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Romantisch. Sinnlich. Leidenschaftlich. Einfach zum Verlieben! Sein Spiel, ihre Regeln. Lina ist außer sich. Schon wieder ist ihre kleine Schwester Nika kurz davor, in die Bad-Boy-Falle zu tappen. Dabei sind die Alarmsignale doch unübersehbar! Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen bewertet Lina Jungs auf Tinder und in einer Bar auf einer Skala von 1 bis Herzensbrecher. Als der perfekte Kandidat auf Linas Display erscheint, fordern ihre Freundinnen sie heraus: Sie soll ihnen beweisen, dass Ben ein Herzensbrecher ist – und sie ihm mühelos widerstehen kann. Die Bad-Boy-Challenge beginnt, der Einsatz: nichts Geringeres als Linas Herz. »Michelles Geschichten fühlen sich jedes Mal an wie ein zauberhafter Waldspaziergang, schmecken prickelnd süß wie Erdbeerbrause, riechen wie frische Wäsche im Sommer und bei jedem Ende freue ich mich auf einen neuen Anfang.« Stella Tack In Michelle Schrenks erstem Loewe Intense-Roman ist Bad-Boy-Alarm angesagt: Auf humorvolle wie romantische Weise zeigt sie ihren Leser*innen mit einer bezaubernden Protagonistin und einem unwiderstehlichen Love Interest, dass zweite Begegnungen erste Eindrücke besiegen können und das Herz sowieso immer gewinnt.
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Seitenzahl: 478
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Prolog
Das Bad-Boy-Prinzip
Kapitel 1
Spiel, Satz, Match
Kapitel 2
Kapitel 3
Stufe 1
Kapitel 4
Ich fühle was, was du nicht fühlst, und das ist nichts.
Kapitel 5
Stufe 2
Dein Spiel, meine Regeln.
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Stufe 3
Kapitel 10
Kapitel 11
Wer einmal lügt, den küsst man nicht.
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Stufe 4
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Herzklopfen lügt nicht.
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Stufe 5
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Mein bester Plan bist du.
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Stufe 6
Kapitel 31
Wen immer wir lieben, bestimmt allein unser Herz.
Kapitel 32
Stufe 7
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Dankeschön
Für meine wundervollen Leser, Herzmenschen und alle, die an die Liebe glauben.
Bausa vs. Apache 207 – Madonna
Capital Bra feat. Juju – Melodien
Céline – Blessed
Céline – Tränen aus Kajal
Céline – Überall
Franzi Harmsen – Dein Shirt
Franzi Harmsen – Vielleicht ist nicht genug
Fynn Kliemann – Alles, was ich hab
Fynn Kliemann – Zuhause
Georg Stengel – Höher, weiter, schneller
Juju x Loredana – Kein Wort
Kayef – Beton
Kayef – Egal wie spät
KitschKrieg feat. Jamule – Unterwegs
KLAN – Tut mir leid
LEA – Immer wenn wir uns sehn
LEA – Treppenhaus
LEA & Capital Bra – 7 Stunden
Lotte – Alles zieht vorbei
Lotte – Mehr davon
Lotte – Schau mich nicht so an
Mike Singer – 100 Tausend
Wilhelmine – Eins sein
Das Bad-Boy-Prinzip
1. Spiel, Satz, Match.
2. Ich fühle was, was du nicht fühlst, und das ist nichts.
3. Dein Spiel, meine Regeln.
4. Wer einmal lügt, den küsst man nicht.
5. Herzklopfen lügt nicht.
6. Mein bester Plan bist du.
7. Wen immer wir lieben, bestimmt allein unser Herz.
Sieben Stufen – und dein Herz bricht? Dreh den Spieß um und entlarve die Tour der Bad Boys, bevor sie deine Gefühle entlarvt!
Du hast einen heißen Kerl kennengelernt? Mit arrogantem Blick, Lederjacke und verdächtig engem Shirt? Die Frauen laufen ihm scharenweise hinterher? Er wirkt geheimnisvoll? Hat er vielleicht Tattoos oder sogar eine Narbe und zieht dich regelrecht magisch an? Ja?
Jetzt ist Vorsicht geboten! Denn dieser Kerl ist nicht nur ein Bad Boy, sondern auch ein Herzensbrecher. Und wenn er dich im Visier hat, wird er alles versuchen, um dich rumzukriegen. Und zwar nach einem siebenstufigen System.
In den nächsten Wochen werde ich auf diesem Blog davon berichten, wie du es schaffst, einen Bad Boy zu durchschauen, denn ich habe das Experiment gewagt: Begleite mich und lerne von meinen Erfahrungen. Alle Bad Boys gehen nach dem gleichen Prinzip vor, und wenn du dessen Stufen kennst, kannst du nicht nur die Spielregeln ändern, du schreibst sie neu.
Und am Ende bricht nicht dein Herz, sondern seins.
»Ich brauche einen Drink und eine Waschmaschine. Sofort!«
Ich knallte mein Handy wohl etwas zu fest auf den Tresen, an dem bereits meine Freundinnen Emma und Kati saßen, denn ihre Drinks – zwei Aperol Spritz – begannen, verdächtig zu wackeln. Musik dröhnte aus den Boxen. Es roch nach Parfüm und Schweiß und auch ein wenig nach Holz, so wie immer im Hinz und Kunz, einem besonders bei Studenten beliebten Club mitten in der Nürnberger Innenstadt.
»Unsere Lina ist mal wieder in ihrem Element.« Emma lachte und linste neugierig auf das Display meines Handys, während sie sich eine helle Haarsträhne aus dem Gesicht strich. Ihre Wimpern waren heute wieder mal unglaublich lang und geschwungen, der Lidschatten glitzerte. Typisch Emma. Ich wohnte mit ihr und den sicher über 150 Beautyprodukten zusammen in einer WG. Wir kannten uns seit der Schulzeit und studierten an derselben Uni. Ich war unendlich froh, sie in meinem Leben zu haben. Mit ihrer Liebe zu Beautyprodukten, die sie täglich auf Instagram und Co. auslebte, war es immer lustig. Manchmal auch etwas gruselig, wenn sie wieder eine ihrer merkwürdigen Masken im Gesicht hatte, aber das war eben Emma. Und ja, ich genoss auch einige Vorteile, denn durch sie hatte ich nach langem Suchen endlich die perfekte Pflege für mein blondes Haar gefunden, konnte jegliche Flechtfrisur in Sekundenschnelle zaubern und wusste, wie ich durch kleine Tricks meine blauen Augen besser in Szene setzen konnte.
»Was ist denn los?« Auch Kati, die nun ebenfalls mein Display begutachtete, grinste und ihre Augen funkelten dabei. Kati verbreitete immer gute Laune, wenn sie dabei war. Größtenteils verbrachte sie ihre Freizeit aber mit ihrer Band Visionless, deren Leadsängerin sie war. Das ein oder andere Mal waren Emma und ich auch schon bei einem ihrer Auftritte gewesen.
»Oha, jetzt verstehe ich die Aufregung. Ziemlich heiß, der Kerl. Wer ist das?« Sie ließ einen Finger über das Display wandern.
Meine Hände schwitzten noch immer und mein Puls ging spürbar schnell. Ziemlich heiß. Ja, genau das war ja das Problem. »Erst der Drink, dann erzähle ich euch alles«, sagte ich abgehetzt, ehe ich mich umdrehte und die Hand hob, um den Barkeeper zu rufen. »Ich bekomme bitte auch einen Aperol Spritz.« Während der Barkeeper damit begann, das bestellte Getränk zu mixen, wandte ich mich wieder den Mädels zu, die noch immer das Foto auf meinem Handy musterten.
Emma sah zu mir auf. »Okay, das mit dem Drink verstehe ich. Aber wofür zur Hölle brauchst du jetzt eine Waschmaschine? Um dich darauf von unserem Adonis hier während des Schleudergangs packen zu lassen? Nackt?« Sie lachte und auch Kati, die gerade einen Schluck aus ihrem Glas nehmen wollte, prustete augenblicklich los.
»Ja, das würde euch gefallen.« Ich spürte, wie sich ein Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete. »Aber nein, ich …« Ich wollte gerade loslegen, hielt dann aber doch inne, weil der Barkeeper in diesem Moment den Aperol vor mir abstellte. Ich fummelte einen Zehneuroschein aus der Tasche meiner engen Jeans und legte ihn mit einem Lächeln auf den Tresen. »Danke, stimmt so«, sagte ich und fuhr an meine Freundinnen gewandt fort: »Also, die Waschmaschine brauche ich, damit ich Nika da reinpacken kann, um mal wieder alles in ihrem Kopf zurechtzurütteln.« Ich ließ meinen Zeigefinger neben dem Kopf kreisen wie bei einem Schleudergang. »Da ruft sie Kaia und mich an und meint, sie bräuchte sofort ihre Schwestern um sich. So ein Alex wäre gemein und komisch zu ihr. Ich erkläre ihr, dass dieser Alex ein bescheuerter Bad Boy ist, der nach einem Stufenprinzip vorgeht. Und dass sie bereits in Stufe vier feststeckt. Und sie? Sie hört gar nicht wirklich zu. Denn auf einmal ist wieder alles gut, weil er sie anruft und ihr Honig um den Mund schmiert.« Frustriert nahm ich einen tiefen Schluck aus meinem Glas. Dem Blick der beiden nach zu urteilen, verstanden sie nur Bahnhof. Ich nahm einen weiteren Schluck. Erst spürte ich die kühle Flüssigkeit meinen Hals hinunterrinnen, dann breitete sich Wärme in meinem Bauch aus und ich entspannte mich ein wenig. Was für ein Tag.
»Ähm, noch mal von vorne. Was? Nach Prinzip? Welches Prinzip denn?«, wollte Emma wissen und Kati fügte an: »Und welche Stufen?« Ich konnte die Fragezeichen in ihren Augen buchstäblich sehen. Es war der gleiche Blick wie der meiner Schwestern, als ich ihnen kurz zuvor alles erklärt hatte: der typische Was-hat-Lina-jetzt-schon-wieder-ausgeheckt?-Blick.
Ich streckte den Rücken durch. »Jaaa, nach Prinziiip«, wiederholte ich und zog die Worte dabei in die Länge.
»Okay, und welches Prinziiip soll das bitte sein?«, imitierte mich Emma.
Ich sah von ihr zu Kati und wieder zurück, bevor ich schließlich antwortete: »Das Bad-Boy-Prinzip! Und Nika fällt leider voll darauf rein.« Ich stöhnte auf.
Die beiden lachten. Sie hatten mich weder verstanden noch nahmen sie mich ernst. »Der wievielte Drink war das jetzt?«, wollte Emma wissen und Kati ergänzte: »Sei doch nicht so streng mit der armen Nika, sie ist eben verliebt. Und der Kerl ist ja auch unübersehbar heiß.« Sofort dachte ich an das Gespräch mit meinen Schwestern. Nika hatte ein unglaublich großes Herz, schon immer. Sie war gutmütig, aber leider auch ein bisschen naiv. Vielleicht machte ich mir deshalb solche Sorgen um sie oder eben, weil ich die Älteste von uns dreien war und deshalb einen gewissen Beschützerinstinkt entwickelt hatte. Während Nika nämlich immer nur das Beste in den Menschen sah, waren Kaia und ich skeptischer. Als Nika also von diesem Alex erzählte, schoss mir augenblicklich die Erklärung für sein Verhalten in den Sinn. Und auch, warum sie so von ihm gefangen zu sein schien. Ganz klar, meine Schwester war in die Falle eines Herzensbrechers getappt.
»Dieser Alex ist ganz offensichtlich ein mieser Kerl. Mit seiner Lederjacke, diesem Blick und der geheimnisvollen Aura: Er spielt ein Spiel, aber ich habe es durchschaut. Er weist alle Alarmsignale auf.« Seufzend griff ich nach meinem Handy, öffnete erneut Alex’ Instagram-Profil und deutete auf die Bilder, die er dort gepostet hatte. »Schaut mal, ich erkläre es euch. Allein sein Account. Und auf Tinder sieht es nicht anders aus. Zum Beispiel hier, ein Oben-ohne-Foto. Und da, in der Lederjacke, verrucht und sexy. Und dort, seht doch mal, wie er sich beinahe schüchtern durchs Haar fährt. Noch besser: einmal in Farbe und einmal in Schwarz-Weiß zum Vergleich.« Ich schob das erste Bild nach links, um ihnen auch das zweite zu zeigen. »Und dazu noch diese Texte … Was findet ihr besser, Leute? Schwarz-Weiß oder Farbe? Oder beides? Da leidet jemand ganz eindeutig an einem Aufmerksamkeitsdefizit.«
»Also, jetzt übertreibst du aber«, meinte Kati. »Klar, ein paar Bilder sind schon etwas … na ja. Aber auf diesem hier sieht er doch ganz normal aus, süß sogar, mit der Strickmütze. Ist jetzt kein schlechtes Foto.«
»Darum geht’s aber nicht.« Ich zeigte den beiden ein Bild, auf dem er halb nackt an einer Wand lehnte, das Handy verdeckte sein Gesicht und ich stieß erneut einen Seufzer aus. »Mal ernsthaft, was soll das immer? Warum halten sich die Typen andauernd das Handy mitten ins Gesicht?«
»Gute Frage, vielleicht flext er mit dem neuen iPhone«, überlegte Emma.
»Womöglich, vielleicht ist aber auch seine Nase aus der Nähe zu groß«, entgegnete ich grinsend und wischte weiter zum nächsten Foto. »Und schaut mal hier, der Text, so poetisch und kreativ: Always on fire. Fight for your desire. Niemals aufgeben. Never give up. Always on top. Gib es zu! Wie viele Liegestütze schaffst du?«
Kati lachte. »Reimemonster!«
Jetzt musste auch ich lachen. »Mädels, mal ehrlich: Dieser Blick, was soll der einem sagen?«
Emma hob kichernd die Hand und schnippte heftig mit den Fingern. »Ich weiß es, Frau Lehrerin!«
»Ja, Emma?« Ich hob mein Glas und deutete damit auf sie.
»Dass er richtig toll dichten kann – nicht!« Emma stupste mich an und ich fuhr lachend zusammen. »Lina, ey, du übertreibst.«
»Was sagt uns denn sein Blick deiner Meinung nach?«, bohrte Kati hingegen weiter.
Ich stellte das Glas wieder ab. »Ganz einfach. Sein Blick soll uns zeigen, wie selbstbewusst er ist und dass er jede haben kann, aber dass er doch auch angeblich so verletzlich ist. Ein typisches Lockmittel. Dazu noch Texte wie dieser hier: Wer würde mich jetzt gern umarmen? Umarmung zu verschenken. Wie bescheuert ist das denn!« Ich deutete auf ein weiteres Bild und sofort begannen die beiden zu lachen.
»Er ist halt liebesbedürftig«, sagte Emma. Und als sie sich beruhigt hatte: »Spaß beiseite. Du redest von Alarmsignalen. Aber Signale sind nun mal bloß Signale. Daraus ergibt sich doch nichts weiter. Du hast nicht ernsthaft ein passendes Prinzip entwickelt, oder?«
Und ob ich das hatte, denn ich war anderer Meinung. Im Zuge meines Studiums beschäftigte ich mich zurzeit mit dem Selbstbild der Frau in der modernen Literatur. Erst war ich nicht so begeistert gewesen von dem Thema, aber dann hatte es mich gepackt. Vor allem aber hatte es mich auf eine Idee für meinen Blog gebracht.
Darauf teilte ich der Welt meine Gedanken mit, alles, was mich bewegte. Stress war bereits ein Thema gewesen, außerdem Drogen, Beautywahn, Lifestyle … Ich liebte es, auf Aktuelles jeglicher Art einzugehen und Erfahrungen mit meinen Leserinnen zu teilen, ob es meine eigenen waren oder die von Menschen, die mir ihre Geschichten anvertrauten – inkognito natürlich. Deswegen wusste kaum jemand, dass ich unter dem Pseudonym Linaria schrieb. Eine Verbindung aus meinem Namen und Lunaria – einer Pflanze, die man auch Silberling nannte und die mich schon immer faszinierte. Denn ihre Bedeutung lag darin, Licht ins Dunkel zu bringen. Und genau das hatte ich mir zur Aufgabe gemacht. So auch bei meinem neuesten Blogbeitrag. Denn Schürzenjäger und Tunichtgute waren nicht mehr wegzudenken aus Büchern, Filmen und der Realität. Viele Frauen fuhren total auf sie ab. Leider! Nachdem ich also das Verhalten analysiert hatte, das diese Kerle an den Tag legten, war ich sicher, dass ein Prinzip dahinterstecken musste. Denn ihr Vorgehen war immer erschreckend ähnlich.
»Lasst es mich erklären, bevor ihr mich für verrückt erklärt«, setzte ich an und rückte dabei meinen Hocker zurecht. »Ich habe doch für die Uni diese Arbeit zu schreiben, über Frauenliteratur«, fuhr ich fort. »Dabei habe ich gemerkt, dass in Büchern und Filmen immer nach dem gleichen Prinzip vorgegangen wird. Und in der Realität genauso. Alex ist der lebende Beweis.«
Die beiden wirkten nun etwas überfordert. »Du meinst das echt ernst, oder?«, fragte Kati, während Emma mich mit offenem Mund anstarrte.
»Klar meine ich das ernst! Und deshalb darf ich euch hier und heute mit Stolz mitteilen, dass ich ihr Prinzip durchschaut habe. Und in Stufen aufgeteilt. Da schaut ihr, was?« Ich grinste sie an und nahm einen Schluck von meinem Aperol. Es wurde immer voller in dem kleinen Club, während sich die kühlen lila Lichtstrahlen mit warmen gelben vermischten und im Takt der Musik vibrierten.
»Stufen, okay … Erklär es uns.«
»Na ja, ich habe eine Art Herzensbrecherskala entwickelt. Moment, ich zeig es euch mal.« Oh, oh, der Aperol machte sich langsam bemerkbar. Aber egal. Ich war Feuer und Flamme, tippte aufgeregt auf meinem Handy herum und rief den Entwurf des Blogbeitrags auf.
»Das Bad-Boy-Prinzip«, las Kati mit zusammengekniffenen Augen vor. »Die Alarmsignale.«
»Und welche Signale sind das genau?« Emma beugte sich über den Tresen, um einen Blick auf meine Notizen zu erhaschen.
»Ganz einfach eigentlich, wie ich es hier stehen habe: Bad Boys haben Narben, Tattoos, tragen bevorzugt Lederjacken und hautenge Shirts, sind unnahbar und doch charmant. Irgendwie arrogant. Eine tragische Geschichte spielt eine wichtige Rolle in ihrem Leben. Sie sind natürlich Draufgänger, haben ihre eigenen Regeln. Und klar, sie küssen umwerfend und sind ausgesprochen gut im Bett. Meistens jedenfalls. Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber vorwiegend machen sie einen süchtig mit ihren Küssen und …«
»Mit ihren flinken Fingern«, ergänzte Emma grinsend, während sie die Finger ihrer linken Hand wackeln ließ.
»Das auch«, bestätigte ich ebenso grinsend. »Und sie machen einen auf gleichgültig, haben diese verschlossene Art. Typ einsamer Wolf, ihr wisst schon. Aber dann suchen sie doch wieder deine Nähe. Sie bringen dich zu ihren Lieblingsorten, vorzugsweise auf dem Motorrad, und hauchen dir dabei aufregende Dinge ins Ohr. Ja, sie geben dir das Gefühl, die Welt erobern zu können, dabei ist ihre Welt nicht besonders spannend, wenn man alles erst mal durchschaut hat. Und all das verpacken sie in sieben Stufen.«
»Du meinst das Ganze also tatsächlich ernst«, stellte Kati mit großen Augen fest. »Holy …«
»Holy was? Fuck? Shit?«
»Holy Boys.« Emma lachte. »Und wo hast du das recherchiert? In Teenagerheftchen, oder was?«
»Veräppelt mich nur, meine Schwestern haben genau das Gleiche gesagt. Aber nein, man muss nur ganz genau hinsehen, Filme aufmerksam schauen und Bücher konzentriert lesen. Es ist immer der gleiche Ablauf.«
Kati zog eine Augenbraue nach oben. »Ja, diese Quellen sind in der Tat sehr aufschlussreich.«
»Ihr könnt es so lange ins Lächerliche ziehen, wie ihr wollt. Aber ich habe den Durchblick.« Erneut nippte ich an meinem Aperol. »Sieben einfache Stufen, Mädels. Sieben.« Ich hob die Hand und spreizte die Finger.
»Das sind fünf«, scherzte Kati.
»Und Nika?«, mischte sich nun Emma wieder ein.
Ich seufzte. »Na ja, wie schon gesagt, die befindet sich in Stufe vier. Oder sogar schon in Stufe fünf, sie trifft sich ja gerade mit Alex. Bald ist Herzschmerz angesagt. Noch ein Date, dann Sex – und schließlich der Abschuss.« Ich verzog das Gesicht.
»Lina, mal echt jetzt.« Kati konnte sich das Lachen nun kaum mehr verkneifen. »Du hast wirklich recherchiert und diese Signale in ein Stufensystem verpackt? Ist das dein Ernst?«
»Mein voller Ernst. Und wenn man diese Stufen bei einem Kerl erkennt, sollte man sich schleunigst umdrehen und abzischen.« Ich machte ein Geräusch wie von einer startenden Rakete.
Emma lachte. »Nicht jeder Kerl ist so wie in den Büchern beschrieben. Also bleib mal locker, dieser Alex ist vielleicht ein ganz Netter. Am Ende mag er deine Schwester wirklich. Und Dating-Apps sind auch nicht so schlecht, da gibt es durchaus Kerle, die nicht nur Sex wollen. Oliver Pocher hat seine Amira schließlich auch darüber kennengelernt und die haben mittlerweile schon zwei Kinder.« Ein ganz Netter …
»Ich glaube leider, dass an diesem Alex überhaupt nichts Nettes ist«, gab ich zu bedenken.
»Na ja, ich meine, Ausnahmen bestätigen die Regel. Hast du vorhin selbst gesagt!«, verteidigte sich Emma.
Nun lachte ich. »Nur, wenn du die Regeln machst. Denn deine Ausnahmen, die bleiben Ausnahmen. Mädels, jetzt seid doch mal nicht so gutgläubig! In die Trashformate gehen die Kandidaten ja auch nur wegen der Erfahrung und nicht wegen der Hoffnung auf Follower.« Die beiden kicherten. »Und was Nika anbelangt«, fuhr ich fort, »er will sie nur ins Bett kriegen. Eine Zehn auf der Herzensbrecherskala ist der Kerl.« Es war ziemlich voll für einen Donnerstagabend und dementsprechend warm in meinem Strickcardigan. Ich zog ihn aus und atmete tief durch.
»Okay, jetzt noch mal zum Mitschreiben, Lina«, sagte Emma. »Du erkennst diese Kerle also an bestimmten Merkmalen. Alarmsignalen. Leuchtet oberflächlich betrachtet erst mal ein. Aber dass sie alle nach dem gleichen Prinzip vorgehen, kommt mir doch recht unwahrscheinlich vor. Gibt’s da ’ne Schule, oder was?«
Ich grinste sie an und nahm einen weiteren Schluck von meinem Getränk. »Tatsächlich habe ich da was entdeckt. Schaut einfach bei Google mal nach Pick-up Artist und ihr werdet erleuchtet sein.«
Emma sah mich verständnislos an. »Was soll das sein?«
»Pick-up Artists sind hochmanipulativ und verfolgen einen ganz bestimmten Plan, mit dem sie Frauen ins Bett kriegen wollen und …«
»Okay, Mädels, ich hab ’ne Idee!«, unterbrach mich Kati, während sie von ihrem Barhocker aufsprang und in die Hände klatschte. »Wir spekulieren hier doch eh nur. Alles reine Theorie. Jetzt wird’s Zeit für eine Studie am lebenden Objekt. Für deinen Blog und vielleicht sogar die Hausarbeit wäre die Idee, die ich habe, sicher enorm hilfreich«, meinte sie schmunzelnd und setzte sich wieder.
»Und die wäre?«, fragte ich skeptisch.
Ihre Augen funkelten. »Lasst uns ein Spiel daraus machen. Du, Lina, behauptest, du erkennst sie alle, die Kerle, die diese Alarmsignale aufweisen? Und kannst sie auf einer Herzensbrecherskala einordnen von null bis zehn: Langweiler bis Bad Boy?«
»So ist es«, sagte ich feierlich.
Kati zückte ihr Handy und öffnete eine App. »Dann lass uns mal auf Tinder deine Skala checken.«
»Ihr und euer Tinder …«, seufzte ich. »Aber gut, meinetwegen.« Ich beugte mich zu ihr rüber. Sofort wurde ihr ein Kerl angezeigt: Toby23. Toby mit y. Weniger als einen Kilometer entfernt. Dunkle Haare, blaue Augen, natürlich oben ohne.
»Bad Boy oder nicht? Wie hoch ist der Faktor?«, fragte sie mich mit einem Augenzwinkern. »Was siehst du?«
Ich griff nach dem Handy, um ihn genauer zu betrachten. »Okay, das weiß ich schon beim ersten Bild. Da muss ich nicht mal genauer hinsehen. Und erst der Text. Schaut doch mal, was da steht: Ich nehme das Leben leicht, wie ist es mit dir? Mein Motto: Lebe in den Tag hinein. Hobbys: Fitness, Travel the World«, las ich vor.
»Und?«
»Heißt: lockere Nummer, mehr nicht, Baby. Der kommt und geht, wann er will. Und Aufmerksamkeit widmet er ausschließlich sich selbst. Ein Poser, mindestens Herzensbrecherskala acht.«
»Na gut.« Kati wischte ihn weg. »Und was ist mit dem?«
Nun wurde ein junger Kerl mit Brille und schmalem Gesicht angezeigt. Johann, 25 Kilometer entfernt. Hobbys: Spielen und Schildkröten.
»Eindeutig«, antwortete ich diesmal, »ein Nerd, aber sicher kein Herzensbrecher.«
»Aber was, wenn er eine Lederjacke im Schrank hat und sich nachts verwandelt?«, fragte Emma von links. Ich stupste sie in die Seite und wir alle lachten. Kati wischte auch ihn weg.
Sofort erschien ein weiterer Kerl, von dem man nur Muskeln zu sehen bekam. Sie kicherte. »Echt jetzt, was denkt man sich dabei? Hallo Sixpack, ja, ich will ein Date mit dir?«
»Na, dem geht’s wohl eher um Körperkontakt. Er will Sex. Auch mindestens ’ne Acht«, sagte ich trocken.
Als uns der nächste Kerl angezeigt wurde, zischte Emma durch die Zähne. »Oh, schaut mal, wie er dasteht. Wirkt irgendwie düster. Als hätte er …«
»Was zu verbergen? Ein Geheimnis?« Ich grinste sie an.
»Ja, schon irgendwie«, antwortete Emma zögerlich.
»Hör auf, er macht einen auf einsamer Wolf und du springst darauf an. Bei so einem wird immer die Vergangenheit die perfekte Entschuldigung für alles sein. Und seht euch seine Augen an. Der kifft doch.« Die beiden blickten mich verwundert an. »Nein, Mädels, sorry, mindestens eine Neun, also ganz klar in Richtung Bad Boy. Das sind fast alles Kerle, die man auf keinen Fall in seine Nähe lassen sollte, wenn man sich verlieben will. Die gehen alle nach dem Prinzip vor, ganz sicher«, seufzte ich.
»Na schön, ich probier es auch mal.« Emma zog jetzt ebenfalls ihr Handy aus der Tasche. »Nehmen wir den da. Was sagt uns das Foto? Jan, 15 Kilometer entfernt. Liebt die Natur. Helles Shirt, breite Brust. Mit der Hand streicht er unter dem Stoff darüber.«
Ich musste nicht lange nachdenken. »Er findet sich so heiß, dass er eigentlich am liebsten mit sich selbst ausgehen würde. Aber er hat dieses eine Problem: Sex allein macht nicht so viel Spaß. Der ist eindeutig süchtig danach.«
Wieder lachten die beiden und Emma wiegte nachdenklich ihren Kopf hin und her. »Mal ehrlich, Lina, nur weil dieser Alex ein paar Oben-ohne-Fotos bei Instagram postet oder dieser Typ auf einer Dating-App in der Lederjacke dasteht, weil sich jemand durchs Haar fährt, Narben oder Grübchen hat, ist er doch nicht gleich ein Herzensbrecher. Das heißt überhaupt nichts.«
In diesem Augenblick begann Emmas Handy zu vibrieren. Sie entsperrte es und ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Ha, ich habe ein Match!«, rief sie und legte das Handy vor uns auf den Tresen. Ich zog es ein wenig näher zu mir heran und musterte den Kerl auf dem Foto. »Na los, sag schon«, drängte Emma. »Was hast du diesmal wieder auszusetzen?«
Doch Kati, die hinter mich getreten war und mir über die Schulter lugte, kam mir zuvor. »Ach, mit dem hatte ich auch schon ein Match«, meinte sie nur.
»Oh, ach so.« Konnte es sein, dass Emmas Stimme ein klein wenig enttäuscht klang?
»Seht ihr«, bekräftigte ich, »so einer wie er gehört euch nie allein. Die matchen so viele. Wählerisch sein kennen sie überhaupt nicht.«
»Also gut, weg mit ihm«, sagte Emma bestimmt. »Ich muss zugeben, das Spiel gefällt mir. Deine Interpretationen sind interessant. Ganz allgemein gesehen. Und ich bin offen für Neues.« Sie spitzte die Lippen. »Oder hättet ihr gedacht, dass Chili, Vaseline und Zimtöl so einen Balsam für die Lippen zaubern? Der Mega-Boost.«
Ich lachte und hauchte ihr ein Luftküsschen zu, bevor ich mich wieder dem eigentlichen Thema widmete. »Ist nicht nur allgemein so, glaubt mir.«
Kati sah mich nun ernst an. »Du behauptest also, jeder dieser Bad Boys nutzt die gleiche Masche. Das bedeutet, du könntest ihnen nie verfallen, weil du sie vollkommen durchschaust?«
»Ja, dafür stehe ich mit meinem Aperol!« Ich hob mein Glas und nahm einen tiefen Schluck.
»Okay. Das war allerdings nur die digitale Welt, wie sieht es in echt aus? Wie gesagt, lebende Objekte.« Sie kniff die Augen zusammen. »Also sag mal, wer hier im Club ist noch ein typischer schürzenjagender Herzensbrecher?«
Ausführlich ließ ich meinen Blick durch den Raum und über die Gäste schweifen, über den dunklen Holztresen, der beleuchtet war von den vielen Lichtern, die an der Decke funkelten, über die Schaukeln, die vor der Bar angebracht waren. Mein Blick blieb in einer der Ecken hängen. »Da drüben an der Säule bei der Tanzfläche, seht ihr den? Der mit dem grauen Shirt. Breit gebaut, braun gebrannt, hundert Kilo Hantelbank.« Die beiden lachten. »Wartet, ich enttarne euch noch einen«, sagte ich. »Ah, der da. Schaut mal, er hat dieses Tattoo am Arm, die Lederjacke lässig über der Schulter. Und ist das ’ne Narbe an seiner Wange? Irgendwas hat er da jedenfalls. Und der Blick, absoluter Bad Boy. Ihr solltet die Finger von ihm lassen.« Während Emma und Kati interessiert zu dem Kerl hinübersahen, fuhr ich fort: »Der ist der absolute Aufreißer. Er nimmt jeden Abend eine andere mit, erzählt aber allen, dass sie etwas Besonderes seien. Das ist einer von der ganz schlimmen Sorte. Herzensbrecher hoch zehn!«
Mit einem Mal sahen sich die beiden verschwörerisch an. »Okay, du bist also überzeugt davon, dass du dich niemals in einen wie ihn verlieben würdest? Dass du immun bist gegen seinen Charme? Und für deinen Blog brauchst du den eindeutigen Beleg, dass es klappt?«, fragte Emma. Ich nickte. »Dann beweis es und mach den Test. Wir suchen einen potenziellen Herzensbrecher und du lässt dich auf ihn ein und zeigst, dass er nach den Stufen vorgeht. Dass er all diese Alarmsignale aufweist und Mädchen sich trotzdem Hals über Kopf in ihn verlieben. Und dass es dieses Happy End aus den Romanen nicht gibt. Du schreibst darüber auf deinem Blog, und wenn du es durchziehst, ganz ohne Gefühle, kannst du ihn am Ende abservieren. Bam! Theorie bestätigt! Sozusagen eine Wie-bricht-man-einem-Bad-Boy-das-Herz?-Challenge. Oder ganz simpel: Die Bad-Boy-Challenge.« Wie bitte? Waren die beiden jetzt völlig verrückt geworden? Wobei … irgendwie hatte es was. Mit einem Mal beschleunigte sich mein Herzschlag und ich spürte ein aufgeregtes Kribbeln auf meiner Haut. Ich könnte das wirklich tun. Stellvertretend für alle Mädchen, denen das Herz von solchen Kerlen gebrochen wurde, und um alle anderen zu warnen. Für Nika.
»Ich sehe es schon in den Geschichtsbüchern stehen.« Emma kicherte. »Das Lina-Erleuchtungs-Prinzip. Lasst uns einen Kerl suchen und die Challenge starten!«
Einen kleinen Moment dachte ich noch nach. So ein Blödsinn. Aber dann lachte ich, denn irgendwie war es verdammt komisch. Und ich bekam dadurch die Möglichkeit, meine These zu belegen, das Stufensystem zu testen, es anhand von Beispielen vorzustellen. Mir wurde warm im Bauch. Oder hatte ich etwa inzwischen zu viel Aperol intus? Ach egal, sagte ich mir, trank meinen Aperol aus und bestellte direkt noch einen.
»Wollt ihr auch einen?« Die beiden schüttelten den Kopf. »Gut«, brach ich schließlich mein Schweigen, als das neue Getränk vor mir stand. Ich rückte näher an meine Freundinnen heran und sie taten es mir gleich. Ich fühlte mich wie auf einer geheimen Mission. »Wir suchen also einen Bad Boy, der vor Alarmsignalen nur so strotzt. Eine Zehn. Und wenn ich bewiesen habe, dass mein Prinzip funktioniert, dann serviere ich ihn ab.« Ein paar Sekunden ließ ich den Vorschlag noch auf mich wirken, bevor ich grinste. Ja, die Idee war wirklich nicht schlecht und meine Schwestern und Freundinnen würden sich noch wundern. »Also gut, ich bin dabei. Ihr werdet sehen, es klappt.«
»Und wir suchen ihn auf Tinder«, ergänzte Kati.
»Ach nee, muss das sein?«, fragte ich flehend.
Sofort waren ihre Blicke auf mich gerichtet. »Ähm ja, natürlich.«
»Na schön. Aber nicht von euren Handys aus. Ich mache mir meinen eigenen Account«, sagte ich, während ich nach meinem Handy griff. »Euer Algorithmus ist doch schon total versaut von den ganzen Typen.«
»Ja, eben, ist doch der Sinn dahinter. Aber mach dir ruhig deinen eigenen«, stellte Emma lachend fest.
Dann ging es ganz schnell. Im Nullkommanichts war mein Profil eingerichtet. Drei Fotos in verschiedenen Posen. Eins in den Bergen, eins am Strand, eins mit Kussmund. Und schon hatte ich den perfekten Opfer-Account. Dazu ein kurzer Schnullitext: tralala verträumt und so. Das ideale Bad-Boy-Zielobjekt war geschaffen.
»Es geht los. Reichweite auf ein Minimum reduzieren. Altersspanne bis 25.«
»Das wird toll!« Emma hob ihr Glas. »Also, Lina, Deal?«
Ich griff ebenfalls nach meinem Glas und prostete den beiden zu. »Ja, ich bin dabei. Auf die Bad-Boy-Challenge!«
Spiel, Satz, Match
»Hier, der Erste. Was meinst du, wäre der was? Oder nicht Bad Boy genug? Wobei, er hat einen Hund im Arm, der kann so bad nicht sein. Männer, die tierlieb sind, haben einfach ein gutes Herz.«
Ich lachte. »Die armen Plüschknäuel werden nur für Klicks missbraucht. Da wird vor nichts zurückgeschreckt. Oder kennt ihr den Kerl, der dauernd seine Mutter postet?«
Emma nickte. »Ja, kenn ich. Oder der Typ, der etliche Haustiere hat. Alles sehr beliebt im Netz. Nennt man den Knuddelfaktor, hab ich im Marketing-Seminar gelernt. Ich müsste das für Instagram eigentlich auch viel mehr nutzen. Wollen wir uns einen Hund holen, Lina? Oder ’ne Katze? Hauptsache irgendwas mit Fell.« Emma sah aufgeregt zu mir, doch ich schüttelte den Kopf, obwohl ich wusste, dass sie in Gedanken bereits ein Haustier für uns besorgt hatte.
»Nein, bestimmt nicht. Kauf dir einen Teppich.« Ich grinste sie an.
»Schade. Aber was ist denn jetzt mit dem Kerl?«
»Der sieht mir nur wie eine Sechs aus. Nicht brauchbar für die Challenge.« Ich wischte ihn weg.
»Und der hier? Was ist mit dem? Mike, 22, hart, härter, ich.« Sicher nicht so hart wie die Musik, die aus den Boxen hämmerte. Wir schauten uns noch weitere Profile an, die alle nicht infrage kamen, und bestellten eine weitere Runde Aperol, was uns zusehends in Laune versetzte. Langsam wurde meine Zunge schwer.
»Der ist mir zu primitiv.« Ohne Pardon wischte ich auch ihn weg. »Ein bisschen Niveau sollte der, der mich verführen will, schon haben«, ergänzte ich zwinkernd.
Ein weiterer Typ wurde auf dem Display angezeigt. »Oh mein Gott. Der, ja, der!«, rief Kati und deutete auf den Kerl.
Ben, 24. Die braune Lederjacke lässig geöffnet, lehnte er an einer Wand. Seine Haare waren ebenfalls braun, an den Seiten kurz und oben etwas länger. Der Blick aus seinen dunklen Augen war undurchdringlich tief, was ihm einen Touch von Unnahbarkeit verlieh. Ich sah mir weitere Fotos von ihm an. Beim Sport, in der Stadt, mit Freunden, auf einem Motorrad – natürlich. Immer top gestylt. Auf einem war er oben ohne mit durchtrainiertem Körper zu sehen. Er konnte zeigen, was er hatte, und das wusste er. Auf dem nächsten Bild hatte er die Augen weit geöffnet, den Blick in die Kamera gerichtet, und eine kleine Narbe an seiner Wange war deutlich zu erkennen. Je länger ich ihn betrachtete, umso mehr hatte ich das Gefühl, dass er mir irgendwie bekannt vorkam. Aber woher bloß?
»Der, Emma! Schau mal, der ist heiß.« Aufgeregt hielt Kati Emma das Handy hin.
»Oh hallo, Mister Bad Boy. Jackpot! Der ist ja perfekt, wie einem Roman entsprungen«, stimmte Emma ihr zu und zappelte dabei unruhig auf ihrem Hocker herum.
In diesem Augenblick lief eine Gruppe Jungs an uns vorbei zur Theke. Schlagartig wurde mir bewusst, warum dieser Ben mir so bekannt vorkam. Er war der Kerl, den ich vorhin schon an einer Säule lehnend im Club gesehen hatte. Und den wir eindeutig als Aufreißer identifiziert hatten.
»Mal im Ernst, ist das nicht der Kerl, der da steht?«, fragte ich nun auch etwas aufgeregt und deutete mit dem Kopf in die Richtung der Jungsgruppe. Neugierig wandten die beiden ihre Blicke zu ihm.
Kati nickte eifrig. »Das ist er, tatsächlich.«
»Krass, das ist ja echt der Kerl von Tinder«, pflichtete Emma ihr bei. »Das ist dieser Ben. Ganz sicher!« Sie beugte sich nach vorn und da passierte es.
»Nein!« Ich versuchte noch, sie daran zu hindern, doch es war schon zu spät. Sie hatte auf das kleine Sternchen getippt und verpasste ihm damit ein Superlike. In mir begann es, heftig zu pulsieren.
Emma grinste. Ich schwitzte. »Doch, meine Liebe. Er ist der perfekte Bad Boy. Der wird’s, Lina, der und kein anderer.« Das Pulsieren wurde stärker und schließlich zu einer unabwendbaren Gewissheit.
»Echt jetzt?«, stieß ich hervor.
»Ja! Der ist einfach nur heiß und weist alle deine sogenannten Alarmsignale auf. Er hat eine Narbe, ist supersportlich, fährt Motorrad und er ist ganz nah. Ist das nicht irgendwie Schicksal? Superlike eben.« Kati lachte und linste wieder in seine Richtung. Nun, ich hatte in Sachen Schicksal eigentlich andere Vorstellungen, aber gut. Verstohlen linste nun auch ich in seine Richtung und tatsächlich, kurze Zeit später zückte er sein Handy, betrachtete das Display und begann, darauf herumzutippen. Ob er das dämliche Superlike entdeckt hatte?
Schon wurde mir auf meinem Handy eine neue Nachricht angezeigt.
»Tinder!«, rief Emma und schnappte es sich. »Match mit Ben. Aaah! Wie verdammt genial ist das denn bitte? Okay, das ist jetzt wirklich Schicksal, zumindest für die Challenge.« In meinem Bauch begann es zu kribbeln.
»Nicht dein Ernst?«, hakte Kati aufgeregt nach und klopfte dabei so heftig auf den Tisch, dass ich mein Glas festhalten musste. Doch es war ihr Ernst. Emma hielt uns das Display unter die Nase: Ben und ich hatten ein Match.
»Das ist ein Zeichen. Los! Schreib ihm, dass du im Club bist und ihn siehst«, schlug sie aufgeregt vor.
Aber ich schüttelte den Kopf. »Nein, das kommt doch total psycho. Als hätte ich ihn die ganze Zeit beobachtet.«
Emma kicherte. »Na ja, wenn man es genau nimmt, haben wir das ja auch.«
»Aber das muss er doch nicht wissen«, entgegnete ich verschwörerisch. Noch immer kribbelte es in meinem Bauch.
»Das ist echt Vorsehung!«, bekräftigte sie noch einmal.
»Wie oft willst du das jetzt noch sagen? Vorsehung, Schicksal … Du hörst dich schon an wie Mamas Freund, wenn er mit seinen Kristallen spricht. Hallo, wo sind hier die Realisten?«, rief ich in den Raum.
Kati deutete auf mich. »Ich würde mal sagen, eine sitzt hier – im Spitzentop und unübersehbar.« Sie lachte. »Los, Lina. Was willst du schreiben? Hast du schon eine Idee? Irgendwas musst du tun. Die Challenge könnte sofort starten!«
»Nein, ich …« Keine Ahnung, was ich sagen wollte. In meinem Kopf ratterte es. Sie hatten recht, ich könnte gleich loslegen. Was hielt mich noch zurück? Während ich darüber nachdachte, was ein guter Text wäre, bekam ich schon die nächste Meldung. Es war eine Nachricht von Ben: Hey, wie ich merke, hast du ein Auge auf mich geworfen.
Emma und Kati grinsten, als ich den Text laut vorlas. »Ist doch nett«, meinte Emma.
»Ist ja wohl total arrogant«, erwiderte ich. »Oder hat er uns etwa gesehen?« Ich blickte mich um. »Ehrlich gesagt würde ich am liebsten gleich schreiben, dass ich mich verdrückt habe, aber …«, ich atmete tief durch und sah die beiden an, »es gibt eine Challenge und ihr wollt, dass sie startet, also …« Ich tippte etwas in das Nachrichtenfeld ein und legte das Handy danach wieder so hin, dass die beiden meinen Text lesen konnten.
»Dein Profil sieht nett aus. Und ich mag, dass du so sportlich bist. Okay, alles blöd … Du bist mir einfach aufgefallen, als ich dich gesehen habe«, las Kati vor und musterte mich anschließend mit zusammengekniffenen Augen. »Und du meinst, das zieht? Wirklich? Das ist ja mal oberlangweilig. Wo ist die coole Lina abgeblieben?«
»Hallo, ich bin ein Bad-Boy-Opfer«, antwortete ich, während ich meinen Blick noch einmal über die Zeilen wandern ließ. Vielleicht hatte sie recht. Und da kam mir eine Idee. »Okay, wartet.« Ich begann, hektisch zu tippen, und schickte den Text diesmal ab, bevor ich ihn meinen Freundinnen zeigte.
»Kann gut sein. Vielleicht mehr als das, sieh dich vor. Augen auf«, las Emma vor. »Das hast du geschrieben? Wie genial!« Sie rieb sich die Hände.
»Jap. Und jetzt gehe ich gleich weiter auf Angriff. Der Arme, er wird sich noch wünschen, mich niemals gematched zu haben.« Grinsend sah ich zu Ben, der auf sein Handy starrte.
»Er liest es«, raunte Emma uns gespannt zu. Ich beobachtete, wie sich auch sein Mund zu einem Grinsen verzog. Schließlich tippte er etwas und kurz darauf machte mein Handy wieder Pling.
»Ach ja? Wie soll ich das verstehen?«, las ich dieses Mal vor und das Kribbeln weitete sich auf meinen gesamten Körper aus.
»Uh!«, zischte Kati. »Jetzt geht’s los, Emma!«
Emma verpasste mir einen Knuff in die Seite, der mich zusammenzucken ließ. »Geh hin, alles auf Angriff!«
Sanft rieb ich mir über die Stelle. »Moment. Erst noch eine Nachricht.« Ich tastete nach meinem Handy und schrieb: Das wirst du gleich merken. Pass nur auf.
Sofort begannen die Mädels zu kichern. »Was hast du vor?«, wollte Emma wissen, und als ich nicht gleich antwortete, ergänzte sie: »Jetzt sag schon!«
Ich lehnte mich auf meinem Hocker zurück. »In den klassischen Bad-Boy-Good-Girl-Geschichten würde das Mädchen jetzt an ihm vorbeigehen, tollpatschig stolpern und ihn dabei anrempeln. Die beiden würden sich tief in die Augen schauen. Doch dann wäre er ziemlich eklig zu ihr, schließlich hält er sich für den geilsten Typ auf Erden, sie würde sich tausendmal entschuldigen – und zack, sie wäre auf seinem Radar …«
Die beiden sahen mich fragend an. »Und?«
Ich stand auf. »Genau das tue ich jetzt auch. Damit mache ich ihn auf mich aufmerksam. Und«, ich zupfte mein Oberteil zurecht, »er wird anbeißen.« Ich zwinkerte den beiden zu.
»Wuhu, Baby!«, rief Kati, während Emma in die Hände klatschte. »Du ziehst das echt durch!«
Ich nahm noch einen Schluck von meinem Aperol, stellte ihn auf den Tresen und ließ mit einem Grinsen meinen Kopf kreisen. »Aber so was von. Wie gesagt, der Arme tut mir jetzt schon leid.«
Schwungvoll wandte ich mich um und steuerte direkt auf Ben zu, der nun ein bisschen weiter entfernt mit einer Bierflasche in der Hand an einer Wand lehnte. Bunte Lichter tanzten über sein Gesicht, das er dem Handy in seiner Hand zugewandt hatte. Während ich mich mit pochendem Herzen durch die Menge schob, versuchte ich, mich auf meinen Plan zu konzentrieren, schließlich musste ich gleich gegen ihn stolpern. Cool sein, aber irgendwie auch nicht. In den Büchern wirkte das immer so leicht, da stolperte ständig irgendein Mädchen in irgendeinen Kerl rein. Und es funktionierte. Doch ich merkte, wie meine Handflächen zu schwitzen begannen. Plötzlich erstarrte ich: Was zur Hölle tat ich hier? Wie hatte ich mich von Emma und Kati so bequatschen lassen können? Ich atmete einmal tief ein und aus und versuchte, mich zu beruhigen. Denn wenn ich in den letzten Jahren eines gelernt hatte, dann war es die Tatsache, dass man sich niemals von der Angst steuern lassen durfte. Ich sollte mir einfach nicht so viele Gedanken machen. Es würde schon klappen, ich bekäme das hin. Stolpern, Aufmerksamkeit erhaschen, nett sein, vielleicht ein bisschen schüchtern. Und mal ehrlich, diese Bad Boys konnten doch überhaupt nicht anders, als anzubeißen. Das würde bei Ben genauso sein.
Gut, wenn ich so darüber nachdachte, hörte es sich ziemlich merkwürdig und auch irgendwie peinlich an. Aber jetzt war es sowieso schon zu spät, ich steckte mittendrin in der Misere und würde es durchziehen. Schließlich zog ich alles durch, was ich angefangen hatte. Ich atmete noch ein letztes Mal tief durch und setzte mich schließlich wieder in Bewegung.
Aus dem Augenwinkel sah ich Ben. Er strich sich durchs Haar und ließ seine Hand anschließend auf seinem Nacken liegen. Seine Bilder hatten nicht zu viel versprochen, auch in echt sah er ausgesprochen gut aus. Ich ging etwas näher heran, wankte leicht nach links, was mir nicht schwerfiel – dem Aperol sei Dank –, und dann in seine Richtung. Keine Sekunde später ließ ich mich tatsächlich in seine Arme fallen. In Büchern wurde das alles immer wie in Zeitlupe beschrieben, die beiden versanken im Blick des jeweils anderen, spürten sich gegenseitig … Hier war es nicht so. Der Aufprall fiel deutlich heftiger aus als gedacht, sodass Ben das Bier aus der Hand fiel. Dabei sah er in etwa so verwirrt aus wie ein Eichhörnchen, dem die Nuss geklaut wurde, und ließ mich dadurch unwillkürlich an Scrat aus Ice Age denken.
»Ups«, sagte ich leise, als es schepperte, und biss mir dabei auf die Lippe, um ein Kichern zu unterdrücken. Schnell richtete ich mich wieder auf. Ich musste jetzt ganz ruhig bleiben, seine Muskeln betrachten und sanft mit den Fingern darüberstreichen – oder so was in der Art. Komm schon, Lina, das muss jetzt noch drin sein.
»Mein Bier«, hörte ich Ben verärgert sagen, ließ mich aber davon nicht beirren. Stattdessen wanderten meine Hände über seine Brust, ich spürte den rauen Stoff, darunter die Wärme seines Körpers, und hob langsam den Kopf. Was nun? Ich könnte mir auf die Unterlippe beißen. Leicht, lasziv, verführerisch. Oder war das albern? Vielleicht später, dachte ich und entschied mich erst einmal für einen – wie ich vermutete – sinnlichen Augenaufschlag. Bens Blick traf auf meinen, das warme Braun seiner Augen vermischte sich mit meinem Blau. Einen Moment lang hielt ich den Atem an. Die tanzenden Menschen um uns herum stoppten in ihren Bewegungen und die sonst so laute Musik hörte ich nur noch leise im Hintergrund. Sein Blick veränderte sich. Ich glaubte, Neugier darin aufblitzen zu sehen. Doch schon im nächsten Moment war alles vorbei.
»Augen auf. Hab ich dir ja geschrieben«, sagte ich, als ich wieder in der Gegenwart angekommen war, woraufhin er mich fragend ansah. Sollte ich beleidigt sein, weil er mich nicht erkannte? »Tinder. Gerade eben.« Wusste er das echt nicht mehr? Zumindest regte sich nichts in seinem Gesicht. Schon wieder schob sich Scrats Gesicht vor seins.
»Ah, du bist es«, riss er mich aus meinen Gedanken, wirkte aber weiterhin unbeeindruckt. Wie nett.
»Ja, ich bin es. Von eben«, versuchte ich es noch einmal.
»Die mir geschrieben hat, ich solle meine Augen offen halten?«
Fragte er mich das jetzt ernsthaft? Hatte ich doch gerade überdeutlich gesagt. Aber war ja klar, ich war sicher nicht die Einzige, mit der er in den letzten Minuten geschrieben hatte.
»Kann sein«, antwortete ich etwas trotzig.
Er musterte mich. »Vielleicht hättest du besser mal deine Augen aufgemacht. Du hast nämlich mein Bier verschüttet …« Ich bewegte mich nicht. Ben zeigte auf die Flasche, die noch immer auf dem Boden lag. »Darf ich die mal aufheben? Oder bist du noch beschäftigt?« Seine Worte klangen leicht verärgert.
»Mit was?«
»Mit tatschen?«
Noch immer lag meine Hand auf seiner Brust – einer äußert gut gebauten Brust, wie ich zugeben musste. »Ähm, erstens, ich tatsche nicht, und zweitens, ja, meinetwegen. Aber ist eh leer, oder?«, erwiderte ich unbeeindruckt.
Er hob eine Augenbraue. »Wahrscheinlich.« Ich musste endlich meine Hand da wegnehmen. Unangenehm.
»Darf ich dann jetzt oder was hast du hier vor?« Sein Tonfall wirkte inzwischen nicht mehr nur verärgert, sondern auch ziemlich genervt.
Eilig trat ich zurück, während er nach unten zu der Flasche vor seinen Füßen blickte.
»Ja, ich weiß, ich bin so tollpatschig, ich sollte besser aufpassen. Also, bevor du jetzt gleich loslegst und den Arroganten spielst: Sorry, ehrlich. Wobei … Bei den Muskeln müsstest du eine Flasche doch eigentlich halten können, streng genommen war es also nicht meine Schuld.« Die letzten beiden Sätze waren mir einfach so herausgerutscht. Ups. Der Aperol.
Er wandte mir wieder das Gesicht zu. »Was?« Ich begann, mir das Gehirn zu zermartern. Hätte ich mich doch lieber weiter entschuldigen sollen? Was hatte ich da noch mal gelesen? Wenn ich ihn um den Finger wickeln wollte, musste ich das schüchterne Mädchen von nebenan spielen. Schüchtern war schließlich mein zweiter – oder eher dritter – Vorname.
»Ähm, ja, sorry.« Ich beschloss, nun die Lippen ins Spiel zu bringen. Ich biss verführerisch – wie ich glaubte – auf meiner Unterlippe herum und stammelte verlegen: »Sorry, echt. Und deine Muskeln sind super, so richtig … hart.« Ich kniff in seinen Arm.
Auf einmal begann er, mich vom Kopf bis zur Taille zu mustern. Es war so weit, Jackpot! Er hatte angebissen. Schnell zupfte ich erneut an meinem Shirt und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Riesengroßes Sorry.«
»Schon gut, ist ja nur ’ne Flasche Bier.«
Ich nickte. Ich verstand sowieso nicht, warum bei einem Zusammenstoß immer so ein Drama veranstaltet wurde.
»Eben«, rutschte es mir da auch schon heraus.
Er hob eine Augenbraue. »Trotzdem war das nicht so cool.« Fassung wahren, Lina.
»Ja, total uncool. Was können wir denn da jetzt machen?«
Ben runzelte die Stirn. »Wie meinst du das?« Moment, wie war noch mal der Plan? Ihn anrempeln, abchecken, Sorry sagen, nett sein. Auf alle Fälle seine Aufmerksamkeit erregen.
»Na ja, wir könnten zusammen ein Bier trinken. So als Entschuldigung«, versuchte ich es.
»Nee, schon okay.« Wie bitte? Etwas perplex schaute ich ihn an.
Er ging in die Knie, um die Flasche aufzuheben. Ich beugte mich ebenfalls hinunter – etwas zu schnell für diesen Abend – und geriet ins Wanken. Rasch hielt ich mich an ihm fest. Oh, oh, der Aperol. Zugegeben, ich hatte leichte Koordinationsschwierigkeiten.
Als ich mich wieder aufgerichtet hatte, versuchte ich es erneut: »Ich mache dir einen Vorschlag: Ich gebe dir ein Bier aus, so kriegst du dein Getränk wieder und ich kann mein schlechtes Gewissen etwas beruhigen.« Ben sah einen Moment lang zu mir hoch und wirkte dabei, als könnte er sich nicht entscheiden, doch dann schüttelte er den Kopf. »Ist schon okay. Ich hol mir später eins.« Er winkte ab und erhob sich wieder. »Pass einfach das nächste Mal besser auf.« Eine bessere Steilvorlage gab es ja wohl nicht. Ein Satz, wie er in einem Buch oder Film nicht typischer vorkommen könnte. Ich musste mich bremsen.
»Pfff«, kam es mir dennoch über die Lippen.
»Was?«
»Nichts.« Besser schnell wieder verletzlich wirken. Ich sollte meine große Klappe echt in den Griff kriegen. »Nichts, wirklich. Ganz im Ernst: Tut mir sehr leid mit deinem Bier. Echt. Ich wollte nicht dein Getränk verschütten. Also sorry.« Ich versuchte es mit einem unschuldigen Augenaufschlag. »Ich weiß, ich sollte besser aufpassen. Du hast ja so recht.«
Ben verschränkte die Arme vor der Brust. »Veräppelst du mich gerade?« Mist. War das zu auffällig gewesen? Er sagte nun gar nichts mehr, sondern nickte nur. In meinem Kopf ließ ich noch einmal Stufe eins Revue passieren. War ich zu nett gewesen? Oder nicht nett genug? Sollte er sich nicht noch mehr aufregen? Was könnte ich nun sagen?
»Und jetzt?«, fragte ich also etwas zögerlich.
»Was jetzt? Nichts.« Er klang immer genervter.
»Bist du echt beleidigt? Ich hab doch Sorry gesagt und das, obwohl es nicht mal meine Schuld war. So war das doch gar nicht geplant.«
Er zog die Stirn kraus, doch dann breitete sich langsam ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Ich sag doch, nichts. Alles gut.« Warum grinste er denn jetzt? »Du wolltest also zu mir? Hast mich erst auf Tinder entdeckt, dann hier. Rempelst mich mit Absicht an. Und jetzt … willst du verrückten Small Talk?« Mit Absicht? Verrückter Small Talk?
Sein Grinsen wich einem durchdringenden Blick. Perfekt! Er fand mich also interessant. Oder verrückt, wie auch immer. Jedenfalls schien er irgendetwas an mir zu finden. Hauptsache Aufmerksamkeit. So lief es doch bei den Stars auch. Alles für den Fame. Und bei mir alles für die Challenge. Wuhu! Hatte ich gerade ernsthaft Wuhu! in meinem Kopf gerufen? Wie peinlich. Nie mehr Aperol.
Mit einem Mal rückte er ein Stück näher an mich heran und sofort strömte mir sein Duft in die Nase. Herb und unheimlich gut. »Also, trinken wir jetzt was zusammen? Du willst es ja anscheinend unbedingt. Mir ein Bier ausgeben oder so.« Für einen kurzen Moment hatte er mich aus dem Konzept gebracht, doch ich wusste, dass es funktionieren würde. Cool bleiben, Lina.
Ich zog eine Augenbraue nach oben. »Will ich das?«
»Kommt so rüber«, meinte er. Dabei lag sein Blick noch immer intensiv auf mir.
»Klar denkst du das jetzt, klappt auch sonst sicher immer gut. Mit deinen Muskeln, der verwegenen Lederjacke und der geheimnisvollen Narbe an deiner Wange.«
»Offensichtlich hat es gereicht, um dich auf einer Dating-App anzufixen«, konterte er. »Sogar mit Superlike.« Ich schmunzelte in mich hinein. Der war gut.
»Na ja«, begann ich und biss mir auf die Unterlippe. Immer wieder zog ich leicht mit den Zähnen daran. Das machte ihn sicherlich wild.
»Na ja was?«
»Na ja, da könntest du recht haben.«
Einen Moment lang sah er mich noch an, bevor er die Hand hob und sie mir reichte. »Lina also?«
»Jap, Lina.« Ich legte meine Hand in seine und spürte ein sanftes Kribbeln an den Stellen, an denen sich unsere Hände berührten.
»Nur mal ’ne Frage am Rande. Ist alles okay, Lina? Hast du irgendwie was genommen?«
Ruckartig zog ich meine Hand zurück. »Was? Wieso?«
»Du redest so wirr. Willst ein Bier mit mir trinken, dann wieder nicht. Und jetzt starrst du mich an. Und was ist das überhaupt die ganze Zeit mit deiner Lippe?«
»Warum? Was soll damit sein?«
»Du kaust dauernd darauf rum. Ist das eine Art Tick oder so was?« Fragend hob Ben eine Augenbraue.
»Soll das witzig sein? Also wirklich, das … das … verletzt mich jetzt schon.« Ich versuchte, verletzt zu wirken, woraufhin er schnell einen Schritt zurücktrat. Ich setzte noch einen drauf: »Was, wenn ich wirklich ’nen Tick hätte? Also einen krankhaften? Echt jetzt. Schon mal was von Diskriminierung gehört?«
Er runzelte die Stirn. »Hast du denn einen? Also, außer den mit der Lippe und den Koordinationsschwierigkeiten.«
»Nicht witzig!«
»Irgendwie schon.« Ein kleines Grinsen huschte über sein Gesicht.
»Ich sag ja nur. Hättest mich ja total treffen können mit dieser Aussage«, entgegnete ich schmollend.
»Okay, ich glaub, du brauchst ’ne Pause.« Ben machte Anstalten, sich abzuwenden. »Ich geh dann mal.« Echt jetzt? Er ließ mich einfach stehen? Mist, so sollte das aber nicht laufen.
Schnell hielt ich ihn zurück. »Warte! Na gut, ich … ich …versuche nur, sexy zu sein.«
Er stoppte und sah mich an. Sein Blick verriet mir, dass er mit dieser Antwort nicht gerechnet hatte. »Du findest es also sexy, wenn du gegen jemanden stößt, wirres Zeug redest, auf der Lippe herumkaust und ihn unbeholfen antatschst?« Als wäre es genau so abgelaufen …
»Ich tatsche dich an?« Ich ging einen Schritt auf ihn zu.
»Ganz richtig, das hast du vorhin getan.« Ben rückte nach. Ganz dicht standen wir plötzlich voreinander.
»Das wünschst du dir vielleicht«, erwiderte ich und tippte dabei mit dem Zeigefinger gegen seine Brust.
Er blickte auf meine Hand, die ich sofort wieder wegzog. »Das ist nicht tatschen«, berichtigte ich ihn, »ich hab dich nur angestupst.«
»Ah, entschuldige. Du willst mich also anstupsen und sexy schauen. Wenn es dir hilft … bei was auch immer. Also, bis dann.« Er hob nun wieder die Hand, diesmal zum Abschied. Was sollte ich jetzt tun? Wenn er mich für verschroben hielt, wäre die gesamte Challenge zum Scheitern verurteilt. Ich blickte mich nach Emma und Kati um, deren Gesichter mir verrieten, dass sie das Gleiche dachten wie ich.
»Sorry, ich bin einfach nervös«, gab ich kleinlaut zu und suchte seinen Blick. Das war nicht mal gelogen. Die ganze Sache war doch etwas verrückt geworden und lief in eine völlig verkehrte Richtung. Ich steckte fest. Wenn Nettsein nicht funktionierte, musste ich mir wohl etwas anderes überlegen. Und außerdem: Wenn jemand ging, dann ich. Also probierte ich es auf die toughe Schiene: »Na ja, ich hab’s versucht, trotzdem sorry noch mal! Man sieht sich.« Mit diesen Worten wandte ich mich ab und ließ ihn stehen. Hinter mir hörte ich ihn irgendetwas murmeln, drehte mich aber nicht mehr zu ihm um.
Nach ein paar Schritten siegte jedoch die Neugier in mir. Ich blieb kurz stehen und warf einen Blick über die Schulter zurück. Mein Blick traf seinen. Wuhu, doch nicht alles verloren! Ich musste unbedingt mit diesem Wuhu aufhören. In diesem Augenblick schüttelte er grinsend den Kopf. Mist, sah doch nicht so gut aus. Noho.
»Und?«, fragte Emma, als ich wieder bei ihr und Kati am Tresen saß. »Sah ja … interessant aus. Stufe eins erfolgreich absolviert?« Sie veräppelte mich, eindeutig.
»Die Antennen sind aktiviert, der Bad Boy hat mich auf dem Schirm. Check!«, antwortete ich siegessicher, obwohl ich in diesem Moment alles andere als überzeugt davon war.
Kati lachte. »Wirklich? Wirkte eher etwas … na ja, cringy.«
»Gut, okay, es war die totale Katastrophe«, gab ich schließlich stöhnend zu. »Zumindest habe ich aber seine Aufmerksamkeit erregt … Und wenn es der nicht sein soll, dann gibt es noch so viele andere Bad Boys auf Tinder und überall auf der Welt«, redete ich mir selbst Mut zu.
Das war es doch, was ein Genie auszeichnete: nicht gleich beim ersten Versuch aufzugeben. Und wer wusste es schon, vielleicht klappte es ja doch noch.
»Von deiner Aufmerksamkeit ist anscheinend nicht viel übrig geblieben«, meinte Emma zerknirscht, nachdem etwa eine halbe Stunde vergangen war. Sie deutete mit dem Kopf hinüber zu Ben, der nun am Rand der Tanzfläche stand. Doch er war nicht allein. Er unterhielt sich angeregt mit einer jungen Frau mit kurzen dunklen Haaren, durch die sie sich immer wieder strich. Sie stand also auf ihn.
Okay. Auch nicht untypisch. Schließlich befanden wir uns in einem Club. Und ein Bad Boy wie er war auf Beutefang. »Glaubt mir, alles Taktik. Ich bin sicher nicht die Einzige, um die die Spinne ihr Netz gewoben hat. Ich muss mich nur wieder in sein Gedächtnis rufen.« Insgeheim fragte ich mich allerdings, ob er vielleicht wirklich keinen Gedanken mehr an mich verschwendete. Unsere Begegnung war ja auch echt weird gewesen. Eine ganze Weile blickte ich in seine Richtung, bis auch er den Kopf hob und direkt zu mir herübersah. Unsere Blicke trafen sich, doch er wirkte nicht allzu begeistert. Hatte er gerade etwa mit den Augen gerollt?
»Stellen wir uns etwas näher an ihn heran«, schlug ich vor, denn so etwas würde ich mir mit Sicherheit nicht gefallen lassen. Mein Ehrgeiz war geweckt. Und so suchten wir uns einen Platz in seiner Nähe. Zu dritt quetschten wir uns auf eine der Schaukeln, die vor der Bar hingen.
Der Club war bekannt für seine Schaukeln, für lockere Gespräche, gute Musik – dafür, in seiner Atmosphäre dem Alltag entfliehen zu können. Doch heute gelang mir das nicht sonderlich gut. Immer wieder schaute ich zu Ben, aber er schien mich gar nicht mehr zu registrieren. Oder gekonnt zu ignorieren. Was nun?
»Wirkt nicht so, als ob er angebissen hätte«, stellte Emma nach einer Weile fest.
Kati sah es ähnlich: »Außerdem solltest du nicht andauernd zu ihm rüberstarren, das wirkt abschreckend. Lasst uns lieber gehen. Es war ein lustiger Abend, aber ich denke, es reicht für heute. Die Idee war witzig, aber nicht jede Idee kann funktionieren. Außerdem ist es schon spät.« Ich musste zugeben, dass sie recht hatte. Aber ich wollte nicht, dass sie recht hatte. Das konnte es doch nicht gewesen sein.
Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich schon wieder in Bens Richtung starrte, bis er auf einmal aufblickte und erneut mit den Augen rollte. Was zur Hölle?
»Wisst ihr was? Wir gehen, jetzt sofort«, sagte ich energisch, stand auf und machte mich auf den Weg in Richtung Ausgang, ohne eine Antwort von meinen Freundinnen abzuwarten. Ich war gekränkt, beleidigt, vielleicht auch ein bisschen beschwipst. Das hatte ich mir wirklich anders vorgestellt. Bevor ich durch die Tür trat, hielt ich inne.
»Ach, mach dir nichts draus, Lina«, versuchte mich Emma aufzuheitern, als sie neben mir zum Stehen kam. »Das Ganze war doch sowieso nur Spaß.« Trotzdem störte mich das alles gewaltig, denn meine Theorie stimmte. Das Prinzip funktionierte. Ganz sicher. Mir fehlte nur der richtige Dreh.
»Ich muss noch eben auf die Toilette«, sagte Kati, nachdem sie bei uns angekommen war.
Ich nickte. »Ich geh mit. Emma, du auch?«
»Nein, nein. Aber geht ruhig. Gebt mir eure Marken, dann hole ich schon mal die Jacken«, schlug sie vor.
Genau wie Kati kramte ich in meiner Tasche, um die Garderobenmarke herauszufischen und sie Emma zu reichen. Während sie sich in Richtung Garderobe davonmachte, eilten Kati und ich zu den Toiletten. Als ich fertig war, war von Kati noch nichts zu sehen, also ging ich hinaus auf den Gang und zog mein Handy aus der Tasche. Eine Nachricht von Nika, die wissen wollte, ob wir gleich noch mal telefonieren konnten. Ob was mit Alex passiert war?
Gerade als ich ihr antworten wollte, entdeckte ich Ben. Die Dunkelhaarige war noch immer bei ihm, sogar ziemlich nah bei ihm, und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sie stand ganz eindeutig auf ihn. Einen Moment lang beobachtete ich die beiden. Wie er sie ansah, wie sie sich durchs Haar strich und dabei in seinen Augen versank … Er würde sie heute sicherlich noch klarmachen.
»Gehen wir?« Kati tauchte neben mir auf.
Und auch Emma stand mit einem Mal direkt vor uns. »Ging voll schnell, ich glaub, ich geh doch noch mal.« Sie reichte uns unsere Jacken und lief auf die Toiletten zu.
Erneut streifte mein Blick Ben. Nein, Lina, sagte ich mir, heute macht es sowieso keinen Sinn mehr. Etwas nervös zupfte ich an meinem Shirt und wollte mich gerade abwenden, als Ben von dem Mädchen zurücktrat und unerwartet auf mich zukam. Mist, hatte ich ihn etwa zu lange angestarrt?
»Er kommt«, raunte Kati mir überflüssigerweise zu.
Keine Sekunde später stand er vor uns. »Sag mal, stalkst du mich?«
Ich zuckte zusammen. »Was?«
»Na ja, du bist schon den ganzen Abend immer da, wo ich bin, oder starrst zu mir rüber.«
Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Ach ja? Ich kann ja wohl hinsehen und hingehen, wo ich will. Ich würde mal sagen, du bist eher immer da, wo ich bin.« Gut gekontert. Wobei … Wieso verhielt ich mich gerade selbst wie ein Bad Boy? Ich kam mir vor, als hätten wir die Rollen getauscht.