Anisbrot in Antiochia - Dorothe Zürcher - E-Book

Anisbrot in Antiochia E-Book

Dorothe Zürcher

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Beschreibung

Anisduft und Granatapfelsaft Antiochia im Jahre 1190: Kaiser Barbarossa ist tot! Sein Kreuzritterheer löst sich auf und Ritter Diethelm erkrankt schwer. Die hochschwangere Delikatessköchin Alkmene und ihr Angetrauter, der Eunuch Pares, machen sich gemeinsam mit Diethelms Knappen auf den gefährlichen Weg nach Antiochia, um dem Ritter zur Seite zu stehen. Keine Speise kann Diethelm heilen, wähnt er sich doch verflucht. Da heckt Pares einen verwegenen Plan aus. Dafür braucht er Alkmenes Kochkünste und er bringt sie alle in Lebensgefahr.

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Seitenzahl: 366

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Dorothe Zürcher

Anisbrot in

Antiochia

Historischer Roman

Inhalt

Kapitel 0

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Personenverzeichnis

Worterklärungen

Autorin

Impressum

Zürcher, Dorothe: Anisbrot in Antiochia

Hamburg, acabus Verlag 2024

1. Auflage 2024

ISBN 978-3-86282-868-5

Dieses Buch ist auch als eBook erhältlich und kann über den Handel oder den Verlag bezogen werden.

ePub-eBook: 978-3-86282-869-2

Lektorat/Korrektorat: Amandara M. Schulzke, acabus Verlag

Umschlaggestaltung, Buchsatz,

Karte & Innengestaltung: Phantasmal Image

Der Verlag behält sich das Text- and Data-Mining nach § 44b UrhG vor, was hiermit Dritten ohne Zustimmung des Verlages untersagt ist.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey & Thoms Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg und Mitglied der Verlags-WG: (www.verlags-wg.de), acabus Verlag (bedey-thoms.de)

©acabus Verlag, Hamburg 2024

Gedruckt in Deutschland

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH,

Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

_______________________________

© acabus Verlag, Hamburg 2024

Alle Rechte vorbehalten.

www.acabus-verlag.de

Gedruckt in Deutschland

0

Bittermandeln aus Byzanz

Anno Domini 1189 - 1190

Pio öffnete den Beutel. Darin glänzte das Confectum.

»Zwanzig Perlen für den Hasen«, sagte er.

»Zwanzig Perlen? Für diesen zarten Hasen!«, rief der Händler. »Er ist das Dreifache wert!«

Die Worte widersprachen dem gierigen Blick, den er in den Beutel warf.

»Das ist Alkmenes Confectum aus Adrianopel, das ist drei Hasen wert.«

Pio selbst hatte neben Alkmene gestanden und mit der Pinzette Anis- und Kümmelsamen im Zuckersaft gewendet, um die Süßigkeit herzustellen.

»Vierzig Perlen«, antwortete der Händler. Der Knappe schloss den Beutel. Sogleich hob der Händler seine Hände.

»Du bringst mich an den Bettelstab«, murrte er. »Nimm den Hasen und verschwinde.«

Hase und Beutel wechselten den Besitzer und Pio wandte sich zum Gehen.

»Welche Alkmene?«, fragte Gregor, der stumm neben ihm gestanden hatte und nun neben Pio hertrabte.

»Die Köchin des Herrn Diethelm«, antwortete Pio. Als Gregor noch verwirrter dreinblickte, erinnerte Pio sich, dass sie sich erst vor ein paar Tagen im Heer des Heiligen Kreuzes kennengelernt hatten.

»Als wir in Adrianopel überwinterten, brachte Herr Diethelm Alkmene ins Zelt, eine Byzantinerin. Sie machte einen Riesentumult, hockte sich schließlich hin und kochte …« Pio überlegte. »Lammrippchen in Lorbeerweinsoße, dazu gab es Moretum mit Fladenbrot und ….« Pio sah die Anismilch vor sich und merkte, wie ihm das Wasser im Munde zusammenlief. »Dem Herrn schmeckte es nicht. Wie ihm damals alles nicht schmeckte. Aber ich nahm Alkmene in Ottos Zelt mit. Der Rosenauer schlägt ihn, wenn er schlecht kocht, und Alkmene übernahm die Küche.«

Gregor blickte ihn so erwartungsvoll an, dass Pio weiterfuhr: »Dort lernte Alkmene Elena kennen. Eine Maid, die der Rosenauer entführt hatte, um ihm gefügig zu sein. Alkmene brachte Elena in ein Frauenkloster. Der Rosenauer tobte.«

Gregor grinste. Keiner mochte den Rosenauer.

»Herr Diethelm hingegen war so dumm, Alkmene dem Herzog zu überlassen, anstatt sie bei sich zu behalten. Der Herzog brachte sie in den Palast, dort holte Alkmene Merapi zu sich, damit sie ihr helfe.«

»Merapi? Die Mätresse des Herrn Friedhold?«

Pio nickte. Merapi war die schönste Mätresse im Lager. Alle Knappen schmachteten sie heimlich an. Damals war Merapi voller blauer Flecken und wütend. Herr Friedhold musste einen starken Liebeszauber kennen, der Merapi so schön und anmutig gemacht hatte.

»Der Rosenauer«, fuhr Pio fort, »fand Alkmene und warf sie in den Kerker. Aber da unterdessen Herr Diethelm und Alkmene …« Pio machte eine unanständige Bewegung. Gregor grinste und Pio schoss das Blut in den Kopf. Sein Herr stieg den Frauen nicht nach und Alkmene war kratzbürstig und ließ keinen an sich heran. Er konnte sich nicht erklären, wie die beiden zueinandergefunden hatten. Aber wer verstand schon die Erwachsenen.

»Herr Diethelm kaufte Alkmene aus dem Kerker frei und nahm sie zu sich und …« Pio stockte. Irgendwie hatten sich da die Dinge überschlagen. Vereitelte Alkmene nicht einen Giftanschlag auf den Kaiser? Und plötzlich wohnte auch Pares bei ihnen.

»Alkmene steckte Barbarossas Mundschenk eine Pfauenfeder in den Hals, sodass dieser kotzen musste.«

»Ach so! Du sprichst von dieser Küchenmagd.«

Pio nickte kichernd, die Geschichte hatte in Adrianopel die Runde gemacht.

»Als der verräterische Basileus endlich die Märkte für uns öffnete, half ich Alkmene, haufenweise Confectum für die Herren Ritter herzustellen. Dann wurde sie schwanger und Diethelm verheiratete sie an einen freigelassenen Sklaven, einen …« Pio griff sich in den Schritt und deutete mit der anderen Hand eine Schere an.

»Er hat sie mit einem Kastraten verheiratet!«, rief Gregor ungläubig.

»Nun …« Pares war ganz nett, befand Pio. »Jedenfalls zogen wir weiter. Alkmene blieb in Adrianopel und nun geht uns das Confectum aus«, schloss er und schluckte, spürte plötzlich, wie gerne er bei ihr geblieben wäre.

1

Schlacht bei Iconium

Anno Domini 1190, Mai

Mohnsaft

Wiegt dich in heilenden Schlaf.

Ritze am Morgen die unreife Kapselfrucht des Mohnes an und ernte den austretenden Saft.

Wenn er eintrocknet, kannst du ihn im warmen Wasser auflösen.

»Christus regnat, Christus vincit …«

Diethelms Schwertknauf krachte gegen die Stirn. Der Seldschuke fiel schreiend auf die Knie. Diethelm stolperte über ihn hinweg. Die folgenden Ritter würden den Rest erledigen.

Schwindel verdunkelte seine Sicht. Es brauste in seinen Ohren, keuchend lehnte er sich gegen eine Hausmauer. Spürte, wie das Kettenhemd ihn zu Boden drückte. Wie viele Tage hatte er es nicht mehr abgelegt?

»… Christus imperat!«

Von hinten drängten seine Kumpane an ihm vorbei. Es war nicht der Gestank nach Blut oder die Schreie, die ihn schwindeln ließen. Es war der Durst. Seit Tagen hatte er kaum etwas getrunken, zu wenig gegessen. Etliche Ritter schlugen nun die Hauspforten ein, plünderten die Vorratskammern. Als Diethelms Blick wieder klarer wurde, bemerkte er über den Helmen der Kämpfenden den flatternden, schwarzen Löwen, das Banner des Herzogs von Schwaben. Es hieß, der hiesige Sultan habe sich in der Zitadelle verkrochen. Der Herzog wollte ihn dort ausräuchern. Plündern durften sie später.

Eine Bewegung im Augenwinkel ließ Diethelm herumwirbeln. Ein kyburger Krieger ging schreiend in die Knie. Ein Armbrustbolzen ragte aus seinem Kettenhemd.

»Pfeile!« Wie von selbst hob Diethelm seinen Schild über den Kopf, taumelte zum Verwundeten, um auch ihn zu schützen. Das Kettenhemd behinderte seine Bewegungen. Schon beugte sich ein Schildträger über den Verletzten, schrie ihm etwas ins Ohr, nickte Diethelm zu und zog den Verwundeten rückwärts aus dem Gerangel. Ulrich von Kyburg trat von hinten auf ihn zu.

»Nimm!«, schrie er und hielt ihm eine Amphore hin, deren Hals abgeschlagen war. Diethelm trank so hastig, dass der Saft ihm aus den Wundwinkeln floss. Dankbar gab er die Amphore zurück und hastete vorwärts. Schmerzhaft vermisste er Herzeloide, sein edles Kampfross. Vor Wochen hatte er ihr die Halsschlagader durchtrennt. Eigenhändig. Gierig ihr Blut getrunken. Er hatte sie geschlachtet und das Fleisch mit seinem Knappen Pio und den Kyburgern geteilt. Beim Gedanken daran drehte sich ihm der Magen um. Sein Pferd, ermattet und von Pfeilen durchbohrt, war in der Ebene vor Philomenon zusammengebrochen. Diethelm redete sich ein, dass er die Stute erlöst habe. Nun war sie ein Teil von ihm.

Ein Pfeil flog haarscharf an ihm vorbei, knallte gegen die Mauer und prallte ab. Schon hörte er die hohen kurzen Schreie. Seldschukische Soldaten. Sollte er das Schwert einstecken und das Kurzbeil ziehen? In den engen Gassen war ein Schwert hinderlich. Da kam Bewegung in die vorderen Reihen. Das Brüllen seiner Kumpane mischte sich mit den Schreien. Diethelm erkannte die Schläge, Metall gegen Leder, Metall gegen Metall. Hier hinten in der engen Gasse konnte er nichts ausrichten. Unter dem Schild blickte er nach oben, ob von dort Ungemach drohe. Der Himmel über den Gassen leuchtete stählern. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht. Gerne hätte Diethelm in der vordersten Reihe gestanden und auf die Ungläubigen eingedroschen. Von hinten drängten die Ritter nach vorne. Diethelm stieß seine Füße in den Staub. Es gab nur mehr Tote, wenn die vordere Reihe in die Schwerter ihrer Angreifer gedrängt wurde.

Neben ihm brüllte jemand etwas. Diethelm vermeinte, die Stimme von Ulrich von Kyburg zu erkennen. Da hob der Ritter vor ihm lautlos sein Schwert. Diethelm linste an ihm vorbei, erkannte den ledrigen Harnisch eines Seldschuken. Sein Vordermann ließ das Schwert herabsausen, der Seldschuke stieß von unten zu. Diethelm fuhr mit dem Schwert dazwischen, drückte des Feindes Waffe herunter. Das Schwert des Vordermannes fuhr durch den seldschukischen Harnisch in den Nacken. Blut spritzte. Mit beiden Händen riss sein Vordermann das Schwert heraus, während Diethelm seine Flanke gegen einen weiteren Angreifer verteidigte. Erst jetzt erkannte er in dem Krieger den Herzog Friedrich von Schwaben. Doch es blieb keine Zeit für Courtoisie. Weitere Seldschuken bedrängten sie. Der Rosenauer drängte sich an die andere Seite des Herzogs und hieb zu. Armbrustbolzen zischten von hinten über ihre Köpfe. Der Gegner wich zurück.

»Los! Weiter!«, schrie Friedrich und sie drängten den spitzen Helmen hinterher. Wusste jemand, wo die Zitadelle lag? Da schwirrten wieder Pfeile durch die Luft und Diethelm war beschäftigt, mit dem Schild nicht nur sich, sondern auch den Herzog zu schützen.

Keuchend drängten sie durch eine enge Gasse den Fliehenden hinterher. Kurz fragte sich Diethelm, ob sie in eine Falle liefen. Schon erreichten sie am Ende der Gasse einen Platz. Dort erhob sich mit festem Mauerwerk umschlossen der Turm einer Zitadelle.

Sogleich drängten sie in die dunkle Gasse zurück, um nicht auf dem weiten Platz ein Ziel für Pfeilschützen abzugeben.

Wenn wir die Stadt eingenommen haben, nahm sich Diethelm vor, dann würde er die Bauart dieses Turms studieren, die gewaltigen Steine in der Mauer und ….

Herzog Friedrich rief nach Hermann von Baden, um zu beraten, wie sie die Zitadelle einkreisen konnten.

»Wir kundschaften den Süden aus!« Ulrich nickte Diethelm zu und winkte seinen Kriegsknechten. Sie liefen ein Stück zurück, um danach links abzubiegen. Den Schild vor sich, das Schwert gezückt. Schreie drangen aus den Häusern, es klirrte, etwas flog aus einem Fenster. Eine Frau, ihr Kind umarmend, lag in ihrem Blut. Plünderer. Ulrich murrte, auch ihm gefiel nicht, dass die Gefährten sich nur um ihr Wohl kümmerten.

Sie huschten vorwärts, spähten um die Ecke. Eine enge leere Gasse lag vor ihnen. Ulrich nickte Diethelm zu, schon eilten sie weiter.

Der Schlag kam völlig unvorbereitet. Es war, als wäre ein riesiger Hammer gegen Diethelms Brust gedonnert. Er wurde herumgerissen, prallte gegen die Wand, schrie vor Überraschung und Schmerz auf, verlor das Gleichgewicht und schlitterte zu Boden. Ulrich riss seinen Schild hoch und trat schützend vor ihn. Diethelm hob sein Schwert. Doch da war kein Gegner. Ein Blitz aus Schmerz durchzuckte ihn. Da erblickte er den Bolzen in der Schulter. Schon war ihm, als würde er über sich schweben, die Szene von oben beobachten und sein Stöhnen nur aus der Distanz hören.

Vier Knechte stellten sich schützend um sie, zwei hoben ihre Armbrüste. Doch nichts regte sich.

»Zurück«, zischte Ulrich und half einem Knecht, Diethelm hochzuziehen.

»Brich ihn ab«, stieß dieser zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und war erstaunt, wie schwer seine Zunge war.

Ulrich schüttelte den Kopf und befahl zwei Knechten, Diethelm nach hinten zum Wundarzt zu bringen. Dieser wehrte sich.

»Brich ihn ab und wir kämpfen weiter.« Warum lallte er?

»Nach hinten! Solange du gehen kannst, verarzten dich die Quacksalber«, schnitt ihm Ulrich das Wort ab.

Wir haben die Zitadelle noch nicht eingenommen , wollte Diethelm entgegnen. Das Rauschen in seinen Ohren wurde stärker. Schwindel beengte seine Sicht, sodass er sich gegen einen Knecht lehnen musste.

Ulrich hatte seine behandschuhte Hand auf seinen Arm gelegt, sagte etwas, wohl beruhigende Worte. Diethelm verstand wegen des Rauschens nichts. Von zwei Knechten wurde er sorgsam weggedrängt, aus der Gasse ins Labyrinth der Stadt. An zerschundenen Leichen vorbei, denen die Waffen aus den kalten Händen genommen wurden, an wimmernden Verwundeten und Gruppen von Kriegern, die sich um halbnackte, schreiende Frauen drängten.

Diethelm torkelte, wollte erklären, dass er weiterkämpfen konnte. Der Bolzen, dachte er, der muss nur abgebrochen werden.

***

Da waren Hände, die ihn niederdrückten. Stimmen. Worte in einer fremden Sprache. Er versuchte sich loszumachen. Ein süßer Saft wurde ihm eingeflößt, er spuckte alles aus.

»Wir haben gewonnen, Diethelm«, raunte jemand. »Lass sie machen! Sie beherrschen die Heilkunst besser als wir.«

Da war ein gleißender Schmerz. Benommenheit. Dann eilte er durch dunkle Gassen, wollte um sich schlagen. Doch es war niemand da, obwohl er wusste, dass er umzingelt war. In der Ferne erblickte er seinen Bruder oder war es Gertrudis? Alkmene reichte ihm einen Apfel, ein Kind an der Hand. Sein Kind? Von weitem hörte er Pios Stimme.

Diethelm öffnete die Augen, schreckte hoch, ein Schmerz durchzuckte seinen Oberkörper, stöhnend ließ er sich aufs Lager zurückfallen. Stoff raschelte. Jemand legte ihm einen kühlen Lappen auf die Stirn. Im fahlen Licht des Morgens kauerte Pio neben seinem Lager.

Es pochte in seiner Schulter. Verwundet! Es gab Gemunkel, dass ihre Reise ins Heilige Land verflucht sei. Diethelm drängte den Gedanken beiseite. Und trotzdem …

Tagelang waren sie auf dem Weg hierher aus dem Hinterhalt beschossen worden, reisten nur noch in Rüstung, hielten die Knappen und Non-Kombattanten in der Mitte des Zuges. Doch die Pfeile trafen auch diese.

Diethelm suchte nach Pios Hand, hielt sie fest. Da war etwas, was er dem Jungen auftragen musste, bevor er in fiebrige Träume versank. Er befeuchtete seine Lippen. Schon hatte Pio einen Kelch in der Hand, half ihm, sich aufzurichten, und setzte ihn an Diethelms Mund. Der Wein schmeckte nach Nelken, erinnerte an eine süße Zeit, die so fern war.

»Alkmenes Mandelkonfekt«, keuchte Diethelm. Pio runzelte die Stirn. Der Junge musste meinen, er hätte sein Gedächtnis verloren. Schon vor Wochen hatten sie die letzten Krümel in der Schatulle zusammengeklaubt. Diethelm packte stärker zu. Er musste mit dem Jungen sprechen, bevor er wieder in wirren Träumen die goldenen Dächer von Jerusalem erblickte und dort in endlosen Gassen nach seinem Bruder suchte.

»Nimm das Silber, das ich in Philomenon erbeutet habe«, flüsterte Diethelm und fixierte Pios Augen. Der Junge sollte wissen, dass er bei Sinnen war. »Kauf damit ein Pferd und begleite die nächsten Boten, die der Kaiser zurückschickt, bis Adrianopel. Melde Pares und Alkmene …« Diethelm musste husten, nahm ein paar Schlucke. »Nimm die Schatulle mit. Sag Alkmene, wir benötigen mehr Mandelkonfekt. Bringe es mir, wenn Jerusalem erobert ist.«

Pio starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Er musste seinen Herrn für verrückt halten. Aber Diethelm meinte es ernst. Der Knappe sollte verschwinden. Dieser Feldzug war nichts für Jungen. Er hätte Pio vergangenen Winter in Adrianopel lassen sollen.

Diethelm schloss die Augen vor Erschöpfung, seine Wunde schmerzte. Wieder packte er Pios Hand fester. Wenn bloß Pater Bruno hier gewesen wäre, um mit diesem seinen Plan zu besprechen.

»Versprich mir, dass du zu Pares und Alkmene zurückkehrst«, verlangte er. Pio schüttelte den Kopf.

»Ihr müsst gepflegt werden«, erwiderte er.

»Der Herzog hält genügend Geiseln, sodass die Ungläubigen mich heilen.«

»Aber Eure Waffen und das Kettenhemd! Ich muss sie bewachen. Ihr könnt mich nicht fortschicken!«

»Ulrichs Knechte tun das«, log Diethelm. »Du bist ein guter Knappe, Pio. Die Reise wird deine schwierigste Aufgabe.«

Pio senkte den Blick. Der Junge lebte schon viel zu lange fern von zuhause. Jetzt wollte Diethelm ihn von Hunger und Durst, von Pfeilen und von den Kämpfen fernhalten. Er musste es schaffen, Pio zu überzeugen.

»Versprich es mir«, flüsterte Diethelm. Pios Unterlippe zitterte. War es zu viel verlangt, dass er ihn allein mit den kaiserlichen Boten losschickte? Diethelm musterte den Jungen. Nein, in dessen Alter war er mit fremden Delegationen dem kaiserlichen Heer hinterher in die Lombardei gereist.

»Alkmene trägt meinen Sohn. Wir müssen wissen, wie es ihnen geht.« Pio nickte, ohne aufzuschauen. Eigentlich widerstrebte es Diethelm, mit solchen Gefühlsduseleien den Jungen zum Aufbruch zu drängen.

Da schluchzte Pio auf und legte seine Stirn auf Diethelms Bauch. »Ihr dürft nicht sterben!«, wimmerte er.

Diethelm durchfuhr es heiß.

»Ich sterbe nicht«, stotterte er, wusste nicht, ob er auch in Tränen ausbrechen oder lachen sollte. Er konnte nicht sterben, sein Bruder würde ihn eigenhändig aus der Hölle scheuchen, wenn er dort ankäme.

Er löste seine Hand von Pios Arm und fuhr ihm so lange durch das Haar, bis der Junge sich beruhigt hatte. Dann umfasste er Pios Kinn, hob es hoch, dass sie sich in die Augen schauen konnten.

»Du hast mir Alkmenes Konfekt weggegessen«, sagte er gespielt streng, »ich werde in Jerusalem auf dich warten, bis du mir Nachschub bringst.«

Pio wischte sich über das Gesicht. »Ja, Herr«, piepte er.

Nun war es Diethelm, der den Jungen nicht mehr loslassen wollte. Sollte er ihm noch eine Botschaft für Pares und Alkmene mitgeben? Nein, die beiden würden verstehen, was er meinte. Und er fühlte sich so müde.

»Geh mit meinem Segen«, flüsterte er und Pio küsste seine Hand.

2

Adrianopel

Anno Domini 1190, Juni

Pflaumenmus

Veredelt und nährt.

Entsteine die Pflaumen, lege sie über Nacht in Essig und Honig. Koche alles, fülle sie in Krüge und gipse diese zu. Füge beim Essen Zimt hinzu, sodass deine Säfte ins Gleichgewicht kommen.

Tonscherben knirschten unter Alkmenes Füssen. Hinkend tappte sie darüber, die Hand auf dem Bauch. Dort ruhte diese in letzter Zeit oft. Ihr Kind bewegte sich, nicht im Moment, aber immer wieder.

Von draußen drang Kindergeschrei herein. Es klang fast, als wäre die Welt normal. Doch das war sie nicht. Alkmene blickte sich in dem ausgebrannten Raum um. Hier war sie aufgewachsen. Das Haus ihres Großvaters, das ihrer Mutter, zuletzt ihres Onkels, nun hatte sie es geerbt. Vor vier Monaten hatten es die Franken, die es besetzt gehalten hatten, verlassen und nur ausgeräucherte Räume hinterlassen. Türen und Möbel waren verheizt, die Wände schwarz vor Russ. Sie bräuchten Schreiner, Maler, Zimmermänner, um die Räume und das Dach wieder instand zu setzen. Doch zurzeit arbeiteten kaum Handwerker in Adrianopel. Wer konnte, verließ die Stadt und floh nach Konstantinopel. Marodierende Banden lieferten sich in den Gassen Schlägereien. Händler und Wirte wurden erpresst.

Verloren blickte Alkmene um sich. Als sie diesen Winter Pares geheiratet hatte, sah alles so rosig aus. Sie würden hierherziehen und ihr eigenes Geschäft eröffnen. Dann zogen die Franken ab – was sich Alkmene immer gewünscht hatte – doch anstatt des gewohnten Lebens, das in die Stadt zurückkehrte, stellten die Noblen ihre privaten Schlägertruppen auf, die sie aufeinander losließen. Händler wurden mit Schutzgeldern erpresst und zogen zuerst weg. Dann die unterliegenden Edlen. Dann die Städter, die es sich leisten konnten.

Archondis Maniakes, der Händler, bei dem Alkmene ihr Konfekt herstellte, würde nach Konstantinopel auswandern, sobald er seine Wächter nicht mehr entlohnen konnte. Alkmene und Pares würden mit ihm ziehen. Sie beide haderten damit.

Alkmene wollte nicht weg. Der Gedanke war abwegig. Aber sie hatte Adrianopel noch nie freiwillig verlassen. Einmal wurde sie auf einen Feldzug geschickt, was in einer Katastrophe endete. Das andere Mal war sie vor den anrückenden Franken geflohen und nicht weit gekommen. Sonst hatte sie immer in Adrianopel gelebt. Sie kannte die Gassen der Stadt, die Kräutergärten, die Olivenhaine und Zitrusplantagen vor den Toren. Sie wusste, wo die süßesten Pfirsiche hingen, wo es die fettesten Gänse gab, wer den butterigsten Spargel verkaufte.

Sie fürchtete das Fremde. Es war nicht nur, dass sie keine vier schützenden Wände um sich hatte. Es war das Wasser, das anders schmeckte, die Kräuter wuchsen in einem anderen Rhythmus, selbst die Gerste quoll unterschiedlich auf, jede Mühle mahlte anders. Wo bekam sie die süßesten Orangen, welcher Händler hielt unter dem Tisch die frischen Krebse für auserwählte Kundinnen wie sie?

Gerne wollte sie Pares zustimmen, der sie mit den Worten beruhigte, dass ein neuer Ort neue Abenteuer in sich barg. Doch Abenteuer suchte sie nicht. Sie wollte am Morgen den Teig vom Vorabend kneten und wissen, wie die Brotlaibe aufgingen. Die Küche war ihr Heim. In der Fremde hatte sie keine Küche und das machte ihr Angst.

Irgendwo knarrte ein Türflügel. Alkmene zuckte zusammen. Drehte sich um, erblickte niemanden. Sie sollte besser gehen. Sie hatte gehofft, dass sie hier im Haus etwas fände, das wertvoll war und sie vielleicht an frühere Tage erinnerte.

Sie kehrte in die Küche zurück, in die geplünderte Vorratskammer, kniete auf dem Boden. Auf dem untersten Brett stapelten sich leere Tongefäße. Alkmene zog sie hervor. Innen waren sie mit Pech überzogen. Sie kannte die Gefäße. Darin hatte ihre Großmutter Früchte und Gemüse eingelegt. Der Pflaumenbaum in Archondis Innenhof trug reife Früchte. Alle anderen Bäume hatten die Franken im Winter geschlagen, um Brennholz zu haben. Alkmene dörrte die Pflaumenhälften in der Sonne. Sie würde die Gefäße mit Pflaumenmus füllen. Vielleicht konnte sie diese verkaufen.

Sie bückte sich, zog drei weitere heile Gefäße hervor. Da erblickte sie hinten an der Mauer ein kleines Kistchen aus Zedernholz.

»Egal, welche Gewürze du darin aufbewahrst«, hatte der Großvater ihr gesagt, »das Zedernholz gibt ihm nicht nur seine bestimmte Note, es hält sie auch länger frisch.«

Sie öffnete das Kästchen. Nelken lagen darin. Obwohl sie seit Jahren vergessen dalagen, schwebte ihr immer noch ein feiner Duft entgegen. Gerührt packte Alkmene das Kästchen mit den Tongefäßen in ihren Beutel und erhob sich.

Mit der Hand fuhr sie über die rußigen Wände, verabschiedete sich von der Stätte ihrer Kindheit.

Vorsichtig lugte sie auf die Straße. Zwei Jungen stoben davon, sonst sah sie niemanden. Es war unvernünftig, sich als Frau allein in den Gassen aufzuhalten. Was vor der Besetzung der Franken selbstverständlich gewesen war, war längst Vergangenheit. Pares hätte sie sicherlich hierher begleitet. Doch zurzeit mied sie seine Nähe. Alkmene zögerte. Das war auch der Grund, dass sie nicht zurückkehren, sondern einen Abstecher zu Daphne machen wollte. Sie blickte sich nochmals um und hinkte ins Sonnenlicht.

Alkmene liebte Pares, seinen aufmerksamen Blick, die sanften Hände. Sie lachte über seinen feinen Humor. Sie beide schienen die Gedanken und Gefühle des andern zu kennen.

Doch seit dem Abzug der Franken war Pares schwerfällig geworden. Noch mehr seit dem Tag, als drei bewaffnete Banditen sie auf der Straße bedroht hatten. Pares war vor Schrecken erstarrt. Als Alkmene sich vordrängte und den Dreien laut zeternd die derbsten Flüche an den Kopf geworfen hatte, waren die Unholde abgezogen. Pares war ihr starr und stumm gefolgt, hatte sich seither nicht verziehen, dass er sie nicht verteidigt hatte. Der feige Eunuch, der weibische. Dabei verlangte Alkmene gar nicht, dass er sie beschützte. Sie hatte sich immer selbst geholfen. Aber Pares Blick wurde apathisch und düster.

Die Frotzeleien und Andeutungen der Knechte in Archondis‘ Haus verbesserten seine Stimmung nicht. Alle wussten, dass Pares nicht der Vater ihres Kindes war. Alkmene ignorierte es. Sie hatte Pares geheiratet, weil sein Blick ihr Inneres erkannte, ohne es bloßzulegen, weil er genau so viel Zitrone in den Hummus tröpfelte, wie es brauchte, und er der schönste Mensch auf Erden war. Er war ihr Gatte. Doch Pares vergrub sich.

Alkmene blieb stehen, blickte um die Ecke, huschte weiter.

Wenn sie ehrlich war, gab es da noch etwas. Erst am Tag zuvor hatte sie Pares überrascht, wie er mit feuchten Augen auf der Bettstatt lag und gedankenverloren in seinen Händen einen Gegenstand drehte. Diethelms Lederhandschuh. Pares hatte davon geträumt, mit den Franken mitzureiten und fremde Länder zu entdecken. Mit seiner Heirat hatte er darauf verzichtet. Alkmene spürte den Stich sogleich. Es war nicht, dass er dem verpassten Feldzug nachtrauerte. Pares vermisste Diethelm.

Abrupt blieb Alkmene stehen. Sie hinkte in einen Toreingang, lehnte sich gegen die Mauer, um die Tränen hinunterzuschlucken.

Ihr Gatte hatte Liebeskummer und sie konnte ihn davor nicht bewahren. Diethelm! Ohne ihn hätten sie nie geheiratet. Trotzdem! Aufgebracht wischte sie sich mit dem Ärmel über die Augen.

Laute Rufe ließen Alkmene innehalten. Sie drückte sich noch mehr in den Hauseingang und versuchte gleichzeitig herauszugucken. Schritte näherten sich, dann folgten Hufgetrappel und Schreie. Staub wirbelte auf. Schon war es wieder still, fast zu still, als würden selbst die Verbliebenen hinter den Mauern den Atem anhalten.

Alkmene raffte ihre Stola, überblickte die Straße und hielt erschreckt inne. Topfhelm, Kettenhemd, Waffenrock – ein Franke.

»Diethelm?«

Der Mann wandte sich um. Dunkle Augen musterten sie. Ein Romäer mit gestohlener Rüstung. Alkmene schoss das Blut in den Kopf. Sie grüßte, trat einen Schritt zurück. Er brummte etwas, spuckte zu Boden und ging weiter.

Wie hatte sie so unüberlegt handeln können! Alkmene wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wartete, bis der Mann verschwunden war. Vermisste sie Diethelm etwa auch?

Nein!, dachte sie. Nein, nein. Sie vermisste keine fränkischen Usurpatoren!

Entschlossen hob sie ihre Stola, humpelte, so gut sie konnte, weiter. Der Eingang zu Daphnes Haus war verbarrikadiert. Kein Wächter stand davor. Doch Alkmene kannte das Klopfzeichen für den Nebeneingang. Die Tür knarrte, öffnete sich einen Spalt breit, dahinter stand Omlek, Daphnes Numidier, der sie mit einem Nicken hereinließ.

Daphne stand im Wohnraum und packte Kelche in breite hölzerne Kisten. Sie zog zu einem befreundeten Gutsbesitzer aufs Land. Daphne hatte die Nase voll vom Geschäft, bei dem die Marodierenden das Gefühl hatten, sie könnten sich brutal und ohne Gegenleistung von den Frauen nehmen, was sie wollten.

»Warst du schon auf dem Markt? Der Weizenpreis hat sich wieder verdoppelt!«, rief Daphne ohne Begrüßung.

Alkmene schüttelte den Kopf. Archondis hatte, wie es sich für einen reichen Händler gehörte, Weizen gehortet, als der Basileus im Winter genug davon den Franken schickte. Sie drückte Daphne ein Säckchen mit Körnern in die Hand. Diese umarmte sie. Durch die Kleider konnte sie Daphnes Knochen spüren. Es war Juni, die Felder unbestellt, viele Gärten verdorrten in der Sonne. Die Bevölkerung lebte von reifem Obst und frischem Gras.

»Wie lange halten eure Vorräte noch?«, fragte Daphne.

»Zwei bis vier Wochen.«

Daphne musterte Alkmene genauer. »Kummer?«

Alkmene zuckte die Schultern. Daphne war immer gegen ihre Heirat mit Pares gewesen, sie misstraute jedem Eunuchen.

»Ich will nicht weggehen«, wich Alkmene aus. Daphne hielt inne, führte Alkmene zu einem Sitzkissen, setzte sich neben sie, legte ihre Arme um sie und drückte sie an sich. So saßen sie eine Weile da.

Vor Tagen schon hatten sie zusammen je eine Haarsträhne von sich in Daphnes Hinterhof begraben. Damit die Stadt sie nie vergaß.

»Ihr habt Glück. Archondis hat Verwandte in Konstantinopel. Wenn ihr bei denen unterkommt …«, sagte Daphne.

Alkmene senkte den Kopf. Das alles wollte sie gar nicht wissen! »Archondis spricht nie darüber. Ich glaube, er will selbst nicht weg«, nuschelte sie.

»Er hat die Abreise noch nicht organisiert?«

»Er spricht nicht darüber.«

Daphne blickte sie besorgt an.

»Konstantinopel wird von Flüchtlingen überschwemmt. Geht nicht hin, wenn ihr keine sichere Bleibe habt.«

Alkmene winkte ab. Das alles befürchtete sie. »Ich bleibe hier«, sagte sie trotzig. Daphne schürzte die Lippen.

»Wenn das Kind da ist, werden Reisen und Arbeiten umständlicher.« Sie strich über Alkmenes Bauch.

»Wenn meine Tochter da ist …«, korrigierte Alkmene ihre Freundin. Diese wiegte den Kopf.

»Wenig Essen, viel Kummer. Dessen ungeachtet gehörst du zu den Frauen, die in der Schwangerschaft aufblühen. Trotz schmaler Nase siehst du aus wie das strahlende Leben. Gesunde Gesichtsfarbe , ein inneres Leuchten. Gibt dir dein Eunuch eine spezielle Medizin?«

Alkmene schüttelte den Kopf. Die Schwangerschaft hatte ihr bis jetzt kaum Probleme gemacht. Das Kind wuchs, bewegte sich, das war es. Daphne maß sie mit ihrem professionellen Blick.

»Drei Monate, eher vier bis zur Geburt. Schau, dass du bis dann eine sichere Bleibe gefunden hast.«

Alkmene schloss die Augen, lehnte sich an Daphnes Schulter.

***

Bei Archondis Anwesen waren die Türen und Fenster wie zur Zeit der Frankenherrschaft noch zugenagelt. Alkmene pochte an das gewaltige Tor, ein Schiebefensterchen wurde aufgeschoben und sie eingelassen. Am liebsten wäre Alkmene gleich in die Küche geeilt, um dort an den vor sich hinköchelnden Schafsrippen zu schnuppern, die sie am Morgen in die Glut gestellt hatte. Pares hatte hoffentlich noch etwas Kohle nachgeschoben. Seit sie kaum mehr Konfekt verkaufte, hatte sie zu Archondis Wohlgefallen das Bekochen seines Haushaltes übernommen.

Alkmene eilte durch den Empfangsraum in den hinteren Hof. Dort blieb sie überrascht stehen, da sie Pares hohe, schlanke Gestalt vor dem Brunnen entdeckte. Selten hielt er sich dort auf und neben ihm ….

»Pio?« Alkmene konnte es kaum fassen. War dieser hochgeschossene, magere Jüngling derselbe, der sich im Winter von ihr verabschiedet hatte?

So gut es ihr Hinken zuließ, eilte sie auf die beiden zu. Der Junge sprang hoch, breitete die Arme aus, schon lag sie in seiner Umarmung.

»Was machst du hier? Was …«

Alkmene blickte zu Pares, der seit langem wieder lächelte.

»Diethelm schickt mich. Er will mehr Mandelkonfekt«, sprudelte es aus Pio hervor. Nochmals blickte Alkmene zu Pares, dessen Lächeln, das bemerkte sie jetzt, ziemlich verkrampft war.

»Ich fuhr mit dem Schiff. Mit den Boten von Kaiser Barbarossa. In Iconium kaufte ich ein Pferd, das verkaufte ich im Hafen. Während der Schifffahrt stürmte es und wir kotzten das Deck voll. Dann in Gallipoli kauften sie mir einen Gaul. Nun bin ich hier. Ich habe Silber von Diethelm und er will Mandelkonfekt,« sprudelte es in diesem volkstümlichen Latein aus Pio heraus. Alkmene versuchte, seinen Worten zu folgen, strich ihm über das Haar. Er sah mager, aber gesund aus. Pio strahlte, deutete mit dem Kinn auf ihren Bauch. »Du bist gar nicht so dick«, fuhr er auf Griechisch fort. Alkmene stupste ihn, lachte. Pio war hier! Sie verstand nicht, weswegen. Aber er brachte ihnen die Leichtigkeit vergangener Tage.

»Hast du schon gegessen?«, fragte sie und in ihrem Rücken hörte sie das schnaubende Lachen von Pares.

»Etwas Kleines …«

Pios Augen lagen in Höhlen, die Wangen waren eingefallen. Hatte sich Diethelm schlecht um ihm gekümmert? Alkmene wies Pares und Pio an, sich die Hände zu waschen, und zusammen gingen sie in die Küche.

Alkmene prüfte die Wärme des Ofens, schob etwas Kohle nach, und betätigte den Blasebalg. Mit dem Kinn wies sie zum Teig, den sie am Abend zuvor geknetet hatte. Pares schnitt einen Teil ab, reichte ihn Pio, um ihn zu Fladen zu formen. Frisches Fladenbrot und geräucherter Schinken – das hatte Pio geliebt. Alkmenes Gedanken flatterten. Seit dem Abmarsch der Franken hatte sie keinen Schinken mehr gesehen. Das Voressen war noch nicht gar, aber im Kamin hingen ein paar Forellen und zwei Tauben. Diese waren für den Hausherrn gedacht, doch Pio war wichtiger. Sie holte einen Stab, um eine Forelle abzuhängen. Schnupperte daran und nickte. Sie tröpfelte etwas Olivenöl auf einen Teller, opferte die versteckte Zitrone, fügte Pfeffer hinzu und wendete die Forelle darin. Unterdessen pressten Pares und Pio die Teigfladen gegen die Ofenwand.

»Wir sahen keine Meeresungeheuer, aber in der Nacht hörten wir sie«, sprudelte es aus Pio heraus. Pares nickte ihm zu, blinzelte zu Alkmene herüber. Diese viertelte Oliven und mörserte Thymian, beträufelte alles mit Olivenöl.

»Bist du von Gallipoli hierher geritten? Nicht von Konstantinopel?«

Pio nickte, schielte auf die Forelle. »Kuno, das ist einer der Boten, sagte, er traue dem Basileus zu, uns in Konstantinopel hinterrücks zu ermorden. In Gallipoli bestiegen die Boten ein Schiff der Pisaner, diese feigen Verräter.« Pio spuckte vor Abscheu auf den Boden.

»Du bist allein hierher geritten?«, fragte Alkmene, ohne auf Pios Pisanerhass einzugehen.

Pio schüttelte den Kopf. »Ein Weinhändler«, erklärte er, »der will noch weiter zu den Walachen.«

Alkmene reichte Pares das Öl mit dem Thymian und Oliven, damit er es beim Wenden auf die Fladen strich.

»Und Diethelm? Wie geht es ihm?«

Plötzlich herrschte Stille. Überrascht hob Alkmene den Kopf.

»Diethelm ist verwundet«, antwortete Pares leise.

»Ein Bolzen. Zack, hier«, Pio zeigte, wo das Geschoss Diethelm getroffen hatte. »Da kam einer dieser Heiden mit einem Hammer und schlug Diethelm den vorderen Teil des Bolzens durch die Schulter, sonst wäre der Widerhaken stecken geblieben. Diethelm brüllte, obwohl sie ihm Saft eingeflößt haben.«

Pio blickte zu Pares.

»Mohnsaft«, ergänzte dieser, »sie haben ihm Mohnsaft gegeben.« Alkmenes Blick blieb an seinem Gesicht hängen. Vor Pio versuchte er, seine Sorge zu verbergen.

»Und deswegen gab Diethelm dir sein Silber und schickte dich zu uns«, folgerte sie.

»Damit ich ihm dein Mandelkonfekt bringe, wenn er Jerusalem erobert hat«, vervollständigte Pio. »Wir haben alles gegessen. Es war köstlich!«

Pio blickte sich um, als würde er hier in der Küche irgendwo das Konfekt entdecken. Alkmene holte die dampfenden Fladenbrote aus dem Ofen, legte sie neben den Fisch und schob beides Pio zu, der sich darauf stürzte. Über seinen Kopf hinweg traf ihr Blick den von Pares. Eine seltsame Geschichte.

Ein Knecht trat hinein und blickte sich hungrig um. Alkmene scheuchte ihn hinaus und trug den beiden Männern auf, mehr Teig für die Fladenbrote zu kneten. Unterdessen kontrollierte sie die eingeweichte Hirse im Kessel.

»Ein Glück, dass du uns hier antriffst«, erklärte sie Pio. Diesmal auf Latein, was ihr früher mühsam vorgekommen war. Aber nun verband sie die Worte mit Pio. »Die Vorräte gehen zur Neige, Adrianopel ist unsicher. Vielleicht ziehen wir mit Archondis nach Konstantinopel.«

»Zum verräterischen Basileus.« Pio grinste sie mit vollem Mund an. Alkmene musste kichern. Noch vor einem Jahr war sie empört gewesen, wenn man den Basileus so genannt hatte. Pares blickte bleich und stumm vor sich hin.

»Pares und ich holen den Wein«, sagte Alkmene zu Pio. Dieser nickte kauend.

Kaum war die Küchentür ins Schloss gefallen, wandte sie sich Pares zu.

»Worüber machst du dir Sorgen?«

»Die Araber sind gute Ärzte. Wenn sie Diethelm richtig behandeln, ist er in den besten Händen«, erwiderte dieser. Alkmene kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. Das war keine Antwort auf ihre Frage.

»Diethelm will Pio in Sicherheit wissen«, sagte Pares.

»Da hätte er ihn gleich bei uns lassen können«, brummte Alkmene, musste sich jedoch eingestehen, dass das Wiedersehen umso schöner war.

»Diethelm überlegte es sich anders. Es ist weise von ihm, Pio wegzuschicken. Nach Pios Bericht ist das Heer schon zwei Mal angegriffen worden und sie sind erst in Iconium. Hunger und Durst begleiten sie. Diethelm musste Herzeloide schlachten und bis Jerusalem ist es noch weit. Zudem heißt es, Saladin reite ihnen mit seiner gesamten Armee entgegen.«

Alkmene musterte Pares. Warum lenkte er ab und sprach über Kriegspolitik?

»Ist Diethelm tödlich verletzt?«

Pares blickte weg. Sie sah, wie er um Fassung rang. Sie hätte ihn und nicht Pio mit Diethelm reiten lassen sollen.

»Ich weiß es nicht«, presste Pares heraus. »Nach Pios Angaben … ich weiß es wirklich nicht.«

Alkmene hätte gerne die Arme um ihn geschlungen, scheute sich plötzlich. Diethelm stand zwischen ihnen und Pares schien wie über eine Nabelschnur mit ihm verbunden zu sein. Pares wandte sich um und stieg in den Keller hinunter. Wortlos holten sie den Wein. Erst als sie wieder in die Küche traten, fiel Alkmene die Frage ein, die sie jedes Mal beschäftigte, wenn sie an Diethelm und das fränkische Heer dachte: »Wie geht es Merapi?«

3

Iconium

Anno Domini 1190, Juni

Eingelegte Rüben

Wappne dich in der guten Zeit.

Damit sich Rüben lange aufbewahren lassen: Schmecke Senf mit Honig, Essig und Salz ab, gieße ihn über die zurechtgelegten Rüben.

(Aus Apicius, Über die Kochkunst)

Diethelm träumte, er wusste, dass er träumte. Trotzdem litt er. Er hastete durch die engen Gassen Jerusalems und suchte seinen Bruder. Verhüllte Gestalten standen ihm im Weg und starrten ihn aus leeren Augenhöhlen an. Er hastete weiter, immer weiter, erblickte manchmal zwischen den Gassen die Grabeskirche, fragte sich, warum er wusste, dass dies die Grabeskirche sei, und schon war sie verschwunden. Er war gezwungen, in jedes Gesicht zu schauen, sah so viele und erinnerte sich nicht mehr, wie sein Bruder aussah. Endlich erblickte er jemanden in weiter Ferne, rannte auf ihn zu, rannte und rannte und als er die Gestalt endlich erreicht hatte, wandte sie sich zu ihm um und öffnete den Mund.

Diethelm schreckte hoch. Es war helllichter Tag. Die Luft flimmerte von der Hitze. Er hörte das Stöhnen der anderen Kranken. Wilhelm von Rosenau lag neben ihm mit zerschmetterten Knien und stierte in die Luft.

Das Laken rutschte von Diethelms verschwitzter Brust, unter dem braun verkrusteten Verband biss es. Diethelms Kehle war wie ausgetrocknet. Suchend blickte er sich nach einem Krug um.

»Wasser?« Seine Stimme klang wie ein Krächzen. »Gibt es Wasser?«

Wilhelm reagierte nicht, erst als Diethelms Hand herumtastete, wandte er sich langsam seinem Nachbarn zu.

»Ruf jemanden, hier wird alles geklaut«, brummte der Rosenauer. Diethelm konnte Pio nicht rufen. Ulrich hatte einen seiner Knechte zur Pflege verdonnert. Doch dieser schien nie anwesend zu sein. Diethelm versuchte, sich zu erheben. Alles drehte sich vor seinen Augen, also legte er sich wieder hin.

»Unter meinem Bett wirst du fündig«, hörte er Wilhelm brummen. Diethelm stemmte sich etwas langsamer hoch. Es pochte in seiner Schulter. Ihm schwindelte. Erst, als er ächzend sich zu Boden gleiten ließ, um unter Wilhelms Bettstatt zu blicken, wurde seine Sicht klarer.

»Kein schöner Traum«, hörte er Wilhelm sagen.

Nein, es war kein schöner Traum und er wiederholte sich andauernd. Diethelm erblickte einen Krug mit einer undefinierbaren Flüssigkeit darin. Er schnupperte daran. Solange es kein Urin war. Ein Minzenduft erfreute seine Nase, sogleich nahm er ein paar Schlucke von dem abgestandenen Wasser und lehnte sich gegen Wilhelms Strohsack.

»Nun gehörst du auch zur Nachhut«, folgerte der. Friedrich von Schwaben würde bald aufbrechen. Diethelm fühlte sich zu schwach, um in dessen Vorhut mitzureiten. In drei oder vier Tagen würden die letzten Ritter von Barbarossas Heer abziehen, dann musste er reisebereit sein.

»Entweder die Nachhut oder gleich in die Hölle«, brummte Wilhelm. Wenn sie wieder Tag und Nacht auf der Reise aus dem Hinterhalt beschossen wurden, war Nachzügelei lebensgefährlich.

Diethelm linste zu dem Ritter hoch. Er kannte Wilhelms Verwundung nicht genau, wusste nur, dass seine beiden Knie zerschmettert waren.

»Wir reiten in der Nachhut. Hoch zu Pferd brauchst du keine Knie«, log Diethelm.

»Das Pferd habe ich gefressen.«

Wilhelm wusste sicherlich, dass Kaiser Barbarossa vom gefangenen Fürsten neue Pferde erzwungen hatte. Ulrich von Kyburg suchte gerade eines für Diethelm aus. Sie würden hoch zu Ross wegreiten, wie es sich für die Ritter des Lebendigen Kreuzes gehörte.

»Wenn du nicht aufs Pferd steigst, leg ich dich bei meinem über den Arsch, damit du jeden Schritt spürst«, stichelte Diethelm.

Wilhelm brummte: »Unsere Pilgerfahrt ist verflucht!«

Diethelm zuckte zusammen. Es wurde gemunkelt, ihr Unternehmen sei verflucht. Gott hätte sich von ihnen abgewendet. Der Herzog und der Bischof von Basel hatten verboten, so zu sprechen.

»Zwei Mal haben wir die Ungläubigen besiegt und Gott schickt uns kein Zeichen.«

Diethelm fühlte sich zu schwach, den Rosenauer anzufahren, die Klappe zu halten. Alle Lieder und Erzählungen über die Ritter des Heiligen Kreuzes waren voller Wunder und Zeichen. Nur sie erlebten keine.

»Die Zeichen werden kommen. Wir haben einen Schwur geleistet, Jerusalem, die Goldene, von den Ungläubigen zu befreien«, sagte er mehr zu sich als zu seinem Bettnachbarn.

»Mit zwei zerschmetterten Knien …« Wilhelm stemmte sich hoch und winkte mit der Hand. Diethelm verstand und reichte ihm den Krug. »… bist du auf einem Feldzug zu nichts mehr nütze. Egal, wie golden Jerusalem ist.«

Diethelm kannte den Rosenauer nicht gut, wusste nicht, was in seiner Heimat auf ihn wartete. Er wusste einzig, dass er sicherlich so viel Reichtum gehortet hatte, dass er sich eine Rückreise per Schiff leisten konnte.

»Brecht Ihr Euer Gelübde und kehrt in die Heimat zurück?«

Wilhelm winkte ab. »Jedes Pferd wird geschlachtet, wenn es die Hinterläufe bricht. Wenn du etwas Ehre hättest, würdest du mir einen Dolch in die Brust rammen.«

Diethelm fühlte sich zu schwach, um auf die Provokation einzugehen. Der Rosenauer tat ihm leid. Das Heer achtete nicht auf Verkrüppelte.

»Hier bei den Ungläubigen könnt Ihr nicht bleiben«, stellte Diethelm trocken fest. »Mein Knappe ist weg. Falls Ihr in der Nachhut dem Heer folgt, wäre ich Euch dankbar, wenn ich in Eurer Entourage reisen könnte.«

Wilhelm lachte hämisch. »Meine Entourage …«, äffte er Diethelm nach. »Meinst du, ich will noch einen, der sieht, wie ich dahinsieche.«

»Eben habt Ihr mich beim Träumen gehört«, beharrte Diethelm. Der Rosenauer knurrte etwas. Nicht, dass Diethelm erpicht war, mit dem Rosenauer mitzureisen. Doch er war Schwabe und unter Schwaben gaben sie sich die Hand.

»Haben die Heiden deinen kleinen Lombardier vor der Stadt aufgespießt?«, fragte Wilhelm. Diethelm schüttelte den Kopf. Er wusste, worauf Wilhelm anspielte. Vor der Stadtmauer, wo das Heer und die Knappen lagerten, war die Schlacht viel zermürbender gewesen als innerhalb der Stadt. Während sie schon fast die Zitadelle erreicht und den Sultan eingekreist hatten, war vor der Stadt das Hauptheer des Kaisers angegriffen worden, das sich kaum hatte erwehren können. Erst als sein Sohn Friedrich die Zitadelle umstellt hatte und mit seinen Schwaben dem Vater vor der Stadtmauer zu Hilfe kam, wendete sich das Blatt. Das alles hatte Diethelm nicht mitbekommen, er war schon verwundet gewesen und von irgendwelchen Badern, später Ungläubigen, behandelt worden.

Hier lagen sie nun Schulter an Schulter in einem arabischen Siechenraum, der in seiner Heimat wegen seiner Ausmaße, den hohen Fenstern und den verspielten Säulen eher einem Festsaal glich.

»Pio«, antwortete Diethelm und war unschlüssig, was er dem Rosenauer mitteilen sollte, »kehrt nach Adrianopelzurück«, erklärte er knapp.

»Zu diesem Schönling und deiner Mätresse!«

Er hätte es wissen müssen! Wilhelm von Rosenau war bei Alkmenes und Pares‘ Hochzeit gewesen.

»Was willst du von der kleinen Diebin?«, fragte Wilhelm.

Nichts wollte er von Alkmene! Vielleicht etwas Mandelkonfekt oder noch besser ihre eingedickte Anismilch. Oder vielleicht auch … Das hätte Diethelm nie zugegeben.

»Nichts«, sagte Diethelm und versuchte, sich zu erheben. Es war ihm peinlich, das Gespräch abzubrechen, schließlich hatte er es am Laufen gehalten.

Wilhelms Lachen im Rücken stützte er sich auf seinen Strohsack und ließ sich darauf nieder.

»Du bist ein verträumter, kleiner Schnösel, Diethelm von Toggenburg. Der einzige Grund, warum ich dich in meiner Entourage reisen lasse, ist, weil du weißt, wie man ein Schwert führt. Ein metallenes Schwert, beim anderen hege ich meine Zweifel.« Wilhelm lachte laut heraus. Diethelm, der weder Lust noch Kraft hatte, irgendetwas auf diese Beleidigung zu erwidern, richtete seinen Blick zur Decke.

Eine Bewegung beim Eingang weckte aber sein Interesse. Pater Bruno und Ritter Friedhold waren in den Krankensaal getreten und steuerten auf Diethelms Lager zu.

Diethelm blicke sich nach seinem Hemd um, zog dann das Laken über seine Verbände, als er nichts fand. Er konnte sich nicht vorstellen, was des Herzogs ehemaliger Knappe von ihm wollte. Dieser hielt sich ein Tuch vor die Nase, achtete darauf, keinem der Liegenden zu nahe zu kommen. Erst bei der Begrüßung senkte er den seidenen Stoff. Pater Bruno brummte etwas, schien sich auch nach einem Tuch umzublicken. Friedhold streckte Diethelm einen Weinschlauch hin.

»Der Herzog bricht morgen auf«, erklärte Friedhold. Diethelm nickte. Ulrich würde ihm Waffen und Rüstung bringen, sein restliches Gepäck nahmen er und Pater Bruno mit.

Friedhold warf einen Blick auf den Rosenauer, hob sein Tüchlein und beugte sich näher zu Diethelm.

»Herr Diethelm, ich benötige Eure Hilfe. Könnt Ihr mir einen Gefallen tun?«, brach es aus dem jungen Ritter heraus. Pater Bruno trat an Wilhelms Bettstatt und fragte laut nach dessem Befinden. Diethelm konnte sich nicht vorstellen, was Friedhold von ihm wollte.

»Die edle Merapi. Zurzeit ist sie nicht imstande zu reisen. Darf ich sie Euch anvertrauen?«

»Eure Dirn. Alkmenes Freundin?«, fragte Diethelm nach. Ihm schwindelte kurz. Er fühlte sich außerstande, irgendwelche Frauen zu beschützen, edle noch weniger als andere.

»Sie hat viel Blut verloren und …« Friedhold wischte sich mit dem Tuch übers Gesicht.

Merapi war schwanger – genauso wie Alkmene. Diethelm schauderte. Hatte sie ihr Kind verloren?

»Was ist geschehen?«, fragte Diethelm. Friedhold wurde rot und fuchtelte mit den Händen herum. Er hätte Merapi nie auf diesen Feldzug mitnehmen sollen.

Diethelm blickte zu Wilhelms Bett hinüber. Der Rosenauer ignorierte Pater Bruno und starrte zu ihnen herüber. Sollte er Friedhold mitteilen, dass er mit dem Rosenauer reiste. Dieser war nicht bekannt dafür, edle Frauen zu beschützen.

»Die Dame Merapi ist unpässlich«, stieß Friedhold endlich hervor. Diethelm erkannte, dass Wilhelm sich das Lachen verkniff.

»Alle sind verflucht«, raunte er, grinste zu Diethelm herüber und leckte sich über die Lippen. Sollte er es wagen!

»Du kannst die edle Merapi mir anvertrauen«, stammelte Diethelm hastig und merkte erst jetzt, dass Friedhold das förmliche Sie verwendet hatte und er nicht.

Ihm schien, als würde Friedhold fast in Tränen ausbrechen.

»Vielen Dank«, seufzte er, »Pferd und Lasttiere für die Dame stehen zur Verfügung.« Er nestelte an seinem Gürtel und schob Diethelm einen Beutel mit Münzen unter das Laken. Dieser wollte nobel ablehnen. Da fiel ihm ein, dass Pio all sein Silber mitgenommen hatte.