Birken im Sturm - Hans Ernst - E-Book

Birken im Sturm E-Book

Hans Ernst

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Beschreibung

Rasso, der Hoferbe des Luiserhofs, will Lisa Harlander heiraten. Daher ist die Empörung im Dorf groß, als bekannt wird, dass der junge Bauer ein Mädchen verführt haben soll, das im Sommer als Feriengast auf dem Hof war. Da Lisa jedoch auf den Luiserhof nicht verzichten will, löst sie sich von Rasso und heiratet seinen Bruder Martin. Doch wie sich herausstellt, war Rasso unschuldig.

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LESEPROBE ZU

Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2004

© 2018 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim

www.rosenheimer.com

Titelbild: Andreas Strauß, Au b. Bad Aibling

Bearbeitung, Lektorat und Satz: VerlagsService Dr. Helmut Neuberger & Karl Schaumann GmbH, Heimstetten

eISBN 978-3-475-54797-3 (epub)

Worum geht es im Buch?

Hans Ernst

Birken im Sturm

Rasso, der Hoferbe des Luiserhofs, will Lisa Harlander heiraten. Daher ist die Empörung im Dorf groß, als bekannt wird, dass der junge Bauer ein Mädchen verführt haben soll, das im Sommer als Feriengast auf dem Hof war. Da Lisa jedoch auf den Luiserhof nicht verzichten will, löst sie sich von Rasso und heiratet seinen Bruder Martin. Doch wie sich herausstellt, war Rasso unschuldig.

Mit goldenem Glanz liegt der Sonntagnachmittag über der Hügellandschaft. Sind es fünfzig Hügel oder hundert? Wer hat sie jemals gezählt in diesem Wellental, das sich dem Auge bietet, wenn man auf der Ratzinger Höhe steht und die Augen über die Landschaft gleiten lässt.

Noch dazu war es gerade Frühling. Alles stand in bräutlichem Schmuck, die blühenden Obstbäume in den Bauerngärten, die weißen Birken im Moor, die sich von den dunklen Fichten und Föhren leuchtend abhoben. In den Gärten blühten Tulpen und auf den Wiesen Löwenzahn. Wie ein großes Auge lag der See in der Tiefe. Ein paar Segelboote schaukelten langsam auf dem Wasser dahin, sonst tat sich aber noch nicht viel um diese Zeit. Zum Baden war das Wasser noch zu kalt, denn der Kalender hatte gerade die drei Eisheiligen und die kalte Sophie hinter sich gebracht. In den Bergen hatte es sogar noch einmal bis auf fünfzehnhundert Meter herunter geschneit. Wie verzuckert sahen die Gipfel aus.

Die Stille dieses Nachmittags war unterbrochen vom Rollen der Kugeln auf der Kegelbahn beim Kuglerwirt zu Laufham. Nur manchmal, wenn es für eine kleine Weile still war, hörte man vom nahen Wald herüber einen Kuckuck rufen oder den dünnen Schlag der Kirchenuhr.

Zehn junge Burschen waren in der Kegelbahn, die neben dem Gasthaus unter alten Kastanienbäumen stand. Die zwei Luiserbuben von Jakobsöd, die drei vom Stögerbauern, der Schmied Hilarius, der Weindl Sepp, der Gemeindesekretär Alfons Angerer und die beiden Metzger vom Kuglerwirt.

Die Ärmel des weißen Leinenhemdes aufgekrempelt stand der Luiser Rasso vorne am Laden. Die Kugel in der Hand nahm er mit schmalen Augen den rechten Saunagel ins Visier, den vor ihm zwei andere schon verfehlt hatten. Dann bückte er sich ein wenig und wie aus einem Rohr geschossen rollte die Kugel hinaus und fegte den rechten äußeren Kegel hinunter.

Schmunzelnd drehte sich Rasso um und sagte trocken:

»So schreibt man beim Dambosi!«

Sein zweiter Schub ging ins volle Haus. Ein wunderschöner Siebnerschub. Nur mehr der König und der rechte Paarer standen.

»Scheib jetzt bloß nicht den König um!«, drohte Rasso dem Angerer Alfons, der nach ihm anstand. »Da kannst du einen Zwölfer draus machen. Schau dir nur den Paarer gut an und leg die Kugel weit vor.«

Der Alfons schaute sich den Paarer genau an und schob prompt den König weg. Der Rasso blies die Backen auf und schnaubte:

»Gibt’s denn so was auch? Du wirst so ein Nachtwächter sein! Wenn ich sag, er soll den Paarer wegputzen, schreibt er den König weg! Geht der Kerl drei Jahr in die Handelsschule und kann nicht einmal einen König von einem Paarer unterscheiden! Du darfst dir dein Schulgeld wieder auszahlen lassen!«

Alle lachten. Auch der Alfons lachte herzlich mit. Man kannte ja den Rasso und seine Sprüche. Ein Mundwerk hatte der schon, aber niemand konnte ihm deswegen böse sein. In seinem beißenden Spott lag immer zugleich etwas Versöhnliches und er stieß auch jetzt wieder den Alfons gutmütig lachend gegen die Schulter.

»Mach dir nichts draus, Alfons! Es ist noch nie ein Gelernter vom Himmel gefallen.«

Dann nahm er sein Bierkrügl und nahm einen herzhaften Schluck. Sein Bruder Martin stand jetzt an und fehlte den Paarer gleich zweimal. Rasso verdrehte die Augen, schaute zu den Balken hinauf und schüttelte verständnislos den Kopf.

»Und so was ist mein Bruder! Da hat die Mutter was Sauberes aufgezogen! Für dich wär’s auch gescheiter, du trägst die Kugel bis knapp vor den Kegel hin! Da muss ich direkt ein paar Würst essen jetzt, sonst wird mir schlecht.«

Das fiel ihm gerade so ein, weil die Bedienung wieder einmal vom Gasthaus herübergelaufen kam um nachzusehen.

»Hat noch jeder Bier oder geht sonst was ab?«, fragte sie, unter der Tür stehen bleibend.

»Einen Wurstsalat mag ich, mit viel Zwiebeln!«, schrie Rasso, trank aus und klappte scheppernd den Zinndeckel seines Krügels zu. »Und da darfst auch noch mal einschenken.«

Alle anderen riefen ihr nun fast gleichzeitig weitere Bestellungen zu. Die Moni nahm ihren Block und notierte, was sie in dem Durcheinander aufschnappte. Dann wiederholte sie die Bestellung und fragte nochmals:

»Kriegt noch jemand was?«

»Ich kriege schon noch was«, flüsterte Rasso, der plötzlich neben ihr stand.

»Was denn?«, fragte die Moni und drehte ihm das Gesicht zu. Sie sah in seine Augen, in denen sich alles spiegelte, was in ihm war an überschäumender Lebenslust.

»Wenn du’s genau wissen willst, Moni«, sagte er gedehnt und schaute demonstrativ auf die Armbanduhr, »so zwischen zehn und elf Uhr nachts einen herzhaften Kuss, wenn’s geht.«

Die Moni schenkte ihm einen funkelnden Blick.

»Und sonst bist du gesund?«

»Und wie!«, beteuerte er, legte ihr den Arm um die Hüften und flüsterte nahe an ihrem Ohr: »Lass heut, wenn Polizeistunde war bei euch, die hintere Haustür offen, dann zeig ich dir, wie gesund ich bin.«

»Das könnte dir so passen!«

»Dir vielleicht nicht?«

»Wenn man dir nur einmal im Leben was glauben könnt, Rasso!«

»Sei so gut!«, spielte er den Entrüsteten. »Ich bin der ehrlichste Mensch auf der Welt!«

»Ja, dort, wo sie mit Brettern vernagelt ist! Sei gescheit, Rasso, das hat ja doch keinen Sinn. – Also, was war jetzt alles? Dreimal Aufschnitt, viermal Wurstsalat und sechs Halbe Bier.«

Dann rannte sie fort, dass der Rock locker um ihre Beine flatterte. Rasso schaute ihr blinzelnd nach.

»Du kommst dran, Rasso!«, schrie einer.

Rasso nahm eine Kugel, visierte scharf und schob einen sauberen Kranz.

Der schöne Tag neigte sich allmählich dem Abend zu. Die feinen Schleierwolken hatten schon gelblichen Glanz. Ein leiser Wind war aufgekommen und rauschte in den Kastanienbäumen. In der Kegelbahn war immer noch Hochbetrieb. Der Luiser Martin griff nach seiner Joppe, die am Haken neben der Schreibtafel hing, und fragte seinen Bruder Rasso:

»Trifft mich heut das Eingrasen oder dich, Rasso?«

Rasso dachte einen Augenblick nach und gab zu:

»Heut bin ich an der Reihe.«

Der Zwillingsbruder hängte seine Joppe wieder auf und stellte fest: »Dann musst du dich auf die Füße machen, Rasso.«

Martin glich seinem Bruder in Aussehen und Gestalt aufs Haar. Nur hatte er auf der rechten Wange eine deutlich sichtbare Narbe, die von einem Sturz von der Tenne herrührte, sodass man immer gleich wusste, wer der Rasso und wer der Martin war. In ihrem Wesen freilich waren die beiden grundverschieden. Der Martin war bedächtig und nicht so redegewandt. Ihm fehlte das Draufgängerische und Rasso sagte immer:

»Man merkt halt doch, dass du zwei Stunden nach mir auf die Welt kommen bist! Du hast halt noch nicht so viel mitgekriegt wie ich.«

»Mir langt es«, sagte dann der Martin und man wusste nie, ob diese Gleichgültigkeit gespielt war oder ob er sich heimlich ärgerte. Er ging nie so richtig aus sich heraus und manchmal glomm in seinen Augen etwas auf wie Neid oder ein verborgener Grimm, weil er die Überlegenheit des Bruders spürte. Die körperliche wie die geistige.

Seufzend hatte nun Rasso seine Joppe angezogen und wollte schon heimgehen, als auf der Straße ein groß gewachsenes Mädel ein Fahrrad vorbeischob. Zuerst blinzelte Rasso ein wenig, dann pfiff er leise durch die Zähne. »Die kenn ich doch?«

Noch mal maß sein Blick die schlanke Gestalt da draußen, dann drehte er den Kopf zu seinem Bruder um.

»Martin, wenn die Moni kommt, leg derweil meine Zeche aus. Ich hab jetzt was anderes zu tun.«

Verdrossen sah der Martin ihm nach und brummte: »So macht er es jedes Mal, wenn er einen fremden Rock sieht! Ich kann jetzt heimgehen und mich für ihn auf den Bulldog setzen.«

Nun, gar so fremd war der »Rock« da draußen dem Rasso nicht. Er hatte bloß ihren Namen vergessen und auch, woher sie stammte. Aber das war für ihn weiter nicht schlimm. Er müsste nicht der Luiserhofer Rasso sein, der Draufgänger, der Hansdampf in allen Gassen, wenn er nicht gewusst hätte, wie man die Gleise legte, damit der Zug auch fuhr. Er trat auf die Straße, setzte sein gewinnendstes Lächeln auf und sagte:

»Ja, wen sehen denn da meine blitzblanken Augen? So ein Zufall! Man darf doch wirklich was drauf geben: Heute früh beim Hochamt ist mir ein Markstück hinuntergefallen, mit dem Adler nach oben, und das bedeutet, dass man noch was Liebes zu sehen kriegt, bevor an dem Tag die Sonn untergeht.«

Das Mädchen sah ihn mit schief gehaltenem Kopf an, Misstrauen und Heiterkeit zugleich in den nussbraunen Augen, über denen sich schön geschwungene Brauen spannten. Ihr Gesicht und die halb nackten Arme waren von der Frühlingssonne gebräunt. Knapp umspannten enge Jeans die schmalen Hüften. Das weite weiße T-Shirt stand am Hals ein wenig offen und man konnte das goldene Kettchen mit einem Kreuz daran am schlanken Hals schimmern sehen. Über der Lenkstange, die sie mit beiden Händen hielt, hing eine weiße Windjacke.

»Ja, was seh ich denn da«, staunte Rasso. »Du hast ja einen Platten im Hinterreifen!«

»Ich muss mir einen Nagel hineingefahren haben«, seufzte sie. »Und am Sonntag findest du ja keinen Mechaniker, der einem das Radl flickt.«

»Ja, das ist ein Kreuz heutzutag«, bestätigte Rasso. »Hast du denn kein Flickzeug dabei?«

»Leider nein.«

»Sonst hätt ich das schnell in Ordnung gehabt.«

Zum ersten Mal sah er es in ihren Augen aufleuchten.

»Hättest du das wirklich gemacht?«

»Warum denn nicht? Da ist doch nichts dabei. Für ein so schönes Mädl könnt ich sogar mein Herzblut opfern.«

Sie lachte hell auf.

»So schaust du grad aus!«

Rasso machte recht ernste Augen und tat empört. »Da kennst du mich aber schlecht!«

»Jetzt hast du ausnahmsweise einmal die Wahrheit gesagt. Ich kenne dich nämlich wirklich schlecht.«

»Das lässt sich ganz leicht nachholen, wenn du ein bissel Wert drauf legst.«

Sie wiegte den Kopf hin und her und sah ihn forschend an, so, als ob sie ihn mit diesem Blick ergründen wollte. Tapfer hielt er ihrem Blick stand. Das fiel ihm niemals schwer, wenn er wollte.

»Das kann man ja nie wissen«, meinte sie viel sagend.

Also legt sie Wert darauf, stellte er bei sich fest. Dann drehte er wie in Unbehagen das Gesicht über die Schulter. In der Kegelbahn war es ganz still geworden. Hinter dem staubbedeckten Fenster sah man die grinsenden Gesichter.

»Schau nur grad, wie sie gaffen, die Hammeln, die neugierigen! Der pure Neid, sag ich dir! Komm, ich begleite dich ein Stückl, wenn’s dir recht ist.«

Es war ihr recht. Ganz langsam gingen sie dahin. Rasso hatte ihr galanterweise das Fahrrad abgenommen und sie sagte auch nichts, als er von der Straße auf einen Fußweg abbog, der zum See hinunter führte.

»Wenn ich nur grad wüsst, wie sie heißt«, dachte er verzweifelt und beschloss schon sie gespreizt als »schöne Jungfrau« anzureden, als sie ihm ungewollt auf die Spur half.

»In Prien auf der Stubecker Hochzeit«, sagte sie, »da hab ich dich zum ersten Mal gesehen.«

»Ganz richtig«, nickte er, als hätte er das längst gewusst. Immerhin konnte er sich jetzt vage an sie erinnern. »Da hab ich dich auch zum ersten Mal gesehen.«

Der Weg war schmaler geworden. Sie mussten hintereinander gehen und Rasso hatte nun Gelegenheit ihre Figur zu bewundern. Wie aufrecht sie den Kopf trug, wie schmal sie um die Hüften war, wie locker und frei ihr Schritt! Das Sonnenlicht schimmerte in ihrem nussbraunen Haar. »Schöner kann’s der Herrgott gar nicht wachsen lassen«, dachte Rasso.

»Damals«, erzählte sie weiter, »damals hast du ja bloß Augen gehabt für die Pentner Maria. Mit knapper Not, dass du einmal mit mir getanzt hast.«

»Wo hab ich denn damals bloß meine Augen gehabt«, dachte er und antwortete frech:

»Gib zu: Du warst selten frei. Ein paar Mal wollt ich dich holen, aber um dich waren sie ja herum wie die Wespen!«

»Ja, das ist wahr«, lachte sie dunkel. »Selten hab ich so viel getanzt wie auf der Stubecker Hochzeit.«

»Wie seid denn ihr überhaupt verwandt mit dem Stubecker?«

»Die Stubeckerin ist eine Schwester von meinem Vater.«

»Aha! Und wir, glaub ich, sind von dritter Seite her verschwägert. So genau kenn ich mich nicht aus in unserer Verwandtschaft. Aber die Pentner Maria, auf die du vorhin angespielt hast, ist meine Cousine.«

»Für eine Cousine hast du sie aber ganz schön hergedrückt.«

»Au, au, au! Die hat aber genau aufgepasst«, dachte Rasso, buchte es aber gleich als ein Plus für sich und fragte:

»Hast du denn so genau Obacht gegeben?«

»Ja, die Harlander Lisa sieht manches, wenn sie nur will.«

Da schau her! So leicht war es gegangen! Jetzt wusste er, wie sie hieß, und sagte gleich:

»Ich will dir einmal was sagen, Lisa. Die Pentner Maria ist mir halt zugestellt gewesen als Kranzljungfrau, du weißt ja, wie das so geht auf solchen Hochzeiten. Und wenn ich schon einmal eine Aufgabe übernehm, dann übernehm ich sie richtig oder gar nicht. Da kenn ich nichts. Gelangweilt hast du dich ja auch nicht und ich wette meinen Kopf, Lisa, dass du gar nicht weißt, wer ich bin.«

Sie blieb stehen, sah ihn an und lachte.

»Als ob man den Luiserhofer Rasso nicht überall kennen tät wie Falschgeld!«

»Sei so gut! Du musst einen ganz netten Begriff von mir haben. Dabei gibt es keinen braveren Menschen als mich.«

»Wenn du schläfst vielleicht, und selbst dann wird es nicht gewiss sein!«

»Möchtest mich gern einmal schlafen sehen?«, fragte er und riskierte einen seiner schmachtenden Blicke.

»Auf das Vergnügen möcht ich verzichten. Es hat doch kaum eine Rauferei gegeben, bei der du nicht dabei warst. Und von deinen Liebesgeschichten hat man so viel gehört, dass ich mich oft gefragt hab, was denn das bloß für ein Mensch ist!«

»Ach«, lachte Rasso, »geredet wird viel, wenn der Tag lang ist! Und alles muss ja nicht wahr sein.«

»Da hast du Recht. Ich hab auch nicht alles geglaubt. Es langt ja auch, wenn nur die Hälfte wahr ist. Übrigens, wo sind wir jetzt überhaupt und wo führt der Weg eigentlich hin?«

Der Rasso sah sie an, recht lange, als überlege er, ob er bei diesem Mädchen mit seinem üblichen Gerede ankommen könne. Aber irgendetwas warnte ihn. War es der tiefe Glanz in ihren Augen oder die Strenge ihres Gesichts, über das es nur manchmal wie Sonnenleuchten hinhuschte? So reimte er sich also etwas zusammen und sagte mit Pathos:

»Der Weg könnte ins Paradies führen. Aber dort steht ein gewisser Apfelbaum und am Ende der Engel mit dem Feuerschwert.« Dann seufzte er und schaute auf den See hinaus, in dem die Millionen kleiner Wellen vom Abendrot angehaucht waren. Ein leiser Wind rauschte im hohen Schilf und ein paar Enten flitzten geschäftig am Ufer hin.

»Ich rede wahrscheinlich einen Blödsinn daher«, meinte er dann.

»Mir gefällt, was du sagst. Es ist einmal was anderes. Kennst du noch mehr so schöne Sprüch?«

Es zeigten sich wieder die zwei Grübchen in seinen Wangen, die ihn oftmals schon so unwiderstehlich gemacht hatten.

»Das kommt grad drauf an, wie lange du Zeit hast. Musst du nicht zum Stallarbeiten heim?«

Sie schüttelte den Kopf und sah durch die schlanken weißen Birkenstämme hindurch nach Süden, wo über die Bergspitzen das Abendrot flutete. Das Haus auf der Kampenwand war wie in eine rote Lichtquelle getaucht. Groß und still stand der Abend nun über dem See und dem Moor. Die kleinen Birkenblätter bewegten sich im flirrenden Spiel. Zum Schluss blieb ihr Blick auf einer verwitterten Bank haften, die etwas abseits unter einer Buche stand.

»Das Melken übernehmen heut meine Eltern und mein jüngerer Bruder Stefan«, sagte sie dann und sah Rasso wieder an.

»Das heißt also, dass du noch ein bissel Zeit hast?«, meinte Rasso und schob entschlossen das Fahrrad auf die Bank zu.

»Aber eine gute Stunde Fußmarsch wird es schon sein bis zu unserm Hof. Und mir scheint, es will schon Nacht werden.«

»Das dauert schon noch eine Weile. Oder hast du etwa Angst?«

»Vor wem denn? Du wirst mir nicht gleich was tun.«

»Höchstens was Liebes«, sagte er schon wieder frech, klappte den Fahrradständer herunter und stellte das Rad mitten auf dem Weg ab.

So saßen sie eine Weile. Von irgendwoher läutete eine Glocke zur Maiandacht, Lisa hatte die Hände im Schoß verschlungen und die Füße überkreuzt. Rasso griff nach ihren Händen und hielt sie fest.

»Ja, ja, Lisa«, sagte er zärtlich, als fühlte er, dass zu ihrer kraftvollen Gestalt und zu ihrem ganzen Wesen das verspielte »Liserl« nicht passe. »Da hat uns also heut der Zufall zusammengeführt und das ist genau das, was ich mir immer gewünscht hab. Der Zufall, hab ich mir immer gedacht, müsste dich halt mit dem Mädl einmal zusammenführen.«

»Im Ernst?«

»Ja glaubst du denn, dass ich dich anlügen könnt? Wo ich Ostern erst beim Beichten gewesen bin.«

»Nächste Woche ist schon Pfingsten. Ich möcht nicht wissen, wie oft du in der Zwischenzeit schon gelogen hast.«

»Unbewusst vielleicht«, gab er zu und machte recht brave Augen. »Und das ist keine Sünde.«

»Was ist denn bei dir überhaupt eine Sünde?«, fragte sie, schob aber dabei ihre Hand tiefer in die seine.

»Das kommt drauf an, was du darüber denkst.« Er rückte näher an sie heran. »Wenn ich dir jetzt zum Beispiel ein Bussl geben tät, das wär doch ganz gewiss keine Sünd, oder?«

»Ganz gewiss nicht – vorausgesetzt, dass ich auch eins möcht von dir.«

»Selbstverständlich vorausgesetzt. Ein gestohlenes möcht ich gar nicht.«

Schweigen. Von den Weiden hörte man die Kuhglocken und ganz fern rief ein Kuckuck in die aufsteigende Nacht hinein. Es war gerade noch hell genug, dass Rasso sein Taschenmesser ziehen und ein Herz in die Buchenrinde schnitzen konnte und die Buchstaben »R. L. u. L. H.«.

Die Lisa sagte zuerst gar nichts und ließ sich erst später einfallen: »Hab gar nicht gedacht, dass du so romantisch bist. Aber wenn das jemand sieht!«

»Weiß er immer noch nicht, um wen es sich handelt. Auf alle Fälle, ich werde nie mehr daran vorbeigehen, ohne dass ich an dich denke.«

»Recht oft wirst du ja da nicht vorbeikommen?«

»Sag das nicht! Die Streuwiese da drüben gehört uns.«

Auf der anderen Seeseite und am Weinberg brannten schon die ersten Lichter. Der Wind hatte sich gelegt und es wurde wundersam still unter den weißen Birkenstämmen. Nur im Schilf raschelte es ganz kurz einmal, als ob die Enten ihr Nest für die Nacht aufgesucht hätten. Dem Rasso wurde auf einmal ganz feierlich ums Herz. Er wusste selber nicht, wie das kam, er war doch sonst nicht so handsam, war keiner, dem stilles Händchenhalten genügte. Und auf einmal lehnte er seinen Kopf an die Schulter des Mädchens, als wünsche er nichts als Geborgenheit. Sogar sein bewährtes Mundwerk ließ ihn im Stich. Mühsam suchte er nach Worten und nach einer Weile begann er:

»Wenn du halt in der Hoffnung wärst …«

Mit einem Ruck fuhr Lisa zurück. Eine scharfe Falte war plötzlich zwischen ihren Brauen. »Was soll ich sein?«

»Lass mich doch ausreden, Lisa! Sonst verstehst du mich falsch. Ich habe gemeint, du darfst ruhig die Hoffnung haben, dass ich es ehrlich meine.«

»Was meinst du denn ehrlich?«

»Dass ich dich ganz narrisch gern haben könnt.«

Lisa wartete ein wenig mit der Antwort und sah wie gebannt auf den See hinaus, in dem sich etwas Goldenes spiegelte. Dann richtete sich ihr Blick himmelwärts. Es war tatsächlich der erste Stern aufgeflammt.

»Sag mal, Rasso, zu wie vielen hast du das schon gesagt?«

Er legte nun seinen Arm um ihren Hals, mit der andern Hand fasste er nach ihrem Kinn, sodass sie gezwungen war ihn anzusehen.

»Kann schon sein, Lisa, dass ich das schon etliche Male gesagt hab. Aber da war es mir sicher nicht ernst damit.«

»Und jetzt bildest du dir ein, dass ich es ernst nehmen soll? Ich glaub, Rasso, du hältst mich für ganz schön blöd.«

Rasso schüttelte den Kopf und lehnte seine Stirn gegen die ihre. »Ich weiß selber nicht«, sprach er dann weiter, »was mit mir auf einmal los ist. Es ist gewiss wahr, Lisa. Eine andere hätte ich schon lang abgebusselt jetzt, aber bei dir hab ich Hemmungen. Zum ersten Mal hab ich Hemmungen einem Mädl gegenüber. Dabei hat es eigentlich ganz schön und natürlich angefangen. Ich weiß nicht, was das ist.«

Bis achtzehn zählte die Lisa. So viele Sterne waren es inzwischen geworden. Und immer mehr Sterne flammten auf und spiegelten sich im Wasser. Es war nicht mehr möglich sie zu zählen.

»Ich kann dir schon sagen, Rasso, was es ist. Du hast dir ganz was anderes vorgestellt, als du mich da zum See runtergelotst hast. Vormittags nach der Kirche Weißwürst beim Kuglerwirt, dann gut Mittag essen daheim. Am Nachmittag Kegelschieben und zum Abschluss dann am Abend ein bissel die Harlander Lisa.«

»Nicht gleich die ganze Lisa, bloß einen Kuss von ihr!«

»Und weil dem verwöhnten Luiserhofer Rasso die Rechnung nicht so aufgeht, wie er gemeint hat, ist er jetzt beleidigt wie ein kleiner Bub, dem man ein Spielzeug weggenommen hat. Ist es denn nicht so?«

Da musste er doch herzhaft lachen. Er nahm sie bei den Schultern und rüttelte sie, dass sie auch ins Lachen kam.

»Du bist schon ein seltsames Frauenzimmer! So was ist mir noch nie untergekommen!«

»In deiner Praxis, meinst?«

Ihre Schlagfertigkeit verblüffte ihn. »Ja sag einmal, wofür hältst denn du mich?«

Sie sah ihn lange an, als überlegte sie, ob sie es sagen solle.

»Bis heute hab ich schon auch gedacht, dass du so bist, wie man dich nennt.«

»Du machst mich neugierig, Dirndl. Wie nennt man mich denn?«

»Den Casanova vom Simssee!«

Nun war der Lammblick fällig, dieser unschuldsvolle, Mitleid heischende Augenaufschlag, dieses Dulderhafte, das selten seine Wirkung verfehlte.

»Du plapperst halt auch nur nach, was andere sagen.«

Als ob es der Lisa Leid täte, es gesagt zu haben, nahm nun sie seine Hand.

»Das tu ich nicht, Rasso. Ich bilde mir mein Urteil über einen Menschen schon selber.«

»Hoffentlich hast du an mir nicht allzu viel auszusetzen.«

»Bis jetzt nicht.«

Nun hielt es Rasso an der Zeit mit der Süßholzrasplerei aufzuhören, zumal er längst gemerkt hatte, dass er bei diesem Mädchen damit nicht weiterkam. Er nahm sie also ohne weitere Einleitung an Nacken und Kinn und wollte sie küssen. Im letzten Augenblick aber war ihre Hand dazwischen. Ernüchtert ließ er sie los.

»Ach so, man will nicht?«

»So ohne weiteres nicht.«

»Das wird dich noch einmal reuen, Lisa.«

»Bist du aber von dir eingenommen! Und jetzt muss ich schaun, dass ich heimkomm.«

»Also gut«, sagte er und tat so, als sei die Sache für ihn bereits endgültig erledigt. Er nahm das Fahrrad, klappte den Ständer hoch und ging voraus. Im Wald war es stockfinster und die Lisa hatte Mühe dem dunklen Schatten vor sich zu folgen. Aber dann wurde der Weg breiter, sie ließen die Bäume zurück und über den Wiesen lag mildes Sternenlicht.

Rasso wollte eigentlich nicht mehr viel reden, konnte es vielleicht auch gar nicht, denn in seinem Innern war etwas Merkwürdiges aufgeblüht, etwas Fremdes, das er bisher noch nicht gekannt hatte. Dieses schweigende Dahintappen aber war nun wieder nicht im Sinne des Mädchens. Sie legte die Hand neben die seine auf die Lenkstange.

»Du bist jetzt enttäuscht, gell?«

»Ja.«

»Ich weiß zwar nicht, was du dir erwartet hast, aber so seid ihr Mannsbilder: Wenn nicht gleich alles nach eurem Schädel geht, dann spielt ihr die Beleidigten!«

»Ich bin nicht beleidigt, Lisa.«

»Warum redest dann nichts mehr?«

»Weil du mir ja doch nichts glaubst. Und überhaupt – wegen so einem einzigen Bussl hättest du dich nicht so anstellen brauchen, als ob ich dich fressen möcht. Das erste Mal wär’s ja wohl auch nicht gewesen.«

»Mit dir schon«, gab sie freimütig zu.

Rasso blieb einen Augenblick stehen und horchte in sich hinein, was denn das nun sei, das sich da in ihm regte und aufbäumte. War das Neid oder Eifersucht? Von beidem hatte er bisher noch nichts gewusst und war nun ein wenig betroffen. Der Gedanke, dass ein anderer diesen blühenden Mund schon geküsst hatte, war schmerzlich für ihn.

Rasso, Rasso, fragte er sich, was ist denn mit dir auf einmal los? Laut aber sagte er:

»Dann bist du also gar nicht mehr frei?«

»Das hab ich nicht gesagt. Und so, wie ich dich kenne, wirst du jetzt schon nachfragen.«

»Worauf du dich verlassen kannst!«

Kaum merklich strich nun ihre Hand über die seine hin. Es ging ein wenig bergauf, beide atmeten schwerer, aber da sah man bereits die Umrisse des Harlanderhofes. Nirgends brannte Licht und die Lisa sagte:

»Die Eltern sind schon im Bett und meine beiden Brüder werden beim Wirt sein.«

Er lehnte das Rad gegen die Hausmauer, stand dann neben ihr und schaute zur Höhe hinauf.

»Schau nur grad, wie viele Sterne.«

»Und wie sie funkeln, gell?«

Wenn ich jetzt gehe, dachte er, dann nehme ich eigentlich gar nichts mit, was mich erinnern könnte, höchstens dass ich ihr wie ein gutmütiger Narr das Fahrrad geschoben habe. Und er überlegte, wie er sich einen möglichst günstigen Abgang verschaffen könnte. Weiter von den Sternen zu reden hatte wohl nicht viel Zweck. Er trat ein wenig von der Hauswand weg und sah über den Balkon hinauf, wo sich hinter blühenden Geranienstöcken die Fenster verbargen.

»Welches ist denn dein Fenster?«, fragte er.

»Da oben gar keines. Ich schlaf herunten.«

»Jetzt so was! Dann würden sie es hören, wenn ich einmal bei dir anklopfte?«

»Die Mutter hat einen leichten Schlaf. Und überhaupt – bei uns braucht keiner am Fenster zu klopfen. Wenn es ehrlich gemeint ist, kann einer jederzeit auch zur Haustür reingehen.«

»Das ist zwar praktischer«, spöttelte Rasso, »aber weniger romantisch.«

»Deine Romantik ist ja bekannt. O mei, Rasso! Mit deinem Namenspatron hast du schon gar nichts gemein! Der heilige Rasso hat so viel Gutes getan für die Menschheit und war ein leuchtendes Beispiel an Tugend!«

»Ja, das ist aber schon lange her und ich kann auch keine Wunder wirken wie er. Sonst tät ich dich nämlich verzaubern. So – und jetzt mach ich mich auf den Heimweg.«

»Und du denkst dir wahrscheinlich, der Herweg hat sich nicht gelohnt.«

Sie stieß sich von der Haustür ab und trat zu ihm hin. Im Brunnentrog spiegelten sich ein paar Sterne. Aus den offenen Stallfenstern hörte man das leise Wiederkäuen der Rinder und einmal rasselte auch eine Kette.

Langsam hob Lisa die Arme und legte sie auf seine Schultern. Dann neigte sich ihr Gesicht dem seinen zu. Rasso machte sich schon bereit. Der werd ich jetzt zeigen, was ein Kuss ist, dachte er. Aber sie berührte mit ihrem Mund nur seine Wangen, einmal links und einmal rechts. Sofort trat sie dann zurück.

»Komm wieder einmal«, sagte sie noch von der Haustür her. Dann verschwand sie dahinter, drehte den Schlüssel im Schloss und ging langsam die Stiege hinauf in ihre Kammer – denn natürlich schlief sie nicht unten neben der Elternkammer, wie sie behauptet hatte, sondern oben hinter dem zweiten Fenster neben der Balkontür.

»Komm wieder einmal«, waren ihre letzten Worte gewesen. Er aber dachte: Du siehst mich so schnell nicht wieder …

Dann ging er ganz langsam durch die Nacht davon.

Lisa stand am offenen Fenster und lauschte auf seine Schritte, bis sie sich in der Ferne verloren. Wäre es Tag gewesen, sie hätte ihn zurückgerufen, so aufgewühlt war sie. Und sie wusste genau: Wenn sie jetzt noch länger da unten gestanden hätten – sie hätte den Panzer, mit dem sie sich umgeben hatte, abwerfen müssen, damit der Mann es erlebt hätte, dass sie nicht kalt und gefühllos war, sondern ein leidenschaftliches Geschöpf, in dem das Herz jetzt voll Unruhe schlug, ein Herz, das jetzt angefüllt war mit Sehnsucht und einer leisen Trauer, weil eine große Stunde ungenutzt vorübergegangen war durch ihre Schuld.

Durch ihre Schuld? Nein, durch ihren Willen, den Rasso an sich zu fesseln, und das konnte nur dann sein, wenn sie sich zurückhielt, wenn sie seinem ungestümen Draufgängertum widerstand und es ihm nicht gar zu leicht machte. Ihr Gefühl, das sie nur ganz selten trog, sagte ihr, dass dieser Mensch erst aus der Leichtfertigkeit herausfinden musste um zu einer wirklichen Liebe fähig zu sein. Sie war gewillt die Sonne in sein Leben zu bringen, aber er musste die Sonne auch sehen und nicht die Wolken herbeiwünschen, die alles Glänzen wieder verdeckten.

Ja, so dachte es sich die Lisa Harlander in dieser Nacht, in der, wie ihr schien, die Sterne heller geschimmert hatten als je zuvor. Sie legte sich schlafen und lächelte beglückt vor sich hin, denn am Morgen dieses Tages hatte sie von alledem noch nichts gewusst. Es war die Wahrheit, dass sie sich zuweilen gewünscht hatte, dem Luiserhofer Rasso wieder einmal irgendwo zu begegnen. Auf einer Hochzeit vielleicht oder auf dem Herbstfest in Rosenheim. Und nun war es ganz zufällig geschehen.

Sie konnte lange nicht einschlafen und dachte nach, ob sie nicht doch etwas verkehrt gemacht hätte, horchte in sich hinein und ging den Weg mit ihm noch einmal durch den Wald bis zu der Bank, hinter der nun im Buchenstamm ihre Initialen neben den seinen standen, was für sie zu großer Bedeutung kommen könnte, bei ihm aber sicherlich nur gedankenlose Spielerei gewesen war.

Es stimmte schon, dass diese Begegnung sie aufgewühlt hatte. Ihr ganzes Sinnen kreiste nun um den Rasso. Lisa Harlander hatte noch nie so viele Gedanken an einen Mann verschwendet wie jetzt an den Rasso, den sie nun sogar mit in ihren Traum hineinnahm.

Währenddessen stampfte Rasso verdrossen durch die sternschöne Nacht. Das hatte er noch nicht erlebt. Auf die Wangen hatte sie ihn geküsst, so wie sich die feinen Leute voneinander verabschieden! Und ehe er sich’s versah, war sie weggehuscht!

Wenn er auch bei sich gesagt hatte »du siehst mich so schnell nimmer«, so wusste er doch bereits jetzt, dass er spätestens am nächsten Samstag zu ihr gehen würde. Bei der muss ich eben mehr Geduld haben, sinnierte er vor sich hin und vor lauter Sinnieren war er vom Weg abgekommen und stand auf einmal vor einem kleinen Bauerngütl, das längst nicht mehr bewohnt war. Ein Onkel seiner Mutter hatte dieses Anwesen der Luiserin vererbt. Etwa zwanzig Tagwerk waren dabei, darunter ein paar Moorwiesen, ein bisschen Wald und ein Bergbuckel, der sich gleich hinter dem Haus emporhob. Die Luiserhofer bewirtschafteten das Grundstück mit, holten auch einmal ein paar Fuhren Kies aus dem Buckel für die Löcher in den Feldstraßen, stachen jedes Jahr auch ihren Torf heraus, aber sonst war das Anwesen nicht viel wert. Man konnte es nicht einmal verkaufen, weil niemand in dieses Schattenloch wollte. Mit der Zeit würden das Haus und der kleine Stall halt einmal zusammenfallen, weil der Luiser in den zwanzig Jahren, seit es geerbt worden war, noch nie etwas daran gerichtet hatte.

Vor diesem Haus im Schattenloch also stand Rasso jetzt, setzte sich auf die Bank davor, zündete sich eine Zigarette an und dachte schon wieder an das sonderbare Mädchen. Die Lisa beschäftigte seine Sinne doch mehr, als er zugeben wollte. Vor allem wurmte es ihn, dass sie ihn nicht ganz ernst zu nehmen schien, und er spürte geradezu das Verlangen ihr zu beweisen, dass er doch anders war, als sie ihn einschätzte.

Unter dem Dreiviertelmond, der heraufgekommen war, zogen ein paar dünne Schleierwolken hin. Aber selbst der Mond gönnte diesem Schattenloch nur wenig von seinem Silberlicht. Er stand hinter der Kuppe und würde wahrscheinlich erst gegen Morgen so weit gewandert sein, dass durch die Bäume noch etwas Licht von ihm hereinfiel in diesen toten Winkel.

Rasso stand nun auf und dachte, dass es doch schon sehr spät sein müsse, denn als er über den Hügel gekommen war, hatte er von nirgendwoher noch ein Licht schimmern sehen. Dunkel und verschwiegen lag der Sandnerhof auf seinem Weg. Da blieb er stehen und schaute zu einem gewissen Fenster hinauf. Er wollte sich schon nach ein paar Steinchen bücken. Das Annerl hatte einen leichten Schlaf, wie er wusste. Doch dann ließ er die Hand wieder sinken und fragte die Knöpfe an seinem Hemd: »Soll ich, soll ich nicht?« Nein, sagte das Orakel, und wenn das schon so eindeutig entschied, wollte er nichts erzwingen. Er musste sich über sich selbst wundern und fragte sich, ob die Lisa etwa eine leise Gewalt über ihn ausübe, mit der sie ihn künftig bewahren wollte vor jeder Unüberlegtheit und vor jedem leichtsinnigen Abenteuer. Doch dann schob er diesen Gedanken rasch beiseite und wollte es nicht gelten lassen, dass jemand ihn auf solche Weise beeinflussen konnte.

Wie verträumt lag die Kegelbahn beim Kuglerwirt unter den Kastanienbäumen. In der Wirtschaft war längst Feierabend.

»Tät mich jetzt grad interessieren …«, sagte Rasso leise für sich hin, ging auf Zehenspitzen am Haus entlang und drückte vorsichtig auf die Klinke der hinteren Tür. Die Tür ging tatsächlich auf, das Mondlicht fiel in den dunklen Flur und auf die ersten Treppenstufen.

Zufrieden nickte Rasso. Na also!

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