sich an die Arbeit und blickten zehn Minuten später gemeinsam in den Spiegel. Zum Glück war in der Zeit niemand reingekommen.
»Was hast du nur an deiner Stirn gemacht?«, fragte Mia und tupfte etwas Abdeckstift darüber. Die Beule nahm inzwischen eine leicht blaue Farbe an.
»Frag nicht. Ich dachte schon an ein Pflaster. Aber ich danke dir. Du hast alles aus mir rausgeholt, was unter diesen erschwerten Umständen möglich war. Du hast mich gerettet.« Mia salutierte vor ihr und grinste. »Was macht mein Patenkrümel?«, fragte Lisa dann, eindeutig, um vom Thema abzulenken.
Mia lächelte und strich über ihren gewaltigen Babybauch. »Alles in bester Ordnung. Na, sag deiner Patentante hi«, ordnete sie an. Lisa berührte den Bauch ebenfalls und seufzte. »Du wirst mir morgen alles erzählen, ja?«, bat Mia ihre Freundin liebevoll. Sie wusste, dass es dennoch eher nach einer Ermahnung als nach einer Bitte klang. Das waren ganz klar Sophies Gene. »Und wenn dieser Typ nicht sieht, was für ein wundervoller Mensch du bist, dann ist er es nicht wert.«
Lisas Augen schwammen in Tränen, und sie fächelte sich Luft zu.
In diesem Moment ging die Tür auf, und Lizzy streckte den Kopf herein. »Wo bleibt ihr denn?« Hand in Hand traten Mia und Lisa zu ihr in die Bar, und Lisa umarmte Lizzy, die sie eindringlich ansah. »Was war los?«
»Ein … ein Notfall in der Klinik.«
Skeptisch nahm Lizzy diese Entschuldigung hin und eilte zu Liam zurück. Es war Zeit für die Begrüßungsrede.
Lisas Fuß schmerzte, und obwohl sie nur flache Ballerinas trug, humpelte sie durch Jeffs Bar und hatte nur wenig mit der Beschreibung ihres Kleides gemein. Fühlen Sie sich leicht und frei wie eine Elf, hatte unter dem Bild im Katalog gestanden. In diesem Augenblick fühlte Lisa sich allerdings gar nicht leichtfüßig wie eine Elfe, sondern eher wie ein dicker, ungeschickter Troll. Sie fasste die Theke fest ins Auge und bestellte einen Tequila. Krampfhaft krallte sie sich am Tresen fest.
Jeff sah sie stirnrunzelnd an. »Soll es nicht eher einer dieser Mädchen-Cocktails sein, die du sonst immer bevorzugst?« Lisa warf ihm einen finsteren Blick zu, und Jeff beeilte sich, ihr ein bis zum Rand gefülltes Schnapsglas hinzustellen. »Ist was mit Abby?«, fragte er vorsichtig und goss das Gesöff ins Glas. »Oder Margie?« Lisa schüttelte den Kopf und kippte den Schnaps in einem Zug hinunter. »Willst du nicht auf die Zitrone und das Salz warten?«, rief Jeff bestürzt. Das Glas klapperte bereits auf den Tresen, und sie bedeutete ihm nachzuschütten. »Bist du sicher?« Lisa hob die Augenbrauen, und Jeff schenkte nach. »Willst du vielleicht darüber reden?«
»Was muss ich tun, damit du deine therapeutischen Gene nicht an mich verschwendest?«, fragte sie schnippisch und seufzte gleich danach. »Entschuldige, Jeff! Du und dein Tequila, ihr seid das absolut Beste an meinem Horrortag. Aber ich werde meiner Freundin nicht den schönsten Tag in ihrem Leben kaputt machen, um über mein verkorkstes Leben und die Männer darin zu reden. Ich liebe dich, Jeff, wirklich, aber heute bin ich nicht zum Plaudern hier. Ich will betrunken werden – und zwar pronto!«
Jeff holte tief Luft und griff über den Tresen nach Lisas Hand. »Wer auch immer es mit dir versaut hat, hat den Dachschaden seines Lebens. Du bist großartig, Lisa, und wunderschön noch dazu.«
»Du sollst mich auch nicht zum Weinen bringen! Also schenk einfach nach – oder weißt du was? Lass mir am besten die ganze verdammte Flasche da.«
Jeff sah sie skeptisch an, als sich eine dunkle Stimme einmischte.
»Hey, Jeff, hör auf die junge Lady. Sie sieht nicht so aus, als würde sie ein Nein gelten lassen.«
Lisas Blick glitt zum übernächsten Barhocker, auf dem einer von Liams Bandkollegen saß. Die Beine hatte er weit gespreizt und die Füße lässig auf den unteren Tritt des Hockers gestellt. Er hatte dem Anlass entsprechend ein schwarzes Hemd an, das er bis zu den Ellbogen hochgekrempelt hatte. Darüber trug er eine edle Weste, die aber an ihm nicht konservativ wirkte. Vielleicht lag das an seinen ungewöhnlich breiten Schultern und den tätowierten Armen. Sein Haar war dunkel und zu einem kleinen Zopf zusammengebunden.
Lisa blickte in sein grinsendes Gesicht, das sie natürlich kannte, aber nie so nah betrachtet hatte. Sie waren sich in den vergangenen Jahren durch ihre gemeinsamen Freunde ein paar Mal über den Weg gelaufen, aber immer in größeren Gruppen, sodass sie nie engeren Kontakt gehabt hatten. Er trug mittlerweile einen Dreitagebart.
Das Letzte, was Lisa heute Abend gebrauchen konnte, war ein männlicher Gesprächspartner, der sie wegen seines Aussehens und seiner Bekanntheit nervös machte. Sie wollte genau genommen nie wieder in der Gesellschaft eines Mannes sein.
»Verfluchte Scheißkerle«, entfuhr es ihr leise, jedoch laut genug, dass Jeff und der andere Kerl, dessen Namen sie vergessen hatte, es hörten. Lisa sah, wie er innehielt und heftig schluckte. Gut so.
»Jeff? Ich nehm die Flasche und bin draußen. Falls Lizzy mich sucht, sag ihr … ich sei gegangen, ja?«
Jeff traute sich offenbar nicht, ihr zu widersprechen, und schob die Flasche über den Tresen.
»Geh nicht zum Strand, Süße!«, rief er ihr dann doch noch nach, was Lisa nur mit einer erhobenen Hand kommentierte. Sie humpelte mit ihrem verletzten Fuß, dem Schnapsglas und der Flasche Tequila in der Hand aus der Bar. Sie wollte gar nicht wissen, wie unattraktiv sie für die restlichen Gäste in diesem Moment aussehen musste.
Wenig später öffnete sie die Tür zur Veranda, auf der ein paar Lichterketten leuchteten, aber niemand zu sehen war. Kalte Luft schlug ihr entgegen, die sie erleichtert in ihre Lungen sog. Bodwin mochte einer der wärmsten Orte ganz Englands sein, aber im Dezember war es eben auch hier recht kalt. Sie liebte dieses Fleckchen Erde und fühlte sich nirgendwo mehr zu Hause wie hier und in Falmouth. Das dunkle Meer, die Sterne am Horizont, der fast volle Mond und das Rauschen der Wellen ließen Lisa für eine winzige Sekunde vergessen, was sie vor ein paar Stunden erlebt hatte.
Sie humpelte zu den Stufen, die zum Strand hinunterführten, ließ sich unelegant auf den Po fallen und bereute bereits, dass sie keine Jacke mit hinausgenommen hatte. Allerdings würde sie auch nichts dazu bringen, wieder hineinzugehen. Nur mit Mühe hatte sie diesen Abend voller Liebesbezeugungen zwischen Lizzy und Liam überstanden.
Es war nicht so, dass sie sich nicht für Lizzy freute. Im Gegenteil! Sie war verrückt vor Glück, dass ihre Freundin ihren Mr Right gefunden hatte. Doch ausgerechnet an Lizzys glücklichstem Tag hatte sie eine erneute herbe Enttäuschung erlebt, die so ungeheuerlich war, dass sie daran zweifelte, jemals so eine Liebe wie die ihrer Freundinnen für sich selbst zu finden. Eine Träne bahnte sich den Weg über die Wange, die sie entschlossen fortwischte.
Lisa schloss die Augen, als sie an die Szene in Ethans Büro zurückdachte. Sie kam sich so albern vor. Wie hatte sie nur glauben können, dass sie für ihn mehr gewesen war als ein Zeitvertreib? Wie hatte sie nur ernsthaft erwarten können, dass dieser Ring in seiner Schublade für sie bestimmt war? Wie sollte sie nach heute nur daran glauben, dass es auf dieser Welt jemanden für sie gab? Den perfekten Deckel für ihren Topf. Vielleicht hatte Tante Margie recht und Lisa war ein Wok.
Plötzlich spürte sie, wie eine warme Decke über ihre Schultern gelegt wurde. Erschrocken schaute sie hinter sich und in das Gesicht des Mannes von der Bar und in die blauesten Augen, die sie je gesehen hatte. Sie brauchte eine Sekunde, bis sie sich fasste, beschämt auf das Meer hinausblickte und ihre Tränen fortwischte.
»Entschuldige, ich dachte, es wäre zu kalt in diesem Aufzug …«
»Ist das deine Art, Frauen anzubaggern?« Lisa rollte mit den Augen und sah wieder nach vorne.
Der Mann hinter ihr räusperte sich vernehmlich. »Nein, es ist eher der Versuch, dich davor zu bewahren, besoffen im Meer zu ertrinken oder dir eine Lungenentzündung einzufangen.«
»Sehe ich so selbstmordgefährdet aus?«
»Ich hätte es eher als mitgenommen bezeichnet«, beruhigte er sie, sprang lässig die Stufen hinunter und ließ sich Lisa zu Füßen im Sand nieder. Er zauberte mit einer Hand eine Packung Tiefkühlerbsen hervor. Ganz selbstverständlich ergriff er ihr Bein, zog ihr den Schuh aus und betrachtete ihren Fuß einen Augenblick wie gebannt. Wenige Sekunden danach bewegte er ihn vorsichtig, bis Lisa ein gedämpfter Schrei entwich. Er sah entschuldigend zu ihr hoch und tastete dann den Knöchel entlang.
»Woher kannst du das? Ich meine, so als Rockstar hat man doch keine medizinische Ausbildung, oder?«
»Ich war in meiner Jugend lange Zeit bei der freiwilligen Feuerwehr und wurde dort zum Sanitäter ausgebildet.«
Das erstaunte Lisa nun doch. Sie betrachtete seine langen, kräftigen Finger und konnte die Gedanken darüber, wie geschickt diese Hände wohl in anderen Dingen waren, nicht unterdrücken. Sie errötete und schüttelte schnell den Kopf. Von Männern hatte sie endgültig die Nase voll. Für alle Zeit. Sie würde einfach lesbisch werden, so wie ihre Schwester.
»Wie kommst du denn dazu?«
Der nächste Satz purzelte so plötzlich aus ihrem Mund, dass sie nichts dagegen tun konnte: »Lesbisch zu werden?« Er blickte sie irritiert an, und Lisa schüttelte erneut den Kopf. »Entschuldige, wie war die Frage?«
»Was hast du nur mit deinem Knöchel angestellt?«
Lisa sah auf ihren schmerzenden Fuß und erschrak, wie blau er angelaufen war. Das hatte sie überhaupt nicht bemerkt. Ihr kleiner Unfall im Flur des Krankenhauses war schuld daran. »Wenn ich dir das erzähle, muss ich dich umbringen«, sagte sie geheimnisvoll und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Das Glas lag unberührt neben ihr im Sand. Er legte den Beutel mit den gefrorenen Erbsen auf ihren Knöchel und lagerte ihren Fuß auf seinem Schoß hoch, was nur zu weiteren unanständigen Gedanken bei ihr führte.
»Woher hast du die Tiefkühlerbsen?«
»Sagen wir einfach, ich habe hier bei Jeff schon häufiger welche gebraucht.«
»Bei euren Raufereien unter Rockstars?«
Er hielt inne und sah Lisa an. »Eher für die unzähligen Beulen und Verletzungen meiner Mädchen.«
»Deiner Mädchen? Wie viele waren es denn?«
Er schmunzelte und sah aufs Meer hinaus. »Zwei. Meine älteste Tochter ist neun, und die Kleine ist gestern erst sechs geworden. Sie haben sich unzählige Male beim Spielen am Strand verletzt.«
Lisa erstarrte und sagte nur: »Ups!« Am liebsten hätte sie die Stirn gegen das Treppengeländer geschlagen.
»Bist du entschlossen, mir jedes Klischee aufs Auge zu drücken, das dir zum Thema Rockstars einfällt?«, fragte er freundlich, und Lisa errötete bis in die Haarspitzen.
»Entschuldige, ich bin heute nicht in Form und versuche mich davon zu überzeugen, dass alle Männer schlecht sind.«
»Vor allem wir Rockstars?«
»Ja, vor allem ihr Rockstars.«
»Du bist Lisa, oder?«, fragte er. »Mias und Lizzys Freundin.«
»Und du bist einer von Liams Kollegen, oder wie nennt ihr euch so?«
»In erster Linie sind wir Freunde, und die nennen mich in der Regel John.«
Lisa nahm einen weiteren Schluck Tequila und kicherte ausgelassen.
»Was ist so komisch?«
»Es ist so typisch für mich, dass dieser beschissene Tag einfach nicht besser wird …« John hob eine Braue. »Was nicht an dir liegt …«, erklärte Lisa halbherzig und seufzte dann. »Siehst du? Das meine ich. Ich rede so lange weiter, bis ich jeden vergrault habe. Ich mache alles nur noch schlimmer.«
»Also bis jetzt vergraulst du mich nicht. Du hattest also einen beschissenen Tag? Ich wette, ich halte dagegen.«
»Vergiss es! Niemals!« Lisa begegnete Johns forschendem Blick.
»Lass mich mittrinken, und ich erzähle dir von meinem gestrigen Tag«, forderte er sie auf, und sie reichte ihm die Flasche. »Hast du schon mal das Gefühl gehabt, du wachst morgens auf und jemand hat dir dein Leben gestohlen?« Lisa nickte zustimmend. Das war ein Gefühl, das ihr äußerst vertraut war. »Ich habe gestern meine Kinder besucht und Josie zum Geburtstag beschenkt, nur um festzustellen, dass sie das Geschenk bereits von ihrem neuen Stiefvater bekommen hatte. Dann habe ich auch noch dabei zusehen müssen, wie besagter Stiefvater meine Ex-Frau über die Tanzfläche geführt hat und sie kichernd auf der Toilette verschwunden sind.«
Lisa streckte eine Hand aus und berührte ihn an der Schulter. »Das ist scheiße!«
John nahm noch einen Schluck und reichte Lisa die Flasche zurück. »Jetzt bist du dran.«
»Wenn ich dir das erzähle, muss ich dich danach zum Schweigen bringen. Das ist dir hoffentlich klar.«
»Ich schweige wie ein Grab, es sei denn, dir fällt etwas anderes ein, wie du mich ruhig halten kannst …«
Sie überging seinen Flirtversuch großmütig. »Ich habe vorgestern in der Schublade meines Freundes einen Ring gefunden«, begann sie leise. »Wir waren seit drei Monaten zusammen, und ich fand es reichlich früh für einen Antrag. Andererseits … na ja, jedenfalls wollte ich ihn heute Abend überraschen. Es ist unnötig zu erwähnen, dass ich neben elf Zentimeter hohen Pumps und einem schwarzen Trenchcoat nichts weiter anhatte als einen winzigen roten Spitzenslip.« Johns Augen wurden groß, und Lisa bedeutete ihm, dass es noch weiterging. »Ich betrete also sein Büro im Krankenhaus und erwische ihn in flagranti mit einer fremden Frau. Fremd zumindest für mich. Denn diese Frau trägt besagten Verlobungsring, und es stellt sich heraus, dass ich die andere Frau bin.« Sie holte tief Luft, um nicht in Tränen auszubrechen. »Ich bin geflüchtet, habe mir die Tür vor die Stirn geschlagen …«, sie deutete auf die blaue Stelle auf ihrer Stirn, die ziemlich pochte, »… den Fuß verstaucht, mir meinen Absatz abgebrochen und bin dann auch noch meinem Chef in die Arme gelaufen. Jetzt bin ich hier, um meiner wundervollen Freundin zur Verlobung zu gratulieren und habe einem fast völlig Fremden die peinlichste Geschichte meines Lebens erzählt.« Sie versteckte ihr Gesicht hinter den Händen.
»Ein roter Spitzenslip?«, war alles, was John heiser wiederholte, womit er Lisa zum Lachen brachte. Sie war dankbar dafür.
»Tut mir leid, aber ich bin in den letzten Stunden lesbisch geworden. Also schlag dir diesen Gedanken schnell wieder aus dem Kopf.«
»Dann ist da wohl nichts zu machen«, grinste John und trommelte rhythmisch gegen Lisas Schienbein, was sie sogleich erregte. »Der Typ ist jedenfalls ein hirnloser Arsch.«
»Mir fallen da gleich noch ein paar andere Wörter ein …«
»Ich meine es absolut ernst. Wenn er nicht erkennt, wie atemberaubend du bist, dann hat er kein Hirn oder keine Augen im Kopf.«
»Was ist mit dir? Warum ist sie deine Ex-Frau, wenn du sie offenbar noch liebst?«
»Das mit Maureen und mir ist schwierig. Sie war meine erste Liebe. Wir haben früh geheiratet, und sie hat mir zwei Kinder geschenkt. Sie kam mit dem Druck der Öffentlichkeit, dem Medienrummel, der unregelmäßigen gemeinsamen Zeit und den Gerüchten einfach nicht klar. Wir haben uns oft getrennt und sind immer wieder zusammengekommen. Allein schon wegen der Kinder … Vielleicht ist es Gewohnheit, sie zu lieben, oder ich habe verlernt, mich einer anderen Frau zu öffnen und eine echte Chance zu geben.«
»Fuck! Und genau das ist das Problem mit euch Scheißkerlen«, entfuhr es Lisa, und John sah sie erschrocken an. »Entweder ihr habt Bindungsangst, seid untreue Loser oder habt euer Herz schon an eine andere verschenkt. Ein echter Kerl wie du hat einfach keinen Platz für eine andere Frau in seinem Leben.« Sie lehnte den Kopf an das Treppengeländer und schloss die Augen.
»Vielleicht müsst ihr Frauen euch auch einfach auf echte Kerle wie mich einlassen und sie nicht bei der ersten Schwierigkeit absägen«, schlug er vor.
Lisa tat betrübt. »Geht nicht mehr! Bin doch seit wenigen Stunden homosexuell.«
»Ach, stimmt ja! Schade, denn ich kann einfach nicht aufhören, an den roten Spitzenslip zu denken …«
Lisa öffnete ein Auge und sah ihn skeptisch an. »Machst du mich etwa gerade an?« Johns Gesicht lag im Schatten, sodass sie seine Miene nicht deuten konnte. Lisa spürte jedoch diese gewisse Spannung, die die Luft um sie herum elektrisch auflud. Das rhythmische Trommeln seiner Finger auf ihrem Bein hörte auf. Lisa dachte schon, dass sie mit ihrer patzigen Frage die Stimmung ruiniert hatte, da berührten seine Finger schließlich ihre, die sie in den Schoß gelegt hatte.
»Wenn du denkst, ich sei so ein guter Kerl, wie kannst du dann glauben, dass ich diese Situation ausnutzen würde?«, fragte er anzüglich grinsend.
»Weil die besten Kerle immer auch ein klein wenig böse sind und sich einfach nehmen, was sie haben wollen«, sprudelte es aus ihr hervor.
In Johns blauen Augen blitzte es gefährlich. »Angenommen, ich hätte ein Zimmer im Bed and Breakfast gegenüber gemietet, weil ich zu betrunken wäre, um nach Hause zu fahren. Würdest du mir dort diesen roten Spitzenslip zeigen, von dem ich so viel gehört habe?«, raunte er ihr zu und war plötzlich nur noch wenige Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt.
Lisa stockte der Atem. Sie blickte in seine eindrucksvollen Augen und konnte die hellen Sprenkel um seine Iris betrachten. Mit beiden Armen stützte er sich rechts und links von ihr ab, und sie sah deutlich die Muskeln, die unter seinem Hemd spielten. Sie konnte es kaum erwarten zu sehen, wie sein Körper wohl ohne Kleidung aussah. Und noch viel dringender wollte sie wissen, wie er sich anfühlte.
Jeder gute Vorsatz war vom Tequila fortgespült worden – Lisa sehnte sich nur noch danach, endlich zu vergessen. Vielleicht würde hemmungsloser Sex mit einem Fremden die Erinnerung an diesen grässlichen Abend verdrängen. Sie legte einen Arm um seinen Nacken, während die andere Hand sich auf seine Brust legte.
Schwungvoll stand er auf und hob sie mit Leichtigkeit auf seine Arme. Er wirbelte sie einmal herum und hielt sie mit bewundernswerter Standhaftigkeit fest. Ihre Lippen trafen sich nach wenigen Augenblicken, und sie küssten sich mit einer Sehnsucht, die keiner von ihnen genauer benennen konnte. Lisa schlang nun beide Arme um seinen Hals und kicherte, als er sie mit langen Schritten über die Veranda und den Parkplatz zum Bed and Breakfast trug. John stellte sie nur kurz auf die Füße, als er die Tür zu seinem Zimmer aufschloss.
Da fiel ihr etwas ein. »Es gibt da übrigens etwas, das du vermutlich noch wissen solltest, bevor … na ja, es geht um den Slip.«
»Lass mich raten: Das waren alles falsche Versprechungen?«
Lisa lächelte entschuldigend. »Er ist einem Minnie-Mouse-Höschen gewichen.«
John machte erst ein enttäuschtes Gesicht und grinste dann. »Soll ich dir was verraten, Lisa? Ich war eh an etwas anderem interessiert.«
»Skandalös!«, rief sie aus und ließ sich von ihm schwungvoll durch die Tür tragen und auf dem Bett absetzen. Ohne weiter zu zögern, legte er sich der Länge nach auf sie und füllte die Leere aus, die sie so sehr hatte verzweifeln lassen.
»Ich will etwas völlig anderes tun …« Sogleich lagen seine Lippen auf ihren, und seine Zunge eroberte ihren Mund – wild und hungrig. Seine Hand tastete sich unter ihr Kleid und schob ihren Slip weit genug zur Seite, um sein Ziel zu erreichen.
Lisa stöhnte auf und hieß die Lust, die wie eine Welle über sie hinwegglitt, willkommen. Nur zu gern hob sie ihm ihre Hüften entgegen, damit er sie weiter verwöhnen konnte. Dieser Aufforderung kam er gleich nach. Sein Kopf verschwand ebenfalls unter ihrem Kleid, und seine Zunge vollführte lustvolle Kreise um ihre Klitoris. Lisa schrie verzückt auf und krallte sich im Bettlaken fest. Sie kam zwei Mal zum Höhepunkt, bevor er sich seiner Jeans auch nur entledigt hatte.
Während sie den eben erlebten Orgasmus bis zum letzten Moment auskostete, beobachtete sie ihn und staunte über die ausgeprägte Muskulatur seines Oberkörpers. Die Hose fiel zu Boden, und Lisa kicherte, als sie erkannte, dass er keine Shorts trug. Fachmännisch rollte er ein Kondom über seinen erigierten Penis und lächelte vielversprechend. Er legte sich erneut über sie, drängte seinen Schwanz gegen ihre Vulva und rieb sich an ihr. Sie wand sich unter ihm und seufzte erleichtert, als er in sie eindrang und sie vollkommen ausfüllte. Die Leidenschaft, die sie beide überwältigte, ließ sie endlich vergessen und brachte sie zu neuen Ufern. Allerdings zu keinen gleichgeschlechtlichen.
Sie spürte seinen Arm fest um ihre Taille und lauschte seinen gleichmäßigen Atemzügen, die ihren Nacken kitzelten. Es hätte seltsam sein müssen, zurück nach Bodwin zu ziehen, nachdem sie sich ihr Leben in London zu zweit eingerichtet hatten. Doch für Lizzy fühlte sich alles richtig an. Hier waren Liam und sie zu Hause und hatten die meiste Zeit ihres Lebens sehr glücklich verbracht.
Die letzte Nacht hätte etwas ganz Besonderes für Lizzy sein sollen. Doch alles, woran sie vor dem Einschlafen und auch jetzt nach dem Aufwachen denken konnte, waren die Worte ihres Arztes. Sie war gestern so gelassen zu diesem Termin gegangen, weil sie in ihrem Glück gefangen gewesen war. Nachdem ihre Mutter den Krebs besiegt hatte und alle Nachuntersuchungen unauffällig geblieben waren, hatte Liam ihr ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Es war so gewesen, als hätte ihr nichts und niemand etwas anhaben können. Sie hätte es besser wissen müssen.
Und dann war der Arzt einfach so mit den Testergebnissen herausgerückt. »Miss Donahue, alle Untersuchungen sehen gut aus, und das Gen scheint an Ihnen vorübergegangen zu sein. Allerdings möchte ich gerne etwas anderes mit Ihnen besprechen.«
Kein Krebs, das ist doch gut, oder? Was kann es denn noch geben?, hatte sie gedacht. Bei den nachfolgenden Erklärungen des Arztes blieb nur ein Wort in ihrem Kopf hängen: unfruchtbar. Lizzy schluckte. Das erste Mal, seit sie diese Diagnose erfahren hatte, konnte sie den Gedanken zu Ende denken, ohne jemandem ein Lächeln vorspielen zu müssen.
Behutsam schob sie Liams Arm weg und stieg vorsichtig aus dem Bett. Sie zog sich etwas an, kuschelte sich zuletzt in Liams Pullover und wickelte einen Schal bis über die Ohren. Es war vollkommen ruhig im Haus, und Lizzy schlich auf leisen Sohlen zur Terrasse. Sie öffnete die Tür, trat in die frische Morgenluft und atmete tief ein. Das Leben hielt offenbar mehr Überraschungen für sie alle bereit, als ihnen lieb war. Aber mit so etwas hätte sie nie gerechnet. Wegen einer vorangegangenen Entzündung in den Eierstöcken waren ihre Aussichten, auf natürlichem Wege schwanger zu werden, minimal.
Kinder zu bekommen war doch das Natürlichste der Welt. Frauen in allen Ländern dieser Erde bekamen unter den verrücktesten Bedingungen Kinder, und sie sollte keine kriegen dürfen? Was war mit ihr verkehrt? Was hatte sie falsch gemacht, und viel wichtiger: Wie sollte sie mit dieser Neuigkeit umgehen? Was sollte sie Liam sagen? Genau genommen war Lizzy nicht sicher, was sie selbst deswegen fühlen sollte. Im Moment beschrieb Verwirrung ihren Gefühlszustand am ehesten.
Sie ließ sich auf die Bank der Veranda sinken und zog ihre Beine unter den Pullover, der ihr viel zu groß war. Sie wusste, dass Liam sie liebte. Er liebte sie sogar sehr. Vielleicht liebte er sie genug, um das mit ihr durchzustehen.
Die Frage war jedoch nicht, ob Liam damit würde leben können. Die Frage war, wie sehr sie Liam liebte. Liam liebte Kinder. Er selbst stritt es gern ab, weil er ihr Leben zu zweit genoss. Aber jedes Mal, wenn sie Mias und Nics Zuhause betraten und deren Kinderschar sie willkommen hieß, leuchteten seine Augen. In diesen Momenten sah Lizzy ihm genau an, wie sehr er sich ebenfalls eine Familie wünschte. Wie könnte sie ihm diese Zukunft rauben? Wie könnte sie ihn zu einem Leben zu zweit verdonnern, wo sie ihn doch so sehr liebte?
Lizzy war überzeugt davon, dass Liam sie niemals fallen lassen würde, selbst wenn das Schicksal ihnen diese Bürde auferlegen würde. Dieses Wissen sollte ihr ein gutes Gefühl bescheren, doch im Augenblick bereitete es ihr nur Bauchschmerzen.
Sie legte die Wange auf ihre Knie und lauschte dem Säuseln des Windes. Es war kurz vor Weihnachten, und sie und Liam würden die Feiertage zu Hause im Kreise ihrer Lieben verbringen. Wie sollte Lizzy das nur aushalten? Es war beinahe unmöglich gewesen, den gestrigen Abend lächelnd zu überstehen. Jetzt war ihr einziger Wunsch, allein zu sein. Doch wie brachte sie das ihrer verrückten Familie bei, ohne sie erst recht aufmerksam zu machen? Hatte ein Kennedy oder ein Donahue nämlich erst mal Lunte gerochen, dann war es fast unmöglich, diesen davon abzubringen, dem Problem auf den Grund zu gehen.
Humpelnd tapste Lisa durch das dämmrige, nur vom Morgengrauen erhellte Zimmer. Zu spät erkannte sie den Schemen eines Stuhls und stieß sich prompt den kleinen Zeh daran. Sie biss sich auf den Zeigefinger, um nicht laut loszuschreien, und hielt sich den verletzten Fuß.
Na ganz toll, jetzt bin ich auf beiden Seiten lädiert, dachte sie. Bislang hatte Lisa nur ihr Unterkleid gefunden. Ihr fehlten noch der Slip, einer ihrer Schuhe und das Kleid. Sie hörte ein Rascheln und erstarrte. Die Augen hatte sie in der Erwartung, ertappt zu werden, fest zusammengekniffen, und sie betete im Stillen, dass John bloß nicht aufwachen würde. Sie ging auf alle viere und krabbelte weiter durchs Zimmer, auf der Suche nach ihren Kleidungsstücken, und wurde zumindest neben dem Bett teilweise fündig. Sie streifte ihr Kleid über und richtete sich halb auf.
Lächelnd blickte sie auf Johns Gestalt und dann in sein Gesicht. Sein Anblick ließ sie kurz nach Atem ringen. Er war ein wirklich netter und gut aussehender Kerl. Er war süß zu ihr gewesen und hatte sie trotz des herben Schlages, den Ethan ihr versetzt hatte, zum Lachen gebracht. Und sein unglaublicher Körper hatte ihr eine atemberaubende Nacht beschert. In ihrem desolaten Zustand hatte er ihr das Gefühl gegeben, die begehrenswerteste Frau zu sein, die er je kennengelernt hatte. Das hieß bei einem Rockstar schon etwas! Lisa würde ihm dafür auf ewig dankbar sein.
Doch wie immer in ihrem Leben hatte sie nicht das richtige Timing. Tolle Kerle wie er hatten, wenn Lisa ihnen begegnete, meistens einen großen Haken. Johns Herz war vergeben und stand einfach nicht zur Verfügung. Es war also völlig aussichtslos, auf eine Wiederholung dieses einmaligen Ausrutschers zu hoffen, und so tat sie das einzig Logische: Bevor es beim gemeinsamen Frühstück zu peinlich werden konnte, verdrückte sie sich lieber sofort. Doch wo war ihr Slip? Sie musste ohne ihn gehen. Kurz dachte sie darüber nach, was er nur von ihr denken würde. Lisa zuckte mit den Achseln, als sie sich daran erinnerte, dass er selbst keine Shorts getragen hatte.
Sein Körper wurde von den ersten Sonnenstrahlen des Tages erhellt, und Lisa musste sich von diesem Anblick regelrecht losreißen. Kurz entschlossen und bevor sie sich noch einmal anders entscheiden konnte, verschwand sie aus der Tür.
Obwohl Lisa zu ihrer Sexualität eine sehr offene Einstellung hatte, gab es Dinge, die ihr peinlich waren. Ohne Slip und nur mit einem Schuh bekleidet auf offener Straße in den Morgen hinauszulaufen, gehörte definitiv dazu. Sie wusste allerdings, dass nicht ihr Aussehen, sondern in Wahrheit ihr verzücktes Lächeln aller Welt verriet, womit sie die vergangenen Stunden verbracht hatte: mit himmlischem Sex, und zwar mit dem Sexgott höchstpersönlich.
Es war ihre Tante Margie, die ihr verschlafen die Tür öffnete und sie aus zusammengekniffenen Augen ansah.
»Ach, du bist es«, sagte sie nur und trat zurück, damit Lisa hindurchschlüpfen konnte.