Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Ein neuer Fall für Arthur und seine Freunde: Sherlock Holmes wurde vergiftet! Die fulminante Fortsetzung der Bestseller-Reihe »Baskerville Hall«
Arthur Doyles spektakuläre Abenteuer in Baskerville Hall gehen weiter: Neue Rätsel und Herausforderungen erwarten ihn, aber auch die Machenschaften des »Kleeblatts«, eines ominösen Geheimklubs, treiben ihn weiter um – möglicherweise hat ausgerechnet sein bester Freund Jimmie Moriarty etwas damit zu tun! Da passiert etwas Schreckliches: Professor Holmes wird vergiftet und fällt ins Koma. Arthur schiebt seine eigenen Sorgen beiseite und beginnt sofort mit der Spurensuche: Nur wenn er und seine Freunde den Täter schnellstens finden, kann Sherlock Holmes gerettet werden – denn mancher in Baskerville Hall spielt ein falsches Spiel ...
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 364
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Arthur Doyles spektakuläre Abenteuer in Baskerville Hall gehen weiter: Neue Rätsel und Herausforderungen erwarten ihn, aber auch die Machenschaften des »Kleeblatts«, eines ominösen Geheimklubs, treiben ihn weiter um — möglicherweise hat ausgerechnet sein bester Freund Jimmie Moriarty etwas damit zu tun! Da passiert etwas Schreckliches: Professor Holmes wird vergiftet und fällt ins Koma. Arthur schiebt seine eigenen Sorgen beiseite und beginnt sofort mit der Spurensuche: Nur wenn er und seine Freunde den Täter schnellstens finden, kann Sherlock Holmes gerettet werden — denn mancher in Baskerville Hall spielt ein falsches Spiel ...
Ali Standish
Baskerville Hall
Das geheimnisvolle Internat der besonderen Talente
Das Zeichen der Fünf
Aus dem Englischen von Sandra Knuffinke und Jessika Komina
Hanser
Für Arlo Lark — möge dies nur das erste von zahlreichen gemeinsamen Abenteuern sein
Wenn man das Unmögliche ausschließt, muss das, was übrig bleibt, auch wenn es noch so unwahrscheinlich ist, wahr sein.
Sherlock Holmes
Eins
Arthur Conan Doyle entging kaum etwas, nicht mal im morgendlichen Getümmel von Edinburghs nagelneuem Bahnhof, der Waverley Station. Weder die Schlagzeile der Zeitung unter dem Arm eines vorübereilenden Geschäftsmanns noch die Hand eines Diebs, die blitzschnell in der Tasche einer Dame verschwand, während diese ein Erste-Klasse-Abteil bestieg.
Und am allerwenigsten entging ihm der Blick des schmächtigen Mannes mit dem ernsten, fahlen Gesicht, der ihn durch die Bahnhofshalle anstarrte.
Genau diesen Mann hatte Arthur während der Weihnachtsferien schon mehrmals dabei ertappt, wie er von der gegenüberliegenden Straßenseite das schäbige Haus der Doyles beobachtete. Und jetzt war er Arthur und seiner Familie offenbar zum Bahnhof gefolgt.
Was wollte er bloß von ihnen?
»Wir müssen uns beeilen, sonst verpasst Arthur seinen Zug«, mahnte Mrs Doyle, die vorneweglief. »Na komm, Mary, nicht so trödeln!«
Arthur sah nur für einen winzigen Moment zu seiner Mam, doch genau diesen nutzte der Unbekannte, um in der Menschenmenge unterzutauchen. Er löste sich genauso unvermittelt in Luft auf wie jedes Mal zuvor, wenn Arthur versucht hatte, ihn zur Rede zu stellen.
Aber heute hatte Arthur keine Zeit, die Verfolgung aufzunehmen. Auf keinen Fall würde er riskieren, dass der Zug zurück nach Baskerville Hall ohne ihn abfuhr!
Er drehte sich zu seiner kleinen Schwester Mary um.
Doch sie war weg.
Arthur suchte den Bahnsteig ab. Es gab drei mögliche Erklärungen für das plötzliche Verschwinden seiner Schwester.
Erstens: Mary hatte sie im Gewühl aus den Augen verloren. Das hielt Arthur jedoch für unwahrscheinlich, schließlich war sie vor wenigen Sekunden noch direkt hinter ihm gewesen.
Zweitens: Sie war entführt worden. Vielleicht von einem Komplizen ihres fahlgesichtigen Verfolgers? Auch das hielt Arthur in einer so belebten Bahnhofshalle wie der Waverley-Station eher für ausgeschlossen. Da hätte doch sicher irgendjemand etwas bemerkt und Alarm geschlagen.
Drittens: Sie war von selbst auf Abwege geraten. Aber wo könnte seine abenteuerlustige Schwester hingewollt haben?
Arthurs Blick fiel auf den Zug vor ihm.
»Mary, nicht!«
Er rannte los und bekam seine kleine Schwester, die schon beim Einsteigen war, gerade noch rechtzeitig zu packen. Erleichtert setzte er sie auf dem Bahnsteig ab.
»Das ist so gemein!«, beschwerte Mary sich prompt. »Wieso darfst du Zug fahren und ich nicht?«
»Dich brauchen wir zu Hause«, antwortete ihre Mam knapp, während sie Mary an die Hand nahm und mit sich zog. »Wohin du wohl nie zurückgefunden hättest, wenn du erst mal unterwegs nach Timbuktu gewesen wärst.«
Ein klagendes Pfeifen schallte über den Bahnsteig und auch der Rest der Familie setzte sich wieder in Bewegung.
»Da sind wir«, rief Mrs Doyle kurz darauf über den Lärm der Menschenmassen und wartenden Züge hinweg. Sie blieb unter einem Schild mit der Aufschrift »Dritte Klasse« stehen, schloss Arthur fest in die Arme und überließ ihn anschließend seinen vier Schwestern — fünf, wenn man Baby Constance mitzählte —, die ihn einander förmlich aus den Armen rissen, um sich alle von ihm zu verabschieden.
»Du musst ganz oft schreiben«, verlangte Anne.
»Und mach keine Dummheiten«, fügte Catherine mit strengem Blick hinzu.
Wenn ihr wüsstet, dachte Arthur bei sich.
Er hatte seiner Familie nicht mal einen Bruchteil von dem erzählt, was sich in seinen ersten Wochen in Baskerville Hall zugetragen hatte. Keiner von ihnen wusste, dass seine Lehrerin Dinah Grey eine Unsterblichkeitsmaschine erfunden und in der Schule versteckt hatte. Ganz zu schweigen von dem Pterodaktylusbaby, das Arthur versehentlich zum Leben erweckt hatte und das seitdem das Schulgelände unsicher machte. Ein aufgeregtes Kribbeln machte sich in seinem Bauch breit. Er konnte es kaum abwarten, wieder dort zu sein.
Die kleine Constance auf Mrs Doyles Arm gluckste zum Abschied, während Caroline lauernd nach Arthurs Knien schielte. Vermutlich wartete sie auf eine gute Gelegenheit hineinzubeißen — ihre bevorzugte Art, ihre Zuneigung zu zeigen. Nur Mary, die es Arthur übelnahm, dass er ihre Fluchtpläne durchkreuzt hatte, weigerte sich, mit ihm zu reden.
»Ich lege an der Schule ein gutes Wort für dich ein«, raunte er ihr ins Ohr. »Dann wirst du vielleicht auch angenommen, wenn du alt genug bist.«
Woraufhin Mary Arthur um den Hals — oder eher um die Hüften — fiel und in Tränen ausbrach.
»Arthur, Schatz, du musst wirklich langsam einsteigen.« Seine Mam befreite ihn von Mary und versetzte ihm einen sanften Schubs Richtung Zug. »Aber zuerst …«
Sie zog einen selbst gestrickten Schal unter ihrem Mantel hervor, der sich aus einer Reihe Quadrate in unterschiedlichen Farben zusammensetzte. Einige Partien waren knubbeliger als andere.
»Eine Gemeinschaftsarbeit von uns allen«, erklärte Mrs Doyle und legte Arthur den Schal um den Hals. »Als kleines verspätetes Weihnachtsgeschenk.«
»Damit du uns nicht vergisst!«, krähte Mary.
»Damit dir immer schön warm ist und du dich nicht erkältest«, berichtigte Catherine.
»Der ist ja toll«, freute sich Arthur und strahlte in die Runde. »Danke.«
»Alles einsteigen!«, rief eine Stimme.
Arthur sprang eilig die Stufen hoch, suchte sich einen Platz auf einer der harten Holzbänke und winkte seiner Familie durchs Fenster zu. Die Doyles winkten zurück. In Mrs Doyles Augen glitzerten Tränen und Arthur wäre am liebsten direkt wieder ausgestiegen und hätte sie noch einmal umarmt — sie alle.
Als der Zug sich jedoch ruckelnd in Bewegung setzte, machte sein Herz einen Hüpfer.
Auf in ein neues Abenteuer.
Während der Zug durch den Bahnhof rumpelte, suchte Arthur ein letztes Mal die Menschenmenge ab, doch von dem Mann, der sie verfolgt hatte, fehlte jede Spur. Arthur atmete auf. Allerdings war das nicht das einzige Gesicht, nach dem er Ausschau gehalten hatte, wie ihm jetzt bewusst wurde. Ein winziger Teil von ihm hatte wohl gehofft, sein Vater hätte es sich im letzten Moment anders überlegt und wäre noch zum Bahnhof gekommen, um ihn zu verabschieden.
Mr Doyle hatte sich den Großteil der Ferien über in seinem Arbeitszimmer verschanzt und behauptet, er fühle sich nicht wohl. Aber wenn sie sich auf der Treppe begegnet waren, hatte Arthur gerochen, dass er wieder getrunken hatte.
Sein Vater würde seine Familie jedenfalls nicht vor dem fahlgesichtigen Mann verteidigen können, falls dieser wieder bei ihnen vor dem Haus stand. Aber Arthur tröstete sich damit, dass der Fremde offenbar nur an ihm interessiert war, nicht an seinen Schwestern oder seinen Eltern. Aber wer war er … und was wollte er?
Arbeitete er womöglich für den grünen Ritter?
Es gab noch immer so viele offene Fragen, was die geheimnisvolle Gestalt anging, die letzten Herbst in Baskerville Hall aufgetaucht war. Er wusste nicht einmal den richtigen Namen des Mannes, nur, dass er versucht hatte, Professorin Greys Unsterblichkeitsmaschine zu stehlen. Was Arthur und seine Freunde im letzten Moment verhindert hatten.
Die Sonne schien durchs Fenster, als sie den Bahnhof verließen und allmählich Fahrt aufnahmen. Arthur sah zu, wie die heruntergekommenen Reihenhäuser mit den rauchenden Schornsteinen nach und nach Bauernhöfen und strahlend blauem Himmel über grünen Hügeln wichen. Die zwei kleinen Kinder auf der Bank ihm gegenüber rissen die Augen auf, als in der Ferne plötzlich das Meer glitzerte. Auch Arthur sah durch die kalte Scheibe dem Spiel der Wellen zu, auf und ab, auf und ab. Der Zug schaukelte sanft hin und her. Seine erste Reise nach Baskerville Hall mit Professor Challengers Luftschiff war zwar furchtbar aufregend gewesen, aber gegen so eine entspannte Zugfahrt war auch nichts einzuwenden, befand Arthur. Auch wenn sein Anteil der Bank immer mehr zusammenschrumpfte, je breiter sich der schnurrbärtige Mann neben ihm machte.
Er überlegte, wie wohl seine zwei wohlhabenderen Freunde, Jimmie Moriarty und Irene Eagle, zurück nach Baskerville Hall reisten. Vielleicht in edlen Kutschen? Grover Kumar und Mary Morstan — genannt Pocket — hingegen saßen vermutlich in ganz ähnlichen Dritte-Klasse-Waggons wie er selbst.
Aber im Grunde spielte es keine Rolle, auf welchem Weg sie zurück zur Schule gelangten. Die Hauptsache war, dass sie endlich bald wieder vereint waren.
Während seine Gedanken von dem schiefen Turm, in dem Jimmie und er sich ein gemütliches Zimmer teilten, zu dem riesigen Speisesaal wanderten, wo alle gemeinsam aßen, fielen Arthur langsam die Augen zu. Das sachte Wiegen des Zuges lullte ihn regelrecht ein — so als säße er auf einem sehr trägen Pferd.
Was ihn jedoch sofort wieder an seine letzte Begegnung mit dem grünen Ritter denken ließ. »Wir werden uns wiedersehen, Arthur«, hatte dieser ihm aus dem Schatten seiner Kapuze prophezeit. »Früher, als du vielleicht denkst.« Dann war er auf seinem schwarzen Pferd durch den Wald davongeritten.
Jemand tippte ihm auf die Schulter. Arthur schlug erschrocken die Augen auf. Die beiden Kinder gegenüber kicherten und der Mann neben ihm deutete auf einen ungehalten wirkenden Schaffner in adretter Uniform.
»Den Fahrschein, bitte!«, sagte der Schaffner in einem Tonfall, der vermuten ließ, dass er Arthur nicht zum ersten Mal ansprach.
»Ach so, natürlich.« Arthur kramte hastig das Ticket aus der Tasche. Edinburgh — Little Bigsby, einfache Fahrt. Der Schaffner knipste ein Loch hinein und ging weiter. Arthur lehnte sich verlegen zurück. Er fühlte sich plötzlich sehr unwohl, und das lag nicht nur an seinem Traum, davon war er überzeugt. Ein Schauder lief ihm über den Rücken. Bestimmt starren mich alle an.
Doch als er sich unauffällig umdrehte, sah niemand in seine Richtung. In der Reihe hinter ihm saßen eine alte Dame — die vor sich hin zu dösen schien, dem Schaffner dann jedoch, ohne die Augen zu öffnen, ihre Fahrkarte reichte —, eine rotwangige Frau mit einem üppigen Gemüsekorb auf dem Schoß, ein junger Mann mit Pfeife und ein weiterer Mann, der Zeitung las. Arthur überflog die Überschriften.
Merkwürdig.
Der oberste Artikel handelte von der Eröffnung des neuen Edinburgher Hauptbahnhofs Waverley, die sich immer weiter verzögerte. Dabei war der Bahnhof doch schon längst in Betrieb. Wer las denn so eine veraltete Zeitung?
»Die Fahrscheine«, brummte der Schaffner. Als der Mann ihm seinen reichte, ließ er kurz die Zeitung sinken.
Arthur schnappte nach Luft.
Es war der Fremde vom Bahnhof.
Der Mann fing Arthurs Blick auf und verzog das Gesicht.
Dann stand er unvermittelt auf, riss dem empörten Schaffner den Fahrschein wieder aus der Hand und drängte sich durch in den Gang.
Direkt auf Arthur zu.
Arthur sprang auf und hechtete an den anderen Fahrgästen vorbei, ohne auf deren erschrockenen Protest zu achten.
Er sprintete durch den Gang. Hörte eilige Schritte hinter sich.
Wenn er es nur bis zum Ende des Waggons schaffte, dann könnte er vielleicht die Tür dort hinter sich abschließen und wäre vor seinem Verfolger in Sicherheit.
Arthur erreichte die Tür, zerrte sie auf und landete auf einer winzigen, von einem niedrigen Geländer eingefassten Plattform. Eisiger Winterwind pfiff ihm so heftig um die Ohren, dass er blinzelnd stehen blieb.
Der Waggon war durch nichts als eine schmale Eisenkupplung mit dem nächsten verbunden. Nie im Leben würde er es dort hinüberschaffen … es sei denn, er sprang, was extrem gefährlich wäre. Also saß er in der Falle.
Arthur schüttelte seine Benommenheit ab. Wenigstens die Tür sollte er hinter sich zumachen, schoss es ihm durch den Kopf, doch ehe er die Gelegenheit dazu bekam, hatte sein Verfolger ihn bereits eingeholt. Der Mann packte ihn beim Kragen, drehte ihm die Hände auf den Rücken und drängte ihn gegen das wenig vertrauenerweckende Geländer, ausgerechnet in dem Moment, als der Boden rechts und links der Gleise verschwand und der Zug über eine Brücke raste. Tief unter ihnen rauschte ein Fluss.
»Na, na, mein Junge«, grollte eine Stimme in sein Ohr. »An Ihrer Stelle würd ich jetzt ganz ruhig bleiben.«
Zwei
Eisig und unerbittlich schimmerte der Fluss unter ihnen. Arthur schluckte und versuchte, sich an seine Boxlektionen bei Professor Stone zu erinnern. Es musste doch irgendein Manöver geben, um zu verhindern, dass er über das Geländer geworfen wurde.
»Endlich hab ich Sie erwischt«, begann sein Angreifer. »Und jetzt …«
Doch Arthur ließ ihn nicht ausreden. Stattdessen holte er tief Luft und stieß den Kopf nach hinten, sodass er auf die Nase des Mannes krachte. Der schrie auf und lockerte seinen Griff, bis Arthur einen Arm befreien und dem Fremden den Ellenbogen in den Bauch rammen konnte.
Der Mann krümmte sich vornüber. Arthur wirbelte herum, bereit, sich seinen Weg zurück in den Waggon zu erkämpfen. Hastig sah er sich nach irgendetwas um, was er als Waffe benutzen konnte. Dabei fiel sein Blick auf ein kleines Stück Papier, das neben seinem stöhnenden Angreifer auf dem Boden lag. Es war ein Zugfahrschein.
Arthur wandte sich wieder seinem Gegner zu und betrachtete ihn genauer. Der Mann war hochgewachsen, drahtig und jünger, als er aus der Ferne gewirkt hatte. An der rauen Wolle seines schlecht sitzenden Mantels haftete ein silbernes Haar, etwa von der Länge einer Stopfnadel. Arthur zupfte es herunter und nickte still vor sich hin. Der Fluss lag mittlerweile hinter ihnen, und mit ihm die Todesangst.
»Sie kommen von Baskerville Hall, stimmt’s?«, fragte er, während sie wieder durch ein Mosaik aus Feldern und Weiden tuckerten.
»So is’ es.« Der Mann richtete sich auf und wischte sich das Blut aus dem Gesicht. Seine linke Wange war mit Pockennarben übersät. »Schade, dass Sie da nich’ drauf gekommen sind, bevor Sie mir fast die Nase zertrümmert hätten.«
Feindselig musterte er Arthur, der daraufhin ein Taschentuch hervorholte und es ihm zögerlich reichte.
»Wie sind Sie überhaupt drauf gekommen?«, fragte der Mann weiter, nahm das Taschentuch und drückte es sich unter die Nase. »So war das nämlich nich’ geplant.«
»Na ja, erstens denke ich mir, wenn Sie mich umbringen wollten, hätten Sie vermutlich Ihre Chance genutzt, als wir auf der Brücke waren.«
»Da seien Sie sich mal nich’ so sicher«, knurrte der Mann verdrossen.
»Und zweitens ist Ihnen Ihr Fahrschein aus der Tasche gefallen.« Arthur deutete auf den Boden. »Little Bigsby, Edinburgh und zurück. Und Little Bigsby ist der nächste von der Schule aus erreichbare Bahnhof.«
»Sicher, dass Sie da keine Feinde haben, die mich bezahlen, damit ich Sie kidnappe oder Ihnen die Beine breche?«
Arthur hätte beinahe losgelacht. Er dachte an Sebastian Moran, den reichen Schnösel aus seinem Jahrgang, der es von Anfang an auf ihn abgesehen hatte. Genau wie mittlerweile auch die restlichen Mitglieder des Kleeblatts, jenes einflussreichen Geheimklubs, der mit dem grünen Ritter zusammenarbeitete. Doch, Feinde hatte Arthur in Baskerville Hall wirklich mehr als genug.
Jetzt hielt er das silberne Haar hoch, das er vom Mantel des Mannes gepflückt hatte. Es war zu lang, um von einem Hund oder einer Katze zu stammen, aber zu dick für ein Menschenhaar. »Und drittens«, fuhr er fort, »ist das hier ein Wolfshaar. Ihr ganzer Mantel ist voll davon. Ich kenne nur einen einzigen Wolf und der bewacht Baskerville Hall. Kein Verbrecher würde dem einfach mal den Bauch kraulen. So, ich habe Ihre Frage beantwortet, jetzt sind Sie dran. Wer sind Sie und wer hat sie geschickt?«
Der Mann hob die Augenbrauen — ob beeindruckt oder verärgert, ließ sich schwer sagen.
»Holmes hatte recht«, murmelte er. »Sie sind ein cleveres Bürschchen. Ich bin Bill. Bill Wiggins.«
Er streckte Arthur, der bei der Erwähnung von Sherlock Holmes überrascht den Mund geöffnet hatte, die Hand hin.
»Dann wissen Sie ja wahrscheinlich, dass ich Arthur Doyle bin«, entgegnete er und schüttelte Wiggins die Hand. »Sind Sie mit Professor Holmes befreundet?«
Wiggins runzelte die Stirn. »Könnte man so sagen, ja«, antwortete er. »Der alte Shirley hat mir vor ’n paar Jahren mal aus der Patsche geholfen, darum versuch ich, ihm ein bisschen zur Hand zu gehen, wenn möglich.«
»Und wobei gehen Sie ihm gerade zur Hand?«, erkundigte sich Arthur. »Warum hat Holmes Sie auf mich angesetzt?«
»Na, zu Ihr’m Schutz«, sagte Wiggins. »Bin immer mal zwischendurch nach Edinburgh getingelt und hab nach dem Rechten geguckt. Und seit gestern Abend pass ich auf, dass Sie sicher zurück nach Baskerville kommen. Dabei hätt’ ich wohl eher wen gebraucht, der mich beschützt.«
Arthur wollte gerade fragen, wovor Wiggins ihn denn beschützen wollte, aber dann begriff er.
»Das ist wegen des grünen Ritters, richtig?«, fragte er. »Hat Professor Holmes irgendwas Neues erfahren? Oder warum macht er sich solche Sorgen um mich?«
Wiggins hob abwehrend die Hände. »Keine Ahnung, ich werd’ nur fürs Beschatten bezahlt. Wobei ich hoffe, da is’ jetzt wenigstens ’ne Gehaltserhöhung drin. Gefahrenzulage.« Missmutig deutete er auf seine blutende Nase.
»Sie haben mich doch hier rausgejagt und festgehalten«, verteidigte sich Arthur, der trotz der Kälte heiße Wangen bekam.
»Ja, weil Sie wie vom wilden Affen gebissen losgerannt sind und Anstalten gemacht haben, da rüberzuspringen«, gab Wiggins zurück. »Aber was soll’s. Gehen wir lieber wieder rein, bevor wir uns Frostbeulen holen.«
Er hielt Arthur die Tür auf und folgte ihm zurück in den Waggon. Die anderen Fahrgäste warfen ihnen neugierige oder — in einigen Fällen — missbilligende Blicke zu. Arthurs schnauzbärtiger Sitznachbar von zuvor hatte sich mittlerweile bis zum Fenster ausgebreitet, also quetschte Arthur sich neben Wiggins auf die Bank. Den Rest der Fahrt verbrachten sie schweigend. Wiggins vertiefte sich wieder in seine alte Zeitung und überließ Arthur seinen Gedanken. Der Zug rumpelte mal schneller, mal langsamer von Bahnhof zu Bahnhof und trug sie weiter nach Südwesten.
Nach der Begegnung im Wald hatte Professor Holmes Arthur gewarnt, der grüne Ritter werde in seinem Streben nach Unsterblichkeit nicht nachlassen. Dies sei erst der Anfang gewesen, hatte er gesagt. Arthur hatte den Professor danach immer wieder mit Fragen gelöchert, doch Holmes hatte ihn stets vertröstet, er würde mehr erfahren, wenn die Zeit reif sei.
Tja, wenn der Professor es jetzt für notwendig hielt, Arthur einen Beschützer zur Seite zu stellen, dann war die Zeit wohl eindeutig reif. So oder so war Arthur fest entschlossen, so viel über den grünen Ritter herauszufinden, wie er nur konnte.
Drei
Der Bahnhof von Little Bigsby, wo Arthur und Wiggins schließlich ausstiegen, bestand aus nicht viel mehr als zwei notdürftig zusammengezimmerten Bahnsteigen zu beiden Seiten der Gleise und einem Fahrkartenschalter von der Größe eines Besenschranks. Arthur wollte sich gerade erkundigen, ob Wiggins ihn jetzt ganz bis zur Schule »beschatten« würde, als er mit jemandem zusammenstieß, der aus dem Abteil neben seinem stieg.
Nach der abenteuerlichen Zugfahrt war Arthur so nervös, dass er unwillkürlich die Fäuste ballte. Doch als er sah, mit wem er es zu tun hatte, entspannte er sich wieder. Der Junge, groß und dürr wie eine Bohnenstange, blinzelte ihn aus eulenhaft runden Augen an. Sein Gesicht zwischen dem schwarzen Hut und dem ebenso schwarzen Mantel war hellbraun.
»Grover!«, rief Arthur.
Grover Kumar erwiderte seinen Gruß mit einem entrückten Lächeln. »Arthur«, sagte er. »Ich hab neulich geträumt, dass wir uns hier treffen würden, und ich hatte recht. Anscheinend haben sich meine hellseherischen Fähigkeiten über die Ferien beträchtlich verbessert.«
Arthur schüttelte Grover die Hand, ohne ihn darauf hinzuweisen, dass die Wahrscheinlichkeit, sich zu Schulbeginn wiederzusehen, so oder so recht hoch war.
»Ich hab mir eine Mitfahrgelegenheit nach Baskerville organisiert, falls du Interesse hast?«, bot Grover an. Dann wanderte sein Blick hinter Arthur. »Nicht umdrehen, aber hinter dir steht ein ziemlich schauriger Kerl. Sieht aus wie ein Vampir.«
»Ach, das ist … bloß eine Bekanntschaft aus dem Zug«, winkte Arthur ab. »Jedenfalls fahre ich gerne mit, danke.«
Er hatte absolut nichts dagegen, Wiggins’ Gesellschaft gegen Grovers einzutauschen, und außerdem konnte er es kaum noch erwarten, endlich in Baskerville Hall anzukommen.
»Wunderbar«, freute sich Grover.
»Ab hier schaffe ich’s dann allein«, raunte Arthur Wiggins im Gehen zu. »Aber, äh … danke.«
»Wie Sie meinen, Junge«, erwiderte Wiggins. »Aber der alte Shirley erzählt in letzter Zeit die verrücktesten Sachen über die Schule. Passen Sie auf sich auf.«
Wäre gut, wenn der »alte Shirley« mir auch mal ein paar Sachen erzählen würde, dachte Arthur bei sich.
Wiggins tippte sich an den Hut und Arthur schloss zu Grover auf.
»Wie genau kommen wir denn jetzt nach Baskerville?«, fragte er neugierig, als sie die Treppe zum verlassenen Bahnhofsvorplatz hinuntergingen.
»Keine Sorge, er müsste jeden Moment da sein.«
Und bevor Arthur fragen konnte, auf wen sie denn warteten, hatte Grover ein Buch aus der Tasche gezogen und sich mit konzentrierter Miene darin vertieft. Groteske Erzählungen stand auf dem Einband.
»Geschichten von Edgar Allan Poe«, erklärte Grover, ohne den Kopf zu heben. »Der ist mein Lieblingsautor.«
Der Name kam Arthur vage bekannt vor. »Ist das nicht dieser Amerikaner, bei dem es am Ende immer schlimm ausgeht?«, fragte er. »Mit Leuten, die lebendig begraben werden und so?«
»Genau der«, antwortete Grover. »Ah, na endlich.«
Sie blickten in die Richtung, aus der nun gleichmäßiges Hufgetrappel ertönte. Kurz darauf kamen zwei Pferde in Sicht. Sie zogen eine Kutsche, auf deren Bock ein kleingewachsener, etwas teigiger Mann mit fröhlich roten Wangen saß. Er winkte Grover zu. Arthur legte den Kopf schief. Irgendetwas kam ihm an diesem Gefährt eigenartig vor. Es war glänzend schwarz, länglich und eckig und hatte verglaste Seitenwände statt einer Tür. Und hinter den Scheiben stand … ein Sarg.
»Grover«, krächzte er, »hast du einen Leichenwagen bestellt?«
»Schick, oder? Mr Grimmer hat ihn gerade neu lackieren lassen.«
»Ist das der Bestatter? Woher kennst du den denn?«
»Ach, ich hab letztes Jahr Briefkontakt zu ihm aufgenommen, weil ich ein paar Fragen zum Einbalsamieren von Leichen hatte. Er war so nett, sie mir zu beantworten, und darüber haben wir uns ein bisschen angefreundet. Ich hab ihm von zu Hause geschrieben, wann heute mein Zug ankommt, und er hat angeboten, mich vom Bahnhof abzuholen.«
Der Leichenwagen donnerte auf sie zu, bis der Bestatter seine Pferde mit einem »Hooo! Hooo!« abrupt vor ihnen zum Stehen brachte. Dann sprang er ab und schüttelte Grover herzlich die Hand.
»Schön, Sie zu sehen, mein Junge! Und wen haben wir da?«
»Ich bin Arthur. Arthur Doyle. Ich gehe mit Grover zur Schule.«
»Darf Arthur auch mitfahren, Mr Grimmer?«, fragte Grover.
»Na, selbstredend! Könnte allerdings ein bisschen eng werden zu dritt auf dem Bock. Ich würde ja sagen, machen Sie es sich hinten bequem, nur ist da, wie Sie sehen, schon besetzt. Hab in einer Stunde ’ne Beerdigung. Wird aber wohl ein ziemlich kleiner Kreis, den Alten konnte nämlich keiner ausstehen. Vermutlich hat’s deswegen auch ein paar Tage gedauert, bis die Leiche gefunden wurde. Roch gar nicht gut.«
Arthur erschauderte. Grover spähte neugierig durch die Scheibe.
»Kein Problem, wir rücken einfach ein bisschen zusammen«, sagte Arthur hastig.
»In Ordnung, dann mal her mit den Koffern.«
Arthur und Grover reichten Mr Grimmer ihr bescheidenes Gepäck und der Bestatter verstaute die Koffer hinter dem Kutschbock. Grover kletterte neben Mr Grimmer und half anschließend Arthur nach oben. Bevor Arthur richtig saß, ließ der Bestatter auch schon die Zügel schnalzen, und der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung. Arthur schluckte. Ganz ungeplant war er Teil einer äußerst bizarren Beerdigungsprozession geworden.
Er warf einen letzten Blick zurück zum Bahnhof. Dort stand Bill Wiggins und sah ihnen mit ernster Miene hinterher.
Die Fahrt nach Baskerville Hall führte durch den kleinen, aber hübschen Ortskern von Little Bigsby, dessen Backsteinhäuschen und Läden sich eine Hügelflanke entlangzogen. Die steil abfallende Hauptstraße mündete in ein helles Tal, in dem sie nichts als Ponys, Schafen und den Schatten der darüber hinwegziehenden Wolken begegneten. Sie kamen an einem Gasthaus vorbei, dem Fliegenden Schwein, und viele der Gäste aus dem Dorf wandten sich ab, sobald sie erkannten, welche Fracht ihre Kutsche geladen hatte.
Arthur hörte nur mit halbem Ohr zu, während Grover und Mr Grimmer darüber fachsimpelten, wie ein Sarg beschaffen sein müsste, um Grabräuber und Leichenschänder abzuhalten. Pocket mit ihrem Erfindergeist hätte sich vermutlich sofort interessiert eingeklinkt. Arthur jedoch ertappte sich immer wieder dabei, wie er den Blick vorausschweifen ließ und sich fragte, ob irgendwo der grüne Ritter lauerte.
Das winterlich ausgeblichene Gras reichte bis an den Rand eines dichten Waldes. Eiben, Eichen und Erlen reckten sich gen Himmel, jede so alt und erhaben wie ein Schloss. Hier wurde die Straße schmaler und verschwand zwischen den Bäumen. PRIVATWEG, verkündete ein Schild an einem Baumstamm. DURCHGANG NUR FÜR BEWOHNER ODER ANGEMELDETE BESUCHER VON BASKERVILLE HALL. UNGEBETENER GÄSTE WERDEN WIR UNS SO UNVERZÜGLICH WIE UNSANFT ENTLEDIGEN.
Wie zur Bekräftigung ragte auf der anderen Seite des Stamms ein Pfeil aus der Rinde. Arthur wusste, dass die Drohung durchaus ernst zu nehmen war, trotzdem hätte er am liebsten losgelacht vor Freude. Denn danach zu urteilen, befand er sich in Schussweite von Baskerville Hall, was nicht nur seine Schule, sondern zudem sein Lieblingsort auf der ganzen Welt war. Ein Ort voller Explosionen und Experimente, voller seltener Pflanzen und Tiere, voller Abenteuer.
Und doch hielt Arthur, während sie tiefer in den Wald vordrangen, sorgsam die Augen offen … für den Fall, dass jemand sie aus dem knorrigen Dickicht beobachtete. Bildete er sich das bloß ein, oder war da wirklich etwas Dunkles hinter den Bäumen?
»Was ist denn das?«, fragte er und deutete voraus.
Grover und Mr Grimmer folgten seiner Geste.
»Ich seh nichts«, sagte Grover.
»Ah«, machte Mr Grimmer. »Meinst du das, was aussieht wie eine Hecke?«
»Sieht es nur so aus oder ist es eine?«, fragte Arthur.
»Tja, sicher weiß ich’s nicht, ich kenne mich hier nicht aus«, antwortete der Bestatter. »Aber der alte Lord Baker soll irgendwo ein riesiges Heckenlabyrinth gepflanzt haben. Angeblich das vertrackteste von ganz Großbritannien.«
»Davon hab ich ja noch nie gehört«, entgegnete Arthur skeptisch.
»Ist auch schon eine Ewigkeit her. Mittlerweile ist es wahrscheinlich komplett zugewachsen. Aha, da sind wir.«
Hinter einer Kurve kam das Schultor in Sicht. Arthurs Herz begann, gegen seinen Brustkorb zu hämmern wie der Klöppel gegen eine Kirchenglocke am Weihnachtsmorgen.
Das Tor stand offen, und dahinter erhob sich die imposante Villa mit dem großen Speisesaal, in dem sich die Schüler zu den gemeinsamen Mahlzeiten versammelten. Die spitzen Giebel und zahllosen Türmchen zeichneten sich rosarot vor dem Nachmittagshimmel ab. Aus dem Dach des Wintergartens ragte ein gigantischer Baum und überschattete mit seiner Krone die wenigen verbliebenen Glasscheiben, die noch nicht seinen wuchernden Ästen zum Opfer gefallen waren. Warmes orangefarbenes Licht fiel aus den Fenstern, wie um die Anreisenden willkommen zu heißen.
Arthur lächelte.
Er war zurück.
Vier
Arthur musste sich beherrschen, um nicht vor lauter Aufregung bei voller Fahrt vom Wagen zu springen. Vor der Schule parkten bereits mehrere Kutschen und gut gekleidete Gäste stiegen die Treppe hoch Richtung Eingang. Erst jetzt fiel Arthur wieder ein, dass heute ja ein Empfang für die Eltern der Erstklässlerinnen und Erstklässler auf dem Programm stand. Leider hätte seine Familie sich die Zugfahrt nicht leisten können, selbst wenn sein Vater in der Verfassung dazu gewesen wäre. Wenigstens schien er da nicht der Einzige zu sein. Auch Grover war allein.
Beim Anblick des Leichenwagens hielten die anderen Leute verdutzt inne. Arthur bedankte sich hastig bei Mr Grimmer, hüpfte vom Kutschbock und schnappte sich seinen Koffer. Grover dagegen verabschiedete sich in aller Ausführlichkeit und versprach, baldmöglichst zu schreiben.
»So, ich muss mich sputen«, verkündete Mr Grimmer schließlich. »Mein werter Passagier hat noch eine Verabredung mit seinem Schöpfer und den lässt man besser nicht warten.« Er lachte herzhaft über seinen eigenen Witz. »Bis hoffentlich bald mal, Arthur!«
Der Leichenwagen raste wieder los und fuhr einen schwankenden Slalom um die geparkten Kutschen. Arthur winkte Mr Grimmer nach, hoffte jedoch, dass es nicht so schnell einen Anlass für eine erneute Begegnung mit dem Bestattungsunternehmer geben würde.
Grover und er machten sich auf den Weg die Treppe hoch. Arthurs Blick fiel auf das Schulwappen über dem Eingang. Es zeigte einen Schild mit einem efeuumrankten Kelch auf der einen und einem goldenen, mit einem Schwert gekreuzten Schlüssel auf der anderen Seite. Darunter stand auf Lateinisch: Scientia per Explorationem.
Wissen durch Erkundung.
»Kumar! Doyle! Sie sind ja reichlich spät dran!«
Brigadier Etienne Gerard war in der offenen Eingangstür erschienen. Der rotgesichtige Franzose war der Reitlehrer von Baskerville Hall und wie immer zierten unzählige auf Hochglanz polierte Orden für besondere Verdienste im Krimkrieg seine Brust. Er gab erst Grover, dann Arthur die Hand, die sich, wie Arthur registrierte, rau und schwielig anfühlte.
»Koffer hierlassen«, kommandierte der Brigadier. »Und dann ab in den Speisesaal.«
Er scheuchte sie in die Eingangshalle, die von Wandlampen und einem funkelnden Kronleuchter erhellt wurde. Irgendwer musste hier über die Ferien gründlich durchgeputzt haben, denn alles roch nach Bohnerwachs und Möbelpolitur und nur in den Ecken hingen noch ein paar besonders hartnäckige Spinnennetze. Doch als Arthur und Grover in den Flur zum Westflügel einbogen, schlugen ihnen plötzlich andere, weitaus verlockendere Düfte entgegen: Rosmarin, Pflaumenkompott, warmes Buttergebäck. Arthurs Magen knurrte und er legte einen Schritt zu.
»Arthur!«, ertönte da eine vertraute Stimme hinter ihnen. »Grover!«
Als Arthur sich umdrehte, trat gerade Irene Eagle aus der Bibliothek. Das Grinsen, das er schon seit seiner Ankunft nicht mehr aus dem Gesicht bekam, wurde noch breiter. Zu seinem unermesslichen Glück war Irene seine allererste Freundin hier in Baskerville und seitdem bei jedem seiner Abenteuer an seiner Seite gewesen.
Irenes Lächeln brachte ihre großen braunen Augen zum Strahlen. Sie trug ein auffallendes türkisblaues Kleid, an dessen Vorderseite sie sorgsam die goldene Taschenuhr ihres Vaters festgesteckt hatte, und unter ihrem Rocksaum lugte ein Paar Stiefel hervor.
Hinter ihr tauchten nun ein Mann und eine Frau auf, die genauso farbenprächtig gekleidet waren wie sie. Die korallenrote Weste des Mannes verlieh seiner dunklen Haut einen kupfernen Schimmer, während die Frau ein purpurnes Gewand und dazu amethystlila Federn im Haar trug.
»Meine Eltern«, stellte Irene die beiden unnötigerweise vor. Wie ihre Tochter hatte Mrs Eagle rundliche Wangen, die ihrem durchdringenden Blick ein wenig die Schärfe nahmen, und Mr Eagle hatte seiner Tochter eindeutig seine Größe und die kerzengerade Haltung vererbt.
»Soso, du bist also Arthur«, sagte Mr Eagle mit erhobenen Augenbrauen. Arthur stutzte kurz über seine breite Aussprache und die volltönende Stimme, bevor ihm wieder einfiel, dass Irenes Vater aus Wales stammte — und Opernsänger war. »Der Junge, der meine Tochter letztes Jahr zu all diesen Eskapaden angestiftet hat?«
Arthur wurde rot. »Ich, äh …«
»Keine Sorge, er macht nur Spaß«, schaltete sich Irenes Mutter ein. Auch sie war Opernsängerin, sprach jedoch deutlich leiser als ihr Mann, dafür mit amerikanischem Akzent, wie Irene.
»Stimmt«, pflichtete Mr Eagle ihr bei. »Ich weiß ja, dass Irene zu so etwas keinerlei Anstiftung braucht.«
Er schüttelte Arthur die Hand.
Merkwürdig, dachte Arthur, während die Eagles sich nun Grover zuwandten. Vermutlich wären ihm Mr Eagles raue Hände gar nicht aufgefallen, wenn er nicht eben noch Brigadier Gerard begrüßt hätte. Dass Letzterer schwielige Hände hatte, war durchaus nachvollziehbar, hatte er doch schließlich sein Leben lang Zügel gehalten, Musketen geladen und Säbel geschwungen. Bühnenkünstler dagegen arbeiteten selten mit den Händen. Wie also kam Mr Eagle zu diesen Schwielen?
Irene reihte sich zwischen Arthur und Grover ein und sie machten sich alle gemeinsam auf den Weg zum Speisesaal.
»Hattet ihr schöne Ferien?«, erkundigte sie sich.
»Ja«, antwortete Arthur im selben Moment, als Grover sagte: »Ferien würde ich das nicht nennen.«
»Wie kommt’s?«, fragte Irene.
»Ich hab die ganze Zeit gearbeitet«, erklärte Grover. »Zuerst musste ich meine Grabinschriften neu sortieren, weil die komplett durcheinandergeraten waren. Dann hab ich mir automatisches Schreiben beigebracht und verschiedene Methoden ausgetestet. Und dann …«
»Automatisches Schreiben?«, hakte Arthur ein.
Grover bedachte Arthur mit einem fassungslosen Blick. »Ja, Arthur. Dabei lässt man beim Schreiben einen Geist in sich hineinfahren und kann sich auf diese Weise mit ihm unterhalten.«
Seinem Tonfall nach hätte man meinen können, Arthur hätte ihn gefragt, wie man sich die Schuhe schnürte.
»Und, hat’s funktioniert?«, wollte Irene wissen.
Grover reckte schniefend das Kinn. »Um ein Medium zu werden, braucht man jahrelange Übung. Darum muss ich mich beeilen, wenn ich in den Geisteszirkel aufgenommen werden will.«
Arthur und Irene lächelten einander verstohlen zu. Sie wussten beide, wie fasziniert Grover von der Welt des Übernatürlichen war.
In Baskerville Hall gab es fünf Zirkel — Eisen, Licht, Blitz, Geist und die Zitadelle —, deren Mitglieder sich jeweils auf ein bestimmtes Studiengebiet konzentrierten und in gemeinsamen Unterkünften lebten. In der Regel entschieden die Schüler im zweiten Jahr, welchem Zirkel sie beitreten wollten. Für Arthur klangen sie alle interessant, obwohl er vielleicht nicht ganz so viel Begeisterung für den Geisteszirkel aufbrachte wie Grover.
»Und du, Irene?«, fragte er. »Wie war’s bei dir?«
»Och ja, ganz nett«, antwortete sie schulterzuckend und warf einen Blick hinter sich, um sicherzugehen, dass ihre Eltern nicht zuhörten. »Mom und Dad wiederzusehen war natürlich schön, aber ansonsten hab ich mich ziemlich gelangweilt. Lauter steife Dinnerpartys und Weihnachtsliedersingen mit zu vielen Sopranistinnen.«
»Ach, ich wusste gar nicht, dass du singen kannst«, merkte Grover an.
»Kann ich auch nicht«, entgegnete Irene trocken. »Darum wollte ich ja so dringend zurück …«
Sie unterbrach sich, als am gegenüberliegenden Ende des schummrigen Korridors zwei Gestalten auftauchten. Eine war groß und ging leicht gebeugt, während die andere klein war und zackig voranschritt. Die beiden lachten über etwas, hielten jedoch ebenfalls inne, als sie Arthur und seine Freunde entdeckten.
»Ach, hallo, Thomas. Wie waren die Ferien, Ollie?«, erkundigte Grover sich höflich. »Ich hab Arthur und Irene gerade erzählt, dass ich über Weihnachten automatisches Schreiben geübt hab …«
Er verstummte, als Thomas, der Junge, auf Arthur zuging und so dicht vor ihm stehen blieb, dass sich beinahe ihre Nasen berührten.
Thomas Hood war der Anführer des Kleeblatts und Ollie Griffin seine rechte Hand. Die beiden teilten Grovers Faszination für Parapsychologie und Okkultismus, weshalb sie wahrscheinlich auch beschlossen hatten, dem grünen Ritter dabei zu helfen, Professorin Greys Unsterblichkeitsmaschine zu stehlen. Im Gegensatz zu Grover sah Arthur daher nicht die Notwendigkeit, sonderlich nett zu ihnen zu sein. Er dachte daran, wie wütend die beiden gewesen waren, als er und seine Freunde ihr Vorhaben durchkreuzt hatten, und war sich sicher, dass sie eifrig Rachepläne schmiedeten. Er richtete sich kerzengerade auf, um sich dem hochgewachsenen Thomas ebenbürtiger zu fühlen.
Der ältere Junge bleckte die Zähne. Und Ollie starrte ihn mit eisigem Blick an. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass diese zwei eben noch gelacht hatten.
»Gibt’s ein Problem?«, erkundigte Mr Eagle sich freundlich, doch mit deutlich warnendem Unterton.
»Aber nicht doch«, antwortete Thomas und zwinkerte Arthur zu. »Wir sehen uns, Doyle.«
Arthur rührte sich nicht vom Fleck, bis die beiden verschwunden waren.
»Kommt«, brummte Irene und schob Arthur in den Speisesaal. »Um die machen wir uns heute keine Sorgen. Zumindest jetzt noch nicht.«
Arthur nickte, während sie auf das üppige Buffet zusteuerten, das auf einem Tisch direkt am Eingang errichtet worden war. Er hätte sich gern an den Rat seiner Freundin gehalten, aber … worüber waren Thomas und Ollie bloß so vergnügt gewesen?
Alles war voller Menschen, die gut gelaunt miteinander plauderten, und irgendjemand hatte einen Konzertflügel hereingerollt. Unbeholfenes Geklimper erfüllte den Saal. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich die Urheberin als Mrs Hudson, die stellvertretende Schulleiterin von Baskerville Hall, die wie gewohnt von Kopf bis Fuß in Narzissengelb gekleidet war. Neben der Klavierbank hockte ein mächtiges silbergraues Tier, das mit aufgestellten Ohren und golden leuchtenden Augen aufmerksam das Treiben ringsum verfolgte. Das war Toby, Mrs Hudsons zahmer Hauswolf, dessen Haar Arthur an diesem Morgen von Bill Wiggins’ Mantel gezupft hatte.
Arthur entdeckte immer mehr bekannte Gesichter. Dort drüben war Ahmad, der aus Afghanistan stammte und stets ein Witzchen parat hatte. Neben ihm stand ein schlanker, liebenswürdig lächelnder Mann in einem langen smaragdgrünen Gewand und mit einem Turban auf dem Kopf. Die beiden waren in ein heiteres Gespräch mit Dr. Watson vertieft, der Anatomie und Physiologie unterrichtete und zu Arthurs Lieblingslehrern gehörte. Ein Stück weiter sah er Harriet Russell und ihre Zimmergenossin Sophia de Leon mit ihren Familien. Sophias Mutter wedelte sich hektisch mit ihrem Fächer Luft zu und sandte dabei schwere Parfümwolken in Arthurs Richtung.
Am Buffet schaufelte sich gerade ein spindeldürres Mädchen mit blasser Haut und Sommersprossen Wackelpudding auf einen Teller. Ihr Kleid sah auf den ersten Blick aus, als hinge es in Fetzen, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als sorgfältig aufgenähte Taschen in allen Formen und Größen herausstellten.
»Pocket!«, riefen Arthur und Irene wie aus einem Mund.
Doch es war Grover, der das vierte Mitglied ihrer Clique als Erster begrüßte. Er beugte sich vor und umarmte sie steif, aber zugleich so stürmisch, dass Pockets Füße kurz vom Boden abhoben. Einen Moment lang baumelte sie in der Luft, den Mund freudig erstaunt geöffnet.
»Ich hab mich schon gefragt, wo ihr so lange bleibt«, sagte sie grinsend über Grovers Schulter. »Schon gut, Grover, lass mich lieber wieder runter, bevor …«
Doch als Grover ihrer Forderung nachkam, stieß er Pocket mit der Schulter den Puddingteller aus der Hand.
Arthur verzog das Gesicht in Erwartung des ohrenbetäubenden Klirrens. Ehe der Teller allerdings auf dem Boden aufschlug, hechtete blitzschnell jemand zwischen ihm und Irene hindurch und fing ihn auf.
Mrs Eagle hatte einen tiefen Ausfallschritt vollführt und balancierte den Teller auf den Fingerspitzen der rechten Hand, ehe sie Pocket mit einer kleinen Verbeugung ihren Nachtisch zurückreichte.
»Bitte sehr«, sagte sie leichthin.
Arthur starrte sie an. »Woher kann deine Mum denn so was?«
»Zu ihrer Theaterausbildung gehörte auch Ballett«, erklärte Irene und nahm sich ebenfalls einen Teller. »Darum hat sie einfach … eine gute Körperbeherrschung.«
Und dazu offenbar auch außerordentliche Reflexe. Arthur hätte den fallenden Teller jedenfalls nicht rechtzeitig erwischt. Zwar wusste er nicht viel über Balletttänzer, aber er war sich relativ sicher, dass die wenigsten von ihnen derart geistesgegenwärtig und reaktionsschnell waren. Wieder dachte er an Mr Eagles schwielige Hände.
Arthur hegte, was Irenes Eltern betraf, schon seit Längerem einen ganz bestimmten Verdacht, nachdem er zufällig herausgefunden hatte, dass sie Kontakte zum Kriegsministerium in London pflegten. Irene hatte ihm zwar versichert, dass der Kriegsminister lediglich leidenschaftlicher Opernliebhaber sei, aber irgendetwas an ihrer Erklärung war ihm merkwürdig vorgekommen.
Waren seine Zweifel womöglich berechtigt gewesen? Was, wenn die Eagles in Wirklichkeit gar keine Opernsänger waren oder zumindest nicht nur? Wer hätte am ehesten ein Interesse daran, seinen wahren Beruf geheim zu halten? Wer wäre darauf trainiert, in Krisensituationen rasch zu handeln, hätte Schwielen an den Händen wie jemand, der regelmäßig eine Waffe hielt, und schrieb Briefe an den Kriegsminister?
Tja, wer, wenn nicht … Spione?
Fünf
Arthur schob seine Grübeleien über die Eagles beiseite. Später konnte er immer noch entscheiden, ob er Irene darauf ansprechen sollte oder nicht, aber jetzt wollte er erst mal nur das Wiedersehen mit seinen Freunden genießen. Und während er sich bergeweise Pasteten, Röstkartoffeln und Schokomousse auf den Teller lud, erspähte er endlich das letzte noch fehlende Mitglied ihrer Fünfergruppe.
Jimmie Moriarty, sein Zimmergenosse, saß ganz am Ende der Erstklässlertafel. Sein dunkles Haar war säuberlich gescheitelt, aber er wirkte blass und rührte mit umwölktem Blick in seiner Suppe. Die festliche Stimmung schien ihn vollkommen unberührt zu lassen, obwohl seine Miene sich immerhin etwas aufhellte, als er Arthur und die anderen auf sich zukommen sah.
»Da seid ihr ja«, rief er und winkte. Er zog Arthur in eine feste Umarmung, bevor er die anderen begrüßte.
»Mr und Mrs Eagle? Freut mich«, wandte er sich an Irenes Eltern. »Ich bin Jimmie Moriarty.«
»Ah ja«, entgegnete Mr Eagle herzlich. »Irene hat uns viel von dir erzählt.«
»Nur Gutes, hoffe ich.« Jimmie lachte, aber es klang ein wenig nervös.
»Selbstverständlich«, versicherte ihm Mrs Eagle. »Sie hatte nur die wunderbarsten Dinge über euch alle zu berichten.« Ihr neugieriger Blick landete auf Pocket, die offenbar etwas in ihren Taschen suchte und zu diesem Zweck deren Inhalt vor sich auf dem Tisch ausbreitete: zwei rund geschliffene Steine, eine Orangenschale, ein winziger Zinnelefant und etwas, das aussah wie ein Salzstreuer, der eine Schicht Erde und — Arthur war sich relativ sicher — irgendetwas Lebendiges beinhaltete.
»Sind deine Eltern auch hier, Jimmie?«, fragte Irene.
»Mein Vater ist irgendwo, ja«, antwortete Jimmie, machte sich jedoch nicht die Mühe, sich nach ihm umzusehen. »Der begrüßt wahrscheinlich gerade alte Bekannte.«
Arthur war sehr gespannt auf Mr Moriarty, über den Jimmie nie viel redete, und Irene schien es ähnlich zu gehen. Alles, was sie über Jimmies Vater wussten, war, dass er ein erfolgreicher Geschäftsmann war, der ebenfalls in Baskerville Hall zur Schule gegangen war und dem Kleeblatt angehört hatte. Apropos Kleeblatt …
Mr Eagle hatte nach der neusten Ausgabe des Baskerville-Boten gegriffen und überflog die Überschriften. Eine davon fiel Arthur besonders ins Auge: »UNGENUTZTES MAUSOLEUM VOR DEM ABRISS«.
Arthur spähte über Mr Eagles Schulter und überflog den nur wenige Zeilen umfassenden Artikel, in dem stand, dass Direktor Challenger entschieden hatte, den kleinen Bau auf dem Friedhof am Rand des Schulgeländes abreißen zu lassen. Challenger gab an, einen Experten zurate gezogen zu haben, der die Substanz als »bedenklich porös« eingestuft habe.
Dass das Mausoleum eine ernst zu nehmendere Gefahr darstellen sollte als der schiefe Turm, in dem die Erstklässler untergebracht waren, war geradezu lächerlich. Ebenso lächerlich wie die Annahme, dass Direktor Challenger derart um die Sicherheit seiner Schülerinnen und Schüler besorgt war. Dennoch würden die meisten Leute, die den Boten aufschlugen, dem Artikel wohl gar keine weitere Beachtung schenken.
Weil sie nicht wussten, wozu das Mausoleum in Wirklichkeit diente: Es war das Hauptquartier des Kleeblatts.
Der Artikel barg eine versteckte, aber unmissverständliche Botschaft an die Mitglieder des Geheimklubs. Challenger würde ihnen an seiner Schule nicht länger Narrenfreiheit gewähren, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie gemeinsame Sache mit dem grünen Ritter machten. Ihre Zeit in Baskerville Hall war abgelaufen.
Irene, die den Artikel ebenfalls gelesen hatte, stieß Arthur mit dem Ellbogen an und deutete mit dem Kinn zu dem Tisch, an dem Sebastian Moran mit seiner Familie saß. Er war der Einzige im Saal, der noch weniger begeistert über seine Rückkehr an die Schule wirkte als Jimmie. Sebastian, ebenfalls in seinem ersten Jahr an der Baskerville, war ein unverbesserlicher Snob und Tyrann. Eigentlich hätte er ins Kleeblatt aufgenommen werden sollen, aber dazu war es nicht mehr gekommen. In jener Nacht hatten Arthur, Irene und Jimmie nämlich die Unsterblichkeitsmaschine zerstört, nach der der Klub auf der Suche gewesen war, woraufhin um ein Haar die ganze Schule eingestürzt wäre. (Aber das konnte man ihnen wohl kaum vorwerfen. Schließlich war es nicht ihre Schuld, dass Baskerville Hall auf einer verlassenen Mine voller Kristalle mit seltsamen Heilkräften errichtet worden war.)
»Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn er in der Zwischenzeit die Schule gewechselt hätte«, seufzte Irene.
Sebastian sah zu ihnen herüber, als hätte er Irene gehört, und sein Gesicht verzog sich zu einer hämischen Grimasse.
Arthur wurde mulmig zumute. Sebastians Grinsen wirkte so wissend, als schmunzelte er über einen Witz, den Irene und er nicht verstanden. Vielleicht war das Ganze aber auch bloß ein Bluff. Das letzte Aufbäumen eines Gegners, der längst am Boden lag.
Sebastian wandte sich ab, als nun Direktor Challenger durch den Saal schritt, eine große silberne Soßenterrine vom Buffettisch nahm und kräftig mit der zugehörigen Kelle dagegen schlug. Braune Spritzer trafen die Gäste, die das Pech hatten, in der Nähe zu sitzen. Alles verstummte und drehte sich in Richtung des Lärms.
George Edward Challenger war kein sonderlich großer, aber dennoch imposanter Mann, mit tief gebräuntem Gesicht und einem schwarzen Bart, der sich wie ein Tintenfleck über seine breite Brust ergoss. Tatsächlich hätte man ihn sich besser als Kapitän eines Piratenschiffs vorstellen können denn als Internatsdirektor. Er ließ seinen stechenden Blick durch den Raum wandern.
»Willkommen zurück in Baskerville Hall«, dröhnte er. »Es ist uns eine Freude, Sie alle hier begrüßen zu dürfen.« Nichts in seiner barschen Stimme deutete darauf hin, dass ihm tatsächlich irgendetwas an dieser Veranstaltung Freude bereitete, aber Arthur vermutete, dass Mrs Hudson ihn zu der Floskel genötigt hatte.