Lights of Amsterdam - Chayenne Smith - E-Book

Lights of Amsterdam E-Book

Chayenne Smith

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Beschreibung

Sie wird dazu gezwungen sich zu verkaufen. Er kam nach Amsterdam um Spass zu haben. Unterschiedlicher könnten ihre Welten kaum sein. Lana ist jung, fast schon zu jung für ihren Beruf als Tänzerin mit gewissen Vorzügen in einem der berüchtigtsten Nachtclubs in Amsterdam. Lana ist gefangen in einem Strudel aus Drogen, Angst und Gewalt aus dem es nur schwer ein Entkommen gibt. Bis sie eines Tages Winston Carter über den Weg läuft. Eine Chance auf Glück, auf die sie kaum noch zu hoffen gewagt hat eröffnet sich ihr. Kann Lana es schaffen einem Menschen wieder zu vertrauen? Oder scheitert sie dabei und fällt noch tiefer in den Abgrund, aus dem sie sich mit aller Kraft zu befreien versucht.

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Seitenzahl: 357

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Liebe Leser/innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Diese sind:

Nötigung, Gewalt, Drogenmissbrauch und schwierige Familiensituationen.

Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass sämtliche genannten Namen und Ereignisse, die darin vorkommen meiner Fiktion entsprungen sind und keine Verbindung zur Realität haben.

Ich wünsche euch allen ein einzigartiges Leseerlebnis.

Eure Chayenne Smith

Für die Menschen, die immer an mich geglaubt haben <3 K. & R.

Playlist

Ed Sheeran- The A Team

Alec Benjamin- Shadow Of Mine

Ali Gatie- Perfect

Jess Glynne- Take Me Home

Sia- Courage To Change

Harry Styles- Falling

Clean Bandit- Rockabye

Aurora- Winter Bird

Billie Eilish- Everything I Wanted

Oneheart x reidenshi- Snowfall

Lea- Wenn Du Mich Lässt

Sia- Saved My Life

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1: Winston

Kapitel 2: Lana

Kapitel 3: Winston

Kapitel 4: Lana

Kapitel 5: Winston

Kapitel 6: Lana

Kapitel 7: Winston

Kapitel 8: Lana

Kapitel 9: Winston

Kapitel 10: Lana

Kapitel 11: Lana

Kapitel 12: Winston

Kapitel 13: Lana

Kapitel 14: Winston

Kapitel 15: Lana

Kapitel 16: Winston

Kapitel 17: Winston

Kapitel 18: Lana

Kapitel 19: Lana

Kapitel 20: Winston

Kapitel 21: Winston

Kapitel 22: Lana

Kapitel 23: Winston

Kapitel 24: Lana

Kapitel 25: Winston

Kapitel 26: Lana

Kapitel 27: Winston

Kapitel 28: Lana

Kapitel 29: Winston

Kapitel 30: Winston

Kapitel 31: Lana

Kapitel 32: Winston

Kapitel 33: Lana

Kapitel 34: Winston

Kapitel 35: Lana

Kapitel 36: Winston

Kapitel 37: Lana

Kapitel 38: Lana

Kapitel 39: Winston

Kapitel 40: Lana

Kapitel 41: Winston

Kapitel 42: Lana

Kapitel 43: Winston

Kapitel 44: Lana

Kapitel 45: Lana

Kapitel 1

Winston

Es war mein erster Tag in dieser Stadt. Die Regentropfen trommelten in gleichmässigem Rhythmus an die Fensterscheibe des Mercedes, den die Firma mir samt Chauffeur für die Dauer meines Aufenthalts hier zur Verfügung gestellt hatte. Mit schlechtem Wetter hatte ich bereits gerechnet. Es war Anfang Dezember und Amsterdam war nicht gerade bekannt für seine Sonnentage zu dieser Jahreszeit.

«Eine ungewöhnliche Zeit für einen Jobwechsel kurz vor Weihnachten Mr. Carter», richtete mein Chauffeur Lennard das Wort an mich. Ich fuhr mir mit den Fingern durch meine vom Flug etwas zerzausten schwarzen Haare und richtete meine Aufmerksamkeit auf Lennard. Er schien ein netter und zuverlässiger Kerl zu sein, ich entschied mich dazu, offen mit ihm zu reden.

«Nun da haben Sie bestimmt Recht, aber da ich dieses Jahr noch einige freie Tage zur Verfügung habe und mein Bruder der ebenfalls in der Zweigstelle unseres Unternehmens hier in der Stadt arbeitet, sich vor kurzem ein Hausboot gekauft hat, habe ich mir gedacht, dass ich die Zeit nutzen werde, um mir die Stadt ein wenig anzusehen um nach Silvester loslegen zu können.» Jetzt breitete sich ein Grinsen auf Lennards Gesicht aus.

«Wenn ich es nicht besser wüsste Mr. Carter würde ich denken, dass sie es sich in den Coffeeshops der Stadt bequem machen möchten.»

Mit einer Hand steuerte er immer noch den Mercedes, mit der anderen griff er ins Handschuhfach und beförderte einen perfekten Blunt zu Tage.

«Willkommen in Amsterdam Mr. Carter.»

Ich liess mir meine positive Verwunderung darüber nicht anmerken. Die Zweigstelle unserer Firma in Amsterdam schien etwas lockerer als unsere anderen Niederlassungen zu sein. Kein Wunder hatte sich mein Bruder permanent hier hin versetzen lassen. Wir arbeiteten beide seit einigen Jahren als Marketingmanager für VR Visions, eine Firma die Sicherheitssysteme in der ganzen Welt verkaufte. Noch im Wagen zündete ich mir den Blunt an. Ich zog daran und merkte unmittelbar, wie ich mich zu entspannen begann, als ich den Rauch aus meiner Lunge strömen liess. Der Ballast der letzten Wochen schien von mir abzufallen. Der Umzugsstress, die vielen zusätzlichen Meetings im Büro und meine unschöne Trennung von Millie.

«Sind alle in Amsterdam so wie Sie? Auch die in der Firma?», wollte ich von Lennard wissen. Das Zeug hatte meinen Geist beruhigt und meine Zunge beflügelt.

«Was denken Sie denn, wir leben in einer der schönsten Städte der Welt, haben tonnenweise Gras das wir legal bei uns zu Hause oder im Café konsumieren können und die hübschesten Frauen. Haben Sie eine Freundin Mr. Carter? Denn falls nicht werden Sie hier bestimmt eine finden», dabei zwinkerte er mir verschwörerisch zu, bemerkte meinen zweifelnden Blick aber nicht. Denn das Letzte was ich im Moment wollte, war eine Freundin. Ich war hier, um ein wenig Spass zu haben, etwas Ernstes hatte ich die letzten fünf Jahre lang gehabt und es hatte nicht sonderlich gut geendet. Der Wagen wurde langsamer, wir näherten uns einem Kanal auf dem einige Hausboote träge im Wasser schaukelten.

«Da sind wir Mr. Carter. Hier ist die Adresse die Sie mir angegeben haben. Soll ich Ihnen mit dem Gepäck helfen?»

«Danke Lennard ich denke das schaffe ich schon alleine.»

Kurz darauf nahm ich meinen Koffer und die Reisetasche aus dem Wagen.

«Gut, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaub und bis nächstes Jahr, sollten Sie mich ansonsten benötigen kontaktieren Sie mich.»

Ich hob die Hand zum Gruss und Lennard fuhr davon.

Weshalb mir die Firma einen privaten Chauffeur besorgt hatte, war mir nicht ganz klar. Ich hatte schon mehrfach eine Tochterfirma besucht und hatte auch dort immer einen Chauffeur gehabt.

Doch für Amsterdam erschien mir dies doch ziemlich seltsam, da sich hier absolut alle Menschen mit dem Fahrrad oder zu Fuss fortzubewegen schienen.

Da war ich also, stand am Kanal und betrachtete die Hausboote. Eines davon gehörte meinem Bruder. Dieser Spinner konnte sich nicht einfach eine schicke Wohnung in der Innenstadt besorgen mit Dachterrasse und all dem unnötigen Zeug, nein es musste ein Boot sein. Ich schulterte die grosse Reisetasche samt Laptop und zog meinen Koffer über den Steg.

Gerade als ich die Carter’s Girl ja so hatte er sein Schiff wirklich getauft entdeckte, sah ich, wie die Boardtür aufglitt und eine junge Frau eilig hinaus trat. Sie war zierlich, dünn, aber dennoch wohl geformt, hatte ellenlange Beine dazu lange gewellte blonde Haare, die ihr bis zur Taille reichten.

Sie trug enge dunkle Jeans, Overknees Stiefel und ein kurzes schwarzes Top.

Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen hatte, schoss es mir durch den Kopf. Dabei hatte ich noch nicht einmal Ihr Gesicht gesehen. Sie lief in meine Richtung. Der Steg war eng, das hiess sie musste sich an mir vorbei zwängen um zur Strasse zu gelangen. Ich war erfreut darüber, denn so würde ich die Gelegenheit haben, sie aus nächster Nähe betrachten zu können. Sie kam immer näher.

Endlich konnte ich ihr Gesicht erkennen.

Gott, aber sie war noch so jung. Doch das konnte mich nicht davon abhalten jeden Zentimeter, jede Facette ihres Gesichts in meinem Gedächtnis einzuprägen. Ihre Lippen waren vollkommen und schwungvoll, ihre Nase klein und spitz mit einem pinken Piercing, ihre Wangenknochen waren markant, und sie hatte ein feines Tattoo am Hals. Was es war, konnte ich nicht erkennen.

Und erst diese Augen, ich musste schlucken.

Dunkelgrün.

Jetzt da ich auch noch ihr Gesicht gesehen hatte, wusste ich mit Sicherheit, dass sie die schönste Frau war, die ich je gesehen hatte. Trotz ihrer Schönheit schien sie jedoch eine unsichere Ausstrahlung zu haben, sie wirkte traurig, fast schon gebrochen.

Sie blickte die ganze Zeit zu Boden, so als würde sie sich nicht trauen, die Welt um sich herum genauer zu betrachten. Und so kam es, dass sie mich erst im letzten Moment bemerkte. Sie erschrak heftig, als wäre sie soeben aus einem Tagtraum erwacht.

Unsere Blicke kreuzten sich verschmolzen. Ich sah in ihre dunkelgrünen Augen und erkannte den Schmerz, das Leid, die Angst und die Leidenschaft darin. Auch sie schien etwas in meinen Augen zu sehen, denn sie zuckte zusammen und taumelte rückwärts. Ich versuchte sie noch zu halten, doch sie wich mir aus und fiel ins Wasser.

Mist.

So hatte ich mir das Zusammentreffen mit meiner Traumfrau eigentlich nicht ausgemalt. Ohne zu zögern legte ich meine Tasche ab und sprang ins eiskalte Wasser.

Mein ganzer Körper zog sich innerlich durch die Kälte zusammen. Ich war ein guter Schwimmer, schon immer gewesen, ich bekam ihren zarten strampelnden Körper zu fassen und musste sie sogleich beinahe wieder loslassen, da mich eine solche derartige innerliche Hitze durchfuhr, als ich sie berührte. Doch ich hielt sie fest und schwamm mit ihr zu einer rettenden Leiter. Ich half zuerst ihr aus dem Wasser, musste mich trotzt der eisigen Kälte, die mich am ganzen Körper zittern liess, zusammenreissen um sie nicht anzustarren, wie sie zitternd und hustend auf dem Steg sass. Sie war so schön selbst in diesem Zustand. Ich fasste mich als Erster wieder.

«Geht’s dir gut? Soll ich einen Krankenwagen rufen? Du musst dich abtrocknen sonst unterkühlst du.»

Ich wühlte in meiner Reisetasche, warf ihr einen Pullover zu. Sie sah aus als würde sie unter Schock stehen, denn sie blickte noch immer zu Boden. Doch dann schien sie sich zu erinnern, wo sie sich befand.

«Du fragst ob es mir gut geht? Wegen dir bin ich doch erst ins Wasser gefallen! Konntest du nicht ein wenig aufpassen! Wegen dir komme ich zu spät zur Arbeit. Ich weiss nicht wie das auf deiner Arbeit so abläuft aber mein Chef wird mich zur Schnecke machen.»

Mit diesen Worten erhob sie sich ohne ein weiteres Wort, warf mir den Pulli zornig ins Gesicht zurück und stolzierte davon. Damit hatte ich nicht gerechnet, diese Wut, diese Emotionen, sie hatte auf mich so zerbrechlich gewirkt. Doch auch wütend war sie immer noch eine Schönheit.

Ich blickte ihr nach bis sie in ein Taxi stieg und davon fuhr. Danach war es für mich höchste Zeit, mich nach Drinnen zu begeben. Ich packte meine Tasche und meinen Koffer, ging die wenigen Schritte bis zum Hausboot meines Bruders. Ohne anzuklopfen, trat ich ein.

«Grosser Gott Winston was ist denn mit dir passiert, bist du in den Kanal gefallen?»

Hörte ich die laute Stimme meines drei Jahre älteren Bruders Noah durch den Gang. Er stand in seiner Küche mit nichts als einer Jogginghose bekleidet und blickte mich verwundert an.

Mein Herz verpasste mir einen Stich. Sie war aus diesem Hausboot gekommen, Noah sah ziemlich zufrieden aus, noch dazu trug er nur eine Jogginghose. Konnte es sein, dass die Frau die mich seit dem ersten Augenblick in ihren Bann gezogen hatte, Noahs Freundin war? Doch das musste ich später herausfinden. Ich brauchte schleunigst trockene Klamotten, wenn ich mir nicht eine ernsthafte Lungenentzündung zuziehen wollte und darauf abzielte den gesamten Urlaub im Bett zu verbringen. Ausserdem hatte ich Noah zuletzt vor einem Jahr gesehen. Mein Bruder zog mich in eine Umarmung, ich hatte diesen Idioten vermisst.

«Kann man so sagen», brachte ich nur lachend hervor.

Ich tauschte rasch meine nassen Klamotten gegen trockene, danach zeigte Noah mir sein Boot. Noah war drei Jahre älter als ich und doch glichen wir uns wie ein Ei dem anderen. Wir waren beide gross eins neunzig, von sportlicher Natur, nur hatte ich in den letzten Wochen etwas mehr trainiert, um mich von der Trennung von Milly abzulenken. Nun war ich besser in Form als mein älterer Bruder, was meinem Ego gut tat. Wir hatten beide die dunklen Haare und dunklen Augen unserer Mutter. Ausser das Noah einen Vollbart trug, seit er hier in Amsterdam wohnte. Dazu war sein gesamter Körper, abgesehen vom Kopf und den Händen mit schwarzweissen Tattoos verschönert. Während bei mir nur die Arme tätowiert waren und ich einen Dreitagebart trug. Hätte man uns glatt für Zwillinge halten können. Was die meisten Leute früher auch oft getan hatten. Mittlerweile konnte man uns gut durch die Gesichtsbehaarung und die unterschiedlichen Tattoos voneinander trennen.

«Du hast viel trainiert Winston, musstest du dich etwa von Milly ablenken?», sagte Noah kumpelhaft und klopfte mir auf meinen deutlich hervorstehenden gut trainierten Oberarm, er kannte mich einfach zu gut.

«Schon möglich, bezüglich Ablenkung was haben wir heute Abend denn vor?», kam ich ohne Umschweife zum Punkt.

«Ich zeige dir die hübschesten Mädchen der Stadt, mehr Ablenkung geht nicht», erwiderte er gutgelaunt und reichte mir ein Bier. Das Hübscheste habe ich leider schon gesehen, das wirst du mir wohl nicht zeigen können, dachte ich, aber sprach es nicht laut aus.

Kapitel 2

Lana

Mist, wie konnte ich nur so dumm sein und in den Kanal fallen. Ich war wie so oft mit meinen Gedanken woanders gewesen.

Bei Lou.

Was würde sie nur eines Tages von mir denken. Würde sie sich wie der Rest meiner Familie von mir abwenden, wenn sie mich erst richtig kennen würde, oder würde sie mich akzeptieren mit all meinen Fehlern und meiner Vergangenheit? Ich hatte keine Antwort auf meine Fragen. Was geschehen würde, würde geschehen. Dessen war ich mir sicher. Als ich dann vom Boden aufgeschaut hatte, war ich so erschrocken, dass ich dadurch in den Kanal gefallen war.

Wegen ihm.

Aufgrund seiner Augen. Er hatte mich angeschaut, als würde er mir tief in meine Seele blicken können, all meine Geheimnisse kennen und mir diese verzeihen. Ich hatte nicht anders gekonnt, ich hatte fliehen müssen. Einfach nur weg von ihm, auch wenn der einzige Fluchtweg das eiskalte Wasser gewesen war. Natürlich hatte er mich nicht meinem Schicksal überlassen können, er hatte mich retten müssen. Als ich mich dann keuchend und zitternd auf dem Steg wiedergefunden hatte, war ich so wütend auf ihn gewesen, mich in diese Situation gebracht zu haben, dass ich einfach ins erstbeste Taxi gestiegen war. Ich hatte ihn nicht angelogen, mein Chef würde mir den Kopf abreissen, wenn ich wieder mal zu spät zu meiner Schicht erscheinen würde.

Doch was der Typ der mich aus dem Wasser gefischt hatte nicht wusste war, dass mein Chef ein Monster war.

Es war Lars de Groot. Der berüchtigtste Rotlichtboss in ganz Amsterdam. Ihm gehörten mehrere gehobene Etablissements, einige Clubs und Coffeeshops. Er hatte seine Finger überall in Amsterdam im Spiel, wenn etwas illegal und gefährlich war. Wenn ich also behauptete, er würde mir den Kopf abreissen, dann war das bei ihm auch im übertragenen Sinne möglich. Deshalb war ich immer noch in meinen nassen Klamotten und fror mir den Hintern ab. Zwar hatte mich der Taxifahrer vorher noch gefragt, ob er mich nicht besser zum Krankenhaus fahren sollte, doch ich hatte abgelehnt. Mir war es egal, ob ich klitschnass war, ich musste mich meiner normalen Klamotten sowieso entledigen und beim Tanzen würde mir schnell wieder warm werden. Ich strich mir meine nassen langen Haare aus der Stirn und fing langsam an mich auszuziehen. Wir würden in einigen Minuten ankommen und wie ich zur Arbeit erschien, war schlussendlich egal. Hauptsache ich konnte mich meiner nassen Sachen entledigen. Der Taxifahrer warf mir einen vielsagenden Blick im Rückspiegel zu, beliess es dann aber dabei. Vor dem The Ex hielt das Taxi wenig später. Ich gab dem Fahrer sein Geld und stieg nur im BH und String und meinen nassen Overknees aus dem Wagen. Ich ignorierte die Blicke und Zurufe der Leute die am Eingang warteten oder auf der Strasse herumliefen. Dies konnte mir schon lange nichts mehr anhaben. Ich hatte mich daran gewöhnt. Ich spazierte an der Schlange der Wartenden vorbei an Edie dem Türsteher, der mir einen besorgten Blick zuwarf, ehe er mich durchliess.

Im inneren des The Ex war es wohlig warm, so dass ich in meiner nassen Unterwäsche und den Stiefeln die Kälte von vorhin fast schon vergessen konnte. Alles war dunkel und vertraut. Zu vertraut. Zu viele Stunden hatte ich schon in diesem Laden hinter dem Tresen gestanden, zu oft hatte ich schon hier getanzt und mit zu vielen Männern war ich für mein zartes alter von neunzehn dennoch für eine Aufbesserung meiner Einnahmen mitgegangen. Das The Ex war kein Bordell, aber es war ein unausgesprochenes Geheimnis, das wir Angestellten einen miesen Lohn hatten und praktisch alles taten, um diesen aufzubessern.

«Ciao meine Süsse wie siehst du denn aus?» Knuffte mich Susi in die Seite «Willst du heute etwa kein Trinkgeld kriegen?» und sie verdrehte gekonnt ihre perfekt geschminkten Augen dazu machte sie mit den Händen schmutzige Pantomime.

«Susi hör auf damit wenn Lars dich sieht fliegst du raus», zischte ich ihr zu.

«Na klar und der Weihnachtsmann kommt dieses Jahr auch zu uns», dabei zwinkerte sie mir verschwörerisch zu. Ich konnte nicht anders, ich musste sie einfach lieben. Susi war meine beste Freundin, seit ich hier angefangen hatte. Zwar jobbte sie nur nebenbei hier, um sich ihr Studium zu finanzieren, aber wenn sie hier war, hatten wir immer Spass zusammen. Egal wie mies der Job auch war.

«Sag schon warum siehst du so aus Lani?», fragte Susi nun.

«Sagen wir es mal einfach so, ich will nicht darüber reden», gab ich mich schroff aber ich wusste, dass Susi mir das nicht übel nehmen würde. Sie kannte mich schon zu gut und kam mit meiner manchmal recht ruppigen Art ziemlich gut zurecht. Dann machte ich mich auf den Weg zur Künstlergarderobe. Susi hatte leider recht, denn so wie ich im Moment aussah, würde ich vermutlich überhaupt kein Trinkgeld erhalten. Doch darauf war ich zu sehr angewiesen, weshalb ich mich rasch etwas zurechtmachte, bevor meine Schicht begann. Ich trug gekonnt meine Grundierung auf, setzte meine grünen Augen durch goldenen Lidschatten in Szene, tuschte meine verlängerten Wimpern um sie noch mehr zu betonen und schminkte meine vollen Lippen knallpink. Das Haar liess ich offen über meinen Rücken fallen. Ich streifte mir meine von dem Vorfall in dem Kanal noch nasse schwarze Unterwäsche aus und ersetzte sie durch einen dunkelgrünen spitzen BH samt String. Darüber zog ich einen dunkelgrünen Kimono und schlüpfte mit den Füssen in hohe Pumps. Danach bepinselte ich meinen Körper mit Goldpuder, das kam bei den Gästen immer ausgezeichnet an.

Zuletzt stellte ich mich vor den grossen Spiegel und betrachtete mich. Keine Frage ich sah zum Anbeissen aus. Mein Körper war schlank und doch an den richtigen stellen etwas üppiger. Meine Haare sahen aus wie aus einem Prinzessinnenfilm, mein Makeup und die Kleidung, wenn man das was ich trug, überhaupt noch als solches bezeichnen konnte, war sexy, dennoch fühlte ich mich schrecklich.

Ich dachte daran, wie die Gäste im The Ex mich ansehen würden, wie sie mich taxierten, abstempelten und heute bestimmt auch einige ansprechen würden.

Was war mein Preis?

Für wie viel würde ich heute wieder mitgehen und wichtiger noch mit wem. Meine Mutter hatte mich früher einmal gefragt, wie ich mich nach dem was ich tat, noch im Spiegel anschauen konnte. Ich hatte damals nur gelacht und ihr keine Antwort gegeben. Heute kannte ich die Antwort darauf, sie lautete;

gar nicht.

Ich sah mich zwar im Spiegel, doch ich sah mich nicht wirklich.

«Warum so traurig Lana, komm nimm etwas davon, es macht dich glücklich. Sonst laufen unsere Gäste noch davon, wenn sie dich sehen», hörte ich die Stimme von Lars meinem Boss hinter mir, der mir ein Paar kleine Tabletten in die Hand drückte.

Ich wollte Sie nicht nehmen. Doch ich wusste, dass er es verlangte. Er nahm an ich würde so besser arbeiten und die Gäste zufrieden stellen. Lars stand vor mir und beobachtete mich. In seinem schwarzen Anzug den zurückgestrichenen blonden Haaren, dem Dreitagebart und seiner Rolex.

Alles an ihm strahlte Macht und Autorität aus. Würde ich ablehnen, wäre ich meinen Job los, dessen war ich mir sicher. Doch ich brauchte meinen Job.

Ich nahm die Tabletten und schluckte sie ohne Wasser. Ich schenkte ihm sogar ein schwaches Lächeln.

«Gut gemacht, in fünf Minuten fängt deine Schicht an, mach dich bereit», damit klopfte er mir auf die Schultern und ging in Richtung des Gästebereichs. Kaum war Lars um die Ecke gebogen, rannte ich so schnell ich konnte auf die Toilette, um mir die Seele aus dem Leib zu kotzen.

Kapitel 3

Winston

Meine erste Partynacht in Amsterdam schien ein voller Erfolg zu werden. Zuerst zeigte mir Noah seinen Lieblings Coffeeshop, wo wir uns ganz schön das Hirn vernebelten. Es lag gemütlich an einem Kanal, wie fast jedes Geschäft in Amsterdam. Die Wände waren aus braunem Backstein und überall im Café standen Pflanzen herum. Aus dem Lautsprecher summte ein Reggae Song. Es gab ausgefallene Sorten und Kombinationen von dem, was man in einem Coffeeshop in Amsterdam so konsumieren konnte. Doch wir blieben bei unserer bevorzugten Sorte und spülten den Rauch mit reichlich Wodka hinunter. Ich war fasziniert von der Offenheit der Menschen. Gleich im Coffeeshop, sprach mich eine hübsche Holländerin an und machte keinen Hehl daraus, was sie eigentlich mit mir tun wollte. Doch ich lehnte dankend ab, ich erklärte ihr, dass ich meinen Bruder schon lange nicht gesehen hatte und deshalb etwas Zeit mit ihm verbringen wollte. Daraufhin machte sie sich an Noah ran, welcher ebenso wenig von der Idee begeistert war. Schlussendlich zog die Frau mit einer Deutschen Junggesellentruppe ab.

«Warum genau hast du abgelehnt erklär mir das mal?»

Mein Bruder lümmelte in einem der gemütlichen Sitzsäcke und qualmte.

«Na weil ich Zeit mit dir verbringen wollte» und boxte ihm in den Arm.

«Lieber als dir auf der Toilette einen Blasen zu lassen?»

Bei den Worten lachte er sich halb schlapp und reichte mir den Blunt weiter.

«Du hast ja schliesslich auch abgelehnt», erwiderte ich, nachdem ich in aller Seelenruhe genüsslich an der Tüte gezogen hatte. Ich konnte es kaum glauben. Ich war mit meinen sechsundzwanzig Jahren schon in einigen Ländern herumgekommen. Doch dass man in aller Seelenruhe in einem Café sitzen konnte und dazu einen Joint rauchen konnte, ohne verhaftet zu werden, hatte ich noch nie erlebt. Die ganze Stadt strahlte eine Gelassenheit aus, die sich langsam auf mich zu übertragen schien. Noah hustete und ich widmete ihm wieder meine volle Aufmerksamkeit, sofern dies möglich war.

«Nur weil ich im Gegensatz zu dir weiss, wohin wir als nächstes gehen und dort gibt es noch viel heissere Bräute als die Lady von vorhin.»

Mit einem Schlag war die Gelassenheit wie weggeweht und ich hatte die ungute Vorahnung, dass es mit der Frau im Zusammenhang stand, der ich am Steg begegnet war.

Die schönste Frau die ich je gesehen hatte und die zudem die traurigsten Augen besass die mir je begegnet waren.

«Wir gehen ins The Ex», sagte mein Bruder und grinste mich an.

Wenige Minuten später waren wir schon auf dem Gehsteig und liefen die wenigen Meter bis zum Lokal zu Fuss. Der Abend war noch früh und trotz der tiefen Temperaturen und dem Nieselregen waren erstaunlich viele Menschen auf der Strasse. Ich spürte die interessierten Blicke einiger junger Frauen auf uns. Das war oft so, wenn wir zusammen unterwegs waren.

Wir fielen eben auf, waren beide gross und hatten noch dazu die dunklen etwas längeren Haare und buschigen Augenbrauen. Wir waren in dicke Daunenjacken gehüllt und trugen unsere Mützen wegen der Kälte tief in die Stirn gezogen. Nur einige Meter trennten uns, von dem The Ex. Ich vermochte jetzt die Leuchtschrift des Lokals zu sehen und konnte erkennen, dass sich vor dem Eingang bereits eine lange Schlange aus vorwiegend männlichen Partygästen gebildet hatte. Ich hoffte darauf, dass ein Türsteher Noah erkennen würde und wir so schneller eingelassen wurden. Meine Chancen standen nicht schlecht, Noah kannte immer irgendjemanden.

Er war definitiv der redseligere von uns beiden und kam dadurch immer mit vielen Menschen in Kontakt, meist mit weiblichen. Ebenfalls bat ich das Schicksal inständig darum, nicht wieder dem Mädchen vom Bootssteg zu begegnen.

Was wenn sie hier arbeitete, oder sie Noahs Freundin war. Ich hatte bis jetzt noch nicht die Gelegenheit dazu gehabt, ihn danach zu fragen, ich musste das Thema unbedingt ansprechen. In dem Moment, in dem wir das Lokal erreicht hatten, winkte uns einer der Türsteher durch. Nicht ohne etwas Schadenfreude zu deuten, schritten wir an der Schlange vorbei ins Innere. Wir gaben unsere Jacken in der Garderobe ab und liefen weiter zur Bar. Drinnen war es wohlig warm, laute Elektro Musik summte in meinen Ohren. Etliche farbige Laserblitze tanzten über unseren Köpfen, überall liefen hübsche halbnackte Mädchen herum, einige von ihnen in nichts als blinkender LED-Unterwäsche. Noah war bereits im Partymodus, er bestellte bei einer leichtbekleideten Barkeeperin gerade eine Runde Shots für uns. Gleichzeitig war er dabei, einige der Mädels die um ihn herumstanden zum Mittrinken zu animieren. Er versuchte mich mehrfach, in sein Gespräch zu verwickeln, doch ich liess den Blick lieber durch die Menge schweifen, solange ich auf meinen Drink wartete.

Da ganz plötzlich entdeckte ich sie.

Das erste, was mir an ihr auffiel, waren wieder ihre langen gewellten blonden Haare, die sie nach wie vor offen trug. Sie war dabei auf die Bühne neben dem DJ zu steigen, sie war demnach eine Tänzerin. Ich konnte es nicht fassen, so schnell kreuzten sich unsere Wege wieder.

Sie war noch schöner als ich sie in Erinnerung hatte, obwohl dies kaum möglich zu sein schien. Sie trug einen dunkelgrün schimmernden Kimono und hohe Schuhe. Ihre Beine schimmerten golden und ihre Haare fielen ihr in langen Wellen über den Rücken.

Mir blieb der Mund offen stehen, offenbar ging es nicht nur mir so. Ich sah mich um, die Männer um mich herum blieben entweder stumm und bestaunten sie oder sie fingen an ihr laut zuzurufen, als sie die Bühne betrat. Mit Missfallen musste ich feststellen, dass nahezu jedes männliche Wesen in diesem Raum auf diese Frau reagierte.

Ihre Haut schimmerte golden über ihre Wangen, ihre Lippen waren makellos. Mit den Zähnen biss sie sich unsicher auf die Unterlippe und ihre wunderschönen grossen Augen sahen sich verstohlen um. Sie fing an sich im Takt der Musik zu bewegen, ihre Hüften schwangen verführerisch, ihre unendlich langen perfekten Beine bewegten sich rhythmisch. Weitere Tänzerinnen erschienen auf der Bühne. Der laute Elektrobass hämmerte in meinen Ohren. Hinter mir hörte ich meinen Bruder etwas fragen, doch ich war wie hypnotisiert.

Hatte nur Augen für sie.

Sie schien sich hier auszukennen, ihre Bewegungen waren professionell und sie beherrschte den Rhythmus.

Doch irgendetwas an ihrer Körpersprache vermittelte mir, dass sie jetzt überall anders sein wollte, als auf dieser Bühne. Ihre grossen Augen huschten nervös durch den Saal, als würde sie etwas suchen. Da fiel ihr Blick plötzlich auf mich.

Kurz sah ich Überraschung in ihren Augen, dann ein Aufflammen von Wut. Sie erkannte mich wieder.

Ich starrte sie weiter an, während Noah seine Hand auf meine Schultern legte und zu mir sagte «ist sie nicht der Hammer, ihr Name ist Lana. Alle sind verrückt nach ihr, doch sie tut es nur für Geld und will keinen festen Freund. Sonst hätte ich dieser Lady schon am ersten Tag einen Ring an den Finger gesteckt.»

Ich wusste nicht, was mich mehr verstörte, die Aussage meines Bruders, dass er definitiv etwas von Lana gewollt hatte oder die Tatsache, dass das schönste Mädchen dass ich je im Leben gesehen hatte eine Prostituierte war.

Ich hatte bis jetzt nur angenommen, dass sie eine Tänzerin war die sich etwas zu ihrem Studium oder normalen Job dazu verdiente und nicht anschaffen ging. Ich riss mich von ihrem Anblick los und sah meinen Bruder verwundert an.

«Du willst mir allem Ernstes sagen das diese wunderschöne Frau eine Prostituierte ist?» Fragte ich noch immer schockiert.

«So ist es», bejahte mein Bruder und leerte in einem Zug sein Shotglas.

«Warum?», fragte ich und nahm nun ebenfalls einen Shot. Denn den hatte ich bitternötig. Alkohol hatte noch keinem geholfen, aber ich nahm an, ein paar Gläser um diese Nachricht zu verdauen, hätten ebenfalls niemandem geschadet.

«Wenn ich das wüsste», sagte mein Bruder und sah verträumt auf die Bühne, wo Lana immer noch ihre Show vorführte.

Das war also der Name der Schönheit. Er passte zu ihr wie ich fand. Mittlerweile hatte sie den Kimono abgelegt und stand nur noch im dunkelgrünen spitzen BH und Slip vor dem Publikum. Ich konnte ein zucken in der Lendengegend kaum unterdrücken. Sie war hinreissend. Ihre schlanke Statur, die wohlgeformten Brüste und dieser göttliche Hintern. Und dennoch verspürte ich auf einmal eine Wut in mir. Eine Wut auf all die Männer, die hier standen und sich diese traumhafte Frau ansahen. Mit welchem von ihnen würde sie nach der Show mitgehen? Obschon ich diese Frau kaum kannte, versetzte mir der Gedanke einen Stich ins Herz. Schnell wandte ich meinen Blick von ihr ab und widmete mich intensiver den Shotgläsern vor mir.

Kapitel 4

Lana

Die Show lief super und mir war unendlich warm, als ich endlich von der Bühne stieg. Ich versuchte die Männer und ihre zufälligen Berührungen zu verdrängen. Als ich mir einen Weg durch die Menge und dann weiter zur Bar bahnte, wo Susi schon meine Shotgläser bereitgestellt hatte. Das war mein Ritual, immer nach meinen Auftritten musste ich das elende Gefühl, dass sich in mir ausbreitete und seinen Weg an die Oberfläche suchte mit Alkohol hinunter spülen. Ich leerte gerade mein drittes Glas hintereinander, als ich ihn bemerkte. Ich hatte ihn im Publikum sofort erkannt. Diese grosse Gestalt, die dichten dunklen Haare und die breiten Arme, obschon ich diese bei unserem Zusammenstoss kaum wahrgenommen hatte. Er war ein Bild von einem Mann und so war es kein Wunder, dass er mir an der Bar auffiel. Eigentlich hätte ich weiterhin wütend auf ihn sein sollen, da ich seinetwegen ins Wasser gefallen war. Doch ein Teil von mir bestand darauf gerne alles richtig zustellen. Er sollte mich nicht für eine Zicke halten, oder hinter meinem Rücken üble Gerüchte über mich verbreiten. Was schon öfter vorgekommen war, als man dachte. Wie es aussah, war er mit Noah verwandt, der neben ihm stand. Die beiden sahen sich zum Verwechseln ähnlich und Noah war ein netter Kerl. Darum beschloss ich kurzerhand zu ihm rüber zu schlendern. Im Vorbeigehen warfen mir einige Kerle offensichtliche Blicke zu, ich war froh als ich endlich vor ihm stand. Er hatte mich noch nicht entdeckt, mehrere leere Shotgläser standen vor ihm. Nun hielt er ein Glas Whiskey in der Hand, welches er wie eine Wahrsager Kugel anstarrte. Ich betrachtete sein Profil, in der Hektik des Morgens hatte ich daran kein Interesse gehabt. Doch jetzt wo er vor mir stand, musste ich ihn einfach anstarren. Er war wirklich wunderschön für einen Mann. Hatte ebenmässige Gesichtszüge, einen tollen Mund und unglaublich dichte Wimpern. Genau in dem Moment drehte er den Kopf in meine Richtung und starrte mich verblüfft an. Ich räusperte mich verlegen.

«Hi, ich glaub wir hatten einen schlechten Start, ich bin Lana.»

Lange betrachtete er mein Gesicht, doch dann fing sein Gehirn wieder an zu arbeiten und er begann zu sprechen.

«Das kann man wohl sagen, ich bin Winston.»

Wieder dieser Blick, diese Wärme in seinen Augen. Er sah mich an, als konnte er durch mich hindurch sehen, bis in mein Innerstes. Fast so als vermochte er mit seinen wunderschönen braunen Augen, all meine Geheimnisse zu sehen. Auf einmal wurde mir alles zu viel, der Raum begann sich zu drehen und ich musste mich an der Bar festhalten um nicht umzukippen. Winston liess mich nicht aus den Augen und betrachtete mich besorgt. Was er wohl in mir sah? Eine alkoholabhängige Stripperin, die mal wieder zu viele Shots getrunken hatte? Sich deshalb kaum auf den Beinen halten konnte.

«Alles in Ordnung mit dir?» Fragte er ernsthaft besorgt.

«Klar, nur die Shots, ich sollte nicht immer so viele auf einmal trinken.»

Ich liess die Tischkante los und taumelte leicht gegen ihn. Sofort waren seine starken Arme bei mir und hielten mich fest. Auf einmal spürte ich das Kribbeln und Knistern, und mir war noch viel wärmer als bereits zuvor. Er machte keine Anstalten mich loszulassen, während sein Blick Funken auf meine Haut sprühte.

«Ist alles in Ordnung hier?» Da hörte ich die kalte Stimme von Lars hinter mir. Sofort richtete ich mich wieder auf und sah ihn erschrocken an.

«Mir war nur etwas schwindlig», entschuldigte ich mich sofort bei meinem Boss. Ich sah den Blick in Lars seinen Augen und mir wurde klar, dass dies ein Nachspiel haben würde. Es gab viele Dinge, die Lars nicht ausstehen konnte, doch etwas hasste er ganz besonders. Wenn wir bei der Arbeit zu viel tranken und uns dann an die Kundschaft ranmachten. Er betonte immer dass es nichts Schlimmeres gab, wie torkelnde und betrunkene Frauen, denn das würde seine Kunden vertreiben. Und dieses Bild hatte er gerade von mir. Er zischte ein kurzes «Entschuldigen Sie» in Winstons Richtung, packte mich grob am Arm und führte mich zum hinteren Teil des Clubs, der nur fürs Personal vorgesehen war. Ich drehte mich nochmals zu Winston um. Es machte den Eindruck, als würde er uns jeden Moment hinterher eilen, doch ich schüttelte lediglich traurig den Kopf und hoffte darauf, dass er uns nicht nachlief. Denn niemand konnte Lars aufhalten, wenn er wütend war.

Absolut niemand.

Kapitel 5

Winston

Ich lag auf dem Bett in meinem Zimmer auf dem Hausboot, das Noah mir für die Zeit meines Aufenthalts hier zur Verfügung gestellt hatte. Noah hatte ein Mädchen vom The Ex mit aufs Boot genommen. Ich hörte das Lachen des Mädchens und Noahs laute Stimme, die trotz der Kälte noch immer auf dem Deck waren und etwas tranken. Ich sollte jetzt streng genommen Müde sein. Nach meinem anstrengenden Flug, dem Gras und dem Alkohol. Doch ich starrte an die Decke meines Zimmers und konnte nur an sie denken.

An ihren angsterfüllten Blick, und diesen Mistkerl, der sie nach hinten gezerrt hatte. Es war offensichtlich gewesen, dass er ihr Boss war. Am liebsten wäre ich ihnen hinterhergelaufen und hätte diesen Typen gezwungen, sie loszulassen. Wäre da nicht die Traurigkeit in ihrem Blick und die stumme Bitte gewesen das nicht zu tun. Warum hatte ich auf sie gehört. Was wenn er ihr etwas angetan hatte oder sie meine Hilfe benötigt hätte?

Da hörte ich die Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, dass ich sie doch überhaupt nicht kannte. Ich nicht darüber Bescheid wusste, wer sie war. Wer weiss, vielleicht vergnügte sie sich ja gerade mit einem Mann. Es war schliesslich ihr Beruf, laut Noah der mich darüber aufgeklärt hatte. Mein erster Tag in Amsterdam, schon glich mein Leben einer beschissenen Soap. Das unfassbar schöne Mädchen, das ebenfalls mein Bruder toll fand und von Berufswegen eine Prostituierte war, war von ihrem Chef bedroht worden. Zu allem Überfluss hatte ich nichts dagegen ausrichten können. Ich fragte mich, ob dieser Umzug nach Amsterdam wirklich so eine gute Idee gewesen war

wie ich anfangs angenommen hatte. Langsam merkte ich, wie meine Augen trotz der aufwühlenden Gedanken, die in mir herrschten immer schwerer wurden, bis sie mir schliesslich zufielen. Doch meine Zweifel blieben. Die ganze Nacht träumte ich von diesen unglaublich traurigen grünen Augen.

Die nächsten beiden Tage hing ich in einer Zeitschleife fest. Ich schlief lange aus, während mein Bruder schon morgens zur Arbeit ging. Gegen Mittag stand ich auf und begab mich auf Entdeckungstour durch Amsterdam, naja ich schlurfte eigentlich nur bis zum Coffeeshop um die Ecke. Dort dröhnte ich mich zu, bis mein Bruder von der Arbeit kam. Einerseits weil ich nichts Besseres zu tun hatte, da ich offiziell im Urlaub war. Andererseits weil es mir zu viel Angst machte, wie sehr ich mich um Lana sorgte. Sie nicht mehr aus meinem Kopf bekam.

Immer wieder sah ich ihre Augen vor mir, ihr schönes Gesicht und die langen gewellten Haare. Doch mit jedem neuen Joint schwand die Sorge und wich Gelassenheit. Nachdem mein Bruder Noah fertig mit der Arbeit war holte er mich ab. Wir gingen dann was Essen und später feiern. Beide Male landeten wir danach irgendwie im The Ex, doch ich bekam Lana nicht zu Gesicht. Ich redete mir ein, dass sie frei hatte. Oder die bessere Variante, dass sie ihren Job gekündigt hatte und jetzt in einem netten Café arbeitete. Das würde zwar bedeuten, dass ich sie vermutlich nie mehr sehen würde. Doch ich war mir sicher, dass es für sie so am besten war.

Tag drei begann ähnlich, wie die beiden anderen Tage zuvor. Ich schlief lange und gegen Mittag machte ich mich auf den Weg zum Coffeeshop. Ich war etwas müde, weshalb ich den perfekt geformten Hintern in einer Skinny Jeans vor mir nicht sofort erkannte. Doch dann sah ich ihre langen gewellten blonden Haare.

Sie war es.

Ich beschleunigte meine Schritte und berührte sie leicht an der Schulter. Sie zuckte sichtlich erschrocken bei meiner Berührung zusammen. Dabei fiel mir auf, dass ich ihre schönen Augen heute leider nicht sehen konnte. Lana trug eine grosse schwarze Sonnenbrille und ich fragte mich sofort, weshalb sie das tat. Heute hatte sie sich Turnschuhe angezogen, weswegen ich mich regelrecht hinunterbeugen musste, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Mir war vorher nicht aufgefallen, wie klein sie doch war. In den Sneakers, der Jeans und einem dicken schwarzen Pullover und im Tageslicht wirkte sie noch jünger. Ich fragte mich ernsthaft, ob es okay war sie anzusprechen. Ich befürchtete sogar, dass die noch jünger war, als ich anfangs angenommen hatte.

«Hey wie geht es dir? Das letzte Mal als wir uns gesehen haben sahst du nicht besonders glücklich aus.»

Ich wartete doch von ihr kam keine Reaktion, ich glaubte beinahe sie durch meine Schwärmerei mit einer anderen Person verwechselt zu haben. Sie blickte mich lange an, als würde sie überlegen, ob sie mir die Wahrheit anvertrauen sollte. Doch offenbar konnte sie das nicht, denn ein krampfhaftes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen.

«Hei, ja das stimmt, aber ich hatte nur etwas zu viel getrunken. Jetzt geht es mir wieder gut.» Mir fiel auf, dass ihre obere Lippe leicht aufgeplatzt aussah. In mir verhärtete sich ein Verdacht. Ohne mir den Konsequenzen dessen bewusst zu sein, was ich in diesem Augenblick tat, setzte ich ihr bestimmt aber sanft die Sonnenbrille ab. Ich zog die Luft scharf ein, denn was ich jetzt sah, durfte nicht wahr sein. Ihr rechtes Auge zierte ein grosses Veilchen, das gesamte Auge war blauviolett verfärbt und angeschwollen.

«War er das?», fragte ich und ballte gleichzeitig meine Hände zu Fäusten. Ich konnte meine Wut kaum unter Kontrolle halten. Was war das für ein Mistkerl, der einer Frau so etwas antun konnte. Wie konnte er ausgerechnet Lana so zurichten! Lana blickte beschämt zu Boden, ihre Schultern sanken nach unten, sie machte sich so klein wie nur möglich. Ich fragte mich, ob sie glaubte, dass es ihre Schuld war.

«Hei», versuchte ich es nun etwas sanfter.

«Sag mir hat er das getan? Das ist nicht in Ordnung du musst zur Polizei gehen.»

Ich hob ihr Kinn mit meiner Hand leicht an, so hatte sie gar keine andere Wahl als mir in die Augen zu sehen. Obschon ich ihren Anblick kaum ertragen konnte, hielt ich ihrem Blick stand. Da sah ich es wieder, diese Trauer und den Schmerz. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, gab ich ihr die Sonnenbrille zurück. Denn ich sah, wie einige Passanten uns schon voller Neugierde musterten. Lana setzte sich ihre Sonnenbrille wieder auf, sagte jedoch immer noch keinen Ton. Obwohl ich sie nicht kannte, hatte ich das unbändige Bedürfnis, sie zu beschützen. Ich wollte ihr gerne helfen. Denn etwas konnte ich eindeutig sehen, Lana brauchte Hilfe. Ich versuchte es ein weiteres Mal.

«Ich weiss wir kennen uns nicht aber ich möchte dir helfen. Um die Ecke ist eine Bäckerei, Lust auf ein verspätetes Frühstück? Danach kannst du mir erzählen was passiert ist. Natürlich nur wenn du willst.»

Da sie zu spüren schien, dass ich nicht so einfach lockerlassen würde, nickte sie zaghaft. Wir schlenderten beide in Richtung der Bäckerei, ich fragte mich zum wiederholten Mal, ob mein Leben jetzt jeden Tag, wenn ich Lana begegnete, nicht unweigerlich komplizierter werden würde. Doch dann sah ich sie von der Seite an und Wärme stieg in mir auf. Ich traf sie heute erst zum dritten Mal. Doch in den letzten Tagen hatte ich kaum eine Stunde aufhören können an sie zu denken. Ich fühlte wie mein Herz fester schlug, ich war mir absolut sicher, dass Lana etwas Besonderes war. Sogar wenn jeder Tag meines Lebens ein unheilvolles Chaos werden würde, für sie würde ich das in Kauf nehmen.

Kapitel 6

Lana

Wieso musste ich heute ausgerechnet ihm über den Weg laufen? Jeder andere hätte mir meine Lüge, dass es mir gut ginge abgekauft, nur er nicht. Am liebsten wäre ich vor ihm weggelaufen, als er mir die Sonnenbrille abgenommen hatte und mich sogleich erschrocken angesehen hatte. Doch etwas an seiner entschlossenen Haltung und seinem besorgten Blick hatten mich davon abgehalten. Denn wer sagte mir, dass er dann nicht sofort ins The Ex gestürmt wäre, um meinen Boss zur Rede zu stellen. Doch ich wollte meinen Job nicht verlieren, ich brauchte das Geld, wir brauchten das Geld.

Ich war ebenso wenig begeistert darüber, dass Lars mich so übel zugerichtet hatte. Sodass ich die ganze Woche nicht zur Arbeit hatte erscheinen können. Doch ich wusste auch, dass es meine eigene Schuld gewesen war. Hätte ich an diesem Abend doch etwas besser auf mich aufgepasst. Nur damit er nicht den Eindruck von mir bekommen hätte, ich hätte bei der Arbeit zu viel getrunken. Ich hatte mir das Problem selbst zuzuschreiben. Und jetzt fühlte ich mich dazu verpflichtet, diesem Kerl, der mich vor einigen Tagen ins eiskalte Wasser geschubst hatte und den ich dann in The Ex wiedergetroffen hatte Rede und Antwort zu stehen. Ich starrte auf den grossen breitschultrigen Mann vor mir, der sich einen Weg zu einem freien Tisch im Café bahnte. Sich dabei aber immer wieder nach mir umsah, ob ich ihm auch tatsächlich folgte. Als ich mich schliesslich ihm gegenüber setzte und er bei der Bedienung Kaffee für uns beide bestellte, hatte ich endlich Zeit, sein Gesicht bei Tageslicht ausgiebig zu betrachten. Er sah richtig gut aus, was mir vorher schon aufgefallen war. Er hatte eine Figur wie ein Sportler gross und breitschultrig, doch nun konnte ich seinen durchtrainierten Körper durch sein Shirt hindurch bewundern. Er hatte dunkle etwas längere zerzauste Haare, eine gerade Nase, hohe Wangenknochen und volle Lippen, dazu diese dunklen Augen. Verdammt er sah wirklich gut aus.

Das bestätigte mir ebenso das nervöse Kichern aus dem Mund der Kellnerin. So wie die anzüglichen Blicke, die ihm die anderen weiblichen Cafégäste zuwarfen. Ich verkroch mich instinktiv weiter in meinen Sitz und richtete meine Sonnenbrille. Das Letzte was ich wollte, war auffallen. Denn ich war am liebsten unsichtbar. Das war schwer vorstellbar, wenn man mich bei der Arbeit sah. Wenn ich auf der Bühne eine Show abzog oder halb nackt durch die Bar stolzierte. Im wirklichen Leben hielt ich mich hingegen gern im Hintergrund und erweckte ungern die Aufmerksamkeit von anderen Menschen.

Nervös kratzte ich mir Nagellack von den Nägeln, als ich seinen warmen Blick auf mir fühlte. Er schien meine Nervosität zu wittern, wie ein Wolf ein verletztes Reh. Seine dunklen Augen lagen auf mir, seine ganze Aufmerksamkeit galt allein mir.

«Willst du mir nun sagen was passiert ist?». Er sah gut aus keine Frage, aber weshalb sollte ich ihm etwas derart persönliches erzählen. Wir kannten uns praktisch nicht.

«Ich wüsste nicht was dich das angeht und ausserdem kennen wir uns doch überhaupt nicht. Das erste Mal als wir uns gesehen haben, hast du mich ins Wasser geschubst und das zweite Mal war ich etwas neben der Spur.»