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Prickelnde Rockstar-Romance rund um eine Songwriterin und den Rockstar, dessen Leben sie durcheinanderwirbelt. Band zwei der Rock & Love Serie nach »Backstage Love – Unendlich nah«. Lizzy Donahue ist pleite und obdachlos. Ihre Versuche, als Songwriterin durchzustarten, sind gescheitert. Jetzt steht sie mit ihrer Schildkröte Pebbles und dem letzten bisschen Geld im Gepäck bei der einzigen Person vor der Tür, an die sie sich noch wenden kann: dem attraktiven Gitarristen Liam Kennedy, Bandkollege ihres Bruders Nic. Liam ist alles andere als begeistert, ausgerechnet die chaotische Lizzy in sein Leben zu lassen. Schließlich hat er genug andere Sorgen, als mit ihr in einer WG zu wohnen – und er und Lizzy waren schon immer wie Feuer und Wasser, Katz und Maus, Yin und Yang. Doch auf die Achterbahnfahrt der Gefühle, die ihn dann erwartet, ist selbst er nicht gefasst … Für alle Fans von »Backstage Love – Unendlich nah«: Erfahre, wie es mit Mia und Nic weitergeht! Liv Keen lässt in dieser Rockstar-Romance nicht nur die Herzen der Fans höher schlagen. Sie wuchs in einer großen, chaotischen und etwas verrückten Patchwork-Familie auf. Schon als sie ein kleines Mädchen war, versorgte ihre unkonventionelle Uroma sie mit etlichem Lesestoff und erfand mit ihr lustige Geschichten. Ihre große Liebe ist – wie es der Zufall so will – auch ihr bester Freund, mit dem sie ihre eigene Familie gegründet hat. »Backstage Love – Sound der Liebe« ist die noch einmal vollkommen überarbeitete Neuausgabe des bereits unter dem Titel »Für immer vertraut – Backstage-Love 2« erschienenen Werkes der Autorin Kathrin Lichters.
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Seitenzahl: 532
Liv Keen
Roman
Knaur eBooks
Lizzy Donahue ist pleite und obdachlos. Ihre Versuche, als Songwriterin durchzustarten, sind gescheitert. Jetzt steht sie mit ihrer Schildkröte Pebbles und dem letzten bisschen Geld im Gepäck bei der einzigen Person vor der Tür, an die sie sich noch wenden kann: dem attraktiven Gitarristen Liam Kennedy, Bandkollege ihres Bruders Nic.
Liam ist alles andere als begeistert, ausgerechnet die chaotische Lizzy in sein Leben zu lassen. Schließlich hat er genug andere Sorgen, als mit ihr in einer WG zu wohnen – und er und Lizzy waren schon immer wie Feuer und Wasser, Katz und Maus, Yin und Yang. Doch auf die Achterbahnfahrt der Gefühle, die ihn dann erwartet, ist selbst er nicht gefasst …
Widmung
Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
Epilog
Danksagung
Für Nane,
die mutigste und tapferste Frau, die ich kannte,
und all die anderen Frauen,
die einen ganz speziellen Kampf ausfechten.
Sehr geehrte Miss Donahue,
wir danken Ihnen für die Vorstellung Ihrer Demo-CD, aber leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass eine Anstellung als Songwriterin in unserem Unternehmen nicht infrage kommt. Ihr Musikkonzept passt leider nicht zu unserer Firmenphilosophie. Wir wünschen Ihnen dennoch viel Erfolg und weiterhin alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
A.R. Reynolds
Der Regen trommelte unaufhörlich auf das Autodach und die dunkle Straße. In so einer Nacht verließ niemand freiwillig das Haus, zumindest nicht, ohne Gefahr zu laufen, bis auf die Unterwäsche nass zu werden und sich einen schlimmen Schnupfen einzufangen. Niemand außer einer jungen Frau mit teils blonden, teils pinkfarbenen Haaren, einem Nasenpiercing und blau lackierten Fingernägeln, an denen sich der Lack langsam ablöste.
Lizzy Donahue war schon immer unkonventionell gewesen. Mangelndes Selbstbewusstsein hatte man ihr bisher nie vorwerfen können. Das hatte sie aber auch nicht viel weitergebracht. Sie knüllte das letzte Antwortschreiben einer ganzen Reihe von Absagen, die sich in ihrem Fußraum sammelten, zusammen und warf es zurück in die chaotischen Tiefen ihres Wagens. Es war hoffnungslos. Sie saß in ihrem alten, verbeulten »Terminator«, der nur klägliche Laute von sich gab, und hatte längst aufgegeben, ihn starten zu wollen. Sie hätte auf ihren Bruder hören und ihn endlich ein neues Auto für sie kaufen lassen sollen; aber ihr Stolz hatte es ihr unmöglich gemacht. Das und eine gewisse Zuneigung zu dem alten Wagen. Ein wenig Sentimentalität war nach den vielen gemeinsamen Jahren, in denen er sie treu durch England chauffiert hatte, schließlich erlaubt.
Sie saß also vom Regen völlig durchgeweicht im Trockenen ihres Autos. Bei dem Versuch, im Motorraum das Problem ausfindig zu machen, waren ihre Jeansjacke, der Pullover und das Shirt darunter vom Regen so nass geworden, dass sie ihre Kleidung hätte auswringen können. Das war in diesem Moment jedoch ihre geringste Sorge.
Ihr Blick glitt zur Rückbank. Das Auto war über und über mit ihren Sachen vollgestopft. Ein Karton stapelte sich auf dem nächsten, und ihre Klamotten hatte sie in aller Eile in blaue Säcke gesteckt. Es war typisches Septemberwetter, vor allem für London. In Falmouth war der Regen besser zu ertragen, weil man dort dabei zusehen konnte, wie er das Grün wuchern und die schönsten Blumen erblühen ließ. Hier in London hingegen war alles grau, trist und eintönig. Die Innenstadt lockte nicht länger mit ihrem Glamour, und Lizzy fragte sich langsam, was sie vor etwas mehr als einem Jahr dazu bewogen hatte, hierherzuziehen.
Sie klappte die Sonnenblende herunter, in der ein Bild von ihr selbst und ihrer besten Freundin Mia hing. Sie strahlten beide um die Wette, und Lizzy musste bei der Erinnerung an diesen schönen Tag lächeln. Daneben war ein weiteres Bild befestigt, auf dem ein pausbäckiges Baby fröhlich auf seiner Faust herumlutschte. Sofort erinnerte sich Lizzy wieder, warum sie Cornwall verlassen hatte: um Mia bei ihrem Neuanfang in London beizustehen!
Die Verbindung zu Mia ging weit über eine normale Freundschaft hinaus. Sie war ihr ganzer Halt erst in Bodwin und dann in Falmouth gewesen, und Lizzy hatte sich nicht vorstellen können, an einem Ort ohne ihre Freundin zu leben. Sie waren gemeinsam aus den Windeln in die Stöckelschuhe gewachsen, und nichts hatte sie je trennen können. Wie hatte Mia es während des ganzen Nic-Dramas ausgedrückt? Kein Unwetter, keine Naturkatastrophe und schon gar kein Kerl würde sie jemals entzweien. Und so hatte Lizzy es gehalten.
Völlig selbstlos hatte sie ihr altes Leben aber auch nicht aufgegeben. Sie hatte in die Großstadt ziehen wollen, um dort ihrem Traum von einer Karriere als Songwriterin näher zu kommen. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sich das so schwierig gestalten könnte. Nicht in einer Stadt wie London.
Genau darin hatte ihr Denkfehler gelegen. Gerade in London gab es zahlreiche arbeitslose Songwriter, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden. Außerdem wollte sie als eigenständige Künstlerin wahrgenommen werden und nicht von Nics Bekanntheit in der Branche profitieren. Bislang hatte sie sich geweigert, seinen Namen in einer Bewerbung ins Spiel zu bringen. Einmal war sie sogar auf ihren Familiennamen angesprochen worden, und sie hatte Zugehörigkeit schlichtweg geleugnet.
Es wäre ein Leichtes für Nic gewesen, ihr Demotape den richtigen Leuten zuzuspielen, und vielleicht säße sie dann nicht mitten in der Nacht und bei Regen mittellos in ihrer geliebten Schrottkarre.
In diesem Augenblick, zahlreiche Ablehnungen und miese Jobs in Kneipen später, fragte sie sich, was sie sich nur dabei gedacht hatte, die Hilfe ihres großen Bruders auszuschlagen. Die Antwort darauf war: ihr Stolz. Sie wollte keine Almosen, kein neues Auto und schon gar keine Hilfe bei ihrer Karriere. Sie wollte es allen beweisen.
Lizzys Blick glitt zum Beifahrersitz, wo Pebbles sie aus ihren kleinen Knopfaugen irritiert beäugte. »Und jetzt? Hast du eine zündende Idee? Ich bin für alle Vorschläge offen.«
Natürlich gab die Schildkröte neben ihr keine hilfreiche Antwort, und um ehrlich zu sein, hätte Lizzy sich höchstens selbst einen Krankenwagen gerufen, wenn sie es getan hätte. Sie stieß ihren Hinterkopf gegen die Kopfstütze und fluchte ungehalten. Noch nie hatte sie sich so gefühlt, so hilflos und verängstigt. Seit sie nach London gekommen war, war nichts so gelaufen, wie sie es sich gewünscht hatte. Noch nicht einmal ansatzweise. In ihrem Heimatort Bodwin und auch in Falmouth war alles einfach gewesen. Sie hatte keinen Schritt ohne Mia gemacht, und ihre Eltern hatten sie immer unterstützt. Obwohl das auch nicht so ganz stimmte, immerhin hatte ihr Vater ihre Entscheidung, die Uni zu schmeißen, nicht sonderlich gut aufgenommen.
Es gab natürlich ihren Bruder und Mia, die ganz in der Nähe wohnten und sie jederzeit aufnehmen würden. Allerdings hatten die zwei ihre eigenen Schwierigkeiten, und Lizzy wollte sich nicht wie ein Klotz am Bein fühlen. Es hatte sich viel im Leben ihres Bruders und ihrer besten Freundin verändert, und sie freute sich für sie. Aber sie bekam manchmal automatisch das Gefühl, nicht dazuzugehören.
Dieses Gefühl konnte sie so gar nicht gebrauchen. Sie war Elizabeth Donahue. Sie gab nicht bei der ersten Schwierigkeit auf. Oder auch bei den ersten zehn Schwierigkeiten. Nein, sie war weder am Verhungern noch schwer krank. Nur dann würde sie zu Hause zu Kreuze kriechen und ihrem Vater den Triumph gewähren, dass er recht behalten hatte.
Trotzdem brauchte sie einen Platz zum Übernachten. Leider war sie nicht gut darin, Pläne zu machen, und handelte generell eher impulsiv, was ihr schon reichlich Schwierigkeiten beschert hatte. Vor einer Viertelstunde hatte ein Polizist an ihre Windschutzscheibe geklopft und freundlich gefragt, ob sie Hilfe bräuchte. Seit sie ihn abgewimmelt hatte, war der Streifenwagen bereits ein weiteres Mal an ihr vorbeigefahren. Lizzy konnte schwören, dass er bei seiner nächsten Runde wieder bei ihr klopfen würde. Sie zog ihr Handy aus der Jackentasche und öffnete ihr Portemonnaie. Darin befanden sich noch etwa zwanzig Pfund, und die mussten sie bis zu ihrer nächsten Übernachtungsstelle bringen.
Es fiel ihr nur ein Mensch ein, den sie, ohne sich allzu schlecht zu fühlen, um Hilfe bitten konnte. Sie rief ein Taxi, packte eilig das Nötigste in drei blaue Säcke um und wartete. Sie konnte nur hoffen, dass niemand ihr geliebtes Auto abschleppen lassen würde.
Das Taxi setzte sie keine halbe Stunde später vor einer leuchtend rot lackierten Haustür in Mayfair ab. Lizzy kam sich in dieser schicken Gegend fast schäbig vor und wäre am liebsten mit den Säcken und der Schildkröte unter dem Arm zurück ins Taxi geklettert. Aber sie hatte ihr letztes Geld für die Fahrt ausgegeben, und ihr blieb wirklich keine Wahl. Entschlossen trat sie durch das niedrige Gartentor, hastete im Regen über den kleinen Vorplatz und erklomm die wenigen Stufen zur Eingangstür. Sie suchte nach dem entsprechenden Schild und drückte auf den Klingelknopf. Gespannt sah sie durch die schmalen Glasscheiben in den dunklen Hausflur und wartete, doch es tat sich nichts. Sie klingelte erneut, allerdings ohne Erfolg.
Mutlos stellte sie die Säcke ab und setzte sich auf die oberste Stufe. Sie hätte ihn vorher anrufen sollen. Dann hätte sie allerdings riskiert, dass er sie am Telefon abwimmelte, und das wollte sie gar nicht erst zulassen.
Plötzlich ertönte in der Gegensprechanlage eine verschlafene Stimme. »Hallo?«
Sie rappelte sich erleichtert auf und fragte unverblümt: »Hast du etwa schon geschlafen?«
»Lizzy?«, sagte die gleiche Stimme vollkommen perplex.
»Du hast echt schon gepennt«, stellte Lizzy fest.
»Es ist drei Uhr nachts. Sollte man da nicht schlafen?«
»Ich dachte, du wärst so ein wahnsinnig cooler Rockstar und machst jede Nacht zum Tage?« Sie grinste und wusste, dass ihn dieses Klischee wahnsinnig machte.
»Bist du hier, um nachzusehen, ob ich mein Rockstar-Image pflege?«
Lizzy biss sich unsicher auf die Unterlippe. »Nicht nur.« Auf der anderen Seite der Sprechanlage herrschte Stille, und sie fragte sich schon, ob er wieder ins Bett gegangen war, als er laut seufzte.
»Was hast du diesmal angestellt?«, fragte er.
Lizzy antwortete nicht und hörte das Knacken in der Leitung. »Liam?« Sie seufzte ebenfalls, streichelte Pebbles über das Köpfchen und setzte sie neben sich ab. Dann ging plötzlich das Licht im Gemeinschaftsflur an, und Liam Kennedy schlurfte gähnend, nur mit einer karierten Schlafanzughose und einem Unterhemd bekleidet, die Treppe herunter. Er schloss die Eingangstür auf und trat zu Lizzy. Sie war so erleichtert, ihn zu sehen, dass sie den Impuls unterdrücken musste, sich ihm in die Arme zu werfen. Als sein Blick auf die blauen Tüten neben ihr fiel, schien er auf einmal hellwach. Er kratzte sich am Kopf und drückte Zeigefinger und Daumen gegen seine Nasenwurzel.
»Also, was ist jetzt wieder passiert?«, fragte er resigniert.
Lizzy sah verlegen zu Boden. »Ich bin beinahe unschuldig.«
»Natürlich …« Die Ironie triefte aus diesem einen Wort, und Lizzy wusste, dass er ihr nicht im Entferntesten glaubte. »Und?« Dieser Mistkerl kannte sie einfach zu gut und ließ nicht locker.
»Ist das eine Diskussion, die wir jetzt führen müssen?«, fragte sie ungehalten.
Liam verschränkte die Arme vor seiner breiten, tätowierten Brust.
»Wenn ich zwischen den Zeilen lese, schließe ich aus deinem Auftauchen mitten in der Nacht – patschnass und mit Gepäck –, dass du einen Platz zum Übernachten suchst, und würde mit Ja antworten.«
Lizzy wippte mit dem Fuß und warf dann die Hände in die Luft. »Also gut. Da war diese Party …«, murmelte sie, und Liam reckte sein Ohr in ihre Richtung, damit er auch alles verstehen konnte. »… und der Typ mit der offenen Beziehung entpuppte sich als Freund meiner Mitbewohnerin.«
Jetzt schüttelte Liam grinsend den Kopf und verkniff sich mit Mühe jeden weiteren Kommentar. »Und was ist mit meiner Schwester? Warum übernachtest du nicht dort?«, fragte er dann ernst, obwohl sein Blick sagte, dass er die Antwort bereits zu kennen glaubte.
»Weil ich dachte, dass Nic und Mia mit Baby Josh, seinen Zähnen und den wunden Brustwarzen schon genug zu tun haben.«
Liam nickte beinahe verstört, und in diesem Augenblick wurde Lizzy klar, dass er sie besser verstand als irgendwer sonst. Liam telefonierte oft mit Mia. Er wusste, wie schwer es war, einen Platz im Leben junger Eltern zu finden, auch wenn es die allerbesten Freunde waren. Plötzlich drehte sich in deren Alltag alles um Windeln, Babystuhlgang und das Stillen.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Liam, doch er trat noch nicht zur Seite, sondern sah sie grinsend an. »Und du denkst, eine chaotische Tante mit dem Hang, sich und alle im Umkreis von hundert Meilen ständig in die verrücktesten Schwierigkeiten zu bringen, würde da nur stören?« Lizzy sah ihn aus unschuldigen, großen Augen an. »Also hat sie sich gedacht, sie nistet sich lieber bei Onkel Liam ein.«
»So ähnlich«, gab Lizzy achselzuckend zu. Er verschränkte seine muskulösen Arme und schien nachzudenken. »Sagst du Ja?«, hauchte sie und warf ihren geflochtenen Zopf über die Schulter.
Er schloss die Augen und ließ keinen Zweifel daran, wie sehr er zögerte, sodass Lizzy ihm einen Rippenstoß versetzte. »Au!«, beschwerte er sich lautstark und sah sie prüfend an. »Bananenschalen gehören in den Müll, wehe, du benutzt meinen Rasierer für deine Intimrasuren, und deine Klamotten bleiben im Gästezimmer. Außerdem ist das keine endgültige Lösung. Du suchst dir schnellstmöglich was Neues, klar? Es reicht schon, dass ich mir auf Tour mit vier Kerlen einen Bus teilen muss.«
Überschwänglich fiel Lizzy ihm um den Hals. »Du wirst es nicht bereuen«, sagte sie über die Maßen erleichtert.
»Das tue ich bereits«, brummte er, bückte sich und hob den Gegenstand neben ihr hoch. Als das »Ding« sich bewegte, quietschte er höchst unmännlich und warf es reflexartig Lizzy zu. »Was ist das?«
Lizzy fing Pebbles mühelos auf. »Das ist Pebbles.« Sie wagte nur zu schmunzeln, schließlich wollte sie ihn nicht in den ersten zehn Minuten gegen sich aufbringen.
»Was ist eine Pebbles?«, rief er Lizzy nach, die mit einer Tüte und dem »Ding« unter dem Arm schon auf dem Weg nach oben war. »Ich schwöre, es hat mich angesehen«, fügte er unruhig hinzu.
»Hast du etwa Angst vor Schildkröten?«, sagte sie und warf ihm einen Blick über die Schulter zu.
»Eine Schildkröte. Na klar. In London. Wie konnte ich mich überhaupt wundern? Schließlich hält nur Lizzy eine Schildkröte in London.« Er schüttelte den Kopf, während er die restlichen Säcke Lizzys schulterte. »Wie kommt diese Nervensäge nur an eine Schildkröte?« Dann rief er lauter hinter Lizzy her: »Wie lange wolltest du noch mal bleiben?«
Liam öffnete die Augen, blinzelte und brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Er sog tief Luft ein. Dieser Geruch … was war das nur für ein Geruch? Alarmiert setzte er sich im Bett auf und schob den nackten Arm seiner gestrigen Eroberung von sich. Diese bewegte sich nur leicht und zog die Bettdecke über ihre Schultern. Kurz versuchte Liam, sich an den Namen der Frau zu erinnern, gab es aber rasch wieder auf, denn das nun einsetzende Piepen des Rauchmelders bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Er sprang eilig in seine Boxershorts und riss die Tür zum kleinen Flur auf, der ihn in den Wohn- und Essbereich führte. Rauch schlug ihm entgegen, und er raste in die Küche. Der Qualm drang aus dem Backofen und wurde noch viel schlimmer, als er dessen Tür öffnete. Wild hustend ergriff Liam mit den Backofenhandschuhen das Backblech, öffnete die Tür zu seiner Dachterrasse und stürmte hinaus. Er musste erst den Qualm über dem Verbrannten fortwedeln, um zu erkennen, was da vor sich hin kokelte. Es war eine Tiefkühlpizza, und sie sah nicht so aus, als könnte man sie noch essen.
Wer machte sich in aller Herrgottsfrühe eine Pizza? Seine Lippen pressten sich aufeinander, und er fluchte ungehalten. Lizzy!
»Was sind denn das für Zustände bei Ihnen, junger Mann?«, empörte sich eine kratzige Frauenstimme vom Balkon neben seinem. Liam schloss die Augen und wurde sich seiner fehlenden Kleidung bewusst. Es war Anfang Oktober und ziemlich frisch. Das hätte er ertragen wie ein echter Mann. Doch das nun sicherlich anstehende Gespräch mit seiner Nachbarin war nichts, dem er sich unbewaffnet stellen wollte. Er öffnete die Augen und wandte sich nach rechts.
»Mrs Grayson. Guten Morgen! Wie schön, dass Sie schon so früh die frische Luft genießen. Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl?«
Die adrette, alte Dame mit den perfekt frisierten Haaren auf den Zähnen, die nur ein paar Armlängen über die Dachterrassenbrüstung entfernt auf ihrem eigenen Balkon stand, sah nicht so aus, als würde sie ihm ernsthaft antworten wollen. Liam war ihr seit seinem Einzug vor einigen Monaten ein Dorn im Auge, und das ließ sie ihn bei jeder Gelegenheit spüren. Sie war in den Siebzigern, lebte allein und hatte offenbar mehr Geld als Verstand. Sie echauffierte sich darüber, dass er häufig Frauenbesuch hatte und keinen geregelten Tagesablauf. Dabei bemühte er sich wirklich, seine Pflichten als Mieter ordnungsgemäß zu erfüllen. Anscheinend gefiel ihr einfach seine Nase nicht.
Und sie würde nach diesem Morgen wieder was zum Tratschen haben: Mr Kennedy halb nackt auf der Terrasse angetroffen – und alles nur wegen dieser Nervensäge. So würde er diese wahnsinnig tolle Wohnung nie kaufen dürfen.
Bislang hatte Liam sie gemietet. Und auch wenn es im Haus immer wieder Stimmen gegeben hatte, dass er mit seinem Lebensstil sicher keine solch langfristige Wohnsituation wollte, hatte man ihm die Option für den Kauf gegeben.
Er fluchte leise vor sich hin, wünschte der Nachbarin, die missbilligend schwieg, einen guten Tag und folgte dem steten Piepton zurück in die Küche. Er warf das ruinierte Blech samt Pizzaresten in die Spüle, stellte den Rauchmelder ab und öffnete anschließend zusätzlich zur Terrassentür alle Fenster. Er wunderte sich nicht über das Chaos, das in seiner Küche herrschte. Apfelschalen lagen vor der geöffneten Tee-Box. Die Kaffeemaschine war neu gefüllt worden, doch die Dose mit den Kaffeebohnen stand noch daneben. Haarklammern verzierten seinen Küchentresen, und auf seiner Zeitung lag ein bereits benutzter Teebeutel, der sie völlig durchweichte und unlesbar machte. Er atmete tief ein, um nicht sofort an die Decke zu gehen.
Und wo war die Chaosstifterin? Liam trat in den Wohnbereich und schnappte nach Luft, als er Lizzy in aller Seelenruhe aus dem Bad kommen sah.
»Elizabeth!«, brüllte er. Sie reagierte nicht und schien erst auf ihn aufmerksam zu werden, als er wild vor ihr herumgestikulierte. Sie holte die Ohrstöpsel aus ihren Ohren und lächelte ihn an.
»Oh, guten Morgen, Dornröschen«, sagte sie mit ironischem Unterton.
»Guten Morgen? Guten Morgen? Im Ernst jetzt?«
Lizzy verfolgte seine aufgebrachten Gesten milde interessiert. »Öhm … was soll ich denn sonst sagen? Einen wunderschönen guten Morgen? Angenehme Nacht gehabt?«
Liam ging mit erhobenem Zeigefinger auf sie zu. »Verarsch mich nicht! Was glaubst du, tust du hier?«
Lizzy sah ihn aus ihren großen blauen Augen unschuldig an. »Ich war im Bad?«
»Während du beinahe meine Küche in Brand gesetzt hättest? Oder alles in eine Müllhalde verwandelt hast? Und noch schlimmer, mich vor der gesamten Nachbarschaft zum Volldeppen gemacht hast?«
Lizzy roch die verbrannte Luft, lief in die Küche und sah die geöffneten Fenster. »O nein, der Ofen. Den hatte ich total vergessen«, sagte sie kleinlaut.
»Vergessen? Wie kann man vergessen, dass man Hunger hat? Oder diesen Geruch nicht wahrnehmen?«
»Ich hatte eine Idee für einen Song und war so in Gedanken …«
Liam fuhr sich fuchsteufelswild durch sein lockiges, dunkles Haar. Er ahnte, dass es dadurch seltsam von seinem Kopf abstehen würde. Außerdem schien Lizzy ein Kichern zu unterdrücken, weil er so wütend war und gleichzeitig so witzig aussah.
»Innerhalb von Stunden verwandelst du meine Wohnung in ein völliges Chaos. Ich weiß genau, als ich gestern Abend gegangen bin, war alles aufgeräumt. Wie schaffst du das nur?«
Lizzy schüttelte lächelnd den Kopf und ging um ihn herum auf die Küchenzeile zu. Dort hing einer seiner Pullover, den sie sich geborgt hatte und ihm nun zuwarf. »Hast du eine Ahnung, wie seltsam du aussiehst?«
Liam fing ihn mühelos auf und schaute Lizzy verdattert an. Dann sah er an sich hinunter und zog schnell den Sweater über den Kopf.
»Hast du etwas zu deiner Verteidigung zu sagen?«, fragte er dumpf unter dem Pullover hindurch. »Und?«, hakte er nach, als Lizzy schwieg.
Sie hob eine Augenbraue. »Ich wusste nicht, dass ich vor Gericht stehe.«
Liam ließ genervt den Kopf hängen. »Ich erwarte eine Antwort, Elizabeth Donahue.«
»Darf ich meinen Anwalt anrufen?«
»Lizzy, ich mein es ernst.«
»Dein zweiter Vorname ist Ernst, Liam.« Um diese Aussage zu untermalen, rollte sie mit den Augen. Sie nahm zwei Tassen aus dem Schrank, stellte sie unter den Kaffeevollautomaten und drückte die entsprechende Taste. Der Kaffee verströmte einen angenehmen Duft, und Lizzy suchte nach dem Zucker und einem Löffel, während Liam sie fassungslos ansah.
»Wieso sollte ich dich weiter hier wohnen lassen, wenn ich noch nicht mal eine Antwort bekomme?«
»Mir steht aber auf jeden Fall ein Anruf zu. Da bin ich mir ganz sicher. Vor jedem Verhör darf der Verdächtige jemanden anrufen. Das hab ich bei CSI gesehen.«
Liam stützte sich theatralisch auf den Küchentresen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Womit habe ich das nur verdient?«
»Vorher sage ich kein Wort«, meinte sie grinsend und summte eine Melodie vor sich hin.
So war das immer. Liam wusste ganz sicher, dass er recht hatte, doch dann tat Lizzy das. Sie redete so lange Unsinn, bis er nicht mehr wusste, warum er recht gehabt hatte. Diese Frau trieb ihn in den Wahnsinn.
»Störe ich bei irgendwas?«, fragte eine helle Frauenstimme und erinnerte Liam endlich wieder daran, dass sie nicht allein waren. Eine hochgewachsene, vollständig bekleidete Blondine stand mit verschränkten Armen im Türrahmen und musterte ihn und Lizzy. Liam konnte sich nicht mehr ins Gedächtnis rufen, was er gestern an ihr so anziehend gefunden hatte. »In was für eine schräge Situation bin ich da denn reingeraten? Ehekrach?«
Liam machte einen undeutlichen Laut, als hätte er sich verschluckt.
»Nun, Schatz? Möchtest du es ihr erklären, oder darf ich?«, fragte Lizzy betont spitz, was Liam zur Verzweiflung brachte.
»Es ist nicht das, wonach es aussieht«, sagte er kleinlaut. Die Blondine trat in die Küche und blickte bedeutungsschwanger auf Lizzys nackte Beine. Sie trug ein viel zu großes Hemd und hatte nur einen Slip an.
»Das ist es ja nie«, warf Lizzy wenig hilfreich ein. Sie genoss das Schauspiel eindeutig.
»Du wolltest ohne Anruf nichts mehr sagen!« Er deutete mit dem Finger auf Lizzy, die ihm ungerührt eine Tasse Kaffee reichte.
»Ich bin dann mal weg«, sagte die Blondine zickig und marschierte an Liam vorbei. Er überlegte kurz, ob er sie aufhalten sollte. Doch die Frau bedeutete ihm nichts, und so sah er ihr nur nach, wie sie mit geschulterten Sachen zur Küchentür eilte. Plötzlich kreischte sie laut auf und deutete vor sich auf den Boden. Die Schildkröte kam in ihrer üblichen gemütlichen Watschelgeschwindigkeit auf die Küche zu. »Was ist das für ein Ding?«
»Pebbles«, antwortete Lizzy und machte keine Anstalten, die Schildkröte, die seelenruhig ihren Weg über die Türschwelle fortsetzte, hoch- und damit aus dem Weg zu nehmen.
Liam spürte, wie er vor Wut erneut rot anlief, und folgte der Frau, die nun zur Haustür rannte, wobei sie »Was sind das nur für Zustände hier?« vor sich hin murmelte.
Natürlich musste Mrs Grayson genau in dem Moment ihre Wohnung verlassen, als die Blondine ohne weitere Abschiedsworte die Treppe hinunterstampfte.
Bevor die alte Lady auch nur ein Wort sagen konnte, erklärte Liam mit samtweicher Stimme: »Nochmals guten Morgen, Mrs Grayson.«
Dann knallte er die Wohnungstür zu und ging wie eine Dampflok schnaubend in die Küche zurück. Unterwegs packte er Pebbles, die sofort alle Gliedmaßen einzog, und trat – das Tier weit von sich gestreckt – auf Lizzy zu.
»Urzeittiere haben in meiner Wohnung nichts zu suchen. Sie sind schlicht und ergreifend nicht erwünscht!«
»Da hätte Sophie aber sicher etwas dagegen«, entfuhr es Lizzy, und sie wirkte beunruhigt, als wüsste sie genau, dass sie nur eine Haaresbreite davon entfernt war, ihn zu sehr zu ärgern. Da half es auch nichts, Liams verrückte, aber sehr liebenswerte Großmutter ins Spiel zu bringen.
»Sie bleibt in deinem Zimmer.«
»Ihr ist dort langweilig.«
»Urzeittier. Dein. Zimmer. Sonst. Tierheim.«
»Es ist kaum zu glauben, dass du und Mia tatsächlich Geschwister seid«, entfuhr es ihr ungläubig, und in ihren Augen blitzte es vergnügt.
Auch wenn es unmöglich schien, aber dieser Satz machte Liam noch wütender. »Was hat all das mit meiner Schwester zu tun? Du bist in meiner Wohnung, isst aus meinem Kühlschrank, und statt dich nur so zum Dank ordentlich zu verhalten, fackelst du beinahe meine Wohnung ab!«
Für einen Moment schlich sich eine Verletzlichkeit in Lizzys Augen, die Liam nicht entging und ihn innehalten ließ. Bevor er jedoch weitersprechen konnte, entgegnete sie ruhig: »Morgen bist du mich los. Ehrenwort!«
Dann stellte sie ihre Kaffeetasse ab, ergriff Pebbles und verschwand im Gästezimmer.
Liam blieb zurück, und auch wenn er sich Lizzys Auszug schon öfter gewünscht hatte, als er zählen konnte, fühlte er sich bei dieser Ankündigung kein bisschen besser. Er fühlte sich eher wie ein Arsch. Er griff nach seinem Becher und trank einen Schluck. Überrascht hielt er inne. Er enthielt genau die richtige Mischung aus Kaffee, Milch und Zucker. Er war genau so, wie er ihn gern trank.
Lizzy machte lautlos die Tür hinter sich zu, lehnte sich von innen dagegen und schloss die Augen. Was war nur mit ihr los? Wieso brachte sie alle Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung gegen sich auf? Früher war es um so vieles leichter gewesen. Sie und Mia waren unzertrennlich gewesen. Sie hatten oft ohne Worte kommuniziert, und es hatte so wenige Konflikte gegeben. Plötzlich sehnte sich alles in Lizzy nach ihrer gewohnten Umgebung. Sie sehnte sich nach Bodwin zurück, und nach dem einfachen Studentenleben und der chaotischen WG an der Uni in Falmouth.
In Wahrheit war es Mia, die ihr fehlte. Ihre beste Freundin, die in erster Linie eben genau das gewesen war. Damals war sie noch nicht Nics Ehefrau, sie war keine Mutter, und vor allem hatte sie nicht so weit von Lizzy entfernt gelebt. Sie beide hatte die meiste Zeit ihres Lebens nur ein blödes Gartentor getrennt, und Lizzy hatte zu ihr rübergehen können, wann immer ihr danach war. Natürlich wünschte Lizzy ihr alles Glück der Welt. Und das war Nic gewesen. Er war die Liebe ihres Lebens. So wie der kleine Josh sich sofort in Lizzys Herz geschlichen hatte. Und dennoch – sie hatte in dieser kleinen Familie nicht den gewohnten Platz. Sie war immer ein Stück außen vor. Mia war nach wie vor für Lizzy da, doch ein Naturgesetz verbot, dass Lizzy Mia von ihren Problemen erzählte. Sie war so mit ihrem Sohn und ihren Aufgaben als Mutter beschäftigt, dass Lizzy sie nicht belasten wollte. Langsam gingen ihr aber die Optionen aus.
Sie hatte sich Liam aufgedrängt, weil er die einzige, zwar ständig genervte, aber vertraute Person in London war. Und da gab es auch noch dieses andere Problem: Lizzys heftiger Streit mit ihrem Vater, nachdem sie ihm verkündet hatte, dass sie die Uni abbrechen würde. Das war kurz nach ihrem Umzug nach London gewesen. Seitdem war ihr Kontakt zu ihm bestenfalls unterkühlt gewesen, aber nach dem letzten großen Streit vor rund zwei Monaten hatte sie ihn gar nicht mehr gesprochen. Sie hatte es mit dem Wirtschaftsstudium wirklich versucht, hatte sogar ein Praktikum in einem Unternehmen absolviert, aber es entsprach einfach nicht ihrer Natur, in einem Hosenanzug trockene Zahlen durchzugehen. Ihr Vater wollte das nicht einsehen. Er sagte, er wolle sie vor dem in seinen Augen üblen Musik-Business bewahren. Er war eben ein konservativer Mensch. Lizzy war ihm gegenüber so laut geworden und hatte so große Töne gespuckt, dass sie sich geschworen hatte, nicht nach Hause zurückzukehren, bevor sie es geschafft hatte.
Liam war jetzt richtig sauer auf sie, und Lizzy wusste nicht, wie sie diese Situation retten sollte, ohne sich vollkommen zum Affen zu machen. Seine Worte hatten sie tief verletzt, und sie fühlte sich mit einem Mal als Schmarotzer. Es gab nur noch eine Möglichkeit: Sie musste gehen.
Lizzy spürte, wie Pebbles sich bewegte, und setzte sie auf den Fußboden. Mutlos griff sie in ihre Garfield-Spardose und zählte den Inhalt. Sie hatte, gleich nachdem sie bei Liam eingezogen war, in einem nahen Bistro zu arbeiten begonnen und jedes Pfund zur Seite gelegt. So musste sie ihre Eltern zumindest nicht anrufen und sie bitten, sie hier abzuholen. Stattdessen könnte sie sich ein Leihauto mieten. Ihr Terminator hatte leider seine letzte Ruhe auf einem Schrottplatz gefunden, nachdem sie mit Liam die restlichen Säcke und all ihre Kartons geholt hatte.
Sie könnte es als Besuch tarnen. Auch wenn es irgendwann ohnehin rauskommen würde, dass sie versagt hatte. Ihr Vater würde es durchschauen und noch viel schlimmer: Sie wusste es. Lizzy seufzte unglücklich, strich sich durchs Haar und warf einen Blick auf ihren Wecker. Sie würde nach ihrer Schicht im Surrender mit dem Packen beginnen müssen.
Der Klang der Gitarre schallte laut durch den Proberaum. Liam spielte seinen Frust und seine Leidenschaft hinaus in die Welt. So wie er es immer tat. Wenn er Musik machte, vergaß er seine Umgebung, er konzentrierte sich einzig und allein auf die Melodie, die in seinen Ohren widerhallte. Das war pure Entspannung für ihn, und es gab kaum etwas, das an dieses Gefühl herankam.
Freiheit bedeutete für jeden Menschen etwas anderes, aber Liam war frei, sobald seine Fingerkuppen die Gitarrensaiten berührten. In diesen Momenten ließ er es zu, die Kontrolle zu verlieren, die ihm im Alltag sonst so wichtig war. Große Gefühle spielten in seinem Leben, zumindest in Bezug auf Frauen, keine Rolle. Lockere Affären, die keine Verpflichtungen beinhalteten, waren in Ordnung. Darüber hinaus gab es bei Liam nichts zu holen. Er wollte sich auf nichts Ernstes einlassen. So hielt er das Risiko, verletzt zu werden, gering. Einzig in der Musik war er fähig, Empfindungen zuzulassen. Und dann genoss er es geradezu.
»Super, Liam«, sagte sein Manager über Liams Kopfhörer und reckte den Daumen hoch.
Als die letzten Klänge verhallten, spürte Liam, wie das Adrenalin durch seine Adern jagte. Er konnte es kaum erwarten, diesen neuen Song in einer ausverkauften Halle zu spielen und dort jegliches Gefühl für Zeit und Raum zu verlieren. So empfand er ihre Auftritte vor Hunderten von Fans. Es war wie ein Drogenrausch. Er war nur nicht berauscht von irgendwelchen illegalen Substanzen, sondern von der Musik.
Das mit den Drogen hatte er schon vor einer ganzen Weile aufgegeben. Er hatte rechtzeitig die Kurve bekommen, ganz im Gegensatz zu Jim, der in den letzten zwei Jahren immer unzuverlässiger geworden war und für die Band inzwischen ein echtes Problem darstellte. Selbst Stan, der von ihnen allen der Jüngste und wesentlich anfälliger für die Schattenseiten des Ruhmes war, hatte diesem Zeug abgeschworen. Allerdings war es vermessen zu behaupten, Liam wäre immun gegen jeglichen Drogenkonsum. Er sah nur allzu häufig tief in diverse Alkoholgläser, und wenn seine Mutter wüsste, wie viel er manchmal rauchte, würde sie vermutlich in Ohnmacht fallen.
Pablo winkte ihn durch das große Glasfenster, das das Studio mit dem Aufnahmeraum verband, zu sich. Es waren die ersten Probeaufnahmen für das neue Album, und Liam hatte den größten Teil der Arbeit für diesen Tag hinter sich. Heute war einer dieser stressigen Tage im Studio, die ihn in besondere Hochstimmung versetzten. Er gehörte zu den Menschen, die in der Arbeit voll aufgingen, denn es war gleichermaßen seine Leidenschaft. Etwas, das er mit seinen Bandkollegen gemeinsam hatte – auch wenn er immer der Erste im Aufnahmestudio war und meistens auch der letzte, der ging. Er wartete seit über einer Stunde darauf, dass die Jungs aus ihren Laken krochen.
Als er wenig später neben Pablo an das Mischpult trat, klopfte der ihm bewundernd auf die Schulter. »Exzellent«, rief er und grinste von einem Ohr zum anderen. »Auf dich ist in jeder Hinsicht Verlass.«
Liam grinste zurück und ließ sich auf dem nächsten freien Stuhl nieder. Der Tonassistent nickte zufrieden und gab Liam die Kopfhörer, damit er sich selbst davon überzeugen konnte.
Mit Pablo, dem neuen Manager der Swores, hatten sie einen wahren Glücksgriff gemacht. Ganz im Gegensatz zu Paul, der sie ständig manipuliert hatte und einzig auf seinen eigenen Vorteil bedacht gewesen war, war er ein wahrer Beschützer. Wenn ein Journalist mit neuen Anschuldigungen oder einer wilden Story aufschlug, musste er erst mal an Pablo vorbei. Das war oft lustig anzusehen, weil der gebürtige Spanier ein sehr sonniges Gemüt hatte und süchtig nach Harmonie war, wie er selbst sagte. Zu Anfang hatten Liam und die anderen Bandmitglieder Bedenken gehabt, ob er ihre Interessen mit der nötigen Härte und Stärke vertreten konnte. Aber wenn es darauf ankam, wurde aus ihm eine Löwenmutter, die ihre Jungen verteidigte. Es gab nur selten Unstimmigkeiten, und alle Entscheidungen wurden gemeinsam getroffen. Da Pablo selbst Vater von drei Kindern war, hatte er viel Verständnis für die beiden Familienväter der Band und plante ihre Termine und Tourdaten äußerst umsichtig.
»Hast du schon mit Nic gesprochen? Er sah gestern aus, als hätte er kaum geschlafen«, sagte Pablo, als er mit Liam in den Außenbereich der Plattenfirma ging, um sich eine Zigarettenpause zu gönnen.
Liam grinste. »Wahrscheinlich hatte er eine harte Nacht.«
Pablo lachte. »Wenn du das sagst!«
»Nun, ich dachte eher an Babykotze, volle Windeln und Babygeschrei wegen der Zähne.«
Sein Manager verzog das Gesicht. »Ich erinnere mich sehr gut an diese Zeit zurück.«
Liam zuckte nur mit den Achseln. »Ich schlage mich dafür mit seiner verrückten Schwester rum … Glaub mir, das ist kein bisschen leichter!« Er kickte mit seinem Schuh einen der vielen Kieselsteine von sich fort.
»Lizzy und du?«
Liam riss entsetzt die Augen auf. »Verfluchte Scheiße, nein!« Er schüttelte heftig den Kopf und nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette.
»Oh, ich dachte schon … Wäre doch eigentlich was?«
»Vergiss diesen Gedanken so schnell, wie er dir gekommen ist!«
»Nun komm schon. Sie ist noch hübscher als Nic, und das will was heißen bei unserem Sonnyboy.«
»Lass ihn das ja nicht hören«, riet Liam dem anderen Mann und lachte.
»Wen was nicht hören lassen?«, ertönte eine Stimme, und Liam erblickte Johns wirren Haarschopf in der Tür.
»Hey, da bist du ja wieder«, begrüßte er ihn und drückte ihn herzlich an seine Brust.
John freute sich mindestens ebenso wie sein Bandkollege. »Ja, frisch gelandet. Meine Ex hat die Mädels gerade vom Flughafen abgeholt, und da dachte ich, ich schau gleich bei meinen Jungs vorbei.« John hatte trotz Probenbeginn die Herbstferien mit seinen beiden Töchtern verbracht.
»Und, wie geht’s den beiden so? Hast du die zwei Wochen Zickenterror gut überstanden?«, fragte Pablo neckend. Johns Töchter waren liebenswert, aber durch die Scheidung ihrer Eltern gerade ein wenig mitgenommen.
John lächelte, doch das Lächeln erreichte seine Augen nicht. Nach all den Jahren wusste Liam, was das zu bedeuten hatte. »Maureen?«
John ließ die Schultern hängen. »Sie wird wieder heiraten«, murmelte er, und Liam legte einen Arm um seine Schulter.
»Doch nicht etwa den Typen aus dem Baumarkt?«, fragte er fassungslos.
»Er ist immerhin der Geschäftsführer«, erwiderte John und ahmte dabei die Stimme seiner Exfrau nach. Jetzt sah man seine Niedergeschlagenheit erst wirklich.
»Verdammte Weiber«, sagte Pablo mitfühlend und bot John eine seiner Zigaretten an.
Johns Ehe war schon vor einigen Jahren zerbrochen, aber er und Maureen hatten lange weder miteinander noch ohne einander gekonnt. Allein der Kinder wegen hatten sie es mehrfach miteinander versucht, hatten eine Paartherapie in Anspruch genommen, doch es hatte trotzdem ein bitterböses Ende genommen. Die Scheidung hatte sie beide schließlich vor der gegenseitigen Zerstörung bewahrt. Vor wenigen Monaten hatte Maureen dann einen anderen Mann im Baumarkt kennengelernt, als sie neue Blumentöpfe kaufen wollte.
»Was soll ich sagen? Er hat ein festes Gehalt, feste Arbeitszeiten und die Wochenenden frei. Abgesehen davon gibt es wenige weibliche Fans, die ihn in Versuchung führen.«
Liam kannte Maureen schon fast so lange wie John. Damals, als sie die Band gegründet hatten, waren die beiden das Traumpaar schlechthin gewesen. »Ihr hättet den Klunker an ihrem Finger sehen sollen …« John schüttelte traurig den Kopf.
Liam wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Maureen hatte John alles bedeutet, dennoch konnte er nicht ansatzweise nachempfinden, wie sein Freund sich fühlte.
»Da sollte man meinen, die Weiber wären alle nur aufs Geld aus«, sagte Pablo.
Sofort schüttelten Liam und John den Kopf.
»Nein, Maureen ist anders«, sagten sie beinahe einstimmig und lachten, als sie sich ansahen.
»Sie war es, Liam. Sie war die Eine.«
Nichts konnte John trösten, also versuchte Liam, ihn auf andere Gedanken zu bringen, indem er von seinem Morgen erzählte.
John lachte herzlich, als er von Liams neuer Lebenssituation erfuhr. »Und du bist in Boxershorts draußen …«
»Schön, dass dich das so erheitert. Lizzy treibt mich irgendwann noch in den Wahnsinn!«
John nickte lächelnd. »Ich finde es super! Du kannst etwas Abwechslung in deinem Leben vertragen. Ich will alles hören. Ich kann Lachanfälle im Moment gut gebrauchen.«
Liam brummte zustimmend und bedeutete ihnen zu schweigen, weil Nics Auto um die Ecke fuhr. Liam hatte Lizzy Verschwiegenheit versprochen. Außerdem war er nicht scharf auf Nics Witze auf seine Kosten.
Sein bester Freund war wie immer lässig gekleidet, allerdings fiel diesmal seine dicke rote Wollmütze besonders auf. Ein paar blonde Strähnen lugten darunter hervor, die Sonnenbrille verbarg die dunklen Ränder unter seinen Augen. Ein senfgelber Schal hing um seinen Hals und machte sein lässiges Rockstarimage zunichte.
»Ach, da kommt ja unser Sonnyboy!«, grüßte Pablo ihn.
»Wie bist du denn verkleidet? Ist schon St. Patrick’s Day?«, fragte Liam lachend. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. »Mias gestrickte Sachen …« Er sah seinen Freund mitleidig an.
»Ha, ha«, sagte Nic ironisch und schlug nach Liams mitfühlender Hand. Schnell zog er die Mütze aus und strich sich über seine viel zu lange Haarmähne.
»Das muss wahre Liebe sein«, kicherte Jim, der nun ebenfalls aus dem Innern des Plattenstudios kam.
Nic verzog das Gesicht zu einer Grimasse und drohte: »Noch ein Wort, und ich erzähle Mia, wie gern du auch solche Sachen hättest.«
Jim lachte, hob jedoch die Hände, als würde er sich ergeben. »Ich schweige wie ein Grab. Aber wenn du das während irgendwelcher Pressetermine trägst, kann ich nicht dafür garantieren, dass ich nicht in schallendes Gelächter ausbreche.«
Ihr einstimmiges Grölen verstummte erst, als Pablo sie alle hineinscheuchte, damit sie mit ihrer Arbeit vorankamen.
Nach einer knappen SMS-Nachricht an Mia klingelte beinahe sofort Lizzys Telefon.
»Was soll das heißen, du fährst nach Hause?«, begrüßte Mia sie verwundert, und Lizzy schnalzte mit der Zunge.
Wenn es einen Menschen in ihrem Leben gab, der jede ihrer Lüge aufdecken konnte, dann war es Emilia Kennedy, Nein, mittlerweile Emilia Donahue. Sie war ein wahrer Lügendetektor, zumindest darin, Lizzy einer Schwindelei zu überführen. Nun kam es darauf an, ganz natürlich zu klingen.
»Hallo Schwägerin, schön dich zu hören! Wie geht’s euch denn so?«
Mia ließ sich nicht beirren. »Lenk nicht vom Thema ab. Ich dachte, Richard wäre so sauer auf dich wie damals, als wir mit seinen Golfschlägern fechten geübt haben?«
Lizzy wich einigen entgegenkommenden Passanten aus und fluchte ungehalten, weil niemand sich die Mühe zu machen schien, ihr aus dem Weg zu gehen. Als ihre Tasche zu Boden fiel, breitete sich der gesamte Inhalt auf dem Gehweg aus.
»Lizzy?«, hörte sie Mias Stimme aus dem Handy.
Sie klemmte das Telefon zwischen Wange und Schulter und sagte: »Es ist grade schlecht, Mia. Können wir später spr…?«
»Vergiss es! Wehe, du weichst mir aus! Irgendwas stimmt doch nicht. Das weiß ich ganz genau!«
Lizzy sammelte ein paar Streichholzschachteln des Surrender, ein paar abgerissene Knöpfe, einige alte Hustenbonbons und Kaugummis sowie ein paar Pfundnoten und Taschenfussel ein und war kurz davor, ihrer Freundin alles zu erzählen. Dann besann sie sich eines Besseren. Sie wollte auf keinen Fall am Telefon in Tränen ausbrechen. »Mein Akku ist fast leer … Ich rufe dich gleich zurück.«
»Keine faulen Ausreden, Pinocchio. Sonst lass ich alles stehen und liegen und komm sofort zu dir.«
Lizzy schulterte ihre Tasche, lief weiter auf Liams Haustür zu und knurrte ihre Freundin an: »Emilia, ich habe nur ein paar Tage frei und möchte nach Hause fahren. Die Sache mit Dad ist schon fast zwei Monate her, und ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen. Ich will nur einfach ein paar Tage was Grünes sehen, das nicht von irgendwelchen Zäunen umgeben ist.«
Mia zögerte hörbar. »Ist denn wirklich alles in Ordnung? Du hast gesagt, dass die letzten Gespräche mit Produzenten nichts ergeben haben … Soll Nic nicht vielleicht doch mal …«
»Nein, du Nervensäge! Ich hab es dir schon so oft erklärt. Du weißt viel besser als ich, was es heißt, den Namen Donahue zu tragen, und du bist auch noch seine Ehefrau! Wenn Nic mir zu meiner Karriere verhilft, werde ich immer seine kleine Schwester sein. Du selbst hältst deinen Nachnamen doch auch fein säuberlich aus deinen Entwürfen raus.«
Lizzy wusste, dass Mia sie in dieser Hinsicht nur zu gut verstand. Allerdings – das war Lizzy ebenfalls klar – nahm Nic das nicht besonders gut auf, und nicht selten hatte es deswegen schon Unfrieden im Hause Donahue gegeben.
»Du würdest mir doch sagen, wenn du Probleme hättest, oder, Lizzy?«, fragte Mia nun.
Lizzy hasste es, ihre Freundin so ausdrücklich anzulügen, aber gerade jetzt hatte sie keine Lust, über all ihre Sorgen zu sprechen. Wie aufs Stichwort ertönte Babygeschrei, und Mia war so von ihrem süßen kleinen Jungen abgelenkt, dass sie vergaß, hartnäckig zu bleiben.
»Wie geht es euch?«, fragte Lizzy und musste lächeln, als sie das vergnügte Blubbern im Hintergrund hörte.
»Na ja, die Nächte sind kurz, und sein Schnupfen macht es nicht gerade besser. Aber sonst geht es uns ganz gut. Ich versuche im Moment, nachts zu arbeiten, damit überhaupt was zustande kommt. Aber wenn Josh nicht schläft, kann ich weder schlafen noch arbeiten, und Nic ist im Moment wieder ständig im Studio.«
Beinahe hätte Lizzy ihr beigepflichtet, dass Liam in den vergangenen drei Wochen auch sehr häufig weg gewesen war, doch sie konnte sich gerade noch davon abhalten. Mia dachte ja immer noch, dass Lizzy in der WG wohnen würde.
Lizzy hatte ihr damals euphorisch erzählt, dass sie und ihre Vermieterin sich auf Anhieb gemocht hatten. Nur deshalb hatte sie sofort all ihre Sachen in die Wohnung bringen dürfen. Es hätte eine wunderbare Freundschaft werden können. Dummerweise schaffte es Lizzy, auf der ersten WG-Party am zweiten Abend mit dem Freund ihrer potenziellen Vermieterin zu knutschen, der ihr versichert hatte, er hätte zwar eine Freundin, mit der er jedoch eine offene Beziehung führen würde. Zielsicher war sie ins Fettnäpfchen getreten.
Diesen jüngsten Fauxpas hatte sie Mia jedoch verschwiegen. Normalerweise gab es keinen Grund, ihre Freundin zu belügen, doch Lizzy wollte unbedingt vermeiden, dass Mia sich gezwungen sah, sie bei sich aufzunehmen. Stattdessen überwog Lizzys Wunsch, endlich etwas allein zu schaffen.
Es fiel ihr schwer, Mia dabei zuzusehen, wie sie ihr perfektes Leben führte, während sie selbst von einem Malheur zum nächsten schlidderte.
Lizzy erkannte erleichtert, dass sie endlich angekommen war. Sie öffnete gerade das Gartentor zu Liams Mehrfamilienwohnanlage, als sie eine alte Dame sah, die sich auf dem kleinen Vorplatz mit einem großen Karton abmühte, der offenbar in den Papiermüll gehörte. Es war Liams Nachbarin, Mrs Grayson, der Lizzy schon einige Male im Hausflur begegnet war. Im nächsten Augenblick geriet die zierliche und ziemlich unbewegliche Frau bedrohlich ins Schwanken. Lizzy verabschiedete sich rasch von Mia, legte auf und eilte zu ihr.
»Warten Sie, ich helfe Ihnen«, sagte sie, während ihre eigene Tasche wieder auf dem Boden landete, und griff unter den überraschend schweren Karton. Der Karton war zudem so hoch, dass sich die beiden Frauen nicht ansehen konnten.
»Wie haben Sie das schwere Ding überhaupt hier runterbekommen?«, fragte Lizzy.
»Papperlapapp! Das war doch ein Kinderspiel«, ertönte von der anderen Seite eine raue Stimme.
Lizzy nahm den Karton an sich und setzte ihn auf dem Boden ab. Als sie Mrs Grayson von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, bedachte diese sie mit einem seltsamen Blick.
»Sie sind das«, stellte die Alte naserümpfend fest.
»Ja, ich bin das«, gab Lizzy erstaunt zurück.
»Lassen Sie nur, Miss. Ich denke, ich schaffe das schon allein.«
»Und wer ruft Ihnen danach den Krankenwagen?« Lizzy hob vielsagend die Brauen und stemmte die Hände in die Hüften.
»Na hören Sie mal, Miss …«, echauffierte sich Mrs Grayson, während sie dabei zusah, wie Lizzy den Karton zu den Mülltonnen schleppte und mit viel Mühe darin versenkte. Sie klatschte zufrieden in die Hände und trat vor die alte Dame.
»Das hätten wir! Was muss noch in den Müll?«
Mrs Grayson sah etwas überrascht aus. Sie war adrett gekleidet, trug ein feines Kleid und war mit einigen Ketten und Ringen behängt. Ihr Haar war am Hinterkopf festgesteckt, und eine schmale Brille zierte ihre Nase. Abschätzig starrten die beiden Frauen sich an, und Lizzy konnte förmlich sehen, wie die Alte den Wunsch, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden, und das Bedürfnis, ihre Dinge zu erledigen, gegeneinander abwog.
»Nun, ich hätte da im Keller noch ein paar Sachen …«
Lizzy nickte nur zustimmend und folgte ihr zuerst ins Haus, dann die Stufen hinunter.
Minuten später fand sie sich in einer Fundgrube der ganz besonderen Art wieder. In Mrs Graysons gerammelt vollem Kellerabteil standen wertvolle antike Möbelstücke dicht gedrängt neben billigem, altem Kitsch. Lizzy verliebte sich sofort in einen alten Plattenspieler, der laut Mrs Grayson aber nicht mehr funktionierte. Lizzy sah ein seltsames Flackern in den grauen Augen der Frau und ahnte, dass es dazu eine größere Geschichte gab. Doch sie schwieg und half ihr stattdessen, einen Haufen Zeitschriften zur Altpapiertonne zu bringen und eine Kiste voller alter Marmeladengläser hochzutragen, die sie am nächsten Tag mit zum Glascontainer nehmen wollte. Mrs Grayson schien ziemlich überrascht über ihre Hilfsbereitschaft und wurde nicht müde zu betonen, wie gut sie allein zurechtkam.
Zuletzt begleitete Lizzy die Nachbarin bis in die dritte Etage und wollte sich schon verabschieden, als Mrs Grayson ihr mit rauer Stimme anbot: »Ein Glas Limonade würden Sie als Bezahlung doch akzeptieren, oder?«
Lizzy lächelte über das zögerliche Angebot, hinter dem sich sicherlich eine große Portion Einsamkeit verbarg. Eigentlich war sie müde und erschöpft von den zehn Stunden, die sie schon auf den Beinen war, und sie hatte noch allerhand zu packen, damit sie am nächsten Morgen nach Hause fahren konnte. Doch irgendetwas in ihr drängte sie geradezu, die Einladung der alten Frau anzunehmen. Sie nickte, versenkte ihre Schlüssel in der Tasche und folgte Mrs Grayson durch die offene Tür.
Die Wohnung war von der Aufteilung der Räume her der von Liam ganz ähnlich, doch die Einrichtung hätte nicht unterschiedlicher sein können. Die alten und sehr teuer wirkenden Möbelstücke im Flur waren bis auf den letzten Zentimeter mit Porzellanfigürchen, Blumengestecken und selbst gehäkelten Tischdeckchen geschmückt. Sicher hing an jedem Teil eine Erinnerung, die es Mrs Grayson unmöglich machte, irgendwas davon wegzugeben. Es kam Lizzy so vor, als hätte sie früher einmal in einer viel größeren Wohnung gelebt.
Sie betraten den Wohn- und Essbereich, und während Mrs Grayson schwer atmend in ihre Küche marschierte, blieb Lizzy wie erstarrt stehen. Wie im Flur war auch hier jeder freie Zentimeter vollgestellt. Was Lizzy aber noch mehr beeindruckte, beziehungsweise verängstigt, waren die vielen ausgestopften Tiere, die diesen Raum besiedelten. Von einem Marder über einen Fuchs bis zu irgendeiner Art von Greifvogel war alles dabei. Es war erschreckend, wie lebensecht sie aussahen. Vorsichtig streckte Lizzy ihre Hand nach einer Katze aus, die so lebendig aussah, dass sie nicht widerstehen konnte, sie zu berühren. Plötzlich rührte sich das Tier und fauchte sie an. Lizzy machte einen Satz zurück und quietschte.
»Ich hoffe, Sie mögen Limonade, Miss«, ertönte Mrs Graysons Stimme hinter ihr. Lizzy fuhr zu ihr herum und nahm dankbar das Glas Limonade entgegen. »Das ist Charles«, fügte die alte Dame hinzu. »Er ist fast blind und taub. Er fühlt sich ständig bedroht, manchmal auch von seinem eigenen Schatten.« Sie wies mit ihrer Hand auf die ausgestopften Tiere. »Mein Mann hatte eine Schwäche für all diese Dinge. Mir machen sie eher Angst.«
»Warum werfen Sie sie dann nicht einfach weg?«, fragte Lizzy und bereute diese unbedachte Frage sogleich wieder.
Das Flackern in den Augen der Frau schien eine ganz eigene Geschichte in einer Sprache zu erzählen, die Lizzy nicht verstand. »Waren Sie bereits neunundvierzig Jahre verheiratet, Miss?« Lizzy schüttelte den Kopf und blickte auf den ausgestopften Fuchs. »Nun, Sie werden es verstehen, wenn Sie es einmal sind.«
»Mein Name ist Elizabeth oder einfach nur Lizzy, Mrs Grayson.«
Die Frau ließ sich erschöpft in einen Sessel fallen und blickte wie Lizzy auf die ausgestopften Tiere. »Etwas gruselig sind sie schon … man kann schon Angst vor ihnen haben«, wiederholte sie nach einer Weile und lächelte ungewohnt freundlich.
»Ja, absolut!«, bestätigte Lizzy und ließ sich ebenfalls auf ein blumengemustertes Sofa sinken. In ihren Augen war es zwar alt, aber beinahe schon wieder hip. Sie nahm einen Schluck von der köstlichen Limonade.
Ein nachdenklicher Ausdruck schlich sich auf Mrs Graysons Gesicht. »Und dennoch würde ich noch so viele mehr in meiner Wohnung dulden, wenn das bedeuten würde, dass mein Harrison hier bei mir wäre. Der Tod hat die unangenehme Angewohnheit, alles andere in den Hintergrund zu stellen. Meiner Erfahrung nach sieht man niemals klarer als im Angesicht des Todes. Plötzlich weiß man wieder, was zählt und was nicht.«
Lizzy dachte gerade über diese Worte nach, als Charles neben sie aufs Sofa sprang. Sein Fell war grau, und seine Augen waren trüb gelb. Alle Haare auf seinem Rücken standen ab, und sein Schwanz glich einer Flaschenbürste. Lizzy wich automatisch vor ihm zurück, als er zu fauchen begann.
»Wie lange leben Sie schon allein?«, fragte sie, und die Frau antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Vier Jahre, zwei Monate und sechsundzwanzig Tage.«
Lizzy war erst verblüfft, dann überkam sie eine ganze Fülle an Emotionen. »Eine ziemlich lange Zeit, um alleine zu sein«, stellte sie leise fest.
»Ich hatte großes Glück, den Großteil meines Lebens nicht allein verbringen zu müssen.« Ein gutmütiges Lächeln stahl sich bei der Erinnerung an diese Zeit auf Mrs Graysons Gesicht.
»Ich verstehe«, sagte Lizzy ebenfalls lächelnd und trank einen weiteren Schluck ihrer Limonade.
»Tun Sie das, Miss? Ich glaube, die jungen Leute werden das nie wirklich verstehen.«
Lizzy spürte den unterschwelligen Vorwurf und die Vorurteile der alten Dame. »Ganz schön voreingenommen für jemanden, der über so eine große Lebenserfahrung verfügt.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund, weil sie glaubte, zu weit gegangen zu sein.
Mrs Grayson sah sie jedoch nur über ihr Limonadenglas hinweg abschätzig an. »Was wissen Sie schon über die Liebe, Miss?«
»Nennen Sie mich doch einfach Lizzy«, schlug sie erneut freundlich vor.
»Gut, Elizabeth. Kennen Sie sich mit der Liebe aus?«
»Ich selbst nicht.« Mrs Grayson nickte selbstgefällig, doch Lizzy fügte hinzu: »Aber ich habe sie mit eigenen Augen gesehen. Mein Bruder und meine beste Freundin sind seit ihrer Kindheit füreinander bestimmt. Es hat zwar ziemlich lange gedauert, bis sie zueinandergefunden haben, aber es gibt niemanden, der sich inniger liebt als diese beiden.«
Mrs Grayson zuckte mit keiner Wimper und trank ungerührt ihre Limonade leer.
»Sie wohnen also bei Mr Kennedy?«, fragte die Alte dann plötzlich, als hätten sie nicht gerade ein bedeutsames Gespräch geführt.
Lizzy zögerte. »Vorübergehend.«
»Sind Sie bei ihm auf der Suche nach der großen Liebe?«
Bei dieser direkten Frage verschluckte Lizzy sich fast an ihrem letzten Schluck Limonade. Was für ein absurder Gedanke. Dann wurde ihr plötzlich klar, für wen die alte Lady sie hielt, und ihr wurde schlecht. Zugleich machte sich ein heftiger Lachanfall daran, an die Oberfläche zu gelangen.
»Ich kenne Liam schon mein ganzes Leben, und glauben Sie mir, mir ist klar, dass er kein Heiratsmaterial ist«, sagte sie schließlich und kicherte. Mrs Grayson sah sie skeptisch an, und Lizzy hörte sich plötzlich sagen: »Aber seien Sie versichert, er ist ein sehr hilfsbereiter, freundlicher Mann. Er ist einer von den Guten.« Ihr Blick verdüsterte sich beim Gedanken an ihr Gespräch an diesem Morgen. »Nun, ich fürchte, es wird Zeit«, sagte sie und stand auf.
»Hätten Sie vielleicht Lust und Zeit, mit mir meinen Keller zu sortieren?«, fragte Mrs Grayson und wirkte so, als würde sie nur äußerst selten jemanden um Hilfe bitten.
»Ich würde wirklich gerne. Aber … ich fahre morgen nach Hause. Es tut mir –«
»Nun«, wiegelte die alte Dame rasch ab, »dafür gibt es schließlich auch Unternehmen.« Sie erhob sich mit undurchdringlicher Miene und begleitete Lizzy zum Ausgang.
Lizzy ging gerade auf Liams Türe zu, als sie erneut Mrs Graysons kratzige Stimme hörte: »Ich hoffe sehr, dass Sie irgendwann selbst solch einer Liebe begegnen wie Ihr Bruder.«
Als sie sich zu ihr umdrehte, um sich für die Limonade und die netten Worte zu bedanken, war die Tür bereits wieder geschlossen.
Mia betrachtete skeptisch den Telefonhörer in ihrer Hand, aus dem nur noch ein Tuten drang und an dessen anderem Ende bis eben ihre beste Freundin gewesen war. Das stank doch bis zum Himmel! Mia war vielleicht chaotischer und schlechter organisiert als jemals zuvor in ihrem Leben, doch sie war nicht dumm. Lizzy machte ihr was vor oder verheimlichte etwas. Natürlich könnte sie erneut anrufen und so lange bohren, bis Lizzy von selbst mit der Sprache herausrückte. Oder sie könnte losziehen und ein Überfallkommando auf Lizzy starten und das Überraschungsmoment für sich nutzen.
Das Letztere schien Mia die beste Option zu sein. Sie klatschte entschlossen in die Hände und lächelte über Joshs herzhaftes Lachen.
Mia sah auf ihren süßen Sohn hinunter. Josh lag auf ihren Beinen und ließ sich darauf sanft schaukeln. Er quietschte begeistert, als Mias geflochtener Zopf in seiner unmittelbaren Nähe kreiste.
Nic und Mia hatten am vergangenen Abend darüber gesprochen, endlich umzuziehen. Der Gedanke, in der Stadt ein Haus mit kleinem Garten für sie zu suchen, war zuerst wunderbar gewesen. Mia sah Josh schon vor sich, wie er jeden Grashalm erkundete und laut kreischte, wenn sie ihn über die Wiese jagte. Doch nach dem Gespräch mit Lizzy, die nach Hause fahren wollte, stimmte sie der Gedanke, für immer in London zu bleiben, plötzlich sehr traurig, und die Sehnsucht nach Bodwin wuchs ins Unermessliche.
In den vergangenen vierzehn Monaten war alles so rasend schnell gegangen. Sie war schwanger geworden, hatte Bodwin verlassen, Anabelles Angriff überlebt, geheiratet und Josh bekommen. Mia fehlte die Kraft für eine weitere Veränderung. Wenn sie ehrlich zu sich war, wusste sie nicht, ob sie in London glücklich werden würde. Es fühlte sich richtig an, mit Nic hier zu sein. Allerdings wusste sie nicht so recht, wie sie mit all dem auf lange Sicht zurechtkommen sollte.
In dem Augenblick, in dem sie das erste Mal in Joshs kleines Gesicht geblickt hatte, hatte sich alles an ihr und in ihr verändert. Jeder Gedanke an eine eigene Verwirklichung als Designerin war wie verflogen. Ihr einziges Ziel war es seither, eine gute Mutter zu werden. Sie wollte für den kleinen Josh alles tun, was ihn glücklich machen würde. Mia wusste nicht mehr, ob London der richtige Ort war, um ein Kind aufzuziehen. Doch eine Entscheidung zu treffen, wie Nic und sie ihr Leben verbringen wollten, dazu war sie nicht bereit. Jeden Abend blickte sie von ihrem Loft aus über Londons Dächer und sog diesen Anblick in sich auf. Das Grün von Bodwin fehlte ihr trotzdem mit jedem Tag mehr.
Sie entschied, dass sie auf Nic warten und dann zu Lizzys WG fahren würde. Dort könnte sie ihr nicht mehr ausweichen. Andererseits wusste Mia, dass es bei Lizzy häufig besser war, abzuwarten. Erst wenn ihre Freundin selbst bereit war, würde sie mit der Sprache herausrücken und sagen, was sie wirklich bedrückte.
Mias Elan verflog, und sie seufzte. Im Moment fühlte sie sich Lichtjahre von Lizzy entfernt. So, als hätte sich einfach alles in ihrem Leben verändert. Natürlich zum Positiven. Sie war die glücklichste Frau Englands, ach was, der ganzen Welt. Und doch hatte auch ihr perfektes Leben Ecken und Kanten, an die sich Mia erst gewöhnen musste. Am meisten hatte sich die Beziehung zu Lizzy verändert, und das war etwas, was in ihrer gemeinsamen Zeit noch nie vorgekommen war. Lizzy und Mia waren immer unzertrennlich und ihre Leben fest miteinander verflochten gewesen. Das erste Mal in ihrem gesamten Leben stand jemand über Lizzy und auch über Nic. Und das war ihr kleiner Sohn.
Die Sonne ging bereits unter, als er den Schlüssel in das Türschloss steckte. Sofort schnellte sein Puls in die Höhe, wie immer, wenn er Mia zu sehen erwartete. Heute war er verhältnismäßig früh dran, und Baby Josh schlief noch nicht, sondern krähte vergnügt vor sich hin.
Er öffnete die Tür und sah Mia freudestrahlend mit Josh auf sich zukommen. Das war der beste Moment des Tages: die beiden Menschen zu sehen, die sein Leben wie die Sonne erhellten, und sie dann tatsächlich in die Arme zu schließen. Na ja, den schlafenden Josh in seinem Bettchen zu sehen und Mia später ins Schlafzimmer zu zerren, bekam den zweiten Platz. Mia sah ihn genauso glücklich an, wie er sich beim Nachhausekommen fühlte.
Nic trat auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sie suchte seine Lippen und strich sanft mit ihrer Zunge über seine Unterlippe, was Nic erschauern ließ. Seine Hände fuhren durch ihr Haar, während sein Sohn aufgeregt quietschte.
Überrascht trat Nic zurück. »Was sind denn das für Töne, Josh? Trainierst du deine Stimmbänder?«
Grinsend ergriff er das Baby und warf es in die Höhe, was Mia mit »Vorsicht, er hat gerade gegessen« kommentierte. Sie deutete auf ihr Shirt, das voller Breiflecken war. Erst jetzt fielen Nic die dunklen Ringe unter ihren Augen auf. Sie sah sehr erschöpft aus.
Ein schlechtes Gewissen von der Größe eines Panzers walzte ihn platt. Das alles war seine Schuld. Mia kümmerte sich seit Beginn der Proben den ganzen Tag allein um Josh, arbeitete nachts an ihren Entwürfen und schlief zu wenig. Generell ließ er Mia seit Joshs Geburt viel zu oft allein. Er hatte schon einige Male den Vorschlag gemacht, dass sie ein Kindermädchen anstellen könnten, doch Mia konnte den Gedanken nicht ertragen, die Verantwortung für ihren kleinen Sohn an eine andere, fremde Person abzugeben.
Nic glaubte zu wissen, woran das lag. Sein Mädchen und er hatten dank Mias ehemaliger Freundin Anabelle einiges durchmachen müssen. Nicht zuletzt hatten sie kurzzeitig um das Überleben ihres damals noch ungeborenen Babys gebangt. Die Wunden saßen vor allem bei Mia tief – wie sollte sie da einer Fremden vertrauen, wenn es um das Wichtigste in ihrem Leben ging?
Nic respektierte Mias Wunsch, wenn das auch bedeutete, dass er sie leiden sehen musste. Er hatte trotzdem heimlich einen Besuch von Celine, Mias Mutter, in London arrangiert. Durch die Entfernung von Bodwin und London waren die Besuche selten, und die Oma sehnte sich nach ihrem Enkel. Und Mia konnte etwas Unterstützung und Unterhaltung gebrauchen, jetzt, wo die Studioarbeiten begannen und eine Promo-Tour der Swores anstand. Eine dunkle Stimme riss Nic aus seinen Gedanken.
»Na, wo ist denn mein kleiner Rockstar?«
Nic wandte sich zu Liam um, der hinter ihm stand und die kleine Familie grinsend musterte. Liam war ihm in seinem Auto nach Hause gefolgt, um seine Schwester und seinen Neffen zu besuchen.
»Oh, Buddy, dich hab ich beinahe vergessen.«
»Ist euch eigentlich klar, dass ihr die Welt außerhalb dieser Wohnung völlig ausblendet?«, fragte der mit einem breiten Grinsen.
»Liam«, sagte Mia und ließ sich in die Arme ihres Bruders ziehen.
»Schwesterchen, du hast Brei in den Haaren«, sagte Liam statt einer Begrüßung, worauf Mia ihm einen Ellenbogenhieb verpasste, unverständliches Zeug murmelte und im Bad verschwand. Josh wanderte derweil von Nics Arm auf Liams, der ihn wie ein Flugzeug durch die Wohnung fliegen ließ. Josh hatte einen Riesenspaß. Dann holte der Onkel etwas aus seiner Jackeninnentasche, was schwer nach Stans Drumsticks aussah.
Während Josh vergnügt mit den Stöcken herumhämmerte, redete Liam unaufhörlich Unsinn.
»Vielleicht solltest du Stan ablösen, Josh. Du hast das mindestens ebenso gut drauf wie dieser Clown. Außerdem hast du die Gene deines attraktiven Vaters …«
»Hast du mich etwa gerade attraktiv genannt?«, fragte Nic mit zusammengekniffenen Augen und holte zwei Bierflaschen aus dem Kühlschrank. »Du machst mir Angst.«
Liam ignorierte seinen Einwand und fuhr ungerührt fort: »Und was noch viel wichtiger ist: Du bist ein Kennedy. Das heißt im Klartext, dass du eine Art Superheld bist. Natürlich nicht so old-school wie Peter Parker oder so zwielichtig wie Batman. Aber eine jugendfreie Version von Iron Man – Robert Downey junior in Windeln und mit Milch statt Alkohol. Was eine epische Vorstellung ist. Aber denk nur an seine Frauen: Scarlett Johansson, Gwyneth Paltrow … Wow.«