Ben Hur - Lewis Wallace - E-Book

Ben Hur E-Book

Lewis Wallace

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Beschreibung

Die Geschichte des jüdischen Prinzen Judah Ben Hur der wegen eines angeblichen Attentats auf den römischen Statthalter von Judäa zur Galeerenstrafe verurteilt wird, später aber in seine Heimat zurückkehrt und eine Aufstandsbewegung gegen die Römer plant. Aber auch die Geschichte Jesu Christi, dessen Wundertaten hier aus der Sicht eines "Zeitzeugen" erzählt werden. "Was ist dieser Nazarener, der mehr ist als ein bloßer Mensch?" fragte Ben Hur den Ägypter. Das Buch wurde ein Bestseller und zum Prototyp des historischen Romans. Nur die Bibel wurde im 19. Jahrhundert öfter gedruckt als "Ben Hur". Ein Erfolg, nur noch übertroffen durch die legendäre Verfilmung aus dem Jahre 1959 – mit Charlton Heston in der Titelrolle – ein Klassiker und Inbegriff des Monumentalfilms. Lewis "Lew" Wallace (1827 – 1905) war ein US-amerikanischer Rechtsanwalt, General, Politiker und Schriftsteller und vor allem bekannt durch seinen Roman "Ben Hur". Eines Tages hatte Wallace ein Gespräch mit einem Stabsoffizier, der sich über Gott, Glauben und Christen lustig machte und darüber spottete. Wallace, der damals noch nicht gläubig war, kam ins Nachdenken und entschloss sich, alles, was mit der Bibel, Jesus Christus und dem Glauben zu tun hatte, ausgiebig zu erforschen. Später schrieb Wallace, dass seine Begegnung mit dem spöttelnden Colonel zwei Folgen hatte: Zum einen das Buch "Ben Hur", das 1880 veröffentlicht wurde, zum anderen seine Hinwendung zu Gott und Jesus Christus. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 521

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Lewis Wallace

Ben Hur

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Ben Hur

Ben Hur

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Wilhelm Cremer 3. Auflage, ISBN 978-3-954180-42-4

null-papier.de/144

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­tor und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Vier­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Fün­f­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sechs­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Acht­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Neun­und­zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

Drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Ein­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Zwei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Drei­und­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Vierund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Fün­fund­drei­ßigs­tes Ka­pi­tel

Schluß

Dan­ke

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Autor und Werk

Die Ge­schich­te des jü­di­schen Prin­zen Ju­dah Ben Hur der we­gen ei­nes an­geb­li­chen At­ten­tats auf den rö­mi­schen Statt­hal­ter von Ju­däa zur Ga­lee­ren­stra­fe ver­ur­teilt wird, spä­ter aber in sei­ne Hei­mat zu­rück­kehrt und eine Auf­stands­be­we­gung ge­gen die Rö­mer plant.

Aber auch die Ge­schich­te Jesu Chris­ti, des­sen Wun­der­ta­ten hier aus der Sicht ei­nes »Zeit­zeu­gen« er­zählt wer­den.

»Was ist die­ser Na­za­re­ner, der mehr ist als ein blo­ßer Mensch?« frag­te Ben Hur den Ägyp­ter.

Das Buch wur­de ein Best­sel­ler und zum Pro­to­typ des his­to­ri­schen Ro­mans. Nur die Bi­bel wur­de im 19. Jahr­hun­dert öf­ter ge­druckt als »Ben Hur«. Ein Er­folg, nur noch über­trof­fen durch die le­gen­däre Ver­fil­mung aus dem Jah­re 1959 – mit Charl­ton He­ston in der Ti­tel­rol­le – ein Klas­si­ker und In­be­griff des Mo­nu­men­tal­films.

Le­wis »Lew« Wal­lace (1827 – 1905) war ein US-ame­ri­ka­ni­scher Rechts­an­walt, Ge­ne­ral, Po­li­ti­ker und Schrift­stel­ler und vor al­lem be­kannt durch sei­nen Ro­man »Ben Hur«.

Ei­nes Ta­ges hat­te Wal­lace ein Ge­spräch mit ei­nem Stabs­of­fi­zier, der sich über Gott, Glau­ben und Chris­ten lus­tig mach­te und dar­über spot­te­te. Wal­lace, der da­mals noch nicht gläu­big war, kam ins Nach­den­ken und ent­schloss sich, al­les, was mit der Bi­bel, Je­sus Chris­tus und dem Glau­ben zu tun hat­te, aus­gie­big zu er­for­schen. Spä­ter schrieb Wal­lace, dass sei­ne Be­geg­nung mit dem spöt­teln­den Co­lo­nel zwei Fol­gen hat­te: Zum einen das Buch »Ben Hur«, das 1880 ver­öf­fent­licht wur­de, zum an­de­ren sei­ne Hin­wen­dung zu Gott und Je­sus Chris­tus.

Erstes Kapitel

Dsche­bel es Sub­leh heißt ein über fünf­zig Mei­len lan­ger schma­ler Ge­birgs­zug, von des­sen rot­wei­ßen Klip­pen man nach Os­ten auf die ara­bi­sche Wüs­te blickt. Un­ge­zähl­te Wa­dis, Rinn­sa­le, ha­ben sich in die­sen Ge­birgs­zug ein­ge­gra­ben, und zur Re­gen­zeit fül­len sie sich mit Was­ser, um es dem Jor­dan oder dem To­ten Meer zu­zu­füh­ren.

Aus ei­nem die­ser Wa­dis, das vom äu­ßers­ten Ende des Dsche­bel ge­gen Os­ten aus­läuft und in das Bett des Jab­bok­flus­ses über­geht, kam ein Wan­de­rer her­vor, der dem Ta­fel­lan­de der Wüs­te zu­streb­te.

Dem Aus­se­hen nach moch­te er etwa fünf­und­fünf­zig Jah­re alt sein. Sein über die Brust her­ab­wal­len­der schwar­zer Bart zeig­te Spu­ren von Grau, sein Ant­litz war tief­braun und zum größ­ten Teil durch ein ro­tes Tuch ver­deckt. Er ritt ein großes, wei­ßes Dro­me­dar, das ein Zelt auf dem Rücken trug. Die Son­ne war ge­ra­de auf­ge­gan­gen, als das Tier sich aus dem Wadi her­aus­ar­bei­te­te. Weit­hin er­streck­te sich hier die Wüs­te, von ei­nem Pfa­de oder Wege konn­te hier kei­ne Rede mehr sein. Aber das Ka­mel schi­en ei­ner un­sicht­ba­ren Füh­rung zu fol­gen und streb­te in lan­gen Schrit­ten dem Os­ten zu. Genau um Mit­tag blieb es von selbst ste­hen und drück­te durch einen kla­gen­den Schrei sei­ne Er­mü­dung aus.

Sein Rei­ter fuhr auf, als er­wa­che er aus ei­nem tie­fen Schla­fe. Sorg­fäl­tig prüf­te er die Ge­gend nach al­len Rich­tun­gen, wie um sich zu ver­ge­wis­sern, daß er am rech­ten Orte an­ge­langt sei. Dann at­me­te er be­frie­digt tief auf und nick­te, als woll­te er sa­gen: End­lich! Er leg­te die Hän­de kreuz­wei­se über die Brust, neig­te das Haupt und ver­rich­te­te ein stil­les Ge­bet. Nach Er­fül­lung die­ser from­men Pf­licht gab er dem Tie­re das Zei­chen zum Nie­der­kni­en. Lang­sam und grun­zend folg­te es dem Rufe. Der Rei­ter setz­te sei­nen Fuß auf den schlan­ken Hals und trat auf den san­di­gen Bo­den.

Wie es sich jetzt zeig­te, war der Mann von wun­der­bar eben­mä­ßi­gem Kör­per­bau, mehr kräf­tig als hoch­ge­wach­sen. Der Schnitt sei­nes fast schwar­zen Ge­sichts, die brei­te Stirn mit der Ad­ler­na­se und das her­ab­wal­len­de glän­zen­de Haar ver­rie­ten sei­ne ägyp­ti­sche Ab­stam­mung.

Ob­schon al­lein in ei­ner von Leo­par­den und Lö­wen wie auch halb­wil­den Men­schen be­such­ten Wüs­te, trug er doch merk­wür­di­ger­wei­se kei­ne Waf­fen, nicht ein­mal den zum Anspor­nen der Ka­me­le die­nen­den ge­krümm­ten Stab. Er be­fand sich also auf fried­li­chem Wege und war ent­we­der sehr kühn oder stand un­ter ei­nem au­ßer­or­dent­li­chen Schut­ze.

Der lan­ge und er­mü­den­de Ritt hat­te sei­ne Glie­der steif ge­macht, und da­her um­schritt er wie­der­holt sein treu­es Ka­mel, wo­bei sein Blick im­mer wie­der den Ho­ri­zont mus­ter­te. Je­des­mal glitt dann ein leich­ter Schat­ten von Ent­täu­schung über sein Ge­sicht, der ver­riet, daß er Ge­sell­schaft er­war­te­te, viel­leicht nach vor­an­ge­gan­ge­ner Verab­re­dung. Al­lein, was konn­te das für ein Ge­schäft sein, das an ei­nem so ab­ge­le­ge­nen Orte ver­han­delt wer­den muß­te?

Er muß­te wohl si­cher sein, daß die er­war­te­te Ge­sell­schaft kom­men wür­de, denn nach­dem er sein Ka­mel ge­füt­tert hat­te, er­rich­te­te er mit Stä­ben aus sei­nem Ge­päck und mit­ge­brach­tem Tuch ein Zelt. Den mit­ge­nom­me­nen Vor­rä­ten ent­nahm er die Be­stand­tei­le ei­nes Mah­les: Wein in klei­nen Le­der­schläu­chen, ge­trock­ne­tes und ge­räu­cher­tes Ham­mel­fleisch, sy­ri­sche Gra­na­täp­fel, ara­bi­sche Dat­teln, dazu Käse und ge­säu­er­tes Brot. Al­les die­ses stell­te er in schö­ner Ord­nung auf den Tep­pich un­ter dem Zel­te, und leg­te zum Schlus­se drei sei­de­ne Tü­cher als Ser­vi­et­ten da­ne­ben. Hieraus konn­te man auf die An­zahl der Per­so­nen schlie­ßen, die er als Gäs­te er­war­te­te.

Al­les war nun fer­tig. Er trat wie­der hin­aus, und sieh! fern im Os­ten war ein dunk­ler Punkt auf der Wüs­ten­flä­che zu be­mer­ken. Wie fest­ge­wur­zelt blieb er ste­hen; sein Auge er­wei­ter­te sich, ein hei­li­ger Schau­er durch­rie­sel­te sei­nen Leib.

Der Punkt wur­de grö­ßer, end­lich nahm er be­stimm­te For­men an. Et­was spä­ter er­kann­te er dar­in ein großes, wei­ßes Dro­me­dar, das ge­naue Sei­ten­stück sei­nes ei­ge­nen, mit der Rei­se­sänf­te ei­nes In­ders auf dem Rücken. Der Ägyp­ter kreuz­te sei­ne Arme auf der Brust und blick­te zum Him­mel. »Gott al­lein ist groß!« rief er aus, wäh­rend sei­ne Au­gen mit Trä­nen sich füll­ten und Ehr­furcht sei­ne See­le durch­schau­er­te.

Der Frem­de kam nä­her und nä­her, end­lich mach­te er Halt. Auch er schi­en wie aus dem Schla­fe er­wacht. Er er­blick­te das kni­en­de Ka­mel, das Zelt, und an sei­nem Ein­gan­ge den Mann in be­ten­der Stel­lung. Er kreuz­te eben­falls die Arme, neig­te das Haupt und be­te­te schwei­gend. Nach ei­ni­gen Au­gen­bli­cken stieg er vom Ka­me­le ab und ging dem Ägyp­ter ent­ge­gen und die­ser ihm. Ei­nen Au­gen­blick sa­hen bei­de ein­an­der an, dann um­arm­ten sie sich.

»Frie­de sei mit dir, o Die­ner des wah­ren Got­tes!« sag­te der Frem­de.

»Auch dir, o Bru­der im wah­ren Glau­ben«, ent­geg­ne­te mit Wär­me der Ägyp­ter, »auch dir Frie­de und Will­komm!«

Der An­kömm­ling war von schlan­ker, ha­ge­rer Ge­stalt, die Au­gen la­gen tief in den Höh­len. Haar und Bart wa­ren weiß, die Ge­sichts­far­be röt­lich­braun. Auch er war un­be­waff­net. Sei­ne Klei­dung war die ei­nes In­ders, um das Haupt ge­wun­den trug er einen Tur­ban mit rei­chen Fal­ten.

»Ge­seg­net sind die, die dem Herrn die­nen!« sag­te nach ei­ner Wei­le der Ägyp­ter. »Aber war­ten wir ab, denn sieh, schon kommt dort auch der an­de­re!« Sie blick­ten ge­gen Nor­den, von wo ge­ra­de, dem Auge schon deut­lich sicht­bar, ein drit­tes Ka­mel, das eben­falls von wei­ßer Far­be war, wie ein Schiff her­an­kam. Sie war­te­ten, ne­ben­ein­an­der ste­hend, bis der An­kömm­ling nahe und ab­ge­stie­gen war und ih­nen ent­ge­gen­ging.

»Frie­de sei mit dir!« sag­te er, den In­der um­ar­mend.

»Got­tes Wil­le ge­sch­ehe!« er­wi­der­te die­ser.

Der neue An­kömm­ling war sei­nen Freun­den ganz un­ähn­lich. Er war zar­ter ge­baut und hat­te wei­ße Ge­sichts­far­be. Rei­ches, wo­gen­des Haar von lich­ter Far­be bil­de­te die Kro­ne sei­nes klei­nen, aber schö­nen Haup­tes. Das warm­bli­cken­de tief­blaue Auge of­fen­bar­te ein zar­tes Ge­müt und einen herz­li­chen, ed­len Cha­rak­ter. Er war un­be­deckt und un­be­waff­net, und an sei­ner Klei­dung sah man, daß er ein Grie­che war.

Nach­dem er auch den Ägyp­ter um­armt hat­te, sag­te die­ser: »Der Geist hat mich zu­erst hier­her­ge­führt, dar­aus er­ken­ne ich, daß ich zum Die­ner mei­ner Brü­der er­wählt bin. Das Zelt ist auf­ge­rich­tet, das Brot zum Bre­chen be­reit, laßt mich mei­nes Am­tes wal­ten!«

Sie bei der Hand neh­mend, führ­te er bei­de hin­ein, band ih­nen die San­da­len los, wusch ih­nen die Füße, goß Was­ser über ihre Hän­de und trock­ne­te sie mit Tü­chern ab.

Und als er sich selbst die Hän­de ge­wa­schen hat­te, sprach er: »Laßt uns nun für uns selbst sor­gen, Brü­der, wie un­se­re Auf­ga­be es er­heischt, und uns stär­ken zur Ver­rich­tung des­sen, was uns heu­te noch ob­liegt. Wäh­rend wir es­sen, kön­nen wir ein­an­der ken­nen ler­nen.«

Er führ­te sie zum Mah­le und wies ih­nen die Plät­ze so an, daß sie alle sich ge­gen­sei­tig an­blick­ten. Sie neig­ten nun gleich­zei­tig das Haupt, kreuz­ten die Arme über der Brust und spra­chen ge­mein­sam und laut fol­gen­des ein­fa­che Tisch­ge­bet: »O Gott und Va­ter al­ler! Was wir hier ha­ben, ist von dir; nimm hin un­sern Dank und seg­ne uns, daß wir auch für­der­hin stets dei­nen Wil­len tun.« Beim letz­ten Wor­te er­ho­ben sie die Au­gen und blick­ten ein­an­der ver­wun­dert an. Je­der hat­te in sei­ner Spra­che ge­spro­chen, die die an­de­ren noch nicht ge­hört hat­ten, und doch ver­stan­den sie sich ge­gen­sei­tig voll­kom­men. Ehr­furchts­schau­er durch­beb­te ihr In­ne­res; denn das Wun­der ließ sie Got­tes Ge­gen­wart füh­len.

Die­se Zu­sam­men­kunft fand, um nach der da­ma­li­gen Zeit­rech­nung zu spre­chen, im Jah­re 747 nach der Er­bau­ung Roms statt. Es war im Mo­nat De­zem­ber. Der Ritt durch die Wüs­te hat­te in den drei­en Eß­lust er­regt, und bald kam auch durch den Wein ihre Un­ter­hal­tung in Fluß.

»Ei­nem Wan­de­rer in frem­den Lan­den ist nichts so an­ge­nehm, als sei­nen Na­men von Freun­des­mund ge­nannt zu hö­ren«, sag­te der Ägyp­ter. »Vie­le Tage mag un­ser Zu­sam­men­le­ben wäh­ren, es ist dar­um Zeit, daß wir ein­an­der ken­nen ler­nen. Es soll also, wenn es so ge­nehm ist, der zu­erst spre­chen, wel­cher zu­letzt an­lang­te.«

Und lang­sam an­fäng­lich, wie zu­rück­hal­tend, be­gann der Grie­che. »Fern von hier im Wes­ten ist ein Land, wel­ches nie der Ver­ges­sen­heit an­heim­fal­len wird, schon dar­um, weil die Welt dem­sel­ben zu sehr zu Dank ver­pflich­tet ist, und zwar für Din­ge, die der Mensch­heit die reins­ten Freu­den ge­wäh­ren. Ich spre­che von Grie­chen­land. Ich bin Kas­par, Sohn des Klean­tes von Athen. Das Volk, dem ich an­ge­hö­re, hat sich ganz der Kunst und Wis­sen­schaft hin­ge­ge­ben, und ich habe von ihm die­sel­be Nei­gung er­erbt. Un­se­re bei­den größ­ten Phi­lo­so­phen, Pla­ton und Ari­sto­te­les, ga­ben uns die Leh­re von der Uns­terb­lich­keit der See­le und dem ei­ni­gen Gott. Aber es muß­te, dach­te ich mir, eine bis jetzt nicht ge­kann­te Be­zie­hung zwi­schen Gott und der See­le ge­ben, und da mir dar­über die Schu­len kei­ne Aus­kunft ga­ben, ver­ließ ich sie ver­zagt und ging in die Ein­sam­keit.«

Ein Lä­cheln der Be­frie­di­gung er­hell­te bei die­sen Wor­ten die ha­ge­ren Züge des In­ders. »Im nörd­li­chen Tei­le mei­nes Va­ter­lan­des«, fuhr der Grie­che fort, »in Thes­sa­li­en, ist ein be­rühm­ter Berg, Olymp ge­nannt. Die Sage mei­ner Lands­leu­te nennt ihn die Hei­mat der Göt­ter; auf ihm soll Zeus, der höchs­te der Göt­ter, sei­nen Wohn­sitz ha­ben. Dor­thin be­gab ich mich. An ei­nem süd­öst­li­chen Aus­läu­fer die­ses Ber­ges fand ich eine Höh­le, da ließ ich mich nie­der und wid­me­te mich ganz der Be­trach­tung, oder viel­mehr ich fleh­te mit je­dem Atem­zu­ge um Of­fen­ba­rung.«

»Und du wur­dest er­hört!« rief der In­der leb­haft aus.

»Hö­ret mich, Brü­der«, fuhr der Grie­che fort, wäh­rend er nur müh­sam sei­ne Be­we­gung un­ter­drücken konn­te. »Der Ein­gang zu mei­ner Ein­sie­de­lei ge­währ­te Aus­blick auf einen Mee­res­arm, den Golf von Ther­mä. Ei­nes Ta­ges sah ich einen Mann aus ei­nem vor­bei­se­geln­den Schiff über Bord stür­zen. Er schwamm der Küs­te zu. Ich nahm ihn auf und trug Sor­ge für ihn. Er war ein Jude, wohl­be­wan­dert in der Ge­schich­te und in den Ge­set­zen sei­nes Vol­kes. Von ihm er­fuhr ich, daß der Gott mei­nes Seh­nens wirk­li­ches Da­sein hat, ja seit Jahr­hun­der­ten der Ge­setz­ge­ber, Herr­scher und Kö­nig der Is­rae­li­ten ge­we­sen ist. Er er­zähl­te mir auch, daß die­ser Gott von neu­em auf die Erde kom­men wer­de, und daß die­se zwei­te An­kunft un­mit­tel­bar be­vor­ste­he, ja eben jetzt in Je­ru­sa­lem er­war­tet wer­de.

Als der Jude wei­ter­ge­wan­dert und ich wie­der al­lein war, such­te ich mich durch aber­ma­li­ges Ge­bet wür­dig zu ma­chen, den ver­hei­ße­nen Kö­nig mit mei­nen Au­gen zu se­hen und an­zu­be­ten, wenn er kom­men wer­de. Ei­nes Nachts saß ich am Ein­gang mei­ner Höh­le und dach­te über das Ge­heim­nis mei­nes Da­seins nach; denn wenn ich die­ses ken­ne, ken­ne ich auch Gott. Plötz­lich be­gann in der Dun­kel­heit, die sich über dem Mee­re la­ger­te, ein Stern auf­zu­leuch­ten. Lang­sam stieg er em­por und kam im­mer nä­her, bis er über dem Ber­ge und der Höh­le ste­hen blieb, so daß sein Licht voll auf mich fiel. Ich sank um und schlief ein. Im Trau­me hör­te ich eine Stim­me: ›O Kas­par, dein Glau­be hat ge­siegt! Ge­seg­net bist du! Mit zwei an­de­ren, die von den äu­ßers­ten En­den der Erde kom­men wer­den, sollst du den se­hen, der da kom­men soll, und Zeug­nis von ihm ge­ben. Wenn der Mor­gen an­bricht, ste­he auf und eile ih­nen ent­ge­gen; ver­traue dem Geis­te, der dich ge­lei­ten wird!‹

Und als ich am Mor­gen er­wach­te, leuch­te­te der Geist in mir hel­ler als die Son­ne. Ich leg­te mein Ein­siedl­er­ge­wand ab und klei­de­te mich wie ehe­dem. Aus ei­nem Ver­ste­cke hol­te ich den Schatz her­vor, den ich von der Stadt mit­ge­bracht hat­te. Ein Schiff se­gel­te vor­über. Ich rief es an, ward an Bord ge­nom­men und lan­de­te in An­tio­chia. Dort kauf­te ich die­ses Ka­mel samt sei­ner Aus­rüs­tung. Durch blü­hen­de Gär­ten den Ufern des Oron­tes ent­lang kam ich nach Eme­sa, Da­mas­kus, Bo­stra und Phil­adel­phia, und von dort hier­her. Das, Brü­der, ist mei­ne Ge­schich­te. Laßt mich nun die eu­ri­ge hö­ren!«

Der Ägyp­ter und der In­der blick­ten ein­an­der an. Der ers­te­re wink­te mit der Hand, der letz­te­re ver­neig­te sich und be­gann: »Mein Bru­der hat wohl ge­spro­chen. Mö­gen mei­ne Wor­te eben­so wei­se sein!« Er un­ter­brach sich und über­leg­te einen Au­gen­blick, dann nahm er wie­der das Wort: »Man nennt mich, Brü­der, Mel­chi­or. Die Spra­che, in der ich zu euch rede, ist, wenn auch nicht die äl­tes­te der Welt, so doch jene, in der zu­erst Schrift­stücke ab­ge­faßt wur­den: ich mei­ne das in­di­sche Sans­krit. Ich bin von Ge­burt ein In­der. Mein Volk und sei­ne Re­li­gi­on sind alt, aber die­se Re­li­gi­on ließ trotz ih­rer un­zäh­li­gen Vor­schrif­ten und Ge­set­ze in mei­nem Geis­te eine Lee­re zu­rück. Ich such­te in mei­ner in­ne­ren Ver­las­sen­heit einen Ort, wo ich al­lein sein konn­te mit mei­nem Gott. Ich wan­der­te den Gan­ges ent­lang, sei­ner Quel­le zu, und kam hoch in das Hi­ma­la­ya­ge­bir­ge. Dort, fern von der Welt, ließ ich mich nie­der, um im Um­gan­ge mit Gott in Ge­bet, Be­trach­tung, Ab­tö­tung und Fas­ten mich auf den Tod vor­zu­be­rei­ten. Ei­nes Nachts wan­del­te ich die Ufer des Sees ent­lang und sprach zur lau­schen­den Stil­le: ›Wann wird Gott kom­men und sein Ei­gen­tum for­dern? Gibt es denn kei­ne Er­lö­sung?‹ Plötz­lich be­gann ein Licht über der Was­ser­flä­che em­por­zu­zit­tern; bald er­hob sich ein Stern, be­weg­te sich auf mich zu und blieb über mir ste­hen. Sein Strah­lenglanz blen­de­te mich. Wäh­rend ich am Bo­den lag, hör­te ich eine Stim­me, die mit un­end­li­cher Sü­ßig­keit zu mir sprach: ›Dei­ne Lie­be hat ge­siegt. Ge­seg­net bist du, In­diens Sohn! Die Er­lö­sung ist nahe. Mit zwei an­de­ren, die von fer­nen Erd­tei­len kom­men wer­den, sollst du den Er­lö­ser se­hen und von ihm Zeug­nis ge­ben. Wenn der Mor­gen kommt, dann ma­che dich auf und eile ih­nen ent­ge­gen; ver­traue dich dem Geis­te an, der dich ge­lei­ten soll!‹ Von der Zeit an blieb das Licht in mei­ner Nähe, dar­aus er­kann­te ich die un­mit­tel­ba­re Füh­rung des Geis­tes. Un­ter­wegs fand ich in ei­nem Fel­sen­spalt einen Edel­stein von sel­te­nem Wert, den ich ver­kauf­te. Über La­ho­re, Ka­bul und Jezd kam ich nach Ispahan. Dort kauf­te ich das Ka­mel und reis­te so­fort nach Bag­dad, ohne erst eine Ka­ra­wa­ne ab­zu­war­ten. Ich wan­der­te al­lein mei­nes We­ges, ohne Furcht, denn der Geist war mit mir und ist noch mit mir. Wel­che Ehre er­war­tet uns, Brü­der! Wir sol­len den Er­lö­ser se­hen, zu ihm spre­chen, ihn an­be­ten!«

Nun­mehr be­gann der Ägyp­ter mit wür­de­vol­lem Ernst sei­nen Be­richt:

»Eure Wor­te, Brü­der, ka­men aus dem Geis­te; und der Geist wird mich leh­ren, sie zu ver­ste­hen. Ich bin Bal­tha­sar aus Ägyp­ten. Ich wur­de zu Alex­an­dri­en als Sohn ei­nes Pries­ters aus fürst­li­chem Ge­schlecht ge­bo­ren und er­hielt eine mei­nem Stan­de an­ge­mes­se­ne Er­zie­hung. Aber früh schon ward ich mit ei­ner Leh­re, die glaub­te, daß wir Men­schen im­mer wie­der durch alle Stu­fen der Ge­schöp­fe wan­dern müß­ten, un­zu­frie­den. Ich glaub­te, daß die See­le für eine hö­he­re Be­stim­mung ge­schaf­fen sei. Schließ­lich sah ich ein, daß der Tod nur eine Schei­dung zwi­schen Gu­ten und Bö­sen be­deu­te, daß letz­te­re dem Ver­der­ben an­heim­fal­len, die ers­te­ren aber zu ei­nem hö­he­ren Le­ben auf­stei­gen. Ich zog mich von der Welt zu­rück und wid­me­te mich dem Ge­be­te. Weit in das In­ne­re von Afri­ka hin­ein führ­te mich mein Weg. Ei­nes Abends, als ich in ei­nem Pal­men­hai­ne mei­ner Be­trach­tung ob­lag, blen­de­te mich plötz­lich ein strah­len­des Licht. Ein hel­ler Stern stand über mir, und eine Stim­me sprach: ›Dei­ne gu­ten Wer­ke ha­ben ge­siegt. Ge­seg­net bist du, Miz­raims Sohn! Die Er­lö­sung naht. Mit zwei an­de­ren, die von fer­nen Lan­den kom­men, sollst du den Hei­land se­hen und von ihm Zeug­nis ge­ben. Am Mor­gen er­he­be dich und eile ih­nen ent­ge­gen, und wenn ihr alle in die hei­li­ge Stadt Je­ru­sa­lem kom­met, fra­get das Volk: Wo ist der neu­ge­bo­re­ne Kö­nig der Ju­den? Denn wir ha­ben sei­nen Stern im Mor­gen­lan­de ge­se­hen und sind ge­kom­men, ihn an­zu­be­ten! Ver­traue in al­lem dem Geis­te, der dich ge­lei­ten wird.‹ Und das Licht leuch­te­te auch in mei­ner See­le und blieb bis­her bei mir als Len­ker und Füh­rer. Es führ­te bis Mem­phis, wo ich Vor­be­rei­tun­gen für die Rei­se durch die Wüs­te traf. Ich kauf­te mein Ka­mel und kam in rast­lo­ser Eile über Suez und Ku­fi­leh und hier­auf durch das Land der Moa­bi­ter und Am­mo­ni­ter bis hier­her. Gott ist mit uns, Brü­der!«

Er hielt inne; wie ei­ner in­ne­ren Ein­ge­bung fol­gend, er­ho­ben sich alle und blick­ten ein­an­der an. Un­will­kür­lich reich­ten sie sich die Hän­de.

»Ist das nicht eine wun­der­ba­re gött­li­che Fü­gung?« rief Bal­tha­sar. »Wenn wir den Herrn ge­fun­den ha­ben, wer­den jene Brü­der und mit ih­nen alle Völ­ker der Erde ihm hul­di­gen. Und wenn wir von­ein­an­der schei­den, wird durch die Welt die Kun­de ei­len, daß nicht durch das Schwert noch durch mensch­li­che Weis­heit der Him­mel er­obert wer­den kann, son­dern nur durch Glau­be, Lie­be und gute Wer­ke.«

Es folg­te tie­fes Schwei­gen. Die Freu­de, die ihr Herz be­weg­te, füll­te ihre Au­gen mit Trä­nen. Dann lös­ten sich ihre Hän­de und sie tra­ten zu­sam­men vor das Zelt hin­aus. Tie­fe Stil­le herrsch­te rings­um, kein Lüft­chen reg­te sich. Die Son­ne eil­te dem Un­ter­gan­ge zu. Die Ka­me­le schlie­fen.

Nach ei­ner Wei­le bra­chen die Freun­de das Zelt ab, stie­gen auf und rit­ten ei­ner hin­ter dem an­dern un­ter An­füh­rung des Ägyp­ters wei­ter. Sie nah­men ihre Rich­tung ge­nau nach Wes­ten. Die küh­len­de Nacht senk­te sich auf die Wüs­te. Die Ka­me­le trab­ten mun­ter und so gleich­mä­ßig vor­wärts, daß die nach­fol­gen­den im­mer in die Schat­ten des ers­te­ren zu tre­ten schie­nen. Die Rei­ter schwie­gen.

Nach und nach kam der Mond her­auf. Wie die drei ho­hen wei­ßen Ge­stal­ten ge­räusch­los durch das fah­le Licht da­hing­lit­ten, moch­ten sie flie­hen­den Ge­s­pens­tern ähn­lich er­schei­nen. Plötz­lich er­strahl­te vor ih­nen, schein­bar nicht hö­her als der Gip­fel ei­nes Hü­gels, ein flam­men­des Licht. Ihre Her­zen poch­ten schnel­ler, ihre See­le durch­rie­sel­te hei­li­ger Schau­er, und wie aus ei­nem Mun­de rie­fen sie:

»Der Stern! Der Stern! Gott ist mit uns!«

Zweites Kapitel

An der West­sei­te der Mau­er Je­ru­sa­lems be­fin­det sich das Beth­le­hem- oder Jop­pe-Tor. Der Platz vor dem­sel­ben ist ei­ner der be­mer­kens­wer­tes­ten der Stadt. Lan­ge be­vor Da­vid nach Zion streb­te, stand dort eine be­fes­tig­te Burg, und in den Ta­gen Sa­lo­mos herrsch­te da­selbst leb­haf­ter Ver­kehr. Kauf­leu­te aus Ägyp­ten und rei­che Händ­ler aus Ty­rus und Si­don bo­ten ihre Wa­ren feil. Na­he­zu drei­tau­send Jah­re sind seit­dem ver­flos­sen, und noch im­mer hef­tet sich an den Platz eine Art Han­dels­ver­kehr.

Es war um die drit­te Stun­de des Ta­ges. Vie­le Ju­den hat­ten den Markt schon ver­las­sen, doch schi­en das Ge­drän­ge kaum ab­zu­neh­men, denn es ka­men im­mer wie­der ein­zel­ne hin­zu.

Un­ter den Neu­an­ge­kom­me­nen be­fand sich eine Grup­pe, die aus ei­nem Mann, ei­nem Weib und ei­nem Esel be­stand. Der Mann hielt das Tier am Zau­me und stütz­te sich auf einen Stab. Sei­ne Ge­sichts­zü­ge lie­ßen ihn als fünf­zig­jäh­rig er­schei­nen, eine Ver­mu­tung, die durch das Grau, wo­mit sein sonst schwar­zer Bart un­ter­mischt war, be­stä­tigt wur­de. Der halb neu­gie­ri­ge, halb lee­re Blick, mit dem er das Trei­ben um sich be­trach­te­te, be­wies, daß er ein Frem­der vom Lan­de war. Der Esel kau­te ge­mäch­lich an ei­nem Häuf­lein Gras, wor­an auf dem Mark­te kein Man­gel war. In sei­ner schläf­ri­gen Ge­nüg­sam­keit ließ er sich we­der von dem ihn um­ge­ben­den Lärm stö­ren, noch schi­en er sich um die weib­li­che Ge­stalt zu küm­mern, die auf sei­nem Rücken in ei­nem ge­pols­ter­ten Sat­tel saß. Ein Ober­kleid aus dunklem Wol­len­stoff be­deck­te voll­stän­dig ih­ren Kör­per, wäh­rend ein wei­ßer Schlei­er Kopf und Hals ver­hüll­te. Hin und wie­der lüf­te­te sie den Schlei­er, um zu se­hen, was um sie vor­ging, aber nur so we­nig, daß ihr Ge­sicht un­sicht­bar blieb.

End­lich wur­de der Mann an­ge­spro­chen.

»Bist du nicht Jo­sef aus Na­za­reth?«

Der Spre­cher stand ganz nahe bei ihm.

»So nennt man mich«, er­wi­der­te Jo­sef und wand­te sich um.

»Und du? – O, Frie­de sei mit dir, mein Freund, Rab­bi Sa­mu­el!«

»Das glei­che wün­sche ich dir!« Der Rab­bi hielt inne, blick­te auf die Frau und füg­te dann hin­zu: »Frie­de sei mit dir und mit dei­nem Hau­se und mit all den Dei­ni­gen!«

Beim letz­ten Wor­te leg­te er eine Hand auf die Brust und ver­neig­te sich ge­gen die Frau­en­ge­stalt. Die­se hat­te, um ihn zu se­hen, den Schlei­er et­was zu­rück­ge­zo­gen, so daß ihr Ant­litz sicht­bar wur­de. Sie schi­en erst seit kur­z­em dem Mäd­chen­al­ter ent­wach­sen zu sein.

Die Män­ner reich­ten ein­an­der die Hand, dann frag­te der Rab­bi:

»Ihr habt also einen lan­gen Weg vor euch; doch nicht bis Jop­pe?«

»Nein, nur bis Beth­le­hem.«

Der bis­her of­fe­ne und freund­li­che Blick des Rab­bi ver­fins­ter­te sich, und aus sei­ner Keh­le kam es wie ein Ge­knur­re her­auf.

»Ja, ja, ich ver­ste­he«, sag­te er. »Du bist in Beth­le­hem ge­bo­ren und gehst nun mit dei­ner Toch­ter da­hin, dich der kai­ser­li­chen Ver­ord­nung ge­mäß we­gen Be­steue­rung ein­schrei­ben zu las­sen. Den Kin­dern Ja­kobs er­geht es wie einst den Stäm­men in Ägyp­ten; nur ha­ben sie jetzt we­der einen Mo­ses noch einen Jo­sua. Wie tief sind doch die Mäch­ti­gen ge­sun­ken!«

»Sie ist nicht mei­ne Toch­ter«, ant­wor­te­te Jo­sef. »Sie ist das Kind Joa­chims und An­nas aus Beth­le­hem, von de­nen du si­cher ge­hört hast, denn sie stan­den in ho­hem An­se­hen –«

»Ja«, be­merk­te der Rab­bi ehr­er­bie­tig, »ich weiß von ih­nen; sie stamm­ten in ge­ra­der Li­nie von Da­vid. Ich kann­te sie gut.«

»Nun, sie sind schon tot«, sprach Jo­sef wei­ter. »Sie star­ben in Na­za­reth. Joa­chim war nicht reich; doch hin­ter­ließ er ein Haus und einen Gar­ten sei­nen bei­den Töch­tern Ma­ri­an und Ma­ria. Die­se ist eine von ih­nen; um ihr Erb­teil si­cher­zu­stel­len, muß­te sie nach Vor­schrift des Ge­set­zes ih­ren nächs­ten Ver­wand­ten hei­ra­ten. Sie ist nun mei­ne Gat­tin.«

»Und du warst –«

»Ihr Oheim.«

»Ja, ja! Da ihr bei­de in Beth­le­hem ge­bo­ren seid, zwingt dich der Rö­mer, sie dort­hin mit­zu­neh­men, da­mit auch sie auf­ge­schrie­ben wer­de!« Der Rab­bi schlug die Hän­de zu­sam­men, blick­te flam­men­den Au­ges ge­gen den Him­mel und rief: »Noch lebt der Gott Is­raels! Sein ist die Ra­che!«

Mit die­sen Wor­ten wand­te er sich ab und ent­schwand. Auch Jo­sef und sei­ne Gat­tin bra­chen bald auf. Sie zo­gen zum Tor hin­aus und wand­ten sich dann links, um die Stra­ße nach Beth­le­hem zu neh­men. Auf hol­pe­ri­gem Wege an ver­ein­zel­ten wil­den Öl­bäu­men vor­bei ka­men sie in das Hin­nom­tal. Voll zärt­li­cher Sor­ge schritt Jo­sef, den Lei­trie­men in der Hand, an der Sei­te sei­ner Gat­tin.

Die Son­ne brann­te heiß auf die stei­ni­ge Flä­che der be­rühm­ten Ört­lich­keit. Ma­ria, die Toch­ter Joa­chims, zog da­her den Schlei­er weg und ent­blö­ßte ihr Haupt. Sie schi­en nicht äl­ter als fünf­zehn Jah­re zu sein. Ge­stalt, Stim­me und Hal­tung deu­te­ten an, daß sie das Mäd­chen­al­ter noch nicht lan­ge ver­las­sen hat­te. Ihr An­ge­sicht war läng­lichrund, sei­ne Far­be mehr blaß als hell. Die Nase war ta­del­los, die leicht ge­öff­ne­ten Lip­pen wa­ren voll und rot und ga­ben den Mund­li­ni­en einen Aus­druck von Zart­heit, Wär­me und Ver­trau­en. Die Au­gen wa­ren blau und groß und von ge­senk­ten Li­dern mit lan­gen Wim­pern be­schat­tet. Rei­ches, gold­far­be­nes Haar in der Tracht der jü­di­schen Bräu­te fiel, um ihr Bild voll­kom­men zu ma­chen, über ih­ren Rücken lose bis zum Sat­tel­kis­sen her­ab, auf wel­chem sie saß. Ihre un­ge­wöhn­li­che Schön­heit wur­de noch er­höht durch einen Hauch von Rein­heit, den nur die See­le ver­lei­hen kann, und durch einen Zug von Ver­klä­rung, wie er je­nen ei­gen ist, die ih­ren Geist vor­zugs­wei­se auf das Über­ir­di­sche rich­ten. Oft er­hob sie, wäh­rend die Lip­pen still sich be­weg­ten, die tief­blau­en Au­gen zum fast min­der blau­en Him­mel, oft fal­te­te sie die Hän­de auf der Brust wie zum Lobe Got­tes und zum Ge­be­te. Von Zeit zu Zeit blick­te Jo­sef mit­ten in sei­ner Er­zäh­lung nach ihr, und wenn er ih­ren ver­klär­ten Ge­sichts­aus­druck sah, ver­gaß er sei­nen Ge­gen­stand und schritt ge­senk­ten Haup­tes und voll Ver­wun­de­rung den be­schwer­li­chen Weg wei­ter.

So durch­wan­der­ten sie die aus­ge­dehn­te Ebe­ne und er­reich­ten end­lich die An­hö­he Mar Eli­as, Von hier er­blick­ten sie durch ein Tal Beth­le­hem, des­sen wei­ße Mau­ern einen Hü­gel­kamm krön­ten und aus dem Braun blät­ter­lo­ser Gär­ten her­vor­leuch­te­ten. Hier hiel­ten sie Rast und stie­gen dann ins Tal hin­ab, wo ein großes Ge­drän­ge von Men­schen und Tie­ren herrsch­te. Jo­sef be­fürch­te­te, er kön­ne in dem über­füll­ten Beth­le­hem kein Ob­dach mehr fin­den, und zog eilends wei­ter, bis er an die vor dem Tore ge­le­ge­ne Her­ber­ge kam. Die Her­ber­gen im Ori­ent, die man nach ei­nem per­si­schen Wort Khans nann­te, wa­ren meist nur ge­schlos­se­ne Um­zäu­nun­gen, manch­mal ohne Haus und Dach. Bei ih­rer An­la­ge wur­de nur Rück­sicht auf die Was­ser­ver­hält­nis­se, auf si­che­re und schat­ti­ge Lage ge­nom­men. Es gab dar­in kei­nen Wirt und kei­nen Koch, nur einen Tür­hü­ter, der den Neu­an­kom­men­den mit­teil­te, ob noch Platz vor­han­den war. Eine Ver­gü­tung brauch­te man nicht zu be­zah­len, muß­te aber auch selbst für Be­kö­s­ti­gung sor­gen.

Jo­sef war zwar aus Beth­le­hem ge­bür­tig, hat­te aber in­fol­ge sei­ner lan­gen Ab­we­sen­heit dort kaum noch einen Be­kann­ten, des­sen Gast­freund­schaft er in An­spruch neh­men konn­te, be­son­ders da es bei der Lang­sam­keit der rö­mi­schen Be­hör­den Mo­na­te dau­ern konn­te, bis die aus­ge­schrie­be­ne Zäh­lung be­en­det war. Da­rum war er auf die Her­ber­ge an­ge­wie­sen und sehr be­sorgt, bei dem An­drang kei­nen Ein­laß mehr zu fin­den. Und wirk­lich fand er beim Nä­her­tre­ten, daß die Her­ber­ge über­füllt war.

Der Tür­hü­ter saß auf ei­nem großen Ze­dern­block vor dem Tore. Hin­ter ihm lehn­te ein Spieß an der Mau­er, ein Hund saß an sei­ner Sei­te.

»Ich bin aus Beth­le­hem«, sag­te Jo­sef, nach­dem er ihn be­grüßt hat­te. »Ist kein Platz für –«

»Es ist kein Platz mehr üb­rig.«

»Du dürf­test von mir ge­hört ha­ben. Ich bin Jo­sef von Na­za­reth. Ich stam­me aus dem Ge­schlech­te Da­vids.«

Auf die­se Be­mer­kung hat­te Jo­sef sei­ne Hoff­nung ge­baut. Ein Nach­kom­me Da­vids zu sein, galt als die höchs­te Ehre, und auch jetzt blieb die Be­ru­fung auf sei­ne Ab­stam­mung nicht ohne Wir­kung. Der Tor­hü­ter glitt vom Ze­dern­blo­cke her­ab, be­rühr­te mit der Hand sei­nen Bart und sag­te ehr­furchts­voll:

»Rab­bi, ich kann dir nicht sa­gen, wann die­ses Tor sich zu­erst ei­nem Wan­de­rer zum Will­komm öff­ne­te; es sind ge­wiß mehr als tau­send Jah­re, und in die­ser gan­zen Zeit ist kein Bei­spiel be­kannt, daß ein recht­schaf­fe­ner Mann ab­ge­wie­sen wor­den wäre, au­ßer es war für Un­ter­kunft kein Raum mehr. Wur­de es so dem Frem­den ge­gen­über ge­hal­ten, so muß der Wäch­ter, der ei­nem Nach­kom­men Da­vids den Ein­tritt ver­wei­gert, einen trif­ti­gen Grund ha­ben. Da­rum be­grü­ße ich dich aber­mals, und wenn du mit mir ge­hen willst, wer­de ich dir zei­gen, daß nir­gends im Hau­se ein Platz frei ist. Darf ich fra­gen, wann du an­ge­kom­men bist?«

»Eben jetzt.«

»Un­ter den vie­len hier war­ten die meis­ten schon län­ger. Sie alle sind wie du in­fol­ge des kai­ser­li­chen Be­fehls ge­kom­men. Dann la­gert hier noch eine Ka­ra­wa­ne aus Da­mas­kus mit Ka­me­len und Gü­tern.«

Jo­sef blick­te zu Bo­den. Dann sag­te er mit Wär­me:

»Ich fra­ge nichts nach mir, aber ich habe mein Weib bei mir und die Nacht ist kalt, käl­ter hier oben als in Na­za­reth. Sie kann nicht un­ter frei­em Him­mel blei­ben. Ist viel­leicht in der Stadt noch Raum?«

»Die­se Leu­te« – der Hü­ter zeig­te mit der Hand auf die Men­ge vor dem Tore – »ha­ben sämt­lich die Stadt durch­sucht und, wie sie mel­den, alle Plät­ze schon be­setzt ge­fun­den.«

Wie­der be­trach­te­te Jo­sef den Bo­den, wäh­rend er halb zu sich sel­ber sprach: »Sie ist so jung! Wenn ich ihr drau­ßen auf dem Hü­gel ein La­ger be­rei­te, wird der Frost ihr Tod sein.«

Dann wand­te er sich wie­der zum Wäch­ter:

»Vi­el­leicht kennst du ihre El­tern, Joa­chim und Anna, die aus Beth­le­hem ge­bür­tig und gleich mir aus dem Hau­se Da­vids wa­ren.«

»Ja, ich kann­te sie, sie wa­ren gute Leu­te. Da­mals war ich noch ganz jung.«

Dies­mal sah der Tür­hü­ter ge­dan­ken­voll zu Bo­den. Plötz­lich hob er sein Haupt.

»Wenn ich dir auch kei­nen Platz im Hau­se an­wei­sen kann, so will ich dich doch nicht ab­wei­sen«, sag­te er. »Rab­bi, was ich kann, will ich für dich tun. Ihr sollt nicht im Frei­en auf dem Hü­gel blei­ben! Aber be­ei­le dich, denn die Dun­kel­heit bricht her­ein.«

Jo­sef be­eil­te sich, sei­ne Gat­tin und den Esel her­bei­zu­füh­ren. Ma­ria hat­te den Schlei­er zu­rück­ge­zo­gen.

»Blaue Au­gen und gol­di­ges Haar«, mur­mel­te der Wäch­ter, als er sie er­blick­te. »So sah der jun­ge Kö­nig aus, als er vor Saul trat, ihn durch sei­nen Ge­sang zu er­hei­tern.«

Er nahm den Lei­trie­men aus Jo­sefs Hand und sag­te zu Ma­ria:

»Frie­de sei mit dir, Toch­ter Da­vids!« und zu Jo­sef: »Rab­bi, fol­ge mir!«

Er führ­te sie durch den Hof der Her­ber­ge, dann auf ei­nem schma­len Pfa­de zum grau­en Kalk­stein­fel­sen, der im Wes­ten den Khan über­rag­te.

»Wir gehn zur Höh­le«, be­merk­te Jo­sef kurz.

Der Füh­rer war­te­te, bis Ma­ria an sei­ne Sei­te ge­kom­men war. »Die Höh­le, zu der wir nun gehn«, sag­te er zu ihr, »muß­te auch dei­nem Ahn Da­vid eine Zuf­luchts­stät­te bie­ten. Von dem Fel­de zu un­se­ren Fü­ßen und vom Brun­nen un­ten im Tale pfleg­te er sei­ne Her­den hier­her in Si­cher­heit zu brin­gen; auch als er schon Kö­nig war, kam er nicht sel­ten zu dem al­ten Hau­se hier zu­rück und brach­te auch eine, große Men­ge Tie­re mit. Die Krip­pen sind noch so er­hal­ten, wie sie zu sei­ner Zeit wa­ren. Bes­ser ein Bett auf dem Bo­den, wo er ge­schla­fen hat, als ei­nes im Ho­frau­me oder drau­ßen am Sau­me der Stra­ße.«

Eine nied­ri­ge, schma­le Hüt­te war vor den Ein­gang der Höh­le ge­baut. An der Vor­der­sei­te be­fand sich eine Tür, die sich um ge­wal­ti­ge An­geln dreh­te. Der Füh­rer öff­ne­te sie und rief:

»Tre­tet ein!«

Sie tra­ten in den Raum und blick­ten sich um. Durch die ge­öff­ne­te Tür ström­te das Licht auf einen un­ebe­nen Bo­den und ließ in der Mit­te des Rau­mes Hau­fen von Ge­trei­de und Heu, ir­de­ne Ge­fäße und an­de­re Haus­ge­rä­te wahr­neh­men. Längs der Sei­ten­wän­de stan­den aus Stein ge­mau­er­te Krip­pen, die auch für Scha­fe nied­rig ge­nug wa­ren. Stal­lun­gen oder ge­son­der­te Ab­tei­lun­gen wa­ren nicht zu se­hen.

»Die­se Vor­rä­te«, sag­te der Füh­rer, »sind für Wan­de­rer wie ihr. Nehmt da­von, was ihr be­nö­tigt.« Dann wand­te er sich zu Ma­ria: »Kannst du hier ru­hen?«

»Die­se Stät­te ist hei­lig«, ant­wor­te­te sie. »So will ich euch ver­las­sen. Frie­de sei mit euch!«

Als er sich ent­fernt hat­te, mach­ten sie sich ei­lig dar­an, die Höh­le wohn­lich her­zu­rich­ten.

Zu ei­ner be­stimm­ten Stun­de am Abend hör­te der Lärm in der Her­ber­ge auf. Gleich­zei­tig er­hob sich je­der Is­rae­lit, blick­te mit fei­er­lich erns­tem Ge­sich­te ge­gen Je­ru­sa­lem, kreuz­te die Hän­de über der Brust und be­te­te, denn es war die hei­li­ge neun­te Stun­de, zu wel­cher im Tem­pel auf dem Ber­ge Mo­riah in Got­tes ge­heim­nis­vol­ler Nähe das Op­fer dar­ge­bracht wur­de. Als das Ge­bet zu Ende war, be­gann das Ge­wo­ge aufs neue, je­der be­eil­te sich, ein Nacht­mahl zu be­rei­ten oder sei­ne La­ger­stät­te her­zu­rich­ten. Et­was spä­ter wur­den die Lich­ter aus­ge­löscht; al­les schwieg und sank in Schlaf.

Un­ge­fähr um Mit­ter­nacht rief je­mand auf dem Da­che: »Was ist das für ein Licht am Him­mel? Wa­chet auf, Brü­der, wa­chet auf und schau­et!«

Schlaf­trun­ken rich­te­ten sich die Leu­te auf und blick­ten um sich, Stau­nen er­faß­te alle, als sie zu vol­lem Be­wußt­sein ge­kom­men wa­ren. Ein Licht­strahl, der in un­er­meß­li­cher Fer­ne über den nächs­ten Ster­nen sei­nen An­fang nahm, fiel schräg zur Erde, an sei­nem Be­gin­ne ein ver­schwin­dend klei­ner Punkt, er­wei­ter­te er sich all­mäh­lich, so daß er auf der Erde sich auf Mei­len zu er­stre­cken schi­en. Der Khan war so vom Licht be­schie­nen. daß auf dem Da­che je­der des an­dern Ge­sicht und das Stau­nen, das sich auf dem­sel­ben mal­te, deut­lich se­hen konn­te.

Mi­nu­ten­lang blieb der Strahl un­ver­än­dert am Him­mel. Das Stau­nen der Leu­te ver­wan­del­te sich in Scheu und Furcht: die Zag­haf­ten zit­ter­ten, die Kühns­ten spra­chen nur im Flüs­ter­ton.

»Habt ihr je Ähn­li­ches ge­se­hen?« frag­te ei­ner.

»Es scheint ge­ra­de über dem Ber­ge dort zu sein. Ich kann nicht sa­gen, was es ist: ich habe auch nie et­was Ähn­li­ches ge­se­hen«, lau­te­te die Ant­wort.

»Ich weiß, was es ist«, rief ei­ner. »Die Hir­ten ha­ben einen Lö­wen ge­se­hen und Feu­er ge­macht, um ihn von den Her­den fern­zu­hal­ten.«

Die Um­ste­hen­den at­me­ten er­leich­tert auf und sag­ten:

»Ja, so ist es! Wir sa­hen die Her­den heu­te drü­ben im Tale wei­den.«

Die Be­ru­hi­gung dau­er­te aber nicht lan­ge. Ei­ner der Um­ste­hen­den rief:

»Nein, nein! Wenn man al­les Holz in al­len Tä­lern Ju­das auf ei­nem Hau­fen zu­sam­mentrü­ge und in Brand steck­te, könn­te die Flam­me kein so star­kes und hel­les Licht ge­ben.«

Tie­fes Schwei­gen folg­te die­ser Be­mer­kung auf dem Da­che, das nur ein­mal un­ter­bro­chen wur­de, so­lan­ge die Er­schei­nung dau­er­te.

»Brü­der!« rief ein Jude von ehr­wür­di­gem Aus­se­hen, »was wir hier schau­en, ist die Him­mels­lei­ter, die un­ser Va­ter Ja­kob im Trau­me ge­se­hen. Ge­prie­sen sei der Herr, der Gott un­se­rer Vä­ter!«

Drittes Kapitel

Un­ge­fähr zwei Mei­len süd­öst­lich von Beth­le­hem liegt eine Ebe­ne, die durch einen Ge­birgs­zug von der Stadt ge­schie­den ist. Ge­gen die Nord­win­de wohl ge­schützt, war das Tal dicht mit Maul­beer­bäu­men, Zwer­gei­chen und Fich­ten be­wach­sen, wäh­rend die an­gren­zen­den Schluch­ten mit Oli­ven- und Maul­beer­ge­büsch be­stan­den wa­ren. Al­les das war um die­se Jah­res­zeit von un­schätz­ba­rem Wer­te für die Scha­fe, Zie­gen und Rin­der, aus de­nen die wan­dern­den Her­den zu­sam­men­ge­setzt wa­ren.

Am äu­ßers­ten Ende des Ta­les be­fand sich un­ter ei­ner schrof­fen Fels­wand eine ge­räu­mi­ge, Jahr­hun­der­te alte Schaf­hür­de. Hir­ten, die am Tage vor­her auf die­se Ebe­ne hin­auf­ge­zo­gen wa­ren, um neue Wei­de­plät­ze zu su­chen, hat­ten bei Son­nen­un­ter­gang ihre Her­den hin­ein­ge­trie­ben, weil sie dort vor wil­den Tie­ren in Si­cher­heit wa­ren. Am Ein­gan­ge zün­de­ten sie ein Feu­er an und nah­men ein ein­fa­ches Mahl, dann setz­ten sie sich zur Ruhe und Un­ter­hal­tung nie­der, wäh­rend ei­ner Wa­che hal­ten muß­te. Nach ei­ner Wei­le leg­ten sie sich zum Schla­fe nie­der, und nur der Wäch­ter schritt drau­ßen auf und ab.

Die Nacht war, wie die meis­ten Win­ter­näch­te in dem hü­ge­li­gen Lan­de, hell und frisch; zahl­lo­se Ster­ne fun­kel­ten am Him­mel. Kein Lüft­chen reg­te sich. Nie schi­en die Luft so rein, und die Stil­le der Nacht war mehr als Schwei­gen; es war eine hei­li­ge Stil­le, ein Wink, daß der Him­mel sich nie­der­neig­te, um der lau­schen­den Erde et­was Freu­di­ges zu­zu­flüs­tern.

Lang­sam ver­strich die Zeit. End­lich war es Mit­ter­nacht, und der Wäch­ter woll­te schon sei­ne Ab­lö­sung we­cken, um sich selbst zur Ruhe zu le­gen, als er plötz­lich über­rascht ste­hen blieb. Ein hel­ler Licht­strahl um­gab ihn wie sanf­tes Mond­licht. Atem­los war­te­te er. Aber das Licht wur­de im­mer hel­ler, bis es die gan­ze Um­ge­bung blen­dend er­leuch­te­te. Von Schre­cken er­faßt, rief er:

»Wacht auf, wacht auf!«

Die Hun­de spran­gen auf und lie­fen heu­lend da­von. Die Her­den rück­ten er­schro­cken eng zu­sam­men. Die Män­ner stan­den auf und grif­fen zu den Waf­fen.

»Was ist’s?« rie­fen sie wie aus ei­nem Mun­de.

»Seht!« rief der Wäch­ter, »der Him­mel steht in Flam­men!«

Der Glanz des Lich­tes blen­de­te sie so, daß sie ihre Au­gen ver­deck­ten. Von Furcht und Schre­cken er­faßt, war­fen sie sich halb ohn­mäch­tig mit dem An­ge­sich­te zur Erde nie­der, wie um zu ster­ben. Eine Stim­me aber sprach zu ih­nen:

»Fürch­tet euch nicht!«

Sie horch­ten auf.

»Fürch­tet euch nicht! denn sie­he, ich ver­kün­de euch eine große Freu­de, die al­lem Vol­ke zu­teil wer­den soll!«

Die Stim­me klang so sanft und weich, daß sie kei­nes Men­schen Stim­me sein konn­te, und zu­gleich so hell, daß sie ihr gan­zes We­sen durch­drang und sie mit Zu­ver­sicht er­füll­te. Sie er­ho­ben sich auf die Knie, und wie sie voll Ehr­furcht auf­blick­ten, sa­hen sie in der Mit­te des Licht­schei­nes die Er­schei­nung ei­nes Man­nes in glän­zend weißem Ge­wan­de. Über sei­nen Schul­tern leuch­te­ten die Spit­zen zu­sam­men­ge­fal­te­ter Flü­gel her­vor, über dem Haup­te strahl­te ein Stern in ru­hi­gem Glan­ze wie der Abends­tern. Und die Hir­ten er­kann­ten, daß ein En­gel Got­tes zu ih­nen her­ab­ge­stie­gen war.

Der En­gel aber fuhr fort:

»Denn heu­te ist euch in der Stadt Da­vids der Hei­land ge­bo­ren wor­den, wel­cher ist Chris­tus, der Herr!«

Aber­mals schwieg er, wäh­rend sei­ne Wor­te sich tief in ihre Her­zen senk­ten.

»Und dies soll euch zum Zei­chen sein«, sag­te der Him­mels­bo­te wei­ter: »Ihr wer­det ein Kind fin­den, in Win­deln ein­ge­wi­ckelt und in ei­ner Krip­pe lie­gend.«

Der En­gel sprach nicht mehr; sei­ne fro­he Bot­schaft war ver­kün­det; den­noch blieb er eine Zeit­lang.

Plötz­lich be­gann das Licht, des­sen Mit­tel­punkt er zu sein schi­en, sich ro­sig zu fär­ben und zu zit­tern; in ho­her Fer­ne er­schie­nen glän­zen­de Flü­gel, und eine Men­ge strah­len­der Ge­stal­ten und vie­le Stim­men er­schall­ten und san­gen zu glei­cher Zeit:

»Ehre sei Gott in der Höhe und Frie­de den Men­schen auf Er­den, die ei­nes gu­ten Wil­lens sind!«

Als die Hir­ten wie­der zu sich ge­kom­men wa­ren, blick­ten sie ein­an­der wie traum­ver­lo­ren an, bis ei­ner von ih­nen sag­te:

»Es war Ga­bri­el, der Bote des Herrn an die Men­schen.«

Kei­ner ant­wor­te­te.

»Chris­tus der Herr ist ge­bo­ren; sag­te er nicht so?«

Nun er­lang­te ein an­de­rer die Spra­che wie­der und ant­wor­te­te:

»Ja, das sag­te er.«

»Und sag­te er nicht auch: in der Stadt Da­vids? Das ist ja un­ser Beth­le­hem dort! Und wir wür­den ihn als Kind fin­den, in Win­deln ein­ge­wi­ckelt?« »Und in ei­ner Krip­pe lie­gend.«

Der, wel­cher zu­erst ge­spro­chen hat­te, starr­te nach­denk­lich ins Feu­er; wie wenn er zu ei­nem plötz­li­chen Ent­schlus­se ge­kom­men wäre, sag­te er end­lich:

»Es gibt nur einen Ort in Beth­le­hem, wo Krip­pen sind; nur einen, und zwar in der Höh­le dort bei der al­ten Her­ber­ge. Brü­der, laßt uns hin­ge­hen und se­hen, was sich zu­ge­tra­gen hat. Die Pries­ter und Schrift­ge­lehr­ten er­war­ten schon lan­ge den Mes­si­as. Jetzt ist er ge­bo­ren, und der Herr hat uns ein Zei­chen ge­ge­ben, an dem wir ihn er­ken­nen kön­nen. Laßt uns hin­gehn und ihn an­be­ten.«

»Aber die Her­den!«

»Der Herr wird sie in sei­ne Ob­hut neh­men. Be­ei­len wir uns!«

Sie stan­den alle auf und ver­lie­ßen die Hür­de. Sie gin­gen um den Berg her­um und so­dann durch die Stadt der Her­ber­ge zu. Am Tor an­ge­langt, wur­den sie vom Wäch­ter an­ge­hal­ten.

»Was wün­schet ihr?« frag­te er.

»Wir ha­ben heu­te nacht wun­der­ba­re Din­ge ge­se­hen und ge­hört«, ant­wor­te­ten sie.

»Nun, auch wir ha­ben et­was Merk­wür­di­ges ge­se­hen, ge­hört aber nichts. Was habt ihr ge­hört?«

»Gehn wir zu­erst zur Höh­le in der Ein­frie­di­gung, um Ge­wiß­heit zu er­lan­gen. Der Mes­si­as ist ge­bo­ren!«

»Der Mes­si­as! Wo­her wißt ihr das?«

»Er wur­de heu­te nacht ge­bo­ren und liegt nun in ei­ner Krip­pe; so wur­de uns ver­kün­det. Es gibt in Beth­le­hem nur einen Ort mit Krip­pen.«

»Die Höh­le?«

»Ja! Komm mit!«

Sie durch­schrit­ten den Hof, ohne be­ach­tet zu wer­den, ob­gleich dort noch ei­ni­ge wach wa­ren und über das wun­der­ba­re Licht spra­chen.

Die Tür der Höh­le war of­fen, eine La­ter­ne brann­te im In­nern. Sie tra­ten ohne wei­te­res ein. »Frie­de sei mit dir!« grüß­te der Tor­wäch­ter Jo­sef. »Es sind Leu­te hier, die ein Kind su­chen, das die­se Nacht ge­bo­ren wor­den sei. Sie wol­len es dar­an er­ken­nen, daß es in Win­deln ein­ge­wi­ckelt ist und in ei­ner Krip­pe liegt.«

Jo­sef war ge­rührt; er wand­te sich um und sprach: »Das Kind ist hier.«

Sie wur­den zu ei­ner der Krip­pen ge­führt, dort lag das Kind. Das Licht wur­de her­bei­ge­bracht, so­dann be­trach­te­ten die Hir­ten in stum­mer An­dacht das Kind.

»Es ist der Mes­si­as!« sag­te end­lich ei­ner von ih­nen.

»Der Mes­si­as!« wie­der­hol­ten alle und fie­len an­be­tend auf die Knie.

Die schlich­ten Män­ner küß­ten den Saum des Klei­des der Mut­ter und ent­fern­ten sich dann mit freu­de­strah­len­dem Ge­sicht. In der Her­ber­ge weck­ten sie die Leu­te und er­zähl­ten ih­nen, was sie ge­se­hen und ge­hört hat­ten. Auf dem gan­zen Wege durch die Stadt und bis zur Hür­de zu­rück san­gen sie das Lob­lied der En­gel: »Ehre sei Gott in der Höhe und Frie­de den Men­schen auf Er­den, die ei­nes gu­ten Wil­lens sind!«

Die Er­zäh­lung der Hir­ten ver­brei­te­te sich rasch und wur­de durch das Licht, das weit und breit ge­se­hen wur­de, be­stä­tigt. An den fol­gen­den Ta­gen wur­de die Höh­le von ei­ner Men­ge Neu­gie­ri­ger be­sucht, von de­nen man­che glaub­ten, aber mehr noch lach­ten und spot­te­ten.

Viertes Kapitel

Am elf­ten Tage nach der Ge­burt des Kin­des, um die Mit­te des Nach­mit­tags, nä­her­ten sich die drei Wei­sen von Si­chem her der Stadt Je­ru­sa­lem. Als sie den Bach Ki­dron über­schrit­ten hat­ten, wur­de die Stra­ße be­leb­ter. Alle, de­nen sie be­geg­ne­ten, blie­ben stehn und blick­ten ih­nen neu­gie­rig nach. Ob­gleich große Ver­kehrs­s­tra­ßen durch Je­ru­sa­lem führ­ten und vie­le Frem­den hier wa­ren, er­reg­ten die drei Wei­sen doch die Auf­merk­sam­keit al­ler durch die Grö­ße und Schön­heit ih­rer wei­ßen Ka­me­le und durch die Pracht ih­rer Aus­stat­tung. Vor ei­ner Men­schen­grup­pe, die an der Stra­ße ge­gen­über den Kö­nigs­grä­bern saß, hiel­ten die vor­neh­men Frem­den.

»Gute Leu­te«, sag­te Bal­tha­sar und beug­te sich da­bei von sei­nem Sitz her­ab, »liegt nicht Je­ru­sa­lem in der Nähe?«

»Ja«, ant­wor­te­te eine Frau, »wenn die Bäu­me dort auf dem Hü­gel et­was nied­ri­ger wä­ren, könn­tet ihr die Tür­me auf dem Markt­plat­ze se­hen.«

Bal­tha­sar warf dem Grie­chen und dem In­der einen Blick zu und frag­te dann:

»Wo ist der neu­ge­bo­re­ne Kö­nig der Ju­den?«

Die Ge­frag­ten blick­ten ein­an­der ver­ständ­nis­los an, ohne zu ant­wor­ten.

»Habt ihr nicht von ihm ge­hört?«

»Nein.«

»Nun, so er­zählt al­len, daß wir sei­nen Stern im Mor­gen­lan­de ge­se­hen ha­ben und ge­kom­men sind, ihn an­zu­be­ten.«

Die Freun­de rit­ten nun wie­der wei­ter.

Die glei­che Fra­ge rich­te­ten sie auch an an­de­re, aber mit dem­sel­ben Er­fol­ge. Eine Schar Men­schen, die auf dem Wege zur Je­re­mi­as­grot­te war, ge­riet über die Fra­ge und die Er­schei­nung der Män­ner in sol­ches Stau­nen, daß sie um­kehr­te und ih­nen in die Stadt folg­te.

Sie wa­ren von dem Ge­dan­ken an ihre Sen­dung so sehr er­füllt, daß sie kei­nen Sinn hat­ten für den herr­li­chen An­blick, der sich ih­nen jetzt bot. Sie rit­ten durch das Da­mas­kus­tor, an dem ein rö­mi­scher Sol­dat Wa­che hielt.

»Frie­de sei mit dir!« grüß­te der Ägyp­ter mit kla­rer Stim­me.

Die Wa­che gab kei­ne Ant­wort.

»Wir kom­men aus wei­ter Fer­ne, um den neu­ge­bor­nen Kö­nig der Ju­den zu su­chen. Kannst du uns sa­gen, wo wir ihn fin­den?«

Der Sol­dat hob das Vi­sier sei­nes Hel­mes und rief mit lau­ter Stim­me. Rechts vom Ein­gan­ge er­schi­en ein Of­fi­zier. »Was wollt Ihr?« frag­te er Bal­tha­sar in der Spra­che des Lan­des.

Und Bal­tha­sar ant­wor­te­te in der­sel­ben Spra­che:

»Wo ist der neu­ge­bo­re­ne Kö­nig der Ju­den?«

»He­ro­des?« frag­te er­staunt der Of­fi­zier.

»He­ro­des hat sein Kö­nig­tum vom Kai­ser. Nein, nicht He­ro­des.«

»Ei­nen an­dern Kö­nig der Ju­den gibt es nicht!«

»Aber wir ha­ben sei­nen Stern ge­se­hen und sind ge­kom­men, ihn an­zu­be­ten.«

Der Rö­mer war er­staunt.

»Geht wei­ter!« sag­te er end­lich. »Geht wei­ter! Ich bin kein Jude. Fragt die Ge­set­zes­leh­rer im Tem­pel, oder An­nas, den Pries­ter, oder noch bes­ser He­ro­des selbst. Wenn es au­ßer ihm noch einen an­dern Kö­nig der Ju­den gibt, wird er ihn zu fin­den wis­sen.« Er mach­te nun den Frem­den die Bahn frei und die­se zo­gen durch das Tor.

Bei Be­ginn der en­gen Stra­ße hielt Bal­tha­sar sein Tier an und sag­te zu sei­nen Freun­den:

»Der Zweck un­se­res Hier­seins ist nun ge­nü­gend be­kannt. Bis Mit­ter­nacht wird die gan­ze Stadt von uns und un­se­rer Sen­dung ge­hört ha­ben. Su­chen wir nun die Her­ber­ge auf.«

An je­nem Abend wa­ren meh­re­re Frau­en auf der obe­ren Stu­fe der Trep­pe, die zum Tei­che Si­loah hin­ab­führt, mit Wa­schen be­schäf­tigt. Eine jede knie­te vor ei­ner brei­ten, ir­de­nen Schüs­sel. Ein Mäd­chen, das am un­te­ren Ende der Trep­pe stand, ver­sorg­te sie mit Was­ser und sang, wäh­rend es den Krug füll­te. Wäh­rend sie flei­ßig die Hän­de reg­ten, die Wä­sche in den Schüs­seln rie­ben und wand­ten, tra­ten zwei an­de­re Frau­en, jede mit ei­nem lee­ren Kru­ge auf der Schul­ter, zu ih­nen.

»Frie­de sei mit euch!« grüß­te die eine von ih­nen.

Die an­de­ren hiel­ten in ih­rer Ar­beit inne, rich­te­ten sich auf, trock­ne­ten ihre Hän­de und er­wi­der­ten den Gruß.

»Wißt ihr, was Neu­es ge­sche­hen ist?« »Was soll denn ge­sche­hen sein?«

»Ihr habt also nichts ge­hört?«

»Nein!«

»Man sagt, der Mes­si­as sei ge­bo­ren«, brach die Neu­ig­keits­krä­me­rin mit ih­rer Er­zäh­lung los.

Leb­haf­te Neu­gier­de spie­gel­te sich in den Ge­sich­tern der Frau­en. Schnell wur­den die Krü­ge nie­der­ge­stellt und in eben­so­vie­le Sit­ze ver­wan­delt.

»Der Mes­si­as!« rie­fen alle.

»So er­zählt man.«

»Wer?«

»Alle; es ist das all­ge­mei­ne Ge­spräch.«

»Glaubt es denn auch je­mand?«

»Heu­te nach­mit­tag ka­men drei Män­ner über den Bach Ki­dron auf dem Wege von Si­chem her«, er­wi­der­te die Er­zäh­le­rin mit um­ständ­li­cher Ge­nau­ig­keit, um je­dem Zwei­fel zu be­geg­nen.

»Je­der ritt ein glän­zend wei­ßes Ka­mel von sol­cher Grö­ße, wie man sie bis­her in Je­ru­sa­lem nicht ge­se­hen hat.«

Die Zu­hö­re­rin­nen sperr­ten Mund und Au­gen auf.

»Es wa­ren si­cher­lich vor­neh­me und rei­che Män­ner«, fuhr sie fort; »denn sie sa­ßen un­ter ei­nem sei­de­nen Ge­zel­te. Die Schnal­len ih­rer Sät­tel wa­ren von Gold, des­glei­chen die Bor­ten ih­rer Zäu­me, die Schel­len wa­ren aus Sil­ber und ga­ben lieb­li­che Mu­sik. Nie­mand kann­te sie; sie sa­hen aus, wie wenn sie von den Gren­zen der Erde ge­kom­men wä­ren. Nur ei­ner führ­te das Wort, und an alle, de­nen sie be­geg­ne­ten, selbst an die Frau­en und Kin­der, rich­te­te er die Fra­ge: Wo ist der neu­ge­bor­ne Kö­nig der Ju­den? – Nie­mand gab ih­nen Ant­wort, nie­mand be­griff, was sie mein­ten; und so zo­gen sie wei­ter mit der Er­klä­rung: Wir ha­ben sei­nen Stern im Mor­gen­lan­de ge­se­hen und sind ge­kom­men, ihn an­zu­be­ten. Sie leg­ten die­se Fra­ge auch dem Rö­mer am Tore vor, und die­ser, eben­so un­wis­send wie das ein­fa­che Volk am Wege, sand­te sie zu He­ro­des.«

»Wo sind sie jetzt?« »In der Her­ber­ge. Hun­der­te sind hin­ge­gan­gen, sie zu se­hen, Hun­der­te gehn noch im­mer hin.«

»Wen mei­nen sie mit dem Kö­nig der Ju­den?«

»Den Mes­si­as, der so­eben ge­bo­ren sei.«

Eine von den Frau­en lach­te und ging wie­der an die Ar­beit, in­dem sie sprach:

»Nun, wenn ich ihn sehe, will ich glau­ben.«

Eine an­de­re folg­te ih­rem Bei­spiel:

»Und ich, – nur wenn ich ihn die To­ten auf­er­we­cken sehe, will ich glau­ben.«

Eine drit­te sag­te ru­hig:

»Er ist vor lan­ger Zeit ver­hei­ßen wor­den. Mir soll es ge­nug sein, wenn ich ihn nur einen ein­zi­gen Aus­sät­zi­gen hei­len sehe.«

So sa­ßen sie und plau­der­ten, bis die Nacht ein­brach und mit ih­rer Küh­le sie zwang, nach Hau­se zu ge­hen.

Fünftes Kapitel

Am sel­ben Abend, un­ge­fähr zu Be­ginn der ers­ten Nacht­wa­che, fand im Palast auf dem Ber­ge Zion eine Ver­samm­lung von un­ge­fähr fünf­zig Män­nern statt, die im­mer nur auf Be­fehl des He­ro­des ab­ge­hal­ten wur­de, und zwar nur dann, wenn er über die eine oder an­de­re schwie­ri­ge Fra­ge aus dem jü­di­schen Rech­te oder der jü­di­schen Ge­schich­te Aus­kunft be­gehr­te. Es war eine Zu­sam­men­kunft der Ge­set­zes­leh­rer, der Ho­hen­pries­ter und der durch Ge­lehr­sam­keit aus­ge­zeich­ne­ten Män­ner, der Füh­rer der öf­fent­li­chen Mei­nung und der ver­schie­de­nen re­li­gi­ösen An­schau­un­gen. Dar­un­ter be­fan­den sich die Häup­ter der Sad­du­zä­er, Pha­ri­sä­er und Es­sä­er.

Das Ge­mach, in dem die Sit­zung statt­fand, lag in ei­nem der in­ne­ren Ho­fräu­me des Palas­tes und war sehr ge­räu­mig. Der Fuß­bo­den war mit Mar­mor­plat­ten aus­ge­legt, die fens­ter­lo­sen Wän­de schmück­ten Fres­ko­ge­mäl­de in sa­fran­gel­ben Fel­dern. In der Mit­te des Saa­l­es be­fand sich ein mit hell­gel­ben Kis­sen be­deck­ter Di­wan in Huf­ei­sen­form mit der Öff­nung dem Ein­gan­ge zu, an der Krüm­mung des Di­wans stand ein großer drei­fü­ßi­ger Ses­sel, der selt­sam mit Gold und Sil­ber aus­ge­legt war. Über ihm hing von der De­cke ein Kron­leuch­ter mit sie­ben Ar­men her­ab, de­ren je­der eine bren­nen­de Lam­pe hielt.

Die Män­ner sa­ßen nach Art der Mor­gen­län­der auf dem Di­wan, ihre Klei­dung hat­te glei­chen Schnitt, aber ver­schie­de­ne Far­ben. Sie stan­den größ­ten­teils in vor­ge­rück­tem Al­ter, lan­ge Bär­te um­wall­ten ihre Ge­sich­ter. Die lan­gen, ge­krümm­ten Na­sen und die großen, schwar­zen Au­gen, die von dich­ten Brau­en über­schat­tet wa­ren, ver­lie­hen ih­nen ein ei­gen­ar­ti­ges Aus­se­hen; ihr Be­neh­men war ernst, wür­de­voll, so­zu­sa­gen pa­tri­ar­cha­lisch.

Am obers­ten Ende saß der Vor­sit­zen­de, eine un­ge­wöhn­li­che, selt­sa­me Er­schei­nung. Sein von Na­tur großer und star­ker Kör­per war schon ge­beugt und wie zu ei­nem Ske­lett zu­sam­men­ge­schrumpft; ein wei­ßes Kleid hing in lo­sen Fal­ten von den Schul­tern her­ab. Die Hän­de, die von sei­de­nen, rot und weiß ge­streif­ten Är­meln halb ver­deckt wa­ren, hielt er ge­fal­tet auf dem Knie. Sein Haupt war kahl und nur von we­ni­gen sil­ber­wei­ßen Haa­ren um­säumt; den un­te­ren Teil des Ge­sich­tes be­deck­te ein lang her­ab­wal­len­der Bart, der ihm ein ehr­wür­di­ges Aus­se­hen gab. Das war Hil­lel, der Ba­by­lo­ni­er. In ei­nem Al­ter von hun­dert­und­sechs Jah­ren war er noch Vor­sit­zen­der des Ho­hen Ra­tes.

Auf dem Ti­sche vor ihm lag aus­ge­brei­tet eine Per­ga­men­trol­le, die mit he­bräi­schen Schrift­zei­chen be­schrie­ben war, hin­ter ihm stand in ab­war­ten­der Hal­tung ein reich­ge­klei­de­ter Kna­be. Die­sen rief er vor.

»Geh und mel­de dem Kö­nig, daß wir be­reit sind, ihm Ant­wort zu ge­ben.«

Der Kna­be eil­te hin­weg.

Nach ei­ner Wei­le tra­ten zwei Sol­da­ten ein und stell­ten sich rechts und links von der Tür auf. Ih­nen folg­te lang­sam eine auf­fal­len­de Per­sön­lich­keit, ein Greis in ei­nem Pur­pur­ge­wan­de, das mit Schar­lach ver­brämt war. Eine Bin­de aus fein ge­trie­be­nem Gol­de, die schmieg­sam war wie Le­der, um­gür­te­te den Leib, sei­ne Schu­he fun­kel­ten von Edel­stei­nen, ein schma­ler Kron­reif aus Fi­li­gran schim­mer­te an sei­nem Haup­te, das in einen auf die Schul­ter her­ab­fal­len­den Tar­busch aus feins­tem ro­ten Samt gehüllt war. An­statt ei­nes Sie­gels hing ein Dolch an sei­nem Gür­tel. Er hin­k­te im Ge­hen und stütz­te sich auf einen Stab. Ohne auf­zu­bli­cken, trat er bis zum Di­wan vor. Als ob er eben erst die Ver­sam­mel­ten be­merkt hät­te, rich­te­te er sich nun auf und blick­te stolz um sich, so fins­ter, arg­wöh­nisch, dro­hend war der Blick, den er auf die An­we­sen­den warf, daß man hät­te mei­nen kön­nen, er su­che einen Feind.

Es war He­ro­des der Gro­ße. Ge­bro­chen am Lei­be durch Krank­hei­ten, be­las­tet mit schwe­ren Ver­bre­chen, aus­ge­stat­tet mit herr­li­chen Geis­tes­ga­ben –ein wür­di­ger Ge­nos­se der Cäsa­ren –, be­haup­te­te er noch jetzt in sei­nem sie­ben­und­sech­zigs­ten Jah­re sei­nen Thron mit wach­sa­mer Ei­fer­sucht, des­po­ti­scher Macht und un­er­bitt­li­cher Grau­sam­keit.

Eine all­ge­mei­ne Be­we­gung ging durch die Ver­sam­mel­ten; die äl­te­ren beug­ten sich zum Gru­ße vor. An­de­re, die Hof­gunst mehr zu schät­zen wuß­ten, er­ho­ben sich von ih­ren Sit­zen, beug­ten das Knie und leg­ten die Hän­de an den Bart oder auf die Brust. Nach­dem He­ro­des Um­schau ge­hal­ten hat­te, schritt er bis zum Drei­fuß ge­gen­über dem ehr­wür­di­gen Hil­lel, der sei­nem kal­ten Bli­cke mit ei­ner Ver­nei­gung des Haup­tes und ei­ner leich­ten Er­he­bung der Hän­de be­geg­ne­te.

»Die Ant­wort!« sag­te der Kö­nig in ge­bie­te­ri­scher Kür­ze, zu Hil­lel ge­wandt, und stütz­te sich dann mit bei­den Hän­den auf den Stab. – »Die Ant­wort!«

Die Au­gen des ehr­wür­di­gen Grei­ses leuch­te­ten in mil­dem Lich­te. Er er­hob sein Haupt, blick­te dem Kö­nig voll ins Ge­sicht und ant­wor­te­te un­ter ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit der An­we­sen­den: »Der Frie­de des Got­tes Abra­hams, Isaaks und Ja­kobs sei mit dir, o Kö­nig!« Sei­ne Wor­te klan­gen fei­er­lich wie ein Ge­bet; dann fuhr er in ge­wöhn­li­chem Tone fort: »Du hast von uns zu wis­sen ver­langt, wo der Mes­si­as ge­bo­ren wer­den, soll­te.«

Der Kö­nig nick­te, wäh­rend sein fins­te­rer Blick fest auf Hil­lel ge­rich­tet war.

»Nun denn, o Kö­nig! In mei­nem Na­men und im Na­men mei­ner Brü­der hier, die mit mir glei­cher Mei­nung sind, sage ich dir: zu Beth­le­hem in Ju­däa.«

Hil­lel blick­te aus die Per­ga­men­trol­le, die auf dem Drei­fu­ße lag, zeig­te mit zit­tern­dem Fin­ger auf eine Stel­le hin und las: »Und du, Beth­le­hem im Lan­de Ju­däa, bist kei­nes­wegs die ge­rings­te un­ter den Fürs­ten­städ­ten Ju­das; denn aus dir wird her­vor­gehn der Fürst, der mein Volk Is­rael re­gie­ren soll.«

He­ro­des war be­trof­fen, nach­denk­lich ruh­te sein Blick auf dem Per­ga­ment. Die An­we­sen­den wag­ten kaum zu at­men; sie schwie­gen wie He­ro­des. End­lich wand­te er sich um und ver­ließ den Saal.

»Brü­der«, sag­te Hil­lel, »wir sind ent­las­sen.«

Die Ver­sam­mel­ten er­ho­ben sich und gin­gen grup­pen­wei­se fort.

»Si­me­on!« sprach Hil­lel wie­der.

Ein Mann im Al­ter von etwa fünf­zig Jah­ren, aber in vol­ler kör­per­li­cher Fri­sche, ant­wor­te­te auf den Ruf und trat zu Hil­lel.

»Nimm das hei­li­ge Per­ga­ment, mein Sohn, und rol­le es mit ge­büh­ren­der Sorg­falt zu­sam­men!«

Der Be­fehl wur­de voll­zo­gen.

»Nun rei­che mir dei­nen Arm und füh­re mich zur Sänf­te!«

So ver­lie­ßen der be­rühm­te Leh­rer und sein Sohn Si­me­on, wel­cher der Erbe sei­ner Weis­heit, Ge­lehr­sam­keit und sei­nes Am­tes sein soll­te, den Sit­zungs­saal des Ho­hen Ra­tes.

Am sel­ben Abend, aber noch et­was spä­ter, leg­ten sich die drei Wei­sen in ei­ner Kam­mer der Her­ber­ge zur Ruhe nie­der. Die Stei­ne, wel­che ih­nen als Kopf­kis­sen dienten, ga­ben ih­nen eine so hohe Lage, daß sie durch den of­fe­nen Ein­gang das Fir­ma­ment er­bli­cken konn­ten; und wie sie die blin­ken­den Ster­ne be­trach­te­ten, dach­ten sie dar­an, wann ih­nen die nächs­te Of­fen­ba­rung wer­den wür­de. Wäh­rend sie mit die­sen Ge­dan­ken be­schäf­tigt dala­gen, schritt ein Mann durch den Ein­gang. »Wa­chet auf!« rief er ih­nen zu. »Ich brin­ge euch eine Bot­schaft, die kein Zö­gern dul­det.«

»Von wem?« frag­te der Ägyp­ter.

»Vom Kö­nig He­ro­des!«

»Bist du nicht der Wäch­ter der Her­ber­ge?« frag­te Bal­tha­sar.

»Ja, das bin ich.«

»Was wünscht der Kö­nig von uns?«

»Sein Bote war­tet drau­ßen; er wird es euch sa­gen.«

»Sa­get ihm, er möge war­ten, wir wer­den so­gleich kom­men.«

Sie stan­den auf, leg­ten die San­da­len an, war­fen die Män­tel um und tra­ten hin­aus:

»Ich grü­ße euch und wün­sche euch Frie­den!« sag­te der Bote. »Mein Ge­bie­ter, der Kö­nig, hat mich ge­sandt, euch ein­zu­la­den, in den Palast zu kom­men, wo er al­lein mit euch spre­chen will.«

»Des Kö­nigs Wil­le ist un­ser Wil­le«, sprach Bal­tha­sar zum Bo­ten; »wir wer­den dir fol­gen.«

Er trat dann zu dem Wäch­ter der Her­ber­ge her­an und sag­te ihm lei­se: »Be­rei­te, wäh­rend wir fort sind, al­les zu un­se­rer Abrei­se vor, viel­leicht ist es nö­tig, daß wir so­fort auf­bre­chen.«

Die Stra­ßen der hei­li­gen Stadt wa­ren da­mals eben­so eng wie heu­te; stumm folg­ten die drei Män­ner ih­rem Füh­rer, der sie end­lich zu ei­nem Tore führ­te. In dem Schei­ne zwei­er Koh­len­feu­er, die vor dem Tore brann­ten, konn­ten sie die Um­ris­se ei­nes Ge­bäu­des so­wie ei­ni­ge Wacht­pos­ten se­hen, die re­gungs­los auf ihre Waf­fen ge­stützt lehn­ten. Ohne an­ge­hal­ten zu wer­den, schrit­ten sie durch das Tor. Und dann wur­den sie durch ein gan­zes La­by­rinth von oft un­be­leuch­te­ten Gän­gen und Hal­len, Ho­fräu­men und Ge­mä­chern so­wie über meh­re­re Trep­pen bis zu ei­nem Turm von be­trächt­li­cher Höhe ge­führt. Plötz­lich blieb der Füh­rer ste­hen, zeig­te auf eine of­fe­ne Tür und sprach zu ih­nen: »Tre­tet ein! Hier ist der Kö­nig.«

Der drücken­de Duft des San­del­hol­zes er­füll­te das Ge­mach, in wel­ches sie jetzt tra­ten; die gan­ze Ein­rich­tung zeug­te von üp­pi­ger Pracht­lie­be. Ein schwe­rer Tep­pich war in der Mit­te aus­ge­brei­tet und auf ihm stand ein Thron. Die Be­su­cher hat­ten kaum Zeit, einen flüch­ti­gen Blick auf den Raum und sei­ne Ein­rich­tung zu wer­fen, ihre gan­ze Auf­merk­sam­keit wur­de von He­ro­des in An­spruch ge­nom­men, der in der­sel­ben Klei­dung, die er in der Sit­zung des Ho­hen Ra­tes ge­tra­gen hat­te, auf dem Thro­ne saß, um die Frem­den zu emp­fan­gen.

Sie tra­ten un­auf­ge­for­dert bis zum Ran­de des Tep­pichs vor und ver­beug­ten sich dann bis zum Bo­den. Der Kö­nig klin­gel­te. Ein Die­ner kam her­ein und stell­te drei Stüh­le vor dem Thro­ne auf.

»Set­zet euch!« sag­te huld­voll der Herr­scher.

Als sie ihre Plät­ze ein­ge­nom­men hat­ten, fuhr er fort: »Vom Nord­to­re her wur­de mir heu­te nach­mit­tag die An­kunft drei­er Fremd­lin­ge be­rich­tet, die selt­sam be­rit­ten und aus­ge­rüs­tet wa­ren und aus­sa­hen, als sei­en sie aus fer­nen Län­dern ge­kom­men. Seid ihr die­se Män­ner?«

Auf einen Wink des Grie­chen und des In­ders nahm der Ägyp­ter das Wort und ant­wor­te­te un­ter ei­ner tie­fen Ver­nei­gung:

»Wä­ren wir an­de­re als wir sind, so hät­te uns der mäch­ti­ge He­ro­des nicht her­ge­ru­fen.«

»Wer seid ihr? Wo­her kommt ihr?« frag­te He­ro­des wei­ter. Sie er­stat­te­ten ihm nun, ei­ner nach dem an­dern, Be­richt, in­dem sie ein­fach Ort und Land ih­rer Ge­burt so­wie den Weg, auf dem sie nach Je­ru­sa­lem ge­kom­men wa­ren, an­ga­ben. Et­was ent­täuscht, forsch­te sie He­ro­des ge­nau­er aus.

»Wie lau­te­te die Fra­ge, die ihr beim Tore an den wa­che­ha­ben­den Of­fi­zier stell­tet?«

»Wir frag­ten ihn: Wo ist der neu­ge­bor­ne Kö­nig der Ju­den?« »Ich be­grei­fe nun, warum das gan­ze Volk so in Be­we­gung kam. Ihr re­get mich nicht min­der auf. Gibt es denn noch einen an­dern Kö­nig der Ju­den?«

Furcht­los ant­wor­te­te der Ägyp­ter:

»Ja, er wur­de so­eben ge­bo­ren.«

Ein Zug des Schmer­zes flog über das fins­te­re Ant­litz des Herr­schers, wie wenn eine schreck­li­che Erin­ne­rung sei­nen Geist fol­ter­te. »Nicht mir!« rief er aus, »nicht mir wur­de er ge­bo­ren!« Als er die Fas­sung wie­der­er­langt hat­te, frag­te er ru­hig: »Wo ist der neu­ge­bo­re­ne Kö­nig?«

»Das ist es eben, o Kö­nig, wo­nach wir fra­gen!«

»Ihr setzt mich in Er­stau­nen! Ihr legt mir ein Rät­sel vor, das schwie­ri­ger ist als je­nes sa­lo­mo­ni­sche. Sa­get mir al­les, was ihr über den Neu­ge­bor­nen wißt, und ich will euch hel­fen, ihn zu su­chen. Und wenn wir ihn ge­fun­den ha­ben, will ich tun, was ihr nur wün­schet. Ich will ihn nach Je­ru­sa­lem brin­gen und ihn zum Kö­nig er­zie­hen, ich will mei­nen Ein­fluß beim Kai­ser ver­wen­den, um ihm hohe Stel­lun­gen und Ehren zu ver­schaf­fen. Ei­fer­sucht soll es nicht un­ter uns ge­ben, das schwö­re ich. Doch sagt mir zu­erst, wie konn­tet ihr, die ihr doch durch Mee­re und Wüs­ten so weit von­ein­an­der ge­trennt wa­ret, gleich­zei­tig von ihm hö­ren?«

»Ich will es dir in Wahr­heit sa­gen, o Kö­nig!«

»Sprich!« ge­bot He­ro­des.

Bal­tha­sar rich­te­te sich auf und sprach fei­er­lich: »Es gibt einen all­mäch­ti­gen Gott.«

He­ro­des er­schrak sicht­lich.

»Die­ser be­fahl uns, hier­her zu kom­men und ver­sprach uns, daß wir den Er­lö­ser der Welt fin­den wür­den, daß wir ihn se­hen und an­be­ten und von sei­ner An­kunft Zeug­nis ge­ben soll­ten. Als Zei­chen vom Him­mel war ei­nem je­den von uns be­schie­den, einen Stern zu schau­en. Sein Geist war mit uns. O Kö­nig, sein Geist ist jetzt mit uns!« Die drei Män­ner wa­ren aufs tiefs­te be­wegt; der Grie­che ver­moch­te mit Mühe einen Aus­ruf zu­rück­zu­hal­ten. He­ro­des’ Bli­cke schos­sen von ei­nem zum an­dern, er war noch un­be­frie­dig­ter und noch mehr von Arg­wohn er­füllt als vor­her.

»Ihr treibt mit mir Spott«, sag­te er. »Und wenn nicht, so er­zählt mir mehr. Was soll auf die An­kunft des neu­en Kö­nigs fol­gen?«

»Die Er­lö­sung der Men­schen.«

»Wo­von?«

»Von ih­rer Sünd­haf­tig­keit.«

»Wo­durch?«

»Durch die Kraft Got­tes; durch Glau­be, Lie­be und gute Wer­ke.«

»Dann –« He­ro­des hielt inne, sein Blick ließ in kei­ner Wei­se die Ge­füh­le er­ken­nen, die sei­ne Brust be­weg­ten, als er fort­fuhr: »Dann seid ihr die Ver­kün­di­ger des Mes­si­as. Ist das al­les?« Bal­tha­sar ver­beug­te sich tief: »Wir sind dei­ne Die­ner, o Kö­nig!«

Der Kö­nig klin­gel­te und der Die­ner er­schi­en. »Brin­ge die Ge­schen­ke!« sag­te der Herr­scher.

Der Die­ner ging hin­aus. In kur­z­er Zeit kehr­te er zu­rück, knie­te vor den Gäs­ten nie­der und reich­te je­dem einen Man­tel in schar­lach­ro­ter und blau­er Far­be und einen gold­durch­wirk­ten Gür­tel. Sie nah­men die Ehren­ge­schen­ke mit ori­en­ta­lisch un­ter­wür­fi­gen Dan­kes­be­zeu­gun­gen an.

»Noch ein Wort!« sag­te He­ro­des, als die Förm­lich­kei­ten be­en­det wa­ren. »Ihr habt zum Of­fi­zier beim Tore und so­eben zu mir von ei­nem Stern ge­spro­chen, den ihr im Mor­gen­lan­de ge­se­hen habt.«

»Ja«, sag­te Bal­tha­sar, »es war sein Stern, der Stern des Neu­ge­bo­re­nen.«

»Um wel­che Zeit er­schi­en er?«

»Als uns be­foh­len wur­de, hier­her zu kom­men.«

He­ro­des er­hob sich, ein Zei­chen, daß die Au­di­enz zu Ende war. Er stieg vom Thro­ne her­un­ter, ging ih­nen ent­ge­gen und sag­te huld­vollst:

»Wenn ihr, er­lauch­te Män­ner, in der Tat die Ver­kün­di­ger des neu­ge­bo­re­nen Mes­si­as seid, wie ich nicht zweifle, so wis­set, daß ich heu­te abend die wei­ses­ten der jü­di­schen Leh­rer be­fragt habe, und sie sa­gen ein­stim­mig, er sol­le zu Beth­le­hem in Ju­däa ge­bo­ren wer­den. Ich sage euch also, geht dort­hin; geht hin und for­schet ge­nau nach dem Kin­de. Und wenn ihr es ge­fun­den habt, so zei­get es mir an, da­mit auch ich kom­me, es an­zu­be­ten. Nichts soll euch auf dem Wege hin­der­lich sein. Frie­de sei mit euch!«

Und sich in sei­nen Man­tel hül­lend, ver­ließ er das Ge­mach. Als­bald kam der Füh­rer, ge­lei­te­te sie hin­ab zur Stra­ße und von da zur Her­ber­ge. Beim Tore an­ge­langt, rief der Grie­che be­wegt:

»Laßt uns nach Beth­le­hem gehn, Brü­der, wie der Kö­nig uns ge­ra­ten hat!«

»Ja«, rief der In­der, »der Geist drängt mich.«

»Es sei!« sprach Bal­tha­sar mit glei­cher Wär­me. »Die Ka­me­le stehn be­reit.«

Sie be­schenk­ten den Tor­wäch­ter, schwan­gen sich in die Sät­tel, lie­ßen sich den Weg nach dem Jop­pe-Tore zei­gen und rit­ten fort. Als sie auf die Ebe­ne von Re­phaim ge­lang­ten, er­schi­en am Him­mel ein Licht, zu­erst un­be­stimmt und matt. Ihre Her­zen poch­ten schnel­ler. Das Licht nahm rasch an Stär­ke zu, und schließ­lich sa­hen sie wie­der den Stern. Er stand ganz nied­rig am Him­mel und ging lang­sam vor ih­nen her. Sie fal­te­ten die Hän­de und stie­ßen im Über­maß der Freu­de einen Schrei aus.

»Gott ist mit uns! Gott ist mit uns!« ju­bel­ten sie und folg­ten dem Stern, bis er über ei­nem ab­ge­le­ge­nen Stal­le in der Nähe von Beth­le­hem stil­le stand.

Eben be­gann die drit­te Nacht­wa­che. Im Os­ten däm­mer­te be­reits über den Ber­gen der Mor­gen, aber so schwach, daß es im Tale noch Nacht war. Der Wäch­ter auf dem Da­che der Her­ber­ge lausch­te, von Käl­te durch­schau­ert, sehn­süch­tig den ers­ten ver­nehm­ba­ren Lau­ten, wo­mit das er­wa­chen­de Le­ben den an­bre­chen­den Tag be­grüßt, als ein Licht den Berg her­auf­schim­mer­te und dem Hau­se sich nä­her­te. Er hielt es erst für eine Fa­ckel in der Hand ei­nes nächt­li­chen Wan­de­rers, dann mein­te er, ein Me­te­or zu se­hen. Der Glanz des Lich­tes nahm aber im­mer zu, bis er sah, daß es ein Stern war. Aufs höchs­te er­schreckt, schrie er auf und weck­te da­durch alle Leu­te, die im Khan schlie­fen, sie eil­ten auf das Dach.