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KEIN LEBEN OHNE LIA von MALLERY, SUSAN Obwohl sie ihn für einen Playboy hält, ist Kelly tief beeindruckt von Tanner Malone. Der reiche Unternehmer will seine wenige Tage alte Tochter alleine großziehen. Spontan bietet Kelly an, ihm zu helfen - und entdeckt dabei Seiten an Tanner, die ihr Herz höher schlagen lassen. ICH SPÜRE DEINE ZÄRTLICHKEIT von DAWSON, JODI Ohne seine Autopanne hätte der bescheidene Millionär Hunter King niemals die hinreißende Dani kennengelernt. Bei ihm ist es Liebe auf den ersten Blick - doch Dani will ihn so schnell wie möglich wieder loswerden. Da schmiedet Hunter einen gewagten Plan … WIE HEIRATET MAN EINEN MILLIONÄR? von MARTIN, LAURA Kaum ist die junge Künstlerin Cathy in das kleine Cottage gezogen, lernt sie den charmanten Daniel kennen. Der arme Maler erscheint ihr wie ein Seelenverwandter. Doch auf dem Dorfball erfährt sie, wer Daniel wirklich ist - und will ihn nie wieder sehen.
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Seitenzahl: 596
Laura Martin, Susan Mallery, Jodi Dawson
BIANCA EXKLUSIV, BAND 185
IMPRESSUM
BIANCA EXKLUSIV erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG, 20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
© by Laura Martin Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
© by Susan W. Macias Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
© by Jodi Dawson Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Fotos: RJB Photo Library
© by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg, in der Reihe BIANCA EXKLUSIV, Band 185 - 2009
Veröffentlicht im ePub Format im 02/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86295-593-0
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Schon beim ersten Blick in Cathys grüne Augen ist Daniel verloren. Er genießt jede Minute mit der gefühlvollen Künstlerin und ihrem kleinen Sohn. Leider versäumt er jedoch den richtigen Augenblick, um ihr zu gestehen, dass er nicht der arme Maler ist, für den sie ihn hält. Als Cathy es schließlich erfährt, wendet sie sich tief enttäuscht von ihm ab.
Die Frauenärztin Kelly ist tief beeindruckt von dem smarten Bauunternehmer Tanner Malone. Der will alles zurückstellen, um seine kleine Tochter Lia allein großzuziehen. Sofort entschließt sie sich, ihm zu helfen – und kommt Tanner bei der liebevollen Pflege seiner Tochter immer näher. Aber kann Kelly ihm auch ihr großes Geheimnis anvertrauen?
Drei Wochen gibt Hunter sich, um Dani zu sagen, wie hinreißend er sie findet, und wie sehr er hofft, dass sie ihn um seiner selbst willen lieben wird! Deshalb verschweigt er ihr auch, dass er Millionär ist. Doch Dani scheint zu spüren, dass Hunter ihr nicht die Wahrheit über sich sagt. Und selbst seine Küsse können ihr Misstrauen nicht restlos zerstreuen …
„Mummy, erzähl mir mehr über unser neues Haus!“
Cathy kam eine kleine Pause nicht ungelegen. Sie packte die restlichen Küchengeräte in den Karton und setzte sich dann auf den Boden. Wegen des heutigen Umzugs war sie bereits seit dem Morgengrauen auf den Beinen und fühlte sich völlig erschöpft, obwohl es gerade mal drei Uhr nachmittags war.
„Nun, es ist alt und hat auf der Vorderseite vier Fenster, durch die man auf eine enge Gasse hinaussieht, und es steht in einem Garten, der vorn schmal und hinten etwas breiter ist.“
Robbie setzte sich auf ihren Schoß und kuschelte sich an sie. „Erzähl mir von dem Apfelbaum!“
Lächelnd legte Cathy die Arme um ihn. „Er steht im vorderen Teil des Gartens direkt unter dem Fenster deines Zimmers und wird bald duftige weiße Blüten tragen. Später werden daraus Äpfel, die wir ernten können, wann immer wir wollen.“
„Und niemand wird mit uns schimpfen?“
„Nein, niemand“, bestätigte Cathy.
„Auch nicht, wenn wir die Äpfel in der Dunkelheit pflücken?“
Cathy lachte und gab ihrem Sohn einen zärtlichen Kuss auf die Wange. „Nein, auch dann nicht.“
„Ich möchte auf dem Baum bis ganz nach oben klettern!“
„Wir werden sehen.“
Ein Schatten huschte über Robbies kleines Gesicht. „Glaubst du, ich finde dort Freunde zum Spielen?“
„Aber ja!“, versicherte Cathy im Brustton der Überzeugung, da dies mit ein Grund war, weshalb ihr Sohn dem Umzug eher skeptisch gegenüberstand. „Ganz bestimmt besuchen viele Kinder die hübsche kleine Dorfschule mit dem nagelneuen Spielplatz …“
„Und wenn es mir nicht gefällt, ziehen wir dann wieder hierher zurück?“
Cathy strich sich eine widerspenstige rote Locke aus dem Gesicht und ließ den Blick über die feuchten Wände und billigen Plastikeinbauschränke der winzigen Küche schweifen. Keinen Tag länger würde sie es mehr in dieser Schuhschachtel aushalten!
Sie blickte aus dem Fenster. Von ihrem momentanen Platz am Küchenboden konnte sie nur dichte, graue Wolken und die oberen Stockwerke anderer hässlicher Mietskasernen sehen. Cathy hatte ihr ganzes Leben in solchen englischen Großstadtsilos verbracht. Wenn sie es jetzt nicht schaffte, hier herauszukommen, würde ihr Sohn ebenfalls in diesem sozialen Elend aufwachsen und wenig Zukunftschancen haben.
Sie dachte an die Schmierereien in der Eingangshalle und im Aufzug, an den unerträglichen Schmutz und Gestank, dem sie sich jedes Mal aussetzen musste, wenn sie ihre Wohnung im zwölften Stock verließ. Bald würde ihr Sohn die obszönen Sprüche an den Wänden lesen können und viel zu früh seine herzerfrischende, lausbubenhafte Unschuld verlieren.
„Dale sagt, es ist schrecklich langweilig auf dem Land“, erklärte Robbie weiter. „Es gibt dort keine Geschäfte, und wenn man etwas Süßes will, muss man meilenweit gehen! Er sagt …“
„Sobald wir uns ein wenig eingewöhnt haben, lädst du Dale ein und zeigst ihm, wie schön es auf dem Land wirklich ist“, unterbrach Cathy ihren Sohn, ehe er noch mehr Nachteile des Landlebens aus Sicht seines Freundes aufzählte. „Keine Angst, mein Schatz, es wird dir dort prima gefallen“, versicherte sie mit fröhlichem Lächeln. „Wir werden beide viel Spaß haben.“
Daniel schlug den Kragen seines Jacketts hoch. Teufel noch mal, war das kalt! Er musste endlich die Heizung seines Landrovers reparieren lassen. Drei Wochen bei eisigem Märzwind im ungeheizten Auto herumzukurven reichte ihm. Gleich morgen Früh werde ich in der Werkstatt anrufen, nahm er sich vor, während er den Wagen aus der Garage fuhr, die mit ihrer altmodischen Benzinpumpe und den noch aus der Vorkriegszeit stammenden Reklameschildern geradezu vorsintflutlich anmutete.
Im Ort war es an diesem Abend ruhig. Zwar brannte in den meisten Häusern rund um den Dorfplatz Licht, doch nur wenige Leute wagten sich bei diesem kalten Regen nach draußen. Verdammt! Die Bremsen mussten ebenfalls überprüft werden. Er trat mit voller Wucht auf das Bremspedal und brachte den Landrover schließlich zum Stehen. Wenige Meter vor ihm blockierte ein Lastwagen die enge Gasse. Daniel bemerkte, dass es sich um einen Leihwagen handelte. Die hinteren Planen waren zurückgeschlagen, und auf der Ladefläche standen einige Möbel. Nicht unbedingt das ideale Wetter für einen Umzug.
Er blickte zu dem kleinen Cottage, dessen Vorderzimmer im Erdgeschoss durch eine von der Decke baumelnde Glühbirne erhellt wurden. Er kannte das Haus, so wie er jedes Gebäude im Dorf kannte. Es wirkte reichlich heruntergekommen, besaß jedoch einen gewissen Charme – falls man die morschen Fensterstöcke, das moosüberwachsene Dach und etliche andere Schäden übersah, die dringend der Reparatur bedurften.
Ungeduldig betrachtete Daniel den Lkw. Bestimmt würde es noch eine Weile dauern, bis alle Möbel abgeladen waren. Ihm blieb wohl nichts weiter übrig, als umzukehren und eine andere Route zu fahren, was ärgerlich war, da ihn nur noch eine knappe halbe Meile von seinem Ziel trennte.
Während Daniel noch überlegte, trat ein Mann aus dem Haus und eilte den schmalen Pfad entlang, der durch den Vorgarten zur Straße führte. Er trug eine Baseballmütze, zerschlissene Jeans und eine kurze Lederjacke, die ihn nur unzureichend vor dem starken Regen schützte. Er war jung, höchstens zwanzig, schätzte Daniel, als der Mann näher kam und direkt auf den Landrover zusteuerte. Daniel kurbelte das Fenster herunter.
„Bis wir hier fertig sind, dauert es noch einige Zeit, Kumpel. Am besten drehst du wieder um.“ Ein harter, abschätzender Blick traf Daniel. „Oder du packst mit an.“ Der junge Mann sah zum Haus. „Ehrlich gesagt, ich könnte ein wenig Hilfe gebrauchen.“
„So?“ Daniels Blick folgte dem des jungen Mannes. Eine Gestalt in einem langen gelben Regenmantel mit hochgezogener Kapuze war an der Haustür aufgetaucht und hastete nun zu dem Lkw.
„Ja, mich hat nämlich ein Kumpel im Stich gelassen.“ Der junge Mann wischte sich den Regen aus den Augen und schlug den Kragen seiner Lederjacke hoch. „Das kleinere Zeugs haben wir schon abgeladen, aber nun kommt das Bett, und ich weiß wirklich nicht, wie wir es allein ins Haus schaffen sollen.“
Daniel beobachtete, wie die Gestalt im Regenmantel auf die Ladefläche kletterte und dann versuchte, ein Bett zur Rampe zu ziehen.
„He, lass den Blödsinn, du tust dir doch nur weh!“, rief der junge Mann und wandte sich dann wieder an Daniel. „Verstehst du jetzt, was ich meine?“ Er stieß einen wilden Fluch aus, rannte zum Lkw, zog sich mit einem Klimmzug nach oben und begann laut zu schimpfen.
Daniel seufzte. Wohl oder übel musste er mit anpacken, wenn er nicht Zeuge werden wollte, wie das Bett zu Bruch ging. Er drehte sich um und zog aus dem Durcheinander auf dem Rücksitz einen langen Regenmantel hervor, der schon bessere Tage gesehen hatte.
Das Bett war gar nicht sonderlich schwer, jedoch sperrig, und der sichtlich bemühte Helfer im gelben Regenmantel stand eher im Weg, als dass er eine Hilfe war. Daniel schob das Bett bis zur Rampe, sprang auf die Straße und half dem Mann in der Lederjacke, das gute Stück vom Lkw zu hieven und ins Haus zu tragen.
Drinnen war es düster und kalt, aber auf alle Fälle angenehmer als draußen im Regen. Wie ein gelbes Leuchtfeuer wandelte die Gestalt im Regenmantel voraus, hinter ihr trugen Daniel und der junge Mann das Bett durch eine enge Diele und dann eine kleine Treppe hinauf in ein geräumiges Zimmer mit verblichener Rosentapete und vereinzelten feuchten Flecken an den Wänden.
„Vielen herzlichen Dank. Stellen Sie es einfach hierhin.“
Ihre Stimme klang jung und außerordentlich dankbar. Wieso hatte er nicht bemerkt, dass es sich um eine Frau handelte? Interessiert beobachtete Daniel, wie sie die Kapuze abstreifte und eine kastanienrote Lockenmähne zum Vorschein kam, die sich kontrastvoll vom Gelb des Regenmantels abhob.
Mit dem makellos hellen Teint und den leuchtend grünen Augen wirkte die junge Frau in der düsteren Umgebung wie eine exotische Erscheinung. Daniel musste sich zwingen, sie nicht einfach anzustarren. Er lächelte überrascht, und sie erwiderte sein Lächeln zögernd. „Ich glaube nicht, dass wir es ohne Ihre Hilfe geschafft hätten“, sagte sie leise. „Nicht wahr, Gary?“
„Stimmt. Leider sind wir noch nicht fertig.“ Gary zog fragend die Brauen hoch. „Was ist, Kumpel, hilfst du uns auch noch, die restlichen Sachen ins Haus zu tragen?“
„Klar.“ Daniel nickte und ließ den Blick wieder zurück zu der jungen Frau schweifen. Sie sah erschöpft aus. „Sie bleiben besser hier“, meinte er. „Es nützt keinem, wenn Sie unnötig nass werden.“
„Danke.“ Mit sichtlicher Anstrengung rang sie sich ein weiteres Lächeln ab. „Dann werde ich jetzt nachsehen, was Robbie macht. Er wird sich fürchten, wenn er aufwacht und ich nicht da bin.“
„Robbie?“ Die Frage war Daniel unfreiwillig entschlüpft.
„Mein Sohn.“ Ruhig erwiderte sie seinen Blick. „Er schläft unten in einem Sessel. Gary“, wandte sie sich an den jungen Mann, „könntest du als Nächstes sein Bett abladen?“
„Ich werde es versuchen“, gab er missmutig zur Antwort. „Versprechen kann ich nichts.“
Es dauerte noch weitere dreißig Minuten, ehe der Lkw ganz leer geräumt war. Sie hatten nicht allzu sehr schleppen müssen, da sich unter den kunterbunt zusammengewürfelten Möbeln nur wenig schwere Stücke befanden.
„Danke, Kumpel. Ohne dich hätte ich es kaum geschafft.“ Gary stieß einen Seufzer der Erleichterung aus und hielt Daniel eine nicht sehr saubere Hand hin. „Ich würde dir gern ein Glas spendieren, aber hier scheint es ja nirgendwo einen Pub zu geben.“
„Es gibt einen.“ Daniel drückte ihm freundlich lächelnd die Hand. „Ich muss jedoch gleich weiter, da ich verabredet bin.“ „Sie sind ganz nass geworden. Es tut mir schrecklich leid, dass wir Ihnen solche Mühe gemacht haben.“
Daniel drehte sich um, als er hinter sich ihre Stimme vernahm. Sie hatte den Regenmantel abgelegt und trug darunter ausgebeulte Jeans und einen weiten Pullover, dessen Rot so ganz und gar nicht mit ihrer Haarfarbe harmonierte. In ihren Armen lag ein Kind von fünf oder sechs Jahren, mit seidigem braunem Haar und einem engelhaften Gesicht. „Er scheint fest zu schlafen“, stellte Daniel lächelnd fest.
„Ja, zum Glück!“ Liebevoll ruhte ihr Blick auf ihrem Sohn, dann schweifte er zurück zu Daniel. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Darf ich Ihnen vielleicht eine Tasse Tee anbieten? Es ist das Mindeste, was ich für Sie tun kann, nachdem Sie uns so sehr geholfen haben.“
Er fand ihre Stimme ungemein anziehend: sanft und melodisch und ein ganz klein wenig heiser. Eine Stimme, die man nicht so leicht vergaß. Daniel betrachtete Mutter und Kind einen Moment lang, bis ihm bewusst wurde, dass er sie gerade regelrecht anstarrte. „Danke für die Einladung, doch Sie haben jetzt bestimmt Wichtigeres zu tun.“ Er lächelte kurz. „Deshalb lasse ich Sie beide jetzt besser allein.“
„Und ich werde den Lkw ein Stück weiter fahren.“ Garys laute Stimme hallte in dem leeren Zimmer. Das Kind bewegte sich in den Armen der jungen Frau.
„Er ist sehr müde. Es war ein anstrengender Tag für ihn.“ Sie zog die Decke enger um ihren Sohn und küsste ihn auf das seidige braune Haar. „Dann also auf Wiedersehen.“ Ihre Lider waren schwer vor Müdigkeit. „Und nochmals vielen Dank.“
Wirklich sonderbar, überlegte Daniel, als er durch den strömenden Regen zu seinem Wagen eilte. Wieso hatte er plötzlich den Wunsch zum Bleiben verspürt?
Er öffnete die Tür seines Landrovers und stieg ein. Während er darauf wartete, dass Gary den Lkw beiseitefuhr, sah er nochmals durch das gardinenlose Fenster zu der an der Decke baumelnden Glühbirne. Wie ungemütlich und kalt es in dem Haus war! Hoffentlich hatten die beiden wenigstens etwas zum Heizen.
Der Lkw bewegte sich. Daniel ließ den Motor an und genehmigte sich einen letzten Blick zu dem Cottage. Ich kenne nicht einmal ihren Namen, kam es ihm unvermittelt in den Sinn, als er den Gang einlegte und davonfuhr.
Cathy sehnte sich im Moment nur noch nach einigen Stunden Schlaf, doch natürlich war daran nicht zu denken. Sie fühlte sich erschöpft, da sie in letzter Zeit so manche schlaflose Nacht verbracht und darüber gegrübelt hatte, ob sie mit diesem Umzug nicht einen schweren Fehler beging.
Die Matratze von Robbies Bett fühlte sich klamm an. Cathy wollte auf keinen Fall eine Erkältung ihres Sohnes riskieren, und so legte sie ihn auf die Couch und deckte ihn mit einem Stapel Decken zu. Dann berührte sie sanft seine rosige Wange. Wenigstens ihm war mollig warm, was sie von sich nicht behaupten konnte.
Irgendwie zieht es hier, dachte sie und ging in die kleine Diele, um nachzusehen, woher der kalte Luftstrom kam. Typisch Gary. Er hatte die Haustür offen gelassen. Als er nun durch den Vorgarten zum Haus lief, bemerkte sie, dass seine vormals weißen Turnschuhe schmutzig waren, was seine ohnehin schon schlechte Laune sicher nicht verbessern würde.
„Ich wollte mich nur verabschieden“, teilte er ihr mit.
„Möchtest du nicht noch etwas essen oder trinken, bevor du fährst?“, fragte sie der Höflichkeit halber, war jedoch erleichtert, als er den Kopf schüttelte.
„Nein, ich muss den Lkw zurückbringen.“ Er schob den Ärmel seiner Lederjacke zurück und sah auf die Uhr. „Ich sollte ihn bis neun bei Marty abliefern und bin sowieso schon zu spät dran.“
„Gut.“ Cathy beugte sich vor und küsste ihn freundschaftlich auf die Wange. „Du warst mir eine große Hilfe, Gary. Besuch uns doch, sobald wir uns hier ein wenig eingerichtet haben.“
„Mach ich, wenn ich mal nichts Besseres vorhabe.“ Er zögerte und sah in die dunkle Nacht hinaus. „Ehrlich gesagt, mir ist schleierhaft, wie jemand in diese gottverlassene Wildnis ziehen kann!“
„Es ist ein hübsches Dorf und keine Wildnis“, verbesserte Cathy ihn lächelnd. „Mit einem Ententeich, einer Kirche und einem gemütlichen Tante-Emma-Laden.“
„Nun, du musst es hier ja aushalten.“ Gary zuckte die schmalen Schultern. „Ich würde hier wahnsinnig werden. Was sagt Robbie zu dem Umzug?“
„Ihm wird es hier gefallen“, versicherte Cathy mit mehr Überzeugung, als sie empfand. „Wenn er sich erst ein wenig eingewöhnt hat, wird er die Vorteile des Landlebens zu schätzen lernen.“
„Du musst es ja wissen.“ Gary schien dieses Thema nicht sonderlich zu interessieren. „Also, ich verschwinde jetzt. Bis irgendwann einmal.“
„Ja, auf Wiedersehen!“ Cathy fand, dass ihre Stimme verloren klang. Sie wartete, bis der Lkw aus ihrem Blickfeld verschwunden war, und schloss dann die Tür hinter sich ab. Stille umfing sie, und jäh wurde ihr bewusst, dass nun der Moment gekommen war, den sie so sehr herbeigesehnt hatte.
Sie ging in ihr neues Wohnzimmer und ließ den Blick von der verblichenen Tapete zu dem schmutzigen Fußboden schweifen.
Bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher hatte alles viel besser ausgesehen als an diesem regnerischen Märzabend.
Lauschend blieb sie in der Mitte des Zimmers stehen. Es war geradezu beängstigend still. Kein entfernter Verkehrslärm war zu hören, nicht das Rumpeln des Aufzugs oder Geschrei im Treppenhaus. An diese völlige Ruhe musste sie sich erst gewöhnen. Cathy atmete tief durch. Gary hatte recht. Robbie würde seine Freunde sicher vermissen. Er war erst vor kurzem eingeschult worden, hatte sich gerade an alles gewöhnt und wurde nun aus seiner vertrauten Umgebung gerissen, weil seine Mutter sich den lang gehegten Traum von einem Leben auf dem Land erfüllen wollte.
Sie dachte an die wundervolle Abschiedsparty, mit der Freunde und Nachbarn sie überrascht hatten. Alle hatten sich solche Mühe gegeben, sogar einen Kuchen gebacken, Salate und andere Speisen vorbereitet, Robbie und sie mit kleinen Geschenken bedacht und ihnen versichert, dass man sie beide sehr vermissen werde.
Für Reue ist es jetzt zu spät, sagte sich Cathy energisch und machte sich in der Küche auf die Suche nach Eimer und Schrubber. Geistesabwesend leerte sie den mit Schwämmen und Putzlappen gefüllten Eimer.
Der Fremde hatte unglaublich gut ausgesehen … groß und muskulös … kein Vergleich mit dem spindeldürren Gary … dunkle Augen, warmes Lächeln, zupackende Hände … etwas älter als sie … ungefähr dreißig … Cathy holte aus einem Karton ein Reinigungsmittel. Sie hatte schon das Schlimmste befürchtet, als Gary ohne seinen Freund gekommen war. Doch dann war wie durch ein Wunder der Fremde aufgetaucht. Er war auf dem Weg zu einer Verabredung gewesen. Vielleicht mit einer Freundin? Oder zum Abendessen mit seiner Frau in einem Restaurant?
Am Dorfplatz gab es ein Lokal. Sie hatte es bei ihrem ersten Besuch hier gesehen, doch es lag außerhalb ihrer Preisklasse. Sie konnte sich höchstens mal eine Tüte Pommes leisten. Künftig würde sie sogar noch mehr sparen müssen. Das störte sie nicht. Geld bedeutete ihr nichts. Hauptsache, sie konnte ihre Rechnungen bezahlen und Robbie gesund ernähren und anständig kleiden. Zugegeben, in der alten Wohnung wäre es ihr finanziell besser gegangen, aber hatte eine höhere Lebensqualität nicht auch einen Wert?
Cathy drehte den Warmwasserhahn auf und ließ Wasser in den Eimer laufen. Es war eiskalt. Mit grimmiger Miene betrachtete sie die auf dem Reinigungsmittel abgebildeten blitzenden Böden und Kacheln und machte sich dann seufzend auf die Suche nach dem Wasserkessel.
Es war schon spät. Wegen der nassen Straße fuhr Daniel langsam, obwohl er viel lieber Gas gegeben hätte, um sich abzureagieren. So ging es ihm stets nach einem mit seinen Eltern verbrachten Abend, und daran war allein seine Mutter schuld! Wann würde sie es endlich einmal begreifen? Oder vielmehr, wieso tappte er immer wieder in dieselbe Falle?
„Nur ein kleines Abendessen unter Freunden, mein Schatz. Nichts Besonderes. Es wäre schön, wenn du auch kommen könntest.“ Dann folgte noch „Du warst schon so lange nicht mehr bei uns“, und schon bekam er Gewissensbisse und sagte zu.
Es regnete noch immer, und das trübe Wetter passte zu seiner Stimmung. Das „kleine Abendessen“ hatte sich wieder einmal als mehrgängiges Dinner entpuppt, und der Tisch war mit kostbarem Porzellan so überladen gewesen, dass man damit mindestens drei Antiquitätenläden hätte bestücken können. Obendrein hatte Daniels Mutter sich recht unverblümt als Kupplerin versucht.
Arme Lucy. Ein nettes Mädchen, solange man gewillt war, sich den ganzen Abend lang über Pferde und die Entwicklungen in der Modebranche zu unterhalten. Daniel jedenfalls hatte beide Themen zum Gähnen langweilig gefunden. Aus unerfindlichen Gründen glaubte seine Mutter, er habe ein Faible für langes blondes Haar und blaue Augen. Nichts gegen Blondinen, doch man durfte von einer Frau doch wohl etwas mehr erwarten, als dass sie gut aussah.
Unwillkürlich dachte Daniel an die junge Frau im gelben Regenmantel. Irgendwie war sie ihm den ganzen Abend über nicht aus dem Sinn gegangen. Wie alt sie wohl sein mochte? Er schätzte sie auf dreiundzwanzig, jedenfalls war sie älter als ihr Freund oder Ehemann, oder in welcher Beziehung auch immer sie zu dem jungen Mann stand. Sie war keine klassische Schönheit wie Lucy oder die anderen Mädchen, die ihm in seinem bisherigen Junggesellenleben über den Weg gelaufen waren. Aber sie hatte etwas an sich, das ihn fesselte, eine Klasse, die nicht an Herkunft oder Vermögen gebunden war.
Wie sie wohl heißt?, fragte er sich, als ihr Haus in Sicht kam. Wenigstens versperrte ihm diesmal kein Lkw den Weg. Im Cottage brannte Licht. Arbeitete sie etwa noch? Er erinnerte sich, wie müde sie ausgesehen hatte, und warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Schon fast Mitternacht. Ohne zu wissen, wieso, trat er auf die Bremse.
Er überlegte, ob er aussteigen, bei ihr klopfen und ihr seine Hilfe anbieten sollte. Schnell verwarf er den Gedanken wieder. Falls sie allein war, was er wegen des fehlenden Lkws annahm, würde sie ihm womöglich unlautere Absichten unterstellen, wenn er noch so spät bei ihr aufkreuzte. Sie kannte ja nicht einmal seinen Namen.
Weshalb verspürte er überhaupt das Bedürfnis, ihr zu helfen? Hatte das rührende Bild von der Mutter mit dem schlafenden Sohn auf den Armen sentimentale Gefühle in ihm geweckt? Oder war er einfach nur von ihrem ungewöhnlichen Aussehen fasziniert, diesem Kontrast von flammend rotem Haar, hellem Teint und leuchtend grünen Augen?
Im oberen Stockwerk flammte Licht auf, und er konnte sie durchs Fenster sehen. Sie trug einen Eimer. Sonderbarerweise wirkte sie jetzt gar nicht mehr müde, sondern tatkräftig und entschlossen.
Plötzlich wurde Daniel bewusst, was er tat. Er saß nachts im Wagen vor dem Haus einer fremden Frau und beobachtete sie heimlich durchs Fenster. Seit wann war er ein Voyeur?
Er ließ den Motor an und fuhr davon.
„Kaufst du mir Gummibärchen, Mummy?“
„Wollen wir nicht erst die Enten füttern?“ Cathy ging neben ihrem Sohn in die Hocke und zeigte auf das schimmernde Wasser am anderen Ende des Dorfplatzes. „Sieh mal, sie schwimmen dort drüben im Teich.“ Sie holte aus ihrer Einkaufstasche einen Plastikbeutel. „Hier in der Tüte sind alte Brötchen.“
„Ich mag keine Enten füttern! Sie sind doof und machen immer nur ‚quak‘. Ich möchte lieber Gummibärchen!“
„Robbie, bitte!“ Cathy zog ihrem Sohn die Mütze zurecht. „Wie kannst du an einem so herrlichen Frühlingstag nur so brummig sein. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, und dort hinten auf der Wiese sehe ich sogar ein Pferd. Wollen wir es uns einmal näher ansehen?“
„Nein!“
Cathy stand auf. Aus leidvoller Erfahrung wusste sie, dass alle erzieherischen Maßnahmen versagten, wenn ihr Sohn bockig war. Er fühlte sich unglücklich und verwirrt und war in seiner momentanen Stimmung nicht empfänglich für die Schönheit der Natur, die Weite und die frische Luft.
Mit trotziger Miene stapfte er neben ihr her und sah sie weder an, noch wollte er ihre Hand halten. Sie durfte ihn nicht überfordern, musste ihm Zeit lassen, sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen.
„Weißt du was? Wir füttern erst die Enten, und dann kaufe ich dir Gummibärchen. Einverstanden?“
„Okay!“ Es klang brummig.
Lächelnd betrachtete sie seinen schmollend verzogenen Mund. „Keine Angst, Robbie, sobald du dich hier eingewöhnt hast, wird es dir prima gefallen“, versuchte sie ihn aufzumuntern. „Das verspreche ich dir!“
Das Füttern der Enten brachte leider nicht den erhofften Erfolg. Robbie nahm die Tüte mit den Brötchen, kippte den Inhalt kurzerhand in den Teich und verlangte dann, nun endlich die Gummibärchen zu besorgen.
Cathy war drauf und dran, ihm zur Strafe gar nichts zu kaufen, aber mit Strenge kam sie jetzt nicht weiter. Im Grunde wusste sie ja, dass ihr Sohn sich zutiefst verunsichert fühlte und nur deshalb so quengelig war.
Der kleine Dorfladen war bis obenhin mit allen möglichen Waren vollgestopft. Außer der Tüte Gummibärchen kaufte Cathy noch ein paar Dinge fürs Mittagessen und bezahlte dann.
„Wollen Sie nicht auch noch ein Los mitnehmen, meine Liebe?“, fragte die Frau hinter der Ladentheke mit freundlichem Lächeln. „Der Erlös kommt einem wohltätigen Zweck zugute, und wenn Sie Glück haben, gewinnen Sie damit sogar noch eine Eintrittskarte für den Frühlingsball.“ Sie wies auf ein Plakat, auf dem ein großer Ball und ein Dorffest angekündigt wurden, die beide am selben Wochenende stattfanden.
„Oh …“ Cathy zögerte und warf einen Blick in ihr Portemonnaie. „Was kostet so ein Los denn?“
„Drei Pfund. Ich weiß, es ist nicht billig“, fuhr die Frau hastig fort, „aber falls Sie gewinnen, erleben Sie einen einzigartigen Abend. Der Ball findet auf dem Gutshof statt und ist in unserer Gegend das gesellschaftliche Ereignis schlechthin, mit erstklassiger Musik und einem kalten Büfett vom Feinsten.“ Die Frau holte aus einer Schublade ein Bündel Lose.
„Sie sind neu im Dorf, nicht wahr?“, fragte sie, und als Cathy nickte, fügte sie hinzu: „Es wäre eine gute Gelegenheit, Ihre Nachbarn kennenzulernen, denn praktisch jeder aus dem Dorf geht zum Ball im Herrenhaus. Alle Karten sind schon ausverkauft. Sie können sich also nur noch über ein Los Eintritt verschaffen.“
„Gut, ich nehme eines.“ Cathy holte das Geld aus ihrem Portemonnaie. Sie wollte es sich nicht gleich zu Anfang mit der Besitzerin des Dorfladens verscherzen, und drei Pfund waren schließlich nicht die Welt.
„Wunderbar.“ Sichtlich erfreut, riss die Frau von einem Los einen nummerierten Abschnitt ab, reichte ihr das Los und kassierte das Geld. „Heben Sie es gut auf“, rief sie, als Cathy schon an der Tür war. „Vielleicht gewinnen Sie ja.“
Wohl kaum, dachte Cathy, während sie den Laden verließ. Wann hatte sie in ihrem Leben schon jemals etwas gewonnen?
„Cathy? Cathy Taylor?“ Cathy drehte sich überrascht um, als jemand ihren Namen rief. Eine junge Frau kam auf sie zu. „Du bist es tatsächlich! Dass ich ausgerechnet dich hier treffen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen!“ Sie verzog die korallenroten Lippen zu einem erfreuten Lächeln. „Gut siehst du aus!“
„Findest du?“, fragte Cathy, um Zeit zu gewinnen, und lächelte ebenfalls.
„Wetten, dass du keine Ahnung hast, wer ich bin?“ Die junge Frau lachte fröhlich. „Ich sehe es dir am Gesicht an.“
„Nun, ich …“, begann Cathy zögernd und durchforstete ihr Gedächtnis, um wen es sich bei dieser eleganten jungen Frau handeln könnte.
„Keine Sorge, ich bin nicht beleidigt. Das wäre ich höchstens, wenn du mich erkannt hättest. Als wir noch zur Schule gingen, war ich dick, hatte eine Brille und mausgraues Haar!“
Diese Beschreibung half Cathys Erinnerungsvermögen auf die Sprünge. Forschend musterte sie das perfekt geschminkte Gesicht der jungen Frau. „Sandra Beale? Wir haben in Mathe nebeneinander gesessen.“
„Richtig. Es ist eine Ewigkeit her, dass wir uns zuletzt gesehen haben. Wie geht es dir?“
„Danke, gut.“ Cathy hatte sich von ihrer Überraschung noch nicht erholt und lächelte schwach. Kaum zu glauben, dass sich das stille, unscheinbare Mädchen von früher zu einer so attraktiven Frau gemausert hatte.
„Ich weiß, was du denkst.“ Die blendend weißen Zähne der jungen Frau blitzten, als sie vergnügt lachte. „Ich bin nicht wiederzuerkennen, stimmt’s?“ Sandra breitete die Arme aus, um ihre elegante Erscheinung voll zur Geltung zu bringen. Sie trug eine perfekt sitzende braune Reithose, einen beigefarbenen Rollkragenpullover und einen sündhaft teuer aussehenden Tweedblazer sowie braune Reitstiefel.
„Und wie ist es zu dieser Verwandlung gekommen?“, fragte Cathy und versuchte sich erst gar nicht vorzustellen, wie ärmlich sie im Vergleich dazu in ihren ausgebeulten Jeans und dem dicken, weiten Pullover aussehen musste.
„Oh, ich hatte das Aschenputteldasein einfach satt. Du glaubst gar nicht, welche Veränderung man mit einem Blondierungsmittel, Kontaktlinsen, einer sorgfältig zusammengestellten Garderobe und etwas Make-up bewirken kann.“
„Du siehst einfach … umwerfend aus!“, stellte Cathy mit aufrichtiger Bewunderung fest.
„Danke!“ Sandra lächelte geschmeichelt. „Bist du zu Besuch hier?“
„Nein, ich … wir sind gerade erst hierher umgezogen.“
„Tatsächlich?“ Sandra verhehlte ihre Überraschung nicht. „Wohin?“
„In das Stanway Cottage. Es befindet sich südlich vom Dorfplatz in der ersten Nebenstraße links. In der Nähe steht ein alter, schief gewachsener Baum.
„Doch nicht etwa in Mrs. Paynes Haus?“
„Doch“, bestätigte Cathy und hob ein wenig das Kinn, da in Sandras Stimme leichtes Entsetzen mitgeschwungen hatte.
„Ach, du meine Güte! Hast du es gekauft?“
„Nein, gemietet.“
„Soweit ich weiß, ist sie ins Altersheim gezogen. Ihre Familie wird das Haus wohl irgendwann verkaufen.“
Cathy nickte. „Wahrscheinlich, ja.“
„Du hast vorhin von ‚wir‘ gesprochen. Bist du verheiratet?“
„Nein, aber ich wohne nicht allein dort.“ Cathy wandte sich zu Robbie um, der gerade den Gummibärchen die Köpfe abbiss. „Das hier ist mein Sohn Robbie.“ Sie berührte ihn an der Schulter. „Sag ‚hallo‘ zu Sandra, Robbie. Sie ist mit mir zur Schule gegangen.“
„Hallo.“ Er blickte kurz auf und konzentrierte dann seine Aufmerksamkeit wieder ausschließlich auf die Tüte mit den Gummibärchen.
„Normalerweise ist er nicht so wortkarg“, erklärte Cathy, „aber er ist ein wenig müde. Wir sind erst seit gestern Abend hier.“
„Oh, er ist ein süßer Junge!“ Sandra lächelte strahlend – vielleicht ein wenig zu strahlend, dachte Cathy, denn das Lächeln wirkte nicht ganz echt. „Wie alt ist er denn?“
„Er wird in wenigen Wochen sechs.“
„Und ihr zwei wohnt … allein?“, fragte Sandra nach einer kleinen Pause.
Cathy nickte. „Ja. Und du? Wohnst du hier in der Nähe?“
„Ja. Jemand, den ich … kannte, ist vor einiger Zeit gestorben und hat mir sein kleines Haus vererbt. Er war ein Freund der Familie.“
„Du Glückliche!“ Cathy lächelte. „Ich hatte bisher keinerlei Verbindung zum Dorf, obwohl es ja nur wenige Meilen von unserer Stadt entfernt liegt. Als ich jedoch vor einigen Wochen die Anzeige in der Zeitung las, erinnerte ich mich plötzlich an einen Schulausflug hierher und …“ Jäh verstummte Cathy, da Sandra ihr offenbar gar nicht mehr zuhörte.
„Ich möchte gehen“, drängelte Robbie.
„Gleich, mein Schatz.“ Neugierig wandte Cathy den Kopf, um zu sehen, was Sandras Aufmerksamkeit so sehr fesselte.
Sie konnte nichts Außergewöhnliches entdecken. Eine ältere Frau bog soeben mit dem Fahrrad von der Hauptstraße auf den Dorfplatz, ein junges Mädchen fuhr eine Frau im Rollstuhl spazieren, und wenige Meter hinter den beiden ging ein Mann.
Er kam ihr irgendwie bekannt vor. Cathy sah genauer hin, und ihr Herz setzte einen Schlag aus.
„Ich mag nicht mehr warten!“ Ungeduldig zog Robbie an der Hand seiner Mutter. „Hör auf zu reden!“
„Robbie!“ Mit zusammengezogenen Brauen musterte Cathy ihren Sohn, der seine Gummibärchen aufgegessen hatte und sie trotzig ansah. „Sei nicht so ungezogen!“
„Ich möchte aber nach Hause!“ Er riss sich von ihrer Hand los.
„Komm doch einfach mal bei uns vorbei, wenn du Zeit hast“, lud sie Sandra ein, doch diese hatte nur noch Augen und Ohren für das Objekt ihrer Begierde, das mit schnellen Schritten näher kam. „Gut, Sandra, wir gehen dann“, meinte Cathy schließlich. „Komm, Robbie, sehen wir uns noch das Pferd an – Robbie?“
Cathy bekam einen Riesenschreck, als sie ihn nirgendwo entdeckte. Suchend sah sie sich um, und ihr Blick blieb am Teich hängen. „O nein!“ Sie ließ die Einkaufstasche fallen und begann zu laufen. „Robbie, bleib stehen!“
Er hatte den schmalen Uferpfad verlassen und ging vorsichtig ans Wasser. Da es die ganze Nacht geregnet hatte, war der Boden sehr glitschig. Cathy rannte, so schnell sie konnte, doch da hörte sie Robbie bereits aufschreien und sah, wie er den Halt verlor und ins Wasser rutschte.
Als sie bei ihm ankam, war es ihm bereits gelungen, wieder auf die Beine zu kommen. Er stand knöcheltief im Wasser und heulte. Sie streckte ihm die Hand hin und bemühte sich, möglichst ruhig zu klingen. „Komm, Robbie, nimm meine Hand.“
„Ich kann nicht.“
„Keine Angst, ich schimpfe nicht mit dir. Nun komm schon, mein Schatz.“ Er begann weiter zu versinken. Entsetzt sah sie, wie seine Gummistiefel sich mit Wasser füllten. „Robbie, steh ganz still!“, befahl sie. „Ich komme dich holen.“
Das Wasser war kalt und schmutzig, doch das kümmerte Cathy nicht. Sie streckte die Arme nach Robbie aus und hob ihn hoch. Einen schrecklichen Moment lang verlor sie den Halt, schwankte, fing sich dann aber wieder.
„Würdest du mir Robbie abnehmen?“, sagte sie zu Sandra, die ihr ans Ufer gefolgt war. „Ich stecke im Schlamm fest.“
„Ich kann dich nicht erreichen.“ Sandra machte einen zaghaften Schritt vorwärts und blieb dann stehen. „Meine Stiefel sind ganz neu. Kannst du nicht ein kleines bisschen näher kommen?“
„Nein!“ Cathy, die ihren Sohn mit gestreckten Armen über Wasser hielt, taten bereits die Muskeln weh. „Um Himmels willen, Sandra …“
„Geben Sie ihn mir.“
Cathy blickte nach rechts und erkannte den Mann vom vergangenen Abend. Ohne auf seine Stiefel zu achten, kam er ihr im Wasser entgegen und nahm ihr Robbie ab.
„Vielen Dank!“ Nie zuvor war Cathy so erleichtert gewesen, jemanden zu sehen, dem sie ihren Sohn übergeben konnte.
Der Mann setzte den weinenden Robbie in sicherer Entfernung am Ufer ab und strich ihm sanft übers Haar. „Ist ja schon gut“, versuchte er den Kleinen zu trösten.
„Was ist mit meiner Mummy?“, schluchzte Robbie.
„Ich bin in Ordnung, Darling!“, rief Cathy. „Ich stecke nur ein wenig fest, doch das ist nicht weiter schlimm.“ Während sie ihrem Sohn aufmunternd zulächelte, fragte sie sich gleichzeitig, wie, um alles in der Welt, sie nur in eine derart idiotische Situation hatte geraten können.
„Können Sie die Füße bewegen?“
Sie versuchte es. „Nein.“ Voller Entsetzen bemerkte sie, dass sich am Ufer bereits Zuschauer anzusammeln begannen. Noch nie in ihrem Leben hatte Cathy sich so lächerlich gefühlt. Um Robbie nicht noch mehr zu ängstigen, bemühte sie sich um eine fröhliche Miene und hoffte, damit ihre Verlegenheit zu überspielen.
„Keine Angst, mein Junge.“ Der Mann ging vor Robbie in die Hocke. „Gleich wird deine Mummy wieder bei dir sein.“
„Sie machen sich ja ganz schmutzig“, wandte Cathy ein, als ihr Retter festen Schrittes durch das Wasser watete.
„Schmutz kann man abwaschen“, meinte er lächelnd. „Geben Sie mir Ihre Hand.“
Er bewegte sich mit einer Sicherheit, um die Cathy ihn beneidete. Sie legte ihre Hand in seine und spürte, wie seine Finger ihre mit festem Griff umschlossen, und im nächsten Moment hatte er Cathy auch schon aus dem Schlamm und ans Ufer gezogen.
Wie der sprichwörtliche edle Ritter in schimmernder Rüstung, ging es Cathy durch den Kopf, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Es war schon das zweite Mal, dass er ihr zu Hilfe kam und …
„Alles in Ordnung?“
Was für ein wundervolles Lächeln er hatte! Cathy atmete tief durch und nickte. „Ja, danke. Vielen herzlichen Dank“, wiederholte sie. „Ich weiß nicht, was wir ohne Sie getan hätten. Es ist mir schon richtig peinlich, dass wir Ihnen ständig Mühe machen. Gestern Abend sind Sie unseretwegen nass geworden, und heute …“ Schuldbewusst blickte sie auf seine schmutzigen Stiefel und die mit Schlamm bespritzte Hose. „Ihre ganze Kleidung ist ruiniert“, sagte sie. „Es tut mir schrecklich leid …“
„Ach was! Ich bin froh, dass ich gerade in der Nähe war und Ihnen behilflich sein konnte.“ Seine Augen funkelten amüsiert. „Außerdem hat das Ganze diesen langweiligen Samstagmorgen etwas belebt, und Ihnen wird der erste Morgen in Langforde sicher ebenfalls in unvergesslicher Erinnerung bleiben.“
Sein Blick ließ sie erschauern. Er sah wirklich außerordentlich gut aus: dunkle, von langen, dichten Wimpern umrahmte Augen, ein energisches Kinn und ein Mund, der viel Humor verriet. Unwillkürlich erwiderte Cathy sein Lächeln.
Sie war erleichtert, dass er ausgebleichte Jeans und eine abgewetzte Lederjacke trug. Offenbar legte er wie sie keinen besonderen Wert auf Kleidung – oder konnte es sich nicht leisten.
„Ihr beide kennt euch?“, meldete sich unvermittelt Sandra zu Wort, die das Geschehen mit zunehmendem Unmut verfolgt hatte.
„Nun ja, gewissermaßen …“ Cathy spürte, wie sie rot wurde.
„Ich habe gestern geholfen, einige Möbel ins Haus zu tragen.“
„Oh! Ich verstehe.“ Sandra schien darüber nicht gerade erfreut zu sein.
„Ich denke, Robbie und ich sollten uns jetzt besser auf den Weg machen“, sagte Cathy. „O verflixt!“ Sie blickte zum Dorfladen. „Beinahe hätte ich meine Einkaufstasche vergessen.“
„Warte, ich hol sie dir“, bot Sandra an. Sichtlich bestrebt, sich wenigstens jetzt nützlich zu machen, eilte sie davon.
„Nun …“ Fieberhaft überlegte Cathy, was sie sagen könnte, um nicht erneut in den Bann dieser faszinierenden dunklen Augen zu geraten. „Robbie scheint sein Abenteuer gut überstanden zu haben“, meinte sie schließlich mit Blick auf ihren Sohn, der längst zu weinen aufgehört hatte. Er stand in Socken auf dem Kiesweg und schüttete mit andächtiger Miene das Wasser aus seinen Stiefeln. „Ich heiße übrigens Cathy“, platzte sie unfreiwillig heraus. Notgedrungen, musste sie nun auch ihren Sohn vorstellen. „Und das ist Robbie.“
„Daniel.“ Lächelnd reichte er ihr die Hand. „Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“
„Ganz meinerseits.“ Cathy spürte ein sonderbares Prickeln auf der Haut, als ihre Hände sich berührten. Schnell sah sie weg und richtete den Blick auf Sandra, die inzwischen Cathys Einkaufstasche aufgelesen hatte. „Sie ist eine sehr attraktive Frau, nicht wahr?“
Er folgte ihrem Blick. „Ja, sehr.“
Cathy fragte sich, ob sie vielleicht neuerdings einen Hang zum Masochismus hatte. Anders konnte sie sich nicht erklären, weshalb sie extra auf Sandras blendende Erscheinung hinwies, neben der sie wahrscheinlich wie eine Vogelscheuche aussah.
Cathy bedankte sich, als Sandra ihr nun die Einkaufstasche reichte. Aufatmend stellte sie fest, dass niemand ihr Portemonnaie gestohlen hatte, das ihre ganze momentane Barschaft enthielt.
„Ich begleite Sie beide nach Hause.“
„Aber das ist doch nicht nötig!“, mischte sich Sandra ungefragt ein. „Ich meine“, fügte sie mit einem entschuldigenden Blick zu Daniel hinzu, „ich kann die beiden ja in meinem Wagen heimfahren.“
„Das ist sehr nett von dir“, bedankte sich Cathy, „aber wir würden dir nur das Auto schmutzig machen. Außerdem müsstest du es erst holen.“
„Sandra wohnt nur wenige Meter entfernt“, erklärte Daniel. „Es macht ihr sicher keine Umstände, den Wagen zu holen.“
„Na ja, eigentlich …“ Die Aussicht, zwei Schmutzfinken in ihrem Auto nach Hause chauffieren zu müssen, schien Sandra nicht gerade zu begeistern. „Ich wollte gerade weggehen.“
„Gut, dann gehen wir zu Fuß.“ Cathy wollte keine Hilfe in Anspruch nehmen, die nur widerwillig gegeben wurde. „Es ist ja nicht weit.“
„Ich komme mit.“
Cathy sah Daniel an. Sein entschlossener Gesichtsausdruck verriet, dass er sie notfalls auch ohne ihre Zustimmung begleiten würde. Er nahm ihr die Tasche ab. „Vielleicht macht es Robbie ja Spaß, wenn ich ihn auf den Schultern trage? Dann braucht er seine nassen Stiefel nicht mehr anzuziehen.“
Sofort hellte sich Robbies Miene auf. „O ja, Mummy, darf ich? Bitte!“ Er legte die Arme um ihre Beine. „Ich werde auch nie mehr wieder so nah an den Teich gehen!“
Cathy zögerte. „Dann wird Daniel ja noch schmutziger.“
Dieser lächelte. „Duschen muss ich so oder so.“
Auf dem Heimweg kamen Cathy plötzlich höchst sonderbare Gedanken in den Sinn. Wir sehen aus wie eine richtige … sie wagte das Wort kaum zu denken. Unter „Familie“ hatte sie immer nur Robbie und sich verstanden. Sie warf einen verstohlenen Blick auf Daniel, der sich angeregt mit ihrem auf einmal recht redseligen Sohn unterhielt.
Kein Wunder, dass Sandra in diesen Mann verliebt war. Ob die beiden wohl eng befreundet waren? Jedenfalls hatte Sandra sehr niedergeschlagen ausgesehen, als sie sich vorhin von ihr verabschiedet hatten.
Nach Daniels Meinung war der Weg zum Cottage viel zu kurz. Er stellte Robbie behutsam auf den Boden und wartete dann, bis Cathy die Tür aufgeschlossen hatte. „Nochmals vielen Dank für Ihre Mühe“, sagte sie mit einem Lächeln, als er ihr die Tasche reichte.
„Gern geschehen.“ Er hätte sie stundenlang ansehen können. Sie war so … nein, nicht direkt schön, aber dieser Kontrast von heller Haut, rotem Haar und leuchtend grünen Augen raubte ihm förmlich den Atem. Sie würde ihn doch wohl nicht an der Tür abfertigen? „Falls Sie jemals wieder Hilfe brauchen …“ Er lächelte. Warum nur fühlte er sich plötzlich befangen? Bisher hatte er noch nie Schwierigkeiten gehabt, sich mit einer Frau zu unterhalten.
„Das hoffe ich nicht! Obwohl man bei Robbie mit allem rechnen muss!“ Sie lachte. „Dabei sieht er so unschuldig aus – nicht wahr, du kleiner Racker?“
„Er ist ein großartiger Bursche.“ Daniel blickte zu dem kleinen Jungen, der auf dem Boden kniete und fasziniert beobachtete, wie eine Hummel in einem von Unkraut überwucherten Beet mit Narzissen von Blüte zu Blüte flog. „Wird er hier zur Schule gehen?“
„Ja, ab Montag.“
Schweigen.
„Wohnen Sie hier allein?“
„Allein?“
Er sah, wie sie irritiert die Stirn runzelte, hakte aber trotzdem nach. „Natürlich ist Robbie bei Ihnen, doch …“
„Ich denke nicht, dass Sie das etwas angeht!“ Sie errötete und wirkte verärgert, gleichzeitig aber auch sehr verletzlich.
„Bitte, verzeihen Sie. Ich wollte nicht neugierig sein.“ Er hob mit einer entschuldigenden Geste die Hand. „Sie haben recht. Es geht mich wirklich nichts an.“
„Nein, ich muss mich entschuldigen! Tut mir leid, ich wollte nicht unfreundlich sein. Nochmals vielen Dank … Sie waren sehr hilfsbereit.“
„Nun, dann lasse ich Sie jetzt beide am besten allein.“ Er bemerkte ihre Verlegenheit und hielt es für besser, zu gehen.„Wir werden uns sicher noch öfter über den Weg laufen.“
„Das … nehme ich an.“
Sie hatte nicht gesagt, dass sie es hoffte. Daniel verabschiedete sich von Robbie und nickte ihr dann kurz zu. Als er durch den kleinen Vorgarten zur Straße ging, hatte er das unangenehme Gefühl, dass mit ihm etwas geschah, wogegen er wehrlos war.
Kurz nachdem Cathy ihren Sohn ins Bett gebracht hatte, klingelte es an der Tür. Sie zögerte einen Moment und hoffte, es wäre Daniel. Sie wusste selbst nicht, weshalb sie heute Morgen so ausfallend geworden war, und hätte sich gern noch einmal in aller Form bei ihm entschuldigt. Mit zittriger Hand fuhr sie sich durchs Haar und ging dann entschlossen zur Tür.
„Sandra!“ Wie hatte sie nur glauben können, Daniel würde sich jemals wieder hier blicken lassen?
„Hallo, Cathy! Ich war zufällig hier in der Nähe und habe Licht bei dir gesehen.“ Sandra blickte an ihr vorbei in die Diele. „Störe ich?“
„Nein“, erwiderte Cathy nicht ganz wahrheitsgemäß, da sie noch immer am Einräumen war. „Komm herein!“ Sie hielt ihr die Tür auf. Mit ihrem schicken dunkelblauen Kostüm und den hochhackigen Schuhen wirkte Sandra in dem alten Haus völlig fehl am Platz. „Pass auf, dass du dich nicht schmutzig machst“, warnte Cathy. „Ich bin erst gestern Abend eingezogen und noch am Saubermachen.“
Sandra zeigte unverhülltes Entsetzen, als sie ihr durch die enge Diele zur Küche folgte. So schlimm sieht es nun wirklich nicht aus, dachte Cathy leicht irritiert. Vielleicht ein wenig schäbig, aber zumindest die Küche hatte sie bereits blitzsauber geschrubbt.
Argwöhnisch beäugte Sandra einen Stuhl, ehe sie sich vorsichtig darauf niederließ. „Nun, hat dein Sohn das kleine Missgeschick von heute Morgen gut überstanden?“
„O ja“, antwortete Cathy lächelnd. „Mittlerweile betrachtet er seinen Ausflug ins Wasser als großes Abenteuer. Wie wäre es mit einer Tasse Tee?“
„Vielen Dank, aber ich muss gleich wieder weg, da ich verabredet bin.“
„Du siehst toll aus“, sagte Cathy mit aufrichtiger Bewunderung. „Ein sehr hübsches Kostüm.“
„Danke.“ Sandra zögerte. „Als Daniel euch heute Morgen nach Hause begleitet hat … ist er da noch lange geblieben?“
Daher weht also der Wind!, dachte Cathy und musterte mit heimlicher Belustigung Sandras betont gleichgültige Miene. „Nein, er hat sich gleich an der Tür verabschiedet.“
„Oh!“ Es klang erleichtert.
„Er sieht sehr gut aus, nicht wahr?“, bemerkte Cathy in beiläufigem Ton.
„Ja.“
„Ist er verheiratet?“
„Nein.“ Sandra schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass er bisher jemals daran gedacht hat, sich zu binden.“
„Aber er ist sicher in festen Händen.“ Cathy lächelte.„Schwer vorstellbar, dass ihn sich noch keine Frau geangelt hat.“
„Im Moment hat er jedenfalls keine feste Freundin“, erklärte Sandra und fügte mit einem bedeutungsvollen Blick auf Cathy hinzu: „Was nicht heißt, dass er wie ein Mönch lebt. Er hat so seine Affären, ist aber sehr wählerisch, wenn es um eine längerfristige Beziehung geht. Sicher würde er sich nicht an jemanden binden, der seinen Ansprüchen nicht genügt.“
„Durchaus verständlich.“ Diesmal gab sich Cathy keine Mühe, ihre Belustigung zu verbergen. „Du scheinst gut über ihn Bescheid zu wissen. Seid ihr beide etwa …?“
„Nein!“, gab Sandra unumwunden zu. „Leider nicht. Aber ich hoffe, das wird sich ändern.“
„Er kann sehr gut mit Kindern umgehen“, meinte Cathy, die nicht wusste, was sie sonst sagen sollte. „Robbie hat ihn sofort gemocht. Obwohl er sonst Fremden gegenüber eher zurückhaltend ist, hat er sich mit ihm wie mit einem alten Bekannten unterhalten.“
„Ja, Daniel ist sehr … sozial veranlagt und immer bereit zu helfen, wenn man ihn braucht.“
Das ist wohl auf mich gemünzt, dachte Cathy.
Sandra warf einen Blick auf ihre Uhr. „Tja, ich muss los, da ich mit jemandem zum Dinner verabredet bin. Natürlich kann er Daniel nicht das Wasser reichen, aber warum sollte ich ablehnen, wenn man mir ein Essen spendiert?“
Cathy enthielt sich einer Bemerkung, doch ihr dämmerte, dass Sandras Verwandlung vom hässlichen Entlein zur verführerischen Schönen sich offenbar rein auf das Äußere beschränkte.
An der Haustür blieb Sandra kurz stehen. „Daniel ist ein sehr netter Mensch“, betonte sie erneut. „Und natürlich hat sein Verhalten auch ein wenig etwas mit Rebellion zu tun.“
„Eine interessante Mischung“, erwiderte Cathy lächelnd, obwohl sie keine Ahnung hatte, was Sandra meinte.
„Genau. Ich wollte nur, dass du dir darüber von Anfang an im Klaren bist. Nichts ist schlimmer, als wenn eine Frau sich wegen eines Mannes zur Närrin macht.“
Sandra nickte Cathy noch einmal huldvoll zu und entfernte sich dann mit klappernden Absätzen.
In tiefen Zügen atmete Cathy die frische Luft ein, als sie sich nach einem arbeitsreichen Vormittag im Haus auf den Weg zur Schule machte, um ihren Sohn abzuholen.
Was für ein herrlicher Tag! Der Himmel war tiefblau, in den Gärten spross das erste Grün, blühten Krokusse und Osterglocken. Es war genau so, wie Cathy es sich immer erträumt hatte.
Als die Schule in Sicht kam, erhielt ihre Hochstimmung einen leichten Dämpfer. Robbie fühlte sich in seiner neuen Klasse nicht wohl, und das machte ihr zu schaffen.
Vor den Schultoren warteten bereits einige Mütter, die Cathys Gruß freundlich erwiderten. Man kannte sich mittlerweile vom Sehen.
Dann schrillte auch schon die Glocke. Wenige Minuten später stürmten Kinder verschiedenen Alters aus dem Gebäude. Erwartungsvoll hielt sie nach Robbies frechem Lausbubengesicht Ausschau. Jeden Morgen gab es einen Kampf, weil er nicht zur Schule gehen wollte. Da es früher in dieser Beziehung nie Schwierigkeiten gegeben hatte, quälten sie manchmal Zweifel, ob sie ihren Sohn nicht besser in der gewohnten Umgebung hätte lassen sollen.
Das lebhafte Treiben auf dem Schulhof dauerte nicht lange. Kinder und Mütter strömten nach Hause, und bald stand Cathy allein da und wartete, dass Robbie endlich auftauchte. Sie hatte ein ungutes Gefühl, da er sonst meistens einer der Ersten war.
Gerade wollte sie sich auf die Suche nach ihm machen, da sah sie ihn. Das Herz wurde ihr schwer, denn alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass etwas passiert war. Warum sonst kam er in Begleitung seiner Lehrerin?
„Mummy! Mummy!“ Er begann zu laufen und streckte die Arme nach ihr aus – wie ein Gefangener, den man in die Freiheit entließ.
„Hallo, mein Schatz!“ Sie hob ihn hoch und schwang ihn durch die Luft. „Na, wie geht es meinem Liebling?“ Sie gab ihm einen Kuss und drückte ihn zärtlich an sich. „Alles in Ordnung?“
„Ja“, murmelte er, blickte kurz zu Miss Stubbs und barg dann das Gesicht an Cathys Schulter. „Lass uns schnell nach Hause gehen.“
„Ich würde gern mit Ihnen sprechen, Miss Taylor. Haben Sie einen Moment Zeit?“
Die Miene der ältlichen Lehrerin war alles andere als freundlich, und Cathy spürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. „Ja, natürlich.“ Sie schluckte. „Ist etwas … passiert?“
„Ich schlage vor, wir gehen hinein. Ich bespreche solche Dinge nicht gern auf dem Schulhof.“
Das klang ja wenig erfreulich. „Robbie, ich unterhalte mich noch kurz mit Miss Stubbs.“ Cathy bemühte sich, möglichst unbeschwert zu klingen. „Dann gehen wir nach Hause, ja?“
Robbie hob den Kopf und sah sie ernst an. „Ich habe die Farbe nicht absichtlich verschüttet, Mummy. Ich bin nur versehentlich mit dem Ellbogen dagegen gestoßen.“
„Schon gut, Liebling“, versuchte sie ihn zu beruhigen und drückte ihn fest an sich, ehe sie ihn aus ihren Armen entließ. Sie nahm ihn an der Hand und folgte mit ihm Miss Stubbs ins Schulgebäude. „Ich bin sicher, dass du nichts Böses getan hast, mein Schatz“, sagte sie leise.
Ohne Kinder war es in der Schule ungewohnt still. „Ich schlage vor, du spielst ein wenig im Sandkasten dort in der Ecke, Robbie, während ich mich mit deiner Mutter unterhalte“, sagte Miss Stubbs beim Betreten des Klassenzimmers.
„Ja, mach das, mein Schatz.“ Cathy gab ihrem Sohn einen liebevollen Klaps, als er bockig stehen blieb. „Es dauert nicht lange.“
„Genau darüber möchte ich mit Ihnen sprechen, Miss Taylor“, meinte die Lehrerin, sobald sich Robbie außer Hörweite befand. „Ich hatte mit Ihrem Sohn in dieser Woche große Probleme.“
„Verstehe.“ Cathy bemühte sich, ruhig zu bleiben. „Nun, ich weiß, dass er jeden Morgen nur sehr widerwillig …“
„Es geht nicht nur darum!“, unterbrach die Lehrerin sie scharf. „Es tut mir leid, Ihnen das sagen zu müssen, aber Ihr Sohn ist sehr aufsässig und übt auf die Klasse einen schlechten Einfluss aus!“
„Oh!“ Cathy wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. „Ich weiß, dass er sich nur schwer eingewöhnt“, versuchte sie Robbie zu entschuldigen. „Mitten im Schuljahr zu wechseln ist nicht einfach.“
„Daran hätten Sie vor dem Umzug denken müssen!“, rügte Miss Stubbs streng. „Doch ich glaube, die Hauptursache für sein Benehmen liegt woanders“, fuhr sie fort. „Ich habe den Eindruck, dass ihm zu Hause keine Disziplin vermittelt wird.“
„Disziplin?“, wiederholte Cathy und dachte an Robbies frühere Lehrerin, eine fröhliche junge Frau, die wundervoll mit Kindern umzugehen verstand. „Zu Hause ist er eigentlich selten ungezogen.“
„Sie sind alleinerziehend, nicht wahr?“
Jetzt reicht es aber!, dachte Cathy und zwang sich, Miss Stubbs direkt in die Augen zu sehen. „Ich verstehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat?“
„Meiner Meinung nach besteht da durchaus ein Zusammenhang“, beharrte Miss Stubbs mit dünnem Lächeln. „Immer wieder erlebe ich, dass ich mit meinen Bemühungen scheitere, den Kindern Disziplin und bestimmte Wertvorstellungen zu vermitteln. Und schuld daran ist das Elternhaus. Ich bin sicher, dass Sie Ihr Bestes versuchen“, kam sie Cathys Protest zuvor, „aber Jungen brauchen eine starke Hand. Hier im Dorf haben wir natürlich nur wenige Familien mit nur einem Elternteil. Soweit ich weiß, haben Sie vorher in einem Stadtteil mit gewissen … sozialen Brennpunkten gewohnt.“
„Mein Sohn hat sich in der dortigen Schule sehr wohl gefühlt!“
„Ja, das hat er mir bereits erzählt. Hoffen wir, dass er sich hier schnell eingewöhnt. Allerdings zeigt er wenig Interesse an der schönen Umgebung. Als ich heute den Kindern auftrug, etwas aus dem Dorf zu zeichnen, hat er das Haus gemalt, in dem er vor seinem Umzug gewohnt hat.“
„Er vermisst eben sein altes Zuhause. Das ist doch verständlich!“, entgegnete Cathy, von Schuldgefühlen gepeinigt. „Meine Güte, er ist doch erst fünf und …“
„Miss Stubbs, habe ich vielleicht meine Aktentasche bei Ihnen gelassen?“
Beim Klang der vertrauten tiefen Stimme fuhr Cathy herum. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte sie an Wunschdenken, sich nur einzubilden, ihr Retter wäre wieder einmal in höchster Not zur Stelle. Doch er war es tatsächlich und füllte in seiner ganzen imponierenden Größe den Türrahmen.
„Oh, Verzeihung! Ich wusste nicht, dass noch jemand hier ist.“ Sein Lächeln vertiefte sich, als er Cathy erkannte. „Hallo, wie geht’s?“ Er bemerkte ihre niedergeschlagene Miene, und sein Blick schweifte zu Miss Stubbs und zurück zu Cathy. „Alles in Ordnung?“
„Miss Taylor und ich unterhalten uns nur ein wenig über Robbie“, erklärte die Lehrerin in überraschend freundlichem Ton. „Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste. Sie suchen Ihre Aktentasche, sagten Sie?“ Sie ließ den Blick durchs Klassenzimmer schweifen. „Da drüben ist sie ja. Links neben meinem Pult.“
„Ach ja, danke.“ Raschen Schrittes durchquerte er das Zimmer, um sie zu holen. Auch heute trug er wieder ausgeblichene Jeans, dazu ein einfaches weißes T-Shirt, in dem sein athletischer Körperbau besonders gut zur Geltung kam. „Tut mir leid für die Störung.“
„Das macht doch nichts.“ Wie strahlend Miss Stubbs auf einmal lächeln konnte – bis ihr Blick auf Robbie fiel. „Um Himmels willen, Robbie, du machst ja alles schmutzig!“, schimpfte sie.
Cathy hielt es hier keinen Moment mehr länger aus. „Komm, Robbie, wir gehen.“
„Aber Miss Taylor, wir haben unser Gespräch noch nicht beendet.“
„Ich denke doch, Miss Stubbs. Meiner Meinung nach haben Sie alles gesagt, was zu sagen war.“ Zwar konnte Cathy nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte, aber zumindest vermochte sie die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. „Klopf dir den Sand ab, Liebling.“
„Miss Taylor! Wir sind noch zu keinem befriedigenden Ergebnis gelangt und müssen miteinander reden.“
„Worüber denn? Über Ihre Vorbehalte gegenüber alleinerziehenden Müttern?“ Irgendwie fühlte Cathy sich durch Daniels Anwesenheit ermutigt, und sie musterte die Lehrerin mit unverhohlener Abneigung. „Ich versuche, meinen Sohn nach bestem Wissen und Gewissen zu erziehen, Miss Stubbs. Mehr kann ich leider nicht tun. Komm, Robbie, wir gehen nach Hause.“ Sie nahm ihren Sohn an der Hand und ging mit ihm zur Tür.
„Miss Taylor …!“
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ Cathy mit Robbie das Klassenzimmer und machte die Tür hinter sich zu. Draußen auf dem Gang kam jäh die Ernüchterung. Hätte sie sich ihrem Sohn zuliebe nicht besser beherrschen sollen?
Armer Robbie! Der Gedanke, dass er diese griesgrämige Frau täglich mehrere Stunden ertragen musste, verstärkte noch Cathys Gewissensbisse.
Als könnte er Gedanken lesen, sagte er: „Sie ist nicht nett, Mummy! Warum kann sie nicht lachen und lustig sein wie Miss Collins?“
Cathy unterdrückte einen Seufzer. „Ich weiß es nicht, mein Schatz.“ Sie hörte Stimmen hinter der Tür und hätte gern gewusst, worüber Daniel und Miss Stubbs sich unterhielten.
„Daniel mag ich“, erklärte ihr Sohn auf dem Weg zum Ausgang. „Wir haben bei ihm Häuser gemalt. Das hat riesigen Spaß gemacht. Daniel hat mein Bild gefallen. Wenn du willst, zeige ich es dir noch schnell.“
„Ich glaube, ich sehe es mir lieber am Montag an. Einverstanden?“
„Montag haben wir schulfrei!“, verkündete Robbie fröhlich. „Und Dienstag auch.“ Er zog einen zerknitterten Zettel aus der Hosentasche und reichte ihn seiner Mutter. „Es steht alles hier drauf.“
Cathy glättete das Papier und las, dass die Schule wegen dringender Reparaturarbeiten am Dach Montag und Dienstag geschlossen sein würde. Sie blickte lächelnd zu Robbie hinunter. „Da können wir zwei ja ein schönes langes Wochenende miteinander feiern. Lass uns überlegen, was wir alles machen wollen.“
„Cathy, warten Sie!“, hörte sie plötzlich Daniel hinter sich rufen.
Robbie und sie blieben stehen und drehten sich um. Unwillkürlich begann Cathys Herz, schneller zu klopfen.
„Alles in Ordnung?“, fragte er, sobald er sie eingeholt hatte.
Cathy rang sich ein schwaches Lächeln ab. „Nun ja, es ist nicht sehr angenehm, wenn einem gesagt wird, man sei als Mutter unzulänglich.“
„Das hat sie gesagt?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie sollten es nicht so ernst nehmen. Sie ist ein alter Drachen und außerdem ein schrecklicher Snob.“ Sein Blick fiel auf Robbie. „Was hältst du davon, wenn ich euch in meinem Landrover nach Hause fahre, Sportsfreund?“
„O ja!“, rief Robbie und begann aufgeregt zu hüpfen. „Wir fahren mit dem Landrover! Wir fahren mit dem Landrover!“, sang er.
Cathy lachte. „Was machen Sie eigentlich hier? Sind Sie Lehrer?“
„Du lieber Himmel, nein!“ Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Ich helfe nur einen Tag in der Woche aus. Es gibt hier niemanden für den Kunstunterricht, und da habe ich eben“, er zuckte die breiten Schultern, „meine Hilfe angeboten.“
„Vermutlich werden Sie dafür nicht einmal bezahlt.“
„Nein.“ Daniel hielt Cathy und Robbie die Eingangstür auf, und die beiden traten in die frische Frühlingsluft hinaus. „Ich mache das aus reiner Liebe für Leute wie Miss Stubbs“, fügte er trocken hinzu.
„Vorsicht!“, flüsterte Cathy und sah über seine Schulter. Rasch blickte er sich um. „Ertappt!“, rief sie lachend. „Mir erzählen Sie, ich soll Miss Stubbs nicht ernst nehmen, dabei fürchten Sie sie ebenfalls.“
Er folgte ihr nach draußen. „Okay, ich gebe zu, dass ich entsetzliche Angst vor ihr habe.“ Seine Augen funkelten belustigt. „Ganz schön hinterhältig von Ihnen, mir einen solchen Schrecken einzujagen. Mein Herz schlägt wie verrückt.“ Er griff spontan nach ihrer Hand. „Fühlen Sie selbst.“
Die Berührung wirkte wie ein Stromschlag auf Cathy. Sie spürte unter ihren gespreizten Fingern seine harten Muskeln, und ihr Puls begann zu rasen. Was war plötzlich mit ihr los? Wahrscheinlich sind nach dem Gespräch mit Miss Stubbs nur meine Nerven ein wenig überreizt, versuchte sie sich einzureden.
„Merken Sie jetzt, was Sie mir angetan haben?“ Daniels dunkle Augen glitzerten.
„Tut mir wirklich leid.“ Sie vermochte den Blick nicht von seinem zu lösen.
„Oh, ich kann damit leben.“ Er lächelte.
„Mummy?“ Jemand zupfte Cathy am Ärmel. Jäh ließ sie die Hand sinken und sah zu ihrem Sohn hinunter. „Lass uns doch endlich in den Landrover steigen!“, drängelte er.
„Macht es Ihnen auch wirklich keine Umstände?“, fragte Cathy, als sie vor dem alles andere als blitzsauberen Wagen standen.
„Falls ja, hätte ich es Ihnen nicht angeboten“, tat Daniel ihren Einwand ab. „Warten Sie, die Tür klemmt.“ Er zog die Beifahrertür mit einem kräftigen Ruck auf und lächelte schuldbewusst. „Ich sollte den Wagen wirklich einmal in die Werkstatt bringen, weil alles Mögliche nicht mehr richtig funktioniert.“ Er hob Robbie auf den Beifahrersitz und trat dann beiseite, um Cathy einsteigen zu lassen. „Aber Sie wissen ja, wie das ist.“
„Und ob!“, bestätigte Cathy und seufzte. Vermutlich musste er wie sie jeden Penny umdrehen. „Immer Ärger mit dem Geld, stimmt’s?“ Sie lächelte. „Vor allem, wenn man keines hat! Wie kommen Sie eigentlich zurecht, da Sie auch noch einen Tag pro Woche der Schule opfern?“
„Oh, das geht schon. Ich kann mir meine Zeit frei einteilen.“
„Sind Sie arbeitslos?“
Er runzelte die Stirn, und Cathy wurde feuerrot. „Tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.“ Wie hatte sie nur so taktlos sein können!
„Arbeitslos?“, wiederholte er bestürzt, doch dann hellte sich seine Miene auf. „Nein, nein, das bin ich nicht.“ Er lächelte. „Obgleich manche es vielleicht so nennen würden. Ich versuche mich als Maler.“
„Außenanstrich oder Zimmerwände?“, fragte Cathy.
Um seine Mundwinkel zuckte es. „Aquarelle und Ölgemälde.“
„Sie sind richtiger Künstler?“ Cathy war begeistert. „Das ist ja wundervoll! Was für Bilder malen Sie?“
„Porträts, Landschaften – alles, was mein Interesse weckt.“ Daniel lenkte den Wagen von dem kleinen Parkplatz der Schule auf die Straße.
„Und Sie können davon leben?“ Cathy sah, wie er die Brauen zusammenzog. „Bitte, verzeihen Sie, dass ich ständig die falschen Fragen stelle“, entschuldigte sie sich schnell. „Ich bin nur so froh, mit jemandem reden zu können, der weiß, was es heißt, wenig Geld zu haben.“ Ihr Blick fiel auf die gepflegten Villen, an denen sie soeben vorbeifuhren. „Den Leuten hier in der Gegend scheint es finanziell sehr gut zu gehen.“
„Das stimmt. Langforde ist ein recht wohlhabender Ort mit vielen reichen Pensionären.“
„Verkaufen sich Ihre Bilder gut?“
„Es geht so“, antwortete Daniel. „Der Umsatz schwankt. Das liegt auch daran, dass ich mich nur ungern von ihnen trenne. Um wirklich voranzukommen, müsste ich mehr Zeit in alles investieren.“
„So ähnlich geht es mir auch mit meinen kleinen Basteleien“, sagte Cathy. „Bisher habe ich mich nur halbherzig damit beschäftigt, doch das soll sich in Zukunft ändern.“
„Was für Basteleien?“ Er warf ihr einen neugierigen Blick zu. „Klingt interessant.“
Cathy spürte, wie sie errötete. „Ach, es sind nur kleine Dinge für den Garten.“ Normalerweise sprach sie mit niemandem darüber. „Futterhäuschen für Vögel, Pflanzentöpfe, Briefkästen und dergleichen. Nichts Besonderes.“
„Und Sie verkaufen diese Sachen?“
„Im Moment verdiene ich damit nur hin und wieder ein paar Pfund.“ Sie zögerte. „Deshalb haben Miss Stubbs’ abfällige Bemerkungen mich ja auch so getroffen. Ich fühle mich selbst oft so … unzulänglich.“ Unwillkürlich blickte sie an ihrem verwaschenen Overall hinunter. „Haben Sie auch manchmal das Gefühl, dass die Leute auf Sie herabsehen, weil Sie arm sind?“