Looking down the Valley - Nicole Böhm - E-Book + Hörbuch
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Looking down the Valley Hörbuch

Nicole Böhm

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Beschreibung

In Haley tobt ein Sturm der Gefühle. Auf der einen Seite spürt sie, dass sie mit ihrem Filmpartner Wyatt mehr verbindet, als sie je für einen Mann empfunden hat, auf der anderen Seite hat sie schreckliche Angst davor, ihm die Wahrheit darüber zu sagen, was im Penthouse passiert ist. Als die beiden auf Drängen des Presseteams einen gemeinsamen Urlaub miteinander verbringen – Traumsetting inklusive – ahnt Haley nicht, dass sie dort jener Nacht ins Auge blicken muss, die sie seither verfolgt. Doch Wyatt kämpft um sie und ihre Freundschaft … die mittlerweile auch für ihn zu so viel mehr geworden ist.

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Zeit:10 Std. 31 min

Sprecher:Pia-Rhona SaxeLouis Friedemann Thiele
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© by Nicole Böhm

Originalausgabe

© 2024 by reverie in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Covergestaltung von Alexander Kopainski

Coverabbildung von 3d-ModelsArtist/cgtrader, CGRoom/cgtrader

E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783745704310

www.reverie-verlag.de

TRIGGERWARNUNG

Liebe Leserinnen und Leser, dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet Ihr am Romanende eine Themenübersicht, die demzufolge Spoiler enthalten kann.

Wir wünschen Euch das bestmögliche Erlebnis beim Lesen der Geschichte.

Euer Team von reverie

1. KAPITEL

Haley

INT.CLUBBÜRO–NACHT

MARISSA geht vor DAMONS Tür auf und ab. Sie ist sichtlich angespannt, weil sie Damon zur Rede stellen will. Sie glaubt, an der Last ihrer Gefühle für ihn zu ersticken und ringt damit, wegzurennen. Aber sie braucht Gewissheit und muss ihn konfrontieren.

MARISSA

(entschlossen)

Damon, ich bin nicht hier, um über dich zu urteilen. Ich möchte verstehen. Wenn wir das gemeinsam durchstehen wollen, müssen wir einander vertrauen.

Damon schaut sie ernst an, seine Miene undurchdringlich.

DAMON

(still)

Ich möchte auch verstehen, wer du bist. Es ist nicht einfach, Vertrauen zu fassen, Marissa.

Marissa seufzt, ihre Stirn in Falten gelegt, während sie versucht, ihre Gedanken zu sortieren.

MARISSA

(entschlossen)

Ich will nicht, dass du vergisst, wer du bist, Damon. Ich will nur verstehen, warum du so bist, wie du bist. Warum du …

Ich stöhnte frustriert und blickte auf das Skript, mit dem ich vor Wyatt in meinem Trailer auf und ab ging. Wir probten gerade unsere nächste Szene, mussten aber ständig unterbrechen, weil ich Texthänger hatte.

»… manchmal so verschlossen und undurchsichtig bist«, half Wyatt mir aus.

»Stimmt. Ich versteh nicht, warum ich mir das nicht merken kann.« Die Worte waren nun wirklich nicht kompliziert, sickerten aber durch mein Gehirn wie feiner Staub durch eine Sanduhr.

»Wir kriegen das schon hin.« Wyatt lächelte mich geduldig an.

Ich hob das Heft erneut an, las den Satz noch mal, doch kaum schloss ich die Augen, war er weg. Dabei war Auswendiglernen so leicht wie Atmen für mich. Ich machte das, seit ich zwölf Jahre alt gewesen war und als Meerjungfrau Savannah in meiner ersten Serie gespielt hatte. Zudem waren die Dialoge meiner momentanen Rolle Marissa nicht sonderlich anspruchsvoll. Sie hatte so viel Tiefgang wie ein Planschbecken und erforderte keine schauspielerischen Meisterleistungen. Doch mein Kopf war seit gestern Abend eine vernebelte Insel, wo alles in einem undurchdringbaren Dunst verschwunden war.

Weil diese Entscheidung in mir nachhallte.

Nur ein paar Minuten. Das ist alles, was du für deine Karriere tun musst.

Es wird schnell gehen.

Ein guter Blowjob.

Mach einfach die Augen zu. Wenn du sie wieder aufmachst, ist es vorbei, und du bist ein Star.

Ein Star. Der Star. Ihr Star.

Malcom McLeash und Lyle Matthews hatten mich erwählt. Sie hatten mit dem Finger auf mich gezeigt, mich aus der Masse herausgefischt, um an ihrer Seite den Olymp Hollywoods zu besteigen.

Während sich alle anderen mühevoll von Casting zu Casting schleppten, in der Hoffnung, ein paar Zeilen in einer billigen Serie oder einem mittelmäßigen Film zu sprechen, würde ich Champagner trinken, Stars treffen, international bekannt werden. Vielleicht eines Tages einen Oscar in der Hand halten. Ich wäre dort, wo die Millionen genauso flossen wie Ruhm und Anerkennung. Ich bräuchte mich nicht mehr zu sorgen. Ich bekäme all die Sicherheit, nach der ich mich mein Leben lang sehnte.

Mach einfach die Augen zu.

Es wird schnell gehen.

Ein guter Blowjob.

Da war sie. Die Abkürzung.

Alles, was es brauchte, waren ein paar Minuten Pein. Dann käme die Erlösung von den belanglosen Partys, auf denen ich mich mit tiefem Dekolleté und falschem Lächeln präsentieren musste. Dann käme die Freiheit. Die Selbstverwirklichung. Die Erfüllung meiner Träume, die ich schon so lange träumte.

Es wird schnell gehen.

Mach die Augen zu, und du bist ein Star.

Ich atmete durch, schüttelte die Erinnerung an gestern Abend ab und blickte zu Wyatt. »Also schön. Noch mal vom Seitenanfang.«

»Alles klar.« Er stellte sich mir gegenüber, so wie es nachher in der Szene sein würde.

Ich räusperte mich und setzte erneut an.

MARISSA

(entschlossen)

Damon, ich bin nicht hier, um über dich zu urteilen. Ich möchte verstehen. Wenn wir das gemeinsam durchstehen wollen, müssen wir einander vertrauen.

DAMON

(still)

Ich möchte auch verstehen, wer du bist. Es ist nicht einfach, Vertrauen zu fassen, Marissa.

MARISSA

(entschlossen)

Ich will nicht, dass du vergisst, wer du bist, Damon …

»So eine Scheiße!«

»Ganz ruhig, Haley. Das ist nicht schlimm.«

»Ich dreh gleich durch.«

»Hey.« Er kam näher, hob eine Hand, doch ich entzog mich ihm, ehe er mich anfassen konnte. Natürlich hielt er sofort inne. Wie immer respektierte er meine Grenzen, im Gegensatz zu anderen Männern, mit denen ich zu tun hatte.

Nur ein verdammter Blowjob.

Ich schüttelte mich und rieb mir über die Stirn. Mir war übel und schwindelig, und ich hatte das Gefühl, an mir selbst zu ersticken. »Noch mal, bitte.«

Er nickte, atmete durch und streifte seine Rolle Damon über. Es war jedes Mal faszinierend, wie leicht ihm das fiel. Wie aus diesem verständnisvollen, warmherzigen und offenen Mann dieser arrogante Mistkerl wurde, der dachte, er könnte alles und jeden haben. Der anderen seinen Willen aufzwang, der bekam, was er wollte, nur weil er vermögend und einflussreich war.

Der Frauen befahl, sich vor ihn zu knien und ihm einen Blowjob zu geben.

DAMON

(still)

Ich möchte auch verstehen, wer du bist. Es ist nicht einfach, Vertrauen zu fassen, Marissa.

Vertrauen.

Ich hatte vertraut.

So sehr.

Lyle vor allen Dingen. Der Mann, der mich vor ein paar Wochen mit einem Lächeln, in Jogginghose und barfuß in seinem Penthouse empfangen hatte. Der mit mir Schokokuchen gegessen, übers Leben philosophiert und mir einen Safe Space auf einer grausigen Party geboten hatte.

Es wird schnell gehen.

Ein guter Blowjob.

»Haley?«

»Was?«

Wyatt sah mich erwartungsvoll an und deutete auf das Skript. Ich stöhnte und schüttelte den Kopf. Er trat einen Schritt näher, hielt aber sofort inne, als er merkte, wie ich mich verspannte. »Ist denn alles in Ordnung mit dir? Du wirkst sehr … abwesend.«

»Ja. Ich hatte nur einen anstrengenden Abend.« Zum Glück wusste Wyatt nicht, wo ich gestern gewesen war, sonst hätte er bestimmt nachgefragt.

Stattdessen musterte er mich neugierig, schien abzuwägen, wie er mir am besten helfen konnte. Weil das auch etwas war, das er tat. Er war einfach da. Still und ruhig. Er hatte mir bei unserer ersten Begegnung mit ein paar Massagegriffen meine Migräne genommen, und ich wünschte, er könnte das jetzt auch. Mich anfassen, diesen Druck aus meinem Herzen streicheln und alles ungeschehen machen, was ich gestern erlebt hatte. Aber nicht mal er war zu solcher Magie fähig.

Seine Lippen teilten sich, doch ehe er etwas sagen konnte, klopfte es an meiner Trailertür. Ich zuckte zusammen und legte eine Hand auf mein rasendes Herz.

»J-ja, bitte?«

Die Tür ging auf, und Izzy, unsere PR-Leiterin, steckte den Kopf hinein. »Hi, ihr beiden. Stör ich?«

»Wir üben unsere Szene.«

»Ich brauch nicht lang.«

Es wird schnell gehen.

Sie trat ein und schloss die Tür hinter sich. Ich klappte das Skript zu und setzte mein übliches Haley-Lächeln auf. Das von mir erwartet wurde und das ich perfekt beherrschte. Ich war wie ein Chamäleon fähig, mich an jede Situation anzupassen.

»Es geht um den Kurzurlaub, den ihr auf Hawaii machen sollt.«

»Okay.« Seit Wochen schon lag sie uns damit in den Ohren, aber wir hatten bisher keinen passenden Termin gefunden.

»Es ist gar nicht so leicht, deine Agentin zu erreichen, Haley.«

»Ich weiß.« Gabi hatte mir gestern Abend eine Nachricht geschickt und mich gefragt, wie das Treffen mit Lyle und Malcom gelaufen war, aber ich hatte nicht geantwortet. Weil ich nicht wusste, was ich hätte schreiben sollen, und weil sie gerade mit Ella Freeman in New York war. Ihrem neuen Star. Der Frau, die schon lange den Olymp erklommen hatte. Ob sie dafür auch demütig vor einem harten Schwanz gekniet hatte?

»Ich hab jetzt mit ihrer Assistentin gesprochen«, fuhr Izzy fort, die zum Glück weiter auf mein falsches Lächeln hereinfiel. »Wir haben den Urlaub für den zweiundzwanzigsten August im Auge. Das sind also noch fast fünf Wochen. Ihr würdet Samstag ganz früh fliegen und sonntags wieder zurück. Dann könnt ihr am Montag pünktlich vor der Kamera stehen.«

Und wann sollten wir uns erholen? Frei machen? Ausspannen?

»Klingt gut«, hörte ich mich sagen.

»Perfekt. Wyatt?«

»Ja, klar, bin dabei.«

»Felipe kommt natürlich auch mit. Vielleicht noch ein weiterer Kameramann, je nachdem, wie viel Budget drin ist. Dieser Urlaub ist jetzt schon zu teuer.«

»Was immer euch passt«, sagte ich.

»Danke euch. Das wird großartig. Ihr seid großartig. Ich liebe Darissa.« Sie lächelte uns an und trat zur Tür. »Die restlichen Dates habt ihr euch eingetragen, oder?«

»Nächsten Donnerstag Spiel bei den Lakers, Samstag Fahrradfahren am Venice Beach, Dienstag Musical, zwei Tage später Abendessen.«

Izzy zeigte mir einen Daumen nach oben. Sie war zufrieden. Haley Sharp lieferte ab. So wie immer.

»Ach, das wird toll.« Sie nickte uns zu, dann trat sie aus meinem Trailer.

Das Klicken der Tür hallte viel zu laut in mir nach. Ich wandte mich um, sah erneut auf mein Skript, las die Zeilen und vergaß sie im selben Moment.

»Ist das wirklich okay für dich?«, fragte Wyatt.

»Natürlich! Ich muss schließlich meinen Text für den Dreh können.« Sonst käme es zu Verzögerungen, die jede Menge Geld kosteten und dazu unseren Regisseur Stephen all seine Nerven.

»Ich meine die Dates. Das ist ein straffer Zeitplan und sollte auch für dich machbar sein.«

»Oh. Ja. Ich krieg das schon hin.« Ich bekam schließlich alles hin, oder? Ich war Haley Sharp, ich war es gewohnt, dass man mir sagte, was ich zu tun hatte. Ich erfüllte jede Anforderung.

Ein Blowjob.

Es wird schnell gehen.

»Haley, du …«

Ich schloss die Augen, schüttelte den Kopf und merkte, wie meine Augen brannten. Wenn Wyatt jetzt noch einen Schritt auf mich zukäme, mich möglicherweise in den Arm nehmen würde, wäre es vorbei. Dann würde ich zusammenbrechen. Hier und jetzt würde ich in tausend Scherben zerspringen.

Dieser Mann war mir nähergekommen als irgendwer in diesen letzten Jahren. Nicht nur durch unsere Fake-Dates. Da war mehr, und genau das schmerzte zutiefst, denn mir war klar, dass das zu nichts führen würde. Ich hatte keine Zeit, die Beziehung zu Wyatt zu vertiefen. Ich schaffte es ja nicht mal, meine Familie zu sehen. So sehr ich seine Nähe und Zuneigung schätzte, so wenig konnte ich sie gerade ertragen. Er war zu gut. Zu rein. Zu einladend. Er leuchtete zu hell, wenn alles in mir gerade viel zu finster war.

»Vielleicht sollte ich allein weiterlernen.« Meine Stimme bebte, und ich hoffte, dass er es auf meine Müdigkeit schob.

»Sicher?«

»Ja, so kann ich mich besser konzentrieren. Bis zu unserer Szene hab ich den Text.«

»Okay.« Er trat zögernd an die Tür. »Wenn du mich doch noch brauchst, sag bitte Bescheid, ja?«

»Natürlich.«

Er lächelte mich an. Aber selbst das war zu warm und zu schön. Es schnitt mir ins Herz, vergrößerte diese Wunde, die nicht erst seit gestern dort prangte, sondern vermutlich schon seit Jahren.

»Bis später, Wyatt.« Ich drehte mich um, schenkte ihm keinen Blick mehr, sondern lauerte darauf, dass sich die Tür öffnete und schloss. Erst, als ich sicher war, dass ich allein war, atmete ich geräuschvoll aus. Mein Herz zog sich zusammen, und meine Augen füllten sich mit Tränen, aber ich drückte sie weg.

Jetzt nicht. Jetzt nicht, jetzt bloß nicht zerbrechen.

Es ging nicht. Ich hatte keine Zeit. Keine Kraft. Keine Energie. Nicht mal zum Auseinanderfallen.

Ich blieb vor dem Spiegel an meiner kleinen Garderobe stehen und betrachtete mich.

Eine fremde Frau blickte zurück. Eine, die gelernt hatte zu funktionieren. Die zu anderen ständig Ja sagte und zu sich selbst immer wieder Nein. Ich verbot mir schon so lange, ich selbst zu sein, dass ich keine Ahnung mehr hatte, wer ich überhaupt war oder wen ich brauchte. Gut, meine Augenringe brauchten definitiv eine Sonderschicht Concealer. Meine Haut mehr Farbe, meine Wangen mehr Rouge. Ich sah aus, als hätte ich seit Wochen nicht mehr geschlafen, und so fühlte ich mich auch. Wie ein wandelnder Geist, der nicht einmal mehr wusste, was Realität war und was zu meinem Schauspiel gehörte.

Vielleicht hatte ja dieser Abend im Penthouse nie stattgefunden.

Vielleicht war das alles nur ein Teil meiner Rolle gewesen.

Vielleicht hörte alles auf, wenn ich nur die Augen schloss und an etwas anderes dachte.

2. KAPITEL

Haley

Die Nacht zuvor

Der leere Aufzug wartete auf mich und mit ihm die Mittelmäßigkeit meines Lebens. Ich hielt die Luft an, ließ Malcoms Worte in mir nachhallen.

Es wird schnell gehen.

Ein guter Blowjob.

Nur eine Minute. Zwei. Drei.

Es war leicht. So verdammt leicht.

Ich atmete zitternd ein, hielt die Luft tief in mir drin. Der letzte Atemzug. Die letzte Entscheidung.

Ich musste das hier tun. Oder?

Es war zu verlockend. Zu wichtig. Zu unabdingbar.

Gabrielas Nachricht, die sie mir vor zwei Minuten geschickt hatte, rauschte mir durch den Kopf.

Ich hoffe, du hast viel Spaß bei dem Treffen. Das wird super, Haley. Überzeug sie mit deinem Charme. Du schaffst es!

Ich lachte auf, denn Charme war gewiss das Letzte, was Malcom von mir wollte.

Mit bebendem Herzen trat ich vom Aufzug zurück. Die Türen schlossen sich vor mir. Der Weg in die Mittelmäßigkeit versperrte sich, während sich hinter mir der Vorhang zur großen Bühne öffnete. Zu all den Möglichkeiten, all dem Ruhm, dem Prestige, der Freiheit. Es war zum Greifen nah.

Ich drehte mich um, presste die Lippen fest aufeinander und wappnete mich für das, was ich gleich tun würde.

Ein Schritt.

Überzeugen. So leicht.

Der Nächste.

Ich spiele eine Rolle. Das bin ich gewohnt.

Und noch einer.

Es ist nicht echt. Nichts hiervon.

Ich konnte das.

Ich musste das.

Ich brauchte das.

Ich wollte nicht mehr zum Durchschnitt gehören. Ich konnte nicht mehr zum Durchschnitt gehören. Meine Energie war aufgebraucht. Meine Chancen wurden von Tag zu Tag kleiner. Selbst meine Agentin widmete sich einer anderen Schauspielerin, die sie groß rausbringen konnte.

Und wenn ich dieses Angebot annahm, wäre ich dabei. Dann könnte ich mitspielen in diesem verrückten, derben und unnachgiebigen Spiel Hollywoods.

Ich machte noch einen Schritt. Malcom wartete auf mich im angrenzenden Raum. Vermutlich weiterhin mit der Hand um seine Erektion, einem Lächeln auf seinen Lippen und dem Wissen, dass er mich dort hatte, wo er mich haben wollte.

Ich war seine Marissa. Er war mein Damon. Die Rolle, die ich in der Serie spielte, wurde wahr.

Ich ging weiter, wollte um die Abtrennung herum, die den großen Wohnbereich vom angrenzenden Büro separierte, als mir jemand entgegenkam.

Lyle.

Er starrte mich an.

Ich starrte ihn an.

Wir blieben in diesem Raum aus Möglichkeiten und Scham.

Mit seinen dunklen Augen musterte er meine. Er schluckte, blinzelte, schüttelte den Kopf, kam langsam näher. Die Hände zu Fäusten geballt, der Atem flach.

»Es tut mir so leid.« Seine Stimme klang leise, rau, gebrochen.

Eben hatte er sich auch schon bei mir entschuldigt. Als Malcom seine Hose aufgemacht und mich voller Lust gemustert hatte. Lyle hatte hinter mir gestanden und gesagt, ich solle es tun.

Mach einfach die Augen zu. Wenn du sie wieder aufmachst, ist es vorbei, und du bist ein Star.

Seine Worte. Und er hatte recht.

Alle hatten recht. Er. Malcom. Gabriela. Sie wäre stolz auf mich, wenn ich zurückkäme und ihr sagte, dass ich überzeugen konnte.

Lyle biss hart den Kiefer aufeinander. Ich wollte an ihm vorbei in die Höhle des Löwen, doch er hob eine Hand. »Nicht.«

Ich sah ihn fragend an. Malcom hatte eben gesagt, dass für Lyle auch viel auf dem Spiel stand. Dass er nicht anders könnte, als dem Ganzen stumm beizuwohnen.

»D-das …« Er schloss die Augen, rieb sich über die Stirn, stöhnte gequält. »Tu es nicht.«

»Was?«

»Es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist. Du gehst jetzt nach Hause.«

»Ich …« Nein! Das war nicht das, was von mir erwartet wurde! Ich musste hier sein. Ich musste das tun.

Er schüttelte den Kopf, fasste mich am Ellbogen. Die Berührung glühte. Ich wollte das nicht, doch ich wehrte mich auch nicht dagegen.

»Das kann so nicht mehr ablaufen«, sagte Lyle.

»Du …«

Er führte mich zurück durch den Wohnbereich. Ich stolperte mehr neben ihm her, sah immer wieder dorthin, wo Malcom auf mich wartete. Wo meine Zukunft wartete. Lyle drückte den Aufzugknopf erneut. Da er noch auf der Etage stand, glitten die Türen sofort auf.

»Geh. Wir reden später.«

»Ihr …«

»Es wird alles gut, Haley. Ich regle das mit Malcom. Bitte gib mir etwas Zeit, und vertrau mir.«

Vertrauen. Wie unglaublich schal sich dieses Wort aus seinem Mund anhörte.

Sanft schob er mich in den Lift, drückte den Knopf fürs Erdgeschoss und trat zurück ins Penthouse.

Ich stand einfach nur da. Versteinert und verwirrt. Unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen.

Ich, Haley Sharp. Schauspielerin, die, seit sie zwölf war, vor einer Kamera agierte und darauf zählte, dass andere ihr sagten, was sie zu tun hatte. Ich konnte meine Rolle spielen. Ich konnte all den Anweisungen folgen, Dinge erledigen, die von mir erwartet wurden. Lachen. Weinen. Schreien. Schweigen.

Ein guter Blowjob.

Sah er das nicht?

Die Türen glitten zu. Lyle starrte mich an, bis sich der Aufzug komplett schloss und somit meine Träume vor mir versperrte.

Mach die Augen zu, und du bist ein Star.

Dann hast du es geschafft.

Dann wird alles gut.

Aber gerade fühlte es sich eher so an, als würde alles auseinanderbrechen.

3. KAPITEL

Wyatt

SPORTBUZZ

Heiße News von den heißesten Menschen Hollywoods, Wyatt Holt und Haley Sharp! Erst kürzlich besuchte das Paar ein Testspiel der L. A. Lakers gegen die Golden State Warriors und sorgte durch seinen intensiven Kuss in der Halbzeitpause für ordentlich Auftrieb, denn die Lakers schlugen die Warriors haushoch! Haben die Stars die Weichen für eine erfolgreiche Saison gestellt? Hollywoods neues Power Couple ist definitiv auf dem Vormarsch!

ONSET INSIDER

Von der Leinwand ins wahre Leben! Das beliebte Traumpaar aus der Hit-Serie Undercurrents führt seine Liebesgeschichte fort. Die beiden Schauspieler wurden am Venice Beach gesichtet, wo sie Hand in Hand über die Promenade schlenderten und verliebte Blicke tauschten. Wie uns von einem Insider berichtet wurde, sind die beiden auch am Set unzertrennlich, und wir dürfen uns auf einige heiße Szenen zwischen Haley und Wyatt freuen. Angeblich plant das Paar einen Kurztrip auf die Trauminsel Hawaii. Romantischer geht es wohl nicht mehr.

STAR GOSSIP WEEKLY

Liebesdrama oder echte Romanze? Wyatt und Haley zeigen sich wieder zusammen! Die Gerüchteküche brodelt, und Hollywoods neuestes Liebespaar ist der heißeste Stoff. Die beiden Undercurrents-Stars verlassen die Sets nicht nur als Drehpartner, sondern auch als echtes Traumpaar. Sind sie das nächste große Ding oder nur ein weiteres Hollywood-Flirt-Experiment?

CHIC CELEB STYLE

Stilsicher und verliebt: Wyatt und Haley erobern den roten Teppich! Hollywoods neues Lieblingspaar strahlt nicht nur vor Glück, sondern auch in den schicksten Outfits. Bei der Premiere des Musicals Tightrope im Palace Theater setzen die beiden Trends und zeigen, dass Liebe und Glamour perfekt harmonieren.

STARLIGHTS UNITED

Die Fans jubeln: Wyatt und Haley sind das Traumpaar von Undercurrents! Erst kürzlich wurden die beiden in einem der nobelsten Restaurants Hollywoods gesichtet, wo sie verliebte Blicke austauschten. Darissa werden die Show dermaßen rocken. Wir freuen uns darauf, wenn wir die zweite Staffel endlich sehen können.

»Wyatt, bist du so weit?«

»Mh?« Ich blickte von meinem Smartphone und den News über Haley und mich auf, die sich mit jedem unserer Dates steigerten. Wer hätte bis vor ein paar Wochen noch gedacht, dass ich mal in Klatschmagazinen über mein Fake-Liebesleben lesen würde?

Eric hatte mir schon einen Dämpfer verpassen wollen und meinte, dass das bald wieder abflachen würde. »Die wollen nur das Sommerloch füllen«, hatte er gesagt. »Da angeln sie nach jedem Strohhalm.«

Das mochte sein, ich fand es dennoch aufregend.

Ich nickte Kendra zu, die zum Team von BuzzFeed gehörte. Sie war eine quirlige junge Frau mit einem knallblauen Undercut, zwei Tattoosleeves und einem Piercing in der Nase. Das Leder des Sessels knarzte, als ich mich erhob und das Set betrat. Eine Maskenbildnerin wartete schon, tupfte mir die Stirn, die Nase, das Kinn ab und richtete meine perfekt verzottelten Haare. Damons Haare, denn er bevorzugte diesen Style, weil er damit eine Lässigkeit ausstrahlen wollte, die er nicht besaß. Im Inneren blieb er der knallharte Typ, der sich durch nichts aufhalten ließ und es am liebsten mochte, wenn viele verzweifelte Seelen seinen Weg pflasterten.

Seit zweieinhalb Monaten stülpte ich mir nun das Alter Ego des klassischen Bad Guys über. Damon Mayfield. Ansässig im fiktiven Newport Haven. Besitzer eines exklusiven Nachtclubs. Gut aussehender Geschäftsmann. Alpha. Arschloch.

Und ich, Wyatt Holt, frisch in L. A. eingetroffen, glücklich in meiner Wohnung, die mir von der Produktion gestellt worden war. Schauspieler. Hoffentlich kein Arsch. Wohl eher ein Labrador, wenn es nach meiner Schwester Zoe ging.

Damon und ich könnten unterschiedlicher nicht sein. Mir war klar gewesen, auf welche Reise ich mich mit ihm einlassen würde. Dass es nicht leicht wäre, diese Toxizität in mir zu finden, die er Tag für Tag lebte, doch genau das hatte mich an der Rolle gereizt. Ich liebte es, meine Grenzen zu erkunden und in Bereiche meiner Seele vorzudringen, die sonst im Dunkeln lagen. Schauspielern war eben auch immer ein wenig mit Masochismus verbunden.

»So okay?« Ich stellte mich vor dem blauen Backdrop in die Mitte der Scheinwerfer.

Kendra reichte mir einen Barhocker, auf den ich mich setzen sollte, und ein Handy mit dem vorbereiteten Text, den ich gleich vorlesen würde. »Ja, perfekt.« Sie schenkte mir ein offenes Lächeln. Vielleicht auch ein Zwinkern. Sie hatte vorhin schon mit mir geflirtet, als ich eingetroffen war, aber ich wusste nicht, ob sie das mit jedem Gast tat, oder ob sie wirkliches Interesse an einem kleinen Abenteuer hatte. Vor ein paar Wochen noch wäre ich sicher nicht abgeneigt gewesen, aber heute ging ich natürlich nicht darauf ein.

Nicht nur, weil ich mit Haley Sharp für die Öffentlichkeit eine Fake-Beziehung führte und Kendra das sicherlich wusste, sondern weil ich privat ebenfalls mehr für sie empfand, als es unter Kollegen üblich sein sollte. Haley und ich waren uns nicht nur on screen nähergekommen. Wir funktionierten auch verdammt gut off screen. Einmal hatten wir uns sogar ohne Kameras geküsst. Auf einer Klippe an der Küste L. A.s.

Ich erinnerte mich an jedes Detail. An ihre warme Haut, ihren Atem, der mein Gesicht streifte, an ihr leises Keuchen, als ich sie berührte. Da hatte sie mir einen kleinen Einblick gewährt. Auf die Haley, die sie sonst nicht nach außen ließ. Die sanft und zerbrechlich war. Vielleicht auch ein wenig verloren.

Doch ich spürte deutlich, dass sich etwas verändert hatte. Haley kapselte sich immer mehr von mir ab. Nicht nur an diesem einen Tag, an dem wir den Text für unsere Szene lernen wollten und sie mich quasi vor die Tür gesetzt hatte. Auch sonst blieb sie bei den Dreharbeiten eher kühl. Unsere Gespräche plätscherten an der Oberfläche und gingen selten über das Berufliche hinaus. Sobald Stephen Cut rief, verschwand sie entweder in ihrem Trailer oder steckte die Nase in ihr Skript. Auf unseren Fake-Dates gaben wir uns vertraut und intim, lächelten miteinander, berührten uns, tauschten Küsse aus, aber es fühlte sich nicht mehr so innig an wie zuvor. Jedes Mal, wenn ich versuchte, ein intimeres Gespräch anzufangen, blockte sie ab. Sobald wir alle Bilder und Videos im Kasten hatten, beendete sie unser Date und verabschiedete sich.

Irgendwann müssten wir das klären, denn ich konnte auf keinen Fall weiter so in der Luft hängen. Wenn ich was falsch gemacht hatte, wäre es mir lieber, sie würde es mir sagen.

»Wir können jederzeit anfangen.« Kendra nickte dem Kameramann zu, der das Ganze filmen würde.

»Alles klar.« Ich atmete tief durch, schob die Gedanken an Haley zurück und konzentrierte mich auf meine heutige Rolle. Wyatt Holt. Schauspieler. Aufsteigender Star einer mittelmäßigen Teenieserie, der heute seine ersten Thirst-Tweets lesen würde.

Ich hob das Handy an und las den vorbereiteten Tweet vor:

@redspice:OMG, Wyatt Holt ist so hot! Setz dich auf mein Gesicht, Baby, und bleib dort, bis ich ohnmächtig werde.

Ich hob eine Augenbraue und blickte in die Kamera. Natürlich wurde eine entsprechende Reaktion von mir erwartet. »Redspice, das stell ich mir erstens unbequem vor, und zweitens würde ich es bevorzugen, wenn wir beide bei Bewusstsein blieben.«

Ich lächelte kurz, sah zu Kendra, die einen Daumen hob, und scrollte zum nächsten Tweet. Im fertigen Schnitt würden diese immer unten eingeblendet werden.

@Niomi:Wyatt Holt gibt mir Daddy-Vibes auf die beste Art und Weise. Ich will deine Abs mit meiner Zunge nachzeichnen.

»Niomi: Das mit den Daddy-Vibes lass ich mal unter den Tisch fallen, aber Zunge und Abs sind ’ne gute Kombi. Darüber können wir reden.«

@oceanwaves:Können wir wet für Wyatt Holt ein Ding machen? Wet Hair, Wet Body, Wet p**sy!

»Oceanwaves: Beim Wet Hair und Body muss ich passen. Das stell ich mir sehr kalt im Winter vor. Das andere …« Ich hob eine Augenbraue und grinste anzüglich. Das musste ihr als Antwort genügen.

@smp:Wyatt Holt könnte mir ins Gesicht spucken, und ich würde mich bei ihm bedanken.

»Nein, smp, einfach nur Nein.«

@bestgirlintown:Wyatt Holt gibt mir Big Dick Energy.

Ich blickte an mir hinab und runzelte die Stirn. »Das lass ich mal unkommentiert.«

@fantasyforreal:Wyatt Holt könnte mir den Hintern versohlen und mir dabei Tiernamen geben.

Ich sog die Luft zwischen die Zähne und tat so, als müsste ich erst über eine Antwort nachdenken. »Hab echt nichts gegen gutes Spanking, und ein bisschen Dirty Talk ist immer drin.«

@xxx:Geht es nur mir so, oder definiert Wyatt Holt neu, was es bedeutet, mühelos charmant, sexy und absolut umwerfend zu sein?

Und so ging das weiter und weiter und weiter. Ich las rund zwanzig dieser Tweets vor, von denen einer schlüpfriger als der andere war, und fragte mich, ob das wirklich echte Leute geschrieben hatten oder ob Buzfeed sich die ausgedacht hatte. Irgendwann war ich fertig, und mir glühten tatsächlich die Ohren, obwohl ich schon viel in meinem Sexleben ausprobiert hatte und mir wenig fremd war.

»Danke, Wyatt, das war großartig.« Kendra nahm das Handy mit den Tweets zurück und schenkte mir ein weiteres offenes Lächeln.

»Es war definitiv eine interessante Erfahrung.«

Sie biss sich auf die Unterlippe und trat einen Schritt näher. »Wenn du willst, könnten wir das mit den Abs und der Zunge mal ausprobieren.«

Ich hielt die Luft an. Es störte sie also wirklich kein bisschen, dass ich eigentlich mit Haley zusammen war.

»Verlockend, aber im Moment gibt es nur eine, deren Zunge an meine Abs kommt.« Ich war gespannt, wie die Öffentlichkeit auf dieses Video reagieren würde. Ob uns jemand bei einem Interview darauf ansprach und Haley dann entweder die Eifersüchtige spielte oder die, die keinerlei Zweifel an mir hegte.

Kendra seufzte leise. »Schade.«

Ich zuckte mit den Schultern und lächelte sie an.

»Falls sich das ändern sollte …«

»… ruf ich dich sofort an.«

Sie zwinkerte. »Ich zähl drauf.«

Sie trat an mir vorbei und ließ mich allein zurück. Es war schon komisch, wie normal dieses oberflächliche Geplänkel mittlerweile für mich geworden war. Ich hatte das Gefühl, dass es in Hollywood noch viel mehr zum alltäglichen Ton gehörte als in New York.

Ich verabschiedete mich vom restlichen Team und verließ das Gebäude in ein immer noch sehr heißes L. A. Es war bereits kurz vor sieben am Abend, dennoch war die Luft stickig und aufgeladen. Wir hatten Anfang August, und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite. Strahlend blauer Himmel, Sonnenschein, Hitze. BuzzFeed hatte sein Büro Downtown, und so war entsprechend viel los auf der Straße. Etliche Touris waren mittlerweile in die Stadt eingefallen, machten Fotos mit den Sternen am Walk of Fame oder ließen sich mit den zahlreichen Straßenkünstlern in Kostümen ablichten. Es war ein buntes Treiben aus Kommerz, Lärm, Kindergeschrei und gestressten Eltern und hatte wenig vom Glamour Hollywoods, den so viele in dieser Stadt suchten.

Ich machte mich auf den Weg, zückte mein Handy und rief den Chat mit meiner Schwester Zoe auf. Eigentlich schrieben wir uns immer erst am Ende eines Tages, wofür wir dankbar waren, nicht schon am Nachmittag, aber heute würde ich eine Ausnahme machen. Manchmal waren es lange Nachrichten, manchmal bestanden sie nur aus wenigen Sätzen. Ich liebte unser Ritual, weil es mir nicht nur vorhielt, wie viele schöne Dinge mir am Tag begegneten, sondern weil ich mich ihr so näher fühlte. Im Moment wohnte sie nämlich in San Francisco und studierte Jura in Stanford.

Ich lächelte, sammelte mich kurz und fing an zu schreiben.

03. AUGUST

Wyatt

Wyatt

Ich bin dankbar für:

Für mein geniales Leben hier in L. A.

Ich sollte das viel öfter schreiben, weil ich wirklich jeden Tag eine unglaubliche Dankbarkeit in mir spüre.

Fürs Durch-die-Stadt-Laufen und das Flair in mich aufnehmen. Wenn so viele Touristen hier sind, fühl ich mich wie ein Einheimischer.

Für den coolen Termin bei BuzzFeed. Hab meine ersten Thirst-Tweets gelesen. Beau wird es lieben, du wirst es total peinlich finden, und Patrick wird es hinnehmen.

Für die Sonne, die gerade in mein Gesicht strahlt.

Fürs Heimgehen und Chillen. Der erste Abend seit Langem, an dem ich mal wieder Zeit für mich hab.

Für dich. Jeden Tag. Vermiss dich!

Zoe

Jetzt weiß ich nicht, ob ich gespannt auf deine Thirst-Tweets sein soll oder mich davor drücken muss. Vielleicht mach ich einen Familiencall und guck das Video mit unseren Brüdern an.

Ich bin dankbar für:

Die ersten Stunden in Stanford. Es sind zwar alles nur Vorbereitungskurse auf das kommende Semester, aber es fühlt sich gut an. Ich glaub, ich bin am richtigen Ort.

Für meine netten Mitstudierenden. Hier herrscht echt ’ne gute Stimmung. Heute hab ich in der Mittagspause mit ein paar Mädels diskutiert. Es war richtig produktiv und wohltuend.

Für das, was ich bin, und wie ich mich fühle. Ich liebe meinen Körper.

Für meine Familie, meine Freunde, meine ersten Schritte hier in San Francisco.

Für Martha, die mich heute Abend mit einem himmlischen Spinatauflauf empfangen hat. Alles selbstgemacht, sie hat sogar den Käse per Hand gerieben. Langsam wird sie richtig gut im Kochen.

Für meine wunderschöne Wohnung und mein Zimmer. Ich hab jetzt auch Lichterketten aufgehängt. Ich schick dir ein Bild.

Für dich und alles, was du erlebst. Ich bin so stolz auf dich!

4. KAPITEL

Haley

»Hi, ich bin Haley Sharp. Gabriela Rodriguez müsste mich erwarten.«

Der Platzanweiser sah auf sein Buch, suchte meinen Namen und nickte.

»Folgen Sie mir bitte.« Er schnappte sich eine Speisekarte und führte mich über die Außenterrasse des San Lauren-Restaurants, das bis auf den letzten Platz gefüllt war. Es hatte vor zwei Jahren aufgemacht und lange Zeit als Geheimtipp unter den Einheimischen gegolten. Seit Leonardo DiCaprio es in seinen Insta-Storys erwähnt hatte, war es allerdings explodiert. Eingebettet zwischen moderner Architektur und Palmen hatte man von hier aus zudem einen traumhaften Blick auf den Sonnenuntergang, der heute besonders schön werden würde. Eigentlich war das San Lauren bis auf Monate ausgebucht, aber anscheinend hatte Gabrielas Name genügend Gewicht. Das heutige Treffen war recht spontan zustande gekommen, nachdem sie mich die letzten zwei Wochen vertröstet hatte, weil sie mit Ella unterwegs gewesen war.

Zwei Wochen.

So lange war das schon her.

Zwei Wochen Funkstille zwischen Malcom, Lyle und mir.

Es wird alles gut, Haley. Ich regle das mit Malcom. Bitte gib mir etwas Zeit, und vertrau mir.

Diese Worte begleiteten mich genauso wie der Ekel vor mir selbst. Ohne Lyle wäre ich an jenem Abend zurückgegangen. Ich hätte mich vor Malcom gekniet, seine Hose geöffnet und ihm das gegeben, was er von mir erwartet hatte. Ich hätte das getan, was ich am besten konnte: Anweisungen folgen. Ohne nachzudenken. Ohne innezuhalten. Einfach machen.

Und es erschreckte mich.

Weil ich eine Frau geworden war, die ihre Würde unter ihren Karriereplänen begrub. Selbst jetzt, da die Entscheidung gefallen war, dachte ich darüber nach, ob ich nicht darauf hätte bestehen sollen, zu bleiben.

Der junge Mann führte mich zu einem Tisch, an dem meine Agentin saß und die Speisekarte studierte.

»Hi, Gabriela.« Ich lächelte sie an und setzte mich ihr gegenüber.

Sie blickte kurz auf und schenkte mir ebenfalls ein Lächeln. »Haley, schön, dich zu sehen.«

»Danke für die Einladung.«

Sie nickte.

»Ben wird Sie gleich bedienen, aber ich bringe Ihnen gern ein Getränk, wenn Sie möchten«, sagte der Mann, der mich hergeführt hatte.

Ich sah auf Gabrielas gefülltes Glas und deutete darauf. »Ich nehm auch einen Lillet.«

»Natürlich.« Er schenkte mir Wasser aus einer vorbereiteten Karaffe ein und verschwand wieder. Ich sah auf die Speisekarte, die genauso exklusiv war wie der Rest des Ladens.

»Ich kann den gebratenen Ziegenkäse mit Honigsoße empfehlen.« Gabriela legte ihre Karte weg.

»Danke.« Ich studierte die Auswahl und blieb an einem Salat mit gegrillter Zucchini und frischen Tomaten hängen, aber vielleicht sollte ich den Ziegenkäse probieren.

»Wie geht es dir, Haley?«

»Gut, und dir?«

»Ich kann nicht klagen.« Sie legte den Kopf schräg, und ich sah ihr an, wie sie über ihre nächsten Worte nachdachte. Wir wussten beide, dass ich gerade unterging. Wie immer hatte ich mich in den letzten Wochen von Termin zu Termin gehangelt, hatte Interviews gegeben, gelächelt, geschauspielert und das getan, was ich zu tun hatte, aber wirklich was Neues hatte sich nicht ergeben.

Die einzigen Momente, in denen ich mich ein bisschen entspannen konnte, waren die Dates mit Wyatt. Jedes Mal, wenn er in meiner Nähe war, schien alles leichter zu sein und ich freier atmen zu können. In diesen kurzen Momenten gestattete ich mir sogar, ein bisschen Glück zu empfinden. Mich dem hinzugeben, was er ausstrahlte, und darin zu baden. Leider war das Gefühl nie von Dauer. Meistens kehrte ich zu schnell zurück ins Penthouse, wo ich gefangen blieb zwischen Ruhm und Absturz, zwischen einem verteufelten Angebot, das die Freiheit versprach, und der Belanglosigkeit meines Lebens.

Es wird schnell gehen.

Ein guter Blowjob.

Ich hätte nicht gehen sollen.

Ich hätte früher gehen sollen.

Ich hätte Lyle nicht die Entscheidung für mich treffen lassen sollen.

All diese Gedanken kreisten und kreisten und kreisten, bis mir schwindelig wurde und ich nicht mehr wusste, was richtig und was falsch war.

»Wie … wie geht es eigentlich deinem Welpen?« Ich lächelte. Gabriela redete gern über ihre Familie. Es war ein sicheres Thema.

»Oh, Body wächst wie verrückt. Er hat sich super integriert und schläft vor Sues Bett. Sobald sie aufsteht, folgt er ihr auf Schritt und Tritt, die beiden sind unzertrennlich.«

»Das freut mich.«

»Er ist ihr wirklich ein Trost. Gerade jetzt, da ich so oft unterwegs sein muss.«

Sie war alleinerziehend, hatte aber ein Au-pair zur Hilfe. Gabriela plauderte eine Weile über ihren Alltag mit dem Hund und wie es für ihre Tochter Sue war. Zwischendrin gaben wir unsere Bestellung auf, und da sie noch mal betonte, wie gut der Ziegenkäse sei, entschied ich mich doch dafür.

»Aber genug davon«, schloss sie irgendwann ihre Erzählungen ab. »Wir müssen über dich reden. Leider läuft es gerade nicht so gut, Haley. Bisher haben alle Castingagenten abgesagt, bei denen wir dich vorstellen wollten.« Sie reckte das Kinn und kniff die Augen zusammen. Auf einmal kam ich mir vor wie ein kleines Mädchen, das irgendetwas falsch gemacht hatte. Das die Erwartungen seiner Eltern einfach nicht erfüllen konnte, egal, wie sehr es sich anstrengte. Dabei war es doch meine Verantwortung, alles am Laufen zu halten. Ich musste besser werden. Mehr geben. Intensiver an mir arbeiten.

»Ich weiß. Mei hat es mir schon geschrieben.«

»Sie hat auch mehrfach bei Lyle und Malcom angerufen, doch sie wird jedes Mal vertröstet.«

»Vielleicht bringt es was, wenn du das persönlich machst.«

Sie schüttelte den Kopf. »Wenn sie uns mit Assistenten sprechen lassen, tun wir es genauso. Aber erzähl mir mal genauer, was an jenem Abend passiert ist. Du meintest doch, dass der Termin gut war.«

»Ja. Ich … Lyle sagte, dass er Zeit brauche und ich ihm vertrauen solle. Er wollte sich melden.«

»Davon hat er reichlich, würde ich sagen. Es kann nicht sein, dass die beiden uns immer wieder hinhalten. Ich frag mich echt, ob wir mit Undercurrents nicht doch aufs falsche Pferd gesetzt haben.«

»Wie meinst du das? Du hast mir zur zweiten Staffel geraten und sagtest, dass es gut für mich wäre.« Mir brach der kalte Schweiß aus. Ich erinnerte mich noch gut an den Moment, als wir die Verträge unterschrieben hatten und ich darauf hoffte, dass es dadurch voranging. Sollte das doch alles ein Fehler gewesen sein? Hatte ich schon wieder die Kurve nicht gekriegt und hing allen anderen hinterher?

»Ja, ganz ruhig.« Sie hob die Hand. »Es ist auch gut, dass du im Gespräch bist und endlich für andere Rollen als für Savannah wahrgenommen wirst. Mit Undercurrents wurdest du immerhin das Kinderimage los, es kann aber sein, dass du dich in die nächste Schublade gesetzt hast. Gerade mit den Fake-Dates mit Wyatt. Ich war von Anfang an nicht sicher, ob das eine gute Idee ist.«

Ach, jetzt auf einmal? Davon hatte sie nie etwas gesagt. Ich trank einen Schluck von meinem Lillet und spülte damit die Enge in meiner Kehle fort.

»Das ist völlig normal, Haley«, fuhr sie fort. »Man muss den Kurs immer wieder korrigieren, vor allen Dingen, wenn man noch nicht genau das Ziel kennt, wie das bei dir der Fall ist.«

Unser Essen kam, der Kellner stellte den Ziegenkäse vor mir ab, der tatsächlich sehr gut duftete, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich einen Bissen runterbekommen sollte. »Würde es denn helfen, wenn ich meinen Typ ändere? Ich könnte meine Haare wieder blond färben.« Das hatte ich vor ein paar Jahren bereits getragen, als es gerade in gewesen war. Hollywood durchlief immer gewisse Trends, und seit dem Barbie-Blockbuster kehrte er zurück ins Helle.

»Das müssten wir mit der Produktion klären. Marissa trägt ja kein Blond.«

»Aber vielleicht kann man das geschickt ins Drehbuch einbauen. Sie macht schließlich eine Entwicklung durch, da wäre es logisch, wenn sie ihre Haarfarbe anpasst.«

»Mh. Ich denk drüber nach, weiß aber nicht, ob das die Lösung ist. Ich glaube, wir müssen eher diese Fake-Dating-Sache überdenken.«

»Ich …« Ein Stich fuhr mir durchs Herz, weil ich nicht wollte, dass wir das überdachten. Zwar hatte ich auch Wyatt in den letzten Wochen auf Abstand gehalten, aber die Dates mit ihm waren meine Inseln der Ruhe geworden. Jedes Mal, wenn ich ihn sah oder spürte, konnte ich wenigstens kurz durchatmen. Er war momentan der Einzige, der nicht an mir zog oder irgendwas von mir erwartete. Er wartete auf mich, beobachtete mich und gab mir Raum zum Innehalten.

Ich wollte nicht, dass man mir das auch noch wegnahm, gleichzeitig tat ich nichts, um diese Beziehung zu vertiefen. Ich hielt Wyatt mittlerweile in diesem ganz bestimmten Abstand. Wo er mir nicht zu nahekommen konnte, ich aber dennoch viel von ihm bekam. Es war unfair ihm gegenüber, das war mir klar, aber ich konnte gerade nicht mehr geben. Die Frage war nur, wie lange er das noch mitmachen würde. Vielleicht käme ihm der Vorschlag von Gabriela sogar gelegen?

»Wann sollt ihr noch mal gemeinsam in den Urlaub fliegen?«

»In eineinhalb Wochen.« Auch das löste die widersprüchlichsten Gefühle in mir aus. Auf der einen Seite freute ich mich darauf, weil wir Zeit füreinander hätten, auf der anderen fürchtete ich mich auch davor, dass er mir zu nahekommen könnte. Dass er diese gewisse Schwelle übertrat und mich zwang, mich mit all den Dingen auseinanderzusetzen, die mich schmerzten. Dafür war ich nicht bereit.

»Gut. Das könnte man super als Aufhänger dafür nehmen, dass ihr euch trennt. Weil ihr da das erste Mal mehr Zeit miteinander verbracht habt und merkt, dass es nicht funktioniert.« Sie tippte sich ans Kinn und nickte mehr zu sich selbst, als wäre das der beste Gedanke, den sie je hatte. »Ja, das könnte funktionieren.«

Aber funktionierte es auch für mich? Ich versuchte mir das Szenario vorzustellen, in dem wir uns trennten, und es fühlte sich merkwürdig falsch, aber auch richtig an. Weil dann Platz für Neues war, weil ich Gabi vertraute und sie wusste, was mir weiterhelfen würde.

»Wir müssen mehr auf die Malcom-Lyle-Karte setzen. Es ist dein großer Vorteil, dass du enger mit ihnen im Gespräch warst, das gewähren sie nicht vielen. Nicht mal Ella wollten sie einladen.«

Also hatte Gabriela versucht, auch sie ins Franchise zu bringen? Was wäre passiert, wenn sie zu Ella ja gesagt hätten? Hätte Gabi mich dann ganz fallen gelassen?

»K-kann ich denn noch irgendwas tun?« Ich könnte mich bei Malcom melden, ihn um ein weiteres Gespräch bitten und dann … keine Ahnung.

Ein Blowjob.

Es wird schnell gehen.

»Nein, lass mich das regeln. Falls ich was von dir brauche, sag ich Bescheid.«

»Okay.« Ich schüttelte mich, schob den Teller zurück, ohne viel gegessen zu haben, und trank meinen Lillet leer.

Ich hätte nicht gehen sollen.

Ich hätte früher gehen sollen.

Ich hätte Lyle nicht die Entscheidung für mich treffen lassen sollen.

Ich hätte …

5. KAPITEL

Wyatt

INT.CLUBBÜRO–NACHT

DAMON sitzt an seinem eleganten Schreibtisch im Büro des Nachtclubs. Die pulsierenden Beats der Musik dringen durch die Wände herein, als die Tür aufschwingt und JENSON hereinkommt.

JENSON

(grimmig)

Damon, wir müssen reden.

Damon hebt kaum den Blick von seinen Unterlagen und wirkt gleichgültig.

DAMON

(lässig)

Nun, wenn es nicht der großartige Jenson Gray ist. Was führt dich in mein bescheidenes Büro?

Jenson schnaubt verärgert und schließt die Tür hinter sich.

JENSON

(scharf)

Du weißt genau, was Sache ist. Du mischst dich in meine und Marissas Angelegenheiten ein, und das akzeptiere ich nicht.

Damon lehnt sich zurück und sieht Jenson herausfordernd an.

DAMON

(lässig)

Ach, Jenson. Übertreibst du nicht ein bisschen? Ich tue nur, was für euch das Beste ist.

Jenson knallt seine Hand auf den Tisch, seine Augen funkeln.

JENSON

(wütend)

Das Beste für uns? Willst du mich verarschen? Du bist doch nur an dir selbst interessiert, Damon. Aber damit ist Schluss! Wir sind nicht deine Bediensteten.

DAMON

(sarkastisch)

Dafür verhaltet ihr euch aber ziemlich demütig vor mir, findest du nicht?

JENSON

Halt dich von Marissa fern!

DAMON

(gelangweilt)

Oh, sieh mal an, wer die Krallen ausfährt. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut.

Er lehnt sich im Stuhl nach vorn, fixiert Jenson aus eiskalten Augen.

DAMON

Aber sag mir, Jenson: Siehst du nicht auch neuerdings das Funkeln in Marissas Augen? Das Beben ihres Atems, weil sie so viel mehr fühlt? Ich flöße ihr Leben ein. Du kannst nicht leugnen, dass sie heller strahlt, seit ich hier bin. Alles läuft besser, seit ich hier bin. Selbst dieses verdorrte Kaff bekommt mehr Energie.

Jenson verliert für einen Moment die Fassung, bevor er sich wieder sammelt.

JENSON

(kalt)

Du bist hier aber nicht der scheiß König!

Damon steht auf und geht provokativ auf Jenson zu.

DAMON

(spöttisch)

Ist das so? Vielleicht bin ich es ja doch, Jenson. Vielleicht bin ich der König, und du nur ein weiterer Untergebener, der nach Anerkennung sucht.

Jenson ballt die Fäuste vor Wut.

JENSON

(scharf)

Du wirst schon sehen, Damon. Früher oder später wird dein Spiel nach hinten losgehen und dir alles um die Ohren fliegen!

Damon lacht spöttisch und geht zurück zu seinem Schreibtisch.

DAMON

(lässig)

Ich werde mir liebend gern das Feuerwerk aus der ersten Reihe anschauen. Ich freu mich schon drauf.

Jenson dreht sich abrupt um, öffnet die Tür und verlässt den Raum. Damon lehnt sich zurück, lächelt und genießt das Gefühl der Überlegenheit.

»Cut! Den nehmen wir, danke.« Kaum gab Stephen das Signal, entspannten sich auch schon alle.

Ich erhob mich von meinem Schreibtisch und warf Eric einen Blick zu. Er stand mit geballten Fäusten auf der anderen Seite der Tür und fixierte mich grimmig.

»Alles klar?«, fragte ich.

»Ja, Damon geht mir nur echt auf den Keks. Ich mein, der Typ ist ein arroganter Arsch, und dennoch buckeln alle vor ihm und fallen fast in Ohnmacht, wenn er nur in ihre Richtung atmet.«

»Ja, weil er heiß ist.« Sarah, unsere Requisite, zwinkerte mir zu. Ich machte ihr Platz, damit sie die Papiere und Damons andere Habseligkeiten einsammeln konnte.

»Aber das kann doch nicht ernsthaft die Entschuldigung für alles sein, oder?«, fragte Eric.

»In der Realität nicht, aber in einer Serie oder einem Film bin ich voll dabei. Ich mag dieses verruchte, dunkle, arrogante Gehabe.«

Eric sah zu mir, doch ich zuckte nur die Schultern. Diese Reaktion war ich mittlerweile gewohnt. Mir persönlich war sein Verhalten ebenfalls zuwider, aber ich war Schauspieler, und es war mein Job, in diese Rollen zu schlüpfen. »Wollen wir noch mal die nächste Szene durchgehen?«

Da wären wir zu dritt, weil Kathrin dazukam. Gemeinsam mit Eric wollte sie Damon in die Mangel nehmen und ihm klarmachen, dass er Marissa in Ruhe lassen sollte. Würde nur nicht funktionieren. Damon ließ sich von niemandem einschüchtern.

»Ich sehe ja den Reiz an dieser Männlichkeit.« Eric verließ mit mir das Set. »Aber ich frag mich echt, wie lang die Fans das mitmachen. Bisher dreht sich die Show nur darum, dass Damon der neue Alpha ist und alle fertigmacht.«

Das war nicht das erste Mal, dass Eric sich über Damon ausließ. Er hatte schließlich selbst die letzte Staffel als männlicher Lead dominiert, und nun schubste ich ihn mit einem richtigen Arschtritt vom Thron.

»Ich bin mir sicher, dass es ganz viele gibt, die Jenson lieber mögen als Damon«, sagte ich. »Hey, ich mag ihn lieber und würde eher ihn daten als den Arsch, den ich verkörpere.«

Eric verzog das Gesicht. In meinem engsten Kreis wussten alle um meine Bisexualität, auch wenn wir diese Info aus der Öffentlichkeit herausgehalten hatten. Nicht, weil ich das so wollte, sondern weil die PR ihren gesamten Fokus auf die Beziehung zwischen Haley und mir richtete.

Wir kamen an unsere Stühle, wo die Texthefte lagen und Wasser bereitstand. Kathrin ging ein paar Meter von uns entfernt ihre Zeilen durch. Sie winkte lediglich, als sie uns bemerkte. Generell war die Stimmung am Set angespannter als sonst. Wir hingen leicht im Zeitplan hinterher, und das merkte man deutlich. Durch die Diskussionen zwischen Stephen und Nikolai vor ein paar Wochen, in welche Richtung Damons Charakter gehen sollte, war es zu Verzögerungen gekommen, die wir noch immer aufzuholen versuchten. Außerdem waren die Verhandlungen für die dritte Staffel losgegangen. Die Produzenten der Show mussten nun entscheiden, ob sie verlängerten oder nicht. Obwohl wir eine solide Fanbase hatten, hatte Stephen schon anklingen lassen, dass das nicht automatisch eine Verlängerung bedeutete. Oft zogen Produzenten ihr Geld raus, weil andere, lukrativere Projekte warteten. Die Fans hatten Undercurrents einmal über den Berg getragen, das hieß nicht, dass sie es ein zweites Mal konnten.

»Sag mal, reist du echt mit Haley nach Hawaii?«, fragte Eric und trank von seinem Wasser.

»Ja. Verrückt, oder?«

»Das ist mehr als verrückt, das ist völlig übertrieben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich versteh ja, dass die Produktion euch pushen will, aber das find ich schon zu krass. Als würde die gesamte Show nur darauf basieren, wie cool ihr als Paar seid.«

Ich winkte ab. »Jetzt hör auf. Das mit Haley und mir ist ein schöner Zusatz, den sie mitnehmen. Das ist alles.«

Er brummte und schüttelte den Kopf. Vermutlich war es egal, was ich jetzt sagte. Es würde nicht bei ihm ankommen, und das tat mir leid. Ich wollte nicht, dass er sich so fühlte. Eric und Kathrin hatten mich zu Beginn aufgenommen, mir die Stadt gezeigt, mir Anschluss geboten. Ich war dankbar um diese Freundschaft, auch wenn sie sich manchmal etwas oberflächlich anfühlte. »Wollen wir die nächste Szene besprechen?«, fragte ich.

»Ja, klar.«

Ich nahm mein Drehbuch und wollte es gerade aufblättern, als ich eine Bewegung im Augenwinkel bemerkte. Ein elegant gekleideter Mann im Maßanzug kam herein und blickte sich um. Als er mich entdeckte, kam er zielstrebig auf mich zu.

»Mister Holt.«

»Äh, ja. Hi.«

Seine braunen Haare waren perfekt gestylt, das Kinn war glatt rasiert. Ich vermutete, er war Anfang dreißig. Nach wie vor fiel es mir schwer, das Alter von Leuten hier zu schätzen, weil sich so viele mit Botox vollpumpten.

Auf einmal hustete Eric neben mir und mich trafen ein paar Wasserspritzer am Arm.

»Hey«, sagte ich, weil er mich angespuckt hatte.

»Sorry, aber das glaub ich nicht.« Er deutete auf den Mann, der vor mir stehen geblieben war und mich musterte, als schien er darauf zu warten, dass ich ihn ebenfalls erkannte.

Leider hatte ich keine Ahnung.

»Mein Name ist Gerald Wheeldon«, half der Fremde aus und streckte mir die Hand hin. Ich erwiderte die Geste und sah kurz zu Eric, der ziemlich blass geworden war. Vermutlich schüttelte ich gerade irgendeiner wichtigen Person die Hand, ohne es zu schnallen.

»Freut mich.«

Er ließ mich los und trat einen Schritt zurück. »Ich komme von der Agentur Wheeldon & Jones.«

Scheiße, ich hatte noch immer keine Ahnung, wer das war, aber so erwartungsvoll, wie er mich ansah, müsste ich das wohl.

»Wyatt ist neu in der Stadt«, sagte Eric neben mir. »Hi, ich bin Eric Glover. Es freut mich sehr, Sie persönlich zu treffen, Mister Wheeldon. Ich hab Anfang des Jahres eine Bewerbung bei Ihnen eingereicht.«

Mister Wheeldon nickte und musterte Eric mit einer Mischung aus Neugierde und Langeweile. »Wir bekommen sehr viele Anfragen, die Bearbeitung dauert oft bis zu zwei Jahren.«

»Das hat mir Ihre Assistentin auch gesagt, und auf einmal stehen Sie live vor mir. Vielleicht könnten wir kurz darüber …«

»Ich bin hier, weil ich gern mit Mister Holt sprechen würde. Bitte entschuldigen Sie, Mister Glover.« Er sah zu mir. »Hätten Sie fünf Minuten für mich?«

»Ich … äh. Ja. Ich denke schon.«

»Hast du ein Glück, Mann«, murmelte Eric.

Es tat mir echt leid, dass er so abgewiesen wurde. Jetzt dominierte ich ihn nicht nur als Damon am Set, sondern auch darin.

Mister Wheeldon deutete nach draußen. Ich warf einen letzten Blick zu Eric, doch der hatte sich schon abgewandt und verschwand hinter seinem Skript.

Wir verließen die Halle und traten ins Freie. Heute war der Himmel bewölkt und die Luft drückend. Gut möglich, dass es bald gewittern würde.

»Tut mir leid, dass ich Sie nicht einordnen kann«, sagte ich.

Mister Wheeldon seufzte leise. »Schon gut. Das kann Neulingen passieren. Wheeldon & Jones ist eine Schauspielagentur. Eine sehr exklusive, wenn ich das so sagen darf.«

»Ich …«

Er blieb stehen und wandte sich mir zu. Aus seinen grünen Augen musterte er mich intensiv, und ein leichtes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln. »Ich versteh schon, warum Sie bei den Leuten so gut ankommen. Sie wirken unverbraucht, haben Charisma, sehen gut aus und haben dieses ganz gewisse Etwas, dass man sich Ihnen anvertrauen möchte. Der Typ, mit dem man gern um die Häuser zieht, Spaß hat und gleichzeitig ernste Gespräch führen kann. Zudem besitzen Sie das nötige Talent, um sich auch vor der Kamera entsprechend zu bewegen.«

Ich rieb mir über den Nacken. »Danke. Darf ich fragen, wie Sie auf mich aufmerksam geworden sind?«

»Es ist mein Job, aufmerksam gegenüber allem zu sein, was in dieser Stadt passiert. Sie schlagen mit Haley Sharp gerade einige Wellen, und die Show besitzt eine große Fangemeinde, die auf den sozialen Medien aktiv ist. Heute kommt es nicht nur darauf an, gut vor einer Kamera zu sein, sondern auch, wie man von der Masse wahrgenommen wird.«

Da ich nicht wusste, was ich erwidern sollte, nickte ich nur.

»Wie ich hörte, werden Sie im Moment von keinem Agenten vertreten.«

»Das stimmt. Ich musste meinen alten in New York lassen.«

»Sehr gut.« Er griff in seine Hosentasche und reichte mir eine Karte. Das Papier war edel, die Buchstaben aufgeprägt. »Wir würden das nämlich gern tun.«

Ich nahm die Visitenkarte entgegen. Es stand nur eine Handynummer drauf, mehr nicht. »Aber Sie kennen mich doch gar nicht.«

»Wir haben ein ausgezeichnetes Gespür für Talente. Auch solche, die noch unter dem Radar fliegen. Sie fallen auf, Mister Holt. Mehr, als Ihnen vielleicht bewusst ist.«

Ich runzelte die Stirn, weil ich nicht wusste, was ich mit dieser Aussage anfangen sollte.

»Konditionen und alles andere können wir gern besprechen, falls wir uns treffen sollten, aber wenn ich das schon mal sagen darf: Sie werden keine Besseren als uns finden. Es wäre klug, mit uns zu arbeiten.«

Ich verkniff es mir, mit den Augen zu rollen. Sagten das nicht alle, die etwas verkaufen wollten? »Ich lasse es mir durch den Kopf gehen.«

»Tun Sie das. Zögern Sie nicht, mich anzurufen. Egal wann.«

»Alles klar. Danke.«

Er lächelte und wandte sich ab. Mit strammen, selbstbewussten Schritten ging er davon und wirkte, als würde ihm das gesamte Filmset gehören. Ich sah erneut auf die Visitenkarte und steckte sie kopfschüttelnd ein.

Wenn ich das Zoe erzählte, würde sie vermutlich ausflippen und mir mal wieder vorhalten, dass ich wie ein Labrador sämtliche Aufmerksamkeit auf mich lenkte, ohne es überhaupt zu forcieren. Es war nichts, was ich absichtlich tat, manchmal passierte das einfach.

Ich bemerkte eine Bewegung rechts von mir und blickte hoch. Es war Eric, der gerade das Set verließ und mir einen merkwürdigen, leicht verbitterten Blick zuwarf. Mein Herz zog sich zusammen, weil ich auf keinen Fall wollte, dass er sich schlecht fühlte, aber ich konnte solche Chancen auch nicht ungenutzt lassen, nur weil jemand anders sie nicht bekam. Mir war klar, dass viel Glück in diese Sache reinspielte. Ich hatte zufällig gerade das, was Hollywood suchte, und ich würde mit dem Flow gehen, solange er anhielt. Eric würde es genauso machen. Jeder würde es genauso machen. Daran sollte ich mich immer wieder erinnern, denn das konnte genauso schnell vorüber sein, wie es angefangen hatte.

Ich seufzte leise, dann ging ich zurück ans Set. Ich hatte schließlich noch ein paar Szenen zu drehen.

07. AUGUST

Wyatt

Zoe

Ich bin dankbar für:

Die Gesetzestexte, die ich mir besorgt habe. Ja, dafür bin ich wirklich dankbar, weil ich sie sehr spannend finde! Und teilweise verstörend.

Wusstest du, dass es einen Gesetzesentwurf in Texas gibt, der besagt, dass Athleten und Athletinnen unabhängig von ihrer Geschlechtsidentität dem College-Sportteam angehören müssen, das ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entspricht? Oh, und er bietet sogar Schutz für Leute, die sie verpetzen und Verstöße melden. Man darf natürlich auch Zivilklagen einreichen, wenn man jemanden erwischt. Was ist das eigentlich schon wieder für ein … Tut mir leid. Das ist nicht der Ort oder der Platz, es zu besprechen.

Also: Ich bin dankbar, so privilegiert zu leben.

Ich bin dankbar für dich, meine Familie, meine Freunde, die bedingungslos zu mir halten.

Oh, und für die Nachricht von Dad bin ich auch dankbar. Der Roadtrip scheint ihm ja richtig gutzutun. Er hat nicht einmal von der Trennung von Mom gesprochen.

Ich hab dich lieb.

Wyatt

Mir hat Dad auch geschrieben und dabei recht positiv geklungen. Ich hoffe, er findet wieder seine Kraft.

Ich bin dankbar für:

Den Besuch des Agenten heute am Set. Der kam von Wheeldon & Jones, und die wollen mich unter Vertrag nehmen. Verrückt, oder?

Fürs Drehen mit Eric und Kathrin. Heute war es zwar etwas schwieriger, weil Eric schlechte Laune hatte, aber wir haben das Ruder rumgerissen.

Fürs das Feiern danach mit ihm, Kathrin und einigen anderen aus dem Cast. Am Ende des Tages hat er wieder gelacht. Immerhin.

Fürs kurze Gespräch mit Haley. Wir waren heute an unterschiedlichen Sets, da laufen wir uns nicht oft über den Weg, aber der Plausch mit ihr war schön.

Für all die Wunder, die gerade passieren.

Ich komm manchmal gar nicht richtig hinterher, das zu verarbeiten. Hast du eigentlich das Video auf BuzzFeed mit den Thirst-Tweets gesehen?

Zoe

Natürlich hab ich mir das Video angeschaut und übel gezuckt. Martha fand es sehr witzig und hat sich gleich erkundigt, ob mein heißer Bruder single wäre und Interesse haben könnte. Aber ich hab das für dich abgeblockt. Du wirst nicht den Kopf meiner Mitbewohnerin verdrehen. Außerdem hast du ja Haley. Wie läuft es denn sonst so mit ihr? Ich sehe euch zwar überall online, aber von eurem privaten Leben erzählst du kaum noch.

Wheeldon & Jones muss ich gleich mal googeln.

09. AUGUST

Wyatt

Zoe

Heilige Scheiße, Wyatt! Hast du dir mal die Seite der Agentur angeschaut? Weißt du, was für krasse Namen die vertreten?

Wyatt

Noch nicht.

Äh? Hallo?! Sogar Leonardo war bei denen unter Vertrag!!!

Immer schön atmen, Zoe.

Ich fasse manchmal echt nicht, wie du so gelassen sein kannst. ICHFLIPPHIERAUS!!!

Ist mir nicht entgangen.

Wann triffst du dich mit denen?

Weiß nicht, muss erst anrufen.

WYATT!!!!

Ja! Ich tue es. Hatte noch keine Zeit.

Kommen eigentlich auch Dinge, für die du dankbar bist, oder willst du mich heute nur anschreien?

Ich wäre sehr, sehr, SEHRDANKBAR, WENNDUDEINEKARRIEREERNSTERNEHMENWÜRDEST!!!

Tu ich. Wirklich. Aber Hollywood ist manchmal überwältigend. Und mal abgesehen davon: Findest du es nicht auch merkwürdig, dass dieser Typ einfach so bei mir auftaucht? Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass einem so etwas passiert?