Blick der Veränderung - Simone Stöhr - E-Book

Blick der Veränderung E-Book

Simone Stöhr

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Beschreibung

Isabella und Mike hätten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein können. Sei es Herkunft, Denkweise, aber vor allem charakterlich. Mike der reiche verwöhnte Playboy, der sich aus jeder Verantwortung des Lebens stiehlt und dabei eine Fassade errichtet hat, die ihm die schönen Seiten des Lebens genießen lässt, aber nicht einem Menschen erlaubt dahinter zu blicken. Dagegen die vertrauensvolle Isabella mit Leib und Seele Erzieherin, die ihr Leben eher anderen widmet, als sich selbst zu belohnen. Und dennoch sind sie durch Zufall aneinander gebunden. Anfangs eher unfreiwillig lernen sie doch bald die Eigenheiten, wie auch dessen Geheimnisse kennen, was den anderen umgibt und so spannend macht. Und auch ein Knistern zwischen ihnen lässt sich nicht verleugnen, auch wenn es die Sache schwieriger gestaltet, als sich Mike hätte träumen lassen. Je mehr er von ihr zu wissen glaubt, desto mehr entdeckt er seine eigenen Fehler und Probleme, die er lange Zeit erfolgreich verdrängen konnte. Als die Reise von Isabella endet, hat sich jeder die Frage zu stellen: War das alles oder ist da mehr?

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Simone Stöhr

Blick der Veränderung

Roman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

TEIL I

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

TEIL II

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

TEIL III

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Impressum neobooks

TEIL I

Kapitel 1

Dienstag, 05.08.2008, Philadelphia-Über den Wolken, 16:28 Uhr

Isabella machte die Augen auf und wusste im ersten Moment nicht, wo sie sich befand. Vor ihr stand eine Frau in dunkelblauer Uniform, deren Knopf am Ausschnitt bereits zu platzen drohte. Völlig irritiert und noch verschlafen verstand sie weder den genervten Gesichtsausdruck der Frau, noch deren Worte. „Was will diese Frau bloß von mir und wo bin ich überhaupt?“, ging es Isabella durch den Kopf. Sie brauchte einen Moment bis sie wach genug war, dass die Erinnerungen der letzten Tage und Stunden zurückkamen und ihr die traurige Wirklichkeit wieder einfiel. Sie befand sich im Flugzeug auf dem Weg nach Boston, was auch die Verständigungsprobleme erklären würde. Englisch, sowie jede andere Sprache, die nicht deutsch war, waren für Isabella Schneider nur komisch klingende Worte ohne Sinn. Und so kurz nach dem aufwachen, konnte erst recht nicht von ihr erwartet werden, sich dessen auszusetzen. Mit fragendem Gesichtsausdruck lächelte sie die genervte Stewardess vor sich an, der schließlich der Geduldsfaden riss. Sie nahm die beiden Gurtenden links und rechts von Isabella und schnallte sie auf ihren Platz fest. Warum hatte sie sich diese Tortur nur angetan? Nie hätte sie sich von Laura dazu überreden lassen sollen. Es war einfach eine Schnapsidee gewesen, die ihr bei klaren Gedanken nie passiert wäre. Aber die letzten Wochen waren einfach ein Desaster gewesen und länger hätte sie es auch nicht mehr zu Hause ausgehalten. Daher war jede Idee, die sie nur wegführte schnell überzeugend gewesen. Auch wenn es im Nachhinein völlig bescheuert war mit Flugangst in ein Flugzeug zu steigen, das auch noch mehrere Stunden unterwegs in ein Land war, dessen Sprache sie nicht verstand. Mit Hilfe von Valium hatte sie zumindest den ersten Flug im Schlaf verbracht und hatte nicht mitbekommen, was um sie herum geschah, was den Flug durchaus erträglich gemacht hatte. Doch der kommende Anschlussflug war viel zu kurz, um weiterhin schlafen zu können und so blieben ihr noch zwei angsterfüllte Ladungen, sowie ein Start, der ihren Magen völlig umdrehte. Wie gut, dass sie nichts gegessen hatte, sonst würde die arme Stewardess sich auch noch mit diesem Problem auseinandersetzen müssen. Ihre Gedanken schweiften ab zum wieso und warum des Lebens und halfen sie soweit abzulenken, dass sie die Armaturen nicht vollständig herausriss, die ihre verkrampften Finger beim Landeanflug auf Philadelphia malträtierten. Als sie endlich wieder festen Boden unter sich wahrnahm, spürte sie auch das unangenehme Gefühl von eingeschlafenen Beinen, die bitzelten und nicht richtig unter Kontrolle waren. Sie trat daher auf der Stelle von einem zum anderen Bein während um sie herum aufgescheuchte Menschenmassen das Flugzeug verließen. Geduldig wartete sie ab bis der größte Ansturm vorüber war und holte dann ihre Tasche und ihre Jacke aus den Fächern über ihr, um auch selbst das Flugzeug verlassen zu können. Wie ein Entenküken watschelte sie der Schlange hinterher die zum Einreiseschalter führte und stellte sich schon gedanklich auf längere Wartezeiten ein, nachdem dort nur langsam etwas voran ging. Isabella war es schleierhaft, wie Laura freiwillig in dieses Land ziehen konnte, das so völlig unterschiedlich zu dem kleinen Ort Dorfstetten war, das sie ihre Heimat nannte. Aber das war nicht der einzige Bruch, der zwischen ihnen beiden stand, obwohl sie früher ein sehr inniges Verhältnis hatten. Sie waren zwar nur Cousinen und keine Geschwister, dennoch waren sie so aufgewachsen und fühlten sich damals auch so. Nicht zuletzt, da ihre Mütter schon Geschwister waren und sehr viel Zeit verbrachten, aber auch weil sie gleich alt waren, im gleichen Ort wohnten und sich beide immer Geschwister wünschten, die einfach nicht kamen. Doch seit Isabella verheiratet und Laura nach Boston gezogen war, hatte sich der Kontakt, nicht zuletzt wegen Isabellas Flugangst, drastisch minimiert und ausschließlich auf vereinzelte Telefonate und Emails beschränkt, die mit der Zeit auch immer weniger wurden. Doch das war nicht der Anfang! Der lag schon 5 Jahre früher, als Isabella Ralf heiratete. Laura konnte ihn einfach nicht leiden und fand, dass die beiden nicht zusammenpassten. Das Verhältnis war nur noch gespannt, schließlich entscheidet man sich nicht gerne zwischen der besten Freundin und dem Mann, dem man liebt. Doch als Laura dann 2 Jahre später Hals über Kopf nach einem Urlaub nach Boston zog und alles aus der Heimat einfach hinter sich ließ, ohne sich noch einmal umzusehen, war der Knacks in ihrer Freundschaft mehr als nur groß geworden. Isabella, die nie so spontan gewesen wäre, verstand es einfach nicht, wie Laura wegen einem Urlaubsflirt ihren Job, ihre Freunde und auch ihre Heimat einfach so aufgeben konnte. Vor allem hatte sie ihn noch nicht einmal kennengelernt. Sie kannte nur seinen Namen, gesehen hatte sie ihn noch nie. Der eine Grund war, wie gesagt die Flugangst, die bisher einen Besuch ihrerseits unmöglich gemacht hatte. Aber auch Laura hatte einen Schnitt mit ihrer Vergangenheit in Deutschland gemacht und war seit ihrer Auswanderung nie mehr wieder gekommen. 3 Jahre war das jetzt her und es war schon ein komisches Gefühl so plötzlich kurz davor zu sein, sie wieder zu sehen. Vor einigen Tagen noch rief sie spontan an, um ihre Verlobung mitzuteilen und merkte sehr schnell, dass es Isabella nicht gut ging und hatte sie Sache auch schnell auf den Punkt gebracht: Ralf! Kurzerhand buchte sie Isabella ein Ticket nach Boston. Und so war sie in diesen Schlamassel überhaupt erst hineingeraten. Immerhin hatte sie die Hälfte der Reise schon überstanden und die Freude darüber Laura wieder zu sehen, nahm ihr auch etwas die Angst, vor dem nächsten Flugzeug, das ihr noch bevorstand. Aus ihrer Handtasche, die sie sicher vor Dieben in ihrer Tasche versteckt hatte, holte Isabella die Tickets heraus, um die Abflugzeit und das Terminal des Anschlussfluges nachzusehen.

München – Philadelphia

Abflug: 12.30 Uhr Terminal 2; Ankunft 15.55 Uhr Terminal A

Philadelphia – Boston

Abflug: 17.15 Uhr Terminal B; Ankunft 18.55 Uhr Terminal B

Sie sah auf die Uhr, die 21.49 Uhr anzeigte und ärgerte sich darüber, damit sie sich nicht früher über die Zeitverschiebung Gedanken gemacht hatte. Wie viel Stunden musste sie vor oder doch zurück rechnen? Mit ihren spärlichen Englischkenntnissen fragte sie ihren Vordermann in der Schlange, der ihr freundlicherweise die Uhr zeigte, so dass ein Missverständnis ausgeschlossen war: 16.25 Uhr. Der Hinflug hatte eindeutig Verspätung und ihr blieben gerade eine knappe Stunde Zeit, bis sie schon wieder in das nächste Flugzeug steigen musste. Sie konnte nur hoffen, dass die Schlange vor ihr, sich endlich lichtete. Sie war das lange Sitzen einfach nicht gewöhnt und auch ihre Beine schmerzten von der unnatürlichen Sitzhaltung, die sie stundenlang ausgehalten hatte. Dennoch wartete sie artig in der Schlange, wie es deutsche Tugend war, bis sie endlich an der Reihe war. Der Schalterbeamte in seinem kleinen Gitterhäuschen meinte es gut mit ihr und hatte sie innerhalb kürzester Zeit abgefertigt und frei zur Weiterreise gegeben. Dennoch wurde es zeitlich immer knapper. Sie beschleunigte ihre Schritte und steuerte die Gepäckausgabe an, um ihren Koffer, der schon einsam seine Runden drehte, endlich vom Band zu nehmen. Mit ihrem Koffer im Schlepptau steuerte sie, wie Laura ihr vorher haargenau schilderte, den Zoll an und hoffte auch hier schnell weiter zu kommen. Immerhin blieben ihr gerade noch 17 Minuten, um den Koffer neu aufzugeben und ins Terminal B zu kommen, von dem sie keine Ahnung hatte, wo es sich befand. Doch sie hatte die Rechnung ohne den amerikanischen Zollbeamten gemacht. Die Eile, die Isabella an den Tag legte, kam dem Beamten verdächtig vor, so dass er Isabella aufhielt. Ein kleiner, untersetzter, glatzköpfiger Beamte führte Isabella zu einem Tisch. Eine große, maskuline Blondine eilte hinzu und bat sie darum ihren Koffer zu öffnen. Immerhin vermutete sie das den Gesten entnehmend, denn verstanden hatte sie gar nichts. Sie versuchte die Beamten davon zu überzeugen, dass sie es eilig hatte und zeigte ihnen ihre Tickets. Doch das schien die beiden überhaupt nicht zu interessieren. Die Blondine schob Isabella beiseite und öffnete selbst den Koffer. Seelenruhig durchwühlte der glatzköpfige Mann ihren Koffer und machte noch nicht einmal vor der Unterwäsche halt. Schon einen Moment später hob er doch wirklich einen Slip hoch, dass ihn jeder, der umstehenden Menschen sehen konnte. Und ausgerechnet den wenig attraktiven Baumwollslip, den sie sich für die nächste Periode eingepackt hatte, musste er herausziehen. Selbst die ernste, maskuline Blondine konnte sich ein Grinsen nun nicht mehr verkneifen. Isabella spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss und sie hätte sich am liebsten verkrochen, so peinlich war ihr der Vorfall. Doch der Beamte war noch nicht fertig mit ihr und wühlte sich weiter durch die Kleider- und Büchermassen, bis er schließlich doch noch zu seiner Freude, etwas entdeckte – die Pralinen für Laura. Dass die Pralinen für den Zoll ein Problem darstellen sollten, war Isabella weder einleuchtend, noch verständlich. Ihres Wissens wurde auf Schokolade keine Steuer erhoben. Durch ihren fragenden und verwirrten Gesichtsausdruck hatte auch der Beamte verstanden, dass Isabella die Problematik, die es auf sich hatte, nicht verstand und zeigte daher auf ein Plakat hinter sich. Es zeigte eine Kuh und ein Schwein, die durchgestrichen waren. In Fettschrift und großen Lettern war das Wort „FOOT – AND – MOUTH – EPIDEMIC“ darunter geschrieben. Isabella hatte den Sinn immer noch nicht verstanden. Seit wann hatte Schokolade etwas mit der Maul- und Klauenseuche zu tun? Die maskuline Frau versuchte immerhin einen Ansatz der Erklärung für Isabella und mit der kurzen und prägnanten Wortwahl „NO FOOD!“ schien sie alles erklärt zu haben, was es zu wissen gab. Die Pralinen wurden eingezogen und Isabella konnte ihre durchwühlte Kleidung wieder einpacken. Doch ein Blick auf die Uhr, ließ ihre Adern gefrieren. Sie hatte ihren Anschlussflug gerade verpasst. Was sollte sie jetzt hier in Philadelphia machen? Kein Mensch würde sie verstehen. Was gab es schlimmeres als einen Flieger zu verpassen? Natürlich einen Flieger in einem fremden Land zu verpassen, in dem man die Hälfte nicht verstand, von dem, was man tun musste. Aber vielleicht war sie nicht die Einzige und es gab eine Stelle für vom Zoll aufgehalten und daher verpasste Flüge? Deprimiert und verärgert suchte sie sich den Weg zum US Airways Schalter und hoffte darauf, dass es irgendjemanden gab der dort deutsch sprach. Sie kam in die Eingangshalle, in der alle Airlines ihre Schalter hatten und stellte sich wieder einmal in die Reihe der Wartenden ein. Minuten über Minuten verstrichen dahin, doch es störte sie nicht mehr. Sie wusste doch sowieso nicht, was sie jetzt anfangen sollte, also war auch die Zeit kein Problem mehr. Eine lächelnde, brünette Schalterangestellte winkte sie schließlich zu sich heran und prüfte die Tickets die Isabella ihr in die Hand drückte. Sie sprach zwar kein Deutsch, verstand aber sehr schnell das Problem und signalisierte Isabella, dass es kein Problem sei. Sie buchte den Flug um und checkte auch gleich Isabellas Koffer ein. Anschließend druckte sie ihr die neuen Tickets aus und zeigte ihr anhand der Papiere die neue Abflugzeit, die sie vorsichtshalber mit dem Kugelschreiber einkreiste. Sie hatte noch etwas mehr als eine Stunde Zeit, bis der nächste Flug ging. Isabella ließ sich noch die grobe Richtung zum Gate und Terminal erklären und machte sich gleich auf den Weg dorthin. Sie wollte den Anschlussflug nicht noch einmal verpassen. Vorbei an Burgerbuden und Fast Food Ständen staunte sie nicht schlecht über die Masse an Menschen, die fettige Pommes und Burger oder triefende Pizzen in sich hineinstopften. Isabella mochte diese Art des Essens nicht und ekelte sich regelrecht davor. Sie liebte gutes Essen und zählte daher auch nicht gerade zu den schlankesten Frauen der Welt, wobei dick eine übertriebene Beschreibung für sie gewesen wäre. Sie genoss das Essen und das war für sie mehr Lebensphilosophie als irgendeine Kleidergröße oder gar ihr Aussehen. Sie hielt sich mit Schwimmen fit und hatte so ihren Körper über Jahre hinweg trainiert, dass ihr auch einmal größere Schlemmer-Eskapaden nichts anhaben konnten. Nachdem sie ihr Gate gefunden hatte, entschloss sie sich zu einem Café in der Nähe, in dem sie sich die Zeit vertreiben wollte.

Kapitel 2

Dienstag, 05.08.2008, Philadelphia-Airport, 19:05 Uhr

„Hallo, hier ist die Mailbox von William Carrington. Ich bin gerade nicht zu erreichen. Bitte hinterlasst mir eine Nachricht, ich werde mich dann umgehend melden.“

„Hi Willi, hier ist dein Brüderchen. Du brauchst mich nicht zurückrufen. Ich wollte dir nur mitteilen, dass ich heute Nacht noch nach Wellington komme. Gib deiner Freundin doch Bescheid, dass sie mein Zimmer fertig machen soll. Vielleicht bringe ich ja noch jemanden mit. Mal sehen, was sich noch so ergibt. See you later.“

Eigentlich wiederstrebte es Mike seinen Bruder und dessen Freundin zu besuchen. Das Verhältnis zwischen den Brüdern war schon seit jeher angespannt und hatte sich auch mit den Jahren eher noch verschlechtert. Nicht, dass Mike nichts Gutes an seinem Bruder fände, aber alleine schon die Tatsache, dass William in allem von ihren Eltern bevorzugt wurde, war Grund genug ihn zu hassen. Egal was Mike versucht hatte, um Aufmerksamkeit und Lob von seinen Eltern zu bekommen, William war ständig im Mittelpunkt. Mit 9 Jahren hatte Mike schließlich die Erkenntnis gewonnen, dass er nur noch Aufmerksamkeit von ihnen erhielt, wenn er negativ auffiel. Natürlich war diese Art der Aufmerksamkeit nicht das, was er wollte, aber besser überhaupt bemerkt als übersehen zu werden. Seitdem ließ er keine Gelegenheit aus, dies gründlich umzusetzen. Vor allem seit sein Vater die Dreistigkeit besaß William die Leitung der Hotels zu übertragen. Die Carringtons waren Besitzer von mehr als 130 Hotels weltweit, die sein Großvater aufgebaut und sein Vater noch vergrößert hatte. Es war das Familiengeschäft mit dem Mike aufgewachsen war und das er immer als der ältere, der beiden Brüder, übernehmen wollte. Er hatte Ideen und Visionen, die nach der letzten Niederlage gegen seinen Bruder nun endgültig zerplatzt sind. Daher bestand sein jetziger Zeitvertrieb nur noch daraus von Hotel zu Hotel zu reisen und so viele Frauen in sein Bett zu bekommen, wie nur möglich. Sein Name alleine hätte ihn schon genügend Türen bei Frauen geöffnet, doch wesentlich leichter viel es ihm natürlich auch noch mit seinem guten Aussehen. Er war knapp 1,90 m groß und schlank, doch keinesfalls schmächtig. Im Gegenteil, vom täglichen Schwimmen hatte er seinen Körper gestählt und gerade sein Oberkörper hatte Muskelpartien genau an den richtigen Stellen, die schon mehreren Frauen einen Seufzer entrungen hatten. Doch die Frauen mussten gar nicht erst vom nackten Zustand Mikes überzeugt werden. Die meisten verfielen schon seinem attraktiven Gesicht und seinem Charme. Seine kurzgeschnittenen, schwarzen Haare und die maskulinen Züge seines Gesichtes mit großen, rehbraunen Augen und vollen, aber keineswegs femininen Lippen rundeten das Gesamtbild eines Traummannes ab und ließen ihn überaus attraktiv auf Frauen wirken. Daher fiel es ihm auch nicht schwer, in seinen Reisen immer mehr neue Frauen ins Bett zu bekommen. Sie waren sein Spielzeug für eine Nacht und mehr wollte er nicht von ihnen. Und da eine Leistung im Familienunternehmen nicht wirklich von ihm erwartet wurde, genoss er das Leben lieber auf seine Weise. Dennoch spürte er eine Unzufriedenheit in seinem Leben und ein bohrendes Gefühl, dass ihm etwas fehlte, ließ ihn einfach nicht mehr los. Angefangen hatte diese Unzufriedenheit, als William vor 3 Jahren seine Freundin kennengelernt hatte. William hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, zu ihr nach Europa auszuwandern. Ein Vorschlag, der die Lösung für alle seine Probleme hätte sein können. Doch das wusste sein Vater leider zu verhindern. Dennoch war schon der Gedanke daran für Mike unbegreiflich. William hätte einfach so die Konzernleitung für diese Frau aufgegeben. Aber viel mehr störte Mike, diese Harmonie und Einigkeit, die die beiden verband. Sie waren ein eingespieltes Team und auch wenn manche Sachen gar nicht ausgesprochen wurden, hatten die beiden sich mit Blicken bereits verständigt. Er konnte ihre glücklichen Gesichter nicht ertragen. Es machte ihn wahnsinnig, auch wenn er den Grund dafür nicht wusste. Wäre William doch nur ausgewandert! Doch seine Eltern hatten ihn nicht gehen lassen. Wie konnte es auch anders kommen? Zu der Übertragung der Konzernleitung hatte er auch noch das Elternhaus in Wellington überschrieben bekommen und Mike wurde nur noch ein Besuchsrecht eingeräumt. Nicht, dass Mike leer ausgegangen wäre, aber wie kann man eine Penthousewohnung in New York mit einer millionenschweren Villa in Boston schon vergleichen? Um sich in gewisser Weise für die Verschwörung gegen ihn zu rächen, besuchte er nun regelmäßig und weitaus öfter als früher seinen Bruder und dessen Freundin in seinem Elternhaus und sein eingeräumtes Besuchsrecht wurde dabei mehr als nur überspannt. Viel ärgerlicher war jedoch, dass sie aus unerfindlichen Gründen die einzige Frau auf der Welt, die nicht seinem Charme unterlag und regelrecht eine Abneigung gegen ihn hatte. Schon alleine diese Tatsache war für Mike unerklärlich, da doch er der weitaus besseraussehende und charmantere Carrington war. Wie dem auch sei, es machte ihm einen Mordsspaß zu sehen, wie sie regelrecht ausflippte, sobald er sich für ein paar Tage eingenistet hatte. Und gerade ihre Art, sich mit ihm anzulegen sorgte dafür, dass es nie langweilig wurde. Es kam regelrecht zu Streitigkeiten zwischen ihr und William und das wiederum war Balsam für Mikes Seele. Er sah auf die Uhr. Es waren nur noch zehn Minuten, bis sein Flug nach Boston ging. Am Bistro vorbeigehend hatte er Lust auf einen Kaffee, doch ein Blick über die Tische brachte Ernüchterung seiner Gelüste. Freie Tische waren nirgends zu sehen und folglich würde es zu lange dauern, bis die Bedienung ihm den Kaffee bringen würde. Mike war es gewohnt, als einer der ersten Passagiere einzusteigen. Er mochte es nicht, wenn er über andere Passagiere darüber steigen musste, um an seinem Platz zu kommen. Und sein Platz war eben immer am Fenster. Also ging er leicht enttäuscht weiter, als sein Blick an einer Blondine hängen blieb, die alleine an einem der Tische saß. Das war nicht ungewöhnlich, dennoch irritierte ihn diese Aufmerksamkeit, die er ihr entgegen brachte. Sie zählte definitiv nicht zu der Kategorie Frau, die ihm sonst auffiel. Sie war weder geschminkt, noch hatte sie aufreizende Kleidung an, im Gegenteil sie war eher unscheinbar. Sie hatte große, grüne Augen, mit kleinen Flecken darin, die ihr Gesicht beherrschten und schön geschwungene, volle Lippen, die sich gerade am heißen Kaffee verbrannten und dabei zusammenzuckten. Die blonden Locken hüpften bei jeder Bewegung, die sie machte freudig mit. Eine davon fiel ihr ins Gesicht und Mike musste sich beherrschen, um nicht hinzugehen und sie ihr aus dem Gesicht zu streichen. Sie hatte etwas Faszinierendes an sich. Sie strahlte regelrecht aus der Menschenmenge heraus, obwohl sie eher unscheinbar wirken wollte. Doch am auffälligsten war der traurige Blick ihrer Augen. Erst jetzt merkte er, dass er stehen geblieben war und sie anstarrte, während sie dagegen ihn nicht einmal bemerkt hatte. Die Faszination und Anziehung, die von dieser Frau ausging, störte ihn und machte ihn gleichzeitig neugierig. Er war versucht zu ihr zu gehen um sie anzusprechen, doch ein weiterer Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass er jetzt endgültig zum Gate gehen musste. Also ging er widerwillig weiter und befand sich kurz darauf an seinem Platz im Flugzeug und versuchte die Frau wieder aus seinen Gedanken zu bekommen. Er hatte immer alles unter Kontrolle, aber sie schien ihm zu entgleiten. Er zwang sich an etwas anderes zu denken und fing an die Menschen, die das Flugzeug betraten, zu studieren. Er beobachte gerne Menschen. Das war ein Hobby von ihm. Über lange Zeit hatte er sich antrainiert auf Kleinigkeiten und Details zu achten, die ihm Aufschluss über die Personen gaben. Ein Flugzeug war immer ein interessanter Platz um Menschen zu beobachten. Es öffnete so viele Emotionen bei den Menschen. Die einen waren ängstlich, andere wiederum waren wie elektrisiert vom bevorstehenden Start. Wieder andere waren traurig vom Abschied, einige dagegen gespannt und voller Vorfreude auf ein Wiedersehen mit geliebten Menschen. Für Mike war es richtiggehend zu einem Spiel geworden die Emotionen der einzelnen zu erraten und durch manchmal zufällige Gespräche seine Einschätzung bestätigt zu bekommen. Das Spiel begann!

Kandidat 1: Mann um die 40, Ehering, dunkelblauer Anzug und Krawatte, die Financial Times unter dem Arm. Dieser Mann war garantiert auf dem Weg zu einem Geschäftstermin.

Kandidatin 2: Frau um die Mitte 20, Jeans, T-Shirt, Trackingrucksack als Handgepäck. Die Frau war auf Abenteuerurlaub unterwegs.

Kandidaten 3+4: Älteres Ehepaar, bepackt mit Geschenken in Tüten und zufriedenem Lächeln auf dem Gesicht. Fazit, die zwei besuchen Enkel oder andere Verwandte mit Kindern.

Er hätte das Spiel ewig weiter so spielen können. Doch plötzlich entdeckte er die Frau aus dem Café, die geradewegs auf ihn zukam. Sie blieb vor ihm stehen und hielt prüfend ihr Ticket in der Hand und sprach ihn schüchtern an. „Excuse me“ war alles, was er von ihr zu hören bekam und sie zeigte auf seinen Platz. Seinen Fensterplatz! Das konnte zwar unmöglich stimmen und vermutlich hatte sie sich nur in der Reihe geirrt, doch er wollte den Irrtum nicht aufklären und räumte bereitwillig seinen Platz für eine Stunde in der er mehr über sie herausfinden konnte. Ganz Gentleman half er ihr auch die Tasche in den Gepäckfächern über den Sitzen zu verstauen und beobachtete sie verstohlen von der Seite aus. Er war sich unsicher, ob er sie ansprechen sollte. Woher kam plötzlich diese Unsicherheit? Das passte doch gar nicht zu ihm! Was strahlte diese Frau nur aus, dass er so aus dem Konzept kam? Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster. Erst als die Türen geschlossen wurden und die Motoren aufheulten, begann sie augenblicklich sich zu verkrampfen. Höchstwahrscheinlich hatte sie Panik vor dem Fliegen, dachte Mike, aber das war noch lange nicht die Erklärung, für ihren traurigen Blick. Da steckte noch mehr dahinter und Mike war versessen darauf es zu erfahren. Doch wie viel Zeit blieb ihm denn? Gerade einmal 100 Minuten Flugzeit. Was sollte er machen, wenn sie nicht bereit war mit ihm zu reden? Er versuchte, es mit beruhigenden Worten für sie.

„It`s ok. The noises are normal. You shouldn´t be afraid“, begann Mike das Gespräch und berührte sanft ihren Arm. Blitzartig und erschreckt drehte sie sich zu ihm um und ihren Augen blickten nicht mehr traurig, sondern ängstlich. Sie schaute irritiert auf seine Hand, die ihren Arm berührte. Schon alleine ihr Blick reichte aus, dass er seine Hand sofort zurück zog, auch wenn er noch nicht aufgeben wollte und versuchte es daher, in dem er ein Gespräch begann.

„Everything ok, with you?“

Zu ihm hingewandt sah sie ihm tief in die Augen und schien die Frage verstanden zu haben. Leise und schüchtern antwortete sie daher: „Yes, I`m ok. I don`t speak and understand English very well.”

Das war doch immerhin ein Anfang. Immerhin beherrschte Mike durch seinen vielen Reisen mehrere Sprachen. Die einen etwas besser, die anderen etwas schlechter, aber meist gut genug, um etwas Konversation zu betreiben.

„Where do you come from?“, versuchte er es weiter.

“I come from Germany.”

“Jetzt bin ich aber erleichtert! Mit russisch hätte ich nicht dienen können. Von welchem Teil aus Deutschland kommen Sie denn genau?“, sprach er sie auf Deutsch an.

Überrascht strahlten ihre jadegrünen Augen ihn an. Die kleinen Flecken im grünen Meer schienen bei Freude zu hüpfen und machten die Augen unheimlich lebendig und beeindruckend.

„Kommen Sie auch aus Deutschland?“, fragte sie überrascht.

„Das nicht, aber ich reise viel und unter anderem komme ich dabei nach Deutschland. Außerdem habe ich einen Teil meines Studiums in Heidelberg verbracht und hatte so genügend Gelegenheit Deutsch zu lernen.“

„Ich bewundere Menschen, die mehrere Sprachen sprechen. Ich würde das auch gerne können, aber bei mir reicht dafür das sprachliche Talent einfach nicht aus“, gestand sie.

„Sprache ist nichts anderes als Leben. Man darf sie nicht vom Rest abtrennen. Sie gehört dazu und ist ein Stück Kultur. Man lebt und übt sie dadurch automatisch. Dann funktioniert es von ganz alleine. Apropos darf ich mich vorstellen? Ich heiße Mike. Mike Carrington. Und wie heißt du? Ich darf doch du sagen, oder?“

„Warum nicht?! Ich heiße Isabella. Und um auf deine Frage von vorhin zurückzukommen, ich komme aus der Nähe von München. Und du?“

Isabella merkte, wie sie anfing sich zu entspannen. Durch das Gespräch, das ihr Sitznachbar glücklicherweise begonnen hatte, war sie so abgelenkt gewesen, dass sie den Start nur noch am Rande mitbekommen hatte. Allein schon jemanden zu haben, der die gleiche Sprache sprach, war eine riesen Erleichterung für Isabella. So sprachlich isoliert und schwierig, hatte sie sich die Reise in ihren wildesten Albträumen nicht vorgestellt. Aber immerhin die nächste Stunde schien die Angst sich mit Mike gut vertreiben zu lassen.

„Meinen Wohnsitz habe ich in New York, aber eigentlich verbringe ich die meiste Zeit unterwegs und bin selten sesshaft. Das kann ich mir bei dir dagegen schlecht vorstellen. Leidest du unter Flugangst?“

„Erinnere mich bloß nicht daran! Ich reise wirklich nicht gerne und fliegen schon gleich gar nicht.“

„Was machst du dann im Flieger?“

„Wenn ich das mal so genau wüsste! Meine Cousine hat mich überredet, dass ich sie besuchen komme. Sie will mir endlich ihren Verlobten vorstellen. Die beiden wohnen in Bost….“

Mitten im Wort fiel Isabella es ein. Oh mein Gott, Laura! Sie hatte ganz vergessen Laura Bescheid zu geben, dass sie den Flug in Philadelphia verpasst hatte und jetzt nicht, wie geplant, schon in Boston angekommen war.

Besorgt fragte Mike: „Ist irgendwas? Du bist plötzlich ganz bleich geworden?“

„Wie man es nimmt. Ich habe in Philadelphia meinen Anschlussflug verpasst und daraufhin den nächsten Flug genommen, aber ganz vergessen meiner Cousine Bescheid zu geben. Sie weiß nicht, dass ich jetzt erst komme und wird sicherlich nicht mehr warten.“

„Aber sicher wird sie warten“, versuchte Mike sie zu beruhigen.

„Du kennst meine Cousine nicht. Sie weiß, dass ich ungern, bzw. besser gesagt gar nicht fliegen will und denkt vielleicht noch, dass ich den Flug einfach nicht angetreten habe. Ich habe noch nicht einmal eine Adresse von ihr, da ich mich voll und ganz darauf verlassen habe, dass sie mich abholt.“

„Mach dir mal keine Sorgen. Es wird sicherlich alles halb so schlimm. Und sollten alle Stricke reißen, werde ich dir einfach helfen! Das bekommen wir schon geregelt.“ Mike war selbst von seinem Angebot überrascht, aber andererseits konnte er so weiterhin mit ihr zusammen bleiben und diese Aussicht beflügelte ihn in diesem Moment.

„Das ist lieb von dir, aber ich wüsste nicht, wie du mir helfen willst. Ich hätte gleich auf meine innere Stimme hören und die schwachsinnige Reise einfach bleiben lassen sollen.“

„Also so würde ich das jetzt nicht sehen, immerhin haben wir zwei uns jetzt kennengelernt. Das ist doch auch schon was wert!“, sagte Mike und lächelte umwerfend selbstsicher Isabella an.

„Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Ich bin verheiratet“, gestand sie ihm verunsichert durch Mikes Lächeln. Sie konnte nicht sehen, was er dachte, aber sie wollte ihm lieber im Vorfeld reinen Wein einschenken, ehe er sich verrannte.

„Das sehe ich“, sagte Mike und zeigte auf ihren Ehering. „Dürfen wir uns trotzdem noch unterhalten oder hat dein Ehemann etwas dagegen?“, provozierte er sie.

Isabella errötete. Die Situation war ihr peinlich. Sie wollte nicht mit Mike über ihren Mann diskutieren, also wechselte sie lieber das Thema.

„Nein, garantiert nicht. Ich kann nur bisher nichts Positives an einem verpassten Flieger erkennen. Insbesondere, droht mir die Übernachtung am Flughafen und dazu habe wirklich gar keine Lust.“

„Das droht dir sicherlich nicht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich dir helfen werde, falls es notwendig wird. Ich denke aber trotzdem noch, dass deine Cousine warten wird. Und zu deiner Beruhigung, ich habe keinerlei Hintergedanken.“

Sie wollte es zwar nicht unbedingt noch ausgesprochen haben, aber es beruhigte sie tatsächlich ungemein, dass er es von sich aus erwähnte.

„Danke, das ist nett von dir. Was machst du in Boston? Bist du geschäftlich dort oder fliegst du weiter?“

„Ich besuche meinen Bruder in Boston. Wenn du möchtest kann ich dir auch die Stadt und die Sehenswürdigkeiten zeigen. Ich bin in Boston aufgewachsen und kenne mich daher gut aus, würde ich meinen.“

„Danke für das Angebot, aber ich denke das hat meine Cousine auch schon vor“ versetzte sie ihm einen erneuten Korb.

Mit oberflächlichem, vorsichtigem Geplänkel, um ihre Skepsis zu entschärfen, hielt Mike das Gespräch weiter in Gang. Im Nu verflog die Zeit und das Flugzeug setzte zum Landeflug an, was Mike durch ihre plötzliche Verkrampfung bemerkte. Instinktiv nahm er ihre Hand und redete einfühlend zu ihr.

„Es ist kein Problem. Ich habe schon die meiste Zeit meines Lebens in Flugzeugen verbracht. Es läuft gerade alles normal ab.“

„Es lässt sich leichter reden, als es für mich gerade ist“, flüsterte sie. Er spürte das Zittern unter seiner Hand und drückte sanft fester zu.

„Du hast es in wenigen Augenblicken geschafft. Wir setzen gleich auf. Dann ist es schon vorbei“, erklärte er ihr beruhigend.

Isabella konnte nicht sagen warum, aber es half ihr, dass er da war. Sie war froh darum und merkte sichtlich, wie sich ihr verkrampfter Körper langsam löste und der Entspannung etwas Näher kam. Das Flugzeug setzte endlich auf und auch das starke Abbremsen, machte ihr nichts mehr aus. Es war überstanden und sie hörte, wie alle umliegenden Passagiere dem Piloten mit ihrem Beifall die Dankbarkeit der sicheren Landung zollten. Auch Isabella war dankbar, doch war sie gerade nicht in der Lage, ihre verkrampften Hände zum klatschen zu bewegen. Ha

Mike dagegen stand auf und holte seinen kleinen Trolley aus dem Gepäckfach und übergab auch Isabella ihre Tasche. Zusammen verließen sie das Flugzeug und gingen zur Gepäckausgabe.

„Willst du deine Cousine sicherheitshalber anrufen? Du kannst mein Handy haben?“, fragte Mike sie. Er fragte sie nicht nur aus reiner Hilfsbereitschaft. Es war mehr durchdachte Raffinesse. Wenn Isabella gleich von ihrer Cousine abgeholt wurde, würde er sie nie wieder sehen. Wenn sie aber versuchte ihre Cousine anzurufen, hatte er zumindest eine Telefonnummer, der er nachgehen konnte. So hatte er zumindest einen Anhaltspunkt für ein Wiedersehen.

„Danke, das ist nett von dir. Aber ich muss erst auf meinen Koffer warten. Ich habe am Koffer einen Zettel mit ihrer Telefonnummer angebracht.“

Sie standen wartend vor der Gepäckausgabe und die Bänder begannen sich gerade in Bewegung zu setzen. Die ersten Koffer wurden vom Gepäckband gezogen und Koffer für Koffer fanden ihren Besitzer wieder. Mike entdeckte seinen und zog ihm vom Band und überlegte, ob er nun gehen oder doch lieber bleiben sollte. Wenn er ging, würde er sie nie wiedersehen, so viel war ihm klar. Doch das gleiche konnte ihm auch passieren, wenn er blieb. Was sollte er also tun? Was würde sie wollen? Kurzerhand entschied er sich zu bleiben und auf eine Gelegenheit zu warten, die ihm mehr über sie und ihren Aufenthaltsort in Boston verriet. Er stellte seinen Koffer neben ihr ab und wartete weiter, bis auch sie ihren Koffer hatte.

„Mit wie vielen Koffern reist du denn?“, fragte sie ihn, nachdem er immer noch neben ihr stand.

„Nur mit den beiden hier.“

Mike zeigte auf seine zwei Stücke und verstand sofort was sie mit ihrer Frage bezwecken wollte.

„Hast du schon vergessen, dass ich dir helfen wollte? Ich habe Zeit und will nur sichergehen, dass deine Cousine dich auch wirklich abholt. Stört dich das?“

„Nein, aber erwartet dich dein Bruder nicht? Ich will dir wirklich keine Umstände machen. Ich bin dir schon dankbar für deine Ablenkung im Flugzeug.“

„Gern geschehen. Mach dir mal um meinen Bruder keine Gedanken, der ist schon alt genug und kann auch auf sich alleine aufpassen. Eher mache ich mir Sorgen um dich, wenn deine Cousine wirklich nicht kommen sollte. Es ist gleich 21 Uhr und die sicherste Gegend ist es hier nachts wirklich nicht.“

„Willst du mir Angst einjagen?“

„Nein, sicher nicht. Aber ich will auch nicht, dass du die Gefahren unterschätzt. Du kennst dich hier nicht aus und bist alleine unterwegs. Geradezu das perfekte Opfer.“

„Das könnte man genauso gut jetzt auch auf dich beziehen, findest du nicht?“ konfrontierte sie ihn.

Er lachte. Sie war direkt, intelligent und ließ sich nicht einschüchtern. Sie war so ziemlich alles, was er bisher nie an einer Frau zu schätzen wusste. Dennoch machte es ihm Spaß sie herauszufordern.

„1:0 für dich. Wobei es immer noch ein Unterschied ist männlich und ortskundig zu sein im Gegensatz zu weiblich und Tourist. Aber es ist wirklich nicht meine Absicht dich zu ängstigen, das kannst du mir glauben“

„Sagte der Fuchs zur Gans, kurz bevor er sie gefressen hatte“, beendete Isabella den Satz.

„Jetzt beleidigst du mich wirklich. Sehe ich für dich wirklich wie ein Verbrecher aus?“ er versuchte eine beleidigte Miene aufzusetzen, auch wenn ihm das nicht ganz gelang.

„Das hat nichts mit dem Aussehen zu tun. Würde man es jedem ansehen, wären schon alle weggesperrt, ehe etwas passieren würde.

„Gut 2:0 für dich, dennoch bleibe ich zu deinem Schutz bei dir, bis deine Cousine dich abholt. Vielleicht brauchst du noch meine Hilfe.“

„Na gut“, lenkte Isabella ein.

Die Reihen der Passagiere, die sich um das Gepäckband versammelt hatten, lichteten sich mittlerweile. Die meisten hatten ihre Koffer und verließen das Flughafengebäude. Nur Isabella und Mike standen noch in der Halle und Verzweiflung machte sich in Isabella breit. Ein einzelner Koffer drehte einsam seine Runden. Nur gehörte dieser Koffer nicht ihr! Panik stieg in Isabella auf. Das war das Letzte was ihr in dieser Situation noch fehlte! Sie konnte nur noch hoffen, dass Laura in der Ankunftshalle auf sie wartete. Doch realistisch betrachtet hatte sie keinerlei Hoffnung nach über 2 Stunden Verspätung, dass sie noch wartete. Warum auch? Sie wusste ja nichts von dem verpassten Anschlussflug. Ratlos und mit den Nerven am Ende stand Isabella da und sah Mike an, der scheinbar ungewollt doch ihre einzige Hilfe zu sein schien.

„Siehst du, so schlecht war es doch nicht, dass ich geblieben bin. Ich bin nämlich Spezialist im Abwickeln von verloren gegangenem Gepäck. Wenn du willst mache ich das für dich?“, bot er sich freiwillig an.

Sie wusste es hatte keinen Sinn das Angebot abzulehnen, es blieb ihr sowieso keine Alternative. Es war auch nicht unbedingt das Gefühl ihm ausgeliefert zu sein, was sie störte. Es störte sie viel mehr, dass sie ihn einfach nicht einschätzen konnte. Normalerweise fiel ihr es sehr leicht, Menschen einzuschätzen und sie konnte schon fast deren Gedanken lesen, wenn sie nur richtig konzentrierte. Doch bei ihm war es wie abgeschnitten. Sie wusste nicht ob er falsch spielte und gefährlich war oder einfach nur harmlos nett.

„Das wäre überaus nett von dir, wenn du das für mich erledigen könntest. Wie dir bereits schon aufgefallen sein dürfte, habe ich leichte Verständigungsprobleme. Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so provoziert habe. Aber es fällt mir ehrlich gesagt schwer dich einzuschätzen, was normal nicht der Fall ist. Hast du eine Idee, an was das liegen könnte?“

Mike war von ihrer Offenheit verblüfft und noch viel mehr verwundert von ihren Worten. Ihr ging es offenbar genau, wie ihm selbst auch. Er wurde aus ihr einfach nicht schlau, aber er kam auch nicht los von ihr. Es verwirrte ihn und trotzdem wäre er nie auf die Idee gekommen, ihr das auch noch einzugestehen. Sie war so völlig anders, wie alles, was er bisher kennengelernt hatte.

„Woran das liegt kann ich dir auch nicht sagen. Ich bin jedenfalls kein Außerirdischer oder sowas. Aber ich kann dir zumindest bei deinem Kofferproblem helfen.“

Mike schleppte Isabella hinter sich her zur „Lost and Found“ Stelle. Er sprach einige Zeit mit der Schalterangestellten der Airline und hatte das Formular mit ihr größtenteils alleine ausgefüllt. Nur bei einer Stelle wusste er nicht was er ausfüllen lassen sollte.

„Isabella, wo soll der Koffer hingeschickt werden, wenn sie ihn finden?“

„Ich habe nicht den leisesten Schimmer!“

Kapitel 3

Dienstag, 05.08.2008 Wellington, 21:17 Uhr

William zuckte zusammen, als er die Tür knallen hörte. Das konnte nur seine Verlobte Laura sein. Wie sehr er ihr Temperament und ihre offene Art im Umgang mit Gefühlen auch liebte, aber wenn sie sauer war, würde er ihr am liebsten nicht begegnen. Warum war sie so wütend? Sie konnte doch noch gar nichts davon wissen, dass sein Bruder zu Besuch kam. Und jetzt auch noch diese Neuigkeit, nachdem sie sowieso schon sauer war? Laura und Mike waren regelrecht wie Hund und Katze. Mike provozierte sie und Laura ließ sich das nicht gefallen und zahlte es ihm mit gleicher Münze heim. Und das würde jetzt die nächsten 3 Tage so weitergehen. William stellte sich innerlich bereits auf das Schlimmste ein. Am liebsten würde er sich für diese Zeit in seine Arbeit verkriechen, aber das würde Laura ihm nie verzeihen. Immerhin war Mike sein Bruder und somit erwartete sie auch eine gewisse Unterstützung und Rückhalt von ihm gegen Mike. William liebte seine Eltern, aber die Bedingung, dass Mike jederzeit kommen dürfte und sie ihn aufzunehmen hatten, war unter diesen Umständen, die reinste Folter und konnte er einfach nicht gutheißen. Doch das Jammern nützte nichts. Er musste in den sauren Apfel beißen und Laura die schlechte Nachricht beichten.

„Laura, Liebling. Wo bist du?“ rief William durch die Eingangshalle des riesigen Anwesens. Es war nicht seine Art zu schreien, aber wenn Laura sauer war und sich erst einmal zurückgezogen hatte, müsste man alle Zimmer absuchen, um sie zu finden und das waren dann doch zu viele in dieser alten Villa.

„Ich bin hier. Ist etwas passiert?“ rief sie aus der Küche heraus, in die William ging.

„Wie man es nimmt! Ich habe vorhin meine Mailbox abgehört und rate mal, wer sich wieder angekündigt hat?“

„Sag jetzt bloß nicht dein Bruder! Der hat mir heute gerade noch gefehlt“, sagte Laura bereits schon eine Tonlage schriller als sonst. Er spürte, wie ihr Blutdruck in die Höhe schoss und sie sich aufregte. Er wollte sie eigentlich beruhigen, aber musste ihr auch noch den Rest erzählen, ehe es später in einer Eskalation endete. Also beichtete er ihr auch noch den Rest.

„Leider doch. Er kommt noch heute Nacht an, aber nicht alleine, schätze ich. Er hat am Schluss so eine Andeutung gemacht, die nichts Gutes verheißt.“

„Er weiß doch genau, dass ich im Haus nicht ständig irgendwelche Fremden mag, die dann durchs Haus streunen und herumschnüffeln!“

„Wahrscheinlich will er dich bloß schon im Vorfeld ärgern und bringt tatsächlich niemanden mit. Versuch dieses Mal ihm am besten aus dem Weg zu gehen. Okay?“

„Du weißt doch ganz genau, dass ich das nicht kann. Egal wie oft ich es mir vornehme, er treibt mich regelrecht in den Wahnsinn und du bist auch nie da, wenn ich dich brauche“, warf sie ihm vor.

Da war die versteckte Anspielung wieder, auf die er schon gewartet hatte. Wenn er jetzt nicht einlenkte, begann der Streit zwischen ihnen schon bevor Mike überhaupt gekommen war.

„Das weiß ich doch, Liebling. Aber welche Laus ist dir denn sonst noch über die Leber gelaufen? Dein Türenknallen war durchs ganze Haus zu hören“, lenkte William vom eigentlichen Thema ab.

„Isabella hat mich versetzt! Ich hätte mir denken können, dass sie ihre Flugangst nicht überwinden kann, aber zumindest Bescheid hätte sie mir geben können! Ich hatte dieses Mal wirklich das Gefühl, dass sie weg von zu Hause wollte und kommen würde.“

„Oh Süße, komm her zu mir.“

Er spürte wie sehr sie den Tränen nahe war und zog sie an seine Brust, um sie fest zu drücken und ihr am liebsten allen Schmerz zu nehmen. Er konnte sie einfach nicht traurig oder leidend sehen. Für ihn war Laura immer sein Sonnenschein, der sich auch aufmunternd auf seine Laune auswirkte.

„Das habe ich vor lauter Arbeit total vergessen. Deine Cousine hätte ja heute kommen sollen. Das tut mir so leid für dich. Ich hätte sie wirklich gerne kennengelernt.“

„Aber angesichts der Tatsache, dass Mike heute kommt, bin ich ganz froh, dass sie nicht gekommen ist. Sie hätte ihn in ihrer momentanen Lage nicht auch noch ertragen können.“

„Vielleicht hast du Recht. Trotzdem tut es mir leid. Du hattest dich so auf sie gefreut. Ich weiß, dass es schon spät ist und du niedergeschlagen bist, aber kannst du noch schnell das Bett in Mikes Zimmer überziehen?“

Mit seinem Hundeblick sah er sie an und sie konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Er wusste haargenau, wie er sie herumbekam.

„Habe ich dir überhaupt schon gesagt, wie sehr ich dich liebe?“ setzte er auch gleich noch eins obendrauf.

Zärtlich streichelte William über ihr schwarzes Haar, hob ihr Kinn und schaute ihr tief in die ozeanblauen Augen, die ihn von Anfang an am meisten an ihr faszinierten. Sie spiegelten das blaue Meer von Gran Canaria wieder, dem Urlaub, in dem sie sich kennen und lieben gelernt hatten. Wie sehr wünschte er sich diese unbeschwerte Zeit zurück. Einfach nur Händchenhaltend am Strand spazieren gehen, im Sonnenuntergang die wundervollste Frau der Welt küssen zu dürfen und stundenlange Gespräche über alles und Nichts zu führen. Alles war damals so einfach. Keine Verpflichtung, nur sie beide. Dagegen erdrückte ihn jetzt die Last, die ihm seine Eltern übertragen haben. Mehrere tausend Menschen vertrauten ihm, dass er in die viel zu großen Fußstapfen seines Vaters trat und ihre Arbeitsplätze erhielt. Der einzige Lichtblick und Halt in seinem Schicksal war Laura. Er vergötterte sie und konnte nie verstehen, warum sie ausgerechnet ihm ihre Liebe schenkte, da ihr doch die halbe Welt zu Füßen lag. Aber er war dankbar dafür, dass sie voll und ganz für ihn da war und er sich bei ihr zurückziehen konnte. Umso mehr tat es ihm daher weh, wenn Mike sie ärgerte und ihm durch das Versprechen an seine Eltern die Hände gebunden waren. Wäre er nur damals seinem Gefühl gefolgt und wäre zu Laura nach Deutschland gegangen, anstatt sich von seinen Eltern kaufen zu lassen. Er wäre jetzt frei und könnte tun und lassen, was er wollte. So, wie Mike es tat. Angesichts dieser Nachteile machte Mike es gar nicht so verkehrt. Von ihm wurde nichts erwartet, seine Arbeitszeiten und –orte suchte er sich selbst heraus und falsch konnte er nichts machen, da für ihn sowieso keine Regeln galten. Und auch wenn er keine Verantwortung übernehmen wollte, wurde er dennoch weiterhin von ihren Eltern als vollwertiges Mitglied der Familie behandelt, weshalb er auch dieses bescheuerte Besuchsrecht eingeräumt bekommen hatte.

„William, bekomme ich auch noch einen Kuss oder bist du mit deinen Gedanken lieber bei deinen Geschäftszahlen?“

„Ich bin überhaupt nicht bei meinen Geschäftszahlen. Ich habe nur wieder einmal daran denken müssen, wie ich die schönste und verständnisvollste Frau der Welt kennengelernt hatte. Und außerdem habe ich mich gefragt, womit ich dich verdient habe. Insbesondere, da du dich mit meinen Bruder herumschlagen musst.“

„Für deinen Bruder kannst du doch auch nichts. Ich habe mir immer Geschwister gewünscht. Erst seit ich deinen Bruder kenne, bin ich doch irgendwie froh ein Einzelkind zu sein.“

„Ich bin so froh, dass ich dich gefunden habe. Nie mehr in meinem Leben möchte ich dich missen. Ich liebe dich von ganzem Herzen und noch viel mehr. Schon alleine, dass du damals zu mir gezogen bist und zu Hause alles aufgeben hast, werde ich dir nie vergessen.“

„Aber William! Warum bist du heute wieder so sentimental? Mein Zuhause ist doch bei dir. Glaubst du ich wäre glücklich in Deutschland gewesen, wenn du dafür hier gewesen wärst. Ich weiß noch ganz genau, wie ich gelitten hatte, als wir uns in Gran Canaria getrennt hatten, weil ich zurück musste. Und ich wusste nicht, ob und wann ich dich wiedersehen würde. Ich war total verunsichert, ob das alles nur ein Traum oder Urlaubsflirt war oder ob du es wirklich ernst mit mir meintest. Diese Unsicherheit war die schlimmste Zeit in meinem Leben. Umso glücklicher war ich, als du plötzlich wie ein Prinz vor meiner Tür gestanden warst. Mir war in diesem Moment klar, dass wir beide für immer zusammengehören und daran hat sich für mich bis heute nichts geändert.“

Mit einem Satz hatte er sie hochgehoben und trug sie eng an sich gedrückt die Treppen hinauf.

„Übst du schon mal für unsere Hochzeit und wo willst du hin?“, fragte Laura lachend und schmiegte sich an ihn.

„Wenn du so fragst, übe ich schon mal die Hochzeitsnacht!“

William grinste sie frech an und trug Laura hinauf ins Schlafzimmer. Auf dem Bett legte er sie sanft ab und beugte sich über sie. Mit einer Hand streichelte er zärtlich ihre Wange und sah ihr tief in die ozeanblauen Augen.

„Ich liebe dich“, hauchte er ihr ins Ohr und küsste sie lange und leidenschaftlich auf ihren sinnlichen Mund. Er küsste jeden Zentimeter ihres Halses und ließ dabei seine Zunge an ihrem Hals hinab gleiten bis zu ihrem Dekolletee. Ausgiebig ließ er sich Zeit, was Laura schier in den Wahnsinn trieb. Sie seufzte, als er ihren Pullover hochschob und mit den Fingerspitzen über ihren schwarzen Spitzen-BH und der danach freigelegten Brust strich. Mit seiner Zunge umspielte er eine ihrer Brustwarzen und öffnete bereits den ersten Knopf ihrer Hose. Sie genoss so sehr seine Berührungen, aber noch mehr wollte sie ihn selbst berühren. Sie knöpfte einen Knopf nach dem anderen seines Hemdes auf und ließ ihre Finger über seine Brust nach unten wandern. Gerade als sie sich an seiner Hose zu schaffen machte, störte sie ein Klingeln.

„Lass es klingeln. Es hört wieder auf“, bat Laura ihn, als er versuchte sich aufzurichten. „So wichtig kann es gar nicht sein, wie ich dich jetzt brauche. Lass mich bitte nicht hier liegen“, flehte sie ihn an.

„Das wird nur Mike sein, ich lass ihn schnell rein und dann komme ich sofort zu dir. Bleib wo du bist, ich bin noch lange nicht mit dir fertig.“

„Wenn du mich jetzt liegen lässt, brauchst du mich auch nicht mehr anfassen!“ drohte sie ihm.

„Ach Liebling, mach es mir doch bitte nicht so schwer! Ich beeile mich und dann mache ich alles wieder gut. Ich verspreche es dir. Okay?“

„Ausnahmsweise und nur weil ich dich liebe. Aber beeil dich!“

Sie konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, dass er aufstehen musste. Und ein schlechtes Gewissen überkam sie wegen ihrer Drohung. Er öffnete die Tür und erstarrte im ersten Moment. Es war also doch nicht nur eine Andeutung, Mike hatte seine Ankündigung wirklich war gemacht und jemanden mitgebracht. William musterte die Begleitung neugierig. Sie wich erheblich von Mikes sonstigem Beuteschema ab und sah auch nicht gerade danach aus, als dass sie ein Abenteuer suchte. Eigentlich war sie ihm sogar richtig sympathisch, so schüchtern und zurückhaltend, wie sie wirkte. Wie um alles in der Welt, ist er nur zu ihr gekommen und hatte er vor mit ihr? Unverblümt starrte William sie an und er merkte, wie unsicher sie war. Es war ihr anzusehen, dass sie sich nicht wohlfühlte.

„Hallo Brüderchen, darf ich dir Isabella vorstellen? Isabella das ist mein Bruder Willi“, sagte Mike, um die beklemmende Situation zu unterbrechen, die nicht zu enden schien.

„Äh, hello“ sagte William verlegen und reichte Isabella die Hand. „Your welcome.“

„Thank you. Sorry, that I disturb you“, erwiderte Isabella.

Sie hatte sich schon im Taxi den Satz zurechtgelegt. Es widerstrebte ihr innerlich mit einem wildfremden Mann einfach mitzugehen, auch wenn er sich als nett und hilfsbereit bislang erwiesen hatte. Doch was hätte sie sonst machen sollen? Es gab weit und breit keine Chance Lauras Adresse und Telefonnummer herauszufinden und immerhin war es nun mitten in der Nacht. Mike hatte sie dazu überredet, als sie den vermissten Koffer gemeldet hatten. Aus Ratlosigkeit und einer fehlenden Alternative hatte sie dann sein Angebot angenommen. Ehe sie sich versah, war sie schon mit ihm im Taxi gesessen, ohne eine genaue Vorstellung, wo es eigentlich hinging. Als das Taxi dann vor einem riesigen Tor hielt, war es ihr doch schon etwas mulmig. Wo brachte er sie nur hin? Durch eine kleine Seitentür ging Mike voraus, über die lange Auffahrt, bis hin zu einer gigantischen Tür, die durch große Säulen eingesäumt war. Mikes Bruder Willi starrte sie weiter unverblümt an. Er war so das komplette Gegenteil von seinem Bruder, sinnierte sie, um ihre Unsicherheit zu verlieren. Willi hatte hellere Haare und blaue Augen und weniger des Charmes, im Gegensatz zu Mike. Trotzdem war er für Isabella der beneidenswertere Bruder. Er hatte eine Herzlichkeit und Wärme an sich, die Isabella sofort wahrnahm. Bei Mike dagegen konnte sie einfach nichts spüren, es war zum Haare ausreißen und sie zweifelte schon selbst an sich.

„Sie stören doch nicht. Fühlen Sie sich, wie zu Hause…“

Isabella hatte nicht alles verstanden, was William ihr noch sagte. Dafür waren ihre Englischkenntnisse einfach zu gering. Sie war daher sehr froh, als Mike das Reden wieder übernahm.

„Isabellas Koffer ist verloren gegangen. Es wäre nett, wenn Laura ihr vielleicht ein paar Sachen leihen könnte.“

Isabella verstand nicht was er sagte, war aber überrascht, dass Mike Laura erwähnte, obwohl sie doch ihren Namen bislang nie erwähnt hatte.

William antwortete wieder und sprach Isabella direkt an. Verständnislos schaute sie ihn an und dann wieder Mike. Mike übersetzte ihr daraufhin die Worte seines Bruders.

„Seine Freundin wird dir gerne ein paar Kleidungsstücke leihen, bis dein Koffer hier ankommt. Hast du noch Hunger? William macht dir sicherlich schnell etwas. Du musst nur sagen, was du möchtest.“

William starrte Isabella verwirrt an. Wer war diese Frau und warum sprach Mike Deutsch mit ihr? Mike sah seinen fragenden Blick und erklärte ihm ausnahmsweise die Umstände. Sonst war es nicht seine Art, seinem Bruder Erklärungen abzugeben, doch heute war schon alles zu verrückt und so störte auch das nicht mehr.

„Isabella ist aus Deutschland hergeflogen, um ihre Cousine zu besuchen, doch sie hat ihren Anschlussflug in Philadelphia verpasst und konnte erst den nächsten Flug nehmen. Dabei ist ihr Koffer abhanden gekommen. Sie hat weder Telefonnummer, noch Adresse ihrer Cousine, da sie sich darauf verlassen hatte, dass sie von ihr abgeholt wird. Doch die Cousine war durch die Verspätung nicht mehr am Flughafen. Da Isabella nicht wusste, wo sie hinsollte, habe ich sie zu uns eingeladen.“

Plötzlich brach William in so schallendes Gelächter aus, das Mike und Isabella erst erschraken und sich dann nur über ihn wunderten. Isabella hatte schon nicht verstanden, was die Brüder gesprochen hatten, umso mehr konnte sie auch den Lachanfall von ihm nicht verstehen. Doch an Mikes verwirrten Gesichtsausdruck konnte sie schnell feststellen, dass auch er nicht verstand, worum es ging.

„So witzig ist das auch wieder nicht Willi“, sagte Mike und provozierte ihm mit dem Spitznamen, den William hasste.

„Oh doch, das ist mehr als nur witzig. Ich bin gleich wieder zurück, dann erkläre ich es euch.“

Und ehe die beiden sich versahen, war William schon die Treppe im Laufschritt hinauf verschwunden. Er steuerte ohne Umwege das Schlafzimmer an.

„Liebling, aufstehen. Wir haben Besuch“, flötete er fröhlich.

„Ich will Mike aber nicht sehen, es reicht mir schon, wenn ich ihn morgen zu Gesicht bekomme. Ich mache auch nicht mehr sein Zimmer fertig. Er soll einfach im Gästezimmer schlafen, das hatte ich für Isabella bereits hergerichtet.“

„Das geht aber nicht mein Liebling, denn Mike hat noch Besuch mitgebracht, den du unbedingt gesehen haben musst.“

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich seine neue Dumpfbacke kennenlernen will. Sie wird mich morgen noch genug nerven. Das Bett ist groß genug und Mike hat es sonst auch nicht gestört, wenn sie bei ihm im Bett geschlafen haben.“

„Ich glaube aber nicht, dass dir das Recht wäre“, stichelte William weiter.

„Wieso? Ich kann es sowieso nicht ändern! Warum grinst du bitte die ganze Zeit so dümmlich?“, fragte sie ihn genervt.

„Vertrau mir doch bitte! Komm steh auf und sag kurz hallo. Okay?“, bat er sie.

„Nur weil du mich so lieb bittest. Aber das kostet dich gleich eine Ganzkörpermassage!“

„Ob du die gleich noch willst bezweifle ich, aber gerne, du kannst sie haben! So und jetzt steh auf.“

Laura stand auf zog enttäuscht und provozierend zugleich vor William ihren Pullover wieder herunter. Sie hätte sich jetzt wahrlich besseres vorstellen können, als ihren Schwager in spe und dessen neue hirnlose Tussi zu sehen. Gelangweilt stieg sie hinter William die Treppe hinunter. William wurde immer ungeduldiger und sie fragte sich, was er vorhatte. Etwas war nicht normal, so viel war sicher. Aber was? Als erstes entdeckte sie Mike. Er war mit dem Rücken ihr zugewandt und dahinter erkannte sie eine blonde Frau, die mindestens einen Kopf kleiner war, wie Mike. Das war nicht schwer. Laura war selbst auch so klein und musste sich William regelrecht entgegenstrecken. Die Frau hatte wunderschöne blonde Locken. Laura ging weiter die Treppen hinunter und wäre fast die letzten Stufen heruntergefallen, als Mike zur Seite trat und sie Isabella erblickte. William ahnte es bereits und hielt sie deshalb vorsichtshalber fest. Ungläubig lief sie die Treppe weiter herunter, aber je näher sie sich ihr näherte, umso klarer wurde es ihr, dass es sich wirklich um Isabella handelte. Das hatte Williams Grinsen zu bedeuten. Er hatte sie erkannt, obwohl er sie noch nie gesehen hatte. Das war unglaublich und sie konnte ihm seinen Triumph ansehen. Überwältigt vor lauter Freude, umarmte sie Isabella und küsste sie auf beide Backen. Mike wusste jetzt überhaupt nicht mehr, wie ihm geschah. Hatte er etwas verpasst? Erst das sonderliche Verhalten von William und jetzt auch noch Laura. Sind hier alle verrückt geworden?

„Oh mein Gott! Du bist wirklich gekommen! Ich hatte geglaubt, dass du einen Rückzieher gemacht hast. Du warst nicht einmal auf der Passagierliste gestanden. Wie bist du hier her gekommen?“

„Hör mir bloß mit dem Flug auf. Ich weiß jetzt genau, warum ich nie fliegen wollte. Es war die reinste Katastrophe und mein Koffer ist der Leidtragende, der es nicht überlebt hat.“

„Aber wie bist du hier her gekommen? Mit dem Taxi? Und die Adresse?“

„Nachdem ich nicht wusste wohin und meine Englischkenntnisse, wie du weißt, nicht die besten sind, hat sich Mike angeboten, mich mitzunehmen.“

„Moment, du bist freiwillig mit ihm mitgegangen? Oh mein Gott Isa, was hätte alles passieren können! Haben deine Sinne dich verlassen?“

„Anscheinend nicht ganz. Immerhin haben sie mich zu dir geführt und Mike war ganz Gentleman, so dass ich nichts Schlechtes sagen kann. Hätte ich am Flughafen übernachten sollen?“

„Nein, das auch nicht. Komm lass dich drücken. Ich bin so froh dich zu sehen!“

Überschwänglich lagen sie sich in den Armen und Laura konnte es nicht fassen, dass Mike zum ersten Mal im Leben etwas für sie getan hatte, für das sie ihm sogar ewig dankbar sein würde. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Isabella mutterseelenallein am Flughafen geblieben wäre. Damit hatte er sogar einige Sticheleien gut bei ihr. Überschwänglich umarmte sie auch ihn und küsste ihn auf die Wangen.

„Danke, danke, danke. Du hättest mir keine größere Freude machen können.“

Mike fing sich langsam wieder und hatte endlich die Zusammenhänge begriffen, die ihm schlichtweg bislang entgangen waren. Schon allein Williams Lachanfall hätte ihn misstrauisch machen müssen, aber wer könnte denn ahnen, dass ausgerechnet er die Cousine von Laura auftreiben würde? Das waren schon etwas zu viele Zufälle. Und schlagartig wurde ihm auch eine andere Information bewusst, die Isabella über ihre Cousine gesagt hatte.

„Moment einmal, Isabella hat was erzählt von Verlobung. Seit wann seid ihr denn verlobt und warum erfahre ich nichts davon?“

William und Laura lächelten sich an, als würden sie ein Geheimnis hüten. Da waren wieder diese tiefen und innigen Blicke, die Mike so verhasst waren. Er drehte sich daher zu Isabella, die wie verändert schien. Keine Spur von Traurigkeit war zu sehen. Funkensprühende Augen leuchteten ihn an. Die kleinen Punkte in ihren Augen schienen zu tanzen vor Freude. Keine Unsicherheit mehr war zu sehen, dagegen gab sie ein unwiderstehliches Lächeln von sich, das über das ganze Gesicht strahlte. Sie sah in diesem Moment so verändert aus, dass sie mit der Frau im Café, die vor Traurigkeit fast umgekommen wäre, nichts mehr gemeinsam hatte. Jetzt fiel ihm auch auf, was ihn von Anfang an, an ihr so faszinierte. Ihr ganze Mimik und Gestik war so stark ausgeprägt, dass man in ihr lesen konnte, wie in einem Buch. Sie spielte nichts vor, sondern war so ausdrucksstark, wie es die besten Schauspielerinnen nicht sein konnten und brachte dabei so eine Natürlichkeit mit. Allein schon, wie sie sich für Laura und William freuen konnte, ohne den geringsten Neid, beeindruckte ihn.

„Tja Mike, du weißt eben nicht alles. William hat mir letzte Woche einen Heiratsantrag gemacht. Wir wissen noch keinen Termin, doch wir hätten es dir spätestens per Einladungskarte noch mitgeteilt!“, stichelte Laura.

„Wissen es Mum und Dad schon oder bekommen sie es auch per Einladungskarte mit?“ wendete sich Mike patzig an William.

„Wir haben es ihnen gestern mitgeteilt. Sie sind vor ihrer Toskanareise noch kurz bei uns vorbei gekommen. Die beiden haben sich jedenfalls für mich gefreut, du dagegen siehst aus, als würdest du jeden Moment platzen“, bemerkte William treffsicher.

„Nein, ich bin eben nur überrascht, das ist alles“, wiegelte Mike ab und versuchte die Sache herunterzuspielen.

Es war mehr als Überraschung so viel merkte auch Isabella. Seit sie hier war, hatte sie schon mehrfach die geladene Stimmung unter allen Anwesenden gespürt, jedoch konnte sie sich noch keinen Reim darauf machen. Mike schien hier sein anderes Gesicht zu zeigen und für einen kurzen Augenblick konnte sie in ihm lesen, wie in einem Buch. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und von den warmen braunen Augen, die ihr im Flugzeug aufgefallen waren, war nichts mehr zu sehen. Sie strahlten Härte und Hass aus und Isabella wusste, dass es seinem Bruder galt. Die beiden hatten Probleme miteinander, die sie nie aufgearbeitet hatten. Laura war nur ein Auslöser, jedoch sicherlich nicht die Ursache für diese Probleme. Sie würde es noch bald genug herausfinden, doch jetzt war sie müde und spürte nur die Strapazen des heutigen Tages. Sie wollte nur noch ein Bett und schlafen.

„Ihr könnt euch gerne noch weiter angiften, wenn ihr wollt, aber würdest du mir vorher noch schnell mein Bett zeigen, damit ich schon mal schlafen gehen kann? Ich bin schon ewig auf den Beinen und ganz kaputt. Kannst du mir auch ein paar Sachen leihen?“, fragte sie Laura und unterbrach somit die geladene Stimmung.

„Und denkst du bitte noch an Mikes Zimmer“ erinnerte William sie. „Oder sollen wir die beiden doch zusammen ins Gästezimmer stecken?“, neckte er sie.

„Garantiert nicht! Ich bringe nur schnell Isa nach oben und gebe ihre alles was sie braucht. Du kannst mit deinem Bruder so lange noch einen Absacker trinken, bis ich fertig bin.“

Sie hauchte einen flüchtigen Kuss auf Williams Lippen und tänzelte gutgelaunt nach oben, Richtung Gästezimmer. Das konnte heiter werden die nächsten Tage. Das Haus war zwar groß, aber für so viele Dickschädel unter einem Dach, nicht groß genug, dachte William. Am besten rief er gleich morgen Martha an. Sie war von klein auf schon ihre Haushälterin gewesen und gehörte einfach zur Familie. Nach ihrer Pensionierung jedoch, vertrat Laura die Ansicht, dass sie sich selber um den Haushalt kümmern wollte. Anfangs war er deswegen skeptisch gewesen, ob das große Haus und der Garten alles ohne Personal zu bewerkstelligen wäre, immerhin war Laura noch mit ihrer Marketingagentur sehr eingespannt, aber jetzt möchte er es auch nicht mehr ändern. Er hatte durch gemeinsame Kochabende, die Laura mit ihm veranstaltete, seine Leidenschaft fürs Kochen entdeckt. Laura hatte sein Leben von Grund auf verändert und Talente an ihm gefunden, die er selbst nicht kannte. Trotzdem wird es die nächsten Tage besser sein, wenn Martha das Ruder wieder übernahm. Sie hatte Mike leichter unter Kontrolle. Vor ihr hatte er großen Respekt und sie nahm kein Blatt vor den Mund, um ihn zurechtzuweisen, wenn er übers Ziel hinaus geschossen war. Schon früher, wenn Mike ausrastete oder seine Streiche spielte, war Martha die Einzige, die ihn wieder zur Vernunft brachte. Außerdem wird sie sich sicherlich freuen, wenn sie ihn wieder verwöhnen konnte. Man hatte immer das Gefühl, dass Mike für sie der Sohn war, den sie sich immer gewünscht hatte. William ging zur Bar und drehte sich dann seinem Bruder zu. Er sah wirklich sehr zerknirscht aus. Warum konnte er sich nicht einfach für ihn freuen?

„Was möchtest du denn gerne trinken? Wein, Cognac, Whiskey oder ganz was anderes?“