Blood Destiny - Bloodmagic - Helen Harper - E-Book

Blood Destiny - Bloodmagic E-Book

Helen Harper

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Beschreibung

Lass die Magie fliegen!

Nachdem sie den Klauen von Corrigan, dem Lord Alpha der Bruderschaft, entschlüpfen konnte, versucht Mack sich nun auf ein ruhiges Leben in der ländlichen Idylle von Inverness. Weit weg von allem - insbesondere fort von den Gestaltwandlern. Als Mack dann noch einen Job in einer kleinen Buchhandlung ergattern kann, scheint das Leben perfekt zu sein ... für einen kurzen Moment! Denn die Besitzerin des Ladens - eine rätselhafte ältere Dame - scheint nicht nur ein Faible für Kräuterkunde zu haben, sondern weiß auch mehr, als sie vorgibt. Plötzlich findet sich Mack zwischen den Fronten des Ministeriums für Magie, den Fae und der Bruderschaft wieder. Und sie muss sich entscheiden: Bleibt sie in Deckung oder stellt sie sich Corrigan - mit seinen faszinierend grünen Augen - entgegen.

"Action, Humor und jede Menge Herz! Ich kann nicht fassen, wie unglaublich gut diese Geschichte geschrieben ist. Die Figuren haben so viel emotionale Tiefe, und die Story ist einfach nur großartig!" Good Reads

Band 2 der erfolgreichen Romantic-Fantasy-Reihe Blood Destiny!

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Seitenzahl: 374

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Inhalt

TitelZu diesem BuchErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes Kapitel Zehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelDie AutorinDie Romane von Helen Harper bei LYXImpressum

HELEN HARPER

Blood Destiny

Bloodmagic

Roman

Ins Deutsche übertragen von Andreas Heckmann

Zu diesem Buch

Lass die Magie fliegen!

Nachdem sie den Klauen von Corrigan, dem Lord Alpha der Bruderschaft, entschlüpfen konnte, versucht Mack sich nun auf ein ruhiges Leben in der ländlichen Idylle von Inverness. Weit weg von allem – insbesondere fort von den Gestaltwandlern. Als Mack dann noch einen Job in einer kleinen Buchhandlung ergattern kann, scheint das Leben perfekt zu sein … für einen kurzen Moment! Denn die Besitzerin des Ladens – eine rätselhafte ältere Dame – scheint nicht nur ein Faible für Kräuterkunde, sondern weiß auch mehr, als sie vorgibt. Plötzlich findet sich Mack zwischen den Fronten des Ministeriums für Magie, den Fae und der Bruderschaft wieder. Und sie muss sich entscheiden: Bleibt sie in Deckung oder stellt sie sich Corrigan – mit seinen faszinierend grünen Augen – entgegen.

Erstes Kapitel

Ich hatte schon geahnt, dass es geschehen würde. Der Zugang zum kleinen Keller war schmal und beengt, und um ans nächste Fass zu kommen, musste ich mich umständlich vorbeugen und es am oberen Rand packen. Mit einer Hand schlug ich rückwärts aus, um die zudringlichen Finger zu erwischen, die glaubten, mich in den Hintern zu kneifen sei schon okay, ließ dabei aber nur den Bierkrug fallen, der mir prompt auf den Fuß knallte.

Mit einem Schmerzensschrei sprang ich zurück und prallte gegen den Angreifer. Der stieß ein erstauntes »Oooh« aus und taumelte nach hinten, während ich auf dem anderen Fuß herumfuhr, ihn am schmuddeligen Hemdkragen packte und an die Wand drängte. Es war Derek, ein Stammgast.

»Was, zum Teufel, hast du vor?« Mit der rechten Hand quetschte ich seine Finger und hielt mit der Linken weiter sein Hemd fest.

Er atmete aus, und Biergeruch schlug mir entgegen. Angewidert wandte ich den Kopf zur Seite und griff noch fester zu.

»Mensch, Schätzchen, mach dich locker«, keuchte er.

Die Hitze in mir nahm zu. Mich zu betatschen war eine Sache, aber mich Schätzchen zu nennen war etwas ganz anderes. »Ich soll mich lockermachen, ja? Dann pass mal gut auf, Schätzchen.« Ich riss ihm das halbvolle Whiskeyglas aus der verschwitzten Pfote, goss es ihm über den Kopf und schleuderte es zu Boden, wo es in tausend Stücke zersprang. Derek entwand sich mir, kam von der Mauer frei und fuhr sich mit den Händen durch Haar und Gesicht, um sich den Schnaps abzuwischen.

Dann schlug er nach mir, doch es gelang mir trotz des engen Kellers, rechtzeitig aus seiner Reichweite zu springen.

»Verdammte Schlampe.«

Ich lächelte. Schlampe war mir entschieden lieber als Schätzchen. Unterdessen wandte Derek sich mir mit erhobener Faust zu. Mit in die Hüften gestemmten Händen und hochgezogenen Brauen sah ich ihn herausfordernd an. Das konnte heiter werden.

»Was geht hier vor?«, fragte eine ruhige Stimme mit stählernem Unterton und durchkreuzte meine Pläne.

»Der Dreckskerl hält mich für Freiwild. Ich wollte ihm diese Einstellung gerade abgewöhnen.« Ich sah Arnie an, der mich betrübt anblickte.

Er warf Derek ein Geschirrtuch zu und forderte mich mit einer Handbewegung auf, von ihm Abstand zu halten. »Na, hör mal, Arnie, er hat angefangen! Ich habe nichts …«

»Schluss jetzt.« Sanft schob er Derek nach draußen und zurück an die Theke und schloss die Kellertür, sodass wir allein waren. Der Bierkrug war uns im Weg, doch er trat ihn beiseite und musterte mich im schwachen Licht. »Das darfst du nicht, Jane.«

»Was darf ich nicht? Mich verteidigen?« Mir wurde mit jeder Sekunde heißer.

»Unsere besten Gäste darfst du nicht angreifen«, erwiderte er ruhig.

»Angreifen? Aber er …« Ich wollte widersprechen, doch Arnie legte einen Zeigefinger an die Lippen, und ich verstummte und funkelte ihn nur wütend an.

»Du arbeitest hier als Barfrau. Das gehört zu deinem Job – widerwärtigerweise zwar, aber du solltest inzwischen wissen, wie du mit solchen Situationen umzugehen hast. Darum muss ich dich jetzt leider entlassen.«

Einen Moment lang war ich wie vor den Kopf geschlagen. Ich hatte nichts getan – oder so gut wie nichts. Ich wollte etwas sagen, brachte aber kein Wort hervor.

»Tut mir leid, Jane. Wenn du dein Temperament nicht im Griff hast, kann ich dich nicht beschäftigen. Ich zahle dir noch den Wochenlohn aus, aber du musst gehen. Und zwar sofort.«

Unvermittelt zog es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich brauchte diesen Job. Ohne Papiere und Empfehlungen hatte es ewig gedauert, jemanden zu finden, der mich für sich arbeiten ließ, wenn auch nur in dieser Kaschemme. Also ruderte ich zurück. »Arnie, tut mir leid, mir sind gerade die Gäule durchgegangen. Ich geh mich bei ihm entschuldigen. Ich lass mich sogar ein bisschen von ihm befummeln, falls das hilft. Du darfst mich nicht rausschmeißen – ich brauche diesen Job.«

Er schüttelte traurig den Kopf und verließ den Keller. Ich setzte mich auf das umgeworfene Fass, massierte den geschwollenen Fuß und kämpfte mit den Tränen. Wie ein Pferd hatte ich für diesen Mistkerl geackert, zu nachtschlafender Zeit und zum Mindestlohn. Als Zulage hatte es nur Betatschen gegeben. Das war nicht fair! Ich hatte das Recht, mich gegen solche Übergriffe zu verteidigen! Wütend trat ich nach dem Fass, das dumpf gegen die Wand schlug, bevor es knirschend über die Glasscherben zurückgerollt kam. Ich richtete es auf, schnitt mich dabei aber an einer Scherbe, und ein kurzer Schmerz durchfuhr mich. Dieses Pack, Derek ebenso wie Arnie und Anton und … Ich zog den Glassplitter aus meinem Fleisch und sah zu, wie ein Tropfen eisenhaltigen Bluts über meine Hand lief und zu Boden fiel. Nur wegen dieses Bluts saß ich überhaupt hier in Schottlands tiefster Provinz. Ich legte den Fingerknöchel an den Mund, saugte die Wunde aus und ließ zu, dass die Hitze mich für einen Moment ganz erfüllte und meine eher vernünftigen Gedanken völlig verdrängte.

Nach ein, zwei Minuten straffte ich schniefend die Schultern. Ich hatte Schlimmeres erlebt. Wenn ich Johns Tod überstanden hatte und den Rauswurf aus meinem Zuhause durch einen gemeingefährlichen WerBären, wenn ich es geschafft hatte, mit dem so wandlungsfreudigen wie beängstigenden Oberhaupt der Bruderschaft unter einem Dach zu wohnen, würde ich auch über den Verlust dieses lausigen Jobs hinwegkommen. Ich setzte meinen in Scherben zersplitterten Stolz wieder zusammen und wappnete mich für das, was da kommen würde.

Dann humpelte ich aus der Kellertür. Derek betrachtete mich triumphierend und hatte ein höhnisches Grinsen im pockennarbigen Gesicht. Ich warf ihm meinen finstersten Blick zu und stellte befriedigt fest, dass er sich noch immer mit dem Geschirrtuch den Nacken wischte. Die anderen Kneipengäste musterten mich in verschüchterter Wortlosigkeit und schauten weg, sobald ich herausfordernd zurückstarrte. Unvermittelt meldete sich die Musikbox und spielte ganz unpassend Shania Twains Man! I Feel Like a Woman. Mit knapper Not verkniff ich mir, die Augen zu verdrehen. Schweigend gab Arnie mir einen braunen Umschlag, hob dabei die Brauen und seufzte schwer und melodramatisch über die Ungerechtigkeit der Welt. Ich langte hinter die Theke, nahm meine Tasche und verließ das Lokal.

Meine kurze Anwandlung von Wagemut verließ mich, als ich auf die Straße trat und mich die kalte Nachtluft umfing. Ich wusste wirklich nicht, was ich tun sollte. Langsam trottete ich zu meinem kleinen möblierten Zimmer und erwog dabei meine Optionen. Ich konnte in Inverness bleiben und versuchen, Arbeit an einem der wenigen Orte zu finden, wo ich noch nicht danach gefragt hatte. Das nächste Rudel lebte in Aberdeen, und obwohl mein Ego nicht groß genug war, um anzunehmen, alle Gestaltwandler im ganzen Land hätten nichts Besseres zu tun, als eine Abtrünnige ihrer Zunft aufzustöbern, wollte ich mich doch möglichst fern von ihnen allen halten. Dann aber blieben mir nur wenige Orte, an die ich gehen konnte. Ich schob die Hände der Kälte wegen tief in die Taschen, zog die Schultern hoch und suchte in mir nach einem Funken, an dem ich mein Inneres wärmen konnte, doch da war nichts. Das ganze Drachenblut war einfach zu nichts nutze, solange es völlig unbeherrschbar war und mir immer dann fehlte, wenn ich es brauchte.

An einer Ampel blieb ich stehen, um die Fahrbahn zu queren, und merkte, dass mich von gegenüber eine schwarze Gestalt fixierte. Sie trug altmodischerweise Filzhut und Umhang, aber ihre Züge waren im Dunkeln nicht zu erkennen. Mir war nicht nach Spaß und Spiel zumute. Also straffte ich die Schultern, trat von der Bordsteinkante, um sie zur Rede zu stellen, und wäre fast von einem Lastwagen überfahren worden, der mit Affenzahn über die ruhige Straße donnerte. Der Fahrer drückte die Hupe, und ich fuhr erschrocken zusammen, zeigte ihm den Stinkefinger und wandte mich wieder der dunklen Gestalt gegenüber zu. Doch da war niemand mehr. Großes Unbehagen ergriff mich, und ich eilte nach Hause.

In der bescheidenen Gemütlichkeit meines kleinen Zimmers ließ ich mich auf mein Schlafsofa fallen und rieb mir die Augen. Es sah nicht gut aus. Die Morgenzeitung lag ungelesen da, und so nahm ich sie und schlug den Anzeigenteil auf. Arbeit wurde kaum angeboten. Ich fuhr mit dem Finger die Spalte hinab. Ein Bürogehilfe wurde gesucht: bloß keinen Papierkram erledigen müssen; dann ein Zimmermädchen für eine große Hotelkette: Dort wollten sie bestimmt Dinge über mich wissen, die ich nicht preisgeben konnte; dann gab es noch ein paar knallharte Knochenjobs, und das war es auch schon. Morgen würde ich in diverse Geschäfte hineinschneien, um auf diese Art einen Job aufzutun. Ich schaltete den Wasserkocher ein, um mir einen starken Instantkaffee zu brühen, nahm meinen ramponierten Laptop, der mich weit mehr gekostet hatte, als ich mir leisten konnte, schaltete das Gerät ein, begab mich sofort ins Andernetz und verfluchte meine Schwäche.

Als ich noch zum Rudel von Cornwall gehört hatte, gab es für mich fast nie einen Grund, mich mit dem Andernetz – dem Gegenstück des Internets in der übersinnlichen Welt – zu befassen, aber nun, als Ausgestoßene brachte ich es kaum fertig, mich dort nicht einzuloggen. Täglich ertappte ich mich dabei, von Seite zu Seite zu klicken, um mich zu vergewissern, dass in Cornwall alles in Ordnung war, und um irgendwo auf Nachrichten zu stoßen, die mir verrieten, wie es Tom und Betsy nun, da sie in die Reihen der Bruderschaft eingetreten waren, erging. Und natürlich suchte ich ab und an auch nach Tratsch über Corrigan. Ich redete mir ein, das täte ich nur zum Selbstschutz. Als wir das letzte Mal mental kommuniziert hatten, hatte er mir schließlich geschworen, er werde mich aufstöbern; darum war es wichtig, stets zu wissen, wo er sich befand. Nur für den Fall, dass er gerade in der Nähe war und ich mich vor ihm verstecken musste natürlich. Ich tummelte mich einige Zeit im Netz, entdeckte aber nichts Neues. Das Ministerium der Magier war auf Tauchstation gegangen, um die vielen Anträge zu bewältigen, die eingingen, seit das Bewerbungsverfahren erneut eröffnet worden war, und offenbar gab es in Wales Ärger mit Kobolden, die sich immer wieder Schafe unter den Nagel rissen. Von der Bruderschaft entdeckte ich nur ein altes Foto, das einige Mitglieder auf einer Art Gestaltwandlerball zeigte, und dieses Bild hatte ich schon zigmal gesehen. Auch Corrigan war darauf, in einem Smoking, der so aussah, als sei er ihm auf den muskulösen Leib gesprayt worden. Am Arm hatte er eine durchtrainierte Braunhaarige, und wie immer lauerte Staines im Hintergrund. Von Tom oder Betsy dagegen fand sich auf der Aufnahme keine Spur.

Ich widerstand dem Impuls, auf den Link zu klicken, der mich auf die Website meines Rudels geführt hätte. Beim letzten Mal hatte mich ein Foto von mir angestarrt – und darunter die Aufforderung, wer diese Person gesehen habe, möge bitte bei der angegebenen Londoner Nummer anrufen. Es war nicht mal eine sonderlich gute Aufnahme gewesen; tatsächlich war sie in unserem Saal entstanden, nachdem John und ich ein besonders schurkiges Spriggan zur Strecke gebracht hatten, das zwei Kinder aus dem Dorf hatte stehlen wollen. Es war eine lange Jagd gewesen, und ich sah zerzaust und ramponiert aus. Das Foto selbst war beschnitten, um John nicht zu zeigen, aber bei genauerem Hinsehen war seine Hand auf meiner Schulter zu erkennen. Allein das bereitete mir Qualen.

Dass mir mein ehemaliges Rudel weiter am Herzen lag, ärgerte mich, und ich schloss den Laptop energisch und streckte mich auf dem Sofa aus, den Kaffeebecher neben mir am Boden. Zwar hatten mir die Einschränkungen manchmal missfallen, die mit der Mitgliedschaft im Rudel verbunden gewesen waren, und sicher hatte ich mich oft nach mehr Unabhängigkeit gesehnt, aber inzwischen fühlte ich mich einfach nur allein. Das Rudel war meine Familie gewesen. Ich wäre gestorben, damit es in Sicherheit leben konnte, und mir war klar, dass die meisten im Rudel das Gleiche für mich getan hätten. Nun aber hatte ich niemanden.

Zweites Kapitel

Der nächste Morgen schien ungewöhnlich früh heraufzudämmern. Ich hatte mich schlaflos im Bett gewälzt vor Sorge, was ich tun sollte. Gegen drei Uhr hatte ich entschieden, mir zwei Tage zu geben, um in Inverness Arbeit zu finden, und ansonsten anderswohin zu reisen. Vielleicht konnte ich in eine größere Stadt wie Birmingham gehen und mich in der Anonymität verlieren. Bestimmt gab es auch dort ein Rudel, doch ich war zuversichtlich, seinen Mitgliedern angesichts der vielen Menschen aus dem Weg gehen zu können. Wo mehr Menschen lebten, gab es sicher auch mehr Arbeit. Vielleicht konnte ich sogar ein paar Freunde finden und versuchsweise Wurzeln schlagen. Das Nomadenleben der letzten Zeit ging mir langsam auf die Nerven.

Nach einer kalten Dusche im Etagenbad meiner Unterkunft zog ich meine präsentabelsten Sachen an und verließ das Haus. Ohne Versicherungsnummer konnte ich die Arbeitsagentur knicken, aber in den Zeitungsläden hingen womöglich Zettel am Schwarzen Brett, auf denen Leute für Hilfstätigkeiten gesucht wurden. Zunächst aber würde ich in den Souvenirläden der belebten Victorian Arcade nachfragen, und so machte ich mich mit neuem Selbstvertrauen hoffnungsfroh auf den Weg.

In den ersten Geschäften, in denen ich es versuchte, begegnete man mir höflich, aber entschieden. Die Saison war vorbei, und sie brauchten niemanden, erst recht niemanden, der einfach reingeschneit kam. Um nicht den Mut zu verlieren – denn eine mürrische Kuh würde erst recht kein Mensch beschäftigen –, betrat ich die Buchhandlung Clava.

Im Gegensatz zu den übrigen Geschäften war der Laden schmuddelig und wirkte, als habe er schon weit bessere Tage gesehen. Beim Eintreten klingelte die Türglocke, und eine gedämpfte Stimme rief von hinten: »Komme gleich!« Ich nutzte die Zeit, um das Angebot zu überfliegen. Auf dem unebenen Holzboden standen überall Bücherstapel, von denen ich einen beinahe umgetreten hätte und gerade noch rechtzeitig zurückzuckte, um sein Umstürzen zu verhindern. Sonderlich organisiert schien hier nichts zu sein, und ich fragte mich, ob sich mit alten Büchern, die einen arg ramponierten Eindruck machten, überhaupt Geld verdienen ließ.

In den Regalen standen eine Menge gälischer Bücher, die teils unfassbar verstaubt waren. Außerdem befanden sich dort ein paar gängige Bildbände mit Fotos aus den schottischen Highlands. Ich nahm einen, blätterte ihn durch und blieb bei den Seiten hängen, auf denen die Clava Cairns zu sehen waren, die viertausend Jahre alten Grabanlagen. Keine Frage – sie waren der Namenspatron dieses Ladens. Eine Buchhandlung nach einem Friedhof zu benennen erschien mir unheimlich. Doch es gab ein wunderschönes doppelseitiges Nachtfoto, auf dem mehrere Leute Fackeln in die Höhe hielten und auf einige aufgetürmte Steinhaufen schauten. Druiden feiern die Wintersonnenwende mit einer Willkommenszeremonie, stand als Erläuterung darunter. Als ich das las, dämmerte mir etwas. Doch ehe mir Näheres klar werden konnte, riss mich lautes Klappern aus dem Hinterzimmer aus meinen Gedanken.

Schließlich trat eine ältere Frau mit ergrauendem, säuberlich zu einem Dutt gebundenem Haar aus einer dunklen Holztür. »Aha!«, sagte sie freundlich, »Sie interessieren sich für die Cairns?«

Vorsichtig schloss ich das Buch und stellte es zurück ins Regal. »Natürlich.« Um hier Arbeit zu bekommen, musste ich so tun, als faszinierte mich alles im Laden.

Allerdings gelang es mir offenbar nicht, sonderlich interessiert zu wirken, denn sie musterte mich etwas skeptisch. »Waren Sie schon mal bei den Cairns?«

»Äh, nein«, gab ich zu. »Aber sie stehen weit oben auf der Liste der Dinge, die ich mir vorgenommen habe«, setzte ich rasch und mit hoffnungsfrohem Lächeln hinzu.

»Dann suchen Sie also Arbeit?«

Ich erschrak. Woher wusste sie das?

»Es steht dir ins Gesicht geschrieben, Herzchen. Ach, entschuldige, du magst ja nicht Herzchen genannt werden.«

Gut, jetzt war ich kurz vorm Ausflippen. Waren meine Gedanken wirklich so offenkundig?

Die alte Dame lächelte milde und tätschelte meine Hand. »Ich bin Mrs Alcoon«, sagte sie freundlich.

Trotz ihrer Förmlichkeit erwiderte ich unwillkürlich ihr Lächeln. »Äh … Ich bin Jane. Jane Smith.« Unter diesem Nachnamen trat ich in Inverness auf; Smith war ein so verbreiteter Name, dass er keinen Argwohn erregte. Meinen Vornamen Mackenzie indessen zu verwenden hätte gewiss Probleme bedeutet, und so blieb ich bei dem farblosen Namen Jane, den ich mir für die Arbeit in Arnies Kneipe gegeben hatte.

Mrs Alcoon hob kurz ihre weißen Brauen und raunte dann: »Wirklich? Jane? Seltsam, wie eine Jane siehst du gar nicht aus.«

Ich hüstelte, räusperte mich und riss mich zusammen, um wenigstens einigermaßen selbstbewusst zu wirken, obwohl mich das Vorauswissen der älteren Frau ziemlich beunruhigte. »Was soll ich sagen? Meinen Eltern fehlte einfach die Fantasie.« Mir fiel auf, dass ich ziemlich beleidigt gewesen wäre, hätte ich tatsächlich Jane geheißen.

Mrs Alcoon zuckte kurz die Schultern, als wollte sie das Thema abschließen. »Nun, Jane, du kommst gerade recht – ich brauche tatsächlich Unterstützung. Zwar habe ich keine Vollzeitstelle für dich, aber eine helfende Hand hier und da ist mir auf jeden Fall willkommen. Vielleicht an drei, vier Vormittagen in der Woche? Zum Putzen des Ladens, für den Verkauf und für Botengänge?«

Das lief deutlich besser als erwartet. »Ich … äh … ja.« Einmal mehr räusperte ich mich. »Ja, gern.«

Wieder lächelte sie mich an. »Dann sollten wir bei einem Heißgetränk über dein Gehalt sprechen.«

Sie führte mich in eine kleine, an den Verkaufsraum angrenzende Küche. Die Kacheln dort waren rissig und schlecht glasiert, doch es gab einen kleinen Kühlschrank, ein paar Regale mit Geschirr, einen Wasserkessel und einen Toaster. Viel mehr braucht man wohl auch nicht, um über die Runden zu kommen. Zudem stand dort ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, und ich setzte mich auf einen davon. Noch immer war ich ziemlich baff darüber, wie prima meine Arbeitssuche lief, und rechnete fast damit, dass die alte Mrs Alcoon plötzlich in Lachen ausbrechen und mir sagen würde, sie habe mir nur einen Streich gespielt. Doch sie stellte den Kessel auf den Herd, nahm zwei angestoßene Tassen und eine Kanne und summte dabei melodielos vor sich hin. Dann wandte sie mir den Rücken zu und holte einiges aus den Regalen.

Kaum hatte das Wasser gekocht, goss sie die kleine Kanne voll und brachte sie mit erstaunlich wohlschmeckenden Haferkeksen an den Tisch. Was sie einschenkte, war leider nicht der erwartete Kaffee, sondern ein starker Kräutertee, der mir Tränen in die Augen treten und meine Zunge brennen ließ. Doch aus Höflichkeit trank ich das Gebräu; Julia hatte mich gut erzogen. Es stellte sich heraus, dass Mrs Alcoon schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht hatte, jemanden einzustellen, der ihr im Laden behilflich sein konnte. Ich überlegte, ob sie mit der Buchhandlung überhaupt etwas verdiente, da seit meinem Eintreten nicht ein Kunde ins Geschäft gekommen war, doch weil ich hier arbeiten wollte, verzichtete ich darauf, meine Frage auszusprechen. Sie brauchte an vier Vormittagen Hilfe, und ich versprach, den Laden auch »etwas aufzuhübschen«, wie sie sich ausdrückte. Wir einigten uns auf fürstliche einhundertzwanzig Pfund Lohn pro Woche, was kaum weniger war als das, was Arnie mir in seiner Kneipe gezahlt hatte, und reichen würde, meine Hauptkosten zu decken, obwohl ich leider weiter sehr knausern musste; außerdem wies sie mich an, gleich mit dem Reinigen der Regale zu beginnen.

Der restliche Vormittag verging rasch. Obwohl kein Kunde den kleinen Laden betrat, hielt mich vieles auf Trab. Tatsächlich war es eine sehr befriedigende Arbeit. Jede Menge Staub hatte sich in den Ecken und Ritzen gesammelt, und obwohl die vielen Bücher oft so alt und ramponiert wirkten wie das ganze Gebäude, erregten sie doch meist mein Interesse. Zum Mangel an Laufkundschaft passte, dass es praktisch keine schillernden Bestseller gab, um Leute in den Laden zu locken. Mrs Alcoon war derweil in einem kleinen Hinterzimmer verschwunden, aus dem mitunter das Klirren und Klappern von Gegenständen drang. Das spontane Vertrauen, das sie mir entgegengebracht hatte, war beruhigend.

Um vierzehn Uhr hatte ich den schlimmsten Staub beseitigt, und nur noch wenige Partikel schwebten in der schwachen Wintersonne.

»Donnerwetter, das hast du großartig gemacht«, rief sie aus, als sie aus dem Hinterzimmer kam. »Nächstes Mal muss ich dir mehr zu tun geben.«

Kurz überkam mich Sorge, die alte Dame brauche mich überhaupt nicht und beschäftige mich nur aus Mitleid. Dann aber überlegte ich, ob ich es mir leisten konnte, mich daran zu stören, und beschloss, einfach die Großherzigkeit anzunehmen, mit der sie mir begegnete.

»Aber das ist großartig«, fuhr sie fort, »denn morgen früh muss ich einige Besorgungen machen. Du kannst ja dann als Verkäuferin einspringen, damit ich den Laden nicht schließen muss.« Sie lächelte mich ohne jede Ironie an. »Das wäre schlecht fürs Geschäft.«

Las sie wieder meine Gedanken und spürte sie meine Sorge, dass sie mich nur aus Mitleid beschäftigte, oder war das alles bloßer Zufall? Ich lächelte halbherzig zurück und spürte ein nervöses Aufflackern meines Blutfeuers im Bauch.

»Woher kommst du eigentlich, Jane?«, fragte sie, wirkte dabei aber ziemlich desinteressiert.

Ich verspannte mich noch etwas mehr. Wozu musste sie das alles wissen? Ich versuchte, mir meine Gedanken nicht anmerken zu lassen. »Ach, ich war schon überall«, erwiderte ich leichthin. Jedenfalls hoffte ich, dass es unbeschwert klang und nicht so knurrig, wie ich ihr gern geantwortet hätte.

»Oh, eine Vagabundin! Ich hatte mich schon gefragt, ob dein feuerrotes Haar auf eine schottische Herkunft deutet. Aber dein Akzent passt nicht zu dieser Region.«

Wieder lächelte ich matt und sah zu, wie sie ein paar Unterlagen über ihre Brille hinweg betrachtete, sie etwas anders ordnete und schließlich wieder auf den Verkaufstresen warf. Ihre Hände verrieten ihr Alter, denn weiße, papierdünne Haut bedeckte die blauen, deutlich sichtbaren Adern. Sie in einem Kampf zu besiegen dürfte ein Leichtes sein, doch mir war klar, dass das Aussehen trügerisch sein konnte. Mit Leichtigkeit hatte ich die muskulösesten Gestaltwandler in meinem Rudel besiegt, und doch hätte mich in der gleichen Woche beinahe ein harmlos wirkender Kobold erdrosselt. Auch bei Mrs Alcoon musste ich vorsichtig sein.

Ihre Augen indessen zeugten allein von Freundlichkeit, als sie nun weitersprach. »Ich dagegen bin ein Standvogel. Natürlich mag ich die Vorstellung, zu reisen und die Welt zu sehen, aber eigentlich bleibe ich am liebsten zu Hause. Um ehrlich zu sein: Ich habe mein ganzes Leben hier in Inverness verbracht.« Plötzlich sah sie besorgt drein. »Du hast doch ein Dach überm Kopf?«

»Oh, äh, ja, am anderen Ende der Stadt. Es ist sehr, äh, gemütlich dort.«

»Mmmh«, erwiderte sie. »Dann ist gut. Bist du hier ganz allein? Ohne Angehörige?«

Das Feuer in meinem Bauch flackerte noch ein wenig höher. »Ja, ohne Angehörige. Die sind alle …« Ich hielt kurz inne und versuchte, mich zu sammeln, gab es dann aber auf. Seit meiner Abreise aus Cornwall hatte mich niemand nach meinem Hintergrund gefragt, daher war ich unvorbereitet. »Ich möchte nicht darüber reden. Das ist alles etwas kompliziert.«

Sie schürzte die Lippen und wiegte den Kopf. »Tja, mit den Angehörigen ist es kompliziert.«

»Und Sie?«

Sie schüttelte sich. »Ja, mein Herz?«

»Wie steht es mit Ihrer Familie? Sind Sie verheiratet?«

»Ach, mein Mann ist vor Jahren gestorben.« Sie legte die Hand kurz an ihre Kehle, und ich bereute, danach gefragt zu haben, hatte ihre Aufmerksamkeit aber von mir ablenken müssen. »Nachwuchs haben wir auch keinen. Natürlich hätte ich gern Kinder gehabt – welcher Frau geht es anders? Aber es sollte nicht sein.«

Ihre schwermütige Miene hielt mich davon ab, mit allem Nachdruck festzustellen, dass es viele Frauen gab, die keine schreienden Kinder um sich herum haben wollten. Immerhin war nun klar, dass mir hier keine Gefahr drohte. Ich war bloß nervös. Wahrscheinlich hatte sie einfach nur ein sehr gutes Gespür für Menschen. Wahrscheinlich.

Darüber dachte ich während des ganzen Heimwegs nach, den ich nur unterbrach, um ein paar Brötchen und etwas Käse im Genossenschaftsladen zu kaufen. Kurz erwog ich, ein herrlich aussehendes Chutney aus Quitten und Limonen zu erstehen, doch es war mir einfach zu teuer, obwohl ich zu erstaunlich guten Konditionen Arbeit gefunden hatte. Nachdem ich meinen quälend bescheidenen Einkauf hinter mich gebracht hatte, kam ich zu dem Schluss, dass ich viel zu viel in die Bemerkungen der alten Dame hineininterpretierte. Schließlich war ich wirklich nicht dafür bekannt, mir meine Empfindungen nicht ansehen zu lassen. Paragraf 49 besagte, Gestaltwandler sollten in der Öffentlichkeit keine Leidenschaften zeigen. Dieses Gebot einzuhalten war mir immer schwergefallen.

Kaum hatte ich mein kleines Loch erreicht, nahm ich den einzigen Teller aus einer Lade neben der Edelstahlspüle und halbierte die Brötchen mit den Fingern. Das stumpfe Messer, mit dem ich den Käse schnitt, war ziemlich ungeeignet, erfüllte aber seinen Zweck, und bald mampfte ich froh und lehnte mich dabei an die Wand, an der das Bett stand. Kurz fasste ich den Laptop in der Zimmerecke ins Auge, beschloss aber, es sei Zeit für einen Neuanfang. Ich war nicht länger ein Teil jener Welt und sollte endlich aufhören, so zu denken, als gehörte ich noch immer dazu. Die Drako Wyre, Corrigan und die ganze übrige Anderwelt konnten mir den Buckel runterrutschen.

Drittes Kapitel

Kaum hatte ich tags darauf die Buchhandlung betreten, brach Mrs Alcoon zu ihren rätselhaften Besorgungen auf. Noch immer staunte ich etwas darüber, wie vollständig sie einer gänzlich Fremden vertraute, hatte aber den festen Vorsatz, ihre Erwartungen zu erfüllen. Ich ließ den Blick durch den Laden schweifen und überlegte, wo ich anfangen sollte. Eine Ordnung der Bücher vermochte ich kaum auszumachen, aber der alten Dame gefiele es vielleicht nicht, wenn ich die Bestände allzu energisch umgruppierte. Zunächst, dachte ich, könnte ich den Fußboden putzen, müsste dazu allerdings die Bücherstapel verrücken, was sicher alle Kunden abschreckte, die vielleicht doch plötzlich auftauchten. Ich warf einen skeptischen Blick zur Ladentür; es sah wirklich nicht danach aus, als würde irgendwer reinkommen, aber womöglich war gestern nur ein schlechter Tag gewesen. Wenn ich stattdessen die Schaufenster reinigte, wirkte das Geschäft vielleicht einladender.

Unter der Kasse entdeckte ich alte Zeitungen, und im Kühlschrank in der Küche lag eine verschrumpelte Zitrone – damit machte ich mich an die Arbeit. Glas allerdings war nie meine Stärke gewesen, und rasch hatte ich den Eindruck, alles nur schlimmer zu machen, indem ich den Schmutz gleichmäßig auf einer großen Fläche verteilte. Hmmm. Ich hielt inne und betrachtete meine Bemühungen. »Das lässt sich besser machen, Mack«, sagte ich leise zu mir. Vielleicht sollte ich keine Zitrone benutzen, sondern besser Essig?

Unvermittelt drückte sich eine behandschuhte Rechte an die Schaufensterscheibe. Erschrocken sprang ich auf und warf dabei einen Stapel Bücher um.

»Mist!« Ich spähte durch die schmutzige Scheibe, um zu sehen, wer mich bei der Arbeit unterbrochen hatte. Doch der Übeltäter war schon weitergegangen. Eine Frau betrat das Café gegenüber, und an der Ecke beugten sich zwei Teenager über ein Smartphone, doch beide trugen keine Handschuhe; ansonsten war die Straße leer. Wahrscheinlich war das bloß ein Passant, überlegte ich. Mein Ungeschick verfluchend, machte ich mich daran, den umgekippten Bücherstapel wieder aufzurichten.

Bald sah er fast aus wie zuvor, doch dann griff ich nach dem drittletzten Buch. Es ähnelte den anderen, besaß also einen rissigen Ledereinband mit verblasster Goldprägung in den Ecken, doch als ich es aufhob, fühlte es sich seltsam anders an. Da war kein Surren oder Summen, auch kein Vibrieren, doch meine Finger kribbelten, und ehe ich begriff, was ich tat, hatte ich das Buch schon aufgeschlagen und blätterte darin.

Auf der ersten Seite befand sich eine wunderschöne Illustration mit leuchtenden Farben, die das Alter des Bands Lügen straften. Die Darstellung zeigte eine hügelige Landschaft und einen türkisblauen Fluss. Im Hintergrund waren die schwachen Umrisse einer bemalten Steinplastik zu erkennen, und im Vordergrund stand ein Granatapfelbaum. Vorsichtig blätterte ich um, damit das alte Papier nicht zu sehr beansprucht wurde, ließ im nächsten Moment aber alle Behutsamkeit und obendrein das Buch fahren, als hätte es mich verbrannt. Denn das nächste Blatt, also die Titelseite, war nicht auf Englisch geschrieben, sondern es prangte nur eine Rune darauf – eine Rune aus der Sprache der Feen und Elfen.

Unvermittelt hämmerte mein Herz. Ein Feenbuch? Hier? Tief im ländlichen Schottland? Ich starrte den Band an, der nun am anderen Ende des Ladens lag. Zugleich mühte ich mich, einen klaren Gedanken zu fassen. Nicht ausgeschlossen, dass das Buch zufällig hier gelandet war. Schließlich handelte es sich um eine Buchhandlung, in der sich viele alte und uralte Wälzer befanden. Und dass mir dieser Band in Schottlands Norden begegnete, war auch nicht sonderlich ungewöhnlich: Aufgrund der keltischen Verbindungen war vielmehr damit zu rechnen, dass sich hier Feengeschöpfe herumdrückten. Ich schluckte schwer und gab mir alle Mühe, das Feuer in mir nicht noch stärker aufflackern zu lassen und den unwillkommenen Gedanken zu verdrängen, dass Julia und die anderen vermutlich noch wohlauf wären, wenn ich nicht in Cornwall in einem magischen Bannkreis der Feen festgesessen hätte, während mein Heim von Iabartus Schergen angegriffen worden war. Dann wäre Anton nicht zum Rudelführer aufgestiegen, ich wäre noch immer dort und …

Genug. Ich dämpfte die Flammen und betrachtete das Buch argwöhnisch, als könnte es mich angreifen. Ob Mrs Alcoon wusste, worum es sich dabei handelte? Ob ihr klar war, dass es sich in ihrem Laden befand? Seltsam, wie sie meine Gedanken hatte lesen können. Vielleicht war das mehr als die unheimliche Weisheit eines Menschen gewesen, der zu erkennen vermochte, was andere dachten. Vielleicht war sie ja …

»Eine Hexe?«, fragte eine sanfte Stimme von oben. »Oder etwas Schlimmeres?«

Dieser Kniff, meine Gedanken zu lesen, wird allmählich lästig, dachte ich kurz, doch dann setzte mein Instinkt ein, und ich sprang auf. Meine Dolche band ich mir seit einiger Zeit nicht mehr an die Unterarme – das wäre schwer zu erklären gewesen in einer Kneipe, in der ich in weißem T-Shirt arbeiten musste. Aber vollkommen selbstgefällig oder dumm war ich natürlich nicht, und so steckte ich mir das Haar jeden Morgen mit spitzen Silbernadeln am Hinterkopf zusammen. Nun zog ich sie mir mit einer schnellen Handbewegung aus dem Schopf und war drauf und dran, sie in Richtung der Stimme zu stoßen. Die Türglocke des Ladens hatte nicht geläutet – wer auch immer zugegen war, hatte die Buchhandlung also nicht auf konventionellem Weg betreten, und dieser Umstand bereitete mir Gänsehaut. Ich hatte es zweifellos mit einem Wesen der Anderwelt zu tun. Und dieses Wesen trug Umhang und einen Filzhut, der den Großteil seines Gesichts verdeckte, sodass ich nur ein dunkles, unbehaartes Kinn erkannte. Genau dieses Wesen hatte mich an dem Tag, an dem Arnie mich rausgeworfen hatte, von der anderen Straßenseite aus beobachtet. Und war mir nachgeschlichen. Das Blutfeuer, das ich eben noch bezähmt hatte, flammte mächtig in mir auf und leckte an Magen, Brust und Kehle.

»Wow«, stellte die plötzlich eindeutig männliche Stimme ohne jede Nervosität fest, »komm besser wieder runter, Red.«

Kaum hatte ich meinen alten Spitznamen gehört, rauschte das Blut wütend in meinen Ohren, und ich holte unvermittelt aus. Die Gestalt wich blitzschnell und mühelos nach hinten aus, und mein zorniger Schlag ging ins Leere.

»Bist du eingerostet, seit du dein Rudel verlassen hast?«

Mein Spitzname war also kein Zufall gewesen. Aber mein Gegenüber kannte ich nicht von früher. Also handelte es sich um jemand weit Gefährlicheren. Mir schwante, dass er sich aus dem gleichen Grund in diesen Laden begeben hatte, aus dem die Halbgöttin Iabartu fast alle getötet oder verstümmelt hatte, die mir nahestanden: weil ich Spuren von Drachenblut in den Adern trug. Aber diesmal, Freundchen, wirst du scheitern.

Wieder attackierte ich und schwang diesmal im letzten Moment auf dem Fußballen herum, um die verletzlichere Flanke zu treffen, doch zu meiner Erbitterung wich er mir erneut mit einer Bewegung aus, auf die ein Ninjakämpfer stolz gewesen wäre.

»Nach allem, was ich über dich gehört habe, ist dein Auftritt reichlich enttäuschend. Ich hatte eine …« – er hielt inne – »… eindrucksvollere Vorstellung erwartet.«

Ich knurrte, griff aber nicht erneut an, sondern rang darum, meine Gedanken zu ordnen und mich zu fokussieren. Konzentrier dich aufs Feuer, allein aufs Feuer! Ich würde der Versuchung nicht nachgeben, dem Drachen in mir die Zügel schießen zu lassen, sondern musste möglichst menschlich bleiben, sonst würde ich dem begegnen, was ich innerlich tatsächlich war, und darauf war ich noch nicht vorbereitet. Letztes Jahr mit Iabartu war es fast so weit gewesen, und ich hatte kein Interesse, diesen Weg wieder zu beschreiten. Auch wenn das hieß, das anderweltliche Ding vor mir nicht besiegen zu können.

Konzentrier dich aufs Feuer. Immer wieder sagte ich mir dieses Mantra innerlich vor, um mich zusammenzureißen, mein Blut zu kühlen und Raum zum Nachdenken zu gewinnen. Schließlich wurden die Flammen kleiner, obwohl meine Hitze nicht nachließ.

»Na bitte«, gurrte er leise.

Sein herablassender Ton sträubte mir die Nackenhaare, und beinahe hätte ich meine gefährdete Beherrschung doch verloren. Ich zwang mich, tief Luft zu holen, und machte mir klar, dass mir die Kontrolle über die Situation endgültig entgleiten würde, wenn ich nun ausflippte. Ich musterte mein Gegenüber von Kopf bis Fuß und merkte, dass ich sein Gesicht wegen der breiten Hutkrempe noch immer nicht deutlich gesehen hatte. Zwar gelang es mir offenbar nicht, seinen Körper zu treffen, aber …

Ich spannte mich nahezu unmerklich an, erlaubte einer winzigen Flammenspitze aus meiner Magengrube, ihre Hitze vorsichtig durch meine Adern zu schicken, und nutzte deren Kraft dazu, mit einer meiner Silbernadeln vorzuschnellen.

Er fauchte erstaunt auf, doch ich hatte mein Ziel erreicht, ihn überrumpelt, seinen Hut zu fassen bekommen und ihn ihm vom Kopf gezogen. Nun sah ich in zwei tiefliegende dunkelblaue Augen, die in bestürzter Wut silbern blitzten: Mein Gegenüber war ein Elf.

Die offensichtliche Anspannung seines stark verhüllten Körpers und der Muskeln über seinen Wangenknochen verrieten seine Gefühle. Für einen Moment befriedigte mich, dass auch er sich meines Tuns wegen beherrschen musste, und fast hätte ich ihm übermütig etwas vorgeträllert. Stattdessen hob ich seinen Hut auf, drehte ihn nachdenklich auf einem Finger, steckte die Silbernadel in ihr Versteck zurück und behielt ihn dabei die ganze Zeit im Auge. Gegen Feen und Elfen war Silber praktisch nutzlos; ich würde mir etwas aus Eisen suchen müssen. Das Leben wäre sehr viel einfacher, wenn alle Scheusale der Anderwelt die gleichen Schwächen hätten, und realistischerweise konnte ich nicht unbegrenzt viele verschiedene Metallwaffen mitführen. Mein Gegenüber folgte der Kreisbewegung seines Huts mit den Augen, und ich zwang meine Stimme zu einem so trägen wie lässigen Klang.

»Da streunt ja jemand weit entfernt vom Unseelie-Hof herum. Warum verschattest du meine Tür, Elf?« Dass ich so dick auftrug, ließ mich innerlich zusammenzucken, doch ich hatte damit Erfolg.

Wieder fauchte mein Gegner und öffnete den Mund zu einer erstaunlich animalischen Grimasse, die sehr scharfe und weiße Zähne erkennen ließ. Zugleich verdunkelten sich seine Augen, bis sie fast schwarz waren. Hübscher Kniff.

»Ich komme vom Seelie-Hof, gehöre also zu den guten Elfen, nicht zu den bösen, Menschenkind. Denk bloß nicht, du dürftest mich zu den dunklen Wesen rechnen.«

Tja, ich hatte eine Fifty-fifty-Chance gehabt, richtigzuliegen. Wegen der nachtschwarzen Augen hatte ich mein Gegenüber für Unseelie gehalten, für ein Mitglied der Dunklen Feenwelt, doch um fair zu bleiben: Sein goldblondes Haar widersprach dem. »Nenn mich nicht Menschenkind, Elf«, gab ich ruhig zurück. »Ich nehme an, du bist gekommen, weil du weißt, worum es sich bei mir tatsächlich handelt.«

»Ich weiß jedenfalls, was du nicht bist.«

Und ich habe keine Lust auf diese Unterhaltung, dachte ich, fragte aber »Nämlich?« und ließ meine Stimme nahezu gelangweilt klingen.

»Du gehörst nicht zu den Gestaltwandlern – auch wenn das Oberhaupt der Bruderschaft naiverweise vom Gegenteil überzeugt ist. Und du hast recht: Ein Mensch bist du nicht.« Er beugte sich vor und holte tief Luft, als inhaliere er meinen Geruch. »Aber was bist du dann?«

Ich neigte den Kopf zur Seite und dachte nach. Dass er die Wahrheit nicht zu wissen schien, erleichterte mich. Die Unterlagen in Johns durch Magie gesicherter Schublade in Cornwall hatten enthüllt, dass ich tatsächlich kein Mensch war, sondern partiell von Drako Wyren abstammte, einer alten Drachenart, deren Blut geheimnisvolle magische Elemente enthielt. Ich verfügte über die Kraft des Feuers, das immer dann in mir aufflammte, wenn ich wütend war oder herausgefordert wurde – und dass mein Blut süchtig machen konnte, hatte sich gezeigt, als Anton es bei den Zweikämpfen kostete, die die Bruderschaft uns auferlegt hatte, um unsere Leistungen zu bewerten. Auch Iabartu hatte mich zur Strecke bringen und mein Blut für ihre bösen und schändlichen Zwecke nutzen wollen. Fast hätte sie auf ihrer Jagd nach mir das ganze Rudel von Cornwall getötet, weil sie offenbar der Ansicht gewesen war, mit meinem Blut könne sie andere beherrschen. Einem nicht vertrauenswürdigen Feenwesen – ob Seelie oder Unseelie – würde ich meine Herkunft wohl kaum verraten, weil das womöglich zur völligen Zerstörung meines früheren Rudels führte. Außerdem wusste ich noch immer nicht viel über die Drako Wyre; meine Recherche im Andernetz jedenfalls hatte nur wenige Antworten geliefert.

»Keine Ahnung«, erwiderte ich zuletzt achselzuckend. »Ich habe vielleicht ein paar hexenhafte Fähigkeiten, aber darüber hinaus …«

Mein Gegenüber funkelte mich an und wippte auf den Fersen. Sein Gesicht nahm einen hochkonzentrierten Ausdruck an, und er musterte mich so intensiv, als wollte er mich zum Wegschauen zwingen. Goldene Flecken tanzten über seine Pupillen, und er senkte die Stimme zu einem Raunen. »Du wirst mir alles sagen.«

»Äh … Nein, das werde ich nicht tun, weil ich nichts weiß.«

Sein Blick bohrte sich noch tiefer in meine Augen. »Was für ein Wesen bist du? Ich tu dir schon nicht weh, Kleines.«

Kleines? Das wurde langsam ärgerlich. Er streckte eine feine Hand aus und strich mir mit den Fingerspitzen zart über die Wange, bevor ich mich ihm zu entziehen vermochte. Nun glänzte noch mehr Gold in seinen Augen, falls das denn möglich war. Er lächelte mich an und wiederholte sanft: »Sag es mir.«

»Verschwinde. Und fass mich nicht an, denn ich weiß nicht, wo du dich rumgetrieben hast. Ich könnte mir eine fiese Elfenkrankheit von dir einfangen.« Jetzt war ich grob, aber das war mir egal. Und für den Fall, dass er schwerhörig war, sagte ich langsam und deutlich: »Ich. Weiß. Nicht. Was. Für. Ein. Wesen. Ich. Bin. Deshalb. Kann. Ich. Dir. Dazu. Nichts. Sagen.«

Seine Miene verhärtete sich, und da war noch etwas in seiner Miene, eine Empfindung, die ich nicht einschätzen konnte. Überraschung? Vielleicht gar ein Anflug von Respekt? Schwer zu sagen.

»Ich weiß, dass du lügst, Mackenzie.«

»Und ich finde es unfair, dass du meinen Namen kennst, ich deinen aber nicht.«

»Namen haben Macht – das müsste sogar dir klar sein.«

Ich seufzte theatralisch. »Deinen wahren Namen brauche ich nicht.« Alle Feenwesen maßen simplen Benennungen einfach viel zu viel Bedeutung zu. »Es wäre bloß höflich, wenn du dich mir vorstellst. Ich weiß nicht, was für ein Wesen ich bin, doch selbst wenn ich es wüsste, bist du für mich ein Fremder. Sag mir deinen Namen – es muss nicht dein echter sein – und verrate mir, warum du überhaupt mit mir sprichst und mir nachsteigst. Dann kann ich dir vielleicht mehr darüber erzählen, was ich weiß.«

Na bitte – ich war ruhig und vernünftig! Und ich musste herausfinden, wie viel er tatsächlich wusste und wie er mich gefunden hatte. Zu wissen, wer er war, bedeutete, dass ich mehr über ihn in Erfahrung bringen konnte, sobald ich wieder zu Hause war und mich erneut ins Andernetz eingeloggt hatte. Wissen bedeutet stets ein Gegengewicht zur Macht, und im Moment war dieses Elfenwesen mir noch kilometerweit voraus, weil es immerhin wusste, wer ich war und woher ich kam.

Er taxierte mich kurz, und seine Augen wurden dabei wieder tiefblau. Dann bekam seine Miene etwas Entschiedenes, und mit einer plötzlichen, tiefen Verbeugung streckte er mir die Hand entgegen. »Ich heiße Solus.«

Ich reagierte nicht auf seine Hand, sondern wartete. Mit leisem Seufzen zog er den Arm zurück. »Du hast den Bannkreis meiner Schwester durchbrochen – das hat mich … neugierig gemacht. Ich wollte wissen, wer auf der Mittelebene dazu fähig ist. Meine Schwester besitzt nämlich große Macht.«

Ich muss verwirrt dreingeschaut haben, denn er fragte: »Ihr nennt sie doch Bannkreise, oder?« Seine Stimme klang leicht angewidert.

Ach. Ich schaute kurz auf meine Hände, in denen noch immer die Silbernadeln lagen. Vermutlich war es mein Blut gewesen. Aber in diese Falle getappt zu sein hatte bedeutet, dass ich Julia und den anderen nicht hatte helfen können. Wieder spürte ich die Hitze in mir aufwallen und biss die Zähne zusammen.

»Dieser Bannkreis hätte mich beinahe um alles gebracht.«

»Das tut mir leid«, bemerkte er nur. »Meist handelt es sich da um das Werk von Minderfeen, doch meine Schwester ist … unreif. Aber das ändert nichts daran, dass du aus dem Kreis ausbrechen konntest. Anscheinend liegt das an einem Blutzauber, darum habe ich beobachtend abgewartet, bis wieder Spuren des Bluts aufgetaucht sind, das solche Macht hat. Und das war vor zwei Tagen.«

Also wohl, als ich mich nach Dereks Übergriff an den Glasscherben geschnitten hatte. Ich runzelte die Stirn. Solus war nur Augenblicke nach diesem Ereignis auf der Straße gewesen, obwohl …

Er unterbrach meine Gedanken. »Für uns verläuft die Zeit anders. Das solltest selbst du wissen.«

Das wusste ich allerdings.

»Ich wollte wissen, wer mächtig genug ist, unsere Magie zu zerstören. Es ist nur klug, wenn wir auf der Hut sind, sobald unsere Kräfte herausgefordert werden. Seitdem dein Blut aufgetaucht ist, habe ich dich beobachtet. Und deine wahre Identität zu ermitteln war nicht schwer. Anscheinend bin ich nicht der Einzige, der nach dir sucht.«

Bei der Erinnerung an Corrigan zog mein Magen sich kurz zusammen, doch sofort dachte ich an etwas anderes. »Und jetzt hast du mich gefunden.«

Er musterte mich. »Jetzt habe ich dich gefunden. Was das hiesige Rudel will, interessiert mich nicht – du brauchst also nicht befürchten, dass ich dich an die Gestaltwandler hier verrate. Aber ich möchte nach wie vor wissen, was für ein Wesen du bist.«

Ich glaubte, dass er mir gegenüber ehrlich war, konnte ihm aber noch immer nicht trauen und hatte keinen Schimmer, was er tun würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.

»Ich weiß es nicht«, wiederholte ich. »Ich verfüge über gewisse Fähigkeiten, und ja, ich habe den Bannkreis deiner Schwester durchbrochen. Tut mir leid, falls ihr das Probleme bereitet hat, doch es handelte sich um einen Notfall, und ich wollte nicht jahrhundertelang nur zu ihrem Vergnügen dort festsitzen. Aber ich weiß wirklich nicht, was für ein Wesen ich bin.«

»Du lügst. Das rieche ich.« Sein versöhnlicher Ton war deutlicher Verärgerung gewichen. »Aber ich gebe nicht so schnell auf. Ich werde herausfinden, was du für eine bist.« Er sah kurz hoch und schien zu wittern; dann blickte er mir wieder in die Augen. »Wir sehen uns wieder, Mackenzie.«

Unvermittelt und ohne Abschied war er verschwunden und ließ mich verblüfft und etwas ängstlich zwischen Bücherstapeln zurück. Was nun?

Viertes Kapitel

Kurz darauf kam Mrs Alcoon zur Tür herein und zog einen Trolley mit Schottenkaro hinter sich her. Noch immer war ich verblüfft über das unvermittelte Auftauchen und Verschwinden des Elfs und ratlos, was es eigentlich für mich zu bedeuten hatte, und doch bemerkte ich ihren seltsamen Einkaufswagen. Nie hätte ich gedacht, dass im echten Leben jemand so einen Trolley benutzte, aber offenkundig hatte ich mich getäuscht.

Sie lächelte mich strahlend an. »Fürs Erste genug gehamstert.« Ihr Blick fiel auf die wenigen Bücher, die noch auf dem Boden lagen, darunter das über die Feen, das ich quer durch den Laden geworfen hatte. Ihr Lächeln ließ ein wenig nach. »Donnerwetter, hatten wir Kobolde zu Besuch?«

Ich musterte sie argwöhnisch. Hinter dieser alten Dame steckte wirklich mehr, als sich auf Anhieb erkennen ließ. Ob sie spürte, dass Solus hier gewesen war? Ich überlegte, das Thema offen anzusprechen, doch ehe mir die passenden Worte eingefallen waren, hatte sie sich mit ihrem quietschenden alten Trolley schon zum Hinterzimmer durchgearbeitet. Ich hob das Feenbuch auf, ignorierte das Kribbeln in meiner Hand und verräumte den Band unter anderen Büchern, um ihn außer Sicht zu bringen, merkte mir aber genau, wohin. Dann schuf ich weiter Ordnung. Derweil summte die alte Dame in der Küche so melodielos wie am Vortag, und dann hörte ich sie den Kessel auf den Herd setzen.

Bald folgte ich ihr in die Küche und war nur noch auf Small Talk aus. »Haben Sie etwas Interessantes gefunden?«

»Aber ja, Liebes. Brennnesseln und Johanniskraut hab ich gekauft – das ergibt herrlichen Tee und ist gut für die Nerven.« Sie musterte mich neugierig. »Du siehst aus, als könntest du welchen vertragen.«

»Äh … Mir geht’s bestens, danke.« Der lausige Geschmack ihres letzten Gebräus geisterte mir noch immer durch den Mund, und ich hatte es nicht eilig, etwas Ähnliches zu probieren. Stattdessen hielt ich inne und suchte nach einer guten Gesprächseinleitung. »Sie kennen sich offenbar gut mit Pflanzen aus.«