Bad Liar - Chayenne Smith - E-Book

Bad Liar E-Book

Chayenne Smith

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Beschreibung

Es gibt nichts, was sie mehr liebt, als das Meer. Jede freie Minute verbringt sie damit, durch das türkisfarbene Wasser des Mittelmeers zu schwimmen. Bis sich ihr Leben in nur einer Nacht komplett ändert. Durch Zufall lernt sie Luciano Farnese kennen, spürt sofort eine gewisse Anziehung zu ihm. Was sie nicht weiss, Luciano ist der Sohn des gefürchtetsten Mafiabosses ganz Italiens. Der Auftakt einer spannenden Reise voller Geheimnisse, Gefahren und Abenteuer.

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Seitenzahl: 443

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Liebe Leser/innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Diese sind:

Nötigung, Entführung, Gewalt, Alkoholmissbrauch und schwierige Familiensituationen.

Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass sämtliche genannten Namen und Ereignisse, die darin vorkommen meiner Fiktion entsprungen sind und keine Verbindung zur Realität haben.

Ich wünsche euch allen ein einzigartiges Leseerlebnis.

Eure Chayenne Smith

Für die Menschen, die immer an mich geglaubt haben <3 K. &R.

Playlist

SRTW- Survive (feat.Nyghtfall)

Novino -You&me (feat. Hanniou)

Missili- Lumen

Solo te- Ariete

Ariete- L’Ultima Notte

Michele Morrone- Another Day

Roxy Tones- Malibu Nights

Oskar Cymes- My Girl

Jhn McFly-Closer

Jozefina- Kill this Love

Imagine Dragons- Bad Liar

Tommy Dochery/ Marissa- Whole Life

Sam Tinnesz- Play with Fire

Noel Kharman- Desert Rose

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 1

Gia

Es war einer dieser perfekten Sommertage. Die Luft war warm, der Geruch von frischen Pinien und wilden Orchideen vermischte sich und kitzelte mich in der Nase. Das Geräusch der Wellen, die rhythmisch gegen die steilen Felsklippen rollten, rauschte in meinen Ohren. Über mir strahlte ein wolkenloser blauer Himmel.

Die Sonne war gerade erst über den Hügeln aufgegangen. Langsam tauchte ich einen meiner Zehen in das noch kühle Meerwasser. Noch waren wenige Touristen am nahe gelegenen Kiesstrand und die meisten Einheimischen waren zu dieser Jahreszeit auch nicht hier anzutreffen. Das musste ich ausnutzen.

Langsam schob ich mein SUP Surfboard, durch das noch flache Wasser, bis es tief genug war, dass ich darauf steigen musste. Ich setzte mich, in der Mitte auf meine Knie und begann mit ruhigen Bewegungen das Paddel durchs Wasser zu ziehen. Sodass das SUP rasch mit den Wellen, von der belebten Küste fortgetragen wurde. Ich hörte nur meinen gleichmässigen Atem, das Geräusch des SUPs, wie es leise durchs Wasser glitt sowie das Eintauchen des Paddels ins Meer. Ich liebte diese Momente der Ruhe. Langsam, aber stetig paddelte ich nun etwa dreissig Meter von der steil abfallenden Felsküste entlang. Dieser Teil war relativ unberührt, nur wenige kannten die kleinen engen und gefährlichen Wege, oberhalb der Küste. Schiffe verirrten sich, wegen der vielen schroffen Felsen, die aus dem Meer ragten auch nicht hier her.

Das Wasser um mich herum schimmerte türkisfarben und die Lichtstrahlen brachen sich darauf. Ich tauchte meine Hand langsam ins Wasser und beobachtete sogleich, wie einige kleine Fische kamen, um an ihr zu knabbern. An einem der steilen Felsen, die aus dem Meer ragten, befestigte ich mein Board, wie ich es immer tat, wenn ich hierher kam. Danach griff ich nach meinen Flossen, der Taucherbrille und meinem Schnorchel, die ich auf dem Board mitgenommen hatte und streifte eilig alles über. Meinen Bikini trug ich bereits, so glitt ich sofort ins Wasser.

In dem Moment als ich durch die Taucherbrille blickte und alles um mich herum in den verschiedensten Blau und Grün Tönen leuchtete, fühlte ich mich wie zuhause. Ich schwebte im Wasser und fühlte mich wie ein Fisch.

Es gab für mich kaum ein schöneres Gefühl auf der Welt.

Nachdem ich mich im Wasser orientiert hatte, begann ich kräftig mit den Flossen zu paddeln. Es dauerte nicht lange und ich sah sie. Anmutig wie Tänzer schwebten sie durchs Wasser, Delfine. Fünf graue Küstendelfine jagten nur wenige Meter von mir entfernt Fische und kleine Krebse. Warum sie gerade hier waren, wusste ich nicht. Ich hatte sie vor Monaten bei einem meiner Ausflüge mit dem Board zufällig entdeckt. Anfangs hatten sie sich wegen mir erschreckt, weswegen sie sofort wieder verschwunden waren. Das nächste Mal, als ich sie sah, hatte ich mehr Abstand gehalten und sie hatten mich geduldet. Jedes weitere Mal, dass ich sie danach hier besucht hatte, war ich etwas näher an sie heran getaucht und sie waren geblieben. Nun hatte ich das Gefühl, dass sie sich endlich an mich gewöhnt hatten, denn ich konnte mich frei in ihrer Nähe aufhalten oder neben ihnen her schwimmen.

Jeden Morgen kam ich nun hierher, immer blieben sie für ein, zwei Stunden, an diesem Ort, jagten, spielten und schwammen umher. Danach verschwanden sie wieder, doch am nächsten Tag waren sie wieder da. Ich hatte bis jetzt noch niemandem davon erzählt, weil ich Angst hatte, dass aus ihnen eine weitere Touristenattraktion werden würde.

Das wollte ich ihnen und mir nicht antun, denn sie waren mir mittlerweile ans Herz gewachsen.

Ich hielt immer genügend Abstand, damit ich sie in aller Ruhe betrachten konnte, ohne sie zu bedrängen. Ich bildete mir ein, sie auseinanderhalten zu können und jedes Mal, wenn ich mit ihnen tauchte, überkam mich ein regelrechtes Glücksgefühl.

Ich schwamm neben ihnen an Korallen und Seeigeln vorbei. Oftmals war ich so in Gedanken, dass ich gar nicht mitbekam wie ich mit ihnen immer weiter ins unendliche Blau des Meeres schwamm.

Manchmal ertappte ich mich bei dem Gedanken, einfach für immer mit ihnen Unterwasser bleiben zu können, ohne jemals wieder auftauchen zu müssen. In der Welt des Meeres fühlte ich mich zuhause. Ich kannte die Tiere und Pflanzen und wusste, dass sie mir nichts taten, wenn ich sie respektierte und achtgab. Alles um mich herum war friedlich.

Die Delfine hatten gerade eine kleine Gruppe Fische eingekreist, sie wollten sogleich angreifen, da schreckte sie etwas auf. Es dauerte nur einen Wimpernschlag und alle fünf waren wieder in den unendlichen Weiten des Meeres verschwunden.

Frustriert darüber, dass sie schon so früh verschwunden waren, tauchte ich auf, bevor ich mir enttäuscht die Taucherbrille vom Kopf zog. Da hörte ich, was die Delfine vertrieben hatte, ein Jet Ski näherte sich. Da ich nicht entdeckt werden wollte, versteckte ich mich hinter einem Felsen, der vor mir aus dem Wasser ragte. Ich kannte nur jemanden, der in unserer kleinen Stadt einen Jet Ski besass und kein Tourist war. Mein nerviger bester Freund Davide. Kaum war er in der kleinen Bucht angekommen und hatte das störende Brummen seines Gefährts abgestellt, begann er auch schon nach mir zu rufen.

«Gigi, ich weiss das du hier steckst, ich sehe sogar dein Board. Komm schon Nicola schickt mich, du sollst heute schon früher kommen, einer seiner Leute ist krank.»

Ich unterdrückte ein genervtes Schnauben unschlüssig, was ich tun sollte. Ich konnte ziemlich lange die Luft anhalten. Wenn ich es wollte, konnte ich durchs Wasser gleiten und unbemerkt auf die andere Seite der Bucht gelangen, ohne dass Davide mich entdecken würde und so noch etwas länger in meiner kleinen Unterwasserwelt bleiben. Aber wenn ich blieb, würde nicht nur ich, sondern auch Lucca Ärger kriegen, das wollte ich auf keinen Fall.

Davide hatte zwar eine ziemlich grosse Klappe und war das Gegenteil von mir. Dennoch war er mein bester Freund, wenn ich ihn brauchte, war er immer für mich da. Ich holte ein letztes Mal tief Luft, tauchte unter und glitt durch das schimmernde Wasser.

Unbemerkt tauchte ich kurze Zeit später neben dem Jet Ski auf.

Davide grinste auf mich herab

«Gigi du bist schlimmer als ein Fisch. Kommst du zwischendurch auch mal an die Oberfläche, um Luft zu holen?», witzelte er und hielt mir seinen braungebrannten muskulösen Arm hin, damit ich auf den Jet Ski steigen konnte. Beherzt griff ich danach, liess mich ein stückweit hochziehen, nur um mich dann mit meinem vollen Gewicht dagegen zu stemmen. Davides Augen weiteten sich erschrocken, noch ehe er sich versah, hatte ich ihn mit mir zurück ins Wasser gezogen. Prustend tauchte er neben mir auf, schimpfte

«Wofür war das denn? Du weisst das ich nicht gerne im Meer bin, wenn ich den Boden nicht berühren kann.».

Mittlerweile hatte er sein Gefährt wieder erreicht, zog sich selbst daran hoch.

«Das war dafür, dass du mir meinen freien Morgen ruiniert hast und meine Freunde vertrieben hast». Davide sass nun wieder auf seinem Jet Ski, er war klitschnass. Zum Glück trug er den ganzen Sommer über praktisch nichts anderes als seine Badehosen.

Er hielt mir ein zweites Mal die Hand hin, machte jedoch dabei nicht den Fehler sich nicht fest genug zu halten.

«Deine Freunde die Fische oder was für Freunde treiben sich hier sonst noch so rum Arielle?», sein freches Grinsen war ansteckend. Seine weissen Zähne leuchteten förmlich in seinem braun gebrannten Gesicht. Die dunkelblonden etwas längeren Haare, fielen ihm nass in die Stirn, dazu leuchteten seine grünen Augen verschmitzt.

Davide war mein bester Freund, doch ich musste dennoch zugeben, dass er äusserst attraktiv war. Endlich hatte ich mich hinter ihm auf den Jet Ski gesetzt.

«Ach halt doch die Klappe. Wir müssen mein SUP noch mitnehmen hast du wenigsten an eine Schnur gedacht?», triumphierend hielt er mir ein Seil entgegen.

«Bravo, wenigstens das», sagte ich schnippisch, doch Davide wusste, dass ich es nicht so meinte.

Während er den Jet Ski vorsichtig zwischen den Felsen zu meinem Board manövrierte, streifte ich mir meine Flossen ab und Band mir meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen.

Diese reichten mir bis zur Hüfte, waren dunkelblond wie die von Davide. Ausserhalb des Wassers trug ich sie meistens zusammengebunden. Meine Haut war ebenso braun wie seine, was der Tatsache geschuldet war, dass man uns, wenn es warm war, praktisch nur in unseren Badesachen sah.

Auch hatte ich wie Davide grüne Augen, nur waren meine von der Farbe von Seetang unter Wasser, wenn das Licht darauf schien und seine Moosgrün. Die meisten Menschen, die uns zusammen sahen, hielten uns für Geschwister. Und doch konnte unser Leben kaum unterschiedlicher sein.

Mein bester Freund hatte mein Board an dem Jet Ski angebunden und zog es nun gemächlich durchs Wasser hinter uns her. Langsam nahmen wir etwas Fahrt auf, ich hielt mich an seiner definierten Hüfte fest.

Wir waren beide noch patschnass, deshalb befürchtete ich jeden Moment von dem Ding runterzurutschen, wenn Davide mal wieder mit Schwung über eine Welle bretterte. Der warme Wind würde unsere Haut, zusammen mit unseren Badeklamotten aber noch trocknen, bevor wir den belebten Strand erreichen würden.

«Hat Nicola dir gesagt wie lang ich heute arbeiten muss?», fragte ich über den Wind hinweg über Davides Schulter. Er war ein ganzes Stück grösser als ich, so war ich mir nicht sicher, ob er mich verstanden hatte. Als er dann nur mit den Schultern zuckte, wusste ich, dass er es doch tat.

Nicola war mein Stiefvater, ihm gehörte eine Strandbar samt Restaurant und Liegestuhlverleih an einem der schönsten und beliebtesten Sandstrände in San Aurelio, wo ich praktisch mit zum Inventar gehörte. Mal half ich in der Küche aus, führte die Touristen zu ihren Sonnenliegen, mixte Cocktails am Abend oder half bei der Kinderbetreuung mit. Das alles an der ligurischen Küste umgeben von Sonne, Strand und Meer. Das hörte sich für die meisten Menschen nach einem absoluten Traumjob an.

Für mich war es jedoch der absolute Albtraum.

Nicht weil mir meine Arbeit nicht gefiel, sondern weil ich damit immer in Nicolas Nähe war.

Obschon das, das Letzte war, was ich wollte.

Zum Glück musste ich dort nur während der Sommermonate arbeiten, in der Nebensaison arbeitete ich in dem Hotel, das Davides Eltern gehörte. Es war ein schickes, kleines Boutique Hotel mit Pool, einem wunderschönen Garten und einer Steintreppe die bis zum Meer führte. Der einzige Wermutstropfen war, dass Davide in der Nebensaison, wenn ich im Hotel arbeitete, sein Architekturstudium in Rom machte. Er war die meiste Zeit des Jahres nicht hier in San Aurelio, nur die Sommerferien verbrachte er hier. Genau in der Zeit, in der ich praktisch in der Strandbar meines Stiefvaters lebte, mich nur morgens für ein paar Stunden zum Meer schleichen konnte. So hatte ich das Gefühl, dass wir uns langsam immer weiter voneinander entfernten.

Es war nun schon das zweite Jahr, in dem wir uns nur im Sommer sahen. Zwar hielten wir durch die sozialen Medien Kontakt, telefonierten auch zwischen durch, doch ich fühlte mich immer mehr, als würde ich nicht mehr in Davides Welt passen.

Dieses Gefühl überkam mich auch wieder, als, wir die Strandbar meines Stiefvaters erreichten und Davide den Jet Ski im seichten Wasser befestigte.

«Davide wo warst du denn?», hörte ich die hohe Stimme einer langbeinigen, Schönheit mit dunkelbraunen Haaren und Bikinifigur, in einem sitzenden roten Strandkleid, Bianca. Davides Freundin, die er samt einiger anderer Studienkollegen für zwei Wochen in das Hotel seiner Eltern eingeladen hatte. Und die nun den ganzen Tag in der Strandbar meines Stiefvaters abhingen, während ich ihnen einen Cocktail, nach dem anderen brachte oder den Schirm umstellte.

Mein Leben war ein absoluter Traum, das hatte ich schon immer gewusst.

«Ich habe Gigi geholt, sie muss heute etwas früher arbeiten», hörte ich Davide entschuldigend mit seiner Freundin sprechen. Ich wollte mich schon aus dem Staub machen, da entdeckte sie mich hinter ihm und betrachtete mich wie ihre Erzfeindin und nicht wie die beste Freundin ihres festen Freundes.

Ich fühlte mich sofort unwohl, in meinem blauen Lieblingsbikini, der etwas knapp ausfiel, da ich ihn vor zwei Jahren gekauft hatte und seitdem etwas mehr Rundungen bekommen hatte.

«Gigi», sie sagte meinen Namen wie ein Schimpfwort und wäre Davide nicht zwischen uns gestanden, hätte ich ihr gesagt, was ich wirklich von ihr dachte.

So lächelte ich nur kühl «Bianca.»

«Ich habe dich gar nicht gesehen, du bist ja so klein und zierlich. Sag mal wie alt bist du eigentlich? Ich habe dich das noch gar nie gefragt». Bevor ich ihr eine patzige Antwort geben konnte, war Davide bereits zwischen uns getreten und sprach beschwichtigend mit Bianca

«Amore, ich habe dir schon gesagt, dass wir zusammen in der Schule waren. Sie ist nur ein Jahr jünger als ich also einundzwanzig.»

«Tatsächlich, das hätte ich gar nicht gedacht», stichelte Bianca weiter, betrachtete mich immer noch wie ein lästiges Übel. Ich hielt das ganze Theater nicht mehr aus. Deshalb sagte ich lediglich knapp

«Dein Freund hat übrigens recht, ich bin einundzwanzig. Heute gibt es einige Quallen im Meer also passt auf. Schönen Tag euch zwei», dabei hob ich die Hand zum Gruss und verschwand im Restaurantbereich.

Ich konnte noch sehen, wie Bianca ihr Gesicht verzog und konnte mir ein Lachen gerade noch verkneifen.

Meine Belustigung verging mir schneller als gedacht.

Schon als ich durch die Tür des Restaurants trat und Nicola verärgert hinter der Theke stehen sah, der mich sofort bemerkte und seinen Blick über meinen Körper gleiten liess.

Unwohl verschränkte ich die Arme vor der Brust, um mich wenigstens ein wenig sicherer zu fühlen. Ich wollte gerade in den hinteren Bereich, zu meiner Garderobe gehen, um mich umzuziehen, da stellte sich mir mein Stiefvater bereits in den Weg.

«Wo warst du? Du hättest vor einer Stunde hier sein müssen! Gabriella ist krank, schon wieder und ich habe nicht genug Personal hier», beschwerte er sich lautstark. Einige Gäste drehten sich deswegen zu uns um. Mir war die ganze Situation äusserst unangenehm.

Jedes Wort, das ich mit Nicola wechselte, war eines zu viel. Er schien oberflächlich betrachtet kein schlechter Mensch zu sein. Arbeitete hart und war damit mehr als erfolgreich. Seine Angestellten behandelte er freundlich und bezahlte sie fair. Auch sah er gar nicht aus, als wäre er der Stiefvater einer Einundzwanzigjährigen.

Er war Ende dreissig, gross, dunkelhaarig und wurde von den meisten weiblichen Touristen mit einem wehmütigen Blick belegt.

Trotzdem oder gerade deshalb konnte ich ihn nicht ausstehen.

Meine Mutter war einige Jahre älter als er gewesen, als sie zusammengekommen waren. Anfangs fand ich ihn nett, immer höflich, doch auch ich bemerkte die Blicke, die er anderen Frauen zuwarf. Meine Mutter tat anfangs so, als machte es ihr nichts aus. Doch dann wurde sie schwanger mit den Zwillingen.

Da es eine späte Schwangerschaft war, hatte sie viele Schwierigkeiten und ich machte mir viele Sorgen um sie.

Als die zwei endlich da waren, dachte ich, es würde ihr endlich besser gehen, doch das Gegenteil geschah.

Eines Tages war sie dann einfach weg, niemand wusste wohin. Ich war damals vierzehn und stand plötzlich ohne Mutter und Vater da. Nicola bot mir an, bei ihm und den Zwillingen zu bleiben.

Da ich keine andere Möglichkeit sah und die Zwillinge das Einzige waren, was mir von meiner Mutter geblieben war, nahm ich das Angebot an.

Doch seitdem gab ich ihm insgeheim immer die Schuld daran, dass meine Mutter uns verlassen hatte.

Ich hasste ihn, mit jedem Tag, den sie nicht bei uns war mehr.

Doch wegen der Zwillinge blieb ich. Je älter ich wurde, desto mehr zerrüttete unser Verhältnis.

Da ich meiner Mutter sehr ähnlich sah, erinnerte auch ich meinen Stiefvater immer daran, dass sie uns verlassen hatte. Bei jedem grösseren Streit warf er mir vor, so wie sie zu sein. Irgendwann war das Band, das uns verbunden hatte, so stark zerrüttet, dass wir nur noch das Nötigste miteinander sprachen. Wir waren zu der stillen Übereinkunft gekommen, dass ich in der Strandbar arbeiten konnte, um die Kosten für mein kleines Studio in San Aurelio zu finanzieren. Da ich so viel Geld sparen wollte, wie ich konnte, wofür wusste ich noch nicht, sprang ich fast immer als Aushilfe ein.

Die Zwillinge, die mittlerweile acht waren, sah ich so auch täglich, da sie immer nach der Schule ins Restaurant kamen, um zu spielten. Solange sie noch so klein waren, wollte ich das auf jeden Fall noch etwas länger so machen. Der einzige Nachteil daran war, dass ich auch Nicola ständig sah.

«Es tut mir leid, ich war tauchen. Aber jetzt bin ich ja da», ich zuckte entschuldigend mit den Schultern. Als würde ich nicht wissen, was jetzt kommen würde.

«Tauchen?! Gia wann lernst du es endlich, das Meer ist gefährlich. Du kannst nicht einfach Tauchen gehen. Ohne jemandem zu sagen wo du hingehst! Ausser Davide weiss ja kaum jemand wo man dich findet. Sag das nächste Mal Bescheid. Ja?! Und nun geh dich umziehen die Gäste warten». Dabei gab er mir einen freundschaftlichen Klaps auf den Arm und liess mich endlich zur Garderobe durch. Ich erinnerte Nicola zwar sehr an meine Mutter, doch trotzdem hatte er in den Jahren seit ihrem plötzlichen Verschwinden Verantwortung für mich übernommen. Oder er konnte den Gedanken daran nur schlecht ertragen, dass noch einmal jemand, der ihm nahestand verschwand. So genau konnte ich das nicht sagen, dennoch ärgerte mich seine Sorge mehr, als dass sie mich rührte. Ich war mittlerweile einundzwanzig und konnte selbst auf mich aufpassen.

Seitdem ich von meinem Meeresausflug zurück war, stand ich nun schon hinter der Bar im vorderen Teil des Restaurants, mit Blick auf das Meer.

Es war mittlerweile kurz nach acht Uhr abends, die Sonne ging langsam über dem Wasser unter.

Der Himmel verfärbte sich allmählich in den schönsten Pastelltönen, gemütliche Chill Out Musik wummerte im Hintergrund.

Doch ich hatte keine Zeit, das zu geniessen. Dutzende Menschen standen vor mir an der Bar, verlangten Cocktails in allen Farben, Grössen und Geschmacksrichtungen.

Neben mir arbeitete noch ein weiterer Angestellter an der Bar.

Er war noch neu und hatte noch wenig Erfahrung gesammelt. So dass ich die meisten Getränke selbst zubereiten musste.

Langsam wehte eine kühle Meeresbrise zu mir herüber und trug den Duft von Salzwasser und Seetang zu mir. Wie viel lieber würde ich jetzt durch das Wasser gleiten, anstatt hier zu stehen und diesen Menschen darunter waren auch Davide, Bianca und ihre Clique, Getränke zuzubereiten.

Der Schweiss lief mir im Nacken zusammen. Ich musste das Zittern meiner Hände unterdrücken, wenn ich schon wieder eine noch fast neue dadurch schwere Flasche hochheben musste, um einen Cocktail zu mixen. Dutzende Mojitos, Sex on the Beach, Blue Lagon, Bierflaschen und Whiskey Gläser schoben sich über die Theke.

Ich war seit sechs Uhr morgens auf den Beinen, hatte nichts gefrühstückt und nur eine kurze Mittagspause eingelegt, in der ich ein halbes Panino heruntergewürgt hatte, weil mir zu mehr einfach die Lust gefehlt hatte.

Die Zwillinge Dorian und Matteo hatte ich am Nachmittag auch nur kurz gesehen, bevor sie mit ihrer Nanny nach Hause gegangen waren. Da ich einfach zu beschäftigt gewesen war.

Mir war etwas flau im Magen, ich sollte dringend eine Pause machen, um etwas zu essen. Doch ich konnte den neuen Angestellten nicht hier alleine lassen. Die Gäste würden sich beschweren, Nicola würde kurzen Prozess machen und ihn feuern.

Das wollte ich auf keinen Fall, also musste ich mich zusammenreissen. Gerade trat ein neuer Gast zu mir an die Bar.

Ich merkte sofort, dass er sich von den übrigen Gästen unterschied.

Er war gross, mindestens eins neunzig dazu muskulös. Neben einer dunklen Sonnenbrille, die er um diese Uhrzeit nicht brauchte, war er ganz in Schwarz gekleidet.

Er trug dunkle Shorts, ein dunkles Shirt und schwarze Schuhe. Seine Haare hatten die Farbe von dunkler Schokolade und waren seitlich kürzer als oben, ein Bartschatten umgab sein markantes Kinn.

Ich war vom ersten Moment an von ihm fasziniert.

Doch ich wollte es mir unter keinen Umständen anmerken lassen.

Deshalb hob ich lediglich fragend die Augenbrauen, damit er mir mitteilen konnte, was trinken er wollte.

«Eine Cola bitte.» Seine raue, tiefe Stimme klang wie Musik in meinen Ohren. Doch ich glaubte fast, mich verhört zu haben. Die einzigen alkoholfreien Getränke, die ich heute an der Bar ausgeschenkt hatte, waren für zwei schwangere Frauen gewesen.

«Sie meinten einen Whiskey Cola und ich habe sie nur falsch verstanden, richtig?», versuchte ich, die Situation möglichst unauffällig zu retten. Der Typ, der nur kurz den Kopf in meine Richtung gedreht hatte, um mir seine Bestellung mitzuteilen, richtete nun seine gesamte Aufmerksamkeit auf mich.

Es war, als würde er mich das erste Mal richtig bemerken.

Sein Blick glitt über meine knappe, türkisfarbene Hose und mein blaues Top mit dem Schriftzug der Bar, das zu meiner Arbeitsuniform gehörte. Wanderte höher und blieb dann an meinen grünblauen Augen hängen.

Sofort überzog eine Gänsehaut meinen gesamten Körper, ich konnte zwar seine Augen durch die Sonnenbrille nicht erkennen, doch ich wagte es kaum noch, mich zu rühren.

Die Schlange hinter ihm wurde immer länger, doch ihn schien es nicht zu stören, mich allerdings schon. Endlich begann er wieder zu sprechen und seine Stimme klang nun schon etwas wärmer, da er mit einem Lächeln auf den Lippen sprach.

«Nein du hast mich schon richtig verstanden, bitte eine Cola.» Ich hätte einfach nur nicken und ihm eine Cola geben können. Doch ich konnte meinen Mund in diesem Moment einfach nicht halten, obschon das sonst nicht meine Art war.

«Sie sind also trockener Alkoholiker?», fragte ich frech. Noch bevor ich meine Worte bereuen konnte. Hörte ich sein Lachen.

Es war ein angenehmes Geräusch doch etwas zu laut. Ich sah erschrocken, wie Nicola nun in unsere Richtung blickte, sich seine Augen dabei weiteten.

Kein gutes Zeichen, wenn ich meinen Job behalten wollte, musste ich mich sofort entschuldigen.

Ohne noch länger zu zögern, holte ich eine Cola aus dem Kühlschrank, legte sie blitzschnell vor ihn auf den Tisch. Dabei murmelte ich entschuldigend.

«Es tut mir leid, das war nicht angebracht, geht aufs Haus.» Meine Hände zitterten mittlerweile nicht nur dadurch, dass ich zu wenig gegessen hatte, nein die Anwesenheit dieses Mannes verstärkte das Ganze nur noch mehr.

Ich wollte mich schon dem nächsten Gast zuwenden. Da spürte ich, wie sich eine warme Hand auf meine eiskalten, zitternden Finger legte. Er beugte sich über die Theke, flüsterte mir ins Ohr.

«Entschuldige dich niemals dafür, das auszusprechen, was andere sich nicht trauen. Im Übrigen bin ich kein trockener Alkoholiker, ich arbeite gerade.» Dabei nickte er in eine Richtung, in der noch mehr dunkel gekleidete Männer sassen.

Zwischen ihnen Nicola, der versuchte irgendetwas zu erklären.

Ich bekam es mit der Angst zu tun.

Die dunkel gekleideten Männer waren mir vorher nicht aufgefallen, das konnte nur bedeuten, dass irgendein Gangster gerade sein Schutzgeld bei Nicola einzutreiben versuchte.

Und jeder in diesem Land wusste, was geschah, wenn man dieses nicht bezahlen konnte. Erschrocken flüsterte ich «Ihr tut ihm doch nichts oder? Er ist mein Stiefvater.»

Ich konnte sehen, wie er nun seine Augenbrauen hob.

«Dein Stiefvater?»

«Ja», bestätigte ich mit einem nicken.

«Ich werde sehen, was sich machen lässt.»

Damit trat er von der Theke zurück und lief zu der Gruppe der Männer. Es schien, als würden ihm alle Platz machen, aber dass konnte nicht sein. Denn er war mit Abstand der jüngste von ihnen.

Ich musste dringend etwas Essen, ich begann langsam zu halluzinieren. Aber ich wollte auch unbedingt sehen, was nun geschehen würde.

Doch leider war das nicht möglich, ich musste mich nun um die Gäste kümmern. Wenn ich später die Gelegenheit dazu bekam, würde ich bei Nicola nachfragen, was es mit diesen Männern auf sich hatte.

Kapitel 2

Gia

Als ich endlich Feierabend machen konnte, war es bereits nach halb ein Uhr morgens. Höchste Zeit für mich, ins Bett zu kommen.

Nicola war etwa vor einer Stunde gegangen, er hatte nicht sonderlich beunruhigt ausgesehen. Also machte ich mir, wegen des Erscheinens der Typen auch keine Sorgen mehr.

Ich war gerade dabei sämtliche Eingänge abzuschliessen, als ich einige Menschen zusammen flüstern hörte.

Sofort war ich wieder hellwach.

Es war nicht ungewöhnlich, dass auch nachts Menschen am Strand waren. Doch in der Regel sprachen diese in normaler Lautstärke miteinander. Wenn sie flüsterten, konnten sie nur etwas zu verbergen haben. Ich lief langsam von aussen um das Restaurant herum, als ich vier dunkle Gestalten am Eingang entdeckte.

Mir fiel sofort das Herz in die Hose.

Es waren einige der dunkelgekleideten Typen, die vorhin auch im Restaurant gewesen waren. Da bereits alle Lichter im Restaurant gelöscht worden waren, hatten sie vermutlich angenommen, dass niemand mehr hier war.

Mist, was sollte ich jetzt bloss tun? Der Weg am Strand war beleuchtet und wenn ich weg zu gehen versuchte, würden sie mich sofort entdecken. Vielleicht musste ich nur noch etwas hier herumstehen und sie würden ganz von alleine verschwinden.

Während ich schwer atmend an der Aussenwand des Restaurants lehnte, drangen einige Gesprächsfetzen zu mir.

«Wir sollten ihm trotzdem einen Denkzettel verpassen.»

«Der Boss hat gesagt wir sollten es lassen.»

«Du weisst was mit denen passiert, die sich gegen ihn stellen.» «Er könnte mein Sohn sein, dieser Kerl hat keine Ahnung von dem Geschäft.»

Ich wusste zwar nicht über wen sie Sprachen, aber sie schienen sich uneinig darüber zu sein, was sie nun tun sollten.

Hinter mir auf dem Meer hörte ich ein Frachtschiff laut hupen.

Ich war für einen kurzen Moment abgelenkt.

Sodass ich erst bemerkte, dass sich die vier dazu entschlossen hatten Hinten rum ins Restaurant einzusteigen, als es bereits zu spät für mich war ein anderes Versteck zu suchen.

Als ich die schlurfenden Schritte durch den Sand neben mir hörte. Noch ehe ich überhaupt den Versuch wagen konnte zu fliehen, hatte mich bereits einer der schmierigen Typen am Arm gepackt. Die anderen drei kamen dicht zu uns heran und standen in einem Halbkreis um mich herum, so dass es unmöglich für mich war zu fliehen.

«Na wen haben wir den da», sagte der, der mich am Arm gepackt hielt, damit ich nicht davonlaufen konnte. Er war riesig, bullig und roch nach Schweiss und billigem Parfüm.

«Die Kleine arbeitet hier. Ich habe gesehen, wie sie an der Bar stand», bemerkte einer der Typen.

«Wollte uns wahrscheinlich belauschen, keine Ahnung wie viel sie mitgekriegt hat», fügte ein anderer hinzu. Endlich löste ich mich aus meiner Schockstarre.

«Lass mich sofort los. Ich habe nichts gehört. Ich war nur dabei hier abzuschliessen. Ich wollte nur nachsehen, ob auch wirklich alles abgeschlossen ist», beteuerte ich und hoffte das sie nicht hörten wie meine Stimme zitterte. Der vierte Typ, der bis jetzt noch nichts gesagt hatte, mischte sich nun ins Geschehen ein.

«Ich glaube ihr nicht. Ich habe gesehen wie sie mit ihm geredet hat. Wenn heraus kommt was wir gesagt haben, verpassen sie uns noch heute Nacht eine Kugel. Am besten wir nehmen sie erst einmal mit ins Quartier. Später entscheiden wir darüber, was mit ihr passiert.» Damit drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und lief zurück Richtung Strasse.

Er schien wohl ihr Anführer zu sein, denn ohne weiter darüber zu diskutieren, was mit mir geschehen sollte, liefen auch die drei anderen, mit mir als Gefangene hinter ihm her.

Ich hatte keine Ahnung, was jetzt mit mir geschehen würde. Ich versuchte mich gegen den festen Griff des Riesen zu weheren. Schlug und trat um mich. Ich war kurz davor, in Panik um Hilfe zu schreien, so laut ich konnte.

Doch der Gedanke daran, dass die vier mich dann vermutlich einfach hier erdrosseln würden, hielt mich davon ab.

An der Strasse angelangt, zerrten sie mich zu einer schwarzen unscheinbaren Limousine. Sie beförderten mich auf den Rücksitz.

Je einer setze sich links und rechts neben mich. Die anderen beiden setzten sich nach vorne. Ruckartig wurde mein Kopf zur Seite gerissen und einer der Männer verband mir die Augen mit einem Tuch.

Sie wollten vermeiden, dass ich den Weg zu ihrem Quartier sah.

Mein Herz schlug wie verrückt, ich war kurz davor das Bewusstsein zu verlieren.

Doch wenn ich noch irgendeine Chance haben wollte lebend zu entkommen, musste ich wach bleiben.

Um herauszufinden, wohin sie mich bringen würden.

Meine Hände waren vom Schweiss durchnässt, noch dazu eiskalt.

Ein Zündschlüssel wurde umgedreht, der Motor erwachte röchelnd zum Leben, das Fahrzeug setzte sich langsam in Bewegung.

Da meine Augen nun verbunden waren, nahm ich alle Geräusche, um mich herum besonders gut war.

Der Mann rechts von mir trommelte mit seinen Fingern auf seine Oberschenkel, der links von mir kratze sich gerade am Kopf.

Um mich herum schwirrte ein kleiner lästiger Moskito.

Der Wagen fuhr zuerst eine Weile gerade aus, bog dann nach rechts und nahm dann eine links Kurve, ehe er auf einem Kiesparkplatz zum Stehen kam. Wenn mich mein Orientierungssinn nicht täuschte, mussten wir nun etwa in der Nähe des Hafens sein.

Ich hörte, wie die Türen geöffnet wurden und die Männer ausstiegen. Kurz darauf wurde ich nach draussen gezerrt.

Der Geruch von Öl und Meerwasser stieg mir in die Nase. Ich hatte mit meiner Vermutung richtig gelegen.

In der Nähe befand sich ein Hafen.

Das Meer musste ebenfalls unweit von hier sein.

Meine Hände und Beine waren nach wie vor nicht gefesselt. Nur einer der Männer hielt meinen Arm wie einen Schraubstock gefangen. Doch das würde sich bestimmt bald ändern, wenn wir in ihrem Hauptquartier angelangt waren. Was dann dort mit mir geschehen würde, darüber konnte ich nur spekulieren.

Die schrecklichen Geschichten über Mafiaopfer waren mir bekannt.

Ich wollte nicht als ein solches Opfer enden.

Ich musste handeln und selbst über mein Schicksal entscheiden, solange ich dazu noch in der Lage war.

Ich hörte, wie drei der Männer vorausliefen und ich mit meiner lebenden Armfesseln ihnen im Schlepptau folgte. Ich wusste nicht, ob mich der Kerl die ganze Zeit ansah, oder ob er zu seinen Kollegen nach vorne schaute. Rasch hob ich meinen freien Arm, zog mir mit einer schnellen Bewegung die Augenbinde, auf der von dem Mann abgewandten Seite etwas nach unten.

So konnte ich wenigstens mit dem einen Auge ein wenig sehen.

Was ich sah, beunruhigte mich, leider nur noch mehr.

Die drei waren in ein kleines Fischerhäuschen getreten.

Das musste ihr Quartier sein. Nur noch wenige Meter und mein Schicksal wäre besiegelt. Ich musste handeln und dass schnell.

Suchend streifte mein Auge durch die Dunkelheit. Viel erkennen konnte ich dabei nicht. Ein paar kleine Fischerboote waren an Land gezogen worden. Überall lag Müll und anderer Unrat herum.

Plötzlich entdeckte ich etwas Silbernes am Boden, eine Metallstange.

Ich handelte instinktiv, zuerst tat ich so, als würde ich stolpern.

Fiel nach unten, packte die Metallstange und noch bevor der Typ, der mich festhielt, reagieren konnte, hatte ich ihm diese Metallstange schon mit aller Kraft über den Kopf gezogen.

Er schrie vor Schmerz auf, liess in dem Moment meinen Arm los.

Ohne auch nur eine Sekunde zu warten, rannte ich los.

Ich stolperte über all den Müll, zog mir die Augenbinde nun ganz hinunter und rannte zwischen den Fischerbooten hindurch. Hinter mir hörte ich bereits die wütenden Stimmen und Schritte meiner Verfolger, die immer näher zu kommen schienen. Ich kannte mich hier nicht aus, wenn ich nicht schnellstens den Weg zum Meer fand, würden sie mich einholen. Wenn sie mich nun erwischten, würden sie sich bestimmt nicht noch einmal überlegen, was sie mit mir tun würden, sondern mich sofort töten.

Meine einzige Chance zu entkommen war das Meer.

Ich hatte keine Angst, auch nachts im Meer zu schwimmen. Ich konnte lange Unterwasser bleiben, in der Nacht würden sie mich auch mit einem Boot nur mit viel Glück wiederfinden.

Doch im Moment war ich ziemlich orientierungslos, rannte nur kreuz und quer herum.

Endlich hörte ich das vertraute Rauschen der Wellen, lief nun gerade darauf zu.

Noch bevor ich das Meer erreichte, zog ich mir im Laufen meine Schuhe aus. Rannte auf den Steg und sprang mit einem Kopfsprung leise hinein.

Ich tauchte tief unter, um mich herum nur eine all umfassende Dunkelheit. Ich schwamm in die Richtung des offenen Meeres, weg von der Küste um meinen Verfolgern zu entkommen.

Sofort wurde mein Herzschlag ruhiger, meine Bewegungen koordinierter. Das Meer uns seine Ruhe, gingen automatisch auf mich über, ich fühlte mich sogleich geborgen und sicher. Ich versuchte, so lange unten zu bleiben, bis mir die Luft ausging.

Als ich an der Oberfläche angelangt gierig nach Luft sog, sah ich, dass ich mich ein ganzes Stück von der Küste entfernt hatte. Nun auf dem offenen Meer schwamm. Ich sah wie ein kleines Fischerboot an der Küste entlang, mit einem Scheinwerfer das Meer absuchte.

Das mussten meine Verfolger sein.

So konnte es schwierig werden wieder zurück an Land zu kommen.

Ich fühlte mich zwar sicher im Meer, aber noch weiter hinaus, wollte auch ich jetzt lieber nicht schwimmen. Das Meer war kühl, zudem war ich von den ganzen Ereignissen bereits leicht geschwächt.

Es musste noch eine andere Möglichkeit geben. Ziemlich weit draussen auf den Wellen sah ich das Licht eines Schiffes, es bewegte sich nicht, gut möglich, dass es dort für die Nacht geankert hatte.

Wenn ich es bis zu diesem Schiff schaffen würde, konnte ich dort jemanden um Hilfe bitten.

Ich sah wieder zur Küste, wo nun ein zweites Motorboot, mit dem Scheinwerfer die Küste abfuhr. Es würde vermutlich nicht mehr lange dauern und sie würden auch etwas weiter draussen auf dem Meer nach mir suchen. Ich hatte keine andere Wahl, ich musste dieses Schiff dort draussen erreichen.

Ein, zweimal holte ich tief Luft, dann begann ich mit raschen Kraulbewegungen zu schwimmen.

Dort draussen auf dem Meer herrschte eine starke Strömung, ich musste all meine Willenskraft aufbringen, um nicht einfach aufzugeben, so verzweifelt war ich mittlerweile.

Ich schwamm oft im Meer aber so weit draussen nur selten.

Zudem hatte ich die Strömung unterschätzt. Doch auf einmal drehte der Wind etwas, und auch die Strömung schien mich nun in Richtung des Schiffes zu bringen. Ich war nicht mehr weit von dem Licht, das ich als Schiff ausgemacht hatte entfernt.

Als der Mond zwischen den Wolken hervorkam.

Das was nun vor mir lag, in ein weissblaues Licht tauchte.

Mir stockte der Atem.

Vor mir auf dem wiegenden schwarzen Meer ankerte nicht irgendein Schiff. Es war die grösste Yacht, die ich je gesehen hatte. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass es Nacht war oder an etwas anderem. Aber von dem Schiff ging eine gefährliche Energie aus.

Schwarz und bedrohlich wiegte es sich auf dem dunklen Meer.

Wäre es nicht meine einzige Rettung gewesen, hätte ich am liebsten umgedreht und wäre auf ein anderes Schiff zu geschwommen.

Doch weit und breit umgab mich nichts als das dunkle endlose Meer, vor einem von Wolken verhangenem Himmel.

Ich konnte die Lichter der Küste noch erkennen.

Doch ich wusste, dass ich es ohne eine Pause auf keinen Fall wieder zurückschaffen würde.

Langsam schwamm ich auf die Yacht zu.

Es war dunkel, nur auf dem Oberdeck leuchteten vereinzelt Lampen. Am hinteren Teil entdeckte ich eine Leiter. Froh darüber, zog ich mich erstmals aus dem Wasser und blieb schwer atmend, auf der Leiter sitzen. Mein Körper zitterte verräterisch, eine eiserne Kälte ergriff mich. Ich war unterkühlt und musste schnellstens jemanden um Hilfe bitten. Mühsam zog ich mich die restlichen Tritte der Leiter empor.

Doch weit und breit sah ich niemanden, der mir helfen konnte.

Die Kraft laut um Hilfe zu rufen, hatte ich längst verloren.

Ich versuchte noch ein, zwei Schritte zu gehen, bevor ich das Bewusstsein verlor und hart auf dem Unterdeck aufschlug.

Kapitel 3

Luciano

«Boss, wir haben ein Problem.» Die Stimme meiner rechten Hand und besten Freundes Michael donnerte durch mein Zimmer, als ich gerade nur mit einer Jogginghose bekleidet aus dem Bad trat. Es war fast zwei Uhr morgens, was konnte so wichtig sein, dass er mich um diese Uhrzeit damit belästigte.

«Was gibt’s?», fragte ich und versuchte dabei, nicht so genervt zu klingen, wie ich mich gerade fühlte.

«Der Sicherheitsdienst hat gerade ein Mädchen auf dem Unterdeck gefunden.»

Nun hatte er definitiv meine Aufmerksamkeit, ich drehte mich rasch zu ihm um.

«Wie bitte?! Und wie hat sie es auf unser Schiff geschafft?», verlangte ich eine Erklärung von ihm.

«Wir wissen es nicht. Sie ist bewusstlos. Einer der Crew meinte sie sei stark unterkühlt, ihre Kleidung war nass. Vielleicht ist sie von einem Schiff gefallen oder ist bis hierher geschwommen.»

Nachdem er mich darüber informiert hatte, blickte er zu Boden, als würde ihm selbst die Antwort nicht gefallen, die er mir gerade gegeben hatte. Das klang einfach zu absurd, die Küste war mindestens zwei Kilometer entfernt. Wer würde so etwas freiwillig schwimmen, noch dazu mitten in der Nacht.

«Bring mich zu ihr.»

Ohne zu zögern, öffnete er die Tür meiner Kabine und brachte mich in das Quartier der Crew. Dort hatte die Ankunft des Mädchens für mächtig Aufregung gesorgt, fast alle waren trotz der späten Stunde hellwach. Michael führte mich zu einer Einzelkabine im hinteren Bereich. Er öffnete mir die Tür, liess mich dabei jedoch als Erster hindurch treten.

Doch als ich sah, wer da in dem Bett in der Kajüte lag, blieb ich wie angewurzelt im Türrahmen stehen.

Sie war es.

Das Mädchen, dass mir, seit heute Abend, nicht mehr aus dem Kopf ging.

Sie war es die sich geweigert hatte, mir eine Cola zu servieren, mich dabei mit ihren grünblauen Augen angestrahlt hatte. Nun lag sie reglos im Bett. Ihre langen honigblonden Haare verteilten sich über die Decke. Sie war blass, wirkte mehr tot als lebendig.

«Ist etwas?», erkundigte sich nun Michael, der hinter mich getreten war.

«Ich kenne sie, sie war heute in dieser Bar in San Aurelio.»

«Denkst du es könnte eine Falle sein?», wollte Michael von mir wissen.

«Ich glaube nicht, hatte sie denn irgendwelche Waffen bei sich?»

«Eine der Crewmitglieder musste ihr ihre nassen Sachen ausziehen, weil sie so stark unterkühlt war. Er hat nichts Aussergewöhnliches bemerkt. Sie trug nur das da», Michael nickte und deutete auf einen Stuhl, an dem ihre nassen Sachen zum Trocknen ausgelegt waren.

Es war die türkise Arbeitsuniform der Strandbar. Also war sie noch gar nicht zuhause gewesen, um sich umzuziehen.

Was war passiert, wie war sie auf meine Yacht gelangt?

Tausend fragen schwirrten mir durch den Kopf. Aber zu allererst musste ich dafür sorgen, dass sie wieder zu Bewusstsein kam, denn dann würde sie mir vermutlich meine Fragen selbst beantworten können.

«Michael, wir müssen dafür sorgen, dass sie wieder zu Bewusstsein kommt. Lass einen Arzt vom Festland kommen, sofort», wies ich meinen Freund an.

«Ich bringe sie in meine Kabine dort hat sie mehr Platz.»

Ohne weiter darüber nachzudenken, was ich tat, wickelte ich sie in eine Decke und hob sie hoch. Sie war so leicht wie eine Feder und wog nichts in meinen Armen. Aus Versehen berührte ich sie an den Beinen und erschrak, wie fürchterlich kalt sie war.

«Tim sollte da nicht noch eine Wärmedecke im Notfallkoffer sein», schnauzte ich einen meiner Angestellten wütend an, während ich das Mädchen in meine Kajüte trug.

Ich legte sie behutsam auf mein Bett und begann durch die Decke hindurch ihre Arme und Beine zu reiben, um die Blutzirkulation anzuregen. Noch immer gab sie kein Lebenszeichen von sich. Kurze Zeit später trat Tim mit einer Wärmedecke ins Zimmer. Ich wies ihn an, die Decke über ihr auszubreiten, danach schickte ich ihn aus dem Zimmer.

Ich rückte etwas näher zu ihr heran, berührte sie dabei leicht an der Wange. Sie war schon ein wenig wärmer, zum Glück. Doch ihre Arme waren immer noch ziemlich kalt.

Wenigstens hörte ich nun ihren gleichmässigen Atem, das beruhigte mich etwas.

Ich kannte dieses Mädchen zwar gar nicht, wusste noch nicht einmal ihren Namen. Doch wollte ich unbedingt noch einmal, in ihre wunderschönen grünblauen Augen blicken, die mich vom ersten Augenblick, als ich sie an der Bar gesehen hatte, fasziniert hatten.

Als hätte sie meine Gedanken gehört, begannen auf einmal ihre Augenlider zu flattern und zwei leuchtend grünblaue Augen blickten mir entgegen. Erschrocken sah sie sich um, als sie mich neben sich entdeckte, schrie sie erschrocken auf. Setzte sich auf, hielt die Decke fest umklammert und rutschte blitzschnell, an die äusserste Ecke des Bettes.

«DU», schrie sie panisch «Bitte, bitte bring mich nicht um. Es tut mir so leid, ich werde niemandem davon erzählen aber töte mich nicht», schluchzte sie ausser sich, hielt dabei die Decke schützend vor ihren Körper, während ihr die Tränen über die Wangen und die vollen Lippen liefen.

Ich hob überrascht meine Augenbrauen.

Warum war sie bei meinem Anblick so eingeschüchtert, wusste sie etwa doch, wer ich war und hatte es sich an der Bar einfach nicht anmerken lassen?

«Warum sollte ich dich umbringen?», fragte ich stattdessen.

Sie sah mich einen Moment überrascht an «Die Leute mit denen du in der Bar warst. Sie haben mich entführt. Ich dachte ich sei ihnen entkommen, als ich zu diesem riesigen Schiff schwamm. Aber da du jetzt auch hier bist....», sie liess den Satz so in der Luft stehen.

Tausend Fragen schossen mir auf einmal durch den Kopf.

Die Wichtigste aber war, wessen Kopf deswegen würde rollen müssen. Das Mädchen, das hier auf meinem Bett lag, dessen Namen ich immer noch nicht kannte, dachte also, ich würde für diese Kleinstadtgangster aus San Aurelio arbeiten.

Dabei war ich letzte Nacht nur auf den Wunsch meines Vaters eingegangen, wieder etwas mehr Präsens zu zeigen. Ich arbeitete nicht für sie, ich hatte auch keine Geschäfte mit ihnen am Laufen. Meine Familie kümmerte sich nur darum, dass die ganze Kriminalität nicht aus dem Ruder lief. Als eine Art richtende Instanz.

Mein Vater hatte zwar als Krimineller angefangen, dann aber ein Handelsunternehmen aufgebaut. Das Schwarzgeld reingewaschen und war damit mehr als erfolgreich geworden. Doch das alles schien dieses Mädchen nicht zu wissen.

Jemand von diesen Kleinkriminellen hatte sie entführt, weshalb und wer es getan hatte, würde ich schnell herausfinden. Ich musste nur einige Anrufe tätigen, danach würden sie ihre gerechte Strafe erhalten. Meine Familie verdiente zwar ihr Geld mittlerweile auf ehrliche Weise, doch mit Menschen die gegen den Ehrenkodex verstiessen, wurde nach wie vor kurzer Prozess gemacht.

Die Kleine war immer noch aufgelöst, sie schluchzte, vereinzelt liefen ihr Tränen über die Wangen. Sie wirkte in meinem grossen Bett, wie ein kleiner Vogel, der gerade aus dem Nest gefallen war, so zerbrechlich schien sie mir in diesem Moment. Bevor sie mir meine weiteren Fragen beantworten konnte, musste ich sie zu allererst beruhigen.

«Dir wird nichts geschehen, du bist in Sicherheit.»

Ungläubig starrte sie mich an.

«Wie kannst du das sagen? Ich wurde von den gleichen Leuten entführt, mit denen du gestern Abend in der Bar warst. Ich habe euch zusammen gesehen», jammerte sie. Ihre Augen weiteten sich, als sie eine weitere Erkenntnis traf.

«Oh nein», sie schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. «Das Schiff, diese Yacht, sie gehört wahrscheinlich einem ganz hohen Tier. Dem Boss, von dem Boss, von denen, die mich entführt haben richtig? Ich bin sowieso schon so gut wie erledigt.»

Ihre grünblauen wunderschönen katzenartigen Augen waren schmerzlich verzogen und auf mich gerichtet, so als würde sie erwarten, von mir nur noch die Bestätigung für ihre Theorie zu erhalten. Was somit einem Todesstoss gleichgekommen wäre.

Das war der Moment, in dem ich ihr sagen sollte, wer ich wirklich war.

Luciano Salvatore Farnese.

Das Mädchen dass mir gegenüber sass, würde sich davon automatisch eingeschüchtert fühlen.

Doch das wollte ich auf keinen Fall.

Ich hatte sie erst vor wenigen Stunden kennengelernt. Ihre aussergewöhnlichen Augen, ihre aufgeweckte naive Art, hatten vom ersten Augenblick eine Neugierde geweckt, die ich schon lange nicht mehr empfunden hatte.

Welche verwirrenden Umstände dazu geführt hatten, dass sie nun hier auf meiner Yacht war.

Ich wollte nicht das diese Begegnung, in welche Richtung auch immer sie führen würde, in diesem Moment enden sollte. Ich musste zuerst herausfinden, was das Ganze zu bedeuten hatte.

Also traf ich die für mich einzig mögliche Entscheidung.

Ich beschloss sie anzulügen.

«Das Schiff gehört meinem Boss. Ich arbeite hier nur als Sicherheitsmitarbeiter. Mein Boss ist in keine dunklen Angelegenheiten verstrickt, die Männer in der Bar, waren wie ich dir schon sagte eine rein geschäftliche Angelegenheit. Du bist hier in Sicherheit und kannst so lange hier bleiben, wie du möchtest.»

Die Lügen glitten mir wie selbstverständlich über die Lippen. Erleichtert stellte ich fest, dass sich das Mädchen bei meinen Worten sichtlich entspannte.

«Und nun da du dir sicher sein kannst, dass du hier in Sicherheit bist, möchte ich gerne deinen Namen wissen und wie es dazu kam, dass du auf dieser Yacht gelandet bist.»

Einen Moment lang sagte niemand von uns ein Wort.

Die Stille lag bedrückend über meiner Kabine.

Sie blickte mir prüfend ins Gesicht. Ob sie immer noch damit rang, mir vertrauen zu können?

Ich wollte ihr dazu raten es besser nicht zu tun, da ich ihr bereits vor wenigen Minuten eine Lüge aufgetischt hatte und es vermutlich ohne zu zögern ein weiteres Mal tun würde.

Doch ich wollte unbedingt wissen, wie sie hier hergekommen war, auch welchen Namen eine so ungewöhnliche junge Frau wie sie trug. Deshalb blieben meine Lippen versiegelt, was sie vermutlich als Ermutigung aufnahm um zu sprechen.

«Ich wollte gerade die Bar meines Stiefvaters abschliessen, als ich plötzlich Stimmen vor dem Eingang hörte. Ich konnte nicht genau verstehen was sie sagten. Sie sprachen über eine Person, ich glaube ihren Vorgesetzen. Soweit Kriminelle das überhaupt haben» sie zuckte entschuldigend mit den Schultern. Interessant, wenn mich nicht alles täuschte, hatten diese Idioten über mich gesprochen.

«Jedenfalls habe ich mich versteckt, da ich ein ungutes Gefühl hatte. Doch etwas lenkte mich ab und schon hatte mich einer von ihnen an meinem Arm gepackt. Ich sagte ihnen, dass ich nichts sagen würde, doch sie waren nicht überzeugt. Deshalb nahmen sie mich mit. Mir war klar dass sie mich nicht mehr freilassen würden, also versuchte ich mich auf dem Weg vom Auto zu ihrem Versteck zu befreien, es gelang mir. Doch ich kannte mich an dem Ort absolut nicht aus, der einzige Fluchtweg war das Wasser. Als ich weit genug draussen war, sah ich dann dass sie an der Küste mit Fischerbooten nach mir suchten. Mir wurde langsam kalt, über die Küste konnte ich nicht mehr zurück an Land. Weiter draussen sah ich dann ein Licht, dass zu einem geankerten Schiff gehörte, ich sah es als meine letzte Chance. So kam ich dann auf diese Yacht.»

Während sie gesprochen hatte, hatte sie nervös mit ihren Fingern gespielt. Es fiel ihr schwer, über das zu sprechen was vorgefallen war. Doch sie hatte sich tapfer geschlagen.

Wer auch immer versucht hatte sie auszuschalten, nur weil sie etwas Falsches gehört hatte, würde meinen Zorn und der meiner Männer zu spüren bekommen.

Das war eigentlich nicht das übliche Verhalten, um mit Zeugen umzugehen. Deshalb vermutete ich, dass die Männer die sie entführt hatten, auch sonst gegen unseren Kodex verstiessen, es war deshalb höchste Zeit, sie auszuschalten, bevor sie noch mehr Schaden anrichteten. Doch dieses Mädchen würde auf keinen Fall etwas davon mitbekommen.

«Danke dass du es mir erzählt hast.» Da sie mir immer noch nicht ihren Namen genannt hatte, ergriff ich nun die Initiative.

Ich streckte ihr meine Hand entgegen.

«Ich habe mich dir noch nicht richtig vorgestellt mein Name ist Luciano.»

Vorsichtig legte sie ihre kleine Hand in meine grosse.

«Gia», hauchte sie.

Für ein paar Sekunden kreuzten sich unsere Blicke ein weiteres Mal. Ihre grünblauen Augen trafen auf meine dunklen. Ich konnte die Luft zwischen uns beinahe mit den Händen greifen.

Es war das erste Mal, seit unserer Begegnung in der Bar, dass sie mir wieder ohne Scheu ins Gesicht sah. Was sie dabei wohl empfand? Vermutlich nicht dasselbe wie ich, denn ich empfand eine tiefe Verbundenheit zu dieser Frau, sodass es mich erschreckte.

Da ich es mir selbst nicht erklären konnte.

Als hätte ich mir meine Finger an ihrer Hand verbrannt, liess ich sie ruckartig los.

Da klopfte es an meiner Kabinentür. Es musste der Arzt sein.

Gia sah mich fragend an.

«Ich habe einen Arzt gerufen. Du warst ziemlich unterkühlt. Er wird dich nur schnell durchchecken», erklärte ich.

Daraufhin verliess ich ohne ein weiteres Wort, meine Kabine, um noch einmal mit dem Arzt alleine zu sprechen. Um dabei auf seine vollste Verschwiegenheit zu appellieren und um Michael und die Crewmitgliedern anzuweisen, dass sie mich solange dieses Mädchen auf dem Schiff war, nicht mehr mit «Boss» ansprechen konnten.

Weil meine Lüge sonst schon nach kürzester Zeit auffliegen würde. Kaum war die Tür hinter mir ins Schloss gefallen, lief ich auch schon gegen Michael. Mit verschränkten Armen blickte er grinsend zu mir.

«Na Boss, ihnen scheint das Mädchen wohl sehr am Herzen zu liegen.» Bevor er noch etwas sagen konnte, gab ich ihm das Zeichen ruhig zu sein.

«Psst. Um ihr Vertrauen zu gewinnen, musste ich ihr sagen, dass ich hier als Seciurity Mitarbeiter arbeite. Also nennst du mich, solang sie auf diesem Schiff ist nicht mehr Boss. Und mach das möglichst den anderen Crewmitgliedern klar.»

Michael verstand sofort.

«Um ihr vertrauen zu Gewinnen soso», dabei grinste er noch breiter. Manchmal war es wirklich verdammt schwer, der Boss von seinem besten Freund zu sein.

«Ach sei doch still.»

Ich lief an ihm vorbei auf das Oberdeck und zündete mir eine Zigarette an.

«Ich dachte eigentlich du holst mich aus der Kabine, um mir zu sagen, dass der Arzt endlich eingetroffen ist und nicht um mich auszuquetschen», blaffte ich ihn an während ich es mir auf der grossen Couch mit Blick auf das dunkle Meer und die Lichter der Küste gemütlich machte.

Michael stand ganz in Schwarz gekleidet, wie immer angespannt neben der Couch, sah mich dabei immer noch gerissen an.

«Der ist ja auch schon hier aber zuerst wollte ich dich sprechen. Das Mädchen ist ja mittlerweile zu Bewusstsein gekommen.»

Ich nickte zustimmend, während ich einen weiteren tiefen Zug von meiner Zigarette inhalierte.

«Wer ist sie, wie ist sie auf diese Yacht gelangt und weshalb sagst du ihr nicht wer du wirklich bist?»

«So viele Fragen wie immer. Also die ersten beiden kann ich dir beantworten und die dritte habe ich dir bereits beantwortet, ich musste ihr Vertrauen gewinnen.»

Michael stand immer noch neben der Couch, ohne sich zu setzten.

Ich hatte diesen Mann in den paar Jahren, in denen ich ihn schon kannte noch nie entspannt gesehen. So auch jetzt, anstatt sich neben mir zu setzen, stand er lieber wie ein Fels neben der Couch, um die Umgebung im Auge zu behalten.

Zwar war die Yacht mit Dutzenden Überwachungskameras und Sicherheitssystemen ausgestattet. Wie es Gia dennoch geschafft hatte unbemerkt auf das Schiff zu gelangen, würde Michael noch mehrere schlaflose Nächte bescheren und mir wenn ich ehrlich war ebenfalls. Wenn es ein einzelnes Mädchen so leicht auf unser Schiff schaffte. Musste es für ein paar bewaffnete Gangster, die mit meiner Art oder der Art meines Vaters den Frieden zwischen den verschiedenen Clans zu wahren, nicht einverstanden waren ein Leichtes sein.

Ich schuldete Michael noch immer eine Antwort.

«Sie heisst Gia, was ich auch gerade erst erfahren habe. Sie arbeitet in der Bar ihres Stiefvaters in San Aurelio.»

«Diesem Typ dem vorgeworfen wurde, neben den Clans Drogen in seiner Bar zu verticken», sprach Michael das aus, was ich bereits wusste.

Ich nickte nur und fuhr dann fort.

«Genau, deshalb gestern auch das Treffen dort. Jedenfalls ich habe es so gedreht, dass er noch eine Chance bekommt, weil ich denke dass er unschuldig ist.»

«Ich hoffe nur, dass er sich daran halten wird», bemerkte Michael trocken, dasselbe hatte ich auch gedacht. Es war schon schwer genug gewesen, diese zweite Chance auszuhandeln.

«Wenn du wissen willst, wie sie hierher gelangen konnte. Sie wurde anscheinend von einigen unserer Männern bei der Bar erwischt, wie sie gelauscht hatte. Sie hatten vor sie zu erledigen, doch sie konnte fliehen. Anscheinend ist sie bis auf unsere Yacht geschwommen.»

«Und dass glaubst du ihr?», fragte Michael skeptisch.

Ich wusste, es kam ihm unglaublich vor, dass Gia sich alleine befreien und noch bis zur Yacht schwimmen konnte. Mein erster Impuls war es ebenfalls gewesen ihr nicht zu glauben, dennoch vertraute ich ihr. Sowie ihrer Version der Ereignisse, was mich selbst erstaunte.