Berühmte Märchen aus aller Welt Band 1 - Various - E-Book

Berühmte Märchen aus aller Welt Band 1 E-Book

Various

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Beschreibung

Mit vielen prachtvollen Illustrationen Die Märchen von Hans Christian Andersen, Charles Dickens, den Brüdern Grimm, Wilhelm Hauff, Alexander Puschkin … Mit den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, chinesischen Volksmärchen, "Die Schöne und das Biest" aus Frankreich, "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" aus Tschechien, Märchen aus Amerika, Afrika, Indien …

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Berühmte Märchen aus aller Welt

Von Ali Baba bis Dornröschen

Ausgesucht von Dennis Grabowsky

Bild und Heimat

Von Dennis Grabowsky liegen bei Bild und Heimat

außerdem vor:

Die schönsten Tierfabeln (2016)

Die schönsten tschechischen und slowakischen Märchen (2016)

Illustrationen

Iwan Bilibin: S. 6, S. 155, S. 161; Walter Crane: S. 9, S. 18, S. 31, S. 56, S. 69, S. 84, S. 249 f., S. 252; Albert Robida: S. 98, S. 103, S. 108, S. 114; Harry Clarke: S. 152; Theodor Kittelsen: S. 162; Franz von Pocci (Münchener Bilderbogen): S. 193, S. 197, S. 200; Rudolf Geißler (Library of Congress): S. 214, S. 216 f.; Bertall: S. 229, S. 231; George Cruikshank (Library of Congress): S. 240

Es war leider nicht in allen Fällen möglich, die Rechteinhaber zu ermitteln. Berechtigte Ansprüche bleiben gewahrt.

eISBN 978-3-95958-755-6

1. Auflage

© 2017 by BEBUG mbH / Bild und Heimat, Berlin

Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

Umschlagabbildung: Roger Broders © Bridgeman Images

Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

In Kooperation mit der SUPERillu

www.superillu-shop.de

Der Ahornbaum

Aus Ungarn

Übertragen von Elisabet Sklarek

Es war einmal ein König, der hatte drei Töchter. Einmal sagte er ihnen, sie sollten ins Gehölz gehen und Erdbeeren pflücken. Welche zuerst ihren Topf voll habe, die bekomme ein neues Kleid. So machten sie sich zu dritt auf den Weg, und jede trug einen Topf. Die Jüngste machte am hurtigsten, und ihr Topf war zuallererst voll. Jene waren voller Neid, dass sie ihn zuerst gefüllt hatte. Da sagte die Älteste zur Mittleren, dass sie den Kopf der Jüngsten absuchen wolle, und dann wolle sie ihr den Hals abschneiden. Die Mittlere wollte erst nicht darauf eingehen, dann ging sie aber doch darauf ein. Da rief sie dem Kind, dass sie ihm den Kopf absuchen werde, und dann schnitt sie ihm den Kopf ab. Sie machten eine Grube, darin begruben sie es. Dann teilten sie die Erdbeeren, füllten die Töpfe ganz damit und gingen heim.

Der König fragte, wo seine jüngste Tochter sei. Sie sagten, das wüssten sie nicht, irgendwo im Wald sei sie verschollen, sie hätten sie gesucht, aber nicht gefunden. Aber dort, wo sie sie eingegraben hatten, wuchs ein schöner Ahornbaum empor. Dahin ging ein Bettler, schnitt ihn ab und machte eine Fiedel daraus. Als er sie dann probierte, tönte sie so:

»Ich war eines Königs Tochter,

Aber jetzt bin ich aus Ahorn

Ein klein Geiglein.«

Da ging der Bettler vor des Königs Fenster und geigte dort. Sie hörten ihn und riefen den Bettler hinauf. Als der König die Geige zur Hand nahm, tönte sie bei ihm so:

»Geige, geige, lieber Vater,

Ich war einst auch deine Tochter,

Aber jetzt bin ich aus Ahorn

Ein klein Geiglein.«

Darauf gab er sie seiner mittleren Tochter, und bei ihr tönte sie so:

»Geige, geige, liebe Schwester,

Ich war eines Königs Tochter,

Aber jetzt bin ich aus Ahorn

Ein klein Geiglein.«

Da gaben sie die Geige der ältesten, aber die wollte sie nicht in die Hand nehmen. Schließlich willigte sie ein, und bei ihr tönte sie so:

»Geige, geige, du mein Mörder,

Ich war eines Königs Tochter,

Aber jetzt bin ich aus Ahorn

Ein klein Geiglein.«

Da erschrak das Mädchen sehr, und in ihrem Schrecken ließ sie die Geige fallen. Die Geige stieß an das Tischbein, dort zerbrach sie. Wie sie zerbrach, siehe, da sprang die Königstochter aus ihr hervor. Nun war große Freude beim König. Er umarmte und küsste seine liebe Tochter, und dem Bettler gab er eine gute Handvoll Goldstücke.

Aladin und die Wunderlampe

Aus dem Orient

Von Antoine Galland

In einer sehr reichen und großen Hauptstadt Chinas, deren Name mir im Augenblick entfallen ist, lebte ein Schneider, namens Mustafa. Er war sehr arm, seine Arbeit warf kaum so viel ab, dass er, seine Frau und sein Sohn davon leben konnten. Die Erziehung dieses Sohnes Aladin war sehr vernachlässigt worden, so dass er allerhand lasterhafte Neigungen angenommen hatte. Er war boshaft, halsstarrig und ungehorsam. Kaum war er ein wenig herangewachsen, so konnten ihn seine Eltern nicht mehr im Haus zurückhalten. Er ging schon am frühen Morgen aus und tat den ganzen Tag nichts, als auf den Straßen mit kleinen Tagedieben spielen, die jünger waren als er.

Als er in die Jahre gekommen war, wo er ein Handwerk erlernen sollte, nahm ihn sein Vater in seine Bude und fing an, ihn in der Handhabung der Nadel zu unterrichten. Allein weder gute Worte noch Drohungen des Vaters vermochten den flatterhaften Sinn des Sohnes zu fesseln. Kaum hatte Mustafa ihm den Rücken gekehrt, entwischte Aladin und ließ sich den ganzen Tag nicht wieder sehen. Der Vater züchtigte ihn, aber Aladin war unverbesserlich. Dies verursachte ihm großes Herzeleid, und der Kummer darüber, dass er seinen Sohn nicht zur Pflicht zurückrufen konnte, zog ihm eine hartnäckige Krankheit zu, an der er nach einigen Monaten starb.

Aladin, der jetzt nicht mehr durch die Furcht vor seinem Vater in Schranken gehalten wurde, kümmerte sich wenig um seine Mutter. Er suchte noch mehr als zuvor junge Leute von seinem Alter auf und spielte mit ihnen unaufhörlich noch leidenschaftlicher als bisher. Diesen Lebenswandel setzte er bis in sein fünfzehntes Jahr fort, ohne für irgendetwas anderes Sinn zu haben.

Eines Tages, als er nach seiner Gewohnheit mit einem Haufen Gassenjungen auf einem freien Platz spielte, ging ein Fremder vorüber, der stehen blieb und ihn ansah. Dieser Fremde war ein berühmter Zauberer. Die Geschichtsschreiber, welche uns diese Erzählung aufbewahrt haben, nennen ihn den afrikanischen Zauberer, da er wirklich aus Afrika stammte und erst seit zwei Tagen angekommen war.

Sei es nun, dass der afrikanische Zauberer in Aladins Gesicht alles bemerkte, was zur Ausführung des Planes, der ihn hierhergeführt hatte, notwendig war, oder mochte er einen anderen Grund haben, genug, er erkundigte sich nach seiner Familie, seinem Stand und seinen Neigungen. Als er von allem, was er wünschte, unterrichtet war, ging er auf den jungen Menschen zu und fragte ihn: »Mein Sohn, ist dein Vater nicht der Schneider Mustafa?« – »Ja«, antwortete Aladin, »aber er ist schon lange tot.« Bei diesen Worten fiel der afrikanische Zauberer Aladin um den Hals, umarmte ihn und küsste ihn mit Tränen in den Augen und seufzend. »Ach, mein Sohn!«, rief der afrikanische Zauberer, »ich bin dein Onkel, und dein Vater war mein geliebter Bruder. Schon mehrere Jahre bin ich auf der Reise, und in dem Augenblick, da ich hier anlange, voll Hoffnung, ihn wiederzusehen und durch meine Rückkehr zu erfreuen, sagst du mir, dass er tot ist! Was meine Betrübnis allein ein wenig mildern kann, ist, dass ich seine Züge auf deinem Gesicht wiederfinde, und ich sehe, dass ich mich nicht getäuscht habe.«

Er fragte hierauf Aladin, wo seine Mutter wohne. Aladin erteilte ihm Auskunft, und der afrikanische Zauberer gab ihm eine Handvoll kleines Geld mit den Worten: »Mein Sohn, gehe schnell zu deiner Mutter, grüße sie von mir und sage ihr, dass ich sie morgen besuchen werde, um den Ort zu sehen, wo mein lieber Bruder so lange gelebt und seine Tage beschlossen hat.« Sobald der afrikanische Zauberer den Neffen, den er sich soeben selbst geschaffen, verlassen hatte, lief Aladin zu seiner Mutter. »Mütterchen«, sagte er gleich beim Eintreten, »ich bitte dich, sage mir, ob ich einen Onkel habe.« – »Nein, mein Sohn«, antwortete die Mutter. »Und doch«, fuhr Aladin fort, »habe ich soeben einen Mann gesehen, der sich für meinen Onkel von väterlicher Seite ausgab und versicherte, dass er der Bruder meines Vaters sei. Er hat sogar geweint und mich umarmt, als ich ihm sagte, dass mein Vater tot wäre. Er hat mir aufgegeben, dich in seinem Namen zu grüßen und dir zu sagen, dass er morgen dir seine Aufwartung machen wird.« – »Mein Sohn«, antwortete die Mutter, »es ist wahr, dein Vater hatte einen Bruder, aber er ist schon lange tot, und ich habe ihn nie sagen gehört, dass er noch einen anderen hätte.«

Den anderen Tag näherte sich dieser zum zweiten Mal Aladin. Er umarmte ihn und drückte ihm zwei Goldstücke in die Hand, mit den Worten: »Mein Sohn, bring dies deiner Mutter, sage ihr, ich werde sie abends besuchen, und sie möge etwas kaufen, damit wir zusammen speisen können. Zuvor aber sage mir, wie ich das Haus finden kann.« Er bezeichnete es ihm und der afrikanische Zauberer ließ ihn gehen.

Aladin brachte die zwei Goldstücke seiner Mutter und sagte ihr, was sein Onkel zu tun willens sei. Sie brachte den ganzen Tag mit Vorbereitungen zu dem Mahl zu. Abends klopfte man an die Tür. Aladin öffnete und erkannte den Afrikaner, der mit mehreren Weinflaschen und Früchten von allerlei Gattungen hereintrat. Der afrikanische Zauberer begrüßte die Mutter und bat sie, ihm die Stelle auf dem Sofa zu zeigen, wo sein Bruder Mustafa gewöhnlich gesessen habe. Sie zeigte ihm dieselbe. Nun warf er sich sogleich zur Erde, küsste die Stelle mehrere Male und rief mit Tränen in den Augen: »Armer Bruder, wie unglücklich bin ich, dass ich nicht zeitig genug gekommen bin, um dich vor deinem Tod noch einmal zu umarmen!«

Als der afrikanische Zauberer sich gesetzt hatte, fing er ein Gespräch mit Aladins Mutter an: »Meine liebe Schwester«, sagte er zu ihr, »wundere dich nicht, dass du während der ganzen Zeit, da du mit meinem Bruder Mustafa verheiratet warst, mich nie gesehen hast. Es sind schon vierzig Jahre, dass ich dieses Land verlassen habe. Seitdem habe ich Reisen nach Indien, Persien, Arabien, Syrien und Ägypten gemacht, mich in den schönsten Städten dieser Länder aufgehalten und bin dann nach Afrika gegangen. Da es indes dem Menschen angeboren ist, sein Heimatland, sowie seine Eltern und Jugendgespielen, auch in der weitesten Ferne nie aus dem Gedächtnis zu verlieren, so hat auch mich ein so gewaltiges Verlangen ergriffen, mein Vaterland wiederzusehen und meinen geliebten Bruder zu umarmen. Ich sage dir, dass mich auf allen meinen Reisen nichts so tief gekränkt und geschmerzt hat, als die Nachricht von dem Tod eines Bruders. Ich bemerkte einige Züge von ihm auf dem Gesicht meines Neffen, deines Sohnes, und dies machte, dass ich ihn aus all den übrigen Kindern herausfand. Ich tröste mich, ihn in seinem Sohn wiederzufinden, der so auffallende Ähnlichkeit mit ihm hat.«

Aladins Mutter nahm das Wort und sagte: »Aladin ist ein Taugenichts. Sein Vater hat, solange er lebte, alles Mögliche getan, um ihn sein Gewerbe zu lehren, allein er konnte seinen Zweck nicht erreichen, und seit er tot ist, streicht er die ganze Zeit auf den Straßen herum und spielt mit Kindern, ohne zu bedenken, dass er kein Kind mehr ist, wenn du ihn deshalb nicht beschämst, so gebe ich alle Hoffnung auf, dass jemals etwas aus ihm wird.«

Als Aladins Mutter unter vielen Tränen so gesprochen hatte, sagte der afrikanische Zauberer zu dem Jungen: »Das ist nicht gut, mein Neffe, du musst darauf aus sein, dir selbst fortzuhelfen und einen Lebensunterhalt zu verschaffen. Es gibt ja so viele Gewerbe in der Welt, besinne dich einmal, ob nicht eines darunter ist, zu dem du mehr Neigung hast als zu den anderen.« Als er sah, dass Aladin nichts antwortete, fuhr er fort: »Ist es dir überhaupt zuwider, ein Handwerk zu erlernen, und willst du ein angesehener Mann werden, so will ich für dich einen Laden mit kostbaren Stoffen einrichten, du kannst dann diese Sachen verkaufen, mit dem Geld den Einkauf neuer Waren bestreiten und auf diese Art ein anständiges Unterkommen finden.«

Dieses Anerbieten schmeichelte Aladin sehr, ein jedes Handwerk war ihm zuwider. Er erklärte daher dem afrikanischen Zauberer, dass seine Neigung nach dieser Seite mehr hingerichtet sei als nach jeder anderen. »Da dieses Gewerbe dir angenehm ist«, erwiderte der afrikanische Zauberer, »so werde ich dich morgen mitnehmen und dich so hübsch und reich kleiden lassen, wie es sich für einen der ersten Kaufleute in dieser Stadt geziemt, übermorgen wollen wir dann planen, einen solchen Laden zu errichten.« Aladins Mutter, die bis jetzt nicht geglaubt hatte, dass der afrikanische Zauberer der Bruder ihres Mannes sei, zweifelte nach solch glänzenden Versprechungen nicht mehr daran. Sie dankte ihm für seine guten Gesinnungen, und nachdem sie Aladin ermahnt hatte, sich der Wohltaten, die sein Onkel ihn hoffen ließ, würdig zu zeigen, trug sie das Abendessen auf.

Am anderen Morgen fand sich der afrikanische Zauberer wieder bei der Witwe des Schneiders Mustafa ein. Er nahm Aladin mit sich und führte ihn zu einem bedeutenden Kaufmann, der bloß ganz fertige Kleider von allen möglichen Stoffen und für Leute jeden Alters und Standes verkaufte. Von diesem ließ er sich mehrere zeigen, die für Aladin passten, und nachdem er die, die ihm am besten gefielen, ausgesucht hatte, sagte er zu Aladin: »Lieber Neffe, wähle dir unter all diesen Kleidern dasjenige aus, das dir am besten gefällt.« Aladin wählte eines, und der Zauberer kaufte es mit allem, was dazu gehörte, gegen bare Bezahlung, ohne zu feilschen.

Als Aladin von Kopf bis zu Fuß so prachtvoll gekleidet war, führte er ihn in die besten Gegenden der Stadt, besonders in diejenigen, wo die Läden der reichsten Kaufleute standen. Da sagte er zu Aladin: »Da du bald auch ein solcher Kaufmann sein wirst wie diese hier, so ist es gut, wenn du sie besuchst, damit sie dich kennenlernen.« Er zeigte ihm auch die schönsten und größten Moscheen, und führte ihn in das Gasthaus, wo die fremden Kaufleute wohnten, und an alle diejenigen Orte im Palast des Sultans, zu denen man freien Zutritt hatte. Endlich kamen sie in das Gasthaus, wo der Zauberer wohnte. Es waren dort einige Kaufleute, deren Bekanntschaft er seit seiner Ankunft gemacht, und die er eingeladen hatte, um sie gut zu bewirten und ihnen seinen angeblichen Neffen vorzustellen.

Das Gastmahl endete erst am späten Abend. Aladin wollte sich von seinem Onkel verabschieden, um nach Hause zurückzukehren, aber der afrikanische Zauberer geleitete ihn selbst zu seiner Mutter zurück. Als diese ihren Sohn in so schönen Kleidern erblickte, war sie außer sich vor Freude. »Großmütiger Schwager«, sagte sie zu ihm, »ich weiß nicht, wie ich dir für deine Freigebigkeit danken soll, aber das weiß ich, dass mein Sohn die Wohltaten, die du ihm erweist, nicht verdient. Ich für meine Person«, fügte sie hinzu, »danke dir von ganzem Herzen und wünsche dir ein recht langes Leben.«

»Aladin ist ein guter Junge«, erwiderte der afrikanische Zauberer, »er hört auf mich, und ich glaube, wir können etwas Tüchtiges aus ihm machen. Es tut mir nur leid, dass ich mein Versprechen nicht schon morgen halten kann. Es ist nämlich Freitag, wo alle Läden geschlossen sind und man gar nicht daran denken kann, einen zu mieten und mit Waren zu versehen. Somit werden wir die Sache auf Samstag verschieben müssen. Übrigens werde ich ihn morgen wieder mitnehmen und in die Gärten spazieren führen, wo sich die schöne Welt gewöhnlich einfindet.«

Am anderen Morgen stand Aladin in aller Frühe auf und kleidete sich an, um fertig zu sein, sobald sein Onkel ihn abholen würde. Der afrikanische Zauberer begrüßte Aladin. »Wohlan, mein lieber Junge«, sagte er, »heute werde ich dir schöne Sachen zeigen.« Er führte ihn zu einem Tor hinaus, an großen und schönen Häusern oder vielmehr an prächtigen Palästen vorüber, von denen jeder einen sehr schönen Garten hatte, in welchen man frei eintreten durfte. Bei jedem Palast fragte er Aladin, ob er ihm gefiele, und Aladin, der ihm zuvorkam, sagte: »Ach, lieber Onkel, dieser ist noch viel schöner, als alle bisherigen.« Indes gingen sie immer weiter. Unbemerkt führte er Aladin ziemlich weit über die Gärten hinaus und durchwandelte mit ihm die Ebene, die ihn allmählich in die Nähe der Berge leitete.

Endlich gelangten sie zwischen zwei Berge von mittelmäßiger Höhe, die sich ziemlich gleich und nur durch ein schmales Tal getrennt waren. Dies war die merkwürdige Stelle, wohin der afrikanische Zauberer Aladin hatte bringen wollen, um einen großen Plan mit ihm auszuführen, dem zuliebe er von dem äußersten Ende Afrikas bis nach China gereist war. »Wir sind jetzt an Ort und Stelle«, sagte er zu Aladin, »ich werde dir hier außerordentliche Dinge zeigen, die allen übrigen Sterblichen unbekannt sind. Wenn du sie je gesehen haben wirst, so wirst du mir Dank dafür wissen, dass ich dich zum Zeugen so vieler Wunderdinge gemacht habe, die außer dir noch niemand gesehen hat. Während ich jetzt mit dem Stahl Feuer schlage, häufe du hier so viel trockenes Reisig zusammen, wie du nur auftreiben kannst, damit wir ein Feuer anmachen.«

Es gab hier so viel Reisig, dass Aladin bald einen Haufen beisammen hatte, während der Zauberer das Schwefelhölzchen anzündete. Er machte das Feuer an und warf Räucherwerk hinein, das er schon in Bereitschaft hatte. Ein dicker Rauch stieg empor, den er bald auf diese, bald auf jene Seite wendete, indem er allerlei Zauberworte sprach, von denen Aladin nichts verstand.

In diesem Augenblick erbebte die Erde ein wenig, öffnete sich vor dem Zauberer und Aladin und ließ einen Stein hervorscheinen, mit einem in der Mitte versiegelten bronzenen Ring, um ihn daran heraufzuheben. Aladin erschrak über das, was vor seinen Augen vorging, und wollte die Flucht ergreifen. Allein er war zu dieser geheimnisvollen Handlung notwendig, darum hielt ihn der Zauberer zurück und gab ihm eine so derbe Ohrfeige, dass er zu Boden fiel. Zitternd und mit Tränen in den Augen rief der arme Aladin: »Mein Onkel, was habe ich denn getan, dass du mich so grausam schlägst?« – »Ich habe meine Gründe dafür«, antwortete der Zauberer, »du brauchst dich nicht zu fürchten, mein Sohn, ich verlange bloß, dass du mir gehorchst, wenn du dich der großen Vorteile, die ich dir zudenke, würdig machen und sie benutzen willst.« Diese schönen Versprechungen des Zauberers beruhigten den ängstlichen und erzürnten Aladin ein wenig, und als der Zauberer ihn wieder ganz gut gestimmt sah, fuhr er fort: »Du hast gesehen, was ich durch die Kraft meines Rauchwerks und die Worte, die ich sprach, bewirkt habe. Vernimm jetzt, dass unter diesem Stein hier ein Schatz verborgen liegt, der für dich bestimmt ist und dich dereinst reicher machen wird als die größten Könige der Welt. Dies ist so gewiss wahr, dass es keinem Menschen auf der ganzen Welt außer dir erlaubt ist, diesen Stein anzurühren oder wegzuheben, um hier hineinzugelangen. Ja, ich selbst darf ihn nicht berühren oder auch nur einen Fuß in dieses Schatzgewölbe setzen, wenn es geöffnet sein wird. Deshalb musst du genau und Punkt für Punkt ausführen, was ich dir sage, ohne etwas zu versäumen. Die Sache ist sowohl für dich als für mich von großer Wichtigkeit.«

Aladin, immer noch voll Verwunderung über das, was er sah, und da er den Zauberer von einem Schatz reden hörte, der ihn auf immer glücklich machen sollte, vergaß alles, was vorgefallen war. »Nun gut, lieber Onkel, befiehl nur, ich bin bereit zu gehorchen.« – »Es freut mich sehr, liebes Kind«, sagte der afrikanische Zauberer, indem er ihn umarmte, »dass du dich hierzu entschlossen hast. Komm her, fasse diesen Ring an und hebe den Stein in die Höhe.« – »Aber Onkel«, erwiderte Aladin, »ich bin zu schwach, um ihn zu lüpfen, du musst mir dabei helfen.« – »Nein«, versetzte der afrikanische Zauberer, »du bedarfst meiner Hilfe nicht, und wir würden beide nichts ausrichten, wenn ich dir helfe, du musst ihn ganz allein aufheben. Sprich nur den Namen deines Vaters und deines Großvaters, wenn du den Ring in die Hand nimmst, und hebe ihn in die Höhe, du wirst sehen, dass er sich ohne Schwierigkeit fügen wird.« Aladin tat, wie der Zauberer ihm gesagt hatte, hob den Stein mit Leichtigkeit auf und legte ihn beiseite.

Als der Stein weg war, sah er eine drei bis vier Fuß tiefe Höhle mit einer kleinen Tür und Stufen. »Mein Sohn«, sprach jetzt der afrikanische Zauberer zu Aladin, »hab genau Acht auf das, was ich dir nunmehr sagen werde. Steig in diese Höhle hinab, und wenn du unten auf der letzten Stufe bist, wirst du eine offene Tür finden, die dich in einen großen gewölbten Ort führen wird, welcher in drei große aneinanderstoßende Säle abgeteilt ist. In jedem derselben wirst du rechts und links vier bronzene Vasen voll Gold und Silber sehen, aber hüte dich wohl, sie anzurühren. Ehe du in den ersten Saal trittst, hebe dein Kleid in die Höhe und schließe es eng um den Leib. Wenn du drinnen bist, so gehe zu dem zweiten und von da in den dritten. Vor allen Dingen hüte dich wohl, den Wänden zu nahe zu kommen oder sie auch nur mit dem Kleid zu berühren, denn wenn du sie berührst, wirst du auf der Stelle sterben. Am Ende des dritten Saales ist eine Tür, die dich in einen mit schönen und reich beladenen Obstbäumen bepflanzten Garten führen wird. Gehe nur immer geradeaus, und quer durch den Garten wird dich ein Weg zu einer Treppe von fünfzig Stufen führen, auf denen du zu einer Terrasse emporsteigen kannst. Sobald du oben auf der Terrasse bist, wirst du eine Nische vor dir sehen und in der Nische eine brennende Lampe. Diese Lampe nimm, lösche sie aus, wirf den Docht samt der brennbaren Flüssigkeit auf den Boden, und dann bring sie mir!«

So sprechend, zog der afrikanische Zauberer einen Ring von seinem Finger und steckte ihn an einen Finger Aladins. Dies, sagte er zu ihm, sei ein Mittel gegen alles Unglück, das ihm begegnen könnte, sofern er nur seine Vorschriften genau befolgte. »So gehe denn, mein Sohn«, fügte er hinzu, »steige dreist hinab, dann haben wir beide für unser ganzes Leben Geld wie Heu.«

Aladin hüpfte leichtfüßig in die Höhle hinein und stieg die Stufen hinab. Er fand die drei Säle, die ihm der afrikanische Zauberer beschrieben hatte, und ging behutsam durch sie hin, weil er zu sterben fürchtete, sofern er nicht alles, was ihm vorgeschrieben war, beachtete. Ohne zu verweilen, ging er durch den Garten, stieg die Terrasse hinauf, nahm die brennende Lampe aus der Nische, warf den Docht und die Flüssigkeit zu Boden, steckte sie in sein Kleid und ging die Terrasse wieder hinab. Im Garten verweilte er. Die Bäume dieses Gartens trugen alle ganz außerordentliche Früchte und zwar jeder verschiedenfarbige. Da gab es dann weiße, hell leuchtende und wie Kristall durchsichtige, rote, teils dunkel, teils hell, grüne, blaue, violette, gelbliche, und so von allen möglichen Farben. Die weißen waren Perlen, die hell leuchtenden und durchsichtigen Diamanten, die dunkelroten Rubine, die hellroten Rubine, die grünen Smaragde, die blauen Türkise, die violetten Amethyste, die gelblichen Saphire. Aladin, der ihren Wert nicht kannte, wurde vom Anblick dieser Früchte, die nicht nach seinem Geschmack waren, schlecht erbaut, andere edle Obstarten wären ihm lieber gewesen. Gleichwohl machte ihm die Mannigfaltigkeit der schönen Farben und die außerordentliche Größe und Schönheit jeder Frucht Lust, von jeglicher Sorte einige zu pflücken. Er nahm daher von jeder Farbe etliche, füllte damit seine Taschen.

Nachdem er sich so, ohne es zu wissen, mit Reichtümern beladen hatte, trat Aladin schnell seinen Rückzug durch die drei Säle an, stieg da wieder hinauf, wo er herabgestiegen war, und zeigte sich am Eingang der Höhle, wo der Afrikaner ihn mit Ungeduld erwartete. Sobald Aladin ihn erblickte, rief er ihm zu: »Ich bitte dich, reich mir die Hand und hilf mir heraus.« – »Gib mir zuvor die Lampe, sie könnte dir hinderlich sein.« – »Sie hindert mich nicht, ich werde sie dir geben, sobald ich oben bin.« Der Zauberer bestand darauf, Aladin aber bat zuerst um seine Hand. Immer drängender forderte der Zauberer die Lampe und wurde immer lauter und zorniger, doch Aladin wollte ihm nicht gehorchen, bevor er ihm nicht aus der Höhle geholfen hatte. Da geriet der afrikanische Zauberer vor Ärger über die Widerspenstigkeit in schreckliche Wut, warf etwas von seinem Rauchwerk in das Feuer, das er sorgfältig unterhalten hatte, und kaum hatte er zwei Zauberworte gesprochen, als der Stein, welcher als Deckel der Höhle diente, sich von selbst wieder an seine Stelle rückte, so dass alles wieder in denselben Stand kam wie vor ihrer Ankunft.

Der afrikanische Zauberer war in der Tat kein Bruder des Schneiders Mustafa, wofür er sich ausgegeben hatte, und somit auch nicht Aladins Onkel. Er war wirklich aus Afrika gebürtig und hatte sich von Jugend an mit Zauberei, mit Punktierkunst, mit Räucheropfern und der Lektüre von Zauberbüchern beschäftigt. Zuletzt war er auf die Entdeckung gekommen, dass es eine Wunderlampe in der Welt gebe, deren Besitz ihn mächtiger als alle Könige der Erde machen würde. Durch einen Versuch in der Punktierkunst hatte er ermittelt, dass diese Lampe sich an einem unterirdischen Ort mitten in China befand, und zwar in der Gegend, die uns bereits bekannt ist. Im festen Glauben an die Wahrheit seiner Entdeckung war er von dem äußersten Ende Afrikas aus angereist. Aber obwohl die Lampe sich an dem bewussten Ort befand, so war es ihm doch nicht gestattet, sie selbst zu holen oder persönlich in das unterirdische Gewölbe einzutreten. Es musste ein anderer hinabsteigen, sie holen und ihm aushändigen. Deshalb hatte er sich an Aladin gewandt. Die Ohrfeige, die er Aladin gab, sollten diesen bloß daran gewöhnen, ihn zu fürchten und ihm zu gehorchen, damit er ihm die Zauberlampe sogleich übergäbe, sobald er sie forderte. Indes erfolgte gerade das Gegenteil von dem, was er beabsichtigt hatte.

Als der afrikanische Zauberer seine großen und schönen Hoffnungen auf immer gescheitert sah, blieb ihm nichts anderes übrig, als nach Afrika zurückzukehren, was er dann auch an demselben Tag noch tat.

Allem Anschein nach war Aladin verloren. Er, der nach so vielen Geschenken auf diese Bosheit seines angeblichen Onkels keineswegs gefasst war, befand sich in einer Bestürzung, die sich leichter denken, als mit Worten beschreiben lässt. Als er sich so lebendig begraben sah, rief er tausendmal seinen Onkel und erklärte, dass er ihm die Lampe ja gerne geben wolle, allein sein Rufen war vergeblich, er konnte nicht mehr gehört werden und musste also in schwarzer Finsternis bleiben. Endlich, nachdem er seine Tränen getrocknet hatte, stieg er wieder die Treppe der Höhle hinab, um in den Garten, durch den er bereits gekommen war, und ins helle Tageslicht zu gelangen. Aber die Mauer, die sich ihm durch Zauber geöffnet hatte, hatte sich indes durch einen neuen Zauber wieder geschlossen und zusammengefügt. Er tappte mehrmals rechts und links vorwärts, ohne eine Tür zu finden. Nun fing er an zu schreien und zu weinen, und setzte sich endlich auf die Stufen der Höhle, ohne Hoffnung, jemals das Tageslicht wiederzusehen.

Zwei Tage blieb Aladin in diesem Zustand, ohne zu essen und zu trinken. Endlich am dritten hob er die gefalteten Hände empor und rief mit völliger Ergebung in den Willen Gottes aus: »Es gibt keine Kraft und keine Macht, nur bei Gott, dem Allerhöchsten und Größten!« Während er so die Hände gefaltet hatte, rieb er, ohne daran zu denken, an dem Ring, den ihm der afrikanische Zauberer an den Finger gesteckt hatte, und dessen Kraft er noch nicht kannte. Plötzlich stieg vor ihm ein Geist von ungeheurer Größe und fürchterlichem Ansehen, der mit seinem Kopf das oberste Gewölbe berührte, wie aus der Erde hervor und sprach folgende Worte zu Aladin: »Was willst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave, sowohl ich wie die anderen Sklaven des Ringes.«

Zu jeder anderen Zeit und bei jeder anderen Gelegenheit wäre Aladin bei dem Anblick einer so außerordentlichen Gestalt von Schrecken ergriffen worden, so dass er die Sprache verloren hätte. Jetzt aber, da er einzig und allein mit der Gefahr beschäftigt war, in der er schwebte, antwortete er ohne Stocken: »Wer du auch sein magst, hilf mir aus diesem Ort, sofern es in deiner Macht steht.« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die Erde sich öffnete und er sich außerhalb der Höhle befand, gerade an der Stelle, wohin der Zauberer ihn geführt hatte. Als er um sich blickte, war er sehr überrascht, keine Öffnung in der Erde zu sehen, es war ihm unbegreiflich, auf welche Art er so auf einmal aus ihrem Schoß hervorgekommen war. Nur an dem Fleck, wo das Reisig verbrannt worden war, erkannte er die Stelle wieder, unter der sich die Höhle befand. Er wandte sich zur Stadt hin und schleppte sich mit vieler Mühe bis in seine Wohnung. Als er ins Zimmer seiner Mutter trat, fiel er aus Freude über das Wiedersehen, verbunden mit der von dreitägigem Fasten herrührenden Schwäche, in eine Ohnmacht, die einige Zeit dauerte. Seine Mutter, die ihn bereits als verloren oder als tot beweint hatte, ließ es jetzt, da sie ihn in diesem Zustand erblickte, an keiner Pflege und an keinem Mittel fehlen, ihn wieder zum Leben zu bringen. Endlich erholte er sich.

Aladin fing nun an, seiner Mutter zu erzählen, was ihm seit Freitag geschehen war, wo der Zauberer ihn abgeholt hatte, um die Paläste und Gärten außerhalb der Stadt mit ihm zu besehen, was ihm unterwegs bis zu dem Ort zwischen den zwei Bergen, wo das große Zauberwerk vor sich gehen sollte, zugestoßen ist und wie infolge eines Rauchwerks, das ins Feuer geworfen worden sei, und einiger Zauberworte sich augenblicklich die Erde geöffnet habe und der Eingang einer Höhle sichtbar geworden sei, die zu einem unschätzbaren Schatz geführt habe. Auch die Ohrfeige vergaß er nicht, und die Art, wie der Zauberer, nachdem er sich wieder ein wenig beruhigt hatte, ihn durch große Versprechungen und durch Schenkung eines Ringes überredet habe, in die Höhle hinabzusteigen. Sodann erzählte er ausführlich, was er auf seinem Hin- und Rückweg in den drei großen Sälen, im Garten und auf der Terrasse gesehen und wie er dort die Wunderlampe geholt habe.

Aladins Mutter hatte die Geduld, diese wunderbare und seltsame, zugleich aber für eine Mutter, die ihren Sohn trotz seiner Fehler zärtlich liebte, so schmerzliche Geschichte ohne Unterbrechung anzuhören. Nur bei den rührendsten Stellen, wo die Schändlichkeit des afrikanischen Zauberers recht ans Tageslicht kam, konnte sie ihren Abscheu nicht verbergen. Jetzt aber, da Aladin geendet hatte, ließ sie sich in tausend Schmähworte gegen den Betrüger aus, sie nannte ihn einen Verräter, einen Schurken, einen Unmenschen, einen Meuchelmörder, Lügner, Zauberer, einen Feind und Verderber des menschlichen Geschlechts. Endlich aber bemerkte sie, dass Aladin, der seit drei Tagen nicht geschlafen hatte, der Ruhe bedürftig war. Sie brachte ihn daher zu Bett und legte sich bald darauf ebenfalls nieder.

Aladin, der an dem unterirdischen Ort, wo er begraben gewesen war, keine Ruhe genossen hatte, schlief die ganze Nacht fest und erwachte am anderen Morgen erst sehr spät. Er stand auf, und das Erste, was er zu seiner Mutter sagte, war, dass er Hunger habe und sie ihm kein größeres Vergnügen machen könnte, als wenn sie ihm ein Frühstück gäbe. »Ach, lieber Sohn«, antwortete sie, »ich habe auch nicht einen einzigen Bissen Brot, du hast gestern Abend den wenigen Vorrat, der noch zu Hause war, aufgegessen. Aber gedulde dich einen Augenblick, so werde ich dir bald etwas bringen. Ich habe etwas Baumwolle gesponnen, diese will ich verkaufen, um Brot zum Mittagessen anzuschaffen.« – »Liebe Mutter«, erwiderte Aladin, »hebe deine Baumwolle für ein anderes Mal auf und gib mir die Lampe, die ich gestern mitbrachte. Ich will sie verkaufen, vielleicht löse ich so viel daraus, dass wir Frühstück und Mittagessen und am Ende gar noch etwas für den Abend bestreiten können.«

Aladins Mutter holte die Lampe und sagte zu ihrem Sohn: »Da hast du sie, sie ist aber sehr schmutzig. Ich will sie ein wenig putzen, dann wird sie schon etwas mehr gelten.« Sie nahm Wasser und feinen Sand, um sie blank zu machen, aber kaum hatte sie angefangen, die Lampe zu reiben, als augenblicklich in Gegenwart ihres Sohnes ein scheußlicher Geist von riesenhafter Gestalt vor ihr aufstand und mit einer Donnerstimme zu ihr sprach: »Was willst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben, sowohl ich, als die anderen Sklaven der Lampe.«

Aladins Mutter war nicht imstande zu antworten. Ihr Auge vermochte die abscheuliche und schreckliche Gestalt des Geistes nicht zu ertragen, und sie war gleich bei seinen ersten Worten vor Angst in Ohnmacht gefallen. Aladin dagegen, der schon in der Höhle eine ähnliche Erscheinung gehabt hatte, ergriff, ohne die Zeit oder Besinnung zu verlieren, schnell die Lampe und antwortete statt seiner Mutter mit festem Ton: »Ich habe Hunger, bring mir etwas zu essen.« Der Geist verschwand und kam im Augenblick wieder mit einem großen silbernen Becken auf dem Kopf, worin sich zwölf gedeckte Schüsseln aus demselben Metall voll der ausgezeichnetsten Speisen nebst sechs Broten befanden, und zwei Flaschen des köstlichsten Weines, nebst zwei silbernen Schalen in der Hand. Er stellte alles zusammen auf das Sofa und verschwand sogleich.

Dies geschah in so kurzer Zeit, dass Aladins Mutter sich noch nicht von ihrer Ohnmacht erholt hatte, als der Geist zum zweiten Mal verschwand. Aladin, der bereits, aber ohne Erfolg, angefangen hatte, ihr Wasser ins Gesicht zu spritzen, wollte dies eben wiederholen. Aber sei es, dass ihre entflohenen Lebensgeister sich wieder gesammelt hatten oder dass der Duft der Speisen etwas dazu beitrug, kurz, sie kam augenblicklich wieder zu sich. Sie war außerordentlich erstaunt, als sie das große Becken, die zwölf Schüsseln, die sechs Brote, die zwei Flaschen nebst den zwei Schalen erblickte und den köstlichen Duft einatmete, der aus all den Platten emporstieg. »Mein Sohn«, sagte sie zu Aladin, »woher kommt uns dieser Überfluss und wem haben wir für solch reiches Geschenk zu danken?« – »Liebe Mutter«, antwortete Aladin, »wir wollen uns jetzt zu Tisch setzen und essen, deine Frage werde ich beantworten, wenn wir gefrühstückt haben.«

Aladin und seine Mutter, die nur ein einfaches Frühstück einzunehmen gedacht hatten, befanden sich um die Stunde des Mittagessens noch bei Tisch. Die trefflichen Speisen hatten ihre Esslust noch mehr rege gemacht, und da sie noch warm waren, glaubten sie, nicht übel zu tun, wenn sie beide Mahlzeiten auf einmal abhielten, statt sich zweimal an den Tisch zu setzen. Nachdem die Doppelmahlzeit geendigt war, blieb ihnen noch so viel übrig, dass sie nicht nur ein Abendessen, sondern auch noch am folgenden Tag zwei tüchtige Mahlzeiten halten konnten.

Als Aladins Mutter abgetragen und das Fleisch, welches unberührt geblieben war, aufgehoben hatte, setzte sie sich zu ihrem Sohn auf das Sofa und sagte zu ihm: »Aladin, ich erwarte jetzt von dir, dass du meine Neugierde befriedigst und mir die versprochene Auskunft erteilst.« Aladin erzählte ihr umständlich alles, was während ihrer Ohnmacht zwischen dem Geist und ihm vorgegangen war. Aladins Mutter geriet in große Verwunderung über die Erzählung ihres Sohnes und die Erscheinung des Geistes. »Aber, mein Sohn«, sagte sie, »was willst du denn eigentlich sagen mit deinen Geistern? Warum hat er sich an mich gewendet und nicht an dich, da er dir doch schon in der Schatzhöhle einmal erschienen war?« – »Liebe Mutter«, erwiderte Aladin, »der Geist, welcher dir erschienen, ist nicht derselbe, der mir erschien. Du wirst dich noch erinnern, dass derjenige, den ich sah, sich einen Sklaven des Ringes nannte, den ich am Finger habe, während der soeben erschienene sagte, er sei Sklave der Lampe, die du in der Hand hattest.«

»Wie!«, rief Aladins Mutter, »also deine Lampe ist schuld, dass dieser verwünschte Geist sich an mich gewendet hat, statt an dich? Ach, lieber Sohn, schaffe sie mir sogleich aus den Augen und hebe sie auf, wo du willst, ich mag sie nicht mehr anrühren.« – »Mit deiner Erlaubnis, liebe Mutter«, antwortet Aladin, »werde ich mich wohl hüten, eine Lampe, die uns beiden so nützlich werden kann, zu verkaufen. Siehst du denn nicht, was sie uns erst vor einigen Augenblicken verschafft hat? Sie soll uns jetzt fortwährend Nahrung und Lebensunterhalt besorgen. Da nun der Zufall uns ihre geheime Kraft entdeckt hat, so wollen wir den möglichst vorteilhaften Gebrauch davon machen, aber ohne Aufsehen zu erregen, damit unsere Nachbarn nicht neidisch und eifersüchtig werden. Ich will sie dir gern aus den Augen schaffen und an einem Ort aufheben, wo ich sie finden kann, wenn ich sie brauche. Auch den Ring wegzuwerfen, kann ich mich unmöglich entschließen. Ohne diesen Ring hättest du mich nie wiedergesehen. Ohne ihn würde ich jetzt entweder nicht mehr oder höchstens noch für einige Augenblicke leben. Du wirst mir daher erlauben, dass ich ihn behalte und immer mit großer Behutsamkeit am Finger trage.« Da Aladins Bemerkung sehr richtig schien, so wusste seine Mutter nichts mehr einzuwenden.

Am nächsten Tag nach dem Abendessen war von den herrlichen Speisen, die der Geist gebracht hatte, nichts mehr übrig, Aladin, der nicht warten wollte, bis der Hunger ihn drängte, nahm daher am dritten Morgen eine der silbernen Schüsseln unter seine Kleider und ging aus, um sie zu verkaufen. Auf dem Heimweg blieb Aladin bei einem Bäckerladen stehen, kaufte einen Vorrat Brot. Als er nach Hause kam, gab er das übrige Geld seiner Mutter, die auf den Markt ging, um für sie beide die nötigen Lebensmittel einzukaufen. So lebten sie eine Zeitlang fort, Aladin verkaufte alle zwölf Schüsseln. Als das Geld von der letzten Schüssel ausgegeben war, nahm Aladin seine Zuflucht zu dem Becken, das allein zehnmal mehr wog, als jede Schüssel. Er wollte es einem Kaufmann bringen, dieser prüfte das Gewicht des Beckens und zahlte ihm auf der Stelle zehn Goldstücke, womit Aladin auch zufrieden war.

Solange die Goldstücke dauerten, wurden sie für die täglichen Ausgaben der Hauswirtschaft verwendet. Aladin brachte seine Tage mit Spazierengehen zu oder unterhielt sich mit älteren Leuten, deren Bekanntschaft er gemacht hatte. Oft blieb er auch bei den Läden der großen Kaufleute stehen und horchte aufmerksam auf die Gespräche vornehmer Männer, und diese Gespräche gaben ihm allmählich einigen Anstrich von Weltkenntnis.

Als von den zehn Goldstücken nichts mehr übrig war, nahm Aladin seine Zuflucht zur Lampe. Er nahm sie in die Hand, suchte die Stelle, welche seine Mutter berührt hatte, und als er sie an dem Eindruck des Sandes erkannte, rieb er sie ebenso, wie sie getan hatte. Sogleich erschien ihm wieder derselbe Geist, der sich schon einmal gezeigt hatte, da aber Aladin die Lampe sanfter gerieben hatte, als seine Mutter, so sprach er diesmal in einem müderen Ton dieselben Worte wie vorhin: »Was willst du? Ich bin bereit, dir zu gehorchen als dein Sklave und als Sklave aller derer, welche die Lampe in der Hand haben, sowohl ich als die anderen Sklaven der Lampe.« Aladin antwortete ihm. »Mich hungert, bring mir zu essen.« Der Geist verschwand und erschien in einigen Augenblicken wieder mit einem ähnlichen Tafelzeug wie das erste Mal, stellte es auf das Sofa und verschwand wieder.

Aladins Mutter war, da sie das Vorhaben ihres Sohnes kannte, absichtlich ausgegangen, um bei der Erscheinung des Geistes nicht zu Hause zu sein. Sie kam bald darauf zurück, und als sie den Tisch so wohl besetzt sah, erstaunte sie über die wunderbare Wirkung der Lampe beinahe ebenso wie das erste Mal. Aladin und seine Mutter setzten sich zu Tisch, und nach dem Mahl blieb ihnen noch so viel übrig, dass sie die beiden folgenden Tage behaglich davon leben konnten.

Als Aladin sah, dass weder Brot noch Lebensmittel noch Geld mehr zu Hause war, nahm er eine silberne Schüssel, um sie zu verkaufen, später die andere, eine nach der anderen, sowie die Becken. Obwohl nun Aladin und seine Mutter eine unversiegbare Geldquelle an ihrer Lampe hatten, kraft der sie sich nach Herzenswunsch mit Geld versehen konnten, sobald es ihnen ausging, so lebten sie dennoch fortwährend ebenso mäßig wie zuvor, nur dass Aladin einiges auf die Seite legte, um anständig auftreten zu können und verschiedene Bequemlichkeiten für ihre kleine Wirtschaft anzuschaffen. Seine Mutter dagegen verwendete auf ihre Kleider nichts, als was ihr das Baumwollespinnen einbrachte. Bei dieser nüchternen Lebensweise kann man sich leicht denken, dass das Gold, das Aladin für seine zwölf Schüsseln und das Becken erhalten hatte, lange ausreichte. So lebten sie denn mehrere Jahre lang von dem guten Gebrauch, den Aladin von Zeit zu Zeit von seiner Lampe machte.