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Barbara Reingasser, die Sennerin auf der Brachtensteinhütte, steht mit beiden Füßen fest im Leben. Doch weil sie selber nie lügt, glaubt sie auch, dass sie nicht angelogen wird, und dadurch hat sie schon ein paarmal schmerzliche Enttäuschungen erlebt. Als während eines Unwetters ein großgewachsener Fremder in ihrer Hütte Schutz sucht, verliebt sie sich auf den ersten Blick in ihn. Doch kann sie dem leichtlebigen Wilderer Ferdinand Höllriegl wirklich vertrauen?
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LESEPROBE zum E-Book© 2016 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheimwww.rosenheimer.com
Titelfoto: © Olha Rohulya – Fotolia.com (oben)und © alexander_wittek – Fotolia.com (unten)
eISBN 978-3-475-54484-2 (epub)
Hans Ernst
Bevor die Sonne versinkt
Barbara Reingasser, die Sennerin auf der Brachtensteinhütte, steht mit beiden Füßen fest im Leben. Doch weil sie selber nie lügt, glaubt sie auch, dass sie nicht angelogen wird, und dadurch hat sie schon ein paarmal schmerzliche Enttäuschungen erlebt. Als während eines Unwetters ein großgewachsener Fremder in ihrer Hütte Schutz sucht, verliebt sie sich auf den ersten Blick in ihn. Doch kann sie dem leichtlebigen Wilderer Ferdinand Höllriegl wirklich vertrauen?
Als Barbara Reingasser, die Sennerin auf der Brachtensteinhütte, die Fensterläden aufstößt, erschrickt sie fast vor dem Färb wunder, mit dem das Morgenrot alles überflutet. Es fließt wie ein breiter Strom von den Bergen herunter und taucht alles in ein opalisierendes Licht, die Latschenhänge, die Almwiesenbuckel und die Hütte selber. Über den tiefer liegenden Wald zuckt es hin, als würde ein Baumwipfel dem anderen ein Feuer zeichnen. Barbara schaut so lange in dieses Morgenrot, bis ihr die Augen davon brennen. Sie hat schon oft die Sonne hinter den Bergen rötlich heraufsteigen sehen, aber so stark noch nie. Natürlich wird es Regen geben. Aus dem Gezweig des Vogelbeerbaumes hinter der Hütte ruft schon der Regenvogel.
Barbara Reingasser ist achtundzwanzig Jahre alt. Sie ist groß gewachsen, aber nicht gerade das, was man eine Schönheit nennt. Daß ihre Figur tadellos ist, wird ihr zwar oft gesagt von Bergwanderern, die bei ihr einkehren, aber von der Figur kann man nicht auf das schließen, was im Innern eines Menschen blüht. Wenn es wahr ist, daß die Seele eines Menschen sich in den Augen spiegelt, dann leuchtet aus den Augen der Barbara eine große Seele, spiegelt sich Güte, Hilfsbereitschaft und auch ein bißchen Einfältigkeit, eine Vertrauensseligkeit, die noch niemand belohnt hat. Ihr Gesicht ist etwas breitflächig. Das Schönste darin sind ihre Augen, die ein paar dichte Brauen überschatten und die so nußbraun sind wie die dicken Zöpfe, die sie über der Stirn verschlungen trägt.
Sie steht mit beiden Füßen fest im Leben, dürfte bloß nicht so leichtgläubig sein. Weil sie selber nie lügt, glaubt sie auch, daß sie nicht angelogen wird, und dadurch hat sie schon ein paarmal schmerzliche Enttäuschungen erlebt. Sie sehnt sich ein bißchen heftig nach Liebe, und das geriet ihr oft zum Verderben, weil es nicht jeder Mann gern hat, wenn er zu heftig mit Liebe überschüttet wird.
Der Regen wartet an diesem Augusttag nicht bis zum Mittag. Gegen zehn Uhr rauscht er bereits heran, mit schweren Tropfen, wie man sie eigentlich nur bei einem Gewitter kennt. Das dauert fast eine Stunde, dann läßt er nach, der Regen strömt nun gleichmäßig und von keinem Wind getrieben nieder. Der Himmel ist ein einziges Grau. Nebelschwaden hängen weit über die Berge herunter, verhüllen auch das Almfeld vollends, daß man die Rinder drunten gar nicht mehr sieht, die sich im Schutz der Bäume zusammendrängen. Nur von Zeit zu Zeit hört man eine Glocke bimmeln, gerade als ob die Tiere sich bemerkbar machen wollten, daß sie noch nicht im Nebel ertrunken sind.
An diesem Tag sind keine Bergwanderer unterwegs. Die Dämmerung fällt schon früh herein. Barbara schließt die Fensterläden, zündet die Petroleumlampe an und nimmt sich einen zerrissenen Janker vor, dem ein paar Flecke aufzusetzen sind. Ihr Dienstherr, der Krassinger von Hierling, sorgt schon immer dafür, daß sie sich keine Feierstunde gönnen kann. Jeden Freitag, wenn er mit dem Fuhrwerk heraufkommt, um die Almerträge abzuholen, bringt er einen ganzen Korb voll Flickwäsche, Strümpfe und Socken zum Stopfen mit. Eigentlich ist es mehr die Bäuerin, die in ihren Mann hineinhetzt.
„Ich kenn mich herunten am Hof nimmer aus vor lauter Arbeit, und die Barbara sitzt droben auf der Alm und weiß net, wie sie sich die Zeit vertreiben soll. Und dafür zahlst du ihr auch noch fünf Mark in der Woche. Ich möcht net wissen, was die auch noch an Trinkgeldern kassiert.“
Sie gibt nicht zu, daß diese Barbara in allem eine viel geschicktere Hand hat als sie. Wenn Barbara zum Beispiel einen Hosenboden einsetzt, ein Schneider könnte es nicht besser machen. Trotz ihrer schweren Arbeitshände kann sie zerrissene Strümpfe stopfen, daß es wie ein Kunststück aussieht.
Barbara hat ein kleines Feuer angemacht. Es ist gemütlich warm in der großen Sennstube. Im hintersten Winkel sind Balken und Dachsparren ganz verrußt von der Feuerstelle darunter, über der ein mächtiger Kessel hängt, in dem Käse zubereitet wird. Vorn ist ein viereckiger Tisch mit einer Bank, die sich um die Ecken zieht. Über dem Tisch in der Ecke ein Herrgottswinkel, mit Latschen und Almrausch geziert. Links im Hintergrund führt eine schmale Treppe zum Heuboden hinauf, eine Falltür geht zum Keller, eine zum Stall hinaus, und an der rechten Wand befindet sich noch eine Tür mit zwei Treppen, die in die Schlafkammer der Sennerin führt.
Es ist so still und friedlich. Nur der Regen rauscht vor den Fenstern. Manchmal knistert das Feuer, und dann ist noch das Ticken der kleinen Kuckucksuhr zu hören. Plötzlich Schritte vor der Hütte draußen. Barbara erschrickt gar nicht, sie denkt sich nur: ,Wer wird denn heute, bei diesem Wetter, noch kommen?’ Da wird die Türe bereits aufgestoßen, und ein großgewachsener Mensch tritt über die Schwelle. Sein Lodenumhang ist völlig durchnässt. Er nimmt den Hut ab und schleudert das Wasser aus ihm. Da sieht Barbara, daß er semmelblonde Haare hat, einen ganzen Wulst von Haaren. Unsicher schaut sie auf ihn, der sie jetzt anlacht.
„So ein Sauwetter! Da soll man keinen Hund nausjagen.“ Barbara legt ihr Flickzeug weg und schaut ihn genauer an. Er ist ein Mannsbild, wie sie selten eines gesehen hat. Sein schmales, wettergebräuntes Gesicht wirkt wie geschnitzt. Die Oberlippe ziert ein schmales, blondes Bärtchen, seine Augen sind hell wie das Quellwasser im Brunnen. Trotzdem, Anstand hat er keinen, denkt sie. Das kommt auch in ihren Worten zum Ausdruck, als sie sagt: „Sonst sagt halt einer Grüß Gott, wenn er reinkommt, oder wenigstens gut’n Abend.“
„Oh, entschuldige“, sagt er mit spöttischer Höflichkeit. „Recht schönen Abend, schöne Sennerin. Aber es stimmt doch, einen Hund soll man net nausjagen bei so einem Wetter.“
„Du bist aber doch draußen gewesen.“
„Weil ich muß. Hockte auch lieber in einer warmen Stube. Der Nebel ist grauslich. Beinah wär ich an deiner Hütte vorbeigelaufen.“
„Es ist net meine Hütte.“
„Aha. Aber ich darf noch ein bissl rasten da?“
„Das kann ich dir wirklich net verwehren. Du bist ja durch und durch naß, wie mir scheint.“
„Bis auf die Haut, und weiter geht’s net. Ich darf doch meinen Umhang und die Joppe da hinten ans Feuer hängen?“
Barbara nimmt ihm den Umhang aus der Hand und hängt ihn an die Stange neben dem Herd. Sie legt auch ein paar Scheiteln in die Glut, hängt einen Topf mit Wasser darüber. Sie weiß selber nicht, warum sie es tut. An einen heißen Tee, mit Schnaps drin, denkt sie. Draußen ist Nebel und Regen, aber seit dieser Mensch die Hütte betreten hat, ist ihr gerade, als hätte er ein paar Sonnenbänder mit hereingebracht. Immer wieder schaut sie ihn verstohlen an.
„Wo kommst denn überhaupt her bei dem Wetter?“, fragt sie.
„Verlaufen hab ich mich“, antwortet er. „Für einen Viehhändler hab ich ein paar Kalbinnen ins Tirolerische nübergebracht. Drei Tag bin ich bereits unterwegs, und heimzu, da hab ich mir denkt, steigst übern Rofan, dann bist schneller wieder daheim. Unterhalb wars Wetter noch ganz schön. Aber wie ich rüberkomm, da ist der Regen da und später noch der verdammte Nebel. Wer weiß, wo ich hingeraten wär, wenn ich im letzten Augenblick die Hütte da net g’sehn hätt. Hätt ja auch leicht abstürzen können. Aber es wär net schad um mich, kein Mensch weint mir nach.“
„Wie kannst denn so was sagen!“
„Ja, ja, manchmal verdrießt einen halt das ganze Leben. Aber ich darf ja von Glück sagen, daß ich da hergefunden hab. Hoffentlich komm ich dir net ungelegen.“
„Nein, warum? Magst jetzt vielleicht einen heißen Tee und einen Schnaps rein?“
„So was kann net schaden. Bin doch ziemlich ausgefroren. Aber ich mach dir ja bloß Arbeit.“
„Die bin ich gewohnt.“
Inzwischen hat er auch seine Joppe ausgezogen und hängt sie zur Lodenkotze an die Herdstelle. Zum erstenmal stehen sie jetzt nebeneinander. Barbara ist nicht viel kleiner als er. Wenn sie nur den Kopf ein klein wenig hebt, sieht sie gerade hinein in seine Augen. Eine ganze Weile stehen sie so voreinander, dann wendet sich Barbara schnell ab, seiht den Tee durch und trägt die große Tasse zum Tisch vor. Sie legt den halben Brotlaib dazu und einen Ballen Butter.
„Ui jeggerl, ui jeggerl“, sagt er, „du sorgst ja für mich wie eine Mutter. Dank dir recht schön, Dirndl.“
„Ist gern geschehn, Fremder“, antwortet Barbara. „Und laß es dir schmecken jetzt.“ Sie sitzt ihm gegenüber, hat das Kinn auf die Hände gestützt und schaut ihm zu, wie er bedächtig das Brot ißt und den Tee schlürft. Mein Gott, denkt sie, so einen als Liebsten haben! Sofort verdrängt sie diesen Gedanken wieder. Wenn einer so aussieht wie der, da müssen ihm ja die Weiber nachlaufen wie die Kinder dem Rattenfänger zu Hameln. Barbara will sich keine Hoffnungen mehr machen, das hat sie sich geschworen. Mit einer Magd kann ja keiner was anfangen. Mit der kann man sich keine Existenz gründen. Eine Magd ist einmal gut fürs Stroh, sie kann einem Hunger und Durst stillen, aber darüber hinaus gibt es nicht viel zu rechnen. Trotzdem findet sie jetzt den Mut zu fragen: „Jetzt sag mir einmal, Fremder, wo bist denn du daheim?“
Er stellt die Tasse nieder und schaut sie mit einem sonderbaren Blick an.
„Warum sagst du denn allweil Fremder zu mir?“
„Ich könnt ja auch Nebelmensch sagen, denn aus dem Nebel bist ja gekommen.“
Er sinnt ihren merkwürdigen Worten ein wenig nach, bis er sagt: „Ferdinand Höllriegl heiß ich. Du kannst aber auch Ferdl sagen zu mir. Und daheim bin ich in Knödling.“
„Wo liegt denn das?“
„Nimmer in den Bergen herinnen, eher draußen im Flachland.“
„Bist ein Bauer, gell?“
Er schüttelt den Kopf und schiebt die leere Tasse zurück. „Bis vor ein paar Jahren, da war ich Knecht, dann hab ich mich selbständig gemacht.“
„Und was treibst du da so alles?“
„Alles, was hergeht. Jetzt hab ich für einen Viehhändler ein paar Kalbinnen über die Grenze gebracht, dann hab ich auch Torf gestochen, einen Holzschlag übernommen, was halt alles so anfällt. Reich wird man net dabei, wenn man kein Anfangskapital hat. Aber wenigstens bin ich mein freier Mann jetzt und nimmer der Knecht von einem Bauern. So, und jetzt darf ich wissen, wer du bist und wem du dienst.“
„Barbara heiß ich.“ Sie räumt den Tisch ab und geht ein paarmal hin und her, setzt sich wieder zu ihm, diesmal nicht gegenüber, sondern neben ihn. „Beim Krassinger in Hierling bin ich Stalldirn.“
„Wie sich das schon anhört, Stalldirn, Stallmagd. Wie ein letzter Dreck in der menschlichen Gesellschaft.“
„Warum bist du denn so verbittert?“, fragt sie.
„Wenn man sieht, wie andere sich alles leisten können, dann merkt man erst, wie ungerecht es im Leben zugeht. Die einen haben alles, die andern nix.“
„Daß du dich über so was aufregen kannst. Reiche und Arme hat es allweil schon gegeben und wird es immer geben.“
„Ein Maulwurf, der arbeitet sich raus aus dem Dreck, aber unsereiner, wenn er sich rausarbeiten möcht, dann tritt man mit den Füßen auf ihn.“
„Dem Maulwurf stellt man auch Fallen!“
Er steht jetzt auf, holt aus seiner Joppe eine halblange Pfeife und zündet sie an. Er pafft erst ein paar Wölkchen gegen die Decke, bis er das Thema ändert.
„Müssen wir zwei überhaupt über unsere Armut reden?“
„Müssen wir net. Wenn man g’sund ist, ist man net arm.“
„Da hast auch wieder recht, Dirndl“, lacht er. „Und g’sund bin ich, da fehlt nix.“ Er läßt die Muskeln an seinem Arm spielen und verlangt, daß sie sie prüfen solle. Mit einer Hand kann sie die Muskeln seines Oberarmes gar nicht umfassen, sie sind so hart wie Stein.
Ach, es ist alles so gemütlich auf einmal. Die Nähe eines Menschen, der süßliche Pfeifenrauch, der den Raum erfüllt, der kleine Kuckuck, der sich aus dem Türchen reckt und die neunte Abendstunde anschreit. Barbara rückt keinen Zentimeter zur Seite, als er sich näher zu ihr hinschiebt und ihr Knie berührt.
„Regnet es eigentlich noch?“, fragt er.
„Solange man die Dachrinne plätschern hört, regnet es noch.“
„Da hast auch wieder recht. Aber wenn es die ganze Nacht so regnet – ich mein, du wirst mich doch net wieder nausjagen?“
Nein, das kann sie wohl nicht. In der Hütte ist ja Platz genug, droben im Heu oder draußen im Stall. Nein, fortjagen will sie ihn gewiß nicht. Es wäre überhaupt schön, immer so sitzen zu bleiben, seiner langsamen, schweren Stimme zu lauschen und seine hellen Augen auf sich gerichtet zu fühlen. Was ist denn das nur mit mir, denkt sie. Gespannt horcht sie in sich hinein. Ihr Herz klopft so heftig, daß sie meint, er müßt es sehen, an der Ader am Hals.
Da sagt er auf einmal: „Schöne Augen hast du.“
„Ist’s wahr?“
„Wenn ich es sag. Und ich lüg net gern.“
„Da wärst du aber eine Ausnahme. Ihr Mannsbilder lügt doch alle.“
Plötzlich legt er den Arm um sie.
„Da hat eine schlechte Erfahrungen gemacht, scheint mir.“
„Ich glaub keinem mehr was.“
Er nimmt die Pfeife aus dem Mund und legt sie hinter sich auf das Fensterbrett.
„Ja, ja, das alte Lied. Wenn einer recht Süßholz raspeln kann, dann fallt ihr gleich drauf rein. Aber wenn es einer ehrlich meint …“
„So wie du vielleicht?“, unterbricht ihn Barbara.
„Ich möcht mich net besser machen als ich bin, aber eine, die an mich glaubt, der könnt ich den Glauben net zerstören.“
Er hebt horchend den Kopf zum Fenster hin.
„Und grad regnen und grad regnen. Mir graust direkt, wenn ich wieder naus muß in die Nacht. Aber es wird mir ja doch nix anderes übrig bleiben.“
„Deine Sachen sind noch net trocken“, sagt sie, und sie sagt es so, als wünsche sie, seine Sachen wären bis zum andern Tag noch nicht trocken. „Es wird dir schon nix übrig bleiben, als daß du im Heu droben übernachtest.“
„Im Heu oben? Bei den Mäusen. Geh, so hartherzig kannst du doch gar net sein.“
„Aber – aber – ich kann dich doch net in meine Kammer mit neinnehmen.“
„Warum eigentlich nicht?“
Er umfaßt sie nun fester. So schmeichlerisch ist sein Werben und so bittend seine Stimme.
„Und wenn ich dir verspreche, ganz brav zu sein?“
„Das sagst jetzt, und wenn ich dich in meine Kammer laß, dann tätest sicher auch recht frech werden.“
„Auf Ehrlichkeit, ich rühr dich net an.“ Er hebt die drei Schwurfinger. „Ich schwör dirs, Barbara, ich rühr dich net an.“
Seine Wange schmiegt sich an die ihre. Sie ist rauhgrätig und hat sicher schon tagelang keine Rasur mehr erlebt. Aber seine scheue Zärtlichkeit macht ihr Herz ganz erregt, und was er ihr da alles ins Ohr flüstert, ist so verwirrend, daß ihre Hände zu zittern beginnen. Von der Armut redet er, von der seinen und von der ihren, und daß die Armen sich doch sonst nichts schenken können als ein bisserl Liebe und Gutsein. Das sei doch ihr Brot, so ähnlich wie das Manna, das einmal vom Himmel gefallen ist.
Ein bisserl Liebe, denkt Barbara. Ach, sie ist ja so ausgehungert. Aber das kann sie ihm doch nicht sagen, denn bei allem ist es in ihrem Kopf noch ganz klar, und sie sagt sich: ,Er ist doch ein Fremder, wer weiß, ob er überhaupt Ferdinand heißt. Er wird wieder gehn und wahrscheinlich nie mehr kommen.’
Langsam nimmt sie seine Hand von ihrer Hüfte. Sie öffnet ihr Schürzenband und deutet mit dem Kinn in den Hintergrund.
„Da hinten geht es zum Heuboden nauf. Es liegen auch ein paar Decken droben.“
Bevor sie sich’s recht versieht, steht er breitbeinig vor ihrer Kammertür.
„So hartherzig könntest du sein? Bärbele, das bringst du doch gar net über dein Herzl.“ Er seufzt ein paarmal tief. „Da trifft man endlich einen Menschen, dem man wirklich gut sein könnt, und dann wird man ins Heu naufgeschickt. Ich bin doch ausgefroren und durchnäßt. Ich glaub, es tät dir gar nichts ausmachen, wenn ich mich zu Tod erkälte da droben im Heu.“
Hilflos schaut sie ihn an. Unschlüssig nimmt sie die Bierflasche, in deren Hals eine Kerze steckt, die sie anzündet. Dann löscht sie die Petroleumlampe aus. Nun steht sie wieder vor ihm, der bereits die Kammertür geöffnet hat.
„Was mach ich jetzt bloß mit dir?“
So fragt nicht die Unschuld, sondern eine Frau, die sich in die Enge gedrängt fühlt und mit ihren Gedanken nicht mehr ganz zurecht kommt.
„Bärbele, sei doch net so hart zu mir.“
Unschlüssig nimmt sie den Kerzenleuchter von der einen Hand in die andere. Sie leuchtet in sein Gesicht.
„Erbarm ich dir denn gar net?“, flüstert er, und dann beugt er sich schnell vor und küßt sie.
Die Küsse fallen zwar wie Feuer in ihr Blut, aber sie reagiert äußerlich nicht darauf, sie will sich in der Gewalt halten. Aber dann lehnt sie doch den Kopf an seine Schulter und bittet ihn: „Aber du mußt heraußenbleiben, bis – bis ich im Bett bin.“
„Und wenn ich drei Stunden warten müßt, Bärbele.“
Wie er dieses Bärbele ausspricht, so weich und so zärtlich. Noch nie hat sie jemand so genannt. Immer nur dieses harte Barbara, das so polternd klingen kann wie Kettengerassel.
Er bleibt dann tatsächlich vor der Tür stehen. Er hört die fallenden Kleider hinter der Türe rascheln, das Aufklopfen des Bettzeugs mit harter Hand. Dann wird die Kerze ausgeblasen.
„Liegst schon?“, fragt er flüsternd und öffnet die Tür.
Rabenschwarze Dunkelheit. Er reißt ein Zündholz an und sieht ihre angstvollen Augen.
„Ich tu dir doch nix“, flüstert er, obwohl er das auch laut hätte sagen können, denn es ist niemand da, nur das leise Rauschen des Regens draußen vor der Hüttenwand. Barbara sitzt aufrecht im Bett. Sanft legt er seinen Arm um sie, und sie spürt, daß er mit der anderen Hand seine Schuhe aufschnürlt.
Dann merkt er, daß sie eine rauhe Decke zusammengerollt hat, die zwischen ihm und ihr wahrscheinlich die Grenze sein soll. Sie sieht nicht, daß er dazu lächelt und hört ihn sagen: „In was für Händ’ mußt denn du schon geraten sein, daß du so Angst hast. Du zitterst ja.“
Er ist so zärtlich zu ihr, wie es noch niemand gewesen ist. Er küßt ihre Wangen, ihre Stirn, ihren Mund und streichelt ihr Haar, tut alles, was ihr die Angst nehmen soll. Und als er damit aufhört, bekommt sie sogleich Sehnsucht nach seiner Zärtlichkeit. Langsam atmet sie ihre Angst fort, die Scheu verliert sich, so daß sie es wagt, auch ihrerseits seine Hände zu streicheln und ihre Wange an die seine zu schmiegen.
„Erzähl mir was von dir, Ferdl“, bittet sie.
Er schiebt zuerst noch seine Hand unter ihren Nacken und beginnt fast reportagenhaft zu erzählen.
Keine Eltern mehr, bei einem reichen Verwandten, dem Großbauern Ambros Höllriegl, aufgewachsen. Dem sei er dann davongelaufen, weil der ihn dauernd geschlagen habe. Dann Bauerndienen auf mehreren Höfen, bis er sich selbstständig gemacht habe.
„Aber weißt, Bärbele, das ist halt auch nichts rechtes. Ein Leben oft von der Hand in den Mund. Aber ich denk, daß ich mir einmal ein kleines Gütl erwerben kann. Und wenn es am Anfang bloß ein paar Kühe sind. Man kann sich ja hinaufarbeiten mit einem verlässigen Weiberl. So eine, wie du es bist, Bärbele.“
„Du weißt ja gar net, ob ich die Richtige wär“, sagt Barbara in die Dunkelheit hinein und denkt dabei gleich an ihre sechshundert Mark, die sie auf der Raiffeisenkasse hat.
„Das sagt mir meine innere Stimme, daß du schon die Richtige wärst.“ Er schnauft ein paarmal tief und lacht dann: „Da muß ich in den Regen und in den Nebel hineinkommen, daß ich so was wie dich finde.“
Stumm zieht Barbara seinen Kopf an ihre Wange. Es ist sehr still, nur der Regen rauscht.
„Kommst du wieder einmal, Ferdl?“
„So gewiß, wie das Amen im Gebet. Aber – muß ich dann auch wieder so brav sein?“
„Da reden wir ein andermal drüber. Magst net schlafen jetzt?“
Er redet zwar noch eine Weile, aber immer müder wird seine Stimme, und schließlich schläft er ein. So tief schläft er, daß er es gar nicht merkt, wie Barbara ums Morgengrauen vorsichtig über ihn hinwegsteigt und ihre Arbeit beginnt.
Es regnet noch bis in den halben Vormittag hinein. Dann reißt der Himmel im Westen auf, und um die Mittagstunde liegt die Alm und alle Hänge ringsum in einem hellen Licht.
Ferdinand steht fertig angezogen vor der Hütte. Barbara hat ihm eine reichliche Jause in die Tasche gesteckt. Es ist ihr so weh ums Herz, und sie wagt ihn zu bitten, daß er doch dableiben möchte. Aber er wehrt ab.
„So leid es mir tut, Dirndl, es geht net. Aber ich komme wieder, vielleicht schon früher als du denkst.“
„Da bin ich aber neugierig.“
„Was ich versprech, das halt ich auch.“
Und dieser Ferdinand Höllriegl hält sein Wort. Nach drei Tagen kreuzt er bereits wieder auf. Diesmal kommt er mit einem Rehbock im Rucksack und einem Abschraubstutzen unter seinem Umhang.
„Brauchst net erschrecken“, sagt er lachend und nimmt sie gleich um den Hals. „Die Sehnsucht hat mich hergetrieben zu dir, und unterwegs, da lauft mir der Bock übern Weg. Mei, was hätt ich denn machen sollen!“
Barbara interessiert das alles nicht. Für sie ist ein Wunder geschehn. Ferdinand ist wiedergekommen, er hat sein Wort gehalten, alles andere zählt für sie in diesen Minuten nicht. Natürlich kann er den Bock in den Keller und das Gewehr unter ihr Bett legen. Ach, voller Aufregung ist sie und voller Hilfsbereitschaft, alles zu tun, was er will. Eine saure Rehleber soll es geben. Ja, aber Barbara hat jetzt keine Zeit, sie muß die Kühe herauflocken zum Abendmelken.
„Du brauchst dich um gar nichts kümmern, Schatzl. Mußt mir bloß sagen, wo die Sachen sind, die ich brauch, Salz, Butter, ein bißl Mehl, Essig und vor allem Pfeffer. Pfeffer riegelts Blut ein bissl auf.“
„Was, kochen kannst du auch?“, staunt sie. „Was kannst denn du noch alles?“
„Da wirst schon noch draufkommen mit der Zeit.“
Später essen sie dann gemeinsam aus der Pfanne. Es schmeckt vorzüglich. Mit Schwarzbrot tunken sie die Soße heraus, und Ferdinand schmatzt ganz glücklich dabei.
„Schau, Schatzl, das ist der Vorteil jetzt in meinem Leben. Als Bauernknecht müßt ich jetzt im Heu schuften, und so kann ich bei dir sitzen. Jetzt kann ich über meine Zeit verfügen, wie ich will. Es wird dir doch nix ausmachen, Bärbele, wenn ich öfter einmal einen Rehbock bei dir hinterleg.“
„Nein, nein, bloß – erwischen darfst dich halt net lassen.“
„Sag nur gleich, daß du Angst hast um mich?“
„Die Jager fuchteln net lang umeinander, wenn sie einen erwischen.“
„Wenn sie einen erwischen. Ich geh schon sicher. Kommen eigentlich die Jager öfter einmal in deine Hütte?“
„Ganz selten noch. Die sind öfter in der Staudingerhütte drüben, weil ihre Jagdhütte net weit davon entfernt liegt.“
Ferdinand nickt. Das scheint ihm gerade so recht zu sein. Hernach sitzen sie noch draußen. Es ist ein schöner Abend. Die Sonne brennt aus, und die Berge leuchten. Verträumt kommt das Geläut der Herdenglocken aus dem tieferen Grund herauf. Die Vögel singen sich in den Schlaf, und die Quelle plätschert ihr urewiges Lied in den Brunnentrog. Als die ersten Sterne schüchtern aufblinzeln, erhebt sich Ferdinand, streckt gähnend die Arme über den Kopf und sagt: „Ich werd mich jetzt schlafen legen. Kommst bald nach?“
So selbstverständlich sagt er das, als wäre er hier schon ganz daheim oder als wären sie bereits verheiratet.
Ach, diese Barbara. Wie sie sich jetzt tummelt, in der Hütte noch aufzuräumen. Der Wind ihrer Einfalt durchweht sie wieder und stürzt ihr Herz ins große Verlangen.
Heute ist nicht die rauschende Wand des Regens vor dem Fenster. Nein, wenn sie einmal den Kopf hebt und hinausschaut, dann geraten ein paar Sterne in ihr Blickfeld, und es ist ihr, als ob von den Sternen etwas auf sie herunterströme, eine ganze Menge Hoffnung noch, Trost und Zuversicht.
„Bärbele“, flüstert der Mann ihr ins Ohr, „da darf man weit gehn, bis man so eine findet wie dich.“
„Du bist ja weit gegangen“, flüstert sie zurück und horcht diesem ,Bärbele’ nach, das so süß klingt, als singe es ein Vogel. Und es ist so wunderschön, über die Liebe hinweg auch von dem zu reden, was ihre Herzen sonst noch bewegt. Das ist ein kleines Gütl mit ein paar Kühen, und Barbara wirft dabei auch ihre sechshundert Raiffeisenmark in die Waagschale. Ein bissl was verdient er ja auch so nebenbei. Er muß nämlich über ein paar recht gute Abnahmequellen verfügen, denn alle zwei, drei Tage kommt er mit einem gewilderten Stück daher, und einmal muß sie ihm in einer mondhellen Nacht sogar helfen, denn diesmal ist es ein Hirsch, und der ist schwer.
Was muß denn dieser dumme Kerl auch übers Latschenfeld so weit herunterkommen, daß ihn Ferdinand vom Hüttenfenster aus schießen kann! Barbara ist schweißgebadet, bis sie das Monstrum im Keller haben. Aber Ferdinand ist wie ein Zauberer. Nach drei Nächten liegt von dem Hirsch nichts mehr im Keller.
Barbara richtet es immer so ein, daß der Keller leer ist, wenn der Bauer am Freitag heraufkommt. Einmal aber hat sie es vergessen, und der Krassinger findet ein halbes Reh da drunten. Ohne lange zu fragen, schneidet er die zwei hinteren Schenkel ab, um sie mit heimzunehmen. Nein, er fragt nicht lang, lächelt nur recht hintergründig und hebt warnend den Finger.
„Schau, schau, so ein verwegenes Luderl bist du. Aber Vorsicht, Barbara, daß du net einmal ein Malheur mit den Jagern hast. Ich weiß dann von gar nichts.“
Zuerst begreift Barbara gar nicht, wie er das meint, aber dann wehrt sie sich.
„Aber Bauer, du wirst doch net meinen, daß ich …“
„Wer denn sonst? Das Reh lauft doch net allein in den Keller nunter. Bloß übertreiben darfst es halt net.“
Da meint also der Bauer wirklich, daß sie zum Wildern nausgeht, weil er dann noch fragt, wo sie denn ein Gewehr herhabe.
Ferdinand lacht, daß es seinen ganzen Körper erschüttert, als es ihm Barbara erzählt. Dann nimmt er sie fest in seine Arme.
„So was wie dich brauch ich.“
*
Du lieber Gott, wer hätte denn das gedacht! Barbara erlebt einen Almsommer, wie sie noch keinen erlebt hat. Ihr Herz ist trunken vor Liebe. Eine geheimnisvolle Macht hat sie ergriffen. Ihre Augen leuchten in einem rätselhaften Glanz, ihre verschlossene Seele scheint aufgesprungen zu sein wie eine Blüte im Frühling. Zwar ist der Ferdinand nicht mehr so viel bei ihr, nein, es sind Pausen von einer Woche dazwischen. Er redet viel von Geschäften, läßt auch etwas durchklingen von einer Erbschaft, aber darüber könne er noch nichts Genaues sagen. Aber Barbara könnte ihm um diese Zeit etwas Genaues sagen, nämlich, daß sich an ihrem Weibsein etwas erfüllt hat, worum Jungverheiratete Bäuerinnen oft vergeblich beten und um einen Kindersegen sogar Wallfahrten machen.
Wenn Ferdinand das nächste Mal kommt, dann wird sie es ihm sagen, und sie freut sich jetzt schon darauf, was er für frohe Augen machen wird, denn in ihren nächtlichen Gesprächen haben sie neben dem kleinen Gütl auch von Kindern gesprochen, die später vor der Wiese am Haus umeinanderspringen werden. Ferdinand hat sich das immer mit viel Ruhe und Geduld mit angehört, gerade so, als ob er ihren Traum mitträume, obwohl ihm der Sinn nach ganz was anderem stand.
Vierzehn Tage ist er nun schon nicht mehr bei Barbara gewesen, aber Barbara empfindet darüber keine Angst, weil sie meint, daß er ohne sie nicht mehr leben könnte. So hat er es wenigstens ein paarmal angedeutet.
*
In Ferdinand Höllriegls Leben aber hat sich eine grundlegende Wandlung vollzogen. Kein Mensch kann ja sagen, daß das Schicksal sich nicht eines Tages aufmacht und in einer boshaften Laune die Menschen durcheinanderwirbelt, daß sie sich vor Staunen gar nicht mehr selber erkennen. Für Ferdinand heißt dieses Schicksal Ambros Höllriegl, Großbauer zu Perlbach, Besitzer eines Hofes mit dreihundert Tagwerk und viel Wald dazu. Das ist sein Onkel, der ihn damals als Bub, nachdem sein Vater verunglückt und die Mutter gestorben war, auf seinen Hof genommen hat und dem er dann davongelaufen ist.
Dieser Onkel Ambros ist immer schon ein bösartiger, hinterlistiger Mensch gewesen, und es wird von ihm erzählt, daß er sein eigenes Weib mit seinem Geiz und seinem Mißtrauen in den Tod getrieben habe. Jetzt hat es ihn selber erwischt, und er begreift in seinem Starrsinn nach zwei Herzanfällen doch, was ihm der Doktor sagt, daß sein Leben nur noch an einem Spinnwebfaden hänge, wenn er sich nicht ganz ruhig und still verhalte. So hockt er jetzt viel an warmen Tagen auf der Hausbank oder drinnen in der Stube in einem Lehnsessel, mit einer Decke um die Knie geschlungen, als ob davon das Herz eine Erleichterung spüre. Bei diesem untätigen Umeinandersitzen denkt er sich abermals recht was Boshaftes aus und will lieber Schicksal spielen, als auf das Zureden des Pfarrers zu hören, der diesen stattlichen Besitz gerne für die Kirche hätte.
„Schau, lieber Höllriegl“, bekommt der Bauer zu hören, „du hast keine Kinder, und das Himmelstor würde sich für dich ganz weit öffnen, wenn du mit deinem Besitz auch an die Kirche denken möchtest.“
Das ist dem Pfarrherrn sein gutes Recht. Aber der Ambros Höllriegl hat sich das bereits anders überlegt. Kinder hat er zwar keine, aber einen Neffen. Einen Neffen Ferdinand, der zwar nicht allzuviel taugt, aber immerhin ist er der Sohn seines verstorbenen Bruders, dem er ja seinerzeit sein elterliches Erbteil spärlich genug ausbezahlt hat. Andererseits ist da auch eine Verwandte seiner verstorbenen Frau da, die Philomena Schober von Eichelsried. Diese Philomena ist zwar recht häßlich von Angesicht, kropfert und schiefmäulig, so daß die Mütter in ihrer Umgebung zu ihren Kindern sagen: ,Wenn du deine Suppe net schön ißt, dann wirst du einmal so häßlich wie die Schober Philomena.’
Aber das ist ja gerade das Prickelnde an der Sache. Genüßlich reibt sich der Höllriegel die Hände. Der schöne Ferdinand und die häßliche Philomena. Die müssen einander heiraten. Erstens bleibt dann der Name Höllriegl auf dem Hof, und zweitens sind die beiden in den besten Jahren und können für Nachwuchs sorgen. Er läßt die beiden herbeirufen; der Ferdinand verzieht zwar das Maul und macht ein ganz erschrockenes Gesicht, als ihm die Philomena gegenübertritt. Aber da es um so einen prächtigen Besitz geht, sollte er da etwa nein sagen? Das kann er nicht. Er denkt sich nur, bei Tag werd ich sie net viel sehn, und bei der Nacht ist jede Kuh schwarz.
Ja, aber sie müßten beide etwas Schriftliches vorlegen, daß kein Ehehindernis vorhanden sei, kein lediges Kind etwa oder sonst ein Makel in ihrem bisherigen Leben.
Der Ferdinand legt schwörend seine Hand auf sein Herz, daß kein Makel in seinem Leben sei und auch kein lediges Kind. Und die Philomena schüttelt auch den Kopf, fragt aber überflüssigerweise noch: „Wie sollt denn ich zu einem ledigen Kind kommen? Aber wenn wir verheiratet sind, dann möcht ich gleich eins. Gell, Ferdinand?“
Zerknirscht nickt Ferdinand und denkt sich dabei, daß die Barbara die reinste Venus gegen die Philomena sei. Aber er muß ja wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Wenn er nur wüßte, wie er es der Barbara beibringen soll! Zwar macht er noch den schüchternen Versuch, dem Onkel zu erklären, daß da ein anderes Mädl sei, eine ganz Tüchtige sogar, die ihm ganz sicher auch gefallen würde. Aber die Bosheit stampft mit seinem Hakelstecken in den Boden hinein und schreit, soweit er noch laut schreien kann:
„Nix da! Die Philomena muß es sein, sonst wird aus der ganzen Erbschaft nix. Das ist ja grad das Brisante an der Sach’, an der ich meine Freud’ hab.“
Ferdinand verschiebt es dann noch von einem Tag zum andern, aber schließlich muß er doch den weiten Weg auf sich nehmen und zur Barbara auf die Alm gehen.
*
Es ist ein Tag, wie Gott ihn immer nur bei guter Laune schafft. Der Himmel hängt wie Seide über den Bergen, nur mit vereinzelten, dünnen Schleierwolken, die an den Gipfeln vorbeiziehen oder mitten durch eine Felsspalte durch.
Der Almrausch ist schon verblüht, und die Büsche stehn traurig am Hang. Wenn der Wind über sie hinweht, dann neigen sie sich, als hätten sie Trauer um ihre verlorenen Blüten. Nur vereinzelt leuchtet noch so ein kleines rotes Blümlein, als sei es vergessen worden. Eine leise Ahnung des Herbstes weht die Landschaft bereits an, und inmitten des Grüns der düsteren Tannenwälder leuchtet da und dort ein Ahorn auf wie eine leuchtende Fackel.
Immer wieder bleibt Ferdinand stehen, aber nicht weil ihn das Wunder der Natur so beeindruckt, sondern weil ihm immer schwerer ums Herz wird, denn, er kann es betrachten wie er will, dieser Barbara ist er doch tiefer zugetan gewesen, als er gewußt hat. Ihre unbeschwerte Natürlichkeit, ihr frohes Zukunftsdenken, wenn auch reichlich naiv, hat ihn doch irgendwie in den Bann gezogen. Vor allem, sie ist eine bequeme Geliebte, die nicht viel fragt und grenzenlos vertraut. Und dieses Vertrauen muß er nun jäh zerstören.
Ein paarmal seufzt er so tief, als müßte er das Seufzen von den Beinen heraufholen. Aber es hilft nichts, dieser Schritt muß getan werden. Dann zieht er wieder den Zettel heraus, den er geschrieben hat, und der sich so liest: Ich bestätige hiermit, daß Herr Ferdinand Höllriegl keinerlei Ansprüche an mich zu stellen hat und ich folglich kein Ehehindernis für ihn bin.
Ja, diesen Wisch soll Barbara unterschreiben. Schon die Abfassung des Textes beweist, daß Ferdinand auch kein großes Licht ist, denn es hätte ja schließlich heißen müssen, daß die Barbara keine Ansprüche an ihn zu stellen hat.
Barbara wäscht gerade die Milchkübel am Brunnen aus, als sie den Ferdinand von unten heraufkommen sieht. Sofort läßt sie alles liegen und stehen, reißt das Gatter auf, rennt ihm entgegen und fliegt an seinen Hals.
„Ach, Ferdl, weil du nur grad wieder da bist! So lang darfst mich aber nimmer warten lassen.“
Seine Zärtlichkeit ist heute nicht von so stürmischer Wildheit wie sonst, und Barbara hält sein Gesicht von sich ab und betrachtet ihn aufmerksam.
„Hast du was, Ferdl?“ Sie streicht ihm mit der Hand über die Stirne, als möchte sie die Falten dort wegwischen. „Hast einen Verdruß gehabt?“
„Verdruß, na ja, wie man’s nimmt. Wir reden dann über alles. Zunächst aber hab ich einen sakrischen Durst.“
„Dem ist abzuhelfen“, lacht Barbara, glückselig, daß er endlich einmal da ist. Sie bringt ihm Bier aus dem Keller, setzt sich zu ihm auf die Hüttenstufen.
Ferdinand blickt über ihren Scheitel hinweg zum oberen Almfeld hinauf, auf dem jetzt die Kühe weiden.
„Hast du ’s Vieh jetzt da oben?“, fragt er.
„Ja, seit acht Tag schon. Drunten ist schon alles abgegrast. Ja, ja, Ferdl, der Sommer geht seinem Ende entgegen.“
Er trinkt und starrt dann auf das Bierflaschl in seinen Händen.
„Ja, ja, einmal geht alles seinem Ende entgegen.“
Wäre Barbara weniger verliebt, sondern mehr hellhörig gewesen, dann hätte sie aus diesen Worten und dem Tonfall, mit dem sie gesprochen wurden, schon etwas heraushören können. Aber sie ist ja so ahnungslos, außerdem wird ja der Ferdl gleich ein freundliches Gesicht machen, wenn sie ihm ihr Geheimnis anvertraut. Sie kuschelt sich mit ihren Lippen an seinen Hals und will gerade damit anfangen, als eine Gruppe Bergwanderer um die Ecke der Hütte kommt. Durst haben sie und Hunger. Mißmutig verfolgt Ferdl eine Weile Barbaras geschäftiges Hin- und Herrennen. Dann steht er auf und sagt, daß er sich hinter der Hütte ein wenig ins Gras legen werde. Den Hut übers Gesicht geschoben, die Hände hinterm Nacken verschränkt, liegt er da und grübelt darüber nach, wie er es ihr sagen soll. Jetzt, da er sie wiedergesehen hat, kommt es ihn viel schwerer an. Es ist ja auch nicht so, daß er sie nicht gern hätte. Aber es muß halt sein. Er kann doch ihretwegen nicht auf soviel Reichtum verzichten.
Vor lauter Grübeln schläft er dann ein und erwacht erst, als etwas an seiner Wange kitzelt. Zuerst schlägt er mit der Hand danach, dann reißt er plötzlich die Augen auf. Barbaras Gesicht ist über dem seinen, und er kann gar nicht anders, er muß den Arm um ihren Hals legen.
„Jetzt sind sie fort“, lacht Barbara und schmiegt sich an seine Seite. „Hoffentlich kommt net wieder jemand.“
„Hoffentlich net.“
„Hast lang warten müssen jetzt auf mich, gell Ferdl? Dafür hab ich dir aber auch ganz was Schönes zu sagen.“
„So? Da bin ich aber neugierig.“
Und nun, da sie es sagen will, stockt sie doch wieder und wird brennend rot.
„Was ist dann jetzt mit deiner Neuigkeit?“, fragt er ungeduldig. Barbara nimmt seine Hand, beugt sich dann gegen sein Ohr hin und flüstert es ihm zu. „Wir werden was Kleines haben, Ferdl.“
Wie von einer Natter gebissen springt Ferdinand auf, reißt seine Hand aus der ihren und starrt sie finster an. Dann bricht es aus ihm heraus: „Das ging mir grad noch ab!“
Ein eisiger Schreck durchfährt das Mädl.
„Aber Ferdl, du freust dich ja gar net.“
Er schaut sie wie ein Irrer an, reißt einen Grashalm neben sich aus und zerrupft ihn.
„Freuen soll ich mich auch noch?“, schreit er sie an. „Ja, sag einmal, hast denn du noch alle fünf Sinne beieinander. Herrgott sakra! Wie stellst du dir denn das vor? Wie soll denn das überhaupt zugegangen sein? Ich kann mich an gar nix erinnern.“
„Aber Ferdl“, wimmert Barbara, als sei sie soeben geschlagen worden. „Ich kann doch nix dafür und – und außer dir ist doch keiner bei mir gewesen.“
„Das kann schon sein, kann aber auch net sein. Aber gut, ich will dir glauben. Aber das muß ich dir sagen, du bringst mich in eine ganz schöne Verlegenheit.“
„Warum denn?“ Hilflos und wie verstört sitzt sie jetzt neben ihm, und spürt, daß etwas Furchtbares über sie kommen will. Sie hat sich das alles ganz anders vorgestellt. Sie hat gemeint, daß er sie voller Freude in die Arme reißen wird. Statt dessen fragt er, wie denn das zugegangen sein soll.
„Kreuzteufl“, flucht er wieder und schreit ihr dann brutal zu: „Aber das sag ich dir gleich, heiraten können wir net.“
Darüber erschrickt Barbara gar nicht einmal, versteht es vielleicht auch falsch, weil sie meint: „Das macht ja nix, Ferdl. ’s Kindl verhungert deswegen auch net. Wenn ich es net bei mir behalten darf, dann geb ich es der Brieglmutter in Pflege. Da zahl ich zwei Mark in der Woche und du auch zwei. Und nebenbei schaust du dich um ein kleines Gütl um, dann können wir heiraten. Es pressiert gar net, Ferdl.“
Dem Ferdinand wird immer unbehaglicher zumute. Es hat sich doch mit einem Schlag alles geändert. Die Barbara tut ihm zwar leid, aber er ist ein Mensch, der rücksichtslos das festhalten will, was ihm da als Erbschaft zugeflogen ist. Er fährt sich ein paarmal mit dem Zeigefinger den Hemdkragen entlang, räuspert sich umständlich, bis er dann endlich sagt: „Jetzt muß ich halt doch mit der Wahrheit rausrücken. Schau, Bärbele, du bist mir wert und gut, und daß ich dich gern hab, das weißt ja. Aber das Schicksal kann einen Menschen mit einem Schlag aus allen Himmeln reißen. Wir zwei haben zwar allweil von einem kleinen Gütl geredet, und jetzt soll ich auf einmal von meinem Onkel einen Hof erben, der so groß ist wie drei andere Höfe zusammen.“
Mit einem Schlag begreift Barbara. Ihr Herz zuckt auf und ihr Rücken steift sich. Kaum verständlich kommt es von ihren Lippen: „Das heißt soviel, daß du mich jetzt nimmer brauchen kannst?“
Der Ferdinand windet sich, zuckt die Achseln ein paarmal, wiegt den Kopf hin und her. „So ist es ja auch grad net. Es ist bloß – ach, Barbara, es kommt mich hart an, daß ich es dir sagen muß. Keine nähm ich lieber wie dich, aber bei der Erbschaft ist eine grausige Klausel dabei, es ist sozusagen eine geteilte Erbschaft. Ich die Hälfte und die andere eine gewisse Philomena Schober. Und beide können wir die Erbschaft net antreten, wenn wir uns net heiraten. Das ist eine teuflische Klausel, aber was soll ich denn machen? Ich weiß mir keinen Rat.“
„Ich auch net“, sagt sie mit kläglicher Stimme. „Aber mir geht’s ja allweil so. Wenn ich einmal zu einem Menschen Vertrauen gefaßt hab, dann kommt hinterher der Fußtritt.“
„So darfst es auch net betrachten, Bärbele. Schau – “
Sie stößt seine Hand zurück, die sich auf ihren Arm gelegt hat.
„Nenn mich nimmer Bärbele, ich bitt dich drum.“
„Du bist jetzt verbittert, und ich kann’s verstehn. Aber schau, Barbara, was tätst denn du, wenn dir so eine Erbschaft in den Schoß fallen tät? Tätst du darauf verzichten?“
Langsam hebt sie den Kopf und schaut ihn an. Ihre Brauen bewegen sich unablässig. Dann holt sie tief Atem und sagt: „Ja, ich tat auf die ganze Erbschaft verzichten, wenn ich dich dabei verlieren müßt.“
„Das sagst halt jetzt, aber wenn es wirklich drauf ankäm, tätst halt auch zugreifen.“
„Ich net. Aber lassen wir’s. Ich kenn mich ja jetzt aus.“
„Nimm es doch net so tragisch, Barbara. Schau, ich hab mir das schon ausdenkt. Wenn ich einmal Bauer bin auf dem Hof, dann kann ich dir schon was zukommen lassen fürs Kindl.“
„Einen Gnadentaler, meinst?“ Hart lacht die Barbara auf und horcht eine Weile diesem Lachen nach. „Ich will dir einmal was sagen. Einmal bist aus dem Nebel gekommen, jetzt gehst wieder in den Nebel hinein. Was dazwischen war, das muß ich vergessen. Und wenn du dich zu dem Kindl net bekennen kannst oder willst, auf deine Gnade bin ich net angewiesen.“
Ferdinand zerrt den Zettel aus seiner Joppentasche.
„Das solltest mir halt schriftlich geben. Sei so gut, unterschreib mir den Wisch.“
Barbara liest mit zusammengekniffenen Augen. Dann reißt sie ihm den Bleistift aus der Hand. In ihrer grenzenlosen Einfalt lächelt sie sogar spöttisch, als sie ihren Namen hinschreibt.
„Da hast es. Ich will gewiß keine Ansprüche von dir, und für so einen erbärmlichen Kerl, wie du einer bist, will ich kein Ehehindernis sein. So, und jetzt geh mir aus den Augen.“
Sie rennt von ihm weg in die Hütte hinein und schlägt die Tür so heftig hinter sich zu, daß es wie ein Schuß dröhnt.
Zufrieden steckt Ferdinand Höllriegl den Zettel wieder ein, der ihm im Ernstfall doch wenig genützt hätte. Dann zieht er den Hut tief in die Stirn hinein und geht davon. Unterwegs fällt ihm noch ein, daß er vergessen hat, sein Gewehr mitzunehmen. Aber soll sie es haben. Dann erinnert sie sich doch zuweilen an ihn.
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