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„Die hat aber ein perfektes Leben!“ – diesen Eindruck hatten die Follower*innen, die jeden Tag die Posts der Schauspielerin Isabell Horn auf Instagram verfolgten. Dass auch bei ihr nicht alles easy ist, teilte sie vergangenes Jahr in einem Post, sprach offen von ihrer Depression und was die Corona-Zeit mit ihr gemacht hat. Dafür erfuhr sie eine Welle an Zuspruch und Dankbarkeit. Jetzt teilt die beliebte Schauspielerin erstmals frühere Depressionserfahrungen, beschreibt authentisch und bewegend, wie ihre lange ersehnte Mutterschaft in einer Wochenbettdepression mündete und was Wäscheberge mit mentaler Gesundheit zu tun haben. Immer ehrlich und mit einem Blick für die komischen Momente in all der Tragik erzählt sie, wie sie sich immer wieder aus dunklen Phasen herausgekämpft hat. Damit will sie allen Mut machen, die ähnliche Situationen erleben. Denn niemand ist perfekt– nicht einmal auf Instagram.
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Seitenzahl: 246
Über dieses Buch
Isabell Horn lebt in einer perfekten Welt – zumindest denken das die meisten, die sie als Pia bei GZSZ oder als Rike in Bettys Diagnose kennen. Aber was, wenn plötzlich alles über einem zusammenbricht? Wenn der Job mit einem Mal weg ist? Sich das Mutterglück nicht so richtig einstellen will, und der nicht enden wollende Lockdown dazu führt, dass man irgendwann gar nicht mehr aufstehen will?
Offen, ehrlich und ohne den Humor zu verlieren, lässt Isabell Horn hinter die scheinbar perfekte Fassade blicken: Sie berichtet von Rückschlägen und Depressionserfahrungen, davon, wie ihre lang ersehnte Mutterschaft in einer Wochenbettdepression mündete und was Wäscheberge mit mentaler Gesundheit zu tun haben.
Isabell Horn gehört zu den rund 15 Prozent aller Menschen, die im Laufe ihres Lebens an einer Depression erkranken – und sie ist eine der wenigen, die offen über ihre Krankheit sprechen. Sie möchte aufklären, Mut machen und anderen Betroffenen zeigen: Ihr seid nicht allein!
Über die Autorin
Isabell Horn, Jahrgang 1983, wurde mit TV-Serien wie GZSZ und Alles was zählt bekannt. Zuvor stand die studierte Schauspielerin und Sängerin schon für Theaterproduktionen und Musicals in Berlin, Hamburg und Düsseldorf auf der Bühne. Auch mit ihrer zweiten Karriere als Influencerin ist sie erfolgreich und teilt auf ihren Social-Media-Kanälen fast täglich Eindrücke aus ihrem Leben als Mutter, Partnerin und Business-Frau. Seit März 2020 gehört sie zum Cast der ZDF-Serie Bettys Diagnose. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.
ISABELL HORN
mit Lisa Bitzer
Bleibt
das jetzt
so?
Die Depression,
mein unperfektes Leben
und ich
Wilhelm Heyne Verlag
München
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Zum Schutz Einzelner, die nicht Personen des öffentlichen Lebens oder Mitglieder der Familie sind, wurden einige Namen anonymisiert. Die Grundlage für die in diesem Buch enthaltenen Dialoge und Geschehnisse sind die Erinnerungen von Isabell Horn. Die Gespräche sind sinngemäß wiedergegeben. Ein Anspruch auf wörtliche Übereinstimmung mit tatsächlich stattgefundenen Dialogen wird nicht erhoben.
Der Abdruck [>>] ff. erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Dr. Joseph Dillard und Claudia Hahm, Praxis für Komplementärmedizin, Psychotherapie und Krisenintervention in Berlin.
Originalausgabe 09/2022
Copyright © 2022 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Dr. Heike Wolter
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,
unter Verwendung eines Fotos von © Rosa & Liebchen Fotografie und Shutterstock.com/vata
Satz: Leingärtner, Nabburg
ISBN 978-3-641-29052-8V001
www.heyne.de
Everybody hurts sometimes
Sometimes everything is wrong
Das Ende
Auf der Straße explodieren Knallerbsen. Jedes Mal, wenn eine der bunten, papierumwickelten Kugeln auf den Asphalt schlägt und mit einem lauten »Peng!« den noch stillen Winterabend zerreißt, zucke ich zusammen. Wäre ich dazu in der Lage, würde ich aufstehen und ans Fenster gehen, um den Kindern aus der Nachbarschaft dabei zuzusehen, wie sie für den Jahreswechsel in ein paar Stunden üben.
Unten schlägt die Haustür zu, kleine Füße trappeln über den Boden, ich höre Fritz lachen. Jens ist mit den Kindern auf dem Spielplatz gewesen, ein letztes Mal in diesem Jahr. Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie sie sich aus ihren Jacken, Mützen und Handschuhen schälen, alles auf den Boden fallen lassen und ins Wohnzimmer rasen. Jens hebt augenrollend ihre Kleidung auf und hängt sie ordentlich an den Haken. »Der Papa ist ja da«, höre ich ihn murmeln. Dann folgt er ihnen ins Wohnzimmer, wo es sich Ella und Fritz in ihrem Tipi gemütlich gemacht haben. Sie liegen auf den flauschigen Kissen umringt von Kuscheltieren, Spielzeug und Wimmelbüchern, für die Ella mit ihren fast vier Jahren eigentlich schon zu alt ist. Aber für ihren jüngeren Bruder tut sie alles. Auch Babybücher lesen.
Ich stelle mir vor, wie Jens ans Stoffzelt tritt, in die Hocke geht und unsere Kinder fragt: »Wer freut sich alles aufs Feuerwerk später?«
»Iiich, ich, ich!«, ruft Ella begeistert, wirft das Wimmelbuch zur Seite und klettert aus dem Tipi. Sie holt ihre Toniebox, setzt die Figur mit den Partyhits für Kinder obenauf und beginnt wild zu tanzen. Fritz, der erst seit ein paar Monaten laufen kann, versteht nicht, was ein Feuerwerk ist, aber tanzen kann er auch. Und so tobt die Rasselbande zu lauter Kindermusik durchs Wohnzimmer.
Ich wäre gern bei ihnen. Ich würde mich gern wie sie aufs neue Jahr freuen. Auf 2021, ein Jahr voller neuer Möglichkeiten und voller Hoffnung. In ein paar Tagen wird Joe Biden im Weißen Haus vereidigt. Die Pandemie scheint durch die Entwicklung mehrerer Impfstoffe gebändigt. Und in Kenia leben wieder mehr Elefanten. Es gibt jede Menge Gründe, um glücklich zu sein. Ich habe zwei fantastische Kinder und einen umwerfenden Ehemann. Ich habe zwei Jobs, die ich wirklich liebe. Ich habe Freunde, ich habe Freizeit, ich habe finanzielle Möglichkeiten.
Nur Lebensfreude habe ich keine mehr.
Ich schließe die Augen, drehe mich auf die andere Seite. Die Dämmerung setzt ein und färbt den Himmel in ein blasses Apricot. Heute war bestimmt ein schöner Tag. Ich habe nichts von ihm mitbekommen. Denn ich lag im Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen, und habe geschlafen. Genau wie gestern. Und vorgestern. Und dem Tag davor.
Ein Klopfen an der Tür lässt mich erwachen. Wann bin ich eingenickt? Die Tür geht einen Spaltbreit auf, meine Tochter schlüpft hindurch und betritt das Schlafzimmer. Mit zögerlichen Schritten kommt sie ans Bett und setzt sich mit einer Pobacke auf die Matratze.
»Mama?« Ihre Stimme klingt zart, unsicher, wie ein Vögelchen, das die ersten Laute probt.
Ich drehe mich zu ihr um. Öffne die Augen. Versuche mich an einem Lächeln. »Hallo, mein Schatz.«
»Mama, was ist los mit dir?« Ella sieht mich aus sorgenvollen Augen an. »Bist du traurig?«
In meiner Kehle bildet sich ein Knoten, ich versuche, ihn herunterzuschlucken, doch es gelingt mir nicht. Ich fühle mich fürchterlich. Wie eine komplette Versagerin. Als mir die Tränen in die Augen steigen, blinzele ich sie weg und reiße mich zusammen.
»Ja, ich bin ein bisschen traurig«, erwidere ich und lege meine Finger auf Ellas kleine Kinderhand.
»Warum denn?«, fragt sie, weil Kinder eben diese Fragen stellen.
»Das weiß ich nicht«, antworte ich, obwohl ich die richtige Antwort kenne. Mir ist gerade alles zu viel. Ich habe das Gefühl, vom Gewicht der Welt erdrückt zu werden. Seit Wochen befinden wir uns in einem Lockdown light, der eigentlich vor Weihnachten enden sollte, jetzt aber nicht mehr enden mag. Die Kitas sind seit Monaten immer wieder zu. Am Anfang haben Jens und ich noch die Zeiten, in denen wir Ella und Fritz betreuen, untereinander aufgeteilt, während der jeweils andere sich zurückzog und versuchte zu arbeiten. Es blieb aber beim Versuch. Denn natürlich verstanden die beiden nicht, wieso Mama zu Hause war, aber nicht gestört werden durfte. Andauernd kamen sie ins Büro und wollten etwas von mir. Irgendwann, als ich mit den Nerven bereits am Ende war, mietete ich mir ein Airbnb-Zimmer in der Nähe an, um dort ein paar Stunden am Tag in Ruhe arbeiten zu können. Jens konnte weiterhin in sein Büro, weil alle Mitarbeiter im Homeoffice waren. Doch auch das Airbnb half nicht gegen das Gefühl der Hilflosigkeit, das sich Tag für Tag weiter in mir ausbreitete. Und der Winter tat sein Übriges. Ich bin ein Sommerkind, liebe die Wärme, den blauen Himmel und die strahlende Sonne. Bei Temperaturen um die null Grad, tagelanger grauer Wolkendecke und »vereinzelten Schauern mit gebietsweise Nebel«, wie es in der Wettervorhersage immer so schön heißt, fühle ich mich wie eine Pflanze, der man Licht, Erde und Sauerstoff genommen hat. Ich habe das Gefühl, dass es mit jedem Tag schlimmer wird. Es gibt keinen Silberstreif am Horizont. Kein Licht am Ende des Tunnels. Keine Aussicht auf Besserung. Es gibt nur mich, diese unendliche, tiefschwarze Leere in meinem Inneren und die Traurigkeit, die mich von innen aufzufressen scheint. Jede Stunde verschlingt sie mehr von mir, und an jedem Morgen, an dem ich aufwache, meine ich, etwas mehr verschwunden zu sein. Ich löse mich auf.
Vielleicht bin ich in ein paar Wochen ja einfach nicht mehr da?
Ella streckt den Arm aus und reißt mich aus den düsteren Gedanken. Sie streichelt mein Haar. »Hast du nicht gern Geburtstag, Mama?«
Jetzt kann ich die Tränen nicht mehr zurückhalten und wende den Kopf ab, damit Ella sie nicht sieht.
»Doch«, murmele ich mit erstickter Stimme. »Ich bin nur sehr müde.«
Jens’ Stimme ruft von unten. Er hat Waffeln für die Kinder gemacht. Einen Moment lang bleibt Ella noch neben mir sitzen, dann schleicht sie lautlos aus dem Zimmer und schließt die Tür hinter sich.
Ich bin eine fürchterliche Mutter. Ich sollte mich schämen.
Die Stimme in meinem Kopf ist ein ständiger Begleiter, seitdem es mir nicht mehr gut geht. Sie kritisiert mich, macht mich fertig, sagt mir, dass ich mich nicht so anstellen soll.
Morgen, faucht sie im Fräulein-Rottenmeier-Tonfall, stehst du auf wie jeder normale Mensch, gehst duschen und machst deinen Kindern Frühstück. Das kann doch wohl nicht so schwer sein!
Es ist kein guter Vorsatz fürs neue Jahr, es ist ein Befehl. Die Stimme in meinem Kopf scheint zu wissen, dass sich jeder Gang ins Bad für mich wie ein unüberwindbares Hindernis anfühlt. Aber sie kann mir befehlen, was sie will: Ich werde es morgen vermutlich wieder nicht schaffen.
Aus heutiger Sicht weiß ich nicht, wie ich vor einer Woche noch bei meinen Eltern in Bielefeld am reichlich gedeckten Tisch sitzen und Weihnachten feiern konnte. Ich hockte zwischen den Menschen, die ich liebe, kleisterte mir den halben Tag lang ein falsches Lächeln ins Gesicht und trank mehr Alkohol, als meiner Leber und meinem Geisteszustand guttaten. Irgendwie schlug ich mich durch. Überlebte. Aß sogar, was ich seitdem so gut wie nicht mehr tue. Eigentlich liege ich nur noch hier und warte, bis ich mit dem Nichts in meinem Inneren verschmolzen bin.
Erneut dämmere ich in einen unruhigen, nicht erholsamen Schlaf. Als ich die Augen wieder aufschlage, steht Jens neben dem Bett.
»Deine Eltern haben angerufen«, sagt er in beruhigendem Tonfall. »Sie wollten dir zum Geburtstag gratulieren und …« Er zögert. »Sie machen sich Sorgen.«
Ich suche in meinem Hirn nach einer Reaktion, einem Gefühl, einem Gedanken. Aber da ist nur diese altbekannte, allumfassende Leere.
»Deine Mutter hat angeboten vorbeizukommen. Falls wir …« Wieder zögert er. »Hilfe brauchen.«
»Wir brauchen keine Hilfe«, erwidere ich und drehe mich auf der Matratze um, um Jens nicht mehr ins Gesicht blicken zu müssen.
Ich spüre seinen Körper, der sich hinter mir ins Bett legt. Er schlingt einen Arm um meine Taille, hält mich. Es ist mir unangenehm, weil ich seit Tagen nicht geduscht habe.
»Willst du nicht doch mal mit jemandem reden?«, flüstert er.
»Nein.«
Ich will im Bett liegen bleiben und mich auflösen. Nicht mehr da sein. Keine Belastung mehr sein, verschwinden.
»Meinst du nicht, dass …«
»Nein.« Ich liege da, steif wie ein Brett, und hoffe, dass er mich in Ruhe lässt. Dabei spüre ich seine Verzweiflung und Hilflosigkeit. Genau das sorgt aber dafür, dass ich mich noch schlechter fühle – obwohl ich das gerade eben noch für unmöglich hielt.
»Bleibt das jetzt so?«, fragt Jens, und ich kann hören, dass seine Stimme zittert.
Weil ich keine Antwort habe, gebe ich ihm auch keine. Ich weiß, dass ich in diesem Augenblick nicht nur eine fürchterliche Mutter, sondern auch eine entsetzliche Partnerin bin. Doch selbst wenn ich wollte, ich könnte mich gar nicht anders verhalten, als ich es tue.
Für eine Weile liegen wir schweigend da. Dann erhebt er wieder die Stimme: »Die Kinder wollen das Feuerwerk sehen. Gleich ist Mitternacht.«
Die unausgesprochene Frage hängt wie ein Damoklesschwert über dem Bett. Aber ich kann nicht mit nach draußen kommen und mir das Silvesterfeuerwerk anschauen. Ich kann nicht einmal drinnen am Fenster stehen. Ich kann nur hier liegen und darauf warten, dass es vorbeigeht.
Vielleicht morgen. Vielleicht übermorgen.
Oder nie.
Teil 1
Januar – März 2014
1
»Das war’s! Haben wir im Kasten. Vielen Dank und schönes Wochenende«, ruft der Aufnahmeleiter.
Mein Kollege Daniel, der bei »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« meinen Exfreund Leon Moreno spielt, lächelt mich an. »Und, was hast du am Wochenende vor?«, fragt er, während der Tonmann kommt und ihn entkabelt.
»Wohnung einrichten.« Ich stöhne. »Es ist noch so viel zu tun.«
Wir verlassen das Set, verabschieden uns von der Crew und laufen in Richtung der Garderoben.
»Immerhin musst du jetzt nicht mehr eine Stunde durch Berlin gurken, um zur Arbeit zu kommen«, gibt er zu bedenken.
»Stimmt. Das ist ein Vorteil.«
Und überhaupt. Ich freue mich auf den bevorstehenden Lebensabschnitt in Potsdam. Meine neue Wohnung liegt in der Nauener Vorstadt in einem wunderschönen alten Kasernengebäude, ein roter Klinkerbau mit hohen Decken und großen Bogenfenstern, durch die viel Licht kommt, sogar jetzt im Januar. Gerade einmal zwanzig Minuten dauert der Weg von dort in die Babelsberger Studios. Fünf Jahre bin ich nun von Berlin nach Potsdam gependelt. Morgens eine Stunde hin, abends eine Stunde zurück, fünf Tage die Woche. Am Anfang noch mit den Öffis, irgendwann war aber Geld für ein eigenes Auto da. Nicht, dass es die Anfahrt einfacher gemacht hätte, ich war ja nicht die Einzige, die in den Stoßzeiten die Stadt verlassen wollte. Zum Glück gehören Staus, Umleitungen und Stop-and-Go nun der Vergangenheit an.
Doch neben dem lachenden gibt es auch ein weinendes Auge. Als ich an meinen Exfreund denke, bildet sich ein Kloß in meiner Kehle. Er war in den letzten Jahren meine Heimat, mein Zuhause. Wir sind ohne Groll auseinandergegangen, haben uns einfach auseinandergelebt. Trotzdem fällt es mir schwer, ohne ihn zu sein. Alles ist anders, alles ist neu. Aus der winzigen Wohnung in Schöneberg bin ich nach Potsdam in das riesige Loft gezogen. Ein radikaler Schnitt war das Beste für mich … und trotzdem fühlt es sich noch ziemlich merkwürdig an, allein in der großen Wohnung zu sitzen, umgeben von Umzugskartons und nicht aufgebauten Möbeln, die die Spedition vor ein paar Tagen geliefert hat.
»Hast du die Katzen eigentlich mitgenommen?«, will Daniel wissen.
»Na klar. Die sind doch wie Kinder für mich.«
Er lacht. »Auweia. Bald bist du so eine schrullige Katzenfrau!«
Ich falle in sein Lachen ein, während ich neben ihm den Gang entlanglaufe. Wir weichen Ines von der Maske aus, die sich mit einem Lächeln an uns vorbeischiebt.
Ein paar Meter weiter bleiben Daniel und ich vor der Pressewand hängen, an dem die Produktion Berichte, Beiträge und Artikel des Casts aus Zeitschriften, Magazinen und dem Internet sammelt. Diese Wand verursacht bei mir ein ungutes Gefühl. In meinen Augen ist sie eine Art Beliebtheitsskala. Welche Rolle bekommt am meisten mediale Aufmerksamkeit? Worüber tauschen sich die Fans in Foren und Blogs aus? Wer ist auf dem Titel welcher Zeitschrift? Für mich ist der Gang zur Pressewand stets mit zwiespältigen Gefühlen verbunden, einerseits kribbelige Neugier, andererseits nagende Sorge, dass ich nicht populär genug bin oder bei den Zuschauern nicht so gut ankomme wie die anderen Schauspieler.
Seit fünf Jahren spiele ich Pia Koch, die als DJane im fiktiven Berliner Club »Mauerwerk« auflegt. Pia Koch hat schon viel erlebt bei »GZSZ«: Sie durfte spektakuläre Auftritte im »Mauerwerk« ankündigen, wie beispielsweise den der Backstreet Boys. Sie war lange Zeit zwischen zwei Männern, Leon und John, hin- und hergerissen, bis sich die drei für eine polyamore Beziehung entschieden. Und sie musste den Tod ihrer Schwester Verena verkraften, die von Susan Sideropoulos dargestellt wurde. Susan ist 2010 aus der Serie ausgestiegen und fehlt mir immer noch.
Ich habe sie gleich am ersten Drehtag kennengelernt, als ich vollkommen ahnungslos ans Set stolperte. Ich war so aufgeregt! Schließlich kannte ich die Serie aus dem Fernsehen, und nun sollte ich selbst mitspielen. Vor Nervosität schlug mein Magen Purzelbäume, mir war schlecht, und ich bekam fast keinen Ton heraus. Susan nahm mich unter ihre Fittiche und erklärte mir, wie es bei »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« so abläuft: Was ist eine Dispo? Wann finden die Proben statt? Was wird von mir erwartet? Mit wem muss ich mich gutstellen – und wem gehe ich besser aus dem Weg?
Ihre Erklärungen waren für mich ein Segen. Ich komme nämlich eigentlich vom Musical und der Bühne und hatte, als ich 2009 in Potsdam anfing, nicht den Hauch einer Ahnung, wie man sich in einem TV-Studio verhält. Deswegen spielte ich Pia zu Beginn auch ziemlich überdreht. Mir war zwar rein technisch klar, dass ich mit meiner Darstellung nicht mehr auch den Zuschauer in der letzten Reihe erreichen musste, was das aber in der Praxis bedeutete, wusste ich nicht. Pia Koch war in den ersten Folgen deshalb deutlich durchgeknallter, als es im Drehbuch angelegt war. Erst mit der Zeit merkte ich: Wenn du so hochtunst, kannst du das nicht lange aushalten. Die Zuschauer vermutlich auch nicht. So wurde Pia Stück für Stück ruhiger, und ich kam immer mehr in der Rolle und den Herzen des Publikums an.
Mittlerweile, und das macht mich richtig glücklich, gehört Pia zu den beliebtesten Figuren der Serie. Ein großes Privileg, das ich absolut wertzuschätzen weiß. Vor allem deshalb, weil ich als Schülerin nie besonders beliebt war.
Damals benutzte den Begriff noch niemand, aber heute würde man mich vermutlich als Nerd bezeichnen. Ich hatte nie Zeit, weil ich immer beim Ballett, beim Gesangsunterricht oder in der Theater-AG war – außerdem war ich eine Streberin und passte im Unterricht auf, anstatt den Jungs Zettelchen mit Liebesbotschaften zu schicken. Das half mir zwar beim Abschlusszeugnis, in Sachen Popularität war ich aber in meiner gesamten Schulzeit eher Schlusslicht.
Umso mehr freut es mich, dass ich als Pia Koch bei den Zuschauern so gut ankomme. Ich weiß, es liegt hauptsächlich an der Figur, aber ein bisschen eben auch an meiner Darstellung und meinem Einsatz. Ich arbeite hart für meine Rolle, nehme an Coachings teil, bespreche die Szenen mit dem Regisseur, und mein Text sitzt immer. Und ich nehme mir Zeit für Interviews, TV-Beiträge, Fanpost – egal, was es ist, ich bin am Start. Ein Job wie bei »GZSZ« ist für mich nämlich nicht selbstverständlich.
Wer sich für die Bühne entscheidet, weiß, dass es keine Sicherheiten gibt. Alle naselang wechselt der Intendant, die Produktion, der Regisseur, es ist ein ständiges Kommen und Gehen, und nie weiß man, wo man nächstes Jahr zu dieser Zeit angestellt sein und damit auch leben wird. Das ist einerseits aufregend und andererseits ermüdend. Vor allem für mich, denn ich bin im Herzen Beamtin. Ich mag, wenn die Dinge korrekt und vorhersehbar ablaufen, bin strebsam und ordentlich, vor allem aber verantwortungsvoll und vernünftig. Die Rolle der Pia Koch, an die ich durch ein Casting kam, ist für Menschen wie mich, die sich zumindest nach einem Minimum an Sicherheit und Berechenbarkeit sehnen, deshalb ein Glücksfall. Klar, auch wir haben »nur« Jahresverträge und können theoretisch gekündigt werden. Aber eine Figur in Deutschlands beliebtester TV-Serie wird nicht einfach so aus dem Drehbuch gestrichen oder umbesetzt. Das sage ich mir immer dann, wenn ich merke, dass in den Medien gerade nicht so viel über mich berichtet wird und der Druck deswegen steigt. Jedenfalls nehme ich das so wahr – aber ich reagiere ohnehin ein wenig sensibel auf Quoten und Meinungen von anderen und zerbreche mir oft vollkommen unnötig den Kopf.
Ich wünschte, ich wäre so entspannt wie Susan damals, die konnte nichts aus der Ruhe bringen. Zumindest wirkte es so. Susan war und ist bis heute ein echtes Vorbild für mich. Ein paar Mal begleitete ich sie zu Veranstaltungen und auf den roten Teppich. Während ich angesichts des Blitzlichtgewitters, der vielen Mikrofone und noch mehr Journalisten, die alle möglichen Namen riefen, meistens zur Salzsäule erstarrte, wirkte meine Kollegin immer wie ein absoluter Vollprofi. Sie parlierte entspannt mit den Reportern, grüßte die Zuschauer in verschiedene Kameras und sah umwerfend aus. Ich hingegen kam mir vor wie die verklemmte Stiefschwester, die man in irgendeinen Designerfummel gesteckt und mit auf die Gala geschleift hatte. Zum Glück legte sich meine Aufregung angesichts solcher Events mit den Jahren, mittlerweile fühle ich mich sogar wohl, wenn die Presse meinen Namen ruft.
»Isabell?« Daniel lächelt mich an. »Auf welcher gedanklichen Autobahn bist du denn gerade unterwegs?«
»Ach, ich habe an meine Anfangszeit gedacht.«
Er lacht. »Du warst so ein Küken.«
Auch ich muss lachen. »Du hast recht. Ich hatte sogar noch die Schale auf dem Kopf.«
Daniel lächelt. »Hab ein schönes Wochenende. Und arbeite nicht zu viel!«
Ich blicke ihm hinterher, während er gut gelaunt durch den Flur in den Feierabend verschwindet. Ich habe wirklich Glück, denke ich, dass ich diesen Job und so nette Kollegen gefunden habe. Und jetzt auch noch die Wohnung! Ich atme einmal tief ein und aus. Dann gebe ich mir einen Schubs und verabschiede mich ebenfalls ins Wochenende, das ich mit Akkubohrer, Umzugskisten und Farbrollen verbringen werde. Ein neuer Lebensabschnitt wartet auf mich. Packen wir’s an.
2
Als ich noch ein Kind war, wollte ich Balletttänzerin werden, genau genommen Primaballerina. Ich trainierte wie eine Wahnsinnige, mehrmals in der Woche, und ich war so gut, dass ich mit zwölf auf ein Ballettinternat nach Berlin geschickt wurde.
Dort angekommen, stellte ich allerdings nach wenigen Tagen fest, dass ich nicht mehr, wie in Bielefeld, zu den Besten gehörte, sondern eine der Schlechtesten war. Noch dazu mittelmäßig talentiert, wie man mir immer wieder sagte. Meine Begeisterung für das Ballett schwand, von Tag zu Tag fühlte ich mich unwohler. Zudem sah ich, dass das Internat und der Druck, der auf uns Schülerinnen lastete, die meisten krank machte. Ich bekam mit, dass sich Mädchen übergaben, um ihr Gewicht zu halten. Und so sehr ich mich anstrengte, ich war einfach nie gut genug. Selbst in meinen jungen Jahren konnte ich realistisch einschätzen: Das ist es mir nicht wert. Ich wollte vorn tanzen, in der ersten Reihe, nicht ein gesichtsloser Teil des Ensembles sein.
Also beschloss ich nach nur zwei Monaten im Internat, wieder nach Bielefeld zurückzukehren. Ich musste einen Traum beerdigen, gleichzeitig war mir klar, dass ich mich niemals mit dem Konkurrenzdruck unter den Schülerinnen und der permanenten Stutenbissigkeit arrangieren würde.
Auch bei »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« erlebte ich teilweise wieder solche Momente. Vor allem unter den weiblichen Darstellerinnen wurden von Zeit zu Zeit die Ellenbogen ausgefahren. »Hast du die Einladung etwa nicht bekommen?« Fragen wie diese konnten mich in der Anfangszeit richtig aus der Bahn werfen. Tagelang zerbrach ich mir den Kopf darüber, ob ich beziehungsweise meine Rolle interessant, glaubwürdig und sympathisch genug war, um dauerhaft Teil des Casts zu bleiben.
Ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte, mich das erste Mal auf der Mattscheibe zu sehen. Wir bekamen Einsicht in die fertigen Bänder, etwa drei Monate vor der Ausstrahlung im Fernsehen. Ich saß mit einem der Schauspiel-Coaches in einem abgedunkelten Raum und fiel beinahe vom Stuhl, als ich plötzlich im Bild erschien. Meine Stimme klang fürchterlich! Und, o Gott, warum hatte mir niemand gesagt, dass ich vollkommen überdreht spielte? Wie ein HB-Männchen auf Droge, total unnatürlich und wirklich kein bisschen nett. An diesem Tag hätte ich beim Sender am liebsten meine Kündigung eingereicht.
Zum Glück hatte ich freundliche Menschen um mich herum, die mich beruhigten. Es sei normal, das eigene Gesicht im Fernsehen erst einmal merkwürdig zu finden, und am Spiel könne man ja noch jede Menge ändern. Leider wusste ich zu diesem Zeitpunkt, dass bereits mehrere Wochen Material im Kasten waren – und zwar Material, das ich genauso überdreht und irre gespielt hatte wie die erste Folge.
Kein Wunder, dass die Fans am Anfang überhaupt nicht begeistert von Pia waren. »Lies nicht die Kommentare in den Foren«, empfahl mir ein Kollege, und selbstverständlich hielt ich mich nicht daran. So kam ich in den fragwürdigen Genuss einiger sehr verletzender Aussagen, die ich mir im Nachhinein gern erspart hätte: Die Schwester von Verena ist so schrecklich! Sie soll zurück nach München gehen. Kann bitte jemand diese Pia wieder aus dem Drehbuch rausschreiben?! Mein Selbstbewusstsein litt in diesen Tagen reichlich.
Zu allem Übel war »GZSZ« auch noch sehr erfolgreich und hatte die beste Sendezeit. Eine Menge Menschen verfolgten die Schicksale von John, Pia, Verena, Leon, Jo Gerner und vielen anderen. Das führte dazu, dass man mich nach kurzer Zeit in der Öffentlichkeit erkannte. Manchmal hatte ich regelrecht das Gefühl, beobachtet zu werden – und wenn mich die Leute ansprachen, war es bei mir ganz vorbei. Die wenigsten Zuschauer unterscheiden nämlich interessanterweise zwischen der Rolle Pia Koch und der Schauspielerin Isabell Horn. So kam es, dass mich eines Tages eine ältere Dame an der S-Bahn-Haltestelle ansprach: »Ich finde das ganz schlimm, was Sie da machen mit den beiden Männern. Das gehört sich nicht.«
Zum Glück saß ich zu diesem Zeitpunkt schon fester im Sattel, sodass mich die Kritik der Frau nicht verletzen konnte. Ich fand und finde es nämlich gut, dass es in Serien wie »GZSZ« Raum für ungewöhnliche Beziehungen gibt, das ist ja auch die Vorbildfunktion solcher Formate. Und dass Pia ein bisschen aneckte, war für mich auch okay. Ich hatte mich mit der Rolle arrangiert und sie gemeinsam mit den Autoren verändert. Als Schauspieler haben wir die Möglichkeit, auf größere Erzählbögen in der Serie Einfluss zu nehmen, Ziele festzulegen und eigene Ideen einzubringen. Auch die unzähligen Coachings halfen mir, die Rolle weiterzuentwickeln und langsam in ihr anzukommen.
Etwa ein Jahr nach dem ersten Auftritt von Pia bemerkte ich, dass die Figur bei den Zuschauern gut ankam. Auf meiner damals noch sehr spartanischen Facebook-Seite folgten mir täglich mehr Menschen, Fanpost erreichte mich, vor allem von jungen Mädchen, die ihre Briefe mit Aufklebern liebevoll verzierten. Ich bewege die Leute, ging mir auf, meine Geschichten gingen ihnen ans Herz. Das bemerkte auch die Produktion, was dazu führte, dass ich größere Geschichten und mehr Sendezeit bekam und irgendwann aus dem Cast von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« nicht mehr wegzudenken war. Zumindest glaubte ich das.
Meine Überzeugung bekommt an einem Montagmorgen im Januar einen Dämpfer verpasst. Es ist gerade Drehpause, die ich in meiner Garderobe verbringe, um mich auszuruhen und noch einmal das Drehbuch für die nächsten Szenen durchzugehen. Ich greife nach meinem Handy und scrolle ein bisschen herum, als mit einem Pling eine E-Mail in meinen digitalen Briefkasten trudelt. Die Betreffzeile macht mich schlagartig nervös: Produzentengespräch Isabell Horn.
Moment … was wollen die Produzenten von mir? Habe ich etwas falsch gemacht? Es ist Teil meines Wesens, dass ich in Momenten wie diesen mein inneres Sündenregister aufklappe und nach Verfehlungen suche. In den meisten Fällen finde ich nichts, denn was die Arbeit angeht, bin ich extrem diszipliniert und verantwortungsbewusst – ein typischer Steinbock eben. Sogar meine eigene Gesundheit stelle ich hintenan. Beinahe zwei Jahre dauerte es, bis ich mich zum allerersten Mal krank meldete. Bis zu dem Zeitpunkt dachte ich, die kleine Erkältung kann ich doch locker wegspielen. Ich schleppte mich mit Schnupfen, Heiserkeit und erhöhter Temperatur ans Set, in meinem Arbeitseifer ignorierend, dass ich damit nicht nur mir selbst schadete, sondern auch alle um mich herum anstecken könnte. Aber das war mir egal, denn ich wollte unbedingt abliefern. Erst als mich Susan beiseitenahm und mir dringend riet, den Infekt auszukurieren, ging ich zum Arzt und besorgte mir einen Krankenschein. Und lag – na klar – eine Woche mit schlechtem Gewissen auf dem Sofa zu Hause und hatte das Gefühl, die anderen im Stich zu lassen.
Ich zermartere mir das Hirn. War ich in letzter Zeit krank? Nein. Habe ich irgendwie sonst Ärger gemacht? Ich grabe in meiner Erinnerung herum, aber mir fällt nichts ein. Ja, okay, in den Medien und Magazinen war ich zuletzt etwas weniger. Es steht aber leider gerade keine Hochzeit bei mir an, die ich vermarkten kann – und die Trennung von meinem Exfreund ist nun wirklich keine Schlagzeile wert, davon abgesehen, dass ich solche privaten Dinge eigentlich gern aus der Öffentlichkeit halte. Es war doch sowieso schon schwer genug.
Wenn wenigstens Susan noch hier wäre, die könnte mich sicher beruhigen. Aber meine Serienschwester ist vor einiger Zeit verstorben. Ein tragischer Autounfall, der meine Rolle so richtig aus der Bahn kegelte. Der Abschied von Susan fiel aber auch der Schauspielerin Isabell sehr schwer. Sie fehlt mir hier am Set, als Ansprechpartnerin und Vertraute.
Ob ich jemand anders vom Cast ansprechen soll? Vielleicht haben ja noch mehr Leute die Mail bekommen.
Es klopft an der Tür. »Isa, es geht weiter!«
Meine unguten Gedanken schiebe ich in eine hintere Ecke meines Bewusstseins. Wenigstens versuche ich es. Denn immer wieder holen mich die Sorgen ein. Was gibt es zu besprechen? Warum laden mich die Chefs zu sich ein? Das Feedback, das ich für Pia bekomme, ist doch durchweg positiv! Als ich zum zweiten Mal an diesem Tag meinen Einsatz verpasse, weil ich mit den Gedanken bereits beim kommenden Freitag bin, rufe ich mich zur Räson und stelle mir vor, was Susan zu mir sagen würde: »Es ist alles gut. Mach dich nicht verrückt! Das bringt doch nix. Egal, was auf dich zukommt, du machst das schon.«
Isa macht das schon. Vermutlich könnte das mein Lebensmotto sein. Ganz gleich, wie schwer die Aufgabe ist, Isa kann man die Verantwortung in die Hände legen. Das ist schon seit meiner Kindheit so.