Bittermandeln aus Byzanz - Dorothe Zürcher - E-Book
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Bittermandeln aus Byzanz E-Book

Dorothe Zürcher

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Beschreibung

Lorbeerduft und Rosenwein – Ein Kreuzritter Barbarossas wird verzaubert von der Kochkunst einer Delikatess-Köchin. Eine Leidenschaft, die viele in Gefahr bringt. Byzanz im Jahre 1189: Das Kreuzritterheer Barbarossas plündert und brandschatzt auf seinem Weg nach Jerusalem. Bei der Besetzung von Adrianopol wird Alkmene, eine Köchin aus der Palastküche, Ritter Diethelm als Zeltmagd zugeteilt. Dieser hat schon längst den Glauben an den Kreuzzug verloren und will sich nicht um sie kümmern. Doch sie ringt ihm ein Versprechen ab: Sie wird ihm eine so köstliche Mahlzeit vorsetzen, dass Diethelm Alkmene dem Herzog empfehlen würde. Er schlägt ein, ohne zu wissen, dass Liebe durch den Magen geht. Diethelm interessiert sich jeglicher Sitten zum Trotz für Pares, Alkmenes heimliche Liebe. So werden alle drei zum Spielball mächtiger Intriganten.

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Dorothe Zürcher

Bittermandeln aus

BYZANZ

Historischer Roman

Inhalt

1In der Nähe von Philippopel

2Lokum – Früchte-Gelee

3Rosenwasser

4Mandel-Konfekt / Marzipan

5Wacholderbeeren

6Moretum – das Geriebene

7Fasan

8Versteckter Hase

9Blutpudding

10Kurkuma-Pastinaken

11Wie Fleisch ohne Salz jederzeit frisch ist.

12Kardamom-Kichererbsen

13Feigenschiffchen

14Mulsum – Geharzter Wein

15Bittersuppe

16Gewürzsalz8

17Weichgekochte Eier4

18Gewürzzwiebeln

19Zimtkrapfen3

20Pfefferkuchen1

21Confectum

22Aus Rotwein mach Weißwein

23Tavuk Gögüsü – Blamensir oder weiße Speise

25Veilchenwein

Personenverzeichnis

Worterklärungen

Impressum

Zech, Andrea: Die Herrin der Minne –

Das Schicksal der Hadjewich von Antwerpen

Hamburg, acabus Verlag 2023

1. Auflage 2023

ISBN 978-3-86282-850-0

Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-851-7

Lektorat/Korrektorat: Michael Haitel

Umschlaggestaltung: Guter Punkt – Agentur für Gestaltung und Buchdesign, München (www.guter-punkt.de)

Buchsatz & Innengestaltung: Phantasmal Image

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg und Mitglied der Verlags-WG:

(www.verlags-wg.de), acabus Verlag (bedey-thoms.de)

©acabus Verlag, Hamburg 2023

Gedruckt in Deutschland

1

In der Nähe von Philippopel

Anno Domini 1189, November

Eingelegte Pfirsiche Bringen Sonne, wenn Winter herrscht.

Mische gleich viel Essig mit Honig und gieße fünf Mal mehr Wasser hinzu. Koche die Pfirsiche darin. Würze mit Kardamom. Fülle die heißen Früchte in Krüge um, gipse diese zu. Iss davon, wenn die Sonne fehlt.

Die zerstampfte Erde war dunkel von Blut. Diethelm starrte darauf. Er sollte auf Deckung achten, die Tür einschlagen. Aber der dunkle Fleck hielt ihn gefangen. Am Rand franste er aus. Wie eine Pusteblume, dachte Diethelm. Daneben lag der tote Bauer, sein Bauch aufgeschlitzt. Der Mann hatte sich wohl jemandem in den Weg gestellt. Er hätte nicht sterben müssen. Aber wer fragte danach?

Diethelm umklammerte seinen Schwertgriff so fest, dass die Finger schmerzten. Da erst roch er den Rauch, drangen Schreie an seine Ohren. Ein Stall brannte. Wie dumm! Das Vieh darin würde wild vor Angst und schwer zu bändigen sein. Diethelm riss sich von dem Anblick los und trat schweren Schrittes ins Wohnhaus. Das Grölen wies ihm den Weg in die Vorratskammer, wo drei Ritter ein Loch in ein Weinfass geschlagen hatten und sich volllaufen ließen. Andere hockten daneben und säbelten Stücke aus dem geräucherten Schinken. Unter ihren Füßen knirschten Tonscherben, Weinzwiebeln und Honigpfirsiche lagen im Dreck.

Eigentlich sollten sie einen Wagen beladen und Herzog Friedrich Verpflegung bringen. Aber Diethelm wusste, dass mit den Männern nichts anzufangen war, solange sie nicht ihren Hunger gestillt hatten. Der seinige war ihm vergangen. Morgens wurde ihm schwindelig beim Aufstehen. Schon zwei Löcher hatte er in den Schwertgurt gestochen, um ihn enger zu schnallen. Das Kettenhemd hing an ihm herunter und wurde jeden Tag schwerer. Aber bei einem solchen Anblick wie eben verschloss sich sein Magen.

Von draußen hörte er ein Brüllen. Das Vieh, dachte Diethelm und wandte sich um. Da erblickte er die Frau. Erstarrt stand sie neben der Kochnische. Augen und Mund aufgerissen, stierte auf das, was sie wohl nicht fassen konnte. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt, die rötliche Woll-Stola um die Taille sorgsam gefaltet, es musste die Hausherrin sein.

»Verschwindet«, fauchte Diethelm die Frau an. Sie musste doch wissen, was ihr geschehen würde, wenn die Männer ihren ersten Hunger gestillt hatten. Aufgebracht wischte er mit der freien Hand durch die Luft. Sie zuckte zurück und starrte ihn aus dunklen Augen an.

»Los, weg!«, zischte er. Und schrei nicht, fügte er in Gedanken hinzu. Schreien machte die Männer nur wild. Die Frau schien wie aus einem Traum aufzuwachen. Sie raffte ihren Rock und hastete hinaus. Diethelm folgte ihr langsam und blickte ihr nach, wie sie unbemerkt an der Hausmauer entlang rannte. Wenn sie es bis in die Wälder schaffte, war sie fürs Erste sicher. Wie die vielen anderen auch, die geflohen waren. Kälte und Hunger würden sie in ihre ausgeplünderten Höfe zurücktreiben. Und der Winter stand bevor.

Eine Kuh brüllte. Ein Ritter versuchte, das aufbäumende Tier im Hof festzubinden, und stolperte dabei über ein Schaf, das in Panik vorbeirannte. Diethelm eilte hinzu, packte den Strick und half, die Kuh zu einem Eisenring an der Stallwand zu zerren, zog das Seil ein und verknotete es. Er nickte dem Mann zu. Es war Ulrich von Kyburg. Ein Grafensohn wie Diethelm. Auch ein Zweitgeborener, der sich seine Sporen im Krieg verdienen musste. Zusammen waren sie vor einem halben Jahr nach Regensburg aufgebrochen, um im Heer des lebendigen Kreuzes das heilige Jerusalem von den Ungläubigen zu befreien. Mit wehenden Fahnen, das rote Kreuz auf den Wappenrock gestickt, das geknüpfte Band einer Minne über dem Herzen, welche auf sie wartete und ihren Heldentaten lauschen würde.

Zusammen hatten sie ihren Brüdern und Gefolgsleuten zugeredet, als diese Blut kotzten und am Fieber verreckten. Zusammen hatten sie die Toten begraben und zusammen plünderten sie nun byzantinische Höfe und stahlen das Vieh.

Ulrich deutete zum Wald hinüber: »Der Rosenauer behauptet, er habe dort drüben byzantinische Soldaten gesehen.«

Diethelm wirbelte herum und umfasste seinen Schwertgriff. Konnte es sein, dass sie bis hierhin verfolgt wurden?

Nichts rührte sich am Waldrand. Diethelm wünschte sich fast, dass sie kämen, die Soldaten. Und er ihnen seinen Schwertgriff in die Fresse donnern konnte.

Neben ihm blökten die Schafe. Einige Krieger fingen sie ein, banden ihnen die Beine zusammen und warfen sie auf einen herbeigeschobenen Karren.

Oder wollte der Rosenauer sie bloß in den Wald locken, um Soldaten zu suchen, damit der in Ruhe Gold und Schmuck an sich raffen konnte?

Diethelm blickte fragend zu Ulrich, der den Kopf wiegte.

»Machen wir, dass wir mit der Beute von hier wegkommen«, entschied Ulrich. Diethelm nickte ihm zu.

Sanft strich Diethelm über Herzeloides Nüstern. Der Rappe schnaubte, als würde er mit dem Ritter sprechen. Über dem Sattel lagen der Hafersack und die Schafskeule, die Diethelm aus der Beute bekommen hatte. Eine Schar Kinder rannte zu ihm, bettelnd streckten sie die Hände aus. Diethelm scheuchte sie davon, umrundete eine der offenen Feuerstellen, wo Krieger hockten und stumm einen Brei in sich hineinschaufelten. Da blieb er erstaunt stehen. Zwischen den Zeltdächern erblickte er das Toggenburger Banner, das im Wind flatterte. Der rote Löwe, der blaue Adler je halbiert auf goldenem Grund.

Pio hatte das Zelt trotzdem aufgestellt. Der gute Junge. Ein Zelt für zwei sei nicht nötig, hatte Diethelm ihm erklärt. Sie könnten bei den Kyburgern unterkommen. Aber Pio liebte ihr Bärenfelllager. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, strich er gerne durchs zottelige Haar und kaum wurde es dunkel, kroch der Kleine zwischen die Felle, am liebsten ganz nahe an Diethelm heran.

Schon kam Pio auf ihn zu gehüpft. Barfuß, mit zerschlissener Tunika. Das nächste Mal würde Diethelm beim Plündern nach Schuhen Ausschau halten.

»Hier …« Diethelm hob den Hafersack vom Sattel und legte ihn Pio in die Arme. Der Junge strahlte.

»Ein Teil ist für Herzeloide.«

»Ja, Herr!« Pios lombardischer Akzent war nicht zu überhören. Er rannte zurück ins Zelt, während Diethelm die nächste Koppel aufsuchte. Sattel und Zaumzeug nahm er selbst ab und tätschelte dem Pferd den Hals, als Pio herbeieilte und Herzeloide den Fresssack umhängte.

Im Zelt angekommen, half Pio Diethelm aus dem Kettenhemd, wobei er einen kritischen Blick auf die zerfransten Lederhandschuhe warf. Sein ehemaliger Herr hatte ihn gut erzogen. Hartmann, Diethelms jüngerer Bruder, hatte Pio ins Zelt gebracht. Pios Herren seien an Wundbrand gestorben, er habe als Einziger überlebt. Der Junge lernte schnell Deutsch, konnte sich gegenüber den anderen Knappen durchsetzen. Er war ein guter Junge. Leider wohnten sie nur noch zu zweit im Zelt. Diethelm mochte nicht daran denken.

»Hier Herr …« Pio hielt ihm ein Stück Schafskeule hin. Als Diethelm die Keule erblickte, sah er die Leiche des Bauern wieder vor sich und spürte den Ekel, der in ihm hochstieg.

»Iss es selbst«, sagte er rau. Pio wich zurück, blickte auf das Stück Fleisch. Diethelm packte einen Weinschlauch und warf sich damit aufs Lager. Als er den Zapfen herauszog, schlug ihm der Mief nach Pech entgegen. Mit einem Fluch schloss er den Schlauch wieder. Selbst der Wein hier stank nach Fegefeuer!

Er drehte sich zur Seite, schloss die Augen und wusste, dass die dunkle Wolke über ihn kommen würde. Wo er herkam, waren die Hügel steil und die Wälder dicht. Heiße und kalte Quellen entsprangen darin, das Wasser floss zwischen Wurzeln und Felsen hinab in die Täler. Frisches, erquickendes Wasser. Wo man stand, hörte man es rauschen, konnte sich überall niederbeugen und kosten. Hier hingegen waren die Felder braun und die Wälder karg, von der Sonne versengt, das wenige Grün staubig. Das offene Wasser schmeckte brackig und abgestanden. Den Wein mischten die Menschen mit Harz, sodas er zum Himmel stank. Hier in dieser roten, trockenen Erde … In seinem Kopf sagte eine Stimme, er sollte aufhören. Aber seine Gedanken waren wie ein Sog, unaufhaltbar.

… hier lag sein Bruder, den er hätte beschützen sollen. Gestorben am Fieber, von innen verbrannt. Nun fraßen ihn die Würmer und Diethelm fragte sich, warum der Allmächtige seinen Bruder geholt hatte und ihn selbst am Leben ließ. Er hörte Hartmanns Lachen, erblickte ihn vor sich, wie er … Diethelm stöhnte, wollte die Bilder wegwischen. Doch schon sah er sich am Krankenlager seines Bruders knien.

»Ein Teil von dir wird in Jerusalem begraben sein«, hatte er ihm versprochen und ihm das Haar abgeschnitten, während ihm aus den fiebrigen Augen des Bruders der Tod entgegenstarrte.

»Diethelm!« Der Ritter schreckte hoch. Pater Bruno stand im Zelteingang. Pio neben ihm, der Junge musste ihn geholt haben.

Würdevoll schritt der Pater zum Lager, setzte sich auf den Rand. »Benötigst du eine Beichte?«

Fast hätte Diethelm aufgelacht, er hatte schon so viel gebeichtet. Mürrisch setzte er sich auf und blickte seinen Vetter an. Als Kinder hatten sie zusammen Fangen gespielt und mit Ästen beim Ritterspiel aufeinander eingedroschen. Dann war Bruno in die Stiftsschule nach Konstanz geschickt worden, später nach Basel. Mit dessem Bischof folgte er dem Ruf des Kaisers und zog mit den Pilgern des lebendigen Kreuzes. Doch anstatt Krieger für den heiligen Krieg zu segnen und in Jerusalem das Gottesreich auf Erden zu verkünden, begrub Bruno die Toten und hungerte.

»Wenn wir in Jerusalem ankommen, werden uns unsere Sünden von selbst vergeben«, brummte Diethelm. Der Pater blickte schnuppernd umher.

»Habt ihr die Beute schon verteilt?« Sein Blick blieb an der Keule hängen.

»Nimm.«

Schneller als gedacht, stand der Pater neben der Keule und säbelte sich ein Stück ab. Eilig nahm er ein paar Bissen, schnupperte kauend daran, wiegte den Kopf.

»Wenig Salz«, stellte er fest. »Mit Honig eingestrichen und Zimt, daran muss sich mein Gaumen noch gewöhnen. Diese faulige Fisch-Sauce ist nicht dran.« Er zwinkerte und hielt Diethelm sein Stück hin. Dieser drehte den Kopf weg.

»Los!«, befahl Bruno. »Oder soll Gertrudis nur noch Haut und Knochen von dir sehen.«

Feiner Zimtgeruch drang in Diethelms Nase. Mit spitzen Fingern zerrte er einige Fasern weg, würgte seinen Ekel hinunter und kaute darauf herum.

Bruno setzte sich neben ihn und wartete, bis er alles hinuntergewürgt hatte. Dann reichte er ihm den Weinschlauch. Diethelm schüttelte den Kopf.

»Unsere Boten, die Kaiser Barbarossa nach Konstantinopel geschickt hat, sind nicht zurückgekehrt«, sagte Bruno.

»Der Byzantiner ist ein Verräter«, brummte Diethelm. Der Pater seufzte. »Die Verhandlungen sind gescheitert.«

»Im Frühling hat diese byzantinische Schlange unserem Kaiser freies Geleit zugesagt, zudem sollte er uns alle verköstigen!« Diethelm schlug mit der offenen Hand auf die Felle. War der Byzantiner kein Christ, der die Ritter des lebendigen Kreuzes mit Stolz aufnahm und ihren Auftrag unterstützte, wie die Herrscherhäuser in Serbien und Ungarn das getan hatten? Er, Ritter Diethelm, war losgezogen, um Heiden zu vertreiben, nun plünderte er Bauernhöfe. Im Umkreis von mehreren Reitstunden war nichts mehr zu holen.

»Morgen zieht die Vorhut unter Herzog Friedrich nach Adrianopel«, erklärte Pater Bruno. »Der Kaiser möchte dort sein Winterlager aufschlagen. Die Stadt sei groß genug, damit der größte Teil des Heeres unterkommt.«

Diethelm hatte den Namen dieser Stadt noch nie gehört. Aber das Ritterheer des Kaisers mit dem ganzen Tross war riesig. Welche Stadt konnte Zehntausende von Menschen einen ganzen Winter lang aufnehmen?

»Und wenn dieser treulose Byzantiner nicht nachgibt«, Pater Bruno seufzte, »werden wir wohl oder übel Konstantinopel belagern.«

Diethelm hob den Kopf. Er hatte gehört, Konstantinopel sei die schönste Stadt auf Erden. Selbst der Wind in den Gassen würde nach Rosen duften. Bei Sonnenaufgang glänzten die goldenen Dächer, riesige Statuen bewachten die öffentlichen Plätze, und die Leibgarde des Basileus nannte man die Unsterblichen, weil sie unbesiegbar waren.

Adrianopel

Anno Domini 1189, November

Die Pfirsichhälften glänzten verführerisch. Merapi schleckte sich die Finger und blinzelte Alkmene zu.

»Köstlich!«

Alkmene lächelte in sich hinein. Sie hatte die Pfirsiche selbst eingelegt, mit Honig und Kardamom. Aber das Geheimnis war ein Hauch Steinsalz, der im Gaumen kitzelte.

»Wir tauschen den Topf gegen zwei Haarbänder. Die mit den eingewobenen Silberfäden.«

Die Händlerin, die mit Stielaugen auf den Topf schielte, schüttelte den Kopf. »Ein Haarband. Die Silberfäden sind sehr kostbar.«

Zwei kreischende Kinder rannten an ihnen vorbei, sprangen ins Becken des Frauenbades. Der Dampf in der Halle wärmte ihre nackten Körper. Die Händlerin hatte die Bänder an einen langen Stock geknüpft. Neben ihr pries eine Bäckerin ihre Brotfladen mit Kümmel an, daneben bot eine Siederin Seife feil.

Alkmene nickte Merapi zu. Ein Haarband genügte. Sie würde es gleich in Merapis feuchtes Haar flechten.

»Zwei Bänder! Alkmene, eines für dich.«

Alkmene schoss das Blut ins Gesicht. Wofür sollte sie silberne Haarbänder tragen? Sie stand lieber in der Küche und schmeckte die Mandelmilch ab. Merapi hingegen hoffte, dass der Basileus seine Unsterblichen nach Adrianopel schicken würde, damit diese die Stadt gegen die anrückenden Barbaren verteidigten. Seit Tagen hatte sie nichts anderes im Kopf, als sich für die Elite-Krieger hübsch zu machen.

»Drei Haarbänder für zwei Pfirsich-Töpfe«, schlug die Händlerin vor. »Sie glitzern so schön, da blicken euch die Küchenknechte hinterher.«

Merapi kicherte. Die Küchenknechte wollten sie sich lieber vom Leib halten, aber das konnte die Händlerin nicht wissen.

»Pfirsiche werden immer teurer«, erklärte Alkmene. »Seit die Franken Philippopel geplündert haben, sind die Handelswege unzugänglich. Zwei Haarbänder für einen Topf.«

Die Händlerin rang erschreckt die Hände und schon tat es Alkmene leid, die Franken erwähnt zu haben. Die ganze Stadt sprach nur noch von ihnen.

»Ein Haarband und einen Tiegel mit weißem Puder«, schlug die Frau vor und blickte fragend zu Merapi, die nickte. Die Händlerin schob ihnen das Verlangte hin.

Unauffällig blickte sich Alkmene um, ob jemand aus dem Palast sie beobachtete, während sie gestohlene Ware tauschten, erblickte jedoch kein bekanntes Gesicht. Sie schnappten sich Tiegel und Band und schlenderten zum Becken, um sich ans Wasser zu setzen. Dort knüpfte Alkmene ihrer Freundin das Band ins Haar.

»Ich muss …«, sagte Alkmene, als sie den letzten Knoten setzte, »zum Händler und meine Mandelmilch …«

Der Pansebastos Akolouthos Eumathios Philokales, der Abgesandte des Basileus, würde morgen mit ihrem Herrn speisen. Bei seinem letzten Besuch hatte der Abgesandte ausdrücklich ihre geronnene Mandelmilch gelobt. Dafür sollte sie noch alles bereitstellen und Jakob, der Delikatessenhändler, hielt immer Überraschungen bereit.

»Meister Grigoris wird das ganze Lob für sich einheimsen«, erwiderte Merapi. »Lass ihn doch ins Leere laufen.«

Entsetzt schüttelte Alkmene den Kopf. Zwar war sie mit dem Küchenmeister spinnefeind, aber so etwas würde sie nie tun. Alkmene war von ihrem Onkel in der Palastküche aufgezogen worden. Er war damals Küchenmeister gewesen und hatte sie alles gelehrt, was er wusste. Als er starb, hatte Grigoris sein Amt an sich gerissen und Alkmene als Feldköchin auf einen Feldzug mitgegeben. Sie mochte nicht daran denken.

»Meister Grigoris und ich haben Frieden geschlossen«, sagte Alkmene knapp.

Merapi seufzte theatralisch, erhob sich und streckte Alkmene die Hand hin. »Die Herrin erwartet mich wohl auch.«

Alkmene ließ sich hochziehen und hinkte Merapi hinterher in den Umkleideraum.

Seit sie sich erinnern konnte, hinkte sie. Es gab diesen Stich in die Hüfte, wenn sie mit dem rechten Bein auftrat. Morgens waren ihre Hüfte und der Gang leicht, am Abend schwer, das war der Lauf der Dinge.

Ihr Onkel hatte ihr erzählt, dass sie als Kind einen Wasserkessel umgestoßen hätte, der auf sie gefallen sei. Danach hätte sie monatelang nicht mehr gehen können. Und im gleichen Atemzug hatte er immer erwähnt, dass ihm die Sterne wohlgesonnen seien, weil er sie nun nicht als Hofdame weggeben müsse. Alkmenes Mutter war Hofdame gewesen. Niemand erwähnte je ihren Vater. Nur hinter vorgehaltener Hand wurde darüber gemunkelt.

Jakobs Geschäft befand sich in einer engen verwinkelten Gasse. Davor standen zwei Karren, die mit Kisten und Truhen beladen wurden. Auf einer davon stand Jakob und dirigierte zwei Knechte herum. Alkmene zögerte. Wollte Jakob fliehen? Schon hatte er sie erblickt, sprang herunter, verbeugte sich und führte sie in sein ausgeräumtes Lokal.

»Ich möchte nicht stören«, stammelte Alkmene.

»Ihr stört nie.« Jakob rief etwas nach hinten, worauf sein Sohn mit einem Krug Wasser herbeieilte.

»Damaszener Rose«, erklärte Jakob und hielt ihr eine Phiole unter die Nase. Sie sog den herb-süßen Duft ein. Schon war ihr, als würden sich die tiefroten Rosenblätter vor ihr entfalten.

»Die Essenz aus tausenden von Blüten«, hörte sie Jakob sagen, der zwei Tropfen in ihren Kelch träufelte. Alkmene schwenkte das Gefäß und schnupperte erneut. Rosenduft war nie zurückhaltend. Mit seiner schweren Süße nahm er die Sinne gefangen. Alkmene setzte ihre Lippen ans Gefäß. Wie immer war sie erstaunt, wie der herbe Geschmack in ihrem Gaumen sich von der Intensität des Duftes unterschied. Vielleicht konnte sie deswegen vor sich sehen, wie die Blumen ihre prallen Köpfe der Sonne entgegenstreckten.

»Der Geschmack ist intensiver als von hiesigen Rosen«, erklärte Jakob. »Wir haben keinen Honig beigefügt, damit Ihr das volle Aroma kostet. Der Pansebastos wird begeistert sein.« Er lächelte. Selbst wenn Jakob seine Bündel schnürte, wusste er, was im Palast vor sich ging.

Alkmene fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, zog Luft durch den Rachen, um den herben Nachgeschmack zu verteilen. Der Duft war unglaublich intensiv, Jakob bezog das Destillat wohl von den Sarazenen.

»Für Euch werden wir die Flakons wieder auspacken«, ereiferte sich Jakob.

»Flieht Ihr vor den Barbaren?«

Jakob knetete seine Hände. »Unsere Glaubensbrüder im Frankenreich«, brach es aus ihm heraus. »Bevor die Franken im Frühling auf ihren Feldzug aufbrachen, haben sie unsere Brüder getötet, ihre Waren gestohlen und ihre Häuser angezündet.«

»Wie barbarisch! Warum? Wollen die Franken nicht gegen Sultan Saladin in den Krieg ziehen?«

»Sie behaupten, wir hätten ihren Messias gekreuzigt.«

Alkmene schüttelte den Kopf. Das war doch schon so lange her. »Und womit wollen sie ihr Essen würzen? Oder wächst bei ihnen der Pfeffer von den Dächern?«

Jakob lächelte traurig. »Morgen reisen wir ab.«

Trotz des Rosenduftes spürte Alkmene einen unguten Geschmack im Mund. Die Unsterblichen werden uns schützen, wollte sie sagen, schluckte die Worte aber hinunter.

»Ihr denkt, dass die Franken auch hier die Juden …«

»Nicht nur die Juden«, erwiderte Jakob. »Adrianopel wird dem Ansturm nicht standhalten. Ihr wisst, was die Franken in Philippopel gemacht haben.«

Alkmene schluckte. Sie wusste nichts, wollte sich auch gar nicht ausmalen, was die Franken anstellten. Ein Feldzug gegen die Walachen hatte ihr genügt.

»Weiß unser Kämmerer, dass Ihr flieht?«, fragte sie mit schwacher Stimme.

»Eure Vorräte sollten den Winter hindurch reichen.«

Alkmene schwindelte. Sollte sie nicht auch fliehen?

»Meine Frau lässt Euch ihren Dank ausrichten.«

Alkmene blickte hoch. Dann hatten der Ratschlag mit den Fenchelsamen und der Schafgarbe-Aufguss wohl genützt. Jakobs Frau hatte zu viel Luft im Bauch.

Jakob stand auf und verschwand hinter einem Vorhang. Er kam mit zwei kleinen Stoffbeuteln zurück, öffnete den einen und schüttete den Inhalt in Alkmenes Hand. Es waren zwei ungeschälte Mandeln, denen eine Spitze fehlte.

»Bittermandeln!« Alkmene hielt den Atem an. Mit aufgerissenen Augen blickte sie Jakob an. Bittermandeln glichen ihren süßen Verwandten aufs Haar, zudem wuchsen sie an demselben Baum. Unter hunderten konnte man vielleicht eine oder zwei ausmachen. Jemand hatte über hundert Mandeln abgeschabt und davon gekostet.

»Verwendet sie weise«, sagte Jakob. »Eine kostet gleich viel wie Gold, viele sind tödlich.«

Alkmene nickte. In Konstantinopel könnte Jakobs Familie damit eine Woche lang das Essen bezahlen.

»Vielen Dank«, murmelte Alkmene beschämt. Sie wusste, dass ihr Bittermandel-Konfekt unter der Hand teuer gehandelt wurde.

Jakob lächelte ihr aufmunternd zu. Nun wurde Alkmene verlegen, denn sie hatte nichts dabei, was sie ihm schenken konnte. Wie hätte sie auch wissen können, dass er die Stadt verließ?

»Wenn die Franken weg sind, werden wir wiederkehren, dann erinnert Ihr Euch an uns«, sagte Jakob.

Der zweite Beutel war gefüllt mit Gewürz-Confectum. Kleine weiße Zuckerperlen, in denen Anis- oder Kümmelsamen steckten. Bei der letzten Lieferung in den Palast war er liegengeblieben.

Schweren Herzens verabschiedete sich Alkmene und vergaß fast, fünf Ampullen des Rosen-Destillates zu bestellen.

Die donnernde Stimme erkannte Alkmene schon im Hof. Hastig kontrollierte sie, ob alle Haare festgebunden waren, der Beutel mit den Bittermandeln nicht sichtbar. Dann öffnete sie die Tür zur Delikatessen-Küche.

»… gar keinen Appetit mehr! Der Medicus meint, es sei ernst«, polterte der Kämmerer gerade. Meister Grigoris blickte ihn mit gefurchter Stirn an. Sanft schloss Alkmene die Tür. Trotzdem drehte sich der Kämmerer zu ihr und blickte sie an, als wäre sie an allem schuld.

»Hat der Herr keinen Hunger?«, fragte sie vorsichtig.

»Kein Wunder, wenn die Barbaren bald seine Stadt plündern«, brummte der Kämmerer und wandte sich wieder Grigoris zu. »Ihr tischt ihm etwas auf, was ihm schmeckt, und ihr kennt sein Magenleiden:

Er soll das Essen auch verdauen können!«

Grigoris verneigte sich hastig, blickte am Kämmerer vorbei zu Alkmene. Sie nickte ihm zu und wandte sich schon zum Gestell mit dem Speisesalz. Gerne hätte sie den Herrn kurz gesehen. Manchmal verrieten ihr die Hautfarbe, die Augenringe oder der Glanz der Haare etwas darüber, was ihm fehlte. Aber sie war kein Medicus und noch nie hatte sie die Gemächer des Herrn betreten. Ab und zu erblickte sie ihn im Innenhof und fragte sich dann, ob er wirklich ihr Vater sei.

2

Lokum – Früchte-Gelee

Wie man den Geist der Früchte fängt.

Presse Früchte. Füge dem Saft die gleiche Menge Zucker und eine Prise Salz hinzu. Koche alles, bis sich die Flüssigkeit verfärbt. Mische die Sülze von ausgekochten Kalbsfüßen hinein. Kühle den Gelee in einer weiten Form aus. Schneide ihn in Würfel und bestäube diese mit Mehl, um das Gleichgewicht zu wahren.

Der goldene Saft blubberte. Alkmene tauchte eine Löffelspitze hinein, um zu kosten. Ihre Zunge nahm die gesüßte Säure auf, im Gaumen blieb leichte Bitterkeit hängen. Das Verhältnis zwischen Pampelmuse und der Süße stimmte. Das würde die Magensäfte ihres Herrn anregen.

Alkmene löste den Kessel von der Kette und goss die Masse zum Eindicken in mehrere Auflaufformen. Sie winkte Dimos zu sich, der gerade das Steinsalz zerkleinerte.

»Weißt du, weswegen die Franken kein Essigwasser trinken?«, fragte er und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten: »Weil ihr Wein saurer ist als jede Essigmutter!« Lachend schlug er sich aufs Knie. Alkmene hatte genug Scherze über die Franken gehört.

»Und weißt du, warum die Franken die Weiber nur von hinten nehmen?«

»Dimos!« Alkmene deutete auf die Formen.

»Kleines! Spröder als alte Pastinaken.«

»Wir alle wissen, weswegen du blaue Sprenkel in den Augen hast. Vielleicht reitet dein Erzeuger mit den Franken-Barbaren und freut sich, beim Plündern auf dich zu stoßen. Oder dich zu stoßen?«

»Ich habe keine blauen Augen«, fauchte Dimos. Alkmene winkte ab. Sie hätte nichts erwidern sollen.

»Bring den Gelee zum Abkühlen aufs Dach und decke ihn diesmal zu, damit keine Tauben drauf scheißen.«

Dimos wollte etwas entgegnen, doch sie hatte sich schon abgewandt. Früher hatte sie mehr geschäkert und ausgeteilt. Aber die anrückenden Franken drückten aufs Gemüt.

Alkmene öffnete die Ofentür und zog eine Auflaufform voller Schalen heraus, alle gefüllt mit Mandel-Milch, die im Wasserbad eindickte. Die Nachspeise für den Abgesandten heute Abend.

Sie rüttelte an den Schälchen. Die Masse schwappte nicht über. Gut. Noch einige Augenblicke, dann würde sie die Gefäße herausnehmen. Alkmene schnupperte daran und schob alles wieder in den Ofen, als sie ihren Namen hörte. Meister Grigoris stand im Türeingang. Eilig wischte Alkmene ihre Hände an der Schürze ab und hinkte zu ihm.

»Was gibt’s?«

Der Küchenmeister wies sie an, ihm in die Gesinde-Küche zu folgen.

»Das Ziegenfleisch«, raunte er. »Es stinkt immer noch nach Ziegenbock. Mehr Zimt kann ich nicht verschwenden, und der Ingwer … Du weißt schon. Seit die Franken unsere Gegend verwüsten, stockt jeglicher Handel.«

Grigoris musste ziemlich verzweifelt sein, wenn er sie um Rat bat.

Remus, der Küchensklave, rührte mit einer Kelle in den Töpfen. Alkmene verzog das Gesicht über den beißenden Urin-Gestank, der ihr entgegenschlug. Sie nahm einen Löffel, tunkte ihn in die dunkle Masse, probierte und verzog den Mund. Die Sauce konnte den süßlichen Geschmack nach Verwesung nicht übertünchen.

»Vergammelt und abgestanden. Seit wann kochst du für die Garnison Ziegenfleisch?«

Meister Grigoris rang die Hände. »Die Walachen! Vor Wochen hieß es, eine Gesandtschaft der Walachen würde vorbeikommen. Die fressen doch nur Ziegenfleisch! Wir kauften die Märkte leer. Und nun haben sich die Verräter den Barbaren angeschlossen. Hier tauchte nie ein Walache auf und ich hocke auf dem Fleisch!« Grigoris holte tief Luft. »Von oben hieß es letzte Woche, wir sollten die Stadtwache täglich mit Fleisch versorgen. Aber dann sind unsere Vorräte schon vor Jahresende weggefressen und unterdessen vergammelt das Ziegenfleisch!«

Alkmene nickte. Oft hatte sie Grigoris die Krätze an den Hals gewünscht, weil er das Amt ihres Onkels an sich gerissen hatte. Aber in solchen Momenten beneidete sie ihn nicht.

Pfeffer und Ingwer übertünchten den Uringestank kaum, aber mehr durfte Grigoris für einfache Soldaten auch nicht hinzugeben. Minze? Alkmene stellte sich die Mischung vor und verzog den Mund. Selbst wenn die Minze die Verwesung überdeckte, würde der Eintopf seltsam schmecken.

»Hast du noch sauren Wein?«, fragte sie. Grigoris wiegte den Kopf. »Wenn wir die Sauce damit verdünnen, bringen wir den Gestank nicht weg.«

Alkmene ließ ihren Blick durch die Küche schweifen.

»Orangenblüten«, fiel ihr ein. »Sie binden den Verwesungsgeschmack und lassen eine leicht fruchtige Note zurück.«

Grigoris runzelte die Stirn. »Wir haben November, es ist Orangenernte und keine Blütezeit«, erklärte er trocken.

»Irgendwo in den Vorratsräumen wird ein Sack mit getrockneten Blüten herumliegen und sonst hat der Perser welche. Ein Dutzend Blüten pro Topf.« Alkmene nickte bestimmt, mehr bräuchten sie nicht.

Grigoris strich sich durch den Bart. »Remus!«, brüllte er, obwohl der Sklave direkt hinter ihm stand, und befahl ihm, die Blüten zu suchen.

Alkmene hinkte zurück in die Delikatessen-Küche und hob die Schälchen mit der geronnenen Mandel-Milch aus dem Wasser. Dimos war noch nicht zurück. Typisch. Sie warf einen Blick in den Schneckeneimer. Mit Milch gefüttert, gaben sie eine köstliche Delikatesse ab. Aber die Milch musste täglich vom Kot gereinigt werden, was Dimos dauernd vergaß. Er sollte mehr Nüsse und weniger Fleisch essen. Das würde seinen Übermut beruhigen.

Alkmene hob das Blech mit den Schälchen hoch, lehnte sich gegen die Eingangstür und balancierte sie in den Innenhof.

Ein kalter Wind fegte über den Hof. Nur ein schlotternder Wachmann lehnte an der Mauer, der ihr das schwere Tor in die Kellerverliese öffnete. Alkmene humpelte an den Weinfässern und Amphoren vorbei. Hinter sich hörte Alkmene die Wache, die unterdessen eine Öllampe angezündet hatte. Die Vorratskeller des Palastes waren im November bis unter die Decke gefüllt. Amphoren mit Wein und Öl, Säcke voller Getreide, Samen und Nüsse stapelten sich. In den Nebenkellern hing das gepökelte oder geräucherte Fleisch neben Gestellen voller eingegipster Gefäße mit Essiggemüse. Vorsichtig legte Alkmene das Blech auf die Töpfe mit eingelegten Nektarinen, zog ein Tuch über die Schälchen, nickte der Wache zu und verließ den Keller.

»Alkmene!« Sie hatte Merapi im Hof nicht herankommen sehen. »Die Herrin will dich sehen!« Das Haarband glitzerte in Merapis Haar.

»Was will Galatia?«, fragte Alkmene, als sie am Wachmann vorbeihuschten, der vor den Frauengemächern stand. Merapi zuckte mit den Schultern. »Einen Liebestrank?« Sie verdrehte die Augen. Alkmene stieß sie in die Rippen.

Die Harfe hörte Alkmene schon von Weitem, dann roch sie den Lavendelduft, genoss die Wärme der Bodenheizung. Merapi zog einen Vorhang zur Seite.

Galatia lag bäuchlings auf ihrem breiten Bett. Ihre schwarzen Haare glänzten aufgefächert über dem nackten Rücken. Galatias Fuß knetend stand Pares am Bettrand. Deswegen der Lavendelduft! Alkmene schluckte. Nur ein Lendenschurz bedeckte Pares’ kräftigen Körper, dessen braune Haut im flackernden Licht der Öllampe glänzte. Die bartlosen Wangen ließen ihn knabenhaft wirken. Aber die schwarzen Kohlestriche um seine Augen und sein krauses Haar gaben ihm ein geheimnisvolles Aussehen.

Die Harfenspielerin schmachtete Pares ungeniert an. Erfreuen sich Eunuchen daran oder ist ihnen so etwas peinlich?, fragte sich Alkmene, während sie sich verbeugte. Pares’ Salben und Tinkturen wurden im ganzen Palast gelobt. Alkmene hatte schon überlegt, ob sie ihm Rosen-Gelee oder Ingwerplätzchen zum Tausch gegen eine Lavendel-Salbe für ihre Hüfte anbieten könnte. Doch Pares sah nicht so aus, als würde ihm Süßes zusagen.

»Die Küchenmagd!« Galatia drehte sich zur Seite, zog graziös ein Seidentuch über ihre prallen Brüste und winkte sie zu sich.

Alkmene war stolz darauf, eine Delikatessenköchin zu sein, und Galatia kannte ihren Namen.

Sie presste die Lippen zusammen, trat ans Bett und verbeugte sich. Immer, wenn sie der Herrin so nahekam, suchte sie heimlich ein Merkmal in deren Gesicht, an den Händen oder der bronzenen Haut, das darauf hinwies, dass sie denselben Vater hatten. Woran könnte es sich zeigen?

»Ich benötige mehr von dem«, sagte Galatia und zeigte zu der Glasphiole auf dem Tischchen hinüber.

Hatte Galatia schon das ganze Rizinusöl getrunken?

Alkmene warf einen Blick zu Pares, der ungerührt Galatias Fußsohlen streichelte, als hätte er nichts gehört.

»Herrin, das ist …« Alkmene blickte nochmals zu Pares.

»Ihr benützt doch die Schwämme! Das Öl ist nicht nötig.«

»Alkmene!«, rief Galatia warnend. »Geh und besorg mir mehr von dem Öl!«

»Bei zu viel Konsum wird …« Ein Blick zu Pares sagte Alkmene, dass er immer noch so tat, als hörte er nichts. Zum Teufel mit den Männern! Ob Eunuch oder nicht. »Das Zedernöl oder die Akazienblätter in Eurer Vagina verhindern eine Befruchtung. Rizinusöl benötigt Ihr nur, wenn eine Frucht heranwächst. Wenn Ihr zu viel schluckt, fließt … das Verdaute aus Euch heraus.«

Galatia winkte ab. »Bring das Öl und lass mir heute Abend Muskatkuchen zustellen. Mein Markus ist ein wilder Hengst, ein bisschen Kuchen tut uns gut. Ai!« Galatia stupste Pares mit dem Zeh in den Bauch. »Nicht so impulsiv, mein Lieber!«

Alkmene spürte Merapis Hand auf der Schulter. Aufgebracht wandte sie sich um, bemerkte noch, wie Pares ihr einen Blick zuwarf, und hinkte aus dem Raum.

»Bring ihr bei, dass sie abmagert und ihre prallen Brüste wie Säcke herunterhängen, wenn sie zu viel von dem Öl schluckt«, raunte Alkmene Merapi zu, als sie durch die Gänge des Palastes humpelte.

»Du weißt, wie sie ist«, antwortete Merapi und reichte Alkmene eine Goldmünze. »Wenn man Galatia etwas verbietet, macht sie es erst recht. Höchstens wenn sie mich belauscht, wie ich jemandem erkläre, dass es zum Himmel stinkt, wenn man während des Liebesspiels Durchfall hat - dann hört sie vielleicht auf.«

»Und Pares sollte erwähnen, dass er jetzt schon ihren knackigen Arsch vermisst.«

»Pares?« Merapi kicherte. »Der schaut nicht auf Frauenhintern.«

»Aber er kann darüber sprechen.«

Merapi kicherte wieder. Sie beide wussten, wie die Damen des Palastes hinter vorgehaltener Hand von Pares’ samtenen Fingern schwärmten, die ihre Rose entflammten und sie in ungeahnte paradiesische Gärten führten.

»Dass sich Galatia immer noch von diesem Kuhhirten Markus bespringen lässt. Landadel, der bietet keiner Frau etwas«, brummte Alkmene. Merapi schüttelte den Kopf. »Sie nennt seinen Namen, damit im Palast keine Gerüchte über ihren wahren Liebhaber kursieren. Xander ist aus Konstantinopel zurückgekehrt, der Sohn des Archonten.«

Galatia war doch ein gewieftes Weib, darauf hätte Alkmene selbst kommen sollen.

Obwohl in der Küche Berge von Rüben und Schwarzwurzeln warteten, welche geschält und eingelegt werden sollten, befand Alkmene, dass dies die Knechte übernehmen könnten. Galatias Wunsch hatte Vorrang. Sie hinkte zu den Gesinderäumen, um Beutel und Umhang zu holen, den sie mit einer Agraffe an der Schulter befestigte.

Die Wachen ließen sie ungehindert durchs Tor. Wie alle Bediensteten des Palastes trug Alkmene Stola und Umhang mit feinen blauen Borten. So wurde sie in der Stadt bevorzugt behandelt.

Vor dem Tor kauerte eine junge Frau mit ihrem Kind und hielt Alkmene bittend die Hand hin. Verlegen eilte Alkmene an ihr vorbei. Abgesehen von Galatias Münze trug sie nie Geld bei sich. Auf dem Platz drängten sich mehr Menschen als sonst in abgewetzten Kleidern und mit schweren Beuteln in Gruppen zusammen, um dem kalten Wind zu trotzen. Flüchtlinge. Grigoris würde die Reste des Essens heute Abend zum Verteilen herausgeben.

Alkmene bog in eine enge Gasse ein, humpelte an herumstreunenden Gassenjungen und erschöpften Heimatlosen vorbei und wich aus, als man aus dem oberen Stock einen Schwall Schmutzwasser auf die Straße goss. Bald hielt sie vor einem niedrigen Haus. Im Erdgeschoss war die Lade heruntergelassen, Kräuterbüschel hingen davor. Zwei Jungen rannten weg, als sie sich näherte. Alkmene klatschte in die Hände. Aus dem Dunkeln schälte sich eine gekrümmte Gestalt. Kaum hatte der Alte Alkmene erkannt, winkte er sie nach innen.

»Rizinusöl und Bleisalbe«, murmelte er, als Alkmene ihm die Münze in die Hand drückte. »Ihr braucht viel von dem Zeug.« Der Greis schlurfte nach hinten. Etwas klimperte, dann war es still. Alkmene musterte die Kräuterbüschel, erkannte Wermut und Engelwurz. Erst, als sie sich zu fragen begann, ob der Alte eingenickt sei, kehrte er zurück. In der Hand eine Phiole und zwei Tiegel, die er Alkmene zum Schnuppern hinreichte. Gute Ware. Sorgfältig verstaute sie alles und wandte sich den noch engeren Gässchen zu. Karren, die eilig beladen wurden, verstopften den Weg. Auch hier lehnten erschöpfte Menschen an den Mauern, bohrten sich deren Blicke in Alkmenes Rücken.

Vor dem Eingang des Hauses, auf das sie zusteuerte, stand ein Namibier. Seinem Blick entging nichts, die Arme hielt er verschränkt. Unter seiner Tunika ließ er seine Muskeln spielen. Er zeigte ein Lächeln, als Alkmene auf ihn zutrat, und deutete hinein. Sie schlüpfte in den dunklen Gang, rief Daphnes Namen und wandte sich dem Innenhof zu. Kein Sonnenstrahl verirrte sich dort hinein. Ein alter Olivenbaum stand dort, dahinter warfen drei lachende Kinder Steinchen auf Stöckchen. Trotz der Kälte kauerte Alkmene sich unter den Baum und beobachtete die Kleinen.

Nach kurzer Zeit erschien Daphne. Die glänzende Seidenstola um sich gewickelt, bewegte sie sich graziös und selbstsicher. Ihr Gesicht war mit einem Puder aufgehellt, Lippen und Zähne rosa gefärbt, die Insignien ihres Berufes.

»Das ging aber schnell.« Daphne öffnete die Tiegel und roch an der Salbe. »Wurde Galatia geschwängert?«

Alkmene schüttelte den Kopf. Daphne feixte und ließ die Gefäße in einer Falte ihrer Stola verschwinden.

»Können wir gut gebrauchen«, sagte sie. »Obwohl die Garde zurzeit kaum ihren Schwanz hochkriegt. Sie machen sich vor den anmarschierenden Barbaren in die Hose. Nelkenwein, Ingwerplätzchen. Alle Aphrodisiaka fressen sie uns weg und nichts wird hart.« Daphne musterte Alkmene. »Hast du einen Liebestrank, damit die Herren sich in den Armen unserer Damen ergießen?«

Alle Welt fragte Alkmene dauernd nach Aphrodisiaka. Dabei hatte sie kaum etwas ausprobiert.

»Alraunen enthalten einen der stärksten Liebeszauber«, antwortete sie. »Aber die sind schwer zu finden. Nimm Rosinen- oder Rosenwasser, das versüßt ihnen wenigstens das Leben.«

Daphne kicherte. Alkmene glaubte, dahinter eine gewisse Anspannung zu hören. Sie hatte Daphne im Feldlager kennengelernt, in das Grigoris sie vertrieben hatte. Schnell hatte sie bemerkt, wie schwierig das Kochen in den Zelten war. Sie hockten auf dem gestampften Boden, alles war schmutzig, es fehlte ihnen an Wasser. Dauernd mussten sie die Nahrungsmittel vor Ratten schützen und außerhalb des Zeltes wurde Alkmene von herumstreunenden Soldaten belästigt. Obwohl sie bei einem Merarches, einem Kommandanten der Kavallerie, arbeitete, war das Zelt eng und rauchig, die Platzverhältnisse prekär, die Anforderungen aber hoch.

Daphne hatte dem Merarches die Mädchen für die Nacht gebracht. Alkmene kochte an diesen Abenden salzig-fettiges Essen. Das verhinderte die Lust und die Dirnen verbrachten eine ruhige Nacht. So hatten sie sich angefreundet. Als das Lager von Walachen umstellt und gestürmt worden war, fiel Alkmene den Marodierenden in die Hände. Es war Daphne gewesen, die sie gefunden und auf einem Karren mitgenommen hatte. Und Daphne hatte mit ihren Mädchen zusammen Alkmene wieder aufgepäppelt, bis Grigoris sie in der Küche zurückgenommen hatte. Seither brachte Alkmene den Frauen Aphrodisiaka und Verhütungsmittel auf Kosten des Palastes. Wenn Daphne nun angespannt war, bedeutete das nichts Gutes.

»Werdet ihr fliehen, wenn die Barbaren kommen?«, fragte sie. Daphne lachte auf.

»Wohin sollen wir denn gehen? Die Reise nach Konstantinopel dauert fünf Tage. Karren und Kutschen sind alle überfüllt.« Sie holte tief Atem. »Am sichersten ist es hier. Immerhin hat Adrianopel eine Mauer.«

»Im Palast erzählen sie, wenn der Basileus die Unsterblichen schickt …«

»Vergiss die Unsterblichen. Der Basileus hat selbst Schiss, wird seine Panzer-Garde um sich scharen und nicht in eine unwichtige Stadt entsenden.«

Alkmene schluckte. Es galt als Unglück, wenn man den Basileus kritisierte. Aber Daphne hatte noch nie viel von ihm gehalten. Unter dem Puder war ihre Haut bleich, unter den Augen lagen Schatten. Und der Winter stand erst vor der Tür.

»Trink mehr Zitronenwasser«, entfuhr es Alkmene.

Müde winkte Daphne ab und rief etwas Bissiges zu den Kleinen hinüber, die lauter geworden waren.

»Tu es!« Alkmene konnte nicht sagen, woher sie solche Eingebungen hatte. »Da ist zu viel Feuer in dir. Es frisst dich auf.«

»Und Zitronenwasser löscht mein Feuer?«

»Zähme Feuer mit Feuer, auch das hält die Balance.« Alkmene sah vor sich, wie sie für Daphne Zitronenschale in gelbe Kurkumahirse rieb. Das nächste Mal würde sie der Freundin davon bringen.

3

Rosenwasser

Weil Verführung herb sein kann.

Schneide den weißen Ansatz der Roseblätter ab und übergieße sie mit Wasser. Koche das Wasser, lass es abkühlen und siebe es. Koche den Sud wiederholt mit neuen Blättern auf. Wer zu wenig Holz zum Kochen hat, stellt die eingeweichten Blätter einen Tag lang zugedeckt in die Sonne, siebt das Wasser ab und wiederholt den Vorgang.

Auf dem Rückweg versperrte eine Menschenmenge vor der St. Gregorskirche Alkmene den Weg. Staubige Füße, graue zerrissene Kleider, ein Geruch von Schweiß und Rauch umgab sie. Inmitten der Menge konnte sie zwei Presbyter ausmachen, die aus einem großen Kessel Brei in unzählige hingehaltene Schalen schöpften.

»Woher kommt ihr?«, fragte Alkmene eine Bäuerin, die erschöpft an der Kirchenmauer lehnte, das Gesicht mit Ruß verschmiert. Die Frau nannte den Namen eines Dorfes, das Alkmene nicht kannte. Seit fünf Tagen seien sie vor den brandschatzenden Barbaren auf der Flucht. Die Frau deutete auf ihre geschwollenen Füße, die an einzelnen Stellen bluteten.

»Hier könnt ihr ausruhen«, sagte Alkmene versöhnlich. Doch die Frau lachte hart auf. Sie würden weiterziehen. Nur Konstantinopel sei sicher, denn die Himmelskönigin im Hodegonkloster beschütze die Stadt.

Alkmene blickte in das verschmierte Gesicht der Bäuerin. Sie wusste, warum die Frauen auf der Flucht die Gesichter schwarz färbten. Das machte sie älter, unkenntlich gegenüber den fremden und den eigenen Männern.

»Ist es so schlimm?«, flüsterte sie. Das schrille Auflachen der Frau klang wie der Schrei eines Milans. »Ihr wolltet es nicht hören«, sagte sie und streckte trotzdem ihre Hände aus, am Handgelenk waren Schürfwunden zu sehen.

»Wie die Heuschrecken fallen sie über alles her. Fressen, saufen und morden. Was sie mit uns tun, muss ich dir nicht sagen. Drei Kinder habe ich geboren. Wo sind sie jetzt? Mein Mann? Vor meinen Augen zerhackt und zerschunden. Nicht einmal begraben durfte ich ihn, als seien wir die ungläubigen Ketzer und nicht die Sarazenen.«

Alkmene drückte der Frau ihre letzten Münzen in die Hand und flüchtete ins dunkle Innere der Kirche. Zwei Kerzen flackerten neben dem Altar, spiegelten sich im goldenen Heiligenschein des Heiligen Gregor. Davor knieten Unzählige, beteten, flehten, krochen vor das Bild und küssten es. Alkmene brachte kein Wort hervor und wandte sich um.

Über einem Nebenaltar hing das Bildnis der Gottesmutter. Das Christkind hatte seinen Arm um ihren Hals gelegt und schmiegte seine Wange vertrauensvoll an die ihre. Die Himmelskönigin schaute zärtlich in die Weiten der Welt. Während sie das Bildnis betrachtete, schnürte sich Alkmenes Hals zu. Hastig verließ sie die Kirche, suchte sich einen Weg durch die Menschenmenge und humpelte zum Palast.

Sie hatte sich verspätet und schlug gleich den Weg in die Küche ein. Aber dort schien die Zeit stehen geblieben zu sein. Dimos schnippelte Pastinaken, Remus machte mit den Rüben unanständige Gesten. Verdutzt blickte sich Alkmene um. Sollten sie hier nicht ein mehrgängiges Festmahl für den Pansebastos Philokales herbeizaubern?

»Der Pansebastos speist nicht hier. Nach den Verhandlungen ist er direkt nach Konstantinopel zurückgekehrt«, erklärte Dimos.

Alkmene schwindelte. Hatte der Abgesandte Adrianopel aufgegeben?

»Der Kephale hat sich in seine Gemächer zurückgezogen und wünscht ein leichtes Mahl«, ergänzte Dimos. Alkmenes Pampelmusen-Gelee und eine Hühnersuppe würde der Kämmerer bald holen. Sie schickte Remus aufs Dach und funkelte Dimos an. Eine Hühnerbrühe konnte er selbst zubereiten. Aber er wartete sicherlich nur darauf, die Mandelsülze wegzufressen. Alkmene hinkte in die Vorratskammer und holte Muskat-Plätzchen, mit denen sie sich in Galatias Gemächer begab. Schon am Eingang traf sie auf Merapi.

»Wir packen Galatias Gewänder«, flüsterte Merapi. »Sie hat die Astrologen befragt und wird morgen mit einer Reiter-Eskorte nach Konstantinopel aufbrechen.«

Galatia also auch. Alkmene merkte, wie ihre Knie weich wurden.

Merapis Lippen zitterten. »Wir werden Galatia auf einem Karren begleiten. Schau, dass du mit uns fahren kannst.«

»Ich?«

Merapi stupste sie an. »Galatia will doch nicht kalt essen. Bring ihr bei, dass du ihr täglich eine traumhafte Mahlzeit herbeizaubern wirst. Wenn nötig auch mit Muskatnuss für die Libido ihrer Bettunterlage.«

Alkmenes Gedanken überschlugen sich. Sie hatte in einer Feldküche gearbeitet. Sie wusste, wie man mit einfachen Mitteln unter widrigen Umständen kochte. Entschlossen packte sie ihren Beutel mit dem Rizinusöl und nickte Merapi zu.

»Übrigens …« Merapi deutete auf ihren Beutel. »Galatia schluckt das Öl nicht selbst. Sie mischt es ihren Konkurrentinnen unter. Xander bespringt in der Stadt einen halben Harem.«

Das erklärte einiges!

Galatia stand inmitten eines weiten Raumes und dirigierte Mägde und Hofdamen herum, die Kleider ausschüttelten, auslegten und wieder zusammenfalteten. Schmuck wurde in Schatullen verstaut, Phiolen mit ätherischen Ölen bruchsicher in Truhen verpackt.

Das Rizinusöl drückte Galatia einer Dienerin in die Hand, erklärte, dass sie keine Muskatnuss-Plätzchen mehr benötige, und winkte Alkmene weg. Mit klopfendem Herzen blieb diese stehen.

»Auf der Reise braucht Ihr sicherlich eine Köchin«, begann sie scheu.

»Der Merarches wird sich darum kümmern«, antwortete Galatia.

»Der Merarches kennt eure Vorlieben nicht so gut wie ich«, wagte Alkmene zu erwidern. Galatia lachte auf.

»Der Karren ist voll, Mädchen«, sagte sie. »Aber vielleicht findest du jemanden, der dir seinen Platz gibt.« Schon wandte sie sich einer Hofdame zu, die ihr ein weites Seidengewand hinhielt.

Alkmene versuchte zu lächeln, blinzelte ihre Tränen weg. Merapi, die Hofdamen, Galatia, alle würden fliehen. Nur sie würde zurückbleiben und den plündernden Franken in die Hände fallen.

Ihre Hüfte stach, als sie mit gesenktem Kopf hinaushumpelte. Da stand schon Merapi vor ihr und zog sie zur Seite.

»Was hat Galatia gesagt?«

»Der Karren sei voll! Aber es fände sich sicherlich jemand, der mir seinen Platz gäbe!« Es gelang Alkmene nicht, den vorwurfsvollen Ton aus ihrer zittrigen Stimme zu nehmen.

»Vielleicht lässt sich jemand finden«, stellte Merapi nüchtern fest.

»Wer denn?«, rief Alkmene und merkte selbst, wie hysterisch sie klang.

Merapi wiegte den Kopf, zählte an ihren Fingern Namen ab, verzog das Gesicht und zählte wieder Namen auf.

»Pares«, sagte sie schließlich.

»Der Eunuch?«

»Genau. Erstens können wir Galatias Füßchen massieren. Zweitens muss er sich nicht davor fürchten, von den Franken verschleppt und vergewaltigt zu werden. Und drittens ist er kein Bediensteter des Palastes. Er ist der Sklave des Medicus. Galatia darf ihn gar nicht mitnehmen.« Merapi strahlte übers ganze Gesicht. »Los, Alkmene! Geh zu ihm. Er soll dir seinen Platz geben!«

»Aber …« Alkmene zweifelte, ob Pares darauf brannte, ihr seinen Platz zu überlassen.

Es war schon dunkel. Alkmene wusste, dass sie besser in der Küche gestanden, mit Grigoris die Lebensmittel für den morgigen Tag zusammengestellt, den Brotteig kontrolliert und auf Befehle des Kämmerers gewartet hätte.

Stattdessen passierte sie das Tor und zog frierend ihren Umhang enger um sich. Die zwei Phiolen mit Jakobs Rosendestillat klirrten in ihrem Beutel. Im schwachen Schein der Laternen humpelte sie um die kauernden Gestalten auf dem Platz. Der Ruf eines Wachmannes ließ sie zur Seite treten. Soldaten der Stadtwache schritten mit Fackeln und einem Handkarren an ihr vorbei. Da entdeckte Alkmene die Leiche. Das Tuch, das sie bedeckte, war zu kurz. Jemand hatte ihr die Schuhe gestohlen, die entblößten Füße schimmerten weiß. Der Tote wurde auf den Karren gehievt. Ein Befehl wurde geschrien und der Karren fuhr weiter. Eine Frau schluchzte herzzerreißend. Alkmene zögerte kurz, dann drückte sie der Fremden den Beutel mit den Phiolen in die Hände und eilte weiter. Ein Eunuch kann mit Rosenduft nichts anfangen, redete sie sich ein.

Der Medicus des Kephalen wohnte nicht weit. Alkmene kannte den Arzt und Astrologen vom Sehen. Er befand sich oft im Palast und sie nahm an, dass er den Kephalen auch in Staatsangelegenheiten beriet.

Wie die meisten stattlichen Villen hatte auch das Haus des Medicus einen Gesindeeingang. Alkmene hämmerte dagegen, doch niemand reagierte. Kein Wunder. Um diese Zeit eilte das Gesinde entweder im Haus herum oder speiste in der Küche. Lieferungen wurden am Tag abgegeben. Alkmene gab sich einen Ruck und betätigte den Türklopfer des Haupttores, das gleich geöffnet wurde. Ein Diener streckte seinen Kopf heraus.

»Ich suche den Eunuchen Pares«, erklärte Alkmene.

»Hat Herrin Galatia immer noch Rückenschmerzen?«

Alkmene verneinte. »Ich möchte ihn sprechen.«

Der Mann musterte sie, als wäre sie eine giftige Kröte, und schloss die Tür mit einem Knall. Erschreckt hob Alkmene die Hand, um nochmals anzuklopfen. Doch die Türe blieb geschlossen.

Alkmene senkte den Kopf. Vielleicht würde der Basileus sich mit den Barbaren versöhnen und niemand würde die Stadt plündern. Vielleicht … und plötzlich hörte Alkmene wieder die Schreie, als das Feldlager überfallen worden war, das Gurgeln der Verwundeten, die dumpfen Schläge der Schwerter. Spürte die Hände, die sie packten und ihr Kleid zerrissen.

Sie kniff sich in die Arme, um die Erinnerungen loszuwerden. Am liebsten hätte sie sich in eine Ecke verzogen und geheult.

»Alkmene?«

Sie wirbelte herum. Pares stand neben ihr. Seine gelbe Tunika schimmerte im Licht der Fackel, die er hielt. Woher kannte er ihren Namen?

»Was ist Euer Begehr?«

Alkmene brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass Pares durch den Gesindeeingang herausgekommen war. Seine dunklen, mit Kohle umrahmten Augen glänzten geheimnisvoll. Ihr Mund war trocken geworden.

»Können wir an einem geschützten Ort sprechen?«

Pares winkte ihr und sie folgte ihm durch den engen Eingang ins Gebäude. Dahinter führte er sie in eine kleine Kammer, wo Boten wohl ihre Waren abgaben oder in Empfang nahmen.

»Morgen reist Ihr mit Galatia ab«, erklärte Alkmene gefasster. Pares nickte.

»Bitte, gebt mir Euren Platz auf dem Karren!«

Alkmene zog ihr Messer mit dem Elfenbeingriff hervor und hielt es ihm hin. Ein Erbstück ihres Onkels. Sie brauchte das Messer täglich, aber es war das Wertvollste, was sie besaß.

Pares schien ehrlich überrascht. »Warum bittet Ihr mich darum?«

Alkmene senkte ihre Hand. Die Frage hatte sie nicht erwartet.

Weil ich eine Frau bin und Ihr nicht, hätte sie antworten können, doch sie scheute sich plötzlich davor.

Weil ich Angst habe, hätte sie sagen können. Aber Angst hatte jeder. Weil ich weg muss … Verlegen versuchte sie, Ordnung in ihren Kopf zu bekommen.

»Wegen der Franken«, brach es schließlich aus ihr heraus. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, weil ihr die Antwort peinlich war. Er als Eunuch musste nichts befürchten, dachte sie und ihre Wangen wurden noch heißer.

»Schickt der Statthalter Euch nicht fort?«, fragte Pares.

Alkmene zuckte mit den Schultern. »Bis jetzt flieht nur Galatia.«

»Zu betörendes Bittermandeln-Konfekt hergestellt, dass er Euch nicht gehen lässt?«

Alkmene blickte ihn überrascht an. Sie dumme Gans hätte die Mandelsülze mitnehmen sollen! Sollte sie ihm nun etwas davon anbieten?

Pares lehnte sich an die Wand und blickte an ihr vorbei zur Tür. Alkmene konnte seinen Gesichtsausdruck nicht lesen.

»Die Franken«, begann er, »halten keine Eunuchen.«